Freiheit und Versicherheitlichung

Von der Doppelmoral der EU oder über die Praxis, Roma an der mazedonischen Grenze an ihrer Ausreise zu hindern. Ein Testfahrt-Bericht.

Skopje, April 2015. Moses und ich sitzen in einem mazedonischen Linienbus, der jeden Samstag von Skopje über Dortmund nach Brüssel fährt. 30 Stunden für 110 Euro. Wir sind die einzigen Passagiere an Bord, die nicht mit nach Westeuropa wollen. Unser Ziel liegt nicht einmal eine Stunde von Skopje entfernt: Tabanovce, die Grenzstation, die an Serbien grenzt. Eigentlich werden die Tickets nur pauschal für Deutschland und Belgien verkauft, ohne Zwischenhalt. Aber die Busfahrer haben eine Ausnahme für uns gemacht. Sie wissen, dass wir „Testfahrer” sind, dass wir an Bord sind, um die Kontrollmethoden der mazedonischen Grenzer zu beobachten.

Unzähligen Aussagen von Betroffenen und Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge werden seit vier Jahren tausende mazedonischer Staatsbürger an der Ausreise gehindert, weil sie als „falsche Asylbewerber“ identifiziert werden. Allein im Jahr 2013 zählte FRONTEX 6.700 Personen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen bezeichnet sich selbst als Angehörige der Roma. Die Grenzer nehmen sie als solche wahr, weil sie dunkelhäutig sind oder in einer Nachbarschaft leben, die von staatlichen Autoritäten als ‚einschlägig‘ im Bezug auf die Zahl der „falschen Asylbewerber“ gelabelt wird.

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, schrieb der Frankfurter Philosoph Adorno in den 1940er Jahren im amerikanischen Exil unter dem Eindruck des faschistischen Terrors in Europa in seiner „Minima Moralia“. Ich möchte wissen, wer festlegt, wie „falsch“ das Leben für Roma aus Mazedonien ist, um es später als „falsches“ Asyl zu labeln; wer ein Interesse daran hat, dass sie kein „richtiges“ Leben leben; wer sie wie an der Ausreise hindert und weshalb.

 

Der Mensch aus Papier

„Wohin willst Du?“, fragt der Grenzbeamte, als er in Tabanovce vor Elvis steht und kritisch seine Frau und die zwei Kinder beäugt. „Nach Düsseldorf.“ „Was willst du dort?“ „Wir besuchen meine Familie.“ „Deinen Pass und die Garantie!“

Der Grenzer durchbohrt Elvis mit seinem Blick, als wäre in seine Retina ein Lügendetektoren-Scanner eingebaut, der „Betrüger“ per Instant-Scan identifiziert. Elvis reicht dem Beamten die geforderten Dokumente, zusammen mit den Pässen seiner Frau und der Kinder. Die Augen des Grenzers fliegen über die Pässe und die „Garantie“, eine vom Einwohnermeldeamt beglaubigte Einladung eines EU-Bürgers, der rechtlich und finanziell für die Familie während ihres Aufenthaltes bürgt, auch dann, wenn die Familie länger als gestattet bleiben und abgeschoben werden sollte.

„Wieviel Geld habt ihr dabei?“ Elvis schaut seine Frau an. Sie murmelt etwas. „Genug“, sagt Elvis. „700 Euro.“ „Aufstehen! Zeigt mir Euer Gepäck!“

Zögernd erhebt sich Elvis vom Sitz, seine Frau schaut den Grenzer unverwandt an. Als die beiden wiederkommen, führt der Grenzbeamte seine Kontrolle weiter. Vor den Personen mit dunkler Hautfarbe bleibt er länger stehen und stellt ihnen die selben Fragen wie Elvis. Einer von ihnen ist Moses, ein langjähriger Freund, selbst ein Rom aus Mazedonien, auch er wohnt in einer „einschlägigen“ Nachbarschaft. Er begleitet mich um mir beim Übersetzen zu helfen. Auch ihn fragt der Grenzer, wohin er will. „Nach Serbien“, sagt Moses und gibt dem Grenzer seinen Personalausweis, denn ein Pass ist nicht nötig, um als mazedonischer Staatsbürger nach Serbien zu reisen. Der stechende Blick des Grenzbeamten straft schon seine Worte: „Der Bus fährt nur nach Westeuropa.“ „Es ist mit den Busfahrern abgesprochen“, sagt Moses. „Dein Pass und die Garantie.“ „Für Serbien?“ „Ja.“ „Serbien ist nicht in der EU…“ Sein bohrend-drohender Blick erstickt den Rest des Satzes. Moses gibt dem Grenzer seinen Pass.

In den letzten Jahren wurden tausende Pässe von angeblichen „Asylbetrügern“ mit einem Stempel versehen, dessen obere Ecke von zwei handgezogenen Strichen durchkreuzt worden ist. Bis vor kurzem gab es zu diesem Labeling oft die Buchstaben AZ (für „Azil“). Die Striche bedeuten eine verhängte 24h-Ausreisesperre für ihre Träger. In der Regel werden Reisende mit diesem Label auch nach Verstreichen der 24-Stunden-Frist nicht aus dem Land gelassen. Begründet werden die verweigerten Ausreisen nur selten. Manchmal sagen Grenzer Sätze wie: „Das ist eine Anordnung vom Innenministerium“, oder: „Ihr habt nicht genug Geld dabei“.

Weil ich Moses potentielle und zukünftige Ausreisen nicht gefährden will, oute ich mich gegenüber dem Grenzer, sage ihm, weshalb wir hier sind, in der Hoffnung, dass er seinen Pass mit dem berüchtigten Label verschont. Er wird wütend, sagt, dass ich für solche Zwecke nicht ohne Genehmigung an die Grenze kommen dürfe.

