„Aus einem unfernen vom ´Bürgerkrieg´ geschüttelten Land“
In der Tschechischen Republik existieren mehre Gruppen, die kostenlose Technopartys im Freien oder in verlassenen Fabriken organisieren und oft über ein eigenes Soundsystem verfügen. Seit 1992 schließen sich diese Gruppen einmal im Jahr zusammen, um das „Czechtek“ zu organisieren. Dafür wird ein geeignetes Terrain irgendwo in Tschechien ausgewählt und für die Zeit des Festivals, normalerweise drei Tage, besetzt. Die genaue Lage des Geländes wird erst dann über Internet bekannt gegeben, wenn die Soundsysteme vor Ort und installiert sind. Auf diese Weise hat man in den letzten Jahren versucht, der Be- oder gar Verhinderung des Czechteks durch die Polizei entgegenzuwirken. Da das Czechtek im letzten Jahr von sechs Hundertschaften der Polizei mit Tränengas angegriffen worden ist, wurde in diesem Jahr erstmals, ein Gelände von den Organisatoren offiziell angepachtet. Die Polizei ließ daraufhin verlauten, dass sie daher keinerlei Veranlassung sehe, in irgendeiner Weise gegen das Festival vorzugehen.
Es war unter anderen auch dieser Fakt, der mich dazu bewegte, zur größten alljährlichen Freetechnoparty Tschechiens zu fahren. Hier nun eine knappe Schilderung meiner Erlebnisse.
Am Samstag, den 30. Juli, traf ich gegen Mittag am Festivalgelände ein. Ich betrat das Feld von seiner östlichen Zufahrt und hatte sofort einen guten Überblick. Obwohl die Polizei die Zufahrt mit einem großen Generator blockierte, waren bereits mehrere hundert Fahrzeuge und Zelte auf dem Gelände und die Party war, obwohl sich noch vieles im Aufbau befand und immer noch viele Leute ankamen, schon in vollem Gange. In der Mitte des Geländes befanden sich die zwei großen Hauptsoundsystems. Im östlichen Winkel befand sich das Erste-Hilfe-Lager, daneben reihten sich unterhalb der Autobahn etwa vierzig Fahrzeuge der Polizei auf, darunter zwei Wasserwerfer aus Vorwendezeiten, deren Technik aber sicher modernisiert worden ist. Es war sonnig und die Stimmung war ruhig und ausgelassen. Nur ein Polizeihubschrauber verbreitete von Zeit zu Zeit bedrohlichen Lärm, außerdem trafen immer mehr Polizeifahrzeuge ein, die die Reihe der unterhalb der Autobahn stetig anwachsen ließen. Unten an den Soundsystemen tanzten etwa 300 Menschen, überall gab es kleine Stände an denen man sich aufhalten, essen und Bier trinken konnte. Durch ein kleines Waldstück wurde ein Schleichweg angelegt, über den immer mehr Fahrzeuge, sogar ein grosser Bus, auf das Gelände gelangten. Nach den Nummernschildern zu urteilen, kamen die meisten ausländischen Wagen aus Großbritannien, Italien und Frankreich, aber auch aus Österreich, Polen und der Slowakei.
Etwa um drei setzte ich mich vom Festivalgelände ab. Im nächstgelegenen Dorf hatten ebenfalls viele Czechtekker ihr Lager aufgeschlagen, aber auch die Polizei war vor Ort. Ich fragte mich durch, ob im nahegelegen Wald irgendwo Leute campierten. Doch in der mir beschriebenen Richtung suchte ich an die zwei Stunden vergeblich und es begann zu regnen. Als ich um halb sechs ins Dorf zurückkehrte, fiel mir sofort die dort herrschende Stille auf. Die Polizei war verschwunden und es waren an sich kaum Menschen zu sehen. Ich sprach zwei Leute an einem Bus mit Dresdener Kennzeichen an. Ich wurde gefragt, ob ich „das“ eben mitbekommen hätte. Ich verneinte verwundert und fragte, was gemeint wäre. Der Mann zeigte mir Bilder auf dem Display seiner Digicam, die von der Erhöhung im östlichen Winkel des Festivalgeländes aufgenommen worden waren. Sie zeigten eine Kette von Polizisten, die sich vom nördlichen zum südlichen Rand des Geländes erstreckte, dahinter sah man die Masse der Festivalteilnehmer und spritzende Wasserwerfer. Das ganze Szenario war eingehüllt von dicken Tränengaswolken. Später hörte ich, dass an dieser Auseinandersetzung etwa eintausend Polizisten und fünftausend Festivalbesucher beteiligt waren. Das für mich beeindruckendste Bild zeigte einen Tieflader, der auf der gesperrten Autobahn stand. Er hatte einen kleinen olivgrünen Kettenpanzer mit drehbarem Turm und einem doppelläufigen Geschütz geladen.
