Archiv der Kategorie: Feierabend! #05

Berlinale Friedensdemo

„500.000 Teilnehmerinnen“ – eine runde Sache, die Medien waren sich einig. Wer am 15.02. unter den Linden war, weiß wie unvorstellbar diese Zahl ist und dennoch keine Rolle spielte, im vierfachen Sinne:

1. Weil eine eintägig-eindimensionale Massendemonstration ohne soziale Breitenwirkung schlimmstenfalls überhaupt keine Wirkung auf politische Entscheidungen ausübt, tendenziell immer zu klein ist …

2. Weil jeder Einzelne in einer Massendemonstration oft nur dabei ist. an ihrem Gehalt als Ganzem nicht notwendig teilhat. weder Anfang, Ende noch Dynamik und Verlauf der Demo im Gesamten kennt. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist hier immer partiell und lokal …

3. Weil viele Demonstranten diese lokale Position und partielle Teilhabemöglichkeit nicht produktiv nutzen, durch kreative Aktionen eben jenen Gehalt durch den konkret eigenen zu bereichern und dadurch soziale Wirkung zu entfalten …

4. Und weil die Berliner Friedensdemonstration als Einmal-Spektakel, die Idee des friedlichen Miteinanders zu feiern, eher an einen Trauermarsch zu Ehren eines totgeglaubten Idealismus erinnerte …

Ich frage mich also, warum an diesem weltweiten Aktionstag Zahlen eine so große Rolle spielten, obwohl sie keinerlei Relevanz hatten und haben, warum massenhafte Versammlung immer gleich massenhaft Druck bedeuten soll, und warum der/die demokratische Demonstrant/in scheinbar nicht begreift, dass es nicht nur gilt, seinen Idealismus plakativ zu demonstrieren, sondern vor allen Dingen, ihn auch zu leben!

clov

Umkämpfte Räume

Beim Durchforsten meines heimischen Bücherbestandes nach Titeln, denen eine Rezension im Feierabend! angemessen wäre, fand ich vor einigen Tagen das 1998 erschienene Buch ,,Umkämpfte Räume, Städte & Linke“, herausgegeben von der Gruppe Stadtrat.

Mehr als 15 Beiträge und 2 Interviews versuchen, das Thema des Buches zu umreißen. Die Stadt als spezieller Ort, an dem Menschen leben und arbeiten, ist nicht erst seit heute ein umkämpfter Raum. Hier stellen sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems manchmal nackter und härter da als irgendwo sonst, als Beispiel wäre der Kampf gegen Obdachlosigkeit und Armut zu nennen. Der zweite Teil des Untertitels, „die Linken“ verweist auf einen roten Faden zwischen doch sehr unterschiedlichen Beiträgen. Spielen Linke überhaupt noch eine Rolle in der Umwandlung des Lebensraumes Stadt, wird noch gekämpft und wenn ja, welche Ansätze gibt es? Eine fürwahr unerquickliche Frage für marginalisierte, (selbst-)isolierte Linke, die beim täglichen Theoretisieren schon fast das Intervenieren in sozialen Konfliktpunkten verlernt oder aufgegeben haben. Ein Kritikpunkt an den Beiträgen des Sammelbandes, den selbst die Herausgeberinnen ausmachen, ist die nahezu ausschließliche Fixierung auf deutsche Großstädte, obwohl nicht hier die größten Städte zu finden sind und obwohl auch nicht hier die „härtesten“ Kämpfe geführt werden. Man kann es sogar noch eingrenzen, meistens, vom Thema abgesehen, dreht es sich um Berlin und Hamburg. Die HerausgeberInnen helfen sich damit, indem sie anmerken, dass man jeden Beitrag auch überregional lesen kann und man vorherrschende Probleme und Diskussionen wiederfindet.

Bevor ich kurz die einzelnen Beiträge des Buches darstelle, möchte ich schon einmal meine Kritik an dem Buch deutlich machen. „Umkämpfte Räume“ ist ein sehr ambitioniertes und interessantes Buch, die Themenvielfalt ist erstaunlich groß. Neben der im Jahre 1998 noch unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der nahenden EXPO 2000, die einen großen Teil des Buches ausmacht, findet man Beiträge zu feministischen Diskursen über die Stadt, zu Drogenpolitik, Migranten, Behinderten. Es geht um Sicherheits- und Ordnungspolitik, Partyszene und Umstrukturierung, sowie den Kampf der Hausbesetzer und Autonomen in der Stadt. Am Schluss des Buches sind zwei internationale Beiträge zu lesen. Zum einen macht uns Dario Azzellini mit der Gestalt des Superbarrio in Mexiko bekannt. einer Art Held für die Armen und Benachteiligten, zum anderen beschreibt Nadine Gevret die französischen Banlieus (Vororte), die in Deutschland meist nur unter dem Stichwort Jugendgewalt und Ausschreitungen gesehen werden. So gelungen und interessant aber auch einige Beiträge sind, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen. dass sich das Buch vornehmlich auf einer theoretischen, akademischen Ebene, auf der das Geschehen in der Stadt versucht wird, in ein Konzept zu bringen, oder in der Beschäftigung mit vergangenen Kämpfen verharrt. Das ist natürlich eine etwas unredliche Kritik von meiner Seite, da ein theoretischer Ansatz unerlässlich ist und man von einem fünf Jahre alten Buch nicht erwarten sollte, dass es sich mit der Zeit danach beschäftigen kann. Nichtsdestotrotz ist „Umkämpfte Räume“ ein guter Überblick oder auch spannender Einstieg in ein wichtiges linksradikales Politikfeld.

Nun noch im Einzelnen zu einigen Beiträgen, damit ihr nicht die Katze im Sack kauft… Am Anfang des Buches sind zwei feministische Artikel zu finden, in denen der Raum Stadt kritisiert wird, diese Kritik geht aber über die angeblich „unsicheren“ Städte hinaus und hinterfragt die gesellschaftlichen Hintergründe, anstatt für mehr Polizei oder Videoüberwachung zu plädieren. Auf die darauffolgende Thematik EXPO 2000, die als „Zurichtung der Stadt auf Sicherheits- und Kapitalinteressen“ gesehen wird, gehe ich nicht weiter ein. Es liegt schon etwas zurück. Vielleicht der beste Beitrag des Buches stammt von Detlef Hartmann, der in „Metropolitane Stadt und sozialer Krieg“ einen Zusammenhang zwischen Ausgrenzung und Kapitalismus erkennt und dabei vor „linkem Reformismus“ warnt. In einem anderen Artikel wird die Rolle der radikalen Linken kritisiert, welche sich nicht für wirkliche Bedürfnisse der Mieter während der Umstrukturierung des Prenzlauer Bergs (Berlin) interessierte. Im Artikel von Udo Sierck, der die Ausgrenzung von Behinderten deutlich macht, bekommen auch Linke ihr Fett weg, eigentlich traurig, aber leider begründbar. Als letztes Beispiel sei noch das Interview mit einigen Leuten von den NachtTanzDemos in Frankfurt/Main genannt, in dem das Verhältnis von illegaler Party und Widerstand kritisch angegangen wird.

