Archiv der Kategorie: Feierabend! #20

Kommentar FA! #20

Der Herbst hat dieses Jahr eine gute Miene abgegeben. Warme, klare Tage mit viel Licht. Ein wahrer Balsam für die Seele. Wenn die Natur sich so unschuldig gibt, uns anlächelt und unsere Geister inspiriert, mit den verführerischen Düften des Ursprünglichen, Verwurzelten, Geborgenen, uns mit ihren sanften Winden berührt, dann neigen wir ihr zu und versuchen all das Politische, Kulturelle, Gesellschaftliche, Geschäftig-Geschwätzige um uns herum zu vergessen. Fern fühlen wir uns dann aller Entwicklung und Geschichte, geborgen in der Unbeweglichkeit des Moments. Wir senken den Blick, schließen die Augen und horchen in uns hinein, hören nur auf die Harmonien, die der natürliche Einklang erzeugt.

Doch halt, können wir es uns denn leisten, wegzusehen? Den Blick vom and’ren abzuwenden? Mag diese herbstlich natürliche Selbstversenkung auch die Quelle neuer Kräfte sein, die Triebfeder der Geschichte ist sie nicht.

Sehen wir also von dieser anrührenden Naturbetrachtung ab und wenden uns den politischen Realitäten zu. Hierzulande droht nach dem Deutschen Herbst nun ein Deutscher Winter. Mit Eiswasser für mutige Atomenergie-GegnerInnen, mit frierenden MigrantInnen, die Deutschlands billigste Rundum-Propaganda verteilen, mit zitternden Bettlern in den Straßen, unbeheizten Wohnungen, Lohnkürzungen, Arbeitsplatzverlusten und mageren Gabentischen. Mit Politiktheater, Unsicherheit und Zukunftsängsten. Mit hohlen Phrasen vom Sockel der Macht und dumpfen Parolen aus dem Bauch der Ohnmächtigkeit Marke „Du bist Deutschland“. Die Abwesenheit der Utopien schmerzt. Fast möchte mensch bei dem Gedanken in die Natur zurückversinken, sich doch ein wenig jener absonderlichen Vision anschmiegen: Verweile doch im Augenblick, Du bist so schön! Trotzdem: Nach Sturm und Drang und jenen Glaspalästen Deutscher Klassik kommt die Geschichte, unweigerlich, mit und gegen die Natur. Es liegt an uns, an unserer Geselligkeit, sie zu gestalten.

clov

Wagentage Frankfurt 2005

Die Bauwagenszene rockt. Für Freiräume und alternative Lebensgestaltung zu kämpfen, heißt für die BewohnerInnen und Fans der zahlreichen bundesweiten Bauwagenplätze auch, sich einmal im Jahr zu treffen und die eigene Existenz zu zelebrieren.

„Be on time once in your life!“ Der schmis­sige slogan der “Pünktlich sein”- Aktion des Jahres 2003, diesmal auf englisch als Diskostrahler – gutgefüllte Tanzhütte, hoch­be­liebtes Flaschenbier, Lagerfeuer, Bierbänke, Hundemeuten, Bauwägen.

Was so intensiv die Atmosphäre eines herz­haften Alternativ-Festivals verströmt und bei Beobachtern den sofortigen Wunsch des Dazugehörens auslöst, ist das dies­jährige bundesweite Treffen der Bauwa­gen-Szene in Frankfurt am Main. Das Ge­län­de des hiesigen Wagenplatzes „Borsig“ befindet sich gegenüber einer dieser be­lieb­ten Autohaus-Einbauküchen­center-Gegenden, allerdings ohne dass man die recht lebensfeindliche Nachbar­schaft auf dem Platz wahrnehmen würde. Mit ge­schätz­ten 80 Wägen ist er groß genug, um einen eigenen Mikrokosmos zu bilden, der sich eindrucksvoll von der Frankfurter Vor­ort-Idylle absetzt. Das kontrastierende Ambiente bewundert man am besten vom Dach des nebenstehenden Parkhauses aus, bevor die Security auf­taucht.