Letzten Endes wird Moses Pass weder gestempelt noch gelabelt. Tatsächlich wird wider Erwarten keiner der Passagiere gezwungen wieder nach Hause zu fahren. Die Busfahrer sagen, es sei das erste Mal seit Jahren, dass alle durchkämen. Sie sind erleichtert, endlich eine Fahrt zu haben, bei der alle weiterfahren dürfen und sie keinem der Passagiere die Tickets zurückerstatten müssen. Sie sagen, es sei wegen mir. Sie sagen, die Grenzer befürchten schlechte Presse. Später stellt sich heraus, dass der Reise-Agenturleiter, mit dem ich die Fahrt abgesprochen hatte, die Grenzer über mein Kommen informiert hatte. Er sagte ihnen, dass eine Journalistin aus Deutschland mit an Bord sitze, die über die Kontrollen in der Mainstream-Presse berichten würde. Seine Strategie hatte Erfolg, auch für seine Reise-Agentur.

Als ich später eine Grenzerin frage, weshalb hier nur Menschen mit dunkler Hautfarbe nach „Garantien“ und ausreichend finanziellen Mitteln befragt werden würden, während weiße Reisende unbehelligt passieren könnten, erklärt sie unmissverständlich: „Wir handeln hier auf Anweisung der EU! Wir bekommen regelmäßig Berichte von Deutschland, dass es immer noch zu viele Roma-Asylbewerber gibt.”

Die Daten zur ethnischen Kategorie „Roma“ unter Asylbewerbern in der BRD werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gesammelt, das die Asylbewerber aus dem Balkan anhört und über ihre Asyl-Gesuche entscheidet. Viele Roma begründen ihr Asylgesuch mit der ökonomischen und politischen Diskriminierung, die sie als Minderheit erfahren. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind über die verheerende Lage vieler Roma in Mazedonien informiert. Sie benennen sie in den Fortschrittsberichten, bezeichnen sie als „unzureichenden Minderheitenschutz“ des Staates. Gleichzeitig identifiziert FRONTEX in seinen letzten Western-Balkan-Risk-Analysis-Berichten das „common profile“ derjenigen, die ihrer Meinung nach Asyl-Missbrauch betreiben würden. Wiederholt werden hier einzig und allein „Roma“ benannt, „die oft mit ihren Familien anreisen“.

Wie hat es die EU geschafft, „die Roma“ als europäisches Problem zu konstruieren?

 

Zuckerbrot und Peitsche aus Schengenland

Ein Jahr nachdem die EU als Anreiz eines potentiellen EU-Beitritts Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina von der Liste der schwarzen Schengen-Staaten befreit und „weiß“ gepinselt hat, so dass die jeweiligen Staatsbürger für drei Monate als Touristen ohne Schengen-Visa in die EU einreisen dürfen, mehrten sich Beschwerden der Innenministerien, vor allem aus Belgien und Deutschland, über zu viele „Asyl-Betrüger“. Zeitgleich kursierten Begriffe wie „Wohlfahrtstourismus“, „Asylmissbrauch“ und „Masseneinwanderung“ im öffentlichen Diskurs. „Allein 30.000 Asylanten aus dem Balkan“, kreischten die Medien, ohne die Zahl in irgendein Verhältnis zur Gesamtzahl der Antragsteller in der BRD zu setzen. Es scheint, als könne die Gated Community EU es nicht ertragen, dass sie nun auch noch mit Binnen-Flüchtlingen fertig werden muss. Der Feind, so die Konstruktion im öffentlichen Diskurs, kommt jetzt auch aus Europa. Aus der Perspektive der EU müssen die Grenz- und Kontrollregime deshalb nicht nur an den EU-Außengrenzen, sondern auch an den Grenzen der Drittstaaten (1) und Transitländer intensiviert werden. Die Rechte der EU-Bürger – damit sind vor allem die gewinnbringenden Reisenden gemeint, also Geschäftsleute, Studenten und Touristen – sollen geschützt werden. Wenn zu viele „andere“ reingelassen würden, könnte sich die Elite schließlich in ihren Rechten beschnitten, ausgenutzt fühlen. Mehr noch: Die Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten könnte gefährdet sein. Mit der Strategie der Versicherheitlichung setzt die EU Mazedonien die Pistole auf die Brust, nach dem Motto: „Wenn ihr nichts aktiv gegen den Asyl- und Visa-Missbrauch unternehmt, führen wir das Schengen-Visum wieder ein!“ Im EU-Sprech heißt die Drohgebärde „Sicherheitsklausel“. Um zu zeigen, wie ernst ihnen damit ist, fahren EU-Ministerialvertreter eigens in das kleine Balkanland, um die „einschlägigen“ Nachbarschaften der „Betrüger“ und Regierungsvertreter zu besuchen. Schon zu Beginn schlug die Nachricht ein wie eine Bombe.

Ohne zu zögern, erweiterte die Regierung den Reisedokumente-Gesetzeskanon, stellte die Ausreise von „falschen Asylbewerbern“ unter Strafe, filzte und briefte Reise-Agenturen und sponsorte Visa-Liberalisierung-Aufklärungsworkshops in den „einschlägigen Nachbarschaften“. Diese Nachbarschaften/Adressen wurden fortan in den Computersystemen der Grenzer gespeichert und bei den Kontrollen abgeglichen. Das hatte zur Folge, dass zunächst die Pässe der „Betrüger“ für ein Jahr einbehalten wurden.

„Warum stellen sie uns Pässe aus, die wir nicht benutzen dürfen?“, fragten damals viele zu Recht, die das erste Mal in ihrem Leben einen (biometrischen) Pass kauften, nachdem die EU im Rahmen der Beitrittsverhandlungen Druck auf die Westbalkanländer ausübte und sie aufforderte, alle Bürger endlich registrieren zu lassen. Nachdem das Einbehalten der Pässe an der Grenze vom mazedonischen Verfassungsgericht als illegal eingestuft worden war, wurden die Pässe zwar nicht mehr zurückgehalten, dafür aber mit den 24h-Ausreisesperre-Strichen versehen. Vollkommen unabhängig davon, ob die Reisenden nur nach Serbien zu Verwandten oder zum Einkaufen oder in die EU reisen woll(t)en.