Nun, natürlich steht in „Umkämpfte Räume“ noch viel mehr, vielleicht findet ihr ja mal Zeit hineinzuschauen. Es lohnt sich nämlich.

kao

Stadtrat (Hg.), „Umkämpfte Räume, Städte & Linke“, Verlag Libertäre Assoziation/Verlag der Buchläden Schwarze Risse – Rote Straße, Hamburg, Berlin, Göttingen 1998

Rezension

„Es ist die Bombe!“

Egal, wo man auf der Welt landet: Coca-Cola ist schon da. Wen wundert es, dass die Ikone des American Way of Life nun auch zunehmend als Zielscheibe für Proteste gegen die US-Außenpolitik dient.

Ein Zeichen dafür sind vermehrte Boykottbestrebungen gegen westliche Marken im arabischen Raum. Während das Etablieren von einheimischen Alternativen bisher in den meisten Fällen an der Qualität der Produkte gescheitert ist, setzen nun im Nahen Osten und in den Golfstaaten Produkte wie die iranische „Zam Zam Cola“ (1) dem Umsatz von Coca Cola mittlerweile arg zu. Auch in Europa rufen nun Anti-Amerikaner den Soft-Drink-Krieg aus. Taoufik Mathlouthi, ein Franzose tunesischer Abstammung, der in Frankreich eine Radiostation für die muslimische Minderheit leitet, hatte die zündende Geschäftsidee im November letzten Jahres: Er entwickelte Mekka-Cola – ein Konkurrenzprodukt zu den amerikanischen Riesen Coca-Cola und Pepsi.

Der Firmengründer wollte seinem Sohn eine Alternative bieten, sagte er gegenüber der New York Times. Das schier unmögliche Unterfangen, den globalen, allgegenwärtigen Cola-Marken etwas entgegenzusetzen, ging auf. Mekka-Cola findet bei der muslimischen Bevölkerung reißenden Absatz. Gründe sind der wachsende Unmut gegen die Politik der Bush-Regierung, die unerwünschte Allmacht US-amerikanischer Produkte und der damit assoziierten Allgegenwart des Feindes. Die arabischen SoftDrinks spielen mittlerweile für das gute Gewissen der Durchschnittsmuslime eine große Rolle, weil es ihnen angeblich die Chance gibt, die westliche Kultur zu meiden. Endlich können auch „gute Moslems“ qualitativ gute SoftDrinks ohne schlechtes Gewissen konsumieren. Die Islamischen Cola-Krieger sagen, dass dies ein einfacher Weg für Muslime ist sich als Bestrafer von George W. Bush zu fühlen… Der größte Deal ist natürlich der jährliche Pilgerstrom nach Mekka, wo die Umsätze an Wasserflaschen und Trinkjoghurt ins astronomische gehen und Coke and Pepsi bisher immer eine große Rolle gespielt haben.

Mathlouthi liebt deutliche Worte und bringt es ziemlich deutlich auf den Punkt: „Ich bin nicht gegen die Amerikaner, sondern gegen ihre Politik, den amerikanischen Imperialismus und deren zionistischen Verbündete“. Noch deutlicher im Bezug auf Israel wird er in seiner „Mekka-Cola Missionserklärung“: „Es geht darum auf die Bedürfnisse der Weltbevölkerung einzugehen und dabei den Kampf gegen den Amerikanischen Imperialismus und den Faschismus dieses zionistischen Gebildes zu unterstützen“.

Wie der bekannteste Zam-Zam-Werbespot aussieht, ist vorhersehbar: Du warst in Dorf Harlot unterwegs und nun ist es Zeit für eine Erfrischung – an einem israelischen Bus Stop wartet ein nicht ganz originalgetreuer ZamZam-Mujahadeen (macht den Mantel auf, Zam Zam Flaschen rundherum an seinem Gürtel) – „Es ist die Bombe!“ Sie wollen ihren Gegner mit den eigenen Waffen schlagen: Die „Mekka-Cola“ schmeckt angeblich genau so wie Coke und trägt ein ähnlich rotes Label mit der schwungvollen weißen Welle, wie das US-Original. Ein Coca-Cola-Sprecher erklärte gegenüber der New York Times, die Anwälte des Konzerns seien sich der Ähnlichkeiten zwischen beiden Marken bewusst, man plane seines Wissens aber keine rechtlichen Schritte gegen Mekka-Cola – auch wenn der Coke-Boykott finanziell schon spürbar sei.

In Frankreich werden beide Limonaden zum gleichen Preis verkauft. 10 % des Verkaufspreises gehen dabei an einen Unterstützungsfonds für palästinische Kinder, weitere 10 % an lokale Hilfsorganisationen.

Südafrika, ist angeblich daran interessiert, diese 10 % aus dem Verkauf von Mekka-Cola in eine AIDS-Hilfe für Kinder zu stecken. Das Konzept mit dem Slogan: „Trink nicht wie ein Idiot, trink mit Engagement!“ scheint überzeugend.

Bereits im Dezember habe die Firma des 46-Jährigen über eine Million Flaschen ausgeliefert. Nachdem in Frankreich schließlich sogar die große Supermarktkette Auchan Mekka-Cola in ihre Regale stellte, gingen nun auch Aufträge aus Großbritannien, Belgien, Deutschland und sogar den USA ein. Ein Krieg im Irak würde den Verkauf noch weiter begünstigen, spekuliert der Geschäftsmann im Bericht der NY Times. Die Verkaufszahlen von Mekka-Cola sind laut Times so gut, dass der Franzose bereits neue Geschmacksrichtungen wie „Zitrone“ und „Kaffee“ entwickelt hat, die er ab Januar vertreiben will. Er plant sogar ein Schnellrestaurant im Stil der US-Kette Kentucky Fried Chicken, das er Hallal Fried Chicken bzw. HFC nennen will. Im März sollen in Ägypten die ersten frittierten Hühnchen über den Ladentisch gehen. Ob sich das Erfolgsrezept des findigen Familienvaters auch auf den Food-Bereich übertragen lässt, bleibt abzuwarten. Spätestens hier zeigt sich auch, dass nicht die westliche Lebensart an sich gemieden werden soll, sondern nur eine eigene arabische Prägung von moderner Wegwerf- und Konsumgesellschaft, möglichst unabhängig von den USA, aber mit dem American Way of Life als Vorbild entstehen soll.

lydia

(1) benannt nach dem Heiligen Zamzam-Quellwasser in Makkah. Die Firma wurde 1954 gegründet und war lange Zeit Partner von Pepsi Cola bis ihr Vertrag 1979 nach der Islamischen Revolution aufgehoben wurde. Besonders harsche Kritik hagelt es von Seiten islamischer Fundamentalisten. Sie verwehren sich dagegen, den Namen der Heiligen Stadt auf einem Wegwerfprodukt zu verwenden.

lifestyle

Stoppt den Krieg, bevor er beginnt?