Ich machte mich bald daran wieder auf das Festivalgelände zu gelangen und lief zurück. Mir kamen Leute entgegen, die sagten, dass man das Gelände nur noch verlassen könne und es in einer Richtung abgesperrt worden sei. So schlug ich mich, bei mittlerweile starkem Regen durch das Unterholz. Ich gelangte völlig durchnässt an zwei Bussen mit spanischem Kennzeichen an, wo ich meinen Rucksack abstellte und sofort wieder von Osten her auf das Gelände lief. Deutlich weniger Menschen, Zelte und Fahrzeuge befanden sich nun auf dem Terrain. Jedoch standen noch ein großes Soundsystem und nicht weit davon ein Wasserwerfer, etwa drei kleinere Polizeibusse und circa 80 Polizisten herum. Der Panzer war nicht mehr zu sehen. Ich lief quer über das Gelände. Eine Doppelreihe von Polizisten sperrte den westlichen Winkel des Geländes ab. Man konnte die Polizisten jedoch durch den Wald umgehen, kurz darauf zogen sie ohnehin ab.
Ich gelangte also in den Westwinkel des Geländes, über den unzählige Fahrzeuge versuchten das Areal zu verlassen. Auf der Autobahnauffahrt herrschte ein heilloses Durcheinander. Überall standen Fahrzeuge herum, auf der Nationalstraße standen circa vier große Polizeibusse, vor der die Polizisten in großen Gruppen standen. Unter die Autobahnbrücke, die über die Nationalstraße führte, hatten sich etwa vier- bis fünfhundert Menschen vor dem Regen zurückgezogen. Die Straße war von Glasscherben übersät.
Ich lief zurück auf das Festivalgelände. Öfter traf ich Leute mit verbundenen oder noch unbehandelten Verletzungen am Kopf oder anderen Gliedmaßen. Auf dem Gelände selbst lagen oft Reste von Zelten oder anderen persönlichen Dingen herum. Die mehreren hundert Menschen, die zurückgekehrt waren, entfachten Feuer, um sich zu wärmen und ihre Sachen zu trokken. Es brach Gejubel aus, als das Soundsystem wieder zu spielen begann. Nachdem ich noch ein wenig über das Gelände gelaufen war, beschloss ich, meinen Rucksack zu holen und dann zu versuchen das CzechTek zu verlassen. Genau in diesem Moment, um etwa acht Uhr, begann sich im Ostwinkel des Geländes die Polizei neu zu formieren und erneut bildete sich eine Kette von Polizisten über die gesamte Breite des Geländes. Über das Soundsystem wurden alle verbliebenen Leute dazu aufgefordert, zum Soundsystem zu kommen, um es zu schützen. Ich entschloss mich aber davon abzusehen, da sich die Situation immer mehr zuspitzte. Mir ist es dann gelungen auf die immer noch gesperrte Autobahn zu gelangen. Von dort aus war das ganze Geschehen gut zu sehen. Die Reihe von Polizisten rückte langsam voran, machte an jedem verbliebenen Zelt an, wartete bis dieses abgebrochen war und rückte dann weiter vor. Besonders auffällig fand ich dabei das Verhalten der Polizisten. Sie pfiffen, lärmten und grölten in einer Weise herum, dass sie mich an eine Gruppe betrunkener Männer an Himmelfahrt erinnerten. Als sich die Polizeikette nur noch etwa zweihundert Meter entfernt vom Soundsystem befand, wurde dort unbeeindruckt mit einer Feuershow begonnen, die von den Menschen lautstark bejubelt wurde.
