Archiv der Kategorie: Feierabend! #35

Neue Kameras im Leipziger Osten

Seit dem 8. September wird ein weiterer öffentlicher Platz in Leipzig von der Polizei videoüberwacht. Zu den bisher vier Kamerastandorten in Leipzig ist damit ein fünfter an der Kreuzung von Eisenbahn- und Hermann-Liebmann-Straße hinzugekommen. Begründet wird dies damit, dass die Eisenbahnstraße ein „Kriminalitätsschwerpunkt“ sei, insbesondere was Drogendelikte angeht (siehe FA!#34).

Mit der Installation von zwei Kameras im Kreuzungsbereich will die Polizei einer „offenen Rauschgiftanbieterszene entgegenwirken“, also Dealer_innen und Konsument_innen in andere Gegenden verdrängen. Zusätzlich verweist sie wie üblich auf das „Sicherheitsgefühl“ der Bürger_innen, das durch die Kameras angeblich verbessert würde. Als Beleg dafür, dass Videoüberwachung nicht nur die „gefühlte“, sondern auch die reale Sicherheit erhöht, werden Statistiken in´s Feld geführt, denen zufolge z.B. die Zahl der Einbruchsdiebstähle aus Kraftfahrzeugen im Umfeld des Leipziger Hauptbahnhofes von 807 im Jahr 1996 auf 33 im Jahr 2008 gesunken sei. Wobei diese Statistiken freilich von der Polizei selbst erstellt wurden und schon deswegen nicht sehr aussagekräftig sind.

Zeitgleich zur Installation der Kameras führte die Polizei „eine großangelegte Komplexkontrolle mit eigenen Kräften sowie einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei durch“ (1). Um die Notwendigkeit der neuen Kameras propagandistisch zu untermauern, „wurde der Fahr­zeug­verkehr auf der Eisenbahnstraße in den Zeiten, 10.30 Uhr bis 11.45 Uhr und 13.00 Uhr bis 14.30 Uhr, im Bereich der Hermann-Liebmann-Straße umgeleitet. Die (…) Kontrollen richteten sich ausschließlich gegen Personen, die augenscheinlich der Rauschgiftszene zugeordnet werden konnten.“ 214 Leute wurden so überprüft und gefilzt, bei 11 davon wurden „Betäubungsmittel zum Eigenbedarf“ gefunden. „Weiterhin konnten zwei Drogendealer mit zum Straßenverkauf abgepackten Heroineinheiten sowie szenetypischem Bargeld von über 1.200 Euro vorläufig festgenommen werden.“ Das dürfte reichen, um kritische Nachfragen zu unterbinden…

(justus)

 

(1) www.polizei.sachsen.de/pd_leipzig/4799.htm

Jugendkultur? Aber bitte mit Sahne!

Vom Kampf um ein Alternatives Jugenzentrum in Wittenberg

Echte Probleme erkennt mensch oft daran, daß (vermeintlich) Ungewöhnliches geschieht. Hausbesetzungen von Jugendlichen, die so ihren Bedarf nach kulturellem, sozialem und politischem Wirkungs- und Selbstverwirklichungsraum hinausschreien, gehören „hier­zulande“ definitiv dazu. Nach dem Niedergang eines dieser Räume, des Topf Squat in Erfurt (FA! #32, #33), und der kurzen Geschichte zum Magdeburger besetzten Haus (FA! #34) widmen wir uns heute einer Luther­stadt und ihrem Problem mit der (fehlenden) Jugendarbeit.