Doch das dreitägige Getue auf dem auch sonst recht lebendigen Areal ist mehr als Schulterklopfen mit alten Freunden, Bierkonsum, Punkrock und Austauschen der unvermeidlichen Basteltipps betreffs Schrauberei an Kraftmaschinen oder Im­pro­vi­sations-Ökotechnik. Obwohl auch für die Bauwagenszene das Abfeiern der eigenen Identität im Vordergrund steht, gelingt es ihr im Vergleich zu den meisten anderen Subkulturen, eine gemeinsame Handlungsfähigkeit zu organisieren.

Auf einem gemeinsamen Städteplenum wird die Lage der jeweiligen Bauwagen­plätze besprochen. Ansätze von lokalen Kam­pag­nen werden vorgestellt und Termine für Aktionen und Demos rumge­reicht. Auf dem Finanzplenum wird der eindrucksvolle Stand des gemeinsamen „Krötenkontos“ vorgestellt und die weitere Verwendung des Geldes diskutiert, das ursprünglich als eine Art Prozesskos­tenversicherung gedacht war. Unter­stützung für alternative Projekte soll jetzt auch auf logistischer Ebene möglich werden. Kooperation mit dem Freiburger Mietshäuser-Syndikat ist darüber hinaus angedacht, um das Kapital politisch besser zu nutzen.

Schließlich haben die mehr und weniger kampferprobten Wagenleute trotz allen Plena und Konzerta noch die Chance, sich gegenseitig bei einer wilden Stadtrallye („tour l’armour“) zu befehden. Mit pompösen LKWs durch den Frankfurter Be­rufs­verkehr hupen und komische Aufgaben erfüllen. Durch die Kinder­geburtstagsatmosphäre angestachelt sind einige Teilnehmenden allerdings nicht mehr in der Lage, sich an irgendwelche Regeln zu halten. Zu größeren Verle­tzungen kommt es trotzdem nicht.

Bei einer berauschenden Siegesgala werden schließlich die Gewinner bekannt gege­ben: Das Leipziger Team „Fock off“ ge­winnt den Kreativpreis im Goldrahmen, „Follafiat“, auch Leipzig, immerhin einen Trostpreis. Die imposanten Trophäen sind seitdem in der Fockestraße (Montags Volxküche) zu bewundern!

soja

„Das Geheimnis von LE“

Wie die inszenierte Doku den Umgang mit Leerstand thematisiert

 

Klingt ja eher wie ein Ausverkauf, dieser Titel. Da kommt eine Künst­lerin angereist und will einen Film über Leipzig drehen, ist ja so eine span­nende Stadt. Und dann will sie diese Span­nung festklopfen, das Brachen­geflüster gar ins Kino bringen?

Die Hamburgerin Anke Haarmann war von der Galerie für zeitgenössische Kunst Anfang 2004 direkt beauftragt worden, „ein künstlerisches Projekt über schrum­pfende Städte in Ostdeutschland zu realisieren“. Die GfzK beteiligt sich, zusammen mit der Stiftung Bauhaus Dessau und der Archi­tekturzeitschrift archplus, an einer Initiative der Kultur­stiftung des Bundes namens „Schrump­fende Städte“. Diese shrinking cities widersprächen „dem seit der Indust­ri­ellen Revolution gewohnten Bild der ›Boom­town‹, einer von stetigem wirt­schaft­­lichen und demographischen Wachs­tum gepräg­ten Großstadt, sie provozieren aber ebenfalls ein Umdenken im Hinblick auf tra­di­ti­onelle Vorstellungen der europä­ischen Stadt und auf die zukünftige Ent­wick­lung urbaner Welten.“ (1) Verschie­dene wissenschaftliche und Kunstprojekte, u.a. in Detroit, Manchester, Ivanovo, aber auch Halle, wollen dokumentieren und kul­turelle Perspektiven entwickeln. Dabei entstand aus die­sen Arbeiten u. a. eine gleich­­namige Aus­stellung, die bald eröff­net wird. (2)