Ich beschloss meinen Rucksack zu holen und mich auf den Weg zu machen. Ich lief die Autobahn entlang, kletterte die Böschung hinauf und gelangte somit wieder auf die Anhöhe im östlichen Winkel des Geländes. Dort hatten sich etwa 80 Leute versammelt und wurden von einer kleineren Polizeikette abgehalten, in den Rücken der Polizeiaktion zu gelangen. Es war deutlich zu sehen, dass eine weitere Konfrontation kurz bevor stand. Das war das letzte, was ich von CzechTek sah, denn kurz darauf wurden wir von den Polizisten abgedrängt.
Ich holte meinen Rucksack und stellte mich zum Trampen an die Straße. Ich hörte, wie die tschechische Polizei zu einer ihrer bewährten Aufstandsbekämpfungswaffen griff. Diese Waffe würde ich „Streublendgranate“ nennen. Es handelt sich dabei um eine Kartusche, die abgeschossen oder geworfen wird, kurz danach explodiert und circa vierzig stiftgroße Sprengkörper freisetzt, die eine hohe Sprengkraft besitzen und mit großer Lautstärke detonieren. Anfangs hörte ich nur ab und zu eine dieser Granaten explodieren, die Abstände zwischen den Detonationen wurden allerdings immer kürzer. Nach etwa einer Stunde hielt endlich ein Pärchen, das nach Prag fuhr. Zu diesem Zeitpunkt detonierten die „Streublendgranaten“ schon ohne Unterbrechung. Wir fuhren auf einer Landstraße nördlich am Gelände vorbei. Es war schon lange dunkel, ich konnte nur die Scheinwerfer des Wasserwerfers und die circa vierzig Meter vor ihm explodierenden Granaten sehen.
Wir fuhren auf die Autobahn und langsam entwickelte sich ein Gespräch zwischen dem Pärchen, einem zweiten Tramper und mir. Ich fragte, ob sie den Panzer gesehen hätten, worauf mir die Frau ein Foto auf dem Display ihres Handys zeigte, auf dem der Panzer zu sehen war. Später zeigte sie mir noch einen kurzen Clip von einer Verhaftung. „Seht mal! Ich hab ´nen Souvenir.“ sagte sie plötzlich. Aus ihrem Handschubfach holte sie etwas, was sie auf dem Feld gefunden hatte. Es war ein volles Pistolenmagazin mit fünfzehn Patronen.
In Prag fanden am 31. Juli, sowie am 1.und 3. August Demonstrationen gegen die „Kriminalisierung des Czechtek“ statt. An der ersten Demonstration am Sonntag nahmen zirka 3000, an der zweiten am Montag etwa 4000 Menschen teil, beide begannen vor dem tschechischen Innenministerium. Vor allem am Sonntag fiel mir auf, dass das Teilnehmerspektrum deutlich über die Freetechnoszene hinausging. Viele Menschen hatten Trillerpfeifen, Trommeln und oft sehr kreativ gestaltete Transparente dabei. Immer wieder kamen laute kraftvolle Sprechchöre wie „Gestapo!“, „Polizeistaat!“und „Rücktritt!“ auf. Von der stark befahrenen Straße wurde durch langes, lautes Hupen immer wieder Solidarität bekundet. Erst als eine Schweigeminute abgehalten wurde, erfuhr ich, dass die Räumung des Festivals einen Menschen das Leben gekostet hatte. Später zog die Demonstration weiter vor das Regierungsamt. Bei der ersten Demonstration hielten viele Menschen große Ausdrucke von Digitalfotos im DIN-A0-Format in die Höhe, die Opfer der Räumung des Festivals und deren Verletzungen in Nahaufnahme zeigten. Später fuhren noch ein Last-, ein Lieferwagen sowie eine Schubkarre direkt vor das Ministerium. Jedes dieser Vehikel hatte ein Soundsystem geladen – die Demonstration wurde zu einer kleinen Fortsetzung des geräumten Czechteks. Am frühen Abend fuhren zumindest das Lastwagen- und Schubkarrensoundsystem in den angrenzenden Letnapark, in dem noch bis spät in die Nacht getanzt wurde.