Wie viele Städte in Ost­deutschland ist Wit­ten­berg dabei zu überal­tern und bietet seinen Ein­wohner_innen kaum mehr als eine Tourismusindustrie rund um Martin Luther, Philipp Me­lanch­thon und Lucas Cranach; mit vielen Sehenswürdigkeiten vor allem für Reformationstouristen, die täglich von 9 bis 6 durch die Stadt gejagt werden, bevor die Bordsteine wieder hochgeklappt werden können. So ist für Engagement und Investitionen in Kultur und bitter notwendige Jugendarbeit in der knapp 50.000-Ein­wohner_innen-Stadt im östlichen Zipfel Sachsen-Anhalts eher wenig Platz. Die wenigen übriggebliebenen Einrichtungen Wittenbergs, in denen noch Jugendarbeit stattfindet, bangen regelmäßig um ihre Existenz. Doch trotz ihrer Dienste haben viele junge Menschen keine Räume um kulturellen und sozialen Aktivitäten nachzugehen bzw. welche zu entfalten. Kein Wunder also, daß es Leute gibt, die diese Arbeit in die eigenen Hände nehmen, Orte des Miteinanders und der politischen Betätigung etwas abseits staatlicher und städtischer Strukturen schaffen wollen.

So hatte sich der Verein Kultur mit Sahne (KumS) schon 2004 die Aufgabe gestellt, Wittenbergs Jugendlichen ein alternatives Jugendzentrum zu besorgen und trat im letzten Jahr verstärkt in Verhandlungen mit dem Stadtrat, dem Jugend­hilfe­aus­schuß und dem Bürgermeister Wit­tenbergs. Es handelt sich bei dem Verein um eine „alternative Jugendgruppe, in der sich Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren bewegen“, die sich „für mehr Toleranz und Aufklärung jeglicher Art im Landkreis Wittenberg“ einsetzen. Um solch hehre Ziele verwirklichen zu können, bedarf es allerdings einer geeigneten Immobilie mit genügend Platz für Konzerte, Kreativwerkstätten, einen Infoladen und was es eben sonst noch so alles braucht für ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum.

Um dies zu verwirklichen, ging der Verein den Weg durch die Instanzen – wurde nach Selbstauskunft von der Stadt letztlich aber nur „verarscht“. Die Jugendlichen, für welche Kultur mit Sahne mühselig den Amtsschimmel ritt, nahmen die Sache schließlich in die eigenen Hände und besetzten am 14. August kurzerhand das ehemalige Gesundheitsamt in der Wallstraße, eine schöne, seit drei Jahren leerstehende Immobilie in Stadteigentum, nicht mal 5 Minuten vom Marktplatz entfernt. Die Besetzer_innen bezeichneten sich als solidarisch zu KumS und wollten diesem so ein Objekt beschaffen bzw. die Mitwirkung der Stadt und des Kreises ein wenig vitalisieren. Oberbürgermeister Naumann (SPD) signalisierte auch sofort Verhandlungsbereitschaft und hielt die Polizei im Zaum; stellte allerdings von Anfang an klar, daß es Regeln gäbe, an die sich auch die ja illegal handelnden Jugendlichen zu halten hätten. So war auch diese Besetzung nur eine auf Zeit, die Räumung von Vorherein absehbar. Es galt nur Aufmerksamkeit zu schaffen und mit dieser illegalen Aktionsform auf die Dringlichkeit des lobenswerten Anliegens in möglichst breiter Öffentlichkeit hinzuweisen. Und so wurde sich von Seiten der Besetzer_innen auch redlich um ein medientaugliches Bild ihres kulturellen und politischen Engagements bemüht. Von Beginn an gewaltfrei und auf Dialog bedacht, präsentierten sie schon vom Abend der Inbesitznahme an aufgeräumte Gemeinschafts- und Partyräume, einen Infoladen mit kleiner Bibliothek sowie eine provisorisch eingerichtete Küche für den „Mampf zum Kampf“.