Leipzig sei Boomtown und Leerstands­gebiet zugleich – diese Spannung interes­siere Anke Haarmann besonders. Zusam­men mit der Dresdner Filme­macherin Irene Bude ging sie also auf die Suche nach Per­sonen und Gruppen in ver­schie­denen Vier­­teln, mit denen sie zusammen dann sieben verschie­dene Episoden entwickel­ten: vom Idealtyp Waldstrassenviertel zum Härtefall Ost, über das Wintergarten-Hoch­haus, den Bunten Garten, das Wohn­pro­jekt Gieszer 16, die Fein­kost und den Brühl. Im Osten wurden be­we­gen­de Pro­jekte entdeckt: eine Nachbar­schafts­werkstatt und eine leider nur einjährige Bepflanzung eines Hinterhofes mit Grün­kohl, der dann in einem Hap­pen­ing vom Kollektiv geerntet, gleich zubereitet und kostenlos ausgeteilt wurde. Im Winter­gar­tenhochhaus posierte man hingegen sehr bürgerlich und schwel­gte in Erinne­run­gen an verschiedene Besiedlungsver­suche des Hauses durch die LWB: Die Jun­kies und harten Sozialfälle seien schlimm ge­we­sen, als dann aber die „Spätaussiedler“ ins Haus kamen, sei es besser geworden, die konnten ja wenigst­ens noch ein Stück­chen Deutsch.

Nach dem Prinzip der Spiegelung zeigte die folgende Episode die „Bunten Gärten“ in Anger-Crottendorf, in denen vom „brücken­schlag e.V.“ MigrantInnen­integration in natura betrieben wird: Scha­fe, türkisch-deutscher Salatzucht­versuche, Hilfe bei Ämter­gängen und Arztbesuchen.

Daß es in Leipzig einmal die Welt­haus­­besetzer­­spiele gegeben hat, erfährt man dann von zwei Comicfiguren, die in der Erinnerung an die Hochzeit von Arthur und Karla (siehe S.14f) schwelgen (mit Originalvideoausschnitten!) und sich dann von der G16 aus zu einer sehr ab­strak­ten Rettung der „Frischkost“ aufma­chen. Am Ende hört man noch das senti­men­tale Dona nobis pacem auf der Geige eines Ex-Bewohners der abzureißen­den Brühl-Hochhäuser.

Ein ziemliches Sammelsurium also. Die gestellten Szenerien, gezeichnete Elemente und die prekären Realitäten vermischten sich in diesem Stündchen Film eher ins Graue. Keine Hintergrundinformationen, keine Konfrontationen und die halbherzig aufgenommenen Porträts zeigten kaum Authentizität. Die gewollte Inszeniertheit und eine gewisse Beliebigkeit bei der Aus­wahl der Szenerien verspielten leider das Existentielle des Themas.

Sind alternative Projekte und Hausbe­setzun­gen eine Medizin gegen Leerstand?

In der dem Film folgenden Podiums­dis­kus­sion zwischen einer Stadtplanerin, zwei Ver­tretern der „Hausbesetzerszene“ (Birgit und Karo aus der G16), einem Ex-Fein­kost-Mitbetreiber (Thomas Pracht) und einem „Quartiersmanager“ (jemand, der leer­stehende Häuser vermittelt) wollte man dann für die Unkonkretheiten des Fil­mes entschädigt werden. Leider moder­ier­te die Frau von Radio Blau aber immer schön an den Grenzlinien des Themas vor­bei, stellte ewig lange Fragen für ihr Radio und das Publikum war relativ gefrustet. Da sprang die Künstlerin selbst einmal für die Spannung in die Presche und fragte nach den bestehenden „Verun­mög­lichun­gen“ verwaltungs­technischer Art, die Bra­chen­nutzung erschwere und politisch zu be­wer­ten wäre.