Der Angriff auf den Irak ist im vollen Gange

In den Reden der Friedensdemonstrationen wird oft behauptet, es gelte einen Krieg der Staatengemeinschaft gegen den Irak zu verhindern. Dies ist unglücklich formuliert, geht es doch darum, den Irakkrieg zu beenden. Denn, wie sich mancher erinnern wird, deklarierten die USA und Großbritannien nach dem Golfkrieg 1992 Flugverbotszonen über dem Irak, was dessen Luftverteidigung lahmlegte, um die im Norden lebenden Kurden zu schützen. De facto schützen sie aber türkische Luftangriffe auf kurdisch-bewohntes Gebiet und bombardieren abwechselnd mit der Türkei. Da im Bombenhagel nichts wächst, ist das Land sehr öd geworden. Ihren Anteil daran haben auch die militärischen Attacken des Irak gegen die kurdischen Gebiete inklusive Giftgaseinsatz. Selbst die Kampfflieger wissen nicht mehr, was sie abschießen sollen. Der angeblich „neue Krieg“ kann als eine weitere Operation betrachtet werden, um mit Bodentruppen einmarschieren zu können.

Der dann offene Krieg, der wenn er kurz ist, ein Wirtschaftsmotor ist, die zu erschließenden Ressourcen und die Kontrolle darüber, würden die US- Wirtschaft ankurbeln. (Die USA sind hoch verschuldet und müssten um sich zu entschulden, dreieinhalb Monate lang alle produzierten Güter und Dienstleistungen an ihre Schuldner abtreten.) Wenn die US-Wirtschaft floriert, ist der für die EU wichtige Export nach Nordamerika gesichert. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass u.a. mit einer Dollarkrise die Krise des kapitalistischen Systems offen zu tage tritt. (Der Dollar basiert nicht mehr auf einen realen Gegenwert, sondern auf der militärischen Macht der USA, die papiernen Wertversprechen einzulösen.) Diese Krise äußert sich u.a. in globalen Absatzschwierigkeiten aufgrund hoher Produktivität, die Arbeit für alle unnötig macht, und dem Zwang zu wachsen, um Profit machen .zu können. Eine systeminterne Alternative zum Dollar könnte der Euro sein, doch nur wenn auch er militärisch gedeckt werden kann, was dann für die EU ein triftiger Kriegsgrund wäre…(1) Dauert der offene Krieg aber zu lange, „leidet“ auch die Wirtschaft. Krieg ist im Kapitalismus verankert.

Im Durchschnitt werden über dem Irak seit 1991 jeden zweiten Tag Bomben abgeworfen. Laut dem britischen Verteidigungsminister hat die Royal Air Force (RAF) zwischen März und November 2002 mehr als 124 Tonnen Bomben abgeworfen. Von August bis Dezember 2002 gab es 62 Attacken von US-amerikanischen F-16 Flugzeugen und RAF-Tornados – angeblich zielen die Bomben auf irakische Luftverteidigungen, aber viele „verirren“ sich in bevölkerte Gebiete, wo zivile Tode unvermeidlich sind. Während die Blair-Regierung behauptet, es seien „noch keine endgültige Entscheidungen getroffen“, haben die Royal Air Force (RAF) und US-Bomber ihre Patrouillen über dem Irak verstärkt. Die Bombardements auf den Irak haben sich verdreifacht. Die Bombardierung, die 1991 einsetzte, ist ein vor der Weltöffentlichkeit „geheim“ gehaltener Krieg – nach dem Motto: Was die Tagesschau nicht sendet, gibt es nicht.

Die US-amerikanische und britische Regierungen rechtfertigen sich, sie hätten ein UN-Mandat, um die „Flugverbotszonen“ zu überwachen, die sie nach dem Golf-Krieg deklarierten. Diese „Zonen“, die ihnen die Kontrolle über einen großen Teil des irakischen Luftraum geben, seien legal und von der UN-Sicherheitsrats-Resolution 688 gestützt. Das ist laut Dr. Boutros-Ghali, der 1992 Generalsekretär der UN war, als die Resolution 688 verabschiedet wurde falsch. „Die Frage über Flugverbotszonen wurde nicht debattiert.“

Wieso kooperieren die USA und Großbritannien mit der Türkei, die der US-amerikanischen „Weltordnung“ nicht kritiklos gegenüber steht? In Anbetracht der Ölfelder im mittleren Osten .und in Zentralasien ist die Türkei ein strategisch wichtiges Mitglied der Nato und Empfänger von militärischem Gerät von den USA, auch sind US-amerikanische und britische Bomber in der Türkei stationiert. Der Aufstand der kurdischen Bevölkerung der Türkei ist in den Augen der USA eine Bedrohung der „Stabilität“ der türkischen „Demokratie“.

Im März 2001 protestierten die RAF-Piloten im kurdischen Irak dagegen, dass immer wenn die Türkei die Kurden im Irak angreifen wollte, die Patrouillen zurück zum Stützpunkt gerufen und der Bodenbesatzung befohlen würde, den Radar auszuschalten. Die Türkei macht nichts anderes als US & Royal Air Force in ihrer humanitären Maske. Die einen bombardieren, während die anderen Pause machen. Die Bezeichnung „Kampf“ täuscht allerdings. Der Irak hat keine moderne Luftverteidigung mehr. So meint „Kampf“, Bomben oder Raketen auf eine Infrastruktur werfen, die von einem 12 Jahre altem Embargo plattgemacht wurde.

Das Wall Street Journal berichtete, dass die USA einem „echten Dilemma“ gegenüberstehen: der Luftwaffe gehen die Ziele aus. „Wir sind unten beim letzten Schuppen“, protestierte ein Beamter. Die Ergebnisse solcher Attacken sind die Reste eines LKWs, ein Schuh, die Skelette von 150 Schafen, und sechs Menschen. Als Einzelheiten dieser Attacke in London vorgetragen wurden, sagte ein Beamter: „Wir nehmen uns das Recht zu harter Aktion, wenn wir bedroht werden.“

Offiziell ist nun klar, dass die USA eine Schlacht gegen den Irak vorbereiten. Das Pentagon sagt, wenn Bagdad nicht schnell aufgebe, dann muss es das Ziel von „überwältigender Feuerkraft“ sein. Im Rahmen des offiziellen „Anti-Terror-Kriegs“ soll das türkische Regime nun mit einem Bestechungsgeld von 6 Milliarden „belohnt“ werden, wenn es der US-„Koalition“ gegen den Irak beitritt.

hannah

Krieg

FAU gegen BZA & DGB

Auf einen Überraschungseffekt konnte das „Rhein-Main-Bündnis“-Aktionsbündnis gegen die „Arbeitsmarktreform“, an dem sich auch die lokalen Gruppen der Freien ArbeiterInnen Union (FAU) beteiligen sicher bauen als sie sich am 6. Februar in Frankfurt versammelten.