Am 18. August kam es im Neuen Rathaus der Lutherstadt zu Verhandlungen zwischen Vertreter_innen der Besetz­er_in­nenfraktion, des Vereins Kultur mit Sahne und der Stadt Wittenberg. An diesen seitens der Stadt von Ausreden und Lavieren geprägten Gespräche war das einzig Greifbare die Aussage, daß das Haus so schnell wie möglich geräumt werden müsse, um „eine verfassungskonforme Situation“ zu erhalten. Und natürlich der Clou: Die Stadt schloß mit dem Verein einen „‘moralischen’ Vertrag“ ab, in der eine intensive Suche nach Räumlichkeiten seitens der Stadt Wittenberg zugesichert wurde. Weiterer Inhalt war aller­dings, daß sowohl die Stadt als auch KumS die Besetzung missbilligten. Mit dieser Klausel machten die Vertreter_innen der Stadt wiederum deutlich, wer in den Verhandlungen das Sagen hat. Zusätzlich setzten sie den Hausbesetzer_innen ein Ultimatum zum „freiwilligen“ Verlassen bis zum 25. August (also eine ganze Woche) und drohten KumS mit der Einstellung aller sonstigen Verhandlungen, sollte es zu einer gewaltvollen Räumung kommen müssen. In den Augen mancher Besetz­er_innen vielleicht eine Art Verrat am Kampf um das Squat in der Wallstraße, sahen die Vertreter_innen von Kultur mit Sahne jedoch nur durch die abgepresste Distanzierung die Möglichkeit, sich langfristig einen Weg zu einem alternativen Zentrum in der Lutherstadt offen zu halten.

Die anfängliche Zusage Naumanns am Besetzungstag („Wir veranlassen hier keine Räumung, solange alles normgerecht läuft.“) löste sich so nur vier Tage später in Luft auf, als er direkt nach den Verhandlungen die Räumungsaufforderung verschickte. Freilich wie immer mit der Zusicherung der Gesprächsbereitschaft.

Am Abend des 25. dann verließen die Besetzer_innen „heimlich“ das Haus, um sich der drohenden Räumung sicher zu entziehen. Das alte Gesundheitsamt wurde nur Stunden später von der Polizei wieder in den Stadtbesitz zurückgeführt, dezente Hinweise auf Besetzungsaufgabe bekamen sie dabei durch ein paar um­ge­stoßene Mülltonnen und einen an­gezündeteten Papierkorb rund um den geschichtsträchtigen Marktplatz.

Genau dort zog einige Wochen später, am 19. September, eine Freiraumdemon­stration an den Denkmälern Luthers und Melanchthons vorüber. Allerdings völlig ohne den Verein Kultur mit Sahne, der sich weder als Veranstalter, Teilnehmer noch Supporter dieser Demo die „gute Ver­handlungsbasis mit der Stadt“ verderben wollte. Worüber mensch nun denken kann wie mensch will.

Was blieb übrig von einer kurzen, aber ereignis- und hoffnungsreichen Zeit im ersten offiziell besetzten Haus Wittenbergs des neuen Jahrtausends? Sieben Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zum Beispiel, entgegen dem Versprechen OB Naumanns, bei Aufgabe der Besetzung auf diese zu verzichten. Oder unzumutbare Ersatzobjekte, die die Vereinsmitglieder besichtigen durften. Die Krönung jedoch waren wohl die Erfahrungen vor’m Jugendhilfeausschuß im Landratsamt am 8. Oktober. Dort mussten sich die Vereinsmitglieder sagen lassen, daß finanzielle Unterstützung für ein Zentrum gerade sowieso nicht drin sei, die Stadt im Jugendbereich eher einsparen muss als neue Mittel freizumachen für „Dilletanten“, die eh keine Jugendarbeit machen und nur ihre Szene ansprechen würden. Freilich wie immer mit der Zusicherung von Bürgermeister Zugehör, daß sich schon irgendwie eine Möglichkeit finden werde.

Eine Lösung für ein alternatives Jugendzentrum in Wittenberg fanden die engagierten jungen Menschen aber wahrscheinlich in Eigenregie. Die Zeichen stehen allerdings gut, daß die Verhandlungen um das alte Kreiswehrersatzamt mit seiner den Anforderungen mehr als entsprechenden Lage* von Erfolg gekrönt sein wird. Als „Traumobjekt“ bezeichneten sie das Haus und das dazugehörige Grundstück schon, erschwingliche 99.000 Euro (plus Maklercourtage) soll es kosten und so hat Kultur mit Sahne die Kampagne „Zwölf + Zwei = Wir ziehen in unser Haus“ gestartet. Zwölf Bürgen werden noch gesucht, um die vom Eigentümer geforderte Kaution von 25.000 Euro aufzubringen, und – vorrangig um die monatlichen Kosten zu decken – zusätzlich zu den schon vier Mieter_innen noch zwei Personen, die gerne einziehen möchten in’s neue alternative Zentrum.