Trotz Klagen vor dem Ombudsmann, dem Antidiskriminierungs-Kommitee und einigen niederen Gerichten änderte sich nichts an der Praxis. Auch Roma-Repräsentanten unter den politischen Entscheidungsträgern konnten nichts gegen das Racial Profiling (2) ausrichten. Das Gros der Roma-Politiker, die für die Regierung arbeiten, kritisieren das Vorgehen erst gar nicht. Ihre Gegner sind dagegen überzeugt, dass sie die Praxis gutheißen, um wertvolle Wählerstimmen im Land zu behalten. Die Roma, die in der Opposition arbeiten, haben landesweite Proteste organisiert. Mobilisieren konnten sie nicht viele. Die meisten haben Angst vor noch mehr Diskriminierung. Ein Rom sagte mir: „Vor allem die paar wenigen, die einen Job haben, wollen ihn nicht wieder verlieren.“ Viele Familien kämpfen ums Überleben. Die Sozialhilfe (Euro 30/Monat) reicht für viele nicht einmal aus, um die Stromrechnung zu bezahlen.

Anfang 2015 wurde nun zusätzlich ein Gesetz erlassen, das es Beziehern von Sozialhilfe verbietet, Western-Union-Überweisungen aus dem Ausland zu beziehen. Die Daten des internationalen Geldtransfers durch Western Union werden dazu von Staats wegen her überprüft. Sozialhilfebezieher, die dennoch WU-Gelder beziehen, werden von der „Wohlfahrtsliste“ gestrichen und verlieren damit ihren Anspruch auf Sozialhilfe.

 

Abschottungspolitik made in Germany

Auch die sogenannten Aufnahmeländer verschärften indes ihre Gesetze. Auf Empfehlung der EU ernannte Deutschland letztes Jahr die drei „bedrohlichen“ Balkan-Staaten kurzerhand zu „sicheren Herkunftsländern“ um, also zu Ländern, in denen politische Verfolgung durch den Staat ausgeschlossen ist und in denen der Staat Menschen, die durch nicht staatliche Akteure verfolgt werden, nicht schützen kann. Doch diese Maßnahme galt einzig dem Versuch, die Zahl der Asylbewerber einzuschränken, und nicht etwa der Erkenntnis, dass die Staaten sich in den letzten Jahren zu sicheren Regionen entwickelt hätten. Das Ziel der Gesetzesverabschiedung sah vor, dass politisches Asyl für Menschen aus diesen Ländern verunmöglicht werden sollte. Den „Betrügern“, die sich dennoch trauten, sollte ein beschleunigtes Verfahren drohen, das sie schnell wieder aus dem Land befördert. Verstärkte Einreisesperren und Abschiebeinhaftierungen sollen in Zukunft laut dem neuen Bleiberecht ihr übriges tun. Doch auch schon in den Jahren vor der Sicheren-Herkunftsland-Regelung lag die Anerkennungsrate für Asylbewerber aus Mazedonien, die sich in Deutschland bewarben, laut Eurostat unter 0,5 Prozent.

Besonders „engagierte“ Politiker – wie schon der ehemalige Innenminister Friedrich oder jetzt unlängst der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt – drohten damit, die Beitragsleistungen für Personen aus „sicheren Herkunftsländern“ zu senken. Ähnliche Empfehlungen kommen bis heute auch direkt aus Brüssel. Im jüngsten Western Balkan Monitoring Report empfiehlt das European Asylum Support Office (EASO) der Europäischen Kommission u.a., Sozialleistungen für Asylbewerber, wie beispielsweise Taschengeld und Rückkehrhilfe, zu reduzieren. Im gleichen Bericht wird an anderer Stelle. Der erschwerte Zugang von Roma in Mazedonien zum Bildungs-, Wohn- und Gesundheitssektor bemängelt. Doch diejenigen von ihnen, die dem Teufelskreis der Armut und der Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder sexuellen Orientierung entkommen möchten, werden nicht aus dem Land gelassen. Die EU und die BRD helfen mit, indem sie Mazedonien weiter kräftig unter Druck setzen, die Grenzen stärker zu kontrollieren.

Dass LGBT‘s und Roma in den „sicheren Herkunftsländern“ in der Regel behandelt werden wie Bürger dritter Klasse und der „sichere“ Staat eben wenig bis nichts tut, um sie zu schützen, um sie zu gleichberechtigten Bürgern zu machen, interessierte damals wie heute die Gesetzesgeber wenig. Der Bundestag organisierte zwar eine öffentliche Anhörung, die die politischen, ökonomischen und sozialen Missstände klar benannte. Der zweite Asylkompromiss mit der Schaffung der „sicheren Herkunftsländer“ und der Einteilung in „gute“ bzw. „ehrliche“ und „schlechte“ bzw. „falsche“ Asylbewerbern wurde aber dennoch durchgewunken. Die Tatsache, dass in Mazedonien seit Jahren auf Empfehlung der EU an der Grenze aussortiert wird und bereits um die zwanzigtausend Roma wiederholt an der Ausreise gehindert wurden, ist zwar auch schon länger bekannt, wird aber in der Konsequenz begrüßt, auch wenn hier Behörden eines „sicheren Herkunftslandes“ sowohl gegen die eigene Verfassung als auch gegen EU-Recht verstoßen. FRONTEX schreibt in seinem Western Balkans Annual Risk Analysis 2014 Report zu den operativen Maßnahmen in Mazedonien:

Im Jahr 2013 verstärkte Ausgangskontrollen: Überprüfung der notwendigen finanziellen Mittel, die Durchführung von Interviews in Bezug auf ihr Ziel, den Zweck und die Motive der Reise. Sollte es Anzeichen dafür geben, dass die eigentliche Absicht des Reisens ist, das Recht auf Asyl zu missbrauchen, wird der Person die Ausreise in Einklang mit Artikel 15 des Gesetzes über die Grenzkontrolle verweigert.
2. Verbessertes Profiling von Personen, die das Asyl in der EU missbrauchen: Dazu gehören die Identifizierung von Gemeinden, aus denen die meisten abgelehnten Asylbewerber kommen (…) Im Jahr 2013 konnte die Zahl der Personen, die an der Ausreise gehindert wurden, auf 6.700 erhöht werden. 41 Prozent mehr im Vergleich zum Jahr 2012.
3. Verstärkung der repressiven Maßnahmen: Im Jahr 2013 stellten Behörden dreimal mehr Straftaten von ‚Missbrauch der Visa-Freiheit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Schengen-Abkommen‘ fest. Die Zahl der verurteilten Täter verdoppelte sich.“
(Eigene Übersetzung aus dem Englischen).

 

Gated Community EU

Freiheit und Sicherheit sind in der EU zu Synonymen geworden, zumindest für die wohlhabende Klasse der EU-Bürger. Für die Drittstaatler und Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ gibt es Freiheit oft nur als Freizügigkeit – unter bestimmten Bedingungen. No freedom of movement made by EU: Die Warnung der EU an die Westbalkanländer, die „falschen“ Asylbewerber zu stoppen, hat dazu geführt, dass sich die Katze in den Schwanz beißt. Mazedonien verstößt gegen sein eigenes nationales Recht, einschließlich seiner Verfassung, die EU wiederum gegen ihren eigenen fundamentalen (Menschen-)Rechtskanon und internationales Recht. Dem nicht eingehaltenen Minderheitenschutz gegenüber Roma, den die EU in ihren Fortschrittsberichten gegenüber dem kleinen Balkanland immer wieder bemängelt, wirkt der supranationale Staatenbund in keiner Weise entgegen. Die Verantwortung wird auf die politischen Entscheidungsträger des kleinen Balkanlandes abgewälzt, das indes von einer Reihe politischer Skandale gebeutelt wird und sich mit „ganz anderen“ Problemen konfrontiert sieht, als der Minderheit entgegenzukommen, die das Bild der „guten“ Mazedonier im Ausland „beschmutzt“. Konkrete Empfehlungen, die die EU gegenüber Mazedonien macht, der sozio-ökonomischen Situation von Roma gerecht zu werden, werden nur selten oder gar nicht überprüft. Finanzielle Mittel sickern kaum zu lokalen Projekten durch; die Situation bleibt die gleiche verheerende. In den Berichten an die Kommission zieht Mazedonien trotzdem eine positive Bilanz, um nicht allzu schlecht wegzukommen und die Beitrittsgespräche nicht zu stören. Da sich in der Realität indes kaum etwas geändert hat, versuchen die Menschen weiterhin ihrer Misere zu entfliehen, doch die Schlaufe um ihren Hals wird immer enger: denn die Drohgebärden der EU gegenüber Mazedonien werden deutlicher, die Grenzkontrollen schärfer, die Grenzübertritte von Roma werden stärker „illegalisiert“ und für die Betroffenen dadurch gefährlicher und teurer.

Aus Menschen, die mit ihren Familien nicht vor Krieg fliehen, sondern vor dem Leben in einem „sicheren“ Staat, der ihnen weder ökonomische Perspektiven noch politischen Schutz bietet, werden Täter. Aus Menschen, die kurzzeitig ihre Verwandten in einem EU-Land besuchen wollen, werden Täter – oft auch dann noch, wenn sie eine offizielle Einladung vorweisen können. Aus Menschen, die von ihrem Menschenrecht, ihr Land zu verlassen, Gebrauch machen, werden Täter, menschliche Bedrohungen, potentielles Sicherheitsrisiken für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der EU, eine Wirtschafts- und Wertegemeinschaft die erst unlängst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde – für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa. Witz komm raus, du bist von unsichtbaren Grenzen umzingelt.

Ein Beispiel für die Doppelmoral der EU, die sich nach außen mit ihrer liberalen, menschenrechtsorientierten Politik brüstet und nach innen eine Abschottungspolitik betreibt, zu der sie auch die Staaten ermuntert, die um eine EU-Anwerberschaft buhlen. Die Visa-Liberalisierung war das erste Leckerli – jetzt müssen sie zeigen, dass sie sich das auch verdient haben. Ansonsten wird die Schengen-Mauer wieder errichtet, der EU-Beitritt weiterhin verweigert werden. Wer aber zieht die EU zur Verantwortung, wenn sie (Anwerber-)Staaten ermutigt, gegen ihre eigenen Gesetze zu verstoßen?

Europäische Gerichtshöfe? Um eine Klage wegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft an der Grenze gegen einzelne Mitgliedstaaten vor den Europäischen Menschrechtsgerichtshof in Straßburg zu bringen, müsste erst erfolglos durch alle Instanzen im Herkunftsland geklagt werden. Bislang sind die Klagen von Betroffenen in Mazedonien nicht über die erste Instanz hinausgekommen.

Politische Akteure in den einzelnen Mitgliedsstaaten, die die binationalen Beziehungen in den Herkunftsländern stricken? Als ich bei der deutschen Botschaft in Skopje um eine Stellungnahme zum Racial Profiling an der mazedonischen Grenze bat, wurde ich an die politische Abteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin verwiesen. Als ich das anschrieb, hieß es aus Berlin: „Wir betonen, jedwede diskriminierende Kontrollpraktiken abzulehnen, doch können wir Ihrer Bitte um eine Stellungnahme leider nicht nachkommen, da uns zu diesem spezifischen Thema keine verlässlichen Daten vorliegen. Gerne verweisen wir Sie auf die Expertise der Kollegen im BAMF.“ Als ich ihnen die entsprechende verlässliche Daten bzw. wissenschaftliche Berichte in Peer-review-Journalen und Berichte internationaler NGOs schicke, erhalte ich keine Antwort mehr. Aber auch die Leiterin der Außenstelle des BAMF in Sachsen entschuldigt sich aufgrund derzeitiger Arbeitsüberlastung.

Von der Grenze aus fährt kein öffentlicher Verkehr zurück in die nächstgelegene Stadt Kumanovo. Menschen, die von hier wieder zur Umkehr nach Hause gezwungen werden, müssen sich abholen lassen. Meistens erledigen das informelle Taxifahrer. Auch Moses und ich fahren nach unserer „Testfahrt“ mit einem informellen Taxi zurück. Unser Taxifahrer erzählt uns, dass er aufgehört habe, die Zurückgeschickten zu zählen, dass er jeden Tag hierherkommen könne und Kunden bekäme. Das Geschäft läuft gut, denn aufgrund der ungewöhnlichen Strecke, erheben die Taxifahrer eine extra Pauschale. Unser Taxifahrer diskreditiert die Rückschiebepraxis trotzdem: „Wenn ihr meine Meinung wissen wollt, darüber was hier an der mazedonischen Grenze gerade passiert, dann sage ich: Hier werden zur Zeit Roma gekidnappt. Sie werden so stark ihrer Rechte beraubt, dass sie aufhören als Person zu existieren.“

Der Taxifahrer bringt es auf den Punkt: Indem „Wir“ (EU-Bürger) und „die Anderen“ (Drittstaatler) konstruiert werden, werden eben nicht nur „die Rechte der Anderen“ konstruiert, sondern auch eine „Entrechtlichung der Anderen“ legitimiert, indem sie kollektiv diskriminiert und kriminalisiert werden. Das Recht des Individuums, das hohe Gut des aufgeklärten Abendlandes, bleibt so exklusiv bei den Angehörigen einer „EU-Wertegemeinschaft“.

[Lotte Rie]

 

(1) Als Drittstaaten oder Drittländer werden Staaten bezeichnet, die nicht Mitgliedsstaat eines gegenseitigen Abkommens mindestens zweier anderer Staaten oder eines Suprastaates wie der EU sind. (Quelle: Wikipedia)

(2) Als Racial Profiling oder „ethnisches Profiling“ wird das Handeln von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten bezeichnet, wenn dieses Handeln auf allgemeinen Kriterien wie ‚Rasse‘, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und nationaler Herkunft einer Person basiert.

Literatur: Katrin Simhandl (2007). „Der Diskurs der EU-Institutionen über die Kategorien ‚Zigeuner‘ und ‚Roma‘: Die Erschließung eines politischen Raumes über die Konzepte von ‚Antidiskriminierung‘ und ‚sozialem Einschluss‘“, Nomos Verlag

Die Redaktion zieht…

… einen Schlussstrich

Schluss mit dem Gejammer, Schluss mit dem Selbstmitleid. Schluss mit der Grübelei um verpasste Chancen, verbunden mit der Angst sie kämen nicht wieder. Schluss mit der Trauer um unerfüllte Träume. Schluss mit dem Zweifel am eigenen Lebensweg.

Ich ziehe einen Schlussstrich hinter all die selbstgezüchteten grauen Hirnzermarterer. Sie kommen einfach nicht mehr über die Rote Linie. Denn Ich bin mein eigener Gott, kann selbst bestimmen, was mich prägen soll.

Ich zieh die Zügel selbst, setz meine rosa Brille auf und reite auf meinem lila Pferd namens Aufbruch erneut der Sonne entgegen. Will leben, lieben, lachen, lustig sein. Geh meinen eigenen Weg. Verfolge meine Ziele und werde dadurch unweigerlich neue Türen finden, die sich mir öffnen. Ich hab mein Leben in der Hand, bin Schmiedin meines eigenen Glücks. Zeit dieses Handwerk richtig zu beherrschen. Ich fange mit dem roten Schlussstrich an und lass meine trübe Tasse dahinter stehen.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Und jedem Anfang ein neuer Zauber. An meinem Anfang steht der Wille. Solang der bei mir ist, ist alles möglich.

[momo]

 

… die Schublade auf

während sie am endlosen Schrank entlangstürzt, drin sind Stimmen, die nicht raus können, zwischen den Funken in der Schublade, die Flammen sein wollen.

[schlecki]

 

… von c2 nach c4

Von Rubinstein abgeguckt. Also Akiba, dem größeren Genie, nicht Artur.

Viel zu selten allerdings, dass ich überhaupt mal noch Figuren ziehe. Das Schachproblem im Feierabend! ist schon seit Jahren leider der einzige Anlass, mich an‘s Brett zu setzen. Dabei lobpreise ich bei jeder Gelegenheit die meditativen Möglichkeiten des Schachspiels und gerade die Entspannung, die sich beim Lösen eines Problems einstellen kann. Doch damit nicht genug, ist Schach immer auch Lebenshilfe. So wie man zieht, so steht man. Klingt wie eine beliebige Binsenweisheit, ist jedoch als eine von vielen Schachmetaphern auch eine kleine Stütze im Trubel der Gesellschaft. Denn ob man nun umzieht, es einen zu jemandem hinzieht, man sich auszieht, jemanden abzieht, was krasses durchzieht oder jemanden erzieht. Zug um Zug ändert sich die eigene Position und auch die anderer.

[shy]

 

Ich ziehe…

… mir mal wieder warme Socken an, ziehe dabei an einem Faden, der sich zieht und zieht bis die Socke dahingezogen ist. Ich ziehe mit dem Faden los. Ziehe dabei ein mürrisches Gesicht, denn ohne Socken zieht es an den Füßen. Meine Oma zieht den Faden wieder auf, nach links, nach rechts, nach links, nach rechts, sie zieht und zieht, damit ich mir wieder warme Socken anziehen kann.

[mv]

 

hier niemanden durch den Kakao

Dazu ist die Metapher einfach zu altbacken. Außerdem ist es interessanter und relevanter, Dinge und Zustände als Personen durch den Kakao zu ziehen. Aber so große Kakaogefäße finden sich auch eher selten. Und besser werden die Dinge durch zuckrige Schmierschichten sowieso nicht. Also Dinge und Zustände lieber kritisieren und den Kakao der betreffenden Person ins Gesicht schütten. Oder eben einfach trinken – besonders empfehlenswert in Hinsicht auf den sich nähernden Winter.

[wasja]

Vom Denken in schwierigen Zeiten

Über Johannes Agnolis „Die Subversive Theorie“

Ein kluger Mensch – ich glaube, es war Christian Riechers – hat den Marxismus mal als eine „Theorie der Niederlage“ bezeichnet. Der Gedankengang dahinter ist so schlicht wie einleuchtend: In einer revolutionären Situation, wenn die Leute massenhaft revolutionär handeln, ergibt sich das entsprechende revolutionäre Denken von selbst. Schwieriger sind die Flauten zwischen solchen Zeiten, die oft mehrere Jahrzehnte dauern, wo zwar die Verhältnisse genauso elend sind, wie sie es den größten Teil der Menschheitsgeschichte über waren, aber jeder Widerstand fast aussichtslos erscheint – und gerade dann braucht es die Theorie, wenn mensch sich von der schlechten Realität nicht vollends blöd machen lassen will.

In diesem Sinne verstand auch Johannes Agnoli seine „Subversive Theorie“, oder, um die Sache mal aufzudröseln, die Aufgabe der Subversion wie der Theorie – als Gegenmittel für schlechte und Vorarbeit für bessere Zeiten. Oder, in seinen eigenen Worten, gerade dann, wenn „die Revolution gezwungen ist zu überwintern, [ist] ein Impuls zu Subversion notwendig […], sei es, um die soziale Spannung, oder sei es, um die Hoffnung auf eine radikale Änderung aufrechtzuerhalten.“ Die entsprechenden Gedankengänge entwickelte Agnoli in einer Vorlesungsreihe, die im Oktober 1989 begann – also in schöner Parallelität zu den weltgeschichtlichen Ereignissen, in denen der östliche „real existierende Sozialismus“ sein keineswegs bedauerliches Ende fand.

Nun ist die „Subversion“ als Begriff in den letzten Jahrzehnten schon arg geschunden und überdehnt worden – wenn irgendwer sich irgendwo ein irgendwie revoluzzerhaft-widerständiges Ansehen geben will, dann muss fast immer die arme Vokabel „subversiv“ dafür herhalten. Agnoli benutzte den Begriff allerdings anders, im präzisen, hergebrachten Sinne: „subvertere, das Unterste nach oben kehren, umstülpen“, also ganz im Sinne des von Marx formulierten kategorischen Imperativs, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Das ist nicht neu, aber die Klassengesellschaft ist ja auch eine jahrtausendealte abgeranzte Scheiße – solange uns dermaßen alte Probleme belästigen, bleiben die alten Forderungen aktuell.

Freilich ist die Klassengesellschaft von den sozialen Klassenkämpfen, von „oben“ wie von „unten“, stetig neu geprägt und verändert worden. So gibt es logischerweise auch nicht die Subversion, die eine Subversion schlechthin als irgendwie außergeschichtliche Größe, sondern vielmehr viele Formen der Subversion – und diese versuchte Agnoli in seinen Vorlesungen, durch die (europäische) Geschichte hinweg zu verfolgen und nachvollziehbar zu machen. Ein einigermaßen ambitioniertes Unterfangen, das aber in seiner Durchführung keineswegs so trocken ausfällt, wie mensch vielleicht befürchten könnte. Dafür sorgen nicht nur Agnolis Humor und seine lockere Vortragsweise. Vielmehr zeigt er in seiner Untersuchung immer wieder auf, dass die Konflikte „von früher“ auch heute noch nicht erledigt sind, und verdeutlicht, wie weit wir uns heute noch in den Fluchtlinien vergangener Klassenkämpfe bewegen.

Dabei ist der gespannte Bogen denkbar groß: Von Eva angefangen (wobei Adam eher schlecht wegkommt), geht es weiter über die griechische Sophistik, die Auseinandersetzungen zwischen Plebs und Patriziern im alten Rom, die millenaristischen Sekten des Mittelalters bis in die Neuzeit hinein, zu den Levellers und Diggers der englischen Revolution und zu den französischen Enzyklopädisten. Agnoli widmet sich also nicht nur den Bewegungen „an der Basis“, sondern macht – fast im Vorübergehen – deutlich, welche gesellschaftlichen Konflikte sich hinter vielen philosophischen und theologischen Debatten der Vergangenheit verbargen. Auch die Geschichte der Religion ist eben eine Geschichte von Klassenkämpfen, und die Geschichte der Philosophie sowieso.

Nun sind die ausgeteilten Denkanstöße zu zahlreich, als dass sich hier im Einzelnen auf sie eingehen ließe. Als Anregung zum kritischen Gebrauch des eigenen Hirns – als Mittel also, um sich den herrschenden Verhältnisse gegenüber wenigstens ein Stück gedankliche Freiheit zu erarbeiten – taugt diese „Subversive Theorie“ jedenfalls allemal sehr gut. In der Provinz Deutschland wird es wohl noch etwas länger dauern, bis sich wieder eine revolutionäre Situation ergibt. In der Zwischenzeit lohnt es sich, dieses Buch zu lesen.

[justus]

 

Johannes Agnoli: „Die Subversive Theorie. ‚Die Sache selbst’ und ihre Geschichte“, Schmetterling Verlag 2014, 266 Seiten

Mein Gott, mein Staat, mein Niemandsland

Frei nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild‘ ich einen Staatsraumkreis“, gibt es weltweit immer wieder Menschengruppen, die ihren eigenen Staat ausrufen. Wahlweise finden sie dafür ein noch staatenfreies Fleckchen Erde oder erkennen bestehende Staaten nicht als rechtmäßig an. Durchaus ernst gemeint und mit verschiedenen Motiven ausgestattet.

Ein Beispiel dafür ist der im April ausgerufene Staat mit dem vielversprechenden Namen Freie Republik Liberland und seinem Motto „Leben und Leben lassen“. Das bisherige Niemandsland erstreckt sich zwischen Kroatien und Serbien auf einer sieben km² langen Sumpflandschaft mit Wald und Wiesen.

Eine subversive anarchistische Aktion, um die auf Nationalstaaten basierte politische Elite zu provozieren, das Staatenwesen vor und ad absurdum zu führen? Ein Freiraum für Unterdrückte, die in solidarischer Gemeinschaft ohne Herrschaft leben wollen? Leider nein.

Dieser im April 2015 ausgerufene Staat beansprucht zwar weitestgehende Freiheit für sich, definiert diese jedoch vorzugsweise wirtschaftlich. Ganz anarchokapitalistisch geht es dem Gründer und Präsidenten Vít Jedlicka um eine Steueroase. Privateigentum ist das höchste schützenswerte Gut. Will man Staatsbürger von Liberland werden, muss man diesen Grundsatz teilen und darf zudem „keine kommunistische, extremistische oder Nazivergangenheit“ haben. Ansonsten wird mensch laut Homepage nicht für „vergangene kriminelle Handlungen“ zur Rechenschaft gezogen, ist jedoch angehalten „andere Menschen und deren Meinungen unabhängig von ihrer Herkunft & Orientierung zu respektieren“.

Auch wenn es die Liberländler vielleicht gern anders hätten: International erregt ihr neues Staatsgebiet bisher wenig Aufsehen, sondern wird ignoriert oder als vermeintliche Satire-Aktion heruntergespielt. Sicher nicht ohne Kalkül, schließlich sollen doch die Bürger ihre zu versteuernden Gelder im eigenen Land lassen. Und erst recht nicht auf die Idee kommen, weitere Ministaaten auszurufen, in der jenseits der Staaten-basierten (Un-)Ordnung – aber dennoch unter deren Label – eigene Gesetzte herrschen.

Ignoranz ist jedoch noch eine der harmloseren Reaktionen auf derlei Neustaaten. Denn wenn es Gruppen gibt, die ihren neuen Staat auf bereits vergebene Staatsräume legen, wird meist härter durchgegriffen. Am bekanntesten ist hierzulande wohl die sog. Reichsbürgerbewegung, die zumeist aus rechten Ideologen oder Verschwörungstheoretiker_innen besteht, welche die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Grundgesetz rechtlich für völker- und verfassungswidrig halten. Dies wird als Argumentationsgrundlage ausgebaut, um Menschen zur Unterstützung eigener Machtansprüche zu gewinnen, wahlweise in Form von sog. Reichsregierungen, Fürstentümern oder Königreichen.

Ein Beispiel dafür ist der „Imperator Fiduziar“ Peter Fitzek mit dem Königreich Deutschland, das er bereits 2012 auf einem acht Hektar großen Gelände in der Lutherstadt Wittenberg ausrief. In Anlehnung an die Reichsbürgerbewegung erkennt auch er die staatliche Souveränität Deutschlands nicht an, weil die Verfassung fehlt. Allerdings will er nicht die Alte zurück samt der Grenzen von 1937, sondern lieber eine „lupenreine Monarchie“. Seit der neue König mit dem Aufbau einer eigenen Krankenkasse, Versicherung und Währung begann, zudem noch eigene Autokennzeichen anfertigen ließ und von königlicher Steuererhebung träumt, wird er jedoch nicht mehr von der Staatsgewalt ignoriert. Sondern staatsrechtlich verurteilt.

Kurzum, so einfach ist es also doch nicht mit den neuen Staaten. Stellen sie die Alten in Frage oder werden sie wirtschaftlich und politisch gefährlich, ist Schluss mit Lustig. Vielleicht hat sich Liberland auch deshalb dieses Motto gegeben, weil es hofft, dass man es „leben lässt“?

Wie sehr kann mensch wollen, dass solche Konstrukte am Leben bleiben? Gar nicht. Denn so sympathisch vielleicht die Aushöhlung der auf Nationalstaaten basierten Weltordnung ist, das macht den Gründungsgrundgedanken einfach nicht besser. Weder im Hardcorekapitalismus noch mit selbsternannten Monarchen lässt es sich solidarisch und gerecht in Gemeinschaft leben und leben lassen. Erst recht nicht mit den Nazis der Reichsbürgerbewegung. Abgesehen davon ist die Macht der bestehenden Staatenwelt gegenüber allerlei separatistischen Bewegungen ausgesprochen hoch.

Doch wenn nur Pippi Langstrumpf in der Lage ist, sich ihre Welt so zu gestalten, wie sie ihr gefällt, was bleibt dann uns? Neben ganz kleinen, selbstgebauten Nischen zumindest ein lauter Ruf in die Welt: Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland!

[momo]

Das VoKü-Rezept FA! #54

„Hey MV! Beim letzten Containern sind Unmengen Blumenkohl, Artischocken und Äpfel bei rum gekommen. Hast du ne schicke Idee für ein Vokü-Menü?

Sonnige Grüße, Molle“

 

Liebe_r Molle,

Sicher! Nur noch das eine und das andere dazu gekauft und los geht‘s. Hier die Vokü-Idee (für ca. 25 Personen):

 

Gang 1: Artischockencremesuppe

Zutaten:

ca. 40-50 Artischocken (je nach Größe)

2 Zitronen, in Scheiben

Zitronensaft

15 Zwiebeln, fein gewürfelt

6 Knoblauchzehen, zerdrückt

ca. 150g Mehl

4,5 l Gemüsebrühe

1,5 l Artischockenwasser

Sojamehl

750ml Sojasahne

1 Bd. Schnittlauch, in kleinen Röllchen

Kokosfett oder Margarine

Salz, Pfeffer

 

Zubereitung:

Die vorbereiteten Artischocken mit frischem Wasser und Zitronenscheiben aufsetzen, etwa ½ Stunde kochen lassen. Herausnehmen, Blätter und Heu entfernen, Kochwasser aufheben. Fett erhitzen, Zwiebeln dünsten, Knoblauch und Mehl dazu, anschwitzen. Mit Gemüsebrühe und Artischockenwasser ablöschen, 20-25 Minuten kochen lassen. Artischockenherzen nach 10 Minuten hinzufügen, salzen, pfeffern. Suppe pürieren. Eventuell mit Sojamehl andicken. Mit Sojasahne und Schnittlauchröllchen verfeinern. Fertig.

 

Gang 2: Gerösteter Blumenkohl mit Apfel-Hirse-Bratlingen und Soja-Joghurt

Zutaten:

6 Blumenkohlköpfe, geputzt, in Röschen

100ml Zitronensaft

2 Bd. glatte Petersilie, fein gehackt

300ml Olivenöl

200g Hirse

500g Möhren, fein geraspelt

100g Ingwer, fein geraspelt

1kg Äpfel, grob geraspelt

100g Lauch, fein geschnitten

350g Mehl

150g Balsamico (weiß)

150g Sonnenblumenkerne, geröstet

1,5kg Soja-Joghurt

1 Tiefkühl-Kräuter-Mix

3 Knoblauchzehen, zerdrückt

Kokosfett oder Margarine

Salz, Pfeffer

 

Zubereitung:

Backblech einfetten, Blumenkohl darauf legen, salzen. Bei ca. 220 Grad (vorgeheizt) 15-20 Minuten backen. Petersilie, Zitronensaft und Olivenöl mischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Würzöl über fertigen Blumenkohl geben.

Hirse kochen, abkühlen lassen. Mit Möhren, Ingwer, Äpfeln, Lauch, Sonnenblumenkernen und Balsamico mischen. Mehl zum Dicken dazu geben. Mit Salz und Pfeffer kräftig abschmecken. Bratlinge formen. Fett in Pfanne zergehen lassen. Bratlinge von beiden Seiten goldbraun braten.

Soja-Joghurt mit TK-Kräutern, Knoblauch, Salz und Pfeffer mischen. Fertig.

 

Gang 3: Apfel-Vanille-Grütze

Zutaten:

5kg Äpfel

400ml Zitronensaft

3l Apfelsaft

6 Pck. Vanille-Pudding-Pulver

Kokosraspeln oder Zimt (nach Geschmack)

Agavendicksaft (mind. 300ml)

 

Zubereitung:

Äpfel schälen und grob würfeln. Möglichst schnell mit Zitronensaft mischen. 500ml Apfelsaft mit Puddingpulver verrühren. Restlichen Apfelsaft kochen, Apfelstücke dazu geben und 2-3 Minuten kochen lassen. Puddingmasse einrühren, aufkochen, kurz kochen lassen, ständig rühren. Agavendicksaft, eventuell Kokosraspeln oder Zimt dazu geben. In Gläser oder Schalen füllen. Auskühlen lassen. Eventuell noch Vanille-Sauce oder Sahne dazu. Fertig.

 

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teenage warlord der liebe

it is not love that you want, schwester, ein warmes bett und etwas zu essen, dahinter bist du her, in einer von weißen jungen kaputtgespielten welt wirst du zum offiziersmesser, klappst jeden noch so obskuren trick, jede noch so stumpfe waffe aus, teenage warlord der liebe, romantik! romantik! achtung jetzt, wir halluzinierten wir wollten dasselbe, geborgen sein in sanften händen, aber da ist kein frieden, da ist kein frieden, manche halluzinieren den blühenden zweig, du aber hast den messerkampf gebracht, und manchmal hab ich gewartet, mit blut zwischen den zähnen, teenage warlord der liebe, das ist kein love song, die vögel im baum am morgen singen nicht, sie brüllen und scharren mit ihren reptilienfüßen, es ist keine schlechte welt, auf die wir beide stampfen, in meinem hass auf deinen verzweifelten krieg schimmert bewunderung, teenage warlord der liebe, teenage warlord der liebe, dein schöner körper liegt offen da, hart umfochtenes territorium, du gehörst dir nicht und eroberst dich jeden tag aufs neue, deine gebirgstäler und den seltsamen stein am fluß, wo du als kind deine hand aufs wasser gelegt hast, teenage warlord der liebe, auf eine weise schmeiße ich mich immer noch jeden tag zu deiner augenhöhe hin, um eine hand auzustrecken, für einen augenblick am rand vom dummen vorhang, irgendwie halte ich meine hand noch immer ausgestreckt, die dumme hand, die sich inmitten der scheinkämpfe jeden tag anders entscheidet, ausgestreckt bleibt, weil wir uns kennen, solidarity to the whole gang, teenage warlords der liebe. (wir helfen uns und singen das geschwisterlied, mit schlechten zähnen und wütender verachtung, für alle von uns, aber ich weiß es gibt noch welten, in denen es sich grad noch leben lässt.)