Seit dem 30. Januar befinden sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) in Tarifverhandlungen. Warum der ganze Terz? Die ,,Gewerkschaften [verhandeln], obwohl sie gar nicht müssten. Denn das Gesetz garantiert bereits, dass Zeitarbeiter in den Entleihbetrieben so wie ihre fest angestellten Kollegen bezahlt werden.“ (SZ, 15.2.03) Aber die ungesicherten Verhältnisse der Zeitarbeit machen sich erst recht bezahlt, wenn der Lohn für Zeitarbeiterinnen deutlich unter denen der fest Angestellten liegen. Dies sicherte „Super-Minister“ Clement, wohl wissend um den guten Draht zwischen SPD und DGB, bereits im November zu: 20 Prozent Lohnschere! Die zwangsverpflichteteten Erwerbslosen werden so zu LohndrückerInnen wider Willen. Eine weitere Variante entdeckte jüngst die Telekom: die Stammbelegschaft in Bonn wird entlassen und in die firmeneigene Agentur vermittelt, von dort werden sie direkt an ihre alten Arbeitsplätze entliehen – freilich zu geringerem Lohn.

Gegen diese massiven Verschlechterungen richten sich die Aktionen der verschiedenen Hartz-Bündnisse und der FAU. Durch gemeinsame Aktionen soll der DGB-Apparat unter Druck gesetzt werden. Seit Ende Januar kommt es immer wieder zu Protesten, unter anderem in Berlin, Hamburg, Hannover und … Frankfurt.

Dort wurden am 6.2. kurzzeitig die Räume der „jobs in time“-AG besetzt. Deren Geschäftsführer nämlich führt für die BZA die Tarifverhandlungen – diese wurden dann aufgrund der unerwarteten Probleme für Stunden unterbrochen. Eine direkte Aktion wirkt besser als tausend Worte.

A.E.

Hartz-Gesetze

Ich-AG Berlin

Die dpa meldet Mitte Februar, dass die Ich-AG erstmals breitere Umsetzung finden soll: bei der Berliner Verkehrsgesellschaft. Der erste Vorstoß eines kommunalen Unternehmens in diese Richtung die bisher angestellten BusfahrerInnen sollen die Busse kaufen und dann im Auftrag der BVG die Linien eigenverantwortlich betreiben.

Auch wenn ob dieses Vorschlags von Vorstandschef Andres von Arnim ein allgemeines Kopfschütteln – es reichte von ver.di bis FDP – einsetzt, genau darauf zielt die neue Gewerbeform „Ich-AG“ (Modul 9, Hartz-Papier). Eine einfache Ausgliederung in Tochtergesellschaften (wie bei der LVB) reicht wohl nicht mehr. Demgegenüber bietet das Modell nach Modul 9 zahlreiche Vorteile: alle Sozialleistungen bezahlt die Ich-AG selbst, das wirtschaftliche Risiko trägt ebenfalls die Ich-AG, es gibt staatliche Subventionen und „eigenständige Unternehmen“ finden schwer zu kollektiven Kämpfen.

A.E.

Hartz-Gesetze

Feierabend! vorm Arbeitsamt

Für den 5. und 6. Februar 2003 war zu einem Tag der Erwerbslosen aufgerufen worden, werden da doch allmonatlich die aktuellen Arbeitslosenstatistiken verkündet. Für Feierabend! Grund genug, etwas engeren Kontakt zu suchen mit den zu allererst Betroffenen. Mit Militanten der FAU Leipzig fanden wir uns an einem sonnigen Morgen zum Frühstück zusammen, schließlich dauert es eine Weile, bis zehn Liter Wasser zum Kochen gebracht sind. Es sollte an diesem Tag Tee geben vor´m Arbeitsamt, ein Schwätzchen, und die Schwerpunktausgabe zu den neuen Hartz-Gesetzen. So reisten wir frohen Mutes in der Straßenbahn zum Ort des Geschehens.

Der Stand war fix aufgebaut, die FAU-L verteilte Flugblätter, in denen der DGB wegen der Tarifverhandlungen für ZeitarbeiterInnen scharf kritisiert wurde, und wir harrten der ersten Durstigen. Die meisten Menschen aber eilten an uns vorbei, gehetzt zum Termin mit dem „Schicksal“.

Nur mit zwei [sic!] Erwerbslosen kamen wir ins Gespräch, und mit dem Ordnungschef des Arbeitsamtes. Jene zeigten sich rat- und hoffnungslos, dieser verwies uns des Privatgeländes Arbeitsamt, Wie ausbrechen aus der Tretmühle, wie helfen …? Diese Fragen bleiben offen, aber wir werden sie weiterhin stellen!

A.E.

Hartz-Gesetze

OLYMP(ia): Idole und Millionäre

Es ist wohl kein Zufall, dass der Gründer der neuzeitlichen olympischen Spiele, Pierre Fredy de Coubertin – ein vermögender, nationalistischer Adliger – die Spiele im 19. Jahrhundert, im Sinne ihres antiken Mythos ins Leben rief. So war ihm ein Platz im modernen Olymp sicher. Wie es sich für einen Göttersitz gehört, kommen nur diejenigen rein die, die nötigen Voraussetzungen mitbringen. In unserer Zeit also eine hohe Verwertbarkeit oder Kapital. Aber weil wir hier auf Erden genug mit uns selbst zu tun haben, sollten wir die Finger von Göttern oder ähnlichen zwielichtigen Figuren lassen.

Aktualität gewinnt das Thema Olympia dadurch, dass es den Verwaltern der Stadt Leipzig zu Kopfe gestiegen, Olympia 2012 und damit lauter zwielichtige Gestalten nach Leipzig holen zu müssen. Im Juni 2004 soll die erste Bewerberauswahl getroffen werden. Olympia kann ein paar Investoren und Großverdienern nützlich sein, aber nicht denen, die auf Lohnarbeit angewiesen sind. Olympia nach Leipzig holen zu wollen, ist entweder dumm gedacht oder bösartig. Denn was im Mythos Götter sind, sind in unserer Zeit u.a. ein ehemaliger Minister unter dem faschistischen Regime Francos und ein Geheimdienstchef die mit dem olympischen Label Milliardengewinne einfahren. Was im Mythos sportliche Fairness ist, ist längst in Leistungszwang, härteste Konkurrenz und menschliche Werbeträger umgeschlagen. Es stimmt sicherlich, dass die Gewinnerinnen hohe Summen bekommen. Doch betrifft das immer nur zwei von Millionen, die restlichen Sportler bleiben auf der Strecke. Spätestens hier ist klar, dass Olympia alles andere eine „sportliche Internationale“ ist, sondern Sport, der dem kapitalistischen System komplett untergeordnet ist. Nicht mal von dem Mythos der sportlichen und friedlichen Zusammenkunft ist viel geblieben. Bei den Sommerspielen 2000 in Sydney machten die sogenannten „Sportsoldaten“ ein Viertel der deutschen Mannschaft aus. In Atlanta hatte der Anteil der Bundeswehrangehörigen noch bei deutlich unter 20 Prozent gelegen.