Bleibt KumS und allen Mitstreiter_innen noch zu wünschen, daß diese Bedingungen bald erfüllt sind und der Unterzeichnung des Kaufvertrages auch sonst nichts im Wege steht. Nicht zu wünschen ist ihnen nach all den Erfahrungen allerdings jegliche Abhängigkeit von Stadt oder Land, denn nur so werden sie es noch weit schaffen, die sympathischen Akti­vist_in­nen rund um den Verein Kultur mit Sahne.

shy

 

* Fast direkt gegenüber befindet der ehemalige berüchtigte „Schweizer Garten“, das besetzte Haus und Autonome Zentrum Wittenbergs in den 90ern. Weichen musste es schlussendlich u.a. wegen dem Neubau der Hauptsparkasse und anderen Aufwertungsprozessen im unmittelbaren Umfeld des rauhen „Zeckenhauses“. Auch wenn sich die Menschen um das neue Alternative Zentrum um einiges moderater darstellen, birgt diese „exponierte“ Lage evtl. doch Zündpotenzial …

Keine Zukunft für Nazis

Ein „Recht auf Zukunft“ forderten die etwa 1.300 Neonazis, die am 17. Oktober durch den Leipziger Osten marschieren wollten. Natürlich keine Zukunft für sich persönlich, sondern „eine Zukunft für unser Volk (…) eine Zukunft für Deutschland“ (1). Weit kamen sie damit nicht. Genauer gesagt kam die in Koproduktion von „Freien Kräften“ und Jungen Nationaldemokraten organisierte Demonstration keinen Meter vom Fleck. Dies lag nicht nur an den rund 2500 Gegen­de­mons­trant_innen, die den Nazis kein „Recht auf Dummheit“ zugestehen wollten. Auch die Stadt und die Polizei hatten diesmal kein gesteigertes Interesse daran, den Kameraden den Weg freizuprügeln. So gab es erst mal Verzögerungen, weil nicht genügend Ordner für die Nazidemo bereitstanden. Nach vierstündigem Warten riss einigen „Autonomen Nationalisten“ der Geduldsfaden, mit Böllern und Steinen werfend versuchten sie aus dem Polizeikessel auszubrechen. Die Beamten schienen insgeheim darauf gewartet zu haben. Der Polizeibericht meldet: „Durch diese Handlungsweise entzogen die Werfenden die dem Aufzug verfassungsrechtlich gebotene Friedlichkeit, weshalb kurzzeitig der Einsatz der Wasserwerfer notwendig wurde. Letztlich musste der Aufzug durch den Polizeiführer gegen 16.00 Uhr aufgelöst werden.“ Die Gegen­demons­trant_in­nen, die die Marschroute blockierten, brachen in lauten Jubel aus. Ein voller Erfolg also? Nun ja…

Bitte Platz nehmen…

Es liegt nahe, hier den Vergleich zu den Erfahrungen der „Worch-Demos“ (2) zu ziehen, die 2007 unrühmlich endeten. Die Leipziger Neonazis ließen Worch sitzen, so dass dieser mit gerade mal 37 Leuten durch Stötteritz stiefelte. In den folgenden Jahren setzten die örtlichen „Frei­en Kräfte“ vor allem auf kurzfristig an­gemeldete Demonstration in abgelegenen Stadtteilen. Diese Taktik ließ die Zahl der Gegende­monstrant_innen sin­ken und sorgte so für Erfolgserlebnisse. Es ist also schon etwas her, dass es eine ähnlich langfristig angekündigte und groß aufgezogene Nazidemo in Leipzig gab. Bei der Mobilisierung zogen die Kamerad­­_innen alle Register, von Werbevideos auf YouTube bis zu T-Shirts mit dem Demo-Motto „Recht auf Zukunft“. Schon im Juli war der Aufmarsch angemeldet worden, seitdem wurde die Zahl der erwarteten Teil­neh­mer_innen stetig nach oben korrigiert.