Am 3. August wurde im Letnapark ein immenser Monitor aufgebaut, wie er sonst bei öffentlichen internationalen Sportübertragungen verwendet wird. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde damit begonnen, Videomitschnitte der Polizeiaktion am 30. Juli zu zeigen. Etwa 2000 Menschen hatten sich davor versammelt. Was sie nun zu sehen bekamen, waren wohl die brutalsten Übergriffe der tschechischen Polizei seit der Gründung der Tschechischen Republik. Der Polizeihubschrauber, die Wasserwerfer in Aktion und Polizisten, die am Boden liegende Menschen mit Knüppeln zusammenschlugen. Man sah Menschen mit schweren Kopfverletzungen im dicken Tränengasnebel, gewaltsame Verhaftungen und den Panzer auf dem Tieflader. Ein kurzer Clip, wahrscheinlich mit einem Handy unbemerkt mitgeschnitten, wurde abgespielt. Er zeigt drei Polizisten, die versuchten die Gegenwehr eines Verhafteten zu brechen, indem er von allen dreien mit gezogener Pistole bedroht wird. Außerdem zeigte ein Bild die Beine des Todesopfers, die hinter einem kleineren Polizeibus hervorragen, wahrscheinlich nachdem es überrollt worden war.
Was bleibt? Da mir vorher nicht klar war, was mich auf dem CzechTek erwarten würde, konnte ich auch nicht davon ausgehen, dass es auf jeden Fall gewaltfrei und gefahrlos ablaufen würde. Dafür wusste ich einfach zu wenig über das Publikum und die Atmosphäre, die das CzechTek ausmachen.
Was ich jedoch vorfand, waren Menschen, die in erster Linie feiern wollten, die sich zumindest für kurze Zeit aus dem Arbeitsalltag ausklinken wollten, die Musik und Natur suchen und die sich ihren Lebensstil nicht vorschreiben lassen. Ich selbst habe keine Aggression oder auch nur Provokation seitens der Festivalteilnehmer erlebt, die Grausamkeiten, wie sie bei der Räumung des CzechTeks begangen wurden, in irgendeiner Weise rechtfertigen würde. In der späteren Diskussion um die Notwendigkeit der Räumung wurde als erstes immer mit dem übermäßigen Konsum illegaler Drogen argumentiert. Der Konsum illegaler Drogen jedoch ist eine Erscheinung, die sich durch alle Bevölkerungsschichten zieht. Es ist natürlich wunderbar einfach, ein bereits stigmatisiertes Milieu allein für die Notwendigkeit einer staatlichen Drogenkontrolle verantwortlich zu machen. Das ist dann umso leichter, wenn man die Menschen, die dieses Milieu ausmachen, von vornherein als eingeschränkt zurechnungsfähig darstellt.
Ich selbst habe schon oft an politischen Aktionen teilgenommen, die sich zumindest indirekt gegen Kapitalismus oder den jeweiligen Staat gerichtet haben. Dass ein Staat auf eine kritische Aktion in irgendeiner Weise, im Extremfall mit Gewalt, antwortet, ist für mich eine logische Reaktion, die mich nicht überrascht. Wenn aber damit begonnen wird unsere Partys zu überfallen, uns schwer zu verletzen und uns mit schwerem Kriegsgerät zu bedrohen, weil wir in Ruhe unter uns feiern und tanzen wollen, dann kriminalisiert man unseren gesamten Lebensstil und uns als Individuen. Allerspätestens hier wird mir deutlich, dass offensichtlich darauf abgezielt wird, uns hundertprozentig verwertbar und hörig zu machen und man bereit ist, uns direkt körperlich zu bedrohen, wenn wir versuchen ein Leben jenseits dieser Verwertbarkeit und Hörigkeit zu führen. Ich habe die darauf folgende politische Entwicklung in der Tschechischen Republik nicht weiter verfolgt. Aber egal wie die Räumung des CzechTeks in der Öffentlichkeit reflektiert worden ist, eines hat sie klar gezeigt:
Menschen, die nicht in die modernen Musterparagraphen europäischer Gesetzbücher passen, werden passend gemacht oder überrollt. Umso mehr müssen Menschen, die ein Leben jenseits dessen suchen und erträumen, kommunizieren und Alternativen wagen!!!
lila