Die Stadtplanerin hingegen mahnte im­mer wieder an, dass Häuser nicht einfach besetzt werden könnten und gut, ihre In­standhaltung wäre sehr aufwendig und meis­tens könnten die NutzerInnen sich dies nicht vorstellen, geschweige denn rea­lisieren. Von der G16-Seite wurde dann noch betont, daß sie keine politi­schen Ver­treter ihres Anliegens bräuchten, wie die Stadt es gerne hätte, die verschie­dene Teil­neh­mer­Innen des Projektes nicht als Ver­hand­lungspartner akzeptiere. Eine poli­tische Konformität sei eben nie angestrebt wor­den. Damit traf sie den Nagel auf den Kopf und formulierte endlich, was keine intel­lektuelle Auseinan­der­setzung der Welt überwinden kann – den Widerspruch zwi­schen den „Besit­zern“ und den Besetzern. Am 27.11. läuft „Das Geheimnis von LE“ zum Vormittags­brunch in den Passage Kinos, am 25.01.06 in der NaTo. Wo Platz ist, soll auch Leben möglich sein!

 

clara

(1) www.gfzk.de
(2) 26.11.05-02.02.06, GfzK, Karl-Tauchnitz-Allee

Lokales

Häuserkampf im Bauwagen

Der politische Druck auf die selbst verwalteten Wohnprojekten wächst

Nach der Befriedung der Häuserkämpfe, dem Um­bau von Innenstädten und Bahnhöfen zu Ein­kaufspassagen und der Totsanierung der Altbauten, geraten nun die Bauwagen­plätze zunehmend ins Visier der Stadt­planer. Dabei unterscheiden sich die je­weiligen Städte natürlich in Bezug auf den Re­pressionsgrad:

In Hamburg beispielsweise läuft seit An­fang 2002 die bisher größte Anti-Wagen­platz-Kampagne der rechtsgerich­teten Landes­regierung, die im Konflikt um den Platz Bambule ihren bisherigen Höhe­punkt fand (bambule-hamburg.org) und deren erklärtes Ziel die Räumung sämt­licher Wagenplätze bis 2006 ist.

Während an der Elbe der neoliberale Um­bau brutal durchgreift und aufflam­men­der Protest mit gigantischen Polizei­kräften er­stickt wird, nimmt sich die Lage in anderen Städten wie Leipzig entspannter aus. Die SPD hat sich hier mit einem ambivalent-moderaten Kurs gegenüber alter­nativen Projekten angefreundet, ge­le­gent­lich angereichert mit Aktionen wie im Früh­jahr dieses Jahres als 50 Beamte samt Hubschrauber zur Räumung eines Ge­müse­beets in der Fockestraße anrückten. Während sich die hiesigen Platz­bewoh­nerInnen also entspannen und sich auf Volx­küchen und Ähnliches konzent­rieren können, befinden sich andere in juris­tischen Querelen: Die „Pünktlich Sein – Aktion“ am 24. April 2004, in der die Ham­burger Hafenstraße von 100 LKW be­setzt und anschließend mit Brachial­ge­walt geräumt wurde, zieht weiter ihre Kreise von Ins­­tanz zu Ins­tanz. Das Plenum in Frank­furt kann dank Solispenden und dem gemeinsamen „Krötenkonto“ der Bauwagenplätze verkünden: „Wir geben nicht auf!“ Die letzten Prozesstermine in Hamburg waren das ganze Jahr über von Demos und Happenings begleitet, die auch das skandalöse Verhalten der Polizei öffentlich machten und die Forderung nach Akzep­tanz von Bauwagenplätzen in den Vorder­grund stellten.

Um die Bauwagenplätze als einmalige kreativ-kollektiv-autonome Freiräume wird es also nicht so schnell ruhig werden. Der Kampf geht weiter – und die Party sowieso.

soja