Auch die Gegendemonstrant_innen griffen auf Strategien zurück, die sich schon bei den Worch-Aufmärschen bewährt hatten. So rief das Bündnis 17. Oktober, an dem sich Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Kulturinitiativen beteiligten, zu Sitzblockaden auf. Sogar OBM Burk­hard Jung stellte sich hinter den Aufruf des Bündnisses. Auch bei der Blockade selbst wurde er kurzzeitig gesichtet, als er demonstrativ zum Sound einer Trom­mel­gruppe tanzte.

Der Protest gestaltete sich der breiten Mobilisierung entsprechend, mit gleich drei Sambatrommelgruppen, Riesenpuppen usw. – „bunt“, „kreativ“ und „lautstark“ sind die passenden Schlagworte. Und laut war es wirklich: Die Aufforderung der Polizei, den Platz zu räumen, ging im Gejohle und Pfeifen der Menge unter. Der Platzverweis wurde dreimal wiederholt. Zum Glück waren es die Neonazis, die als Erste die Nerven verloren – mit den bereits erwähnten Folgen.

Kein Schulterklopfen

Auf Seiten der Neonazis zog das Debakel in Leipzig heftige verbale Schlammschlachten u.a. auf Altermedia (3) nach sich. „Die ANs [Autonomen Nationalisten] haben unserer Bewegung mal wieder mas­siven Schaden zugefügt (…) Weg mit dem Abschaum!!!“, forderten da die einen, wäh­rend ein Vertreter der „Freien Kräfte“ grammatisch fehlerhaft dagegenhielt: „Wir sind die Elite des Nationalen Wi­der­­standes und weder die Polizei, noch ir­gendwelche selbsternannten Gutmen­schen-Nationalisten-Veranstalter können uns sagen was wir tun und lassen haben.“ Die Debatte zeigt auch die inneren Widersprüche der NPD. Zwar bemüht die­se sich seit Jahren um ein seriöses, bürgerliches Image, zugleich kann sie nicht auf die „Autonomen Na­tionalisten“ verzichten, die gerade durch ihre Militanz für viele junge Neona­zis attraktiv sind und so den Nachwuchs an sich binden, den die NPD dringend braucht.

Demo-Anmelder Tommy Naumann vollzieht diesen Spagat in Personalunion. Als langjähriger Aktivist der „Freien Kräfte Leipzig“ (siehe FA!#29) wurde er im November 2008 Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten und trat als NPD-Kandidat bei den letzten Stadtratswahlen an. Gerade in Leipzig ist die NPD auf die „Freien Kräfte“ angewiesen und suchte darum den Schulterschluss, z.B. indem sie das Parteibüro in der Odermannstraße (siehe FA!#31) als „nationales Jugendzentrum“ zu Verfügung stellte. Es wird sich zeigen, welche Auswirkungen die Ereignisse des 17. Oktober dabei haben.

Und wie sieht´s auf der Gegenseite aus? Die Medienberichte reproduzierten die räumliche Trennlinie, welche die Polizei mit Absperrzäunen und Vorkontrollen zwischen „guten Bür­ger_in­nen“ und bösen Autonomen zu ziehen ver­suchte. So schrieb z.B. die LVZ (4), „zwischen 2500 und 3000 friedliche Gegendemonstran­ten sowie mehrere hundert Linksradikale“ hätten den Aufmarsch verhindert. Als ob Links­radikale per se gewalttätig wären… Auch Oberbürgermeister Jung lobte den fried­lichen Protest. Die Leipzi­gerinnen und Leipziger hätten ein starkes Zeichen ge­gen Rechts gesetzt. Anders gesagt: Das gu­te bürgerliche Leipzig hat gesiegt, nur ein paar unbelehrbare linke Chaoten machten am Rand Randale (wobei u.a. ein Bus entglast wurde, mit dem Dortmunder Neonazis angereist waren).