Dies ist eine Veranstaltung die niemanden gut tut, aber Sport ist deswegen nicht per se abzulehnen. Denn abseits von jeglichem Missbrauch, sind gesundheitliche Vorteile des sogenannten „Breitensports“ nicht zu leugnen. Es sollte sich also niemand dazu veranlasst fühlen, aus der Ablehnung des mörderischen Leistungssports heraus, auf seine eigene körperliche Fitness zu verzichten.

Doch nicht nur die Sportler werden zum Produktionsmittel der Firma „Olympia“, bei den olympischen Spielen sind wohl zuerst die Spiele gestorben. Denn wo der Profit eines Unternehmens sich mit Sport paart, bleibt von Spiel und Sport nichts. Weder einem Athleten dürfte es wirklich Spaß machen, noch den Zuschauern. Es ist langweilig horrende Summen bezahlen zu müssen, um dann nicht mal mitmachen zu können. Seinen Lieblingssportlern sollte der Fan eher wünschen, dass ihnen Olympia erspart bleibt.

Das einzige, was Olympia wenn überhaupt, an Positivem bringen könnte, wäre… ja was? Betrachten wir die „Argumente“ der Stadtoberen einmal genauer: Zuerst einmal wird man auf den offiziellen Webseiten vor allem mit seichten Argumenten und hohlen Phrasen abgespeist. Da heißt es, man brauche Olympia, weil die „friedliche Revolution“ auch von Leipzig ausgegangen sei. Dies ist aber eine leichte Geschichtsverdrehung, die Leipzigerinnen haben gewiss nicht irgendeinen Präsidenten bekehrt, sondern demonstrierten zu einem politisch günstigen Zeitpunkt. Auch scheint es überzogen, wegen vergangener Demonstrationen den Leipzigerinnen mit der Firma „Olympia“ zu drohen.

Olympia soll Prestige und Arbeitsplätze bringen. Das Prestige wird sich wohl schnell in Mitleid für die Ortsansässigen wandeln und die Arbeitsplätze sind zuerst ehrenamtlich. Alle, die sich als Sportbegeisterte für lau abrackern werden, tragen zum weiteren Profit der Marke „Olympia“ bei. Überall wo die Olympiakarawane vorübergezogen ist, fahren private Sponsoren fette Gewinne ein, die Städte gehen pleite. Barcelona war pleite, München ist seit den Spielen zu einer der teuersten Wohnorte Deutschlands geworden und Athen (Olympia 2004) kommt schon mit den Vorfeldkosten nicht klär. Leipzig ist da einen Schritt weiter, die Stadtregierung steht auch ohne die Zusage für die olympischen Spiele 2012 vor der Pleite. Beispielsweise für Sportstätten für den Breitensport, geschweige denn kulturelle Veranstaltungen bleibt da kein Geld, aber ein Bürgerverein Pro-Olympia wurde schon mal gegründet. Wenn also die in der Stadt lebenden Menschen kein Plus machen, wer dann? Die selben wie im realen Leben eben auch.

Angeblich soll es 7800 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch dies sind natürlich keine Langzeitarbeitsplätze, sondern vorübergehend wie das Großereignis. Kurz vor den Spielen werden mehr Helfer gebraucht werden und danach geht es ab in den nächsten Leiharbeitsjob. Hartz und Rürupp lassen höflichst grüßen…

Die Drohung der Olympiaplaner, die Stadtentwicklung würde sich um zehn Jahre nach vorn entwickeln, sollte uns zu Denken geben. Denn ein überdimensionales Unternehmen wie dieses, verlangt einen kompletten Umbau, die langfristige Veränderung der Infrastruktur ganzer Städte zum Zweck der kurzzeitigen Nutzung. Gewiss ist, dass die Stadtentwicklung getrennt von der Lohnentwicklung verlaufen wird; eine moderne Architektur – und Löhne zum im Altbau wohnen. Bezahlbare Wohnungen und Lebenshaltungskosten dürften dann äußerst knapp sein, denn: „Die Olympische Spiele werden die ganze Stadt prägen, verändern und in den Dienst der Spiele stellen. Ganz Leipzig wird somit Olympisches Dorf.“ Eben dies soll auch noch folgendes bringen: „den Wegzug von Interessenten aus Leipzig zu verhindern.“

Jedoch werden sich noch vor Ankunft der ersten Leistungssportler, vor allem die LeipzigerInnen in und um Lindenau überlegen müssen, ob sie sich Mieten nach Olympia leisten können: „Das Olympische Dorf wird im Leipziger Stadtteil Lindenau geplant. Es soll auf mehr als 40 Hektar ein modernes Stadtquartier mit einem differenzierten Angebot an Geschosswohnungen und Einfamilienhäusern entstehen.“ Dass das Olympiadorf kein Platz zum Wohnen für Normalsterbliche sein soll, machen die Planer deutlich: „Im eigentlichen Wohnbereich des Olympischen Dorfes entsteht auf über 240.000 Quadratmetern Geschossfläche Wohnraum für rund 16.000 Teilnehmer. Funktionaler und gestalterischer Schwerpunkt des neuen Stadtquartiers ist der Bereich am südöstlichen Ende des Olympischen Dorfes an der Einmündung Plautstraße in die Lützner Straße. Während der Olympischen Spiele konzentrieren sich hier auf einer Geschossfläche von knapp 60.000 Quadratmetern die Mensa, gastronomische Einrichtungen, das Sport- und Informationszentrum der Nationalen Olympischen Komitees, medizinische Einrichtungen, Betriebs- und Personalräume, Büroräume und ein Freizeit- und Vergnügungszentrum.“ Es ist also klar: wo man Konkurrenzkampf betreibt, kann kein anderes Leben sein. Wünschen kann man es wirklich niemanden,. dass die Spiele (sie spielen mit denen, die hinterher die Zeche zahlen müssen) vor seiner/ihrer Haustür stattfinden.

Letztlich kann Olympia als ein Versuch des Mitgliedes der Hartz-Kommission, des Leipziger Oberbürgermeisters Tiefensee betrachtet werden zu beweisen, dass die Hartz-Pläne doch ein paar Leiharbeitsplätze „schaffen“. Die negativen ökonomischen, kulturelle und soziale Auswirkungen, (von den ökologischen gar nicht gesprochen) sind da egal. Soweit die Ansichten der Planer von Olympia. Antworten wir ihnen, dass wir ihre Spiele nicht spielen wollen. Wehren wir uns gegen Krieg und Kapitalismus, egal in welchem Gewand sie auftreten, innenpolitisch, außenpolitisch oder sportlich!

hannah

Zitate aus: www.Olympia-leipzig2012.de

Informationen zur NOlympiaKampagne auf: www.nein-zu-olympia.de

Die klassische „Ente“

Absichtlich verbreitete Falschnachrichten – nerven so manchen Internetbenutzer, Doch „Enten“ sind keine Erfindung des Internetzeitalters. Tom Appleton machte sich auf die Spur der großen klassischen Zeitungsente.

