Archiv der Kategorie: Feierabend! #18

CULDT-Camp 2005 in L.E.

Wenn mensch den Schienen der LVB Richtung Plagwitz folgt, die Karl-Heine-Straße bis zum alten Bahnhof hoch läuft und dann in einem kühnen Schwenk auf das Gelände eines Schrotthändlers mit of­fen­sichtlich guten Kontakten zum Ge­richts­vollzieher biegt, dann steht mensch direkt vor zwei lang gezogenen Zollschup­pen, die nur dem ungeübten Auge verlassen an­mu­ten. Zweifelsfrei wegen der komple­xen Eigentumslage und dem hohen Sanie­rungs­aufwand wartet diese Bahnbrache auf wahlweise Steuerabschreibung oder Abriß. Und doch verbirgt sich hinter dieser schnö­den Fassade einiges Leben. Eine kleine Werk­statt und ein schmaler Strom Gäste. Der­zeit verhandeln Aktive des Feinkost-Ge­ländes und einige andere lose wegen einer Nutzungsübernahme. Die Hürden sind zahlreich und der Ausgang noch offen …

Auf dem hinteren Teil dieses Geländes schlug nun das CULDT-Camp 2005 vom 30. April bis 8. Mai seine Zelte auf. Zwar wurde der für sich tote Raum nicht einfach an­ge­eignet, wie einige Überlegungen anreg­ten, aber dann waren alle doch froh, als nach vielen Unwägbarkeiten ein Nutzungsver­trag für die Camp-Woche vorlag. Der war nämlich bis fast ganz zuletzt vakant gewe­sen, und um alternative Örtlichkeiten hatte sich die Vorbereitungsgruppe nur spora­disch gekümmert. Letztlich hatten alle zu­sam­men den ungeheuren Aufwand unter­schätzt, den die Selbstorganisation des Camps, inhaltlich und logistisch, für jeden und jede Einzelne bedeutete, und ein Plan B war wegen der allgemeinen Beanspru­chung gar nicht erst ersonnen worden.

Aber die unsichere Lage bezüglich des Geländes war nicht die einzige Belastungs­probe, die das Grüppchen in der Vorberei­tungs­phase bedrückte. Viele hatten sich vor allen Dingen die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Projekten in Leipzig anders vorgestellt. Aber außer einigen Plenabesu­chen von Seiten der Vorbereitungsgruppe war meistens nicht viel mehr herausgekom­men. Es wurde im Nachhinein besonders das Klima der Ignoranz gegenüber der CULDT-CAMP-Initiative beklagt – ein Ge­fühl der Abwesenheit von Solidarität, was wohl nicht nur an der Haltung der Pro­jekte gelegen hatte, sondern auch an einigen Ver­mitt­lungsproblemen, wie hinterher einge­standen wurde. Erschwe­rend hinzu kamen Differenzen zum Orga­ni­sationsteam des Camps 2004, das via schrift­licher Erklärung eine Stellungnahme zur Duldung des Traum­schulprojektes er­zwingen wollte und sich schließlich gänz­lich von dem Camp in Leipzig distanzierte (1).

Ein weiterer Ernstfall war die Auseinander­setzung mit dem Packpapier-Verlag. Nach­dem die Vorbereitungsgruppe von einem vor­geschlagenen Vortrag Hermann Kropps Abstand nahm und das mit inhaltlichen Dif­feren­zen und Kritik an der verschwö­rungs­theo­retischen Weltsicht Kropps be­grün­dete, fühlte dieser sich darin nur be­stärkt und vor den Kopf gestoßen, antwor­tete mit wilden Beschuldigungen und Ver­dre­hungen. Mit diesem Zustand war keiner der InitiatorInnen zufrieden, eine inhalt­liche Auseinandersetzung wird derzeit über den Postverkehr angestrengt.

Unabhängig von solchen aufreibenden Konfrontationen war die Mobilisierung in Leipzig selbst eher oberflächlich geblieben und so kam wirkungsvolle Unterstützung nur aus dem Wohnprojekt „Similde“, den Wa­genplätzen und der Gieszerstraße 16, ohne die das Camp wohl auch ernsthaft ge­fähr­det gewesen wäre. Obwohl oder gerade weil das Hauptaugenmerk auf der bundes­weiten Mobilisierung gelegen hatte, konnte keiner die Enttäuschung verbergen, als am Startwochenende klar wurde, daß nur ver­ein­zelt Leute aus Berlin, Hamburg, Mün­chen, Dresden oder auch Osnabrück und Marburg den Weg nach Leipzig und zum CULDT-CAMP fanden. Dabei bot die ausgestreckte Halle des Zollschuppens, das an­schließende Gelände und die aufgebaute Infrastruktur Platz für hunderte Camp-Wil­lige. Dementsprechend war auch die Stim­mung bis auf die Abende etwas surreal. Mensch konnte über das riesige Gelände streu­nen und traf nur vereinzelt auf kleine Grüpp­chen und andere Einsame, die sich mit der gleichen Idee herumtrieben.

Trotz dieser grassierenden Ferienlagerstim­mung, die das Camp nie ganz los wurde, gab es doch auch einige beachtliche Bestre­bungen, die politische Bildung in Theorie und Praxis zu vertiefen, und die angereisten AktivistInnen intensiver miteinander zu vernetzen. Dazu gehörten u.a. Seminare zu linker Theorie & Praxis, Er­ziehungskritik, Gesellschaftskritik, Anar­chismus und Anti­semitismus, zu Liebe, Sex und Geschlechter­konstruktionen, Vorträge etwa zum G8-Gipfel, Berichte von vergan­genen Aktionen, diverse Workshops, Film­vor­führungen und letztlich auch die Beteili­gung an den beiden Demonstrationen am 01.Mai und 08.05 (GSO). In den Nächten wurde selbst­verständlich auch eine Menge gefeiert und gejamt, zum Bergfest eine der berüch­tig­ten K-60-Parties veranstaltet. Als am Ende der Woche die Abreise ins Haus stand, war so kaum noch Luft, den Abschluß des Camps gebührend zu begießen.

Stark beklagt wurde, daß durch die logis­tische und organisatorische Beanspruchung für die meisten aus der Vorbereitungsgruppe kaum Zeit blieb, sich an den verschiedenen Workshops und Seminaren mit freiem Kopf zu beteiligen. Ein Umstand, der bei einer zu­künf­tigen Organisierung von derartigen Camps aber auch allgemein unbedingt reflektiert werden sollte. Schließlich steht der Status einer selbstorganisierten Initiative grundsätzlich in Zweifel, wenn es nicht ge­lingt, die Lücke zwischen Vorbereitungs­gruppe und TeilnehmerInnen zu schließen und die Vorbereitungsgruppe auf der Posi­tion des Veranstalters verbleibt, die Teilneh­mer­Innen letztlich nur anspruchsvolle Kon­su­mentInnen sind. Hier besteht eine Menge an Nachholbedarf und weder Regelwahn noch Ple­na-Feindlichkeit sind besonders kon­struk­tiv, wenn es darum geht, sich gemein­sam zu organisieren und ein Treffen wie das CULDT-CAMP erfolgreich zu gestal­ten. Organisierung heißt schließlich, sich die Mittel an die Hand zu nehmen, um un­ter Berücksichtung der indivi­duellen Gestal­tungs- und Partizipations­bedürf­nisse gemeinsame Ziele zu stecken, zu verfolgen und wenn möglich auch zu er­reichen. Verantwortungsübernahme und -vertei­lung ist hierbei ebenso nötig und wichtig, wie gemeinsamer Interessensaus­tausch und flache, einsehbare Strukturen. Allein der triviale Fakt, daß die verschie­denen Workshops und Seminare im Vor­feld terminlich schlecht abgesprochen und nicht veröffentlicht waren, hat den Zulauf und letztlich auch die Partizipations­möglich­keiten etwaiger BesucherInnen enorm behindert.

So hat der Anspruch der Vorbereitung und die damit verbundene, riesige Kraftan­strengung am Ende doch viele enttäuschte Erwartungen zurückgelassen. Bedingt durch die internen Organisationsdefizite, durch die mangelnde Solidarität von außen und der weitestgehend ins Leere gelaufenen Mobilisierung konnten inner­halb der Campwoche keine größeren Aktionen geplant und umgesetzt werden, da war auch ein kurzer Rathausbesuch und Smalltalk mit Arbeits- und Wirtschafts­minister Clement keine Initialzündung. Dem­ent­sprechend war die ausgeglichene Kasse am Ende nur ein kleines Trostpflas­ter und rechtfertigte den minimalen Un­kos­ten­beitrag von 2 Euro (täglich auf Spen­denbasis) im Nachhinein.

Erfahrungen dagegen wurden individuell und kollektiv im großen Umfang gesam­melt und sollen noch in einem Reader gebündelt der nächsten Vorbereitungs­grup­pe übergeben werden. Auf der eingerichteten Homepage (www.culdt. de.vu) kann mensch sich derweil an einer kontinuierlichen Fortschreibung der CULDT-CAMP-Initiative beteiligen. Ein Open-Source-Forum bietet Raum für Diskussionen, Anregungen und Kritik. Geplant ist das nächste Camp vorläufig für den Sommer 2006 in Berlin (Kesselberg). Allerdings wird bis dahin noch einiges an Aufarbeitung und Vorbereitung nötig sein und ganz sicher wird in Berlin jetzt schon auf jeden helfenden Arm gehofft. Also, Augen auf und angepackt, so sicher wie der Sommer die Sonne bringt, so sicher entstehen selbstorganisierte Camps mit politischem Anspruch nicht von selbst.

clov

(1) Beim CULDT-CAMP 2004 wurde das Traum­schul­projekt mit der Begründung ausgeschlossen, Pädophilie einen „argumen­tativen Raum“ zu bieten. Nach einer frucht­baren und konstruktiven Ausein­andersetzung mit den Aktiven, konnte dieser Vorwurf aus der Perspektive des Vorbereitungs­gruppe 2005 nicht erhärtet werden.

Lokales

Polen: Zuckersüße Anarchisten

Am 12. Juni fand in Warschau die alljährliche Gay-Parade statt – wie 2004 sind die homosexuellen AktivistInnen da­bei aber auch 2005 auf Probleme gestos­sen. Der Bürgermeister und sein Stell­ver­tre­ter, Kaczynski und Urbanski, hatten die Demonstration im vergangenen Jahr ver­bo­ten, die vor ihrer Amtszeit ohne Zwi­schen­fälle stattgefunden hatte. Sie rück­ten auch jüngst nicht von ihrer blind­wü­ti­gen Schwulenfeindlichkeit ab und be­zeich­­­neten Homosexuelle als „Unkraut“ und „krankhafte Abnormalität“.

Dem Aufruf folgten, nach Angaben der Anarchistischen Föderation (FA), trotz staatlichen Verbots etwa 2.500 Men­schen. Die Demo hatte sich außer­dem immer wieder mit Blockadeversuchen und Angriffen angereister Faschisten auseinan­der­zusetzen. Neben Eiern, warfen Anhän­ger der Jugendorganisation der Pol­ni­schen Familienliga auch einige Steine, so dass zwei Frauen ins Kranken­haus mussten.

Nach der Gay-Parade tauchte Urbans­ki auf dem Platz auf, und bekam von subversiven Mili­tan­ten der FA eine Sahnetorte ins Ge­sicht (Pie-smashing). Zwei Anarchisten wur­den verhaftet, aber noch am selben Tag wie­der frei­gelassen. In einer Presse­erklä­rung riefen sie die Tortenwerfer aller Welt auf, Kaczynski & Konsorten überall auf die­se „süße“ Weise zu grüßen.

A.E./a.infos

Nachbarn

Kein Status – Hilfe zu spät

Der 26jähriger Iraner, Mojtaba, dessen Asylantrag abgelehnt wurde und der nun unter dem Status „geduldet“ (1) in Leipzig lebt, liegt jetzt ohne Herz – künstlich von einer Maschine am Leben erhalten – im Herzklinikum zu Leipzig.

Er ist einer der vielen Asylanten, die aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage und des Fehlens einer Arbeits­erlaubnis gezwungen sind, für wenige Euro (15 bis 20) jede Nacht von 3 bis 9 Uhr Bild zu verkaufen.

Aufgrund dieser Tätigkeit, die er bei jedem Wetter ausführen musste, war er regel­mässig erkältet. Vor ein paar Wochen wandte er sich wegen einer starken Hals- und Rachenentzündung an einen Allge­mein­arzt und bekam ein paar Medika­mente. Nach ungefähr zehn Tagen, nachdem er ein starkes Schwäche­gefühl verspürt und sich ständig hatte übergeben müssen, wurde er für zwei Wochen ins Bettenhaus der Uni-Klinik eingewiesen. Während dieses Aufenthalts konnte er nichts essen und wurde küns­tlich ernährt. Nach 14 Tagen wurde er, obwohl er immer noch sehr schwach war und sich nur von Suppen ernähren konnte, entlassen. Die Ärzte waren der Auf­fassung, dass er sich ab jetzt zuhause erholen sollte.

Nach ein paar Tagen brachten ihn seine Freunde zum Allgemeinarzt und baten darum, Mojtaba wieder einzu­weisen, da er sogar Flüssigkeiten nicht bei sich behielt und schwer atmen konnte. Das wurde jedoch nicht akzeptiert und ihm empfoh­len, nach Hause zu gehen, die Medika­mente weiterzunehmen, sich auszuruhen und nach einer Woche wieder­zu­kommen. Nachdem er und seine Freunde dagegen protestierten, wurde er doch eingewiesen.

Die Ärzte untersuchten lediglich sein Blut und verschrieben ihm Medikamente gegen die Entzündungen, die sich mittler­weile in seinem ganzen Körper ausgebrei­tet hatten. Sie versäumten es aber, sein Herz zu untersuchen, obwohl er über Brust­schmerzen und starke Atemnot klagte. Als die verordneten Medi­kamente nicht anschlugen und seine Lage immer akuter wurde, mussten sie fest­stellen, dass auch sein Herz von der Entzündung stark betroffen war und schickten ihn in die Notfallaufnahme des Uniklinikums.

Dort fiel er ins Koma und kam auf die Intensivstation. Man stellte fest, dass sein Herz operiert werden musste. Trotz der kritischen gesundheitlichen Lage wurde er erst nach 6 Tagen ins Herzklinikum überwiesen. Erst als Mojtaba fast im Sterben lag, entschieden sich die Ärzte ihn zu operieren und sein Herz zu entfernen.

Seitdem wartet Mojtaba auf ein neues Spenderherz. Doch seine Chancen stehen schlecht, denn Spenderherzen sind rar und teuer. Erst recht für geduldete ausländische Sozialhilfeempfänger.

Seine Eltern im Iran versuchen jetzt ein Visum für die Einreise nach Deutschland zu bekommen, um ihren Sohn vielleicht ein letztes Mal sehen zu können.

Die Informationen stammen von Freun­den Mojtabas. Es sei betont, dass die Ärzte Mojtabas Aussagen als Übertreibung aufgefasst und erst gehandelt haben, nachdem die Kostenfrage mit ent­spre­chenden Ämtern geklärt war.

AM

(1) Eine Duldung wird erteilt, wenn der Asyl­antrag abgelehnt wird. Damit hat man Anspruch auf monatlich 20 EUR Taschengeld und einen Wohn­heimplatz, hat aber keine Arbeiterlaubnis, ist nicht krankenversichert und unterliegt der Residenz­pflicht, was ein „normales“ Leben sehr erschwert.

Lokales

Hacia La Esparanza

Richtung Hoffnung

Am 28. Mai veranstaltete die Gruppe L.U.S.T. in der Gießerstrasse einen Chiapas-So­li-Abend, an dem u.a. ein Vortrag der Gruppe B.A.S.T.A. aus Münster über die dortige Situation informierte. Die eingenommen Spenden von ca. 200 Euro gehen an Bür­ger­kriegs­flücht­linge im autonomen zapatistischen Landkreis Polhó, die nicht mehr vom Roten Kreuz­ versorgt werden, aber auch nicht auf ihre Felder zurück können. Das In­terview wurde im Anschluss per E-mail geführt und gibt die persönlichen Antworten ei­nes B.A.S.T.A.-Aktivisten wieder.

FA!: 10 Jahre Gruppe B.A.S.T.A. – Wo seid ihr heute sicher und wo nicht?

Luz: Wir sind uns bei vielen Dingen über­haupt nicht sicher – wir haben mehr Fragen als Antworten… Wo es so etwas wie „Sich­er­­heiten“ gibt, das sind die Sachen, die wir ab­lehnen. Das umfasst alle Formen von Aus­beutung, Ausgrenzung, Bevor­mun­dung und Unterdrückung. Leicht ge­sagt, aber wir maßen uns nicht an, für an­dere zu sprechen und ihnen sagen zu kön­nen, was gut für sie ist. (..) Als wir uns vor 10 Jah­ren gegründet haben, um gemein­sam ein Hinter­grund­wissen zum Aufstand der Za­patistas in Chiapas/Mexiko zu er­ar­beiten, kamen wir alle schon aus außer­par­­lamentarischen linken Kreisen: Auto­no­­me, Punks, PazifistInnen und Umwelt­be­­wegte. Wir hatten von Anfang an einen pro-feministischen und libertären An­spruch, der uns viel bedeutet – ob wir das er­­reichen, ist natürlich fraglich(..) Unsere Ar­beit in den 10 Jahren besteht aus zwei Säu­len: einerseits die konkrete Unter­stüt­z­ung der zapatistischen Rebellion in Chia­pas gegen Ausbeutung, Marginali­sierung und Gewalt. Viel wichtiger ist uns da­bei aller­dings die Tatsache, dass die Com­pa­ñe­ras und Compañeros für etwas kämp­fen: für eine Welt, in der viele Welten Platz ha­­ben, wie sie es sagen. (..)

In der Praxis fahren wir u.a. als Menschen­rechts­­beobachterInnen nach Chiapas. Dies war 1997 eine Idee der von Mili­tari­sie­rung und Aufstandsbekämpfung betrof­fen­en Gemeinden, keine Initiative von „wohl­tä­tigen“ Menschen aus der ersten Welt. (..) Außerdem schreiben wir Be­richte, sam­meln Spenden und organisieren Pro­test­ak­tionen, die z.B. auf unserer Home­page doku­mentiert werden. Die zwei­­te Säule um­fasst Wider­standsaktionen hier. Denn schon 1994 äußerte die EZLN, dass die best­mögliche Solidarität der Kampf gegen jede Unter­drückung im eigenen Umfeld sei. Das Kon­zept, das die EZLN sicher nicht er­funden, sondern vielleicht aus­ge­weitet hat, be­deutet also, dass es keine Hier­­archi­sierung zwischen den verschie­den­en emanzi­patorischen Kämpfen gibt: der Gueril­lero im Dritt­welt­land ist also nicht „coo­ler“ als die Haus­frau, die sich ge­gen ihre Scheiß­situation wehrt, oder als der Schwule, der kei­nen Bock mehr auf Dis­kriminierung hat. (..)

FA!: Wie wird in Mexiko versucht, neoli­beralen Interessen und Projekten, wie dem Plan Puebla Panamá (PPP), ent­ge­gen zu wirken?

Luz: Der Widerstand basiert auf regionalen (und einem supranationalen) Netzwerken ver­­­schiedener Gruppen, die ganz klar gegen die neoliberalen Zumutungen sind und sich zum Teil auf einem hohen organisa­to­­­rischen Niveau bewegen, d.h. sie richten sich im Alltag dagegen. Zunächst einmal ver­­­suchen diejenigen, die Zugang zu Infor­ma­­tionen und Medien haben, eine kri­tische Gegen­öffentlichkeit aufzubauen. Das übernehmen oft linke Organisationen, bei ­denen auch Studierte teilnehmen. (..)

Doch oft müssen gerade die Menschen in den ländlichen Gemeinden die alltägliche Si­­tuation ertragen. Sie organisieren Bloc­kaden, verweigern „Hilfslieferungen“ und „Ent­­wicklungsprojekte“, sie besetzen Län­der­eien, sie demonstrieren, sie machen Fie­stas. Von krassen Sabotage-Aktionen muss­­ten sie bisher keinen Gebrauch mach­en. (..) Was es durchaus gab, war die Lahm­le­gung oder das Zurückbringen von Bag­gern und anderen Baumaschinen, die Zer­stör­ung bedeuten. Parallel dazu wird eine mas­si­ve Öffent­lichkeitsarbeit nach „auß­en“ betrieben, auch international. (..) Die EZLN selbst hat gesagt, dass die Reali­sie­rung des PPP in ihren Einflusszonen für die Herrschenden einem „Gang durch die Höl­­le“ gleichkommen würde. Bisher ha­ben sie meist Wort ge­halten…

Nichts­destotrotz wird der PPP weiter vor­an­­getrieben, teilweise agieren die Regie­rungen sehr geschickt und verschleiern die ein­­zelnen Teilprojekte, wie z.B. Elektri­fi­zie­rung und Straßenbau als lokale, gut ge­mei­nte Hilfsmaßnahmen. Insgesamt geht es beim PPP aber darum, Südmexiko und Zen­tral­amerika weiter für einen radi­kalen Kapi­ta­lismus zu erschließen und die Re­gionen aus­beutbar zu machen, die bisher nur schwer zu­gänglich waren. Es wird Stau­däm­me, Billig­lohnfabriken, kos­ten­pflichtige Privat­straßen, industrielle Gar­ne­lenzucht und Mo­no­kulturen geben, was zu massiver Um­welt­zer­störung und zu Auf­­lösungs­er­schei­nungen in den indigenen und länd­lichen Gemeinden führen wird. Die Bevöl­kerungsmehrheit wird haupt­­säch­lich Nach­teile erfahren, daher geht ihr Wi­­derstand weiter.

FA!: Was kannst du zu den Na­tiona­lis­mus-, bzw. Militarismus-Vorwürfen ge­gen die Zapatistas sagen?

Luz: Beim Hören des Namens „Zapa­ti­s­ti­sche Armee zur nationalen Befreiung“ wer­­den wir in Europa, besonders in Deut­sch­land, zu Recht hellhörig. Allerdings kann mensch den Begriff „national“ nicht ein­­fach von „hier“ nach „dort“ übersetzen. Die europäischen Staaten haben eine im­peria­listische Ge­schichte, Mexiko und viele an­­dere eine kolonialistische. (..) Das Land hat meist Territorium verloren und im mi­li­­tärischen Sinne keinen aggressiv-expan­siven Na­tionalismus ausgeübt. Der mexi­kanische Staat hat aber stets ein natio­na­listisches „Gebräu“ benutzt, um eine schein­­bare „Einheit“ aller MexikanerInnen zwi­schen allen Klassen und „inneren“ Gren­­zen zu manifestieren, obwohl er gleich­zeitig die Armen, Indígenas, Frauen, Homo­sexuellen und „Anderen“ ausge­schlos­sen hat. (..)

Die Zapa­tistas als größte antirassistische Be­­wegung Mexikos haben mit ihrem „Na­­tionalismus“ zunächst einmal auf eine In­k­lusion beharrt. „Wir“ kennen Na­tio­nalismus immer nur als ausschließend. Die za­patistische Bewegung besteht zu über 90 Pro­zent aus Indígenas ver­schie­dener Sprach­gruppen. Sie waren immer die Al­ler­­letzten auf der Agenda des Staates und ver­­langen nun eine Einbeziehung unter Res­­pektierung ihrer Unterschiede. Sie for­dern übrigens die Respektierung aller Mar­gi­­nalisierten!

Sie schlagen die Selbstorganisation der Men­­schen in allen Bereichen vor: Fami­lien, Straßenzüge, Stadtteile, Betriebe, Fab­ri­ken, Schulen, Universitäten, Land­wirt­schaft etc. Dies würde im europäisch ver­steh­­baren Sinne eine Art Räterepublik er­ge­­ben – ein totaler Gegensatz zu einem her­köm­­­mlichen Nationalstaat. Das meinen sie ernst. Aber vor allem sagen sie: „wir ge­h­en erst los, wir wissen noch nicht ge­nau, was kommt, lasst uns gemeinsam se­hen!“ Für linke Euro­päerInnen ist der Be­zug der EZLN auf die Nation eine harte Nuss. Für uns auch! Aber im Vorschlag der EZLN würde die „Ver­teidigung der Na­­tion“ vor allem einige staatliche Kon­trol­lmöglichkeiten gegenüber dem globali­sier­­ten Markt bedeuten. Inner­halb des Staa­­tes würden wir, wenn es denn jemals so­­weit käme, eine nie gekannte Dezentrali­sie­r­ung und Demokratisierung – eben ein Rä­­te­system – vorfinden. Hier finden sich die inneren Widersprüche zwischen in­di­ge­nen Traditionen, anarchis­tisch-sozia­lis­ti­schen Konzepten und dem Be­zug auf den Staat. Von Anfang an haben die Za­pa­­tistas außer­dem global gedacht und schlagen eine „Internationale der Hof­f­nung“ vor, ein Netzwerk von autonomen Be­­