Der Erfolg hat also einen faden Nachgeschmack, auch weil er weniger den Blockaden als vielmehr dem Vorgehen der Polizei geschuldet war. Und diese agierte ziemlich repressiv. So meldet der Polizeibericht: „Aufgrund der vorangegangen Straftaten erfolgte eine Feststellung der Personalien aller Teilnehmer, weshalb sich der Abgang bis 21.30 Uhr hinzog.“ Gegen alle 1349 Teilneh­mer_innen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Polizeipräsident Horst Wawr­zynski erklärte im Anschluss: „Das Verhalten der rechten Szene während der Demonstration wird die Gewaltprogno­sen, die wir im Vorlauf angemeldeter Demonstrationsereignisse erstellen, beeinflussen“ (5). Der sächsische Innenminister Ulbig setzte noch einen drauf und kündigte eine Null-Toleranz-Politik gegen rechte und linke Extremisten an. In einer Pressemitteilung (6) kritisierte das Bündnis 17. Oktober den Ablauf der Debatte: Durch ordnungspolitische Maß­nahmen wie Verbote und Verschärfungen des Versamm­lungs­rechts würde letztlich die inhaltliche Auseinandersetzung mit neonazistischen Ideologien verhindert. Dem ist nur zuzustimmen. Man muss die Kameraden nicht bemitleiden, um das Vorgehen der Polizei bedenklich zu finden. Denn solche Methoden könnten sich leicht auch gegen linke Demonstrationen richten.

justus

 

(1) www.npd-leipzig.net/demonstrationen/1667-recht-auf-zukunft

(2) Der Hamburger Neonazi Christian Worch meldete zwischen 2004 und 2007 insgesamt sechs in halbjährlichem Abstand stattfindende Demonstrationen an (siehe FA!#15 u. 17).

(3) de.altermedia.info/general/polizei-verhindert-bislang-nationale-leipzig-demo-17-10-09_36464.html

(4) www.lvz-online.de/aktuell/content/114389.html

(5) www.leipzig-nimmt-platz.de/

(6) leipzignimmtplatz.blogsport.de/2009/10/22/pressemitteilung-2210-nach-dem-naziaufmarsch/

Editorial FA! #35

„Heißt es jetzt am oder im Zipfel?“ Das sind so die Fragen, die der anarchistischen Szene in Leipzig (oder zumindest der FA!-Redaktion) auf der Seele brennen (die Antwort findet ihr im Artikel zur Hausbesetzung in Wittenberg). Aber manche Streitpunkte müssen einfach ausdiskutiert werden. So ist es auch kein Wunder, dass wir unserem geplanten Erscheinungstermin mal wieder um einen Monat hinterherhinken, wie ihr, werte Leser_in­nen, natürlich längst gemerkt habt. Mit Augenringen groß wie Suppenteller hocken wir in unseren verqualmten Redak­tions­räumen, um euch rechtzeitig für die kommenden kalten Winterabende viele schöne Texte ins Haus zu liefern, warm wie Glühwein oder die Stimmen der Moderator_innen von Radio Blau. Im­mer­hin, trotz aller Verzögerungen kommen wir noch um einiges periodischer heraus als unsere neue Lieblings-Klolektüre the upsetter. An der knallharten Recherche, die dort in Lindenauer Kneipen betrieben wird, haben wir uns diesmal ein Beispiel genommen. Der thematische Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt also deutlich im Lokalen. So findet ihr in diesem Heft den Auftakt unserer groß geplanten Reihe zur Geschichte der Leip­ziger linken Szene. Um da ein wenig für Ausgleich zu sorgen, hat unsere „Wächterhaus-AG“ den Sprung über die Stadtgrenzen hinaus gewagt und berichtet über das Objekt in der Triftstraße 19A in Halle. Aber wir wollen euch nicht unnötig aufhalten. Bevor ihr endlich weiterlesen könnt, lasst uns nur noch schnell dem Leserbriefschreiber für seine Kritik und unserer Verkaufsstelle des Monats, Bistro Shahia, danken.

Eure Feierabend!-Redax