Die klassische „Ente“ stammt von den Märchenbrüdern, Jakob und Wilhelm Grimm. „Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“, „Schneewittchen“, so behaupteten sie, seien echt deutsch bzw. „ächt hessisch“. „In diesen Volks-Märchen“, schrieben sie im Vorwort zu ihrer berühmten Sammlung, „liegt lauter urdeutscher Mythus.“ Im Vorspann des Buches zeigten sie dazu das Bild einer „alten Märchenfrau“, Dorothea Viehmann, genannt die „Viehmännin“. Diese „Märchenfrau von Niederzwehren“ sollte stellvertretend für alle anderen auf die Quellen der Grimm-Märchen verweisen: alte, des Lesens unkundige Bäuerinnen, Ammen, also Leute aus dem Volk, die auf einen Fundus mündlich tradierter Geschichten aus längst vergangener Zeit zurückgreifen konnten. Es sollte der Eindruck entstehen, als hätten die beiden jungen Männer (damals beide Mitte zwanzig) an den Lippen ländlicher Analphabetinnen gehangen und Wort für Wort ihre Äußerungen mitgeschrieben.

Die „Kinder- und Hausmärchen“ wurden ein Hit, sie wurden das deutsche Volksbuch. Dass sich der Inhalt der Sammlung von einer Auflage zur nächsten änderte, oder dass Wilhelm Grimm (der jüngere der beiden Brüder) die bereits gedruckten Märchen (zwischen 1812 und 1857) weiter bearbeitete, um den „richtigen Märchenton“ genauer zu treffen, störte niemanden. Nicht einmal die Germanistik, stieß sich daran, dass die Grimms für ihre Sammlung außer der einen „Märchenfrau“ offenbar keine weitere Quelle nennen konnten. Auch, dass sie ihre ursprünglichen Aufzeichnungen verbrannt hatten, weckte keinen Argwohn. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts – 40 Jahre nach dem Tod der Grimms – gab es einen ersten Hinweis auf die wahre Quellenlage. Hermann Grimm, der Sohn Wilhelms, zeigt, dem Literaturwissenschaftler Johannes Bolte die eigenen Exemplare der Erstauflage aus dem Besitz der Brüder. An den Seitenrand hatten sie hier zu jedem Märchen handschriftliche Notizen gesetzt. „Aus Cassel“, „aus Hessen“, stand dort etwa. Es waren, wie sich zeigte, irreführende Hinweise. Denn aus den dazugehörigen Namen der Märchenlieferantenlnnen ging hervor, dass diese Geschichten fast ausschließlich aus dem Kreis der engsten Freunde der Grimms stammten. Insbesondere handelte es sich um die Familien Wild und Hassenpflug, mit denen sie eheliche Bande knüpften. Die Quellen der Geschichten waren keineswegs alte Leute vom Land, sondern junge, gebildete Yuppies, die in der Stadt Kassel oder in ihrer näheren Umgebung wohnten. Und die Märchen selbst waren weit davon entfernt, authentisch deutsch zu sein. Die Familie Hassenpflug, z.B. war hugenottischer Abstammung und die Umgangssprache zuhause war Französisch. Als diese Fakten ans Licht kamen, um 1900, im Kaiserreich, schwieg man sie einfach tot. Schließlich konnte niemand ein Interesse daran haben, die Erkenntnis an die große Glocke zu hängen, dass das urtümlichste deutsche Volksbuch aus französischen Quellen abgekupfert war.

Frankreich galt zu dieser Zeit, lächerlicher Weise, als „Erbfeind“ der Deutschen. Hermann Grimm trug daher noch ein wenig zur bewussten Spurenverwischung bei, indem er um 1895 eine weitere Amine, „die alte Marie“, aus dem Hut zog. Diese alte Dienerin im Haushalt der Wilds, von der angeblich viele der Märchen stammten, stellte sich bei genauerem Hinsehen (allerdings erst 1975, also 80 Jahre später) als eine Tochter der Wilds heraus, nicht als eine Dienerin. Auch war sie nicht alt, sondern jung, wie alle Quellen der Grimms, ja, sogar die jüngste der Töchter. Selbst die einzig echte, „alte“ Märchenquelle, Dorothea Viehmann, war, wie sich 1955, zur Feier ihres 200. Geburtstags, herausstellte, zur Zeit der Erstauflage von Grimms Märchen noch keine 60. Und auch sie war keine deutsche Bauersfrau, sondern eine, gebildete Bürgerin. Eine Hugenottin auch sie, deren erste Sprache Französisch war. Die Märchen der Gebrüder Grimm stammten mitnichten aus den Urtiefen der deutschen Mythologie, sondern aus der Märchensammlung des Charles Perrault und manch anderen, schriftlichen, französischen Quellen. Gegen die schlichte Einsicht, dass es sich hier um einen literarischen Betrug, um eine Fälschung handelt, wehrt sich nicht allein die Germanistik, sondern wenn man so will, die gesamte deutsche Nation – bis heute. Grimms Märchen sind zwar ursprünglich keine deutschen Volksmärchen gewesen, aber sie sind es geworden. Die Konterfeis der Grimms zieren denn auch, fast wie zur Belohnung, den 1000 D-Mark-Schein, Deutschlands höchste säkulare Seligsprechung. Doch mit dem Euro ist dies wohl auch irrelevant.

Information

Pjotr Kropotkin – Die Eroberung des Brotes

Heute leben wir Seite an Seite, ohne einander überhaupt zu kennen. An einem Wahltag treffen wir einander bei den Wahlveranstaltungen; dort hören wir das lügenhafte oder phantastische Wahlprogramm eines Kandidaten an und gehen wieder nach Hause. Der Staat hat die Aufsicht über alle Fragen von öffentlichem Interesse; er allein hat die Aufgabe, darüber zu wachen, dass wir nicht das Interesse unseres Nächsten verletzen und gegebenenfalls den Schaden wiedergutzumachen, indem er uns bestraft.“ [S. 45] (5)

 

Nachdem im letzten Heft der Klassenbegriff im Zentrum stand (der Diskurs wird auf S. 14/15 fortgesetzt), wollen wir in diesem wieder ein Schlaglicht auf die Geschichte und Ideen anarchistischer Theoriebildung werfen. Neben einem einführenden Exkurs sollen dabei in erster Linie Anregungen zur eigenständigen Beschäftigung geboten werden.

Wie bei vielen Anarchisten des 19. Jahrhunderts finden wir auch bei Pjotr Kropotkin, der zwischen 1842-1921 lebte, eine bewegte und von Höhen und Tiefen gekennzeichnete Biographie. Einer russischen Hochadelsfamilie entsprungen, diente er zuerst dem Pagenkorps Alexander des II., war dann mit dem Kosakenheer des Zaren in Sibirien unterwegs, bevor er Mathematik und Geographie in Moskau studierte. Durch seine geographischen. Arbeiten erlangte Kropotkin einige wissenschaftliche Reputation und von hieraus speist sich auch seine Vorstellung einer auf naturwissenschaftlicher Methodik fußenden Gesellschaftstheorie. Während seiner ersten Europareise knüpfte er Kontakt zur damals erstarkenden anarchistischen Arbeiterbewegung, ein Umstand, der sein sozialrevolutionäres Engagement weiter verstärkte. Nach seiner Festnahme und Inhaftierung (ohne Prozeß) 1874 und der späteren Flucht von der Peter-Paul-Festung, hatte die russische Tyrannei aus einem hochadligen „Gardeoffizier“ einen der glühendsten Verfechter der anarchistischen Bewegung gemacht. Wie viele der damaligen Anarchisten genötigt, ruhelos durch Europa zu ziehen (immer wieder verfolgt und verhaftet), findet er bei den Schweizer Uhrmachern aus dem Jura und den Tuchmachern aus Verviers (Belgien), damals dem Leitbild kommunaler Produktion und anarchistischer Organisation verpflichtet, immer wieder fruchtbares Asyl, um in Untersuchungen, Reisen, unzähligen Vorträgen, Zeitungsartikeln und Texten. sein Denken zu entfalten. Wie auch schon bei Proudhon, scheint der ganze Werkkorpus in wenig zufriedenstellender Form für die deutschsprachige Leserschaft aufbereitet. Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass Kropotkin sowohl in russisch und französisch als auch deutsch und englisch schrieb. Ein Großteil der Artikelsammlungen ist vergriffen oder wird nicht mehr verlegt, auch sollen einige mehr schlechte als rechte Übersetzungen aus dem Französischen umherschwirren. Trotz alledem lassen sich, im Unterschied zu Proudhon die systematischen Eckpunkte der Philosophie Kropotkins ziemlich klar entdecken und beschreiben.

Gegenseitige Hilfe – ein Entwicklungsfaktor menschlicher Evolution

Laut Theoriegeschichte stellt der Ansatz Kropotkins den dar, den Anarchismus (natur-)wissenschaftlich zu begründen; Wie ist das zu verstehen? Im Streit mit dem damals heraufziehenden Sozialdarwinismus, der mit der Darwinschen Terminologie des „Kampfes ums Dasein“ die zeitgenössischen Praktiken der Ausbeutung und Unterdrückung legitimierte, wollte Kropotkin die evolutionstheoretischen Ansätze Darwins vertiefen, die Idee der gegenseitigen Hilfe, wir sie schon bei Proudhon in Form des Mutualismus kennengelernt haben, verstärken, die Gegenseitigkeit zweifelsfrei als Entwicklungsfaktor der Evolution nachweisen und somit die Theorie Darwins umgewichten. Hinter diesen hehren Absichten indes versteckt sich im Wesentlichen das anarchistische Argument gegen die liberalen Staatstheorien: dass nämlich der Mensch immer schon in Gesellschaft ist und nicht aus dem Naturzustand (Krieg aller gegen alle) via Vertrag in eben diese eintritt. Kropotkin versucht nun einen solchen Naturzustand zu konstruieren, in welchen neben dem Selbsterhaltungstrieb auch ein „Sozialtrieb“ („Sozialinstinkt“) ambivalent angelegt ist. Dabei macht er ihn für die hauptsächlichste Anpassungsleistung des Menschen als Art verantwortlich. Kooperations- und Selbstbehauptungswillen prägen ein natürlich ambivalentes Feld, aus dem der zwischen Individuation und Sozietät schwankende Mensch erwächst. Ein sehr naturalistisches Weltbild, wenn man es mit dem „vernünftigen“ (1) seiner Zeit vergleicht. Aber ohne Zweifel, der liberale Naturzustand war durchbrochen, zugunsten einer sozialen (libertären) Natürlichkeit. Dadurch allerdings scheint die Trennlinie zwischen Natur und Gesellschaft merkwürdig verschoben: Ist es denn nicht natürlich, dass mensch Natur korrumpieren lässt? Kann mensch sich nicht via Vernunft gegenüber der Natur emanzipieren?

Unkritischer Idealismus

Der wissenschaftliche Idealismus, welcher Kropotkins Schriften prägt, ist so unkritisch, dass ihn nur sein Forscherethos und seine guten Ideen vor einer vernichtenden Kritik bewahren. Er übertrug Beobachtungen aus dem Tierreich auf das Verhalten von Menschen, verglich Physik mit Gesellschaftstheorie und proklamierte eine naturwissenschaftlich exakte Methode (2). Ein Positivist sondersgleichen! Und damit bei weitem nicht der einzige seiner Zeit. Aber dennoch einer der einflussreichsten Theoretiker des Anarchismus. Im Widerspruch von Inhalt und Form hat sich doch der Inhalt über die Zeit getragen. Ich lass´ ihn am besten selbst reden:

[Die anarchistische Gesellschaft] sucht die vollständige Entwicklung der Individualität, verbunden mit der höchsten Entwicklung der unter allen Gesichtspunkten freiwilligen Verbindung für alle möglichen Stufen, für alle denkbaren Ziele: eine stets wandelbare Verbindung, die in sich selbst die Grundlagen für ihre Dauer trägt und die Formen annimmt, die in jedem Augenblick am besten den mannigfachen Bestrebungen aller entsprechen.“ (3)

Bei diesem Geschichtsidealismus wird auch deutlich, dass Kropotkins Untersuchungen und Studien keine kritische Geschichte der Idee der „gegenseitigen Hilfe“ darstellen. Geschichte ist für ihn empirische Forschung und dementsprechend nur die Suche nach Belegen für eine ‚richtige‘ These. Im Erkenntnissubjekt Pjotr Kropotkins verbinden sich empiristischer und idealistischer Geist zu einem Gemenge, aus welchem die Qualitäten der Texte (Subtexte) ihre innere Spannung entfalten. Der Charakter seiner Arbeiten ist wohl am ehesten mit dem Begriff ‚Anthropologie einer Idee‘ umschrieben. Sozietät ist immer vorausgesetzt. Kropotkin untersucht unsere Geschichte der Gesellschaftsformen, indem er formal freiheitliche (libertäre) von herrschaftlichen trennt. Dementsprechend findet sich bei ihm ein Geschichtsfaden, der die Horde, mit der Gemeinde, der freien Stadt und modernen Kommunen verbindet und ein zweiter, der von der Familie, dem Römischen Reich, der Römischen Kirche bis zu den Ausprägungen des modernen Staates im 16. Jahrhundert reichen soll. Kropotkins Schriftwerk ist voll von Parallelen und Vergleichen und in diesem Sinne lesenswert, weil sich die geneigte Leserin dem Glauben stärken kann, gegenseitige Hilfe sei zur kulturellen Ausprägung fähig. Und dass es so ist, dafür liefert Kropotkin viele gute Gründe, Beispiele und Anekdoten. Aber ist bei einem solchen unkritischen Idealismus die Vorstellung einer anarchistischen Gesellschaft überhaupt haltbar?

Anarchistischer Kommunismus

Aus den Wirren seiner Zeit, der Französischen Revolution und ihrer Nachbeben, dem krassen Elend vieler Menschen, der Ausbeutung und Unterdrückung trotz steigender Produktion, letztlich aus dem Organisierungswillen der ohnmächtigen Massen zog Kropotkin den Schluss, dass die nächste revolutionäre Phase auf jeden Fall kommen würde. Dabei kritisierte er die sozialistische bzw. marxistische Strategie vor allen Dinge dahingehend, dass sie sich immer auf Machtübernahme und Agitation zuspitzte, anstatt in den ersten Stunden der „Revolution“ vor allen Dingen an die Neuorganisation der stillstehenden Produktion, an die Versorgung der Bevölkerung mit Brot, Kleidung und Nahrung zu denken. Hier liegt seines Erachtens der Hauptgrund dafür, dass solche politischen Restrukturierungsprozesse immer wieder vor nennenswerten Erfolgen verebbten, von der Reaktion eingeholt wurden, der Rückhalt in der Bevölkerung sank. Um in solchen revolutionären Phasen eine freiheitliche anstelle einer herrschaftlichen Organisation zu etablieren, bedurfte es vor allen Dingen der sofortigen Expropriation (Enteignung), der Produktionsmittel, Produkte und des Bodens (Wohnraum) und damit einhergehend der Abschaffung jeder Entlohnung. Dabei denkt Kropotkin sehr konkret und schon in diesem Sinne ist sein Buch „Eroberung des Brotes“ (4) lesenswert. Gegen abstrakten Kollektivismus und zentralistische Bürokratie (wesentlich kritische Punkte des Staatssozialismus sind hier schon vorweggenommen) beharrt er auf lokaler Autonomie. Konkrete Bedürfnisse können nur in konkreten Verhandlungen, konkret befriedigt werden. Nach Kropotkins Meinung würde der revolutionäre Impuls eine Freiwilligkeit aufdecken, die zu einer verantwortlichen Neuorganisierung der kommunalen Strukturen in weitestgehend autonome Kommunen führen könnte, wenn man sie denn nur ließe. Dabei kommt sein von Idealismus durchdrungenes Menschenbild wieder zum Tragen. Der Mensch in seiner Ambivalenz von Egoismus und Geselligkeit, ließe sich schon zur Freiwilligkeit bewegen, würde er nur der individuellen und sozialen Vorteile ansichtig. Die Organisationsüberlegungen Kropotkins sind deshalb auch eher als Faustregeln formuliert. Ist es soweit, schließt euch zusammen, die einen werden schon Gefallen daran finden, die Warenhäuser einer Inventur zu unterziehen, andere die Wohnungen listen, dritte die Produktion in der Fabrik wieder aufnehmen, vierte aufs Land zu den Bauern fahren. Jeder bekommt das aus den Lagern, dessen er bedarf, gibt´s wenig, zu wird egalitär rationiert, gibt´s zu viel, deren Kommunen getauscht.

Dabei spielt bei ihm die friedliche, auf Freiwilligkeit beruhende Partizipation die größte Rolle. Will der olle Graf auf seinem Schloss hocken bleibt, soll er doch – seine Frau wird spätestens dann Terz machen, wenn niemand mehr gegen Lohn putzen kommt. Und wer sollte das tun, wenn es des Geldes nicht bedurfte, um an die existenzsichernden Güter zu gelangen? In Kropotkins Überlegungen zur Ökononomie einer solchen autonomen Kommune spielte vor allen Dingen die Ökonomie als Ökologie, auch der eigenen Körper eine zentrale Rolle. Handgreifliche und geistige Tätigkeit wechseln sich nach Bedarf des Individuums ab, Arbeitszeitverkürzung steht im Vordergrund. Es ist eher eine soziale als eine politische und eher eine kommunale als eine nationale Ökonomie.

Kropotkins Glaube an die ungeheuren Produktivkräfte seiner Zeit, an den technischen Fortschritt, an die zur Geselligkeit und gegenseitiger Hilfe fähige Natur des Menschen, sein tiefes Misstrauen gegen akkumulierendes (anhäufendes) Privateigentum, gegen das ausbeutende Lohnsystem, seine Inspiration durch die kreative, politische Aktivität seiner damaligen Zeitgenossen, beflügelte seine Gedanken hin zu den Vorstellungen einer Gesellschaftsform, in der der Mensch beides, Individuation (Konkurrenz) und Sozialität (Vertrauen), in Konflikt und Harmonie, freiwillig und friedlich, ohne systematisch physisches und psychisches Elend und Leid ausleben könnte. Eine Möglichkeit in einer Welt, in der an den weiten Rändern eines westlichen Horizontes, das physische Elend ertragen wird, während der „Zivilisierte“ im Zentrum sein psychisches Leid zum Psychiater schafft? Ein Idealismus ohne Zweifel, aber einer, für den es sich zu kämpfen lohnt!

Wenn Sie mit uns wollen, dass die völlige Freiheit des Individuums und damit auch sein Leben respektiert werde, dann müssen sie notwendigerweise die Herrschaft von Menschen über Menschen, egal welcher Gestalt, ablehnen und die so lange verhöhnten Grundsätze des Anarchismus akzeptieren. Sie müssen mit uns nach Gesellschaftsformen suchen, durch die dieses Ideal am besten verwirklicht und jeglichen Sie empörenden Gewaltakten ein Ende bereitet werden kann.“ [S.55] (5)

clov

(1) Geistesgeschichtlich ist es nach Kant und Hegel bürgerliche Konvention, dass Verhalten und Erkenntnis vernunftgesteuert werden. Es gibt keinen Grund, einen Sozialtrieb anzunehmen, gesellschaftliche Organisation ist Ausdruck allgemeiner Vernunft, alle haben die sittliche Pflicht sich anzupassen, und insofern sie zur Vernunft fähig sind, werden sie die rechtmäßige Ordnung schon einsehen… … …???
(2) Kropotkin unterwirft sich damit dem Forschungsideal seiner Zeit, Dinge als tote zu beobachten und ihre Prozesshaftigkeit (Dynamik) mit der eigenen Logik und Kausalität der eigenen Sprache zu erklären und zweitens dem ideologiekritischen Vorwurf, wie er denn seine Beobachtungsperspektive als objektive rechtfertige. Derlei Kontroversen über die „richtige“ Gesellschaftsanalyse finden sich heute im methodischen Streit der interpretativen (qualitativen) und quantitativen Soziologie, wobei erstere vor allen Dingen auf die Beweglichkeit der Forschungsobjekte im Forschungsprozess selbst hinweist.
(3) Pjotr Kropotkin, Der Anarchismus. Seine Philosophie – sein Ideal, Berlin, Der freie Arbeiter, 1923 (Ersterscheinung: 1896), S.6
(4) Pjotr Kropotkin, Die Eroberung des Brotes, Trotzdem-Verlag, Grafenau, 1999
(5) Pjotr Kropotkin, Der Anarchismus – Philosophie und Ideale, in: Ders., Die Eroberung des Brotes und andere Schriften, Hauser, München,1973
Desweiteren: Kropotkin zur Einführung, Junius Verlag GmbH, Hamburg, 1989; * Anm. von mir

Theorie & Praxis