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Keine Kindergartenplätze mehr für Arbeitslose II

Zehn Landkreise in Sachsen verwehren den uneingeschränkten Zutritt zu Kindertagesplätzen. Neben Annaberg, Chemnitzer Land, Stollberg, Vogtlandkreis, Riesa-Großenhain, Leipziger Land, Meißen, Döbeln, Freiburg und Kamenz haben inzwischen auch Leipzig und Dresden (siehe auch FA! #4) ihr Kita-Angebot mit Zugangskriterien versehen. Hauptopfer dieser Regelungen sind die Arbeitslosen, die ja auf ihre Kinder selbst aufpassen können, weil sie ohne Arbeit sowieso nichts zu tun haben, so das Konstrukt. In Leipzig sollen nun für Kinder zwischen 18 Monaten und der zweiten Schulklasse die Betreuungszeit von sechs Stunden (bisher unabhängig von Alter und Status der Eltern neun Stunden) gelten. Wenn mehr Betreuungszeit für das Kind verlangt wird oder wenn das Kind früher in die Krippe oder auch in der dritten/vierten Klasse in den Hort gehen soll, müssen die Eltern oder der/die Alleinerziehende eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz nachweisen.

Zur Begründung dienen die leeren Kassen. Aber ist das ein wirklicher Grund? Und ist da eine Besserung zu erwarten? Wird die Betreuungszeit bald gegen Null tendieren? Und wer fragt die Kinder? Und wenn nicht der Zwang zur Lohnarbeit oder die Selbstausbeutung der Selbständigen wäre? Wäre es da nicht wünschenswert, wenn die Kinder länger zu Hause bleiben könnten? „…wer nicht fragt, bleibt dumm“

 

kater francis murr

(Teil I gab es in der FA! #4)

Lokales

„Leipziger Freiheit“, eine Propagandagroteske!

Die Dynamik, der Wandel und die Leipziger Art, alle Herausforderungen mit Pfiffigkeit und Hartnäckigkeit anzugehen – das sind die echten Konstanten der Stadt.“ „Freiheit ist das Größte – Freiheit macht glücklich, leistungsbereit, tatkräftig und lebensfroh.“

(aus der „Philosophie“ von www.leipziger-freiheit.de)

Ich möchte Euch ja nicht unbedingt raten, diese Seite anzuschauen. Wenn ihr es allerdings doch tun solltet, dann erwartet nicht zuviel. Denn was da aus dem Begriff „Freiheit“ zusammengerührt wird, grenzt schon an Körperverletzung. Hier wird verzweifelt versucht eine spezielle Leipziger Freiheit zu finden. Da das aber nicht möglich ist, können nur hanebücherne Phrasen dabei ‘rauskommen.

Die bürgerliche Freiheit, ist die der Verwertung und des Eigentums, garniert mit Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, obwohl es damit ja auch nicht immer so genau genommen wird. Nicht mehr und nicht weniger kann auch Leipziger Freiheit bedeuten. Ist dies aber die Freiheit, die wir meinen?

Freiheit sollte auch öffentliche Kommunikation bedeuten, dass diese gerade in Leipzig eingeschränkt wird, zeigt sich in der Kriminalisierung von Graffiti und unkommerziellen Plakaten (s. Seite 2). Die immer weitere Einschränkung des öffentlichen Raums durch privatisierte Bereiche und Kontrolle durch Behörden (seien das Überwachungskameras, die Vertreibung von Wagenplätzen, wie vor kurzem in Hamburg geschehen, oder die Ausbreitung von Reglementierungen, wie man sich verhalten soll), bedeutet die Einschränkung der Freiheit, die wir meinen, die Freiheit das eigene Leben selbst zu bestimmen, selbst zu entscheiden mit welchen Inhalten mensch sich bildet (gegen Selektion, hierarchische Stukturen und Leistungsdruck), oder welche Tätigkeit mensch ausübt (gegen den psychologischen und materiellen Zwang zur Lohnarbeit).

Nun, „Leipziger Freiheit“ ist nicht die Freiheit, die wir meinen, doch vermitteln die Marketingaktionen der Stadt ideologische Fragmente, mit denen mensch sich beschäftigen sollte.

Zum Beispiel wenn für Olympia 2012 in Leipzig, für „Spiele mit uns“ geworben wird. Tiefensee möchte damit „Deutschland den Aufbruch zeigen“. Das Land steckt in der Krise und Leipzig soll die „Deutschland AG“ da rausholen. Das ist ja fast so wie bei Lügenbaron Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zog. Die Oper schlägt in die gleiche Kerbe und möchte mit ihren Sonderangeboten „Deutschland die Freiheit zeigen“.

Bei einer Telefonumfrage wurde Olympia in Leipzig mit Tugenden wie der „sächsischen Gastfreundschaft“ begründet. Im obigen Zitat wird eine Leipziger Art heraufbeschworen: Pfiffigkeit und Hartnäckigkeit. Eigentlich müsste es ja auffallen, dass dies alles nur Zuschreibungen sind, die eine Einheit vorgaukeln, die nicht da ist. Viele scheinen aber fest daran zu glauben, die Identitätsmaschine funktioniert also und führt zu Lokalpatriotismus für den Leipziger Standort.

In Leipzig herrscht in etwa so viel „wahre Freiheit“, wie es in der DDR den „wahren Sozialismus“ gegeben hat. Beide Propagandafloskeln nehmen sich nicht viel. Leipzig möchte hoch hinaus, in der ersten Liga mitspielen, ein ehrgeiziges Ziel, dem sich die Stadt da verschrieben hat. Und die „Bürger“ sollen mit: Aber mal Hand aufs Herz! Fühlst Du Dich nicht auch auf einmal glücklich, leistungsbereit, tatkräftig und lebensfroh? Na siehste…

francis

Lokales

Triebkauf-Appell

Nackte Tatsachen und deren Verwertung: Die BILD-Kampagne

Anfang November kam mensch nicht umhin Litfasssäulen und andere Werbeflächen mit Nacktbildern und dazugehörigen Triebappellen wie „Mein persönlicher Rekord 8 Stunden“ im typischen Bildzeitschriftenstil zu betrachten. Einige Tage später fährt mensch durch die Stadt und sieht einige Kommentare. So wurde „Was ich drunter habe? Nichts natürlich“ zu „Was ich im Kopf habe…“ oder „Mittags denke ich an Sex“ wurde erweitert mit „Und was haben Sie im Kopf?“ oder „Schande! Frauenwürde ist unantastbar“. Und mensch denkt sich, dass das Thema schon komplexer ist und mehr dazu gesagt werden müsste.

Gleich zu Beginn: Es geht mir nicht darum, dass nackte Körper abgebildet werden, sondern wie und zu welchem Zweck es dazu kommt. Frauen machen Nacktfotos (ob einmalig um Geldengpässe zu überwinden oder professionell als Model tut da nichts zur Sache), die Agentur kauft ihnen die Rechte an den Fotos ab und verhökert sie an Nachfrager, wie die BILD-Zeitung eben. Diese schaut im Katalog nach, kauft das Bild und eine andere Person schreibt den Text dazu. Dann kauft sich „der Mann“ die Zeitung und holt sich einen runter.

Das Nacktfoto ist also kein persönlicher Ausdruck der Fotografierten, der es in anderen Kontexten durchaus sein könnte, sondern wird von der Person abgelöst und zur Ware. Das Ziel dabei ist klar: Auflagensteigerung durch Appell an den Sexualtrieb. Diese Plakatmotive sind kein Ausdruck individueller Sehnsüchte, Ausdauer oder Vorlieben. Hier wird sich bewußt Stereotypen sexbesessener, unterwürfiger Frauen bedient, die das patriarchale Rollenbild des übergeordneten Mannes, dem die Frau stets zu Diensten zu sein hat, anvisieren.

Mensch könnte auch einwenden, die haben das doch freiwillig getan, den Vertrag unterschrieben, Fotos von sich machen lassen und für Geld ihre Haut zu Markte getragen. Und das trifft auch den Kern des bürgerlichen Freiheitsbegriffs: Freiheit sich zu verwerten, zu konsumieren, (Arbeits-)Verträge zu unterzeichnen. Auch wenn es eine Entfremdung des eigenen Körpers bedeutet, der zum Objekt gemacht wird. Aber in einer Gesellschaft, die aus warenförmigen Prozessen besteht, ist es normal, dass Sexualität auch zur Ware wird. Und es wird behauptet, diese Gesellschaft sei sexfixiert. Überall Plakate, Fernsehspots, Filmsequenzen zu dem Thema.

Doch ist diese Analyse oberflächlich, jedenfalls wenn sie sich auf zwischenmenschliche Kontakte bezieht. Diese Reizüberflutung mit sexualisierten Inhalten ist quasi entindividualisiert, ja vielleicht als abstrakter Sex zu bezeichnen. Wie es nun in den „Schlafzimmern der Nation“ aussieht, kann ich auch nicht sagen, dass jedoch so viele Menschen auf Ersatzbefriedigungen zurückgreifen „müssen“ (nicht umsonst kann die BILD-Zeitschrift mit solchen Kampagnen die Auflage steigern), ist eher ein Indiz für den Ausschluss sexueller Bereiche aus sozialen Kontakten, Prüderie oder einfach dumpfer Triebhaftigkeit.

francis

Lokales

Über die Kriminalisierung öffentlicher Kommunikation

Das Programm zur Bekämpfung illegaler Grafitti

Ausgangspunkt für die Diskussion um Graffiti kann nicht die staatliche, in diesem Fall behördliche Sicht auf die Gesellschaft sein, denn viel zu oft schon wurde die staatliche Gesellschaftsnorm mittels seiner Repressionsorgane zur staatlich normierten Gesellschaft.

Ausgangspunkt kann nur die Gesellschaft mit den Menschen in sozialen Beziehungen sein. Und in unseren Zeiten gibt es da nicht nur die Bürger und ihr Privateigentum (das nicht mit Graffiti „beschmutzt“ werden soll) oder die Stadt mit ihrer Standortideologie (Graffiti sei schlecht um neue Investoren zu gewinnen, die die Stadt Leipzig in der Konkurrenz mit anderen Städten vorwärts bringen sollen), sondern auch die Menschen, die sich anders ausdrücken, als es die behördliche Norm verlangt.

Hier ist die Frage nach dem öffentlichen Raum relevant. Öffentlicher Raum bedeutet öffentliche Kommunikation und diese öffentliche Kommunikation muß allen möglich sein. Wer hat denn das Geld sich eine Werbetafel zu mieten? Wer hat denn eine öffentliche Stellung inne, die die Macht verleiht, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen?

Sowohl Graffiti, egal in welcher Form, als auch „wilde“ Plakate sind Formen öffentlicher Kommunikation, die immer weiter eingeschränkt werden. Öffentliche Kommunikation ist ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens, das in dieser Gesellschaft hinter Eigentum und kapitalistischen Konkurrenzkämpfen (zwischen den bürgerlichen Individuen, Unternehmen, Städten und nationalen Standorten) rangiert. Das „Programm zur Bekämpfung illegaler Graffiti“ ist ein eindeutiges Signal für die weitere Marginalisierung öffentlicher nichtnormierter Kommunikation, zeigt deutlich, dass dieses Unkontrollierbare den Behörden ein Dorn im Auge ist, dass schärfstens bekämpft werden soll. Wie schade nur, dass es bis vor kurzem kein Straftatbestand war. Nichtsdestotrotz wurde in der Stadtratsvorlage ständig von Straftat geredet, obwohl die Ergänzung der Polizeiverordnung erst später in Kraft trat.

Nach dieser ist jetzt „jedes Anbringen von Beschriftungen, Bemalungen, Besprühungen oder Plakaten, die weder eine Ankündigung, noch eine Anpreisung oder einen Hinweis auf Gewerbe oder Beruf zum Inhalt haben, (…) verboten. Dieses Verbot gilt nicht für das Beschriften, Bemalen und Besprühen speziell dafür zugelassener Flächen bzw. das Plakatieren auf den dafür zugelassenen Plakatträgern (…)“ (neu eingefügter §2a der Leipziger Polizeiverordnung)

Begründet wird diese Verschärfung damit, daß Graffiti „gesellschaftliche Verrohung, Rücksichtslosigkeit und Vernachlässigung städtischer Bereiche“ signalisieren, und dieser Zustand der „allgemeinen Werteordnung“ widerspricht.

Welche Anmassung einer staatlichen Stelle, eine einheitliche Werteordnung für alle zu bestimmen! Welch repressive Strategie zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen! Welch unsägliches Denken, eine Initiative „sauberes Leipzig“ gründen zu wollen, und um dieses „saubere Leipzig“ willen, „die derzeit bestehende Lücke in der Verfolgungskette“ zu schließen und Graffitiprojekte nur noch unter polizeilicher Aufsicht zuzulassen!

Diese Ergänzung bedeutet eine Kriminalisierung von nichtkommerziellen Plakaten und Zeichnungen. Wo keine Veranstaltungen oder Preise draufstehen, muß gezahlt werden, falls mensch erwischt wird. Wer zum Beispiel ein Plakat verklebt, auf dem gegen „Sozialabbau“ argumentiert wird, macht sich strafbar. Wer Bier für 99 Cent bewirbt, muß nichts befürchten. Der Staat mit seinen Organen beansprucht die Kontrolle über immer weiterer Bereiche des öffentlichen Lebens. Dies ist ein Prozeß der parallel läuft zu dem der Privatisierung & Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Wer öffentlich kommunizieren will, muß sich staatlichen Normen beugen, braucht Geld oder Status! Das kann nicht die Basis einer sozialen Gesellschaft sein, nimmer und nirgends, auch nicht in der „Leipziger Freiheit“!

francis

Im Namen des Standorts

Rück- und Ausblick auf rot-grüne Hochschulpolitik

Rot-Grün hat es noch einmal geschafft, trotz Kriege, neoliberaler Politik, verstärkter Selektion, Abbau bürgerlicher Freiheiten etc. Das heißt für die Menschen, die sich in den gesellschaftlichen Funktionen SchülerIn, StudentIn, WissenschaftlerIn und Beschäftigte befinden, weitere vier Jahre rot-grüne Bildungspolitik. Wie diese womöglich aussehen könnten, darauf möchte ich am Ende eingehen. Wichtige Voraussetzung dafür ist zunächst eine Betrachtung der vergangenen vier Jahre.

Auf den ersten Blick scheint die Bilanz positiv auszufallen: die Erhöhung der Bildungsausgaben um 20 und der Anzahl der BAFÖG-Empfänger um 16 Prozent, das Studiengebührenverbot und die Reformierung verkrusteter Universitätslaufbahnen durch Juniorprofessuren.

Auf den zweiten Blick zeigen sich die Haken an der Sache: So wurde eine Verdoppelung der Bildungsausgaben und eine Grundförderung von 200 Euro für jeden Studenten versprochen. Dass die Bildungsausgaben überhaupt erhöht werden konnten, war eigentlich auch nur dem Glücksfall der Versteigerung der UMTS-Lizenzen geschuldet.

Nun ist es nicht schlimm, mehr BAFÖG zu bekommen, im Gegenteil, ich würde mich nicht dagegen sträuben. Es ist aber schlimm bzw. normal, dass diese ganzen „Verbesserungen“ einer Ideologie folgen, dass sie nicht aus Menschenfreundlichkeit umgesetzt wurden, sondern um den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, deshalb muß, ich zitiere: „Deutschland eine Ideenfabrik werden“. Wissen ist die zentrale Ressource des 21.Jahrhunderts. So gesehen ist das rot-grüne Projekt ein Modernisierungsprojekt für Deutschland. Der Konkurrenzdruck des Weltmarkts wird nach unten weitergegeben bzw. wird das Konkurrenz-. Leistungs- und Wachstumsprinzip in alle gesellschaftlichen Bereiche integriert. In diesem Kontext sind die Reformen zu sehen.

Die BAFÖG-Erhöhung soll die „Humanressourcen“ ausschöpfen. Die Dienstrechtsreform mit 25 % Gehalt nach Leistung und Juniorprofessur soll die Effizienz und Leistung und die Einführung von Studienkonten den Druck erhöhen, schneller, effizienter und arbeitsmarktorientierter zu studieren; und Bildung abrechenbar zu machen, sie in eine Ware zu transformieren.

Denn das Studiengebührenverbot ist nicht mehr als eine Farce. Genau heißt es in der 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes, dass seit dem 15.8.2002 gültig ist: „Dem § 27 wird folgender Absatz 4 angefügt: (4) Das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, ist studiengebührenfrei. In besonderen Fällen kann das Landesrecht Ausnahmen vorsehen.“

Also sind Studiengebühren theoretisch ab dem ersten Semester erlaubt. Aber auch wenn man annimmt, dass es „Ausnahmen“ bleiben, dann sind dennoch Zweitstudium, „Langzeitstudium“ und Seniorenstudium gebührenbedroht. Dabei hieß es doch noch im rot-grünen Koalitionsvertrag: „Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebühren ausschließen.“

Begründet wird das zumindest teilweise Verbot mit dem Standort, denn „Deutschland braucht mehr und noch besser ausgebildete Fachkräfte mit akademischen Abschlüssen. Wir wollen die Zahl der Studienanfänger von heute 28 % auf das OECD-Niveau von etwa 40 % steigern. Deshalb“, nicht etwa aus Menschenfreundlichkeit oder ähnlichen Sentimentalitäten, „muss der Zugang zu unseren Hochschulen offen und in ganz Deutschland muß Studiengebührenfreiheit [fürs Erststudium] bestehen bleiben.“

Der Studiengebührenbegriff von Rot-grün ist allerdings recht seltsam, denn Bulmahn will folgendes schaffen: „die Grundlage für neue Modelle wie Studienkonten und Bildungsgutscheine.“ Und diese Modelle sollen dann Studierenden und Hochschulen gleichermaßen zugute kommen.

Studienkonten sind jedoch leider selbst Studiengebühren, die nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden, sozusagen verschärfte Langzeitstudiengebühren, mit flexibler Studienzeiteinteilung.

Der Druck wird weiter steigen, wie er in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Zur Erinnerung: Es gab mal, ohne diese verklären zu wollen, eine Zeit ohne Zwischenprüfung. Diese Verschärfung von Selektion, Konkurrenz- und Leistungsdruck ist eine allgemeine Tendenz, man nehme sich nur mal das Hartz-Papier zur Hand.

Dieses Studienkontenmodell als sozial anzukündigen ist ebenso eine Unverschämtheit. Denn es ist genauso wie beim BAFÖG: Wer genug Geld von den Eltern oder geerbt hat, der braucht sich nicht um die Regelstudienzeit zu scheren. Wer allerdings aufs BAFÖG angewiesen ist, steht unter dem Druck in dieser Zeit fertig zu werden. Und genauso wird das mit Studienkonten sein. Wer Geld hat um die 35 Euro für die Semesterwochenstunde zu bezahlen (wie es in einem Papier der rheinland-pfälzischen Landesregierung angedacht ist) braucht sich nicht um sein Studienkonto zu kümmern, wer nichts hat, beeilt sich entweder oder hat Pech gehabt.

Reinhard Loske von den Grünen wollte dazu aber auch noch was sagen: „Es [das Studienkontenmodell] konkurriert im politischen Raum mit dem Modell der Langzeitstudiengebühren. Etwa bei den Modellen in Rheinland-Pfalz, NRW und Schleswig- Holstein hat man eine große Ausstattung mit staatlich finanzierten Bildungsgutscheinen. Das stärkt die Position der Studierenden und gibt ihnen ein Anspruchsrecht. Das übt Qualitätsdruck auf die Hochschulen aus. Das schafft bei den Studierenden – was durchaus wichtig ist – ein Ressourcenbewusstsein, ein Bewusstsein dafür, dass man mit der Ressource Bildung schonend umgeht.“

Bildung als knappes Gut zu verstehen, ist schon eine Frechheit, das zeugt von einem ziemlich ökonomistischen Bildungsverständnis. Denn wo werden nach der derzeitigen Betriebswirtschaftslehre knappe Güter gehandelt? Auf dem Markt. Das bedeutet, Bildung als Ware zu verstehen, deren Preis durch Angebot und Nachfrage reguliert wird. Die starke Position der Studierenden ist die des Nachfragers. Doch das hat nichts mehr mit selbstbestimmter Bildung, mit der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu tun.

Bildung als Ware, bedeutet Universitäten als Unternehmen. Und genauso läuft es auch, immer mehr Unternehmensaspekte werden auf die Universitäten übertragen: Straffung der Hierarchien, verstärkter Einfluss der Wirtschaft, verstärkte Drittmitteleinwerbung, Konkurrenz in und zwischen den Hochschulen. Und dieser Prozess läuft unterschiedlich schnell auf Länder- und Hochschulebene.

Dabei gibt es jedoch keinen Grund die jetzige Universität zu verteidigen, da auch sie kaum einen anderen Zweck hat als Eliten auf den Arbeitsmarkt und für wichtige Stellungen in Unternehmen, Zivilgesellschaft und Staat vorzubereiten und somit mitnichten, die Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung, sondern vielmehr die Reduktion der Menschen auf bestimmte Funktionen fördert.

Nach diesem sicherlich notwendigen Abschweifen auf allgemeine Betrachtungen, zurück zu rot-grüner Regierungspolitik. Auf was müssen wir uns womöglich die nächsten Jahre einstellen? Sicherlich auf eine weitere Erhöhung von Konkurrenz- und Leistungsdruck im Namen des Standorts, im Namen der Nation. Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine stärkere Profilierung der Hochschulen, um „Wettbewerbsposition[en] behaupten zu können“ und die engere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. Sie möchte „Exzellenzzentren“ an den Hochschulen, in denen sich „die Spitzenforschung konzentrieren“ müsse und „Ausgründungen von jungen, innovativen Unternehmen“. Des weiteren soll „Ökonomisches Grundwissen und die Fähigkeit, einen Geschäftsplan zu erstellen, […] zum gewohnten und vertrauten Handwerkzeug werden“. Die SPD will „Lehrstühle für Existenzgründungen an allen Hochschulen“ gründen. Menschen werden als Material begriffen: „Die Köpfe, das Wissen, die Kompetenz und die Kreativität der Menschen sind unsere wichtigste Ressource“ und „Deutschland braucht gut ausgebildete Menschen und eine starke wettbewerbsfähige Forschung.“

Besser könnte man den Entfremdungscharakter dieser Bildung nicht ausdrücken. Für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands werden die Menschen unter ein Leistungsregime gestellt und mit ökonomisch-formalem Fachwissen vollgepfropft. Dies liegt nicht allein an Rot-Grün , jede andere Regierung hätte diese Entwicklung nur wenig anders, höchstens langsamer durchsetzen können. Es ist der kapitalistische Grundcharakter lokal wie global und dessen Entwicklung, der dem Bildungssystem die Grenzen setzt. Trotzdem ist eine solche Entwicklung nicht einfach so hinnehmbar, es ist wichtig sich gegen diese Steigerung des Leistungsdrucks zur Wehr zu setzen und gegen Zwänge in Form von Scheinen und Prüfungen zu kämpfen. Schließlich geht es auch darum, halbwegs gut leben zu können. Und dazu braucht man freie Zeit und so wenig äußere Zwänge wie möglich.

kater murr

Bildung

Schwänzer schwänzen…

Stell Dir vor, es ist Schule und niemand geht hin!

Es gibt nichts Schöneres als Schule! Was soll mensch denn sonst machen? Ach, da käme mensch gar nicht mehr raus aus dem Aufzählen! Und so denken anscheinend viele, zumindest nach einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Rund eine halbe Million Schülerinnen und Schüler schwänzen in Deutschland regelmäßig den Unterricht. An Haupt- und Sonderschulen fehlen durchschnittlich zehn bis zwanzig Prozent der Schüler mehrere Stunden in der Woche unentschuldigt. Ein weiteres Resultat war, daß 9 % der Schüler eines Jahrgangs ohne Abschluß die Normierungsanstalt verlassen. Dafür wird von „Experten“ das Phänomen der „Schulmüdigkeit“ konstruiert. Als ob es eine Krankheit wäre, keinen Bock auf Schule zu haben.

Schreckenserregende Symptome sind: Lernunlust, Aufmerksamkeitsverweigerung durch Schlafen, Träumen, Zuspätkommen oder regelmäßiges Vergessen von Arbeitsmaterialien.

Und dieser Teufelskreis führt bis zum Schwänzen und zur späteren schlechten Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt. Armes Deutschland: Erst PISA, dann das. Aber wen interessiert schon Deutschland? Wir meinen: Habt keine Gewissensbisse, genießt eure freie Zeit, so lange ihr sie noch habt. Und: Viel Spaß beim Schlafen, Lieben und Träumen.

murr

Bildung

Über die ewige „Kreativität“ studentischer Proteste…

…und den Hochschulumbau in Sachsen und Leipzig von 1997 bis 2002

Die Motivation diesen Text zu schreiben, ist die Reflektion der vergangenen Jahre studentischen Protests, an dem auch ich mich beteiligt habe. Mitanzusehen, wie emanzipatorische Inhalte und Kritik an der Universität als gesellschaftliche Institution (was damit gemeint ist: siehe Feierabend! #2) konsequent ausgeblendet werden, tut schon weh. So macht Protestieren keinen Spaß! Immer nur Minimalforderungen, immer nur im Rahmen des Bestehenden agieren, unfähig weiterzudenken, ständig die gleichen Protestformen zu wiederholen, sich in Standortideologie zu verfangen, das kennzeichnet auch diese studentische Protestphase. Die Entwicklung der letzten zwei Jahre zu reflektieren, dieses Wissen weiterzugeben scheint mir wichtig. Vielleicht kann sich die studentische Protestkultur ja doch noch weiterentwickeln?

Nachdem 1997 Stellenkürzungspläne durch einen Streik abgewehrt wurden und stattdessen als Kompromiss die Einberufung einer Kommission zur Überprüfung der Situation der sächsischen Hochschullandschaft beschlossen wurde, konnte man sich kurzzeitig freuen. Jedoch zeigte sich auch in Ostdeutschland zunehmend die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, die in den alten Bundesländern in den 70er Jahren durch das Einfrieren der Bildungsfinanzierung angelegt wurde, so daß es bis zu den nächsten Kürzungsplänen nur eine Frage der Zeit war.

Ende 2000 wurde dann nicht nur angekündigt 1700 Stellen bis 2010 zu kürzen, auch die oben genannte Kommission machte sich wieder bemerkbar. Im November legte die Sächsische Hochschulentwicklungskommission (SHEK) ihren Entwurf vor, der durch undichte Stellen, an die Öffentlichkeit gelangte. In diesem Bericht sollten die Institute und Fakultäten nach Kriterien wie Drittmitteleinwerbung, Publikationsquote, durchschnittliche Studiendauer und Profilierung innerhalb der sächsischen Hochschullandschaft eingeordnet werden.

Gegen die Stellenkürzungen und diesen Entwurf kam es am 18.12. zu einer Demo vor dem Landtag und am 18.1. zu einem Besetzungstag, der größtenteils von BasisaktivistInnen organisiert wurde, d.h. Der StuRa (StudentInnenRat) wurde im „AK gegen Stellenkürzungen“ überstimmt.

Neben diesen „Großaktionen“ gab es viele kleinere Aktionen, wie die Nachtbesetzung der Uni Bibliothek. Es wurden E-Mail-Listen angelegt, falls der Bericht bereits in den Semesterferien herauskommen sollte und Ähnliches mehr.

Wie es im Rahmen solcher Proteste üblich ist, gab es einen Arbeitskreis und verschiedene AG’s (Vernetzung, SHEK/Hochschulumbau, Protestformen). Doch wie in unseren Zeiten ebenso üblich, ist die kritische Betrachtung nicht sehr weit verbreitet, und damit der Standortideologie Tür und Tor geöffnet. In diesem Zusammenhang gab es dann natürlich auch Divergenzen innerhalb der AG’s zwischen AnhängerInnen grundsätzlicherer Analyse und Kritik (die „Radikalen“, die „die einfachen Studierenden verschrecken“, d.h. denen kann das nicht zugemutet werden) und denen, die z.B. nur die Stellenkürzungen ablehnen wollten. So ist die SHEK-AG gescheitert, die Vernetzungs-AG schlief ein, weil der StuRa die Zusammenarbeit einstellte. Ein weiterer Grund war auch die chronische Überlastung der Aktiven.

Nun, der Bericht kam erst im April heraus und hatte es auch ideologisch in sich. In ihm sind Kernelemente des bundesweiten Hochschulumbaus enthalten (s. Kasten).

Diesem folgten wiederum Aktionen und am 16.5. ein bundesweiter Aktionstag. Die Organisation dieses Aktionstags lag nun fast ausschließlich in der Hand des StuRa’s. Der AK wurde auf ein Mitmachorgan zurückgestuft. Der Grund dazu lag in einem „Mißverständnis“. Während einige (die vor allem später dazukamen) diesen AK selbstverständlich als eigenständiges Gremium verstanden, war er für andere einfach ein AK des StuRa . Dies gipfelte in dem (wohl nicht sehr sinnvollen) Streit, ob es ein „Aktionskomitee“ oder ein „Arbeitskreis“ wäre. Als Fazit kann man sagen, daß er für die „offizielle Studierendenvertretung“ zu radikal war und diese ungern die Fäden aus den Händen geben wollte. So verfuhr sie bei der Organisation des 16.5. nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“, verstand sich als Organisator, der die Arbeit dreier verschiedener Gruppen koordinierte (des AKs, eines neu eingerichteten Fachschaftsrätetreffen und des StuRa’s der HTWK, eine Fachhochschule in Leipzig). Das führte natürlich zu Koordinationsschwierigkeiten und Informationslücken bei den AK-Leuten und schließlich zu Frustration und zur Selbstauflösung des „AK gegen Stellenkürzungen.“ Im September setzte dann der nächste Schritt, die Haushaltsperre ein, die an den Hochschulen überproportional angelegt wurde. Nun hatte sich die Aktivität vollständig auf StuRa und Fachschaftsräte verlagert. Es kam in Folge zum Sammeln von Decken und Klopapier für die armen Studenten und zu anderen unpolitischen Aktiönchen. Die „kreativen“ Aktionen verloren jeden emanzipatorischen Gehalt.

Der Versuch im November ein „Brain- und Bildungsstorming“ (BBS) ins Leben zu rufen, schien am Anfang Erfolg zu versprechen. Es gab drei Treffen mit insgesamt hundert verschiedenen Leuten. Jedoch musste durch die starke Fluktuation (beim zweiten Treffen waren kaum Studierende des ersten Treffens da) und der sehr großen ideologischen Bandbreite quasi jedes Mal von vorne begonnen werden. Zum Dritten fehlte der Anstoß zur Organisierung. (Durch einen frühen Vorschlag hätte womöglich eine Perspektive für das Treffen aufgezeigt werden können.) Von vielen Leuten wurde Informationsmangel beklagt. Daraufhin wurden in der AG seminare Veranstaltungen zum Thema Bildung & Hochschule konzipiert, auf denen man sich hätte austauschen können. Diese fanden auch statt, aber nach der Auflösung des BBS, kam niemand mehr.

Doch kurz zurück: Im Oktober legte das sächsische Bildungsministerium den Universitäten den Entwurf eines Hochschulkonsenses vor. Dieser forderte im Kern die Anerkennung der Stellenkürzungen und die Hochschulplanung auf Basis des SHEK-Berichts, im Gegenzug sollten die Hochschulen Planungssicherheit und Globalhaushalte (die Verteilung der Gelder durch die Universitätsleitung) bekommen.

Anfang 2002 sollte dieser Entwurf an der Ablehnung der Rektoren scheitern. Die Zuweisung der Gelder erfolgt nun weiterhin durch Doppelhaushalte des Landtags. Dafür folgte Anfang des Sommersemesters ein internes Papier des Rektorats, in dem Kürzungspläne aufgestellt wurden, u.a. sollten die Niederlandistik, Logik- und Wissenschaftstheorie und die Hälfte der Politikwissenschaftprofessuren (und damit auch der Diplomstudiengang) gestrichen werden.

Inzwischen scheint ein großer Teil wieder zurückgenommen zu sein. Schließlich hätte sonst das Rektorat dem SHEK-Bericht und der Standortlogik engegengehandelt, da es die Niederlandistik und Logik nur zweimal in Deutschland und den Diplomstudiengang in Sachsen nur in Leipzig gibt. Die Frage ist, ob sie wirklich so blöd waren, oder ob es sich um ein Ablenkmanöver gehandelt hat, um dann die „harten“ Kürzungen rauszunehmen und sagen zu können, man habe auf Kritik reagiert. Aber das bleibt Spekulation.

Inzwischen nahm der studentische Protest immer krudere, d.h. medienfixierte und standortideologische, Formen an. Da ging medienwirksam die Bildung baden oder am 1.Mai vor Schröder zu Boden, da wurden standortideologische Aktionen geplant, wie „Raus aus diesem Sachsen“ oder „Mit der Stadt in einem Boot“, der Fachschaftsrat (FSR) der Politikwissenschaft knüpfte Connections mit der SPD-Fraktion, wie denn Stadt und FSR gemeinsam zur Rettung des Standorts Leipzig beitragen könnten.

Mit viel Getöse wurde auf der PoWi-Vollversammlung im Sommersemester 2002 die Absetzung des Rektors gefordert. Als dieselben dann aber beim Rektorat vor dem Kanzler standen, wurden sie ganz klein und boten ihm ihre Hilfe an. Sie könnten doch der Uni bei einer PR-Kampagne helfen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß radikale Töne, nichts weiter als Teil der Corporate Identity sind, und zum Image studentischen Protests dazugehören.

Es ist interessant die Entwicklung zu verfolgen, wie sich einerseits der Hochschulumbau, basierend auf der Standortlogik, schrittweise durchsetzt und auf der anderen Seite die StellvertreterInnen radikale Kritik abdrängen und sich schließlich im gleichen ideologischen Becken wie die Umbauer befinden. Konsequenterweise wird dann natürlich auch der Hochschulumbau nicht kritisiert, sondern man möchte selbst mitmachen, und kritisiert die Stellenkürzungen mit dem Standortargument. Als ob man es besser wüßte, als die Vertreter des Standorts selbst. So betreiben die StellvertreterInnen auf ihre Weise die Einbindung der Studierendenschaft in die Standortlogik.

Auch im Wintersemester 2002 wiederholt sich das Protestkarusell, immer „kreativere“ medienwirksame Aktionen werden sich vom „Aktionsbündnis Proteste & Perspektiven“ ausgedacht, denen jedwede inhaltliche Reflektion zu fehlen scheint. Vom 10. bis 12. Dezember soll es wieder Protesttage geben. Die Menschen in den Gremien haben gewechselt, die Proteste bleiben gleich. Man passt sich an so gut es geht und fühlt sich toll als „legitimierte VertreterInnen der Studierendenschaft“. Ein Lerneffekt ist dort wohl nicht zu erwarten.

Um in diesem Wirrwar nicht unterzugehen, haben sich einige Leute, die sich als BasisaktivistInnen verstanden, vorerst ausgeklinkt, zur Zeit laufen selbstorganisierte Seminare (von der AG seminare vorbereitet) und konstituiert sich das Syndikat Bildung Leipzig, um mittels basisgewerkschaftlicher Arbeit, eine Alternative zu Standortprotesten aufzeigen zu können und nicht darin unterzugehen.

francis

Weitere Texte zu Studierendenprotesten: www.bildungskritik.de

SHEK-Forderungen

· Forderung nach konsekutiven (BA/MA)-Studiengängen

· Verstärkung des wirtschaftlichen Einflusses auf die Hochschulen

· Verstärkte Drittmitteleinwerbung

· Kostenpflichtige Weiterbildungsangebote

· Einführung von Managementmethoden

· Straffung der Hierarchien

· Erwähnung von Studiengebühren

· Profilierung der Universitäten (Zuschnitt auf Standort Sachsen)

· Konkurrenz der Hochschulen um Mittel und Stellen

· Gleichzeitig verstärkte Kooperation gefordert

Hochschulkonsens

· Globalhaushalte, Planungssicherheit vs.

Stellenkürzungen, Erfüllung der SHEKForderungen

· Einnahmen (inkl. Studiengebühren) verbleiben bei Hochschulen

· Unterteilung in Zentral- und Innovationsbudget

Bildung

Aufstand der Ameisen

Am 6. Mai fand in Erfurt eine Demonstration „Gegen die Arbeit – Für das Leben“ statt, zu der eine Initiative von Arbeitenden und Nichtarbeitenden aus Thüringen aufgerufen hatte. So wanderten an die 100 Leute durch die Erfurter Innenstadt, und trommelten, skandierten und hielten Transparente hoch gegen die Arbeit.

Auch in Leipzig hatten sich im Vorfeld Gruppen und Einzelpersonen zusammengefunden, um diese Demonstration zu unterstützen. Eine Textsammlung zur Arbeit und Arbeitslosigkeit findet ihr auf www.linxxnet.de/ameisen. Auch weiterhin soll es Aktionen gegen (Lohn-)Arbeit, Agenda 2010 & Co. geben, mehr dann hier im Feierabend! oder auf obiger Internetseite.

Für viele Menschen ist Arbeit und Geld die natürlichste Sache der Welt. Wir halten diesen Zusammenhang für hoch problematisch“

(Aktivist der Erfurter Vorbereitungsgruppe)

kater francis murr

Hilfe! Anarchie ausgebrochen!

Auf dem entfernten „Planeten der Habenichtse“ Anarres macht sich ein Physiker auf nach Urras, dem verfeindeten Mutterplaneten, auch wenn er dadurch auf seiner Heimatwelt zum Verräter wird.

Science Fiction, das sind Raumschlachten, grüne Männchen, gruselige mordlüsterne Monster, der Kampf des Helden auf Leben und Tod… zumindest könnten solche Klischeebilder erste Assoziationen sein. Natürlich gibt es Romane, deren Schwerpunkt genau aus diesen Grundpfeilern besteht, jedoch zeigt Science-Fiction-Literatur viele verschiedenen Facetten, wenn mensch genauer hinschaut. In ihr werden potentielle Zukünfte der Menschheit oder anderer erfundener Gesellschaften gezeigt. In „Planet der Habenichtse“ kommt die Erde (hier: Terra) nur am Rande vor, als eine Welt die sich selbst zugrunde gerichtet hat. Die Handlungsorte sind der Planet Urras und sein Mond Anarres. Auf diesem Mond ist seit zwei Jahrhunderten Realität, was auf unserer Erde nur kurze Zeiträume Bestand hatte und in der Schulgeschichte keinen Platz bekam, eine Gesellschaft, die sich ohne Staat und Markt selbst organisiert. Eine solche Organisierung kann viele Gesichter haben. Wie eine solche Gesellschaft aussehen könnte, dies zu beschreiben, ist das Verdienst der Autorin, Ursula K. LeGuin und gleichzeitig politischer und philosophischer Background ihres Romans.

Nach der Niederschlagung eines odonischen Aufstands auf Urras wurde den Überlebenden erlaubt auszuwandern und den unwirtlichen Wüstenmond Anarres zu besiedeln. Odo, eine Sozialreformerin, die ihre anarchistischen Ideen niederschrieb und viele Menschen beeinflußte, erlebte diese neue Heimat nicht mehr. Eine Million AnarchistInnen jedoch nahmen die Möglichkeit wahr und bauten auf dem Mond, der bisher nur für den Bergbau genutzt wurde, eine Gesellschaft nach ihren Prinzipien auf, eine Gesellschaft basierend auf freier Kooperation und gegenseitiger Hilfe. Doch stehen dem Ideal viele Hürden entgegen. Nicht nur, dass Anarres für menschliche Besiedlung wenig geeignet ist: ihm fehlt die reiche Flora und Fauna, die Vielfalt der Natur von Urras, was zu Jahren des Hungers und der Not führt. Auch das Verfestigen von Strukturen, das Entwickeln einer Bürokratie, die das Prinzip der Gleichheit untergräbt, das ritualisierte Nachbeten odonischer Formeln gefährden eine anarchistische Gesellschaft.

Zweihundert Jahre nach der Revolution entscheidet sich der Physiker Shevek, den weitgehend abgeschotteten Mond zu verlassen und dem Ruf des verfeindeten Mutterplaneten Urras zu folgen.

Urras gleicht sehr der Erde des kalten Krieges mit seinen kapitalistischen, staatssozialistischen und labilen 3.Welt-Systemen, die für Stellvertreterkriege herhalten müssen. In Shevek ruht eine Idee, die die Raumfahrt revolutionieren könnte, und die im Koordinierungsgremium von Anarres, auf Widerstand stößt. Er möchte die Grenzen aufbrechen und Urras die Idee des Teilens bringen, je länger er jedoch auf Urras verweilt, desto mehr muß er erkennen, dass er dort fremd ist, dass seine Ideen Eigentum des Staates werden sollen, dass es dort nicht um Menschen, sondern um Macht geht…

Ursula K. Le Guin zeichnet ein faszinierendes Bild zweier Gesellschaftsformen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, beleuchtet den Menschen als Individuum und soziales Wesen und sein Zurechtkommen in gesellschaftlichen Systemen und nicht zuletzt die Frage inwieweit ein Mensch Gesellschaft verändern kann. Eine der wenigen positiven Utopien, eins der herausragenden Werke der Science Fiction-Literatur, ein Plädoyer für eine soziale Utopie, scheinbar fremd und trotzdem seltsam nah.

kater francis murr

Ursula K. LeGuin: „Planet der Habenichtse

– in der Buchhandlung erhältlich –

Multiplikatoren der Arbeit

Arbeit / Faulheit und Sozialisation in einer entmenschlichten Gesellschaft. Beobachtungen und Schlüsse aus dem Alltag

Kreislauf der Zurichtung

In Jahrhunderten kapitalistischer Produktionsweise hat sich der um seiner Arbeitskraft willen Ausgebeutete an den Zustand des Ausgebeutetseins gewöhnt. Früher mußte der kapitalistische Unternehmer noch Druck und Zwang ausüben, damit der Arbeiter respektive die Arbeiterin auch begreife, daß mensch pünktlich zur Arbeit zu kommen hat und Kranksein eine Sünde ist.

Inzwischen hat sich dieser direkte Zwang in eine alles durchdringende Arbeitsideologie transformiert, d.h. ein Großteil der Ausgebeuteten hat den Arbeitszwang integriert und scheinbar zu ihrem eigenen Anliegen gemacht. Die Folge davon ist, daß die meisten denken, sich für das Kranksein, den Müßiggang und das Ausschlafen, also für einen nicht normgerechten Lebensrhythmus, rechtfertigen zu müssen. Und daß nicht zuerst vor Behörden und Arbeitgebern, der letzten Kontrollinstanz, sondern vorher noch vor Nachbarn, Mitbewohnern, Verwandten und Bekannten. So tiefgreifend hat sich das Unterwerfungsverhältnis in uns sozialisiert, daß jemand der lange schläft mit Faulpelzwitzen traktiert und kranken Kollegen Simulantentum und Drückebergermentalität unterstellt wird. Diese Kontrolle zeichnet sich durch Subtilität aus, oft scheint sie nicht ernst gemeint. Hinter dem Witz verbirgt sich allerdings nicht selten ein (auch unbewußter) Neid, daß Andere etwas tun können, was einem selbst verwehrt bleibt: Wenn mensch selbst sich früh um halb sieben zur Arbeit, Schule oder Uni aus dem Bett quälen muß, soll das der Nachbar, der gemütlich (oder auch ungemütlich, wer weiß es?) bis um elf oder auch um drei pennt, gefälligst auch tun. Dabei ist die Unschuld des Anderen am eigenen Zwang egal. Man bestraft ihn für das eigene Leben, dafür, sich selbst freiwillig (wie sich gerne eingeredet wird) unter fremdes Diktat werfen zu müssen. Weil der Andere nichts weiter als die Projektionsfläche des Hasses auf Grund eigener unterdrückter Träume und Sehnsüchte darstellt, ist das sonstige Tun und Lassen der für faul Befundenen irrelevant. Um den Neid im Zaum zu halten, wird oft zum Hilfsmittel des Witzes oder der gespielten Empörung gegriffen.

Aus der Perspektive der Anderen ist das ganze nicht so witzig, vor allem (aber nicht nur dort) wenn es sich um willkürlich zusammengeworfene Arbeitsplatzkollektive handelt, die mittels Verleumdungen ihre Rang- und Hackordnung aushandeln (auch ein Ventil den Frust der institutionalisierten Unterordnung abzubauen). Ihnen wird ein schlechte Gewissen eingeredet: Es sei falsch länger oder zu anderen Zeiten als der Norm entsprechend zu schlafen, oder gar krank zu sein. Der Druck durch die dritte (Zwang in Arbeit, Uni und Schule, durch Staats- und Unternehmensstrukturen) und zweite Kontrollinstanz (soziales Umfeld) führt zur primären Instanz der Selbstzurichtung. Dem subtilen ideologischen Wirken des eigenen sozialen Umfeldes, ohne das der Mensch als soziales Wesen nicht leben kann, lässt sich viel weniger entgegensetzen als Staat und Unternehmen, da es nicht als fremd sondern als zu einem zugehörig empfunden wird. Kollegen, Bekannte und Verwandte werden so zu Multiplikatoren der eigenen Zurichtung. Bei diesem Prozess, der sich permanent und überall wiederholt, findet menschliche Sozialisation statt. Man fühlt sich dann schuldig, weil man zu lange schläft oder einen Tag länger krank ist als geplant. Man übernimmt die Zwänge und gibt sie als eigenen freien Willen aus. Hier schließt sich der Kreis.

Wie können wir ausbrechen?

Das Mindeste ist es sich die Muße beim Kranksein nicht nehmen zu lassen. Erstaunt denkt man, daß man erst krank werden muß, um die Gedanken frei zu bekommen von Zwängen, Forderungen und Selbstverpflichtungen. Alles wird abgesagt, alles wird gut? Wenn man nicht krank wäre! Denn sobald man wieder gesund ist, geht es zurück in die Tretmühle, bis man wieder krank wird. Absurd! Genauso sollte man sich das längere Schlafen nicht madig machen lassen. Witzemacher und Neidhammel sind entschieden in die Schranken zu weisen,die subtile Arbeitsideologie ist im Alltag zu bekämpfen. Wir haben ein Recht, das wir uns selbst geben, auf ein Leben ohne Fremd- und Selbstzurichtung zum Arbeitszwang. Und für dieses Recht können wir jeden Tag in unserem persönlichen Umfeld kämpfen, ohne dabei in Gruppen, Projekten oder Basisgewerkschaften organisiert zu sein. Eine Organisierung macht es allerdings weit einfacher, weil mensch dann einen positiven Rückhalt erfährt. Greifen wir aktiv in die Sozialisation unserer Mitmenschen ein, zugunsten von Muße und einem schönen Leben! Genau wie rechte Parolen bei Bekannten bekämpft werden müssen, müssen Versatzstücke der Arbeitsideologie problematisiert werden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum wir uns an einen unreflektierten Arbeits- und Leistungsethos und ein schlechtes Leben gewöhnen sollten.

Der geschilderte ideologische Kreislauf am Beispiel von Arbeit und Faulheit ist das Haupthindernis einer Entwicklung hin zu einer selbstorganisierten, emanzipatorischen Gesellschaft. Eine Möglichkeit der Intervention wäre, emanzipatorische Inhalte zu anderen Menschen zu tragen und die überlieferten Gewißheiten in Frage stellen, d.h. aktiver Teil der Sozialisation werden. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger, als die selbstorganisierte Alternative denkbar zu machen. Dafür braucht es wiederum eine Kultur, keine vorgesetzte sondern selbstgestaltete. Mit Kultur ist nicht gemeint jeden Tag zwei Punkbands spielen zu lassen, Theaterstücke aufzuführen oder klassische Konzerte zu veranstalten, sondern vielmehr eine Kultur des Lebens, in dem es nicht als faul gilt, länger zu schlafen und in der lieber die eigenen Zwänge angegriffen werden als die Nachbarn. Eine Kultur, die sich offensichtlich und resolut von den Zwangsideologien der kapitalistischen Gesellschaft absetzt, soweit wie es möglich ist und die bestrebt ist, den Bereich dieser Möglichkeit auszuweiten.

Die janusköpfigen Besen

Den verselbständigten Arbeitsethos anzugreifen, wird auf längere Sicht natürlich nur dann erfolgreich sein, wenn die realen Zwangsverhältnisse genauso angegriffen werden. Sonst wird das Individuum permanent auf diese zurückgeworfen und der Arbeitsethos reproduziert sich von neuem. Dazu ein Beispiel um die Absurdität von Arbeit haben oder nicht haben deutlich zu machen. Stell Dir vor, Du fegst das Streikcafé an der Uni nach dessen Abbau. Das tust Du nicht nur für Dich, sondern auch für andere. Und ihr wechselt euch ab, also Du mußt nicht jedes Mal fegen. Am Anfang habt ihr nur einen Besen und Du brauchst dafür eine halbe Stunde. Nun bekommt ihr von den Leuten, die die Besen herstellen einen Größeren mit stabileren Borsten und braucht nur noch eine Viertelstunde. Was hältst Du davon? Ist es nicht toll jetzt eine Viertelstunde mehr Zeit zu haben für die schönen Dinge im Leben? Der gesunde Menschenverstand sagt uns also, daß es gut ist, die Arbeitszeit so kurz wie möglich zu halten. Nun bist Du gezwungen Deine Arbeitskraft an ein Unternehmen oder an den Staat zu verkaufen und beispielsweise eine Schule zu fegen. Nehmen wir an mit dem kleinen Besen braucht ihr 80 Stunden dafür, das heißt zehn Leute arbeiten daran die Schule sauber zu machen. Nun bekommt ihr die großen Besen und es wird nur noch 40 Stunden Arbeitszeit benötigt. Jede und jeder müßte nur noch vier Stunden arbeiten. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch anstatt sich zu freuen, jammern die Medien über den Arbeitsplatzabbau und die Regierung verspricht Sofortmaßnahmen zur Schaffung von Arbeit. Wo wir doch vorhin festgestellt haben, daß eher die Abschaffung von Arbeit anzustreben ist. Absurd!

Doch dem nicht genug – was passiert? Sechs Leute werden entlassen und die anderen vier müssen weiter acht Stunden arbeiten und zwar schneller! Anstatt für alle das Leben zu erleichtern werden die einen in Existenzangst gestürzt und die anderen müssen in der gleichen Zeit mehr arbeiten. Nur weil die Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen, um mit der Umstellung auf neue Besen die Ausbeutungsrate der Verbliebenen zu erhöhen. Warum? Das Unternehmen handelt nicht nach dem Prinzip der Menschlichkeit und Bedürfnisbefriedigung, sondern danach, den eigenen Gewinn zu maximieren und zu expandieren. Die hauptsächliche Gewinnquelle ist die Ausbeutung der Arbeitskraft derer, die zum Verkauf derselben gezwungen sind, um überleben zu können. Nun können wir auch die Aufregung der Massenmedien verstehen. Da die Masse der Leute zur Existenzsicherung darauf angewiesen ist, mindestens acht Stunden zu arbeiten, erleben sie den Abbau der benötigten Arbeit als persönliche Bedrohung und reagieren darauf mit dem Ruf nach mehr Arbeit! Um überleben zu können, rufen die Ausgebeuteten nach ihrer Ausbeutung und beten die eigene Ausbeutung an. Nicht weil sie ausgebeutet werden wollen, sondern weil sie überleben wollen und keine Alternative kennen. Die Massenmedien übernehmen diesen Ruf, weil sie von den Massen gekauft werden, und bestätigen damit die, die noch unsicher waren. (1)

Dabei ist es doch schön, mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens zur Verfügung zu haben! Je weniger Arbeit, desto besser! Die beiden Szenarien – Fegen für sich und das soziale Umfeld vs. Fegen zum Geldverdienen bei einem Unternehmen – machen deutlich, daß die Abschaffung von Arbeit zu begrüßen und der Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft zu bekämpfen ist. LASST DIE SOZIALISATION DER ZURICHTUNG ZUR SOZIALISATION DER EMANZIPATION WERDEN!

kater francis murr

(1) Die BILD-Zeitung als Prototyp des Massenmediums ist nicht umsonst Vorreiter beim Ruf nach mehr Arbeit.
Was heißt janusköpfig? Bild eines zweigesichtigen Mannes, Sinnbild des Zwiespalts, des Ja und Nein

Theorie & Praxis