Archiv der Kategorie: Feierabend! #49

Erster Schritt zur Privatisierungsbremse

Na, schon das Bürgerbegehren für eine Privatisierungsbremse unterschrieben? – Ach, noch nicht mal davon gehört …

Die Initiative hat sich die Aufgabe gestellt, ein Bürgerbegehren in den Stadtrat einzubringen. Das Thema: die Privatisierung kommunalen Eigentums der Stadt Leipzig. Unternehmen, Einrichtungen und Immobilien der Stadt Leipzig, die dem Gemeinwohl dienen (z.B. Verkehrsbetriebe, Wasser- und Energieversorgung), sollen nicht an private Investoren verkauft werden dürfen. Als Reaktion auf Privatisierungsdesaster in aller Welt entsteht eine Bewegung, die sich die Sicherung kommunalen „Tafelsilbers“ auf die Fahnen geschrieben hat. In Leipzig ist der erste Schritt mit über 25.000 gesammelten Unterschriften getan. Nun wird das Begehren formal geprüft und schließlich muss der Stadtrat über die Annahme oder Ablehnung entscheiden.

Bremen hat Ende August 2013 die sog. „Privatisierungsbremse“ als erstes Bundesland in die Verfassung aufgenommen. Öffentliche Unternehmen dürfen dort künftig nur nach einem Volksentscheid verkauft werden. So werden die Unternehmen und Einrichtungen noch am ehesten den Zweck erfüllen, zu denen v.a. die Versorgungsdienstleistungen ursprünglich angedacht waren – der Sicherung der Grundversorgung der ansässigen Menschen.

Nötig wird die Privatisierungsbremse in Leipzig auch, weil der Bürgerentscheid vom Januar 2008, bei dem ein Großteil der Wähler_innen auf die Frage:

„Sind Sie dafür, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum verbleiben?“

mit Ja antworteten, nicht bindend für den Stadtrat ist. Die meisten Stadtratsmitglieder haben zwar aus den schlechten Erfahrungen der Privatisierungen der letzten Jahre gelernt. Doch sind solche Einsichten nicht viel wert in einer Gesellschaft von Schmiergeldern und Lobbyismus. Und so kann der „Ausverkauf der Stadt“ derzeit lediglich über eine gesetzlich festgeschriebene Privatisierungsbremse im Zaum gehalten werden. Revolution ist ja grad irgendwie nicht in Sicht.

shy

Die Unterschriftensammlung geht weiter, denn noch ist das Bürgerbegehren nicht in Sack und Tüten. Informationen: privatisierungsbremse.wordpress.com/

Lokales

Die Redaktion demonstriert…

…gegen Pro Deutschland in Connewitz

Die rechte „Bürgerbewegung“ Pro Deutschland will groß rauskommen. Zum diesjährigen Wahlkampf startete sie deshalb eine große Tour durch diverse deutsche Städte und gastierte am 16. September mit ihrem Bürgerbewegungs-Bus auch in Leipzig, um dort u.a. in der Nähe des Conne Island eine zweistündige Kundgebung abzuhalten.

Momentan ist die Bürgerbewegung aber noch klein. Gerade mal fünf Leute schienen da zu stehen, obwohl auch das nur gemutmaßt werden konnte. Die Polizei war mit gut zwanzig Mannschaftswagen vor Ort, und von diesen wurde die Kundgebung nun derart fachmännisch umstellt und zugeparkt, dass sie gar nicht mehr zu sehen war. Nur eine einzelne Deutschlandfahne war zu erkennen, die einer da gelegentlich hinter den Polizeifahrzeugen schwenkte. Etwa fünfzig Linke hatten sich eingefunden und beobachteten das klägliche Treiben. Die Redebeiträge waren selbst von der gegenüberliegenden Straßenseite nur schwer bis gar nicht zu verstehen – die kleine Bewegung konnte sich vermutlich keine großen Lautsprecher leisten. Aber vielleicht hat sich ja der eine oder die andere der umstehenden Polizist_innen von diesem Auftritt überzeugen lassen.

Sonst noch was? Ja, am Ende der Veranstaltung nutzte ein unbekannter Chaot noch fix die Gelegenheit, eine Silvesterrakete in Richtung der Kundgebung abzuschießen – die alten Böller müssen ja auch irgendwann weg… Aber auch dieser Versuch, der lahmen Aktion ein wenig Glamour zu verleihen, verpuffte wirkungslos auf halber Strecke. Vielleicht ein kleiner Tipp zum Schluss: Beim nächsten Mal das Spritgeld sparen und dafür bessere Lautsprecher kaufen.

justus

…im Protestcamp mit den Flüchtlingen in Bitterfeld

Die Unterkünfte Friedersdorf und Marke im Landkreis Anhalt-Bitterfeld/Sachsen-Anhalt sind, wie so viele andere Sammelunterkünfte auch, isoliert von Aktivitäts- und Kontaktmöglichkeiten und ohne Privatsphäre. Die Kritik der Zustände bestand schon seit längerem, jedoch ohne, dass von Seiten des Landkreises was passierte. Daraufhin schlossen sich am 1. August hier mehrere Flüchtlinge zusammen, errichteten auf dem Bitterfelder Marktplatz ein Protestcamp und traten in einen Hungerstreik – insbesondere, um sich für verbesserte Unterbringungsbedingungen und das Recht auf Arbeit einzusetzen. Der Streik endete nach 16 Tagen, als die Landesintegrationsbeauftragte vor Ort ins Gespräch kam und einen Runden Tisch mit den zuständigen Behörden und handelnden Personen einberief.

Nun bleibt abzuwarten, ob sich für die Menschen tatsächlich etwas ändern wird. Im Rahmen der Möglichkeiten von kommunalen Ausländerbehörden bzw. Sozialämtern der Landkreise liegen immerhin Aspekte wie Sozial­leistungen, medizinische Versorgung d.h. Überweisung zum Facharzt und Therapien, Arbeitserlaubnisse, Erteilung der Verlassenserlaubnis zur Reise in andere Bundesländer sowie Abschiebungs­anordnungen. Hoffentlich bald nicht mehr zu Ungunsten der Betroffenen. Für ein Recht auf Rechte!

mona d.

… bei einer Fahrraddemo gegen die ­staatlichen Repressionen in Russland

Der unmittelbare Anlass war der gewaltsame Übergriff der russischen Spezialeinheit Omon auf das transnationale Austauschtreffen Vostok Forum bei Murmansk. Das Forum war von der deutschen Netzwerk AG Russland mitorganisiert worden. Dieser Angriff reiht sich ein in eine Kette repressiver Aktivitäten gegen regimekritische Menschen in Russland. Am bekanntesten dürfte die Verurteilung der Punkband Pussy Riot wegen Blasphemie sein. Dort hört es jedoch nicht auf. Seit 2012 müssen sich russische Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, um Geld aus dem Ausland erhalten und politisch tätig sein zu können. Und die Kriminalisierung geht weiter. Das neue „Homo-Propaganda-Gesetz“ verbietet es, in Anwesenheit von Minderjährigen oder in öffentlichen Medien positiv über gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sprechen.

All dies war Grund genug, am 13. August 2013 in Leipzig von der Blechbüchse zum russischen Generalkonsulat in Gohlis zu ziehen. Der bunte Haufen wurde eifrig vom Konsulatsmitarbeiter abfotografiert. Ob nur für die Pressemappe oder um beim nächsten Visaantrag seine Kritiker zu erkennen, wird sich zeigen. Solidarität mit den Betroffenen staatlicher Repressionen in Russland! Informiert Euch und andere!

wanst

www.ag-russland.de

… beim ­­diesjährigen Leipziger Christopher Street Day, Motto: „L(i)eben und L(i)eben lassen“

Meinen ersten Eindruck vom CSD prägten neben dem mit Ständen gefüllten Marktplatz und der sich vor dem sich Rathaus formierenden Demonstrationszug vor allem drei Junggesell(inn)­enabschiede, die dem Ganzen einen gewissen realistischen Rahmen boten. Die Frauengruppe in schwarz-pink war gar nicht weiter erwähnenswert. Die sieben Männer hingegen, die betrunken gröhlend ihren im rosa Tütü gekleideten Jungesellen anfeuerten und CSD-Besucher_innen von ihrem Party-Tandem zuwinkten, ernteten wenig verwunderte oder gar ablehnende Blicke. Im Gegenteil – die Leute vom Marktplatz winkten teilweise freundlich zurück. Für mich eine fast surreale Situation.

So wunderte ich mich dann aber nicht mehr über einen Stand der Jungen Union, freute mich hingegen über einen der Queeramnesty Leipzig. Den ersten Redebeitrag der Demo verfolgte ich mit Interesse, hatte ich doch das Glück, hinter dem Wagen der Redner_innen zu sein, während auf dem zweiten Wagen munter die Partymusik weiterlief. Besonders der Redebeitrag der diesjährigen Schirmherrin Lucie Veith (Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V.) war hörenswert. Sie erklärte, dass zum ersten Mal nicht nur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans), sondern explizit auch Intersexuelle mit angesprochen und sich mit ihnen (v.a. im Kontext von Genitalverstümmelungen) solidarisiert werden sollte. Es war diesmal also ein CSD von und für “LGBT(I)”, was sich auch im Motto widerspiegelte. Und für Heten war auch Platz. 😉

shy

Die Häuser denen, die in ihnen wohnen!

Mietkampf in der Kochstraße

In vielen Teilen der Städte werden Menschen durch Modernisierung oder sogenannte Viertelaufwertung aus ihren Wohnungen verdrängt. Mit welchen Mitteln die Modernisierer dabei vorgehen und dass man auch etwas dagegen tun kann, zeigt das Beispiel der Kochstraße 114 in Leipzig.

FA!: Wie ist eure derzeitige Situation?

Es wohnen noch drei Mietparteien von zwölf in der Kochstraße 114. Alle drei sind auf Räumung und Herausgabe verklagt, zwei Prozesse sind in erster Instanz zu unseren Gunsten entschieden worden, der dritte läuft noch. Der Vermieter hat in den beiden für ihn verlorenen Prozessen Berufung eingelegt, die Termine dafür stehen noch nicht fest. Am Haus und in den Wohnungen wird nichts gemacht.

FA!: Könnt ihr uns eine kurze Chronologie der Ereignisse geben?

2008 hat die Stadtbau AG dieses und das Nachbarhaus gekauft. Erst mal gab es keine Änderungen, außer einem auffälligen Geiz bei Reparaturen und Wartungen. Es folgte eine erste Mo­dernisierungsankündigung: Balkons, abwaschbare Fensterbänke, neue Fenster (obwohl das Haus teilsaniert ist und neue Fenster hat) und die Heizung sollten die Miete verdoppeln. Das war Anlass für die anderen neun Mietparteien freiwillig auszuziehen. Es wurde nichts modernisiert. 2010 wurden dann Selbstnutzer im Haus rumgeführt, eine bewohnte Wohnung wurde als frei im Internet angepriesen. Mit uns wurde erst geredet, als wir beim Amt für Stadtentwicklung nachfragten, was eigentlich los ist.

Von der Stadtbau AG wurde uns gegenüber nun der Wunsch geäußert: wir mögen doch ausziehen („erst mal ohne Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung“), den Umzug würde ja das Amt bezahlen. Welches Amt sie meinten, sagten sie nicht. Sie gingen aber wohl davon aus, dass wir alle Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (sog. Hartz IV) sind. Wir sagten, dass wir nicht ausziehen wollen. Nach einer Weile ließ der Besucherstrom der Selbstnutzer nach, wir wussten nicht warum.

Wir erhielten eine zweite Modernisierungsankündigung, die im Wesentlichen eine Kopie der alten mit nach oben angepassten Mietpreisen war. Es wurde nichts modernisiert. Ein Schlüsseldienst überraschte eines Morgens damit, die Wohnungsschlösser austauschen zu wollen, also auch der noch vermieteten Wohnungen, zum Glück waren wir zu Hause. Der Dachboden musste beräumt werden, das Betreten des Hofes wurde verboten. Im Treppenhaus wurde nach alten Malereien gesucht, um in den Genuss von Denkmalpflegeabschreibungen zu kommen, da das Haus bisher keinen Denkmalstatus hatte. Es wurde sehr intensiv teilweise auch Unterputz gesucht und der anfallende Schutt einfach liegengelassen und auch auf Aufforderung nicht weggeräumt. Die Beseitigung mussten wir dann übernehmen. An einem Samstag wurden dann die Öfen der leeren Wohnungen abgerissen und einfach aus dem Fenster auf den Hof geschmissen, was Leute aus den Nachbarhäusern durch die Polizei beenden ließen.

Am 2.12.2011 erfolgte eine Kündigung, da die Wohnungen zu klein wären und einer wirtschaftlichen Verwertung entgegenstünden (die kleinste ist 53m²). Es folgten die Klagen auf Räumung Mitte 2012 und ihre Abweisung. Das Betreten des Hofes wurde dann erneut verboten, da ein Risiko bestünde, obwohl der Anwalt der Stadtbau AG/ Rubin24 gesagt hatte, dass keine Bauarbeiten stattfinden. Nun soll ein kleiner alter baufälliger Schuppen dafür herhalten, dass wir den gesamten Hof nicht mehr nutzen dürfen. Am Ende wurde die Hoftür zugemauert. Das dient nur dazu uns zu zermürben, aber damit werden sie keinen Erfolg haben.

FA!: Wie wehrt ihr euch dagegen?

Juristisch natürlich, wir haben einen sehr engagierten Anwalt, alle denselben, so dass es schwieriger wird uns gegeneinander auszuspielen. Keine und keiner sollte unterschätzen, wie anstrengend es werden kann. Wir wehren uns nun schon seit fünf Jahren gegen unsere Vertreibung aus dem Haus und versuchen, die Vorgänge öffentlich zu machen. Kann ja nicht sein, dass dieselbe Stadtbau AG so prestigeträchtige Projekte wie die Leipziger Markthalle realisiert und das Geld dafür aus ihren Mieter­Innen herauspresst oder Geschäfte auf deren Rücken macht!

FA!: Beratet ihr euer Vorgehen gemeinsam? Wie seid ihr organisiert?

Wir wohnen im selben Haus:-) Ja, wir versuchen alle anliegenden Probleme gemeinsam zu besprechen und auch zu lösen. Das ist manchmal nicht einfach, aber wir lernen dabei eine ganze Menge, was uns auch anderweitig nutzen kann.

FA!: Habt ihr Unterstützung? Von wem, in welcher Form?

Unser Anwalt ist eine große Hilfe, auch die Linkspartei in der Gegend kennt das Problem und hilft uns, Öffentlichkeit zu haben. Teilweise bekommen wir auch Unterstützung vom Mieterverein, der ist zwar nicht optimal, aber besser als gar nichts. Und jetzt hoffentlich auch von anderen MieterInnen, die von Verdrängung betroffen sind.

FA!: Gibt es eine Betroffenen-Vernetzung (über euer Haus hinaus)? Was versprecht ihr euch davon?

Wir fangen gerade damit an, Treffen einiger betroffener Häuser aus Leipzig zu organisieren, die regelmäßig stattfinden sollen. Da es bisher nur ein Treffen gab, kann man dazu wenig sagen, außer dass es ein Interesse gibt und der Austausch allein schon für das Gefühl wichtig ist, nicht allein zu sein. Im Moment sind ca. zehn Wohnhäuser und eine ganze Reihe von EinzelmieterInnen dabei.

FA!: Was wünscht ihr euch?

Dass wir in „unserem“ Haus zu vernünftigen Mieten weiter wohnen können. Wäre schön, wenn es eine Heizung gäbe, auch wenn wir dann etwas mehr bezahlen müssten. Und weiter, dass sich die Menschen in der Stadt nicht mehr so einfach vertreiben lassen, wie das z.B. mit unseren ehemaligen Nachbarn der Fall war. Und alle sollten darüber nachdenken, ob sie die Häuser, in denen sie wohnen, nicht selber erwerben und so dem Wohnungsmarkt entziehen. Dazu gäbe es eine Menge zu sagen. Und das ist gar nicht so schwer wie es scheint.

FA!: Wie kann man euch unterstützen?

Wir werden demnächst Veranstaltungen organisieren, da könnt ihr hinkommen und euch beteiligen. Sicher gibt es in absehbarer Zeit auch Aktionen in der Öffentlichkeit. Viele der Handlungen der VermieterInnen geschehen ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wir wollen das etwas ändern.

FA!: Was ratet ihr Leuten in ähnlichen Situationen?

Wichtig ist, sich sehr zeitig zu kümmern und nicht zu warten bis die Kündigung auf dem Tisch liegt. Dazu gibt es zum Beispiel in Leipzig die Initiative „Stadt für Alle“. Die können dann weitere Hilfe vermitteln oder selbst helfen. Oder an den Mieterverein Leipzig wenden. Oder an uns und wir helfen Euch weiter.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

Kontakt zu „Stadt für Alle“:
leipzig@fueralle.org

Lokales

Der gemeine Deutsche

Erfahrungsbericht: Versammlung zur Unterbringung von Asylbewerber_innen

Stellen Sie sich vor, Sie fliehen aus einem Land auf der Suche nach neuen Perspektiven, aber wo Sie ankommen, warten eine Sammelunterkunft, Arbeitsverbot, Kontrolle der Privatsphäre und ständige Angst vor der Abschiebung zurück in das, wovor Sie geflohen sind.“

Allein das ist, wenn man so darüber nachdenkt, schon mehr als unmenschlich. Doch was ich im Folgenden beschrieben werde, übersteigt sogar meine bisherige Vorstellungskraft. In Rackwitz, bei Leipzig, soll ein Asylbewerber_innenheim entstehen und eben das stand am 29.08.2013 auf der Tagesordnung einer Bürger_innenversammlung. Etwa 180 Asylbewerber_innen sollen im Landkreis Nordsachsen, genauer gesagt im ehemaligen Lehrlingswohnheim, welches schon seit Jahren leer steht, bis Ende des Jahres 2013 untergebracht werden, und das gefällt vielen Rackwitzer_innen so gar nicht.

Rackwitz – 29.08.2013. Zu viert kamen wir an. Wir befürchteten schon ein wenig, das Rathaus nicht zu finden, aber als wir von Ferne eine Menschentraube sahen, war uns klar, wo unsere Reise hinführt. Und der Schein betrog uns nicht. Das Rathaus war bereits voll – ab und an hörte man von draußen laute Rufe und Gejubel durch die offenen Fenster. Was waren das für Leute? Einige standen in ihren Arbeitssachen dort, die meisten sahen eher unscheinbar, bürgerlich aus. Die Leute unten waren eher angespannt und sichtlich unzufrieden, dass sie nicht mit rein konnten. Ein ganz Engagierter rief dann aus dem Fenster des Rathauses, dass die Sitzung in der größeren Sporthalle weitergeführt werde. Also hieß das auch für uns – hin da, mit all den guten Deutschen.

Das Gefühl, das mich bewegte, als wir so vor der Turnhalle standen, lässt sich schwer beschreiben. Unbehagen trifft es am ehesten, immerhin wurden wir schon mehrmals fotografiert und mit Misstrauen beobachtet, aber wir wussten auch, dass wir es uns nicht so anmerken lassen dürfen… „die merken das“, da wir irgendwie nicht in die allgemeine Stimmung „der Hetze“ passten.

Als sich die Sporthalle füllte, manifestierte sich in mir dieses schon beschriebene Unbehagen, da nun alle nicht draußen ausgebreitet dastanden, sondern fast Schulter an Schulter in einer Halle waren.

Michael Czupalla (CDU) beginnt zu sprechen – leichte Worte – nur Fakten. Selbst das ist schon zu viel. Der deutsche Mob brüllt aus Leibeskräften: „Das interessiert uns nicht!“, „Unsere Kinder!“ und ähnliches. Er versucht es weiterhin, aber die Leute scheint das nicht im geringsten zu interessieren. Sie verneinen alles. Schreien „Lüge! Lüge! Lüge!“ usw.

Es folgt ein Hitlergruß.

Weder Polizei (gerade mal ein Polizist ist vor Ort) noch anwesende Politiker_innen sagen etwas dagegen. Stattdessen die Bitte des Politikers einmal ausreden zu dürfen. Das Zuhören fällt immer schwerer. Der Kreis um ihn verdichtet sich.

„Du Ochse“, ist aus dem Publikum zu hören.

„Dann brennen eben 200!“

Czupalla wird ein NPD Plakat überreicht. Greller Jubel – die Halle bebt. Ich fühle mich irgendwo zwischen Unverständniss, Ekel, Angst,…

„Demokraten raus!“, erklingt es aus der jubelnden Meute und erntet noch mehr Applaus.

Es folgt eine Rede von Christoph Wieland (NPD), wobei ich interessant finde, dass die NPD nicht einmal direkt erwähnt wird. Das schwimmt immer zwischen den Zeilen. Wieland wird fröhlich aufgenommen, und als er meint, dass angeblich bereits 1.232 Unterschriften gegen das Heim gesammelt wurden, freut sich der deutsche Mob wieder.

Dann ist es soweit – es musste ja so kommen. Der beliebte Spruch „Wir sind das Volk“, hallt durch die Halle. „Menschenrechte?“, und direkt danach „Wir haben auch Rechte!“ So war die Antwort, als Czupalla versuchte zu erklären, warum Flüchtende ein Recht auf Asyl haben.

Ob den Leuten bewusst war, welche Ironie in dieser Aussage steckt? Ich weiß es nicht, bezweifle es aber. Just in dem Moment fällt mir die starke Bedrängung Czupallas auf. Wo er anfangs noch ausreichend Platz hatte und eine Wand hinter sich, war er nun komplett von bürgerlichen Rassisten umringt. Die aufgebrachte Stimmung wird immer mehr zum Bedrohungszenario.

Der Mob tobt.

Es ist die Rede davon, die Montagsdemo wieder einzuführen.

Das Letzte, was wir dann noch klar verstehen können, ist – „Na ihr wisst ja, was ihr zu wählen habt.“

Dann verkommt es zu einem dauerhaften Gebrabbel mit vereinzeltem Applaus. So verlassen wir dann mit bitterem Nachgeschmack diese Turnhalle.

R!

Lokales

Warnung, Warnung: Zweite Runde Compact-Konferenz

Offensichtlich ist nach der ersten überflüssigen Compact-Konferenz auch gleich vor dem nächsten Propaganda-Treffen. Nur diesmal hier vor Ort, in Leipzig. Unter dem debilen Titel „Werden Europas Völker abgeschafft? Familienfeindlichkeit, Geburtenabsturz und sexuelle Umerziehung“ treffen am 23. November diesen Jahres Thilo Sarrazin, die Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman und der Buchautor Peter Scholl-Latour aufeinander, um Wege aus der Misere zu finden, die Deutschlands und Europas desolate Familienpolitik hinterlassen. Bereits im Vorfeld wird aber deutlich, dass der Titel der Konferenz eine Mogelpackung ist und das illustere Beisammensein stattfindet, um sich in Hetztiraden gegen Homo-Ehen auszulassen und eine Deutschland-Untergangsstimmung zu generieren.

Perfekt dazu ins Bild passen auch die besonderen Gäste, die dem Treffen neben der agitatorischen Bereicherung auch einen internationalen Glanz geben. Zum einen Béatrice Bourges, eine der Kernfiguren gegen die „Ehe für Alle“ in Frankreich, die immer wieder betont, dass Homosexualität das gesellschaftliche Fundament auslösche. Und dann sind auch Vertretende der Staatsduma mit von der Partie, die per Gesetz den Hass auf Homosexuelle in Russland schüren. Also alle, die es sich nicht leisten können, aus Protest ein 400 Euro teures VIP-Ticket zu kaufen, um Thilo und Co backstage bloßzustellen, denen bleibt es, am 30. September um 20 Uhr in der Rosalinde mit Gleichgesinnten ein Bündnis ins Leben zu rufen, dass dem homophoben Menschenhass der selbsternannten Geburten- und Integrationsfachfrauen und -männer Protest entgegensetzen wird.

mona d.

Kommentar

Editorial FA! #49

Für Euch vielleicht das erste, für uns diesmal das allerletzte: Das obligatorische Editorial. Von Magen-Darm-Infekten und anderen unschönen Unwägbarkeiten des Lebens gestraft sitzt die einköpfig verbliebene Restredaktion nun vor dem fast fertigen Heft und saugt sich mit letzter Kraft diese Zeilen aus den wunden Fingern. Was hat uns dieses Heft schon wieder an Mühe bereitet, aber auch an ebensolcher Freude.

Wir haben unsere sommerlichen Demoerlebnisse dokumentiert, waren unter gemeinen Deutschen, gewannen wieder neue Schreiberlinge, die bspw. aus Kosovo berichten, bauten unsere Fußball-Sparte aus und ließen auch die Theorie & Praxis nicht zu kurz kommen. Ein – vergleichsweise – schmales Heft ist es geworden, die #49. Der Anlauf, den wir für die große Jubiläumsnummer #50 nehmen, macht sich schon bemerkbar. Und so wünschen wir Euch bis dahin eine angenehme Lektüre und nutzt die Wartezeit, pflegt Eure Zimmerpflanzen und backt Euren Nachbarn mal wieder einen Apfelkuchen!

Eure Feierabend!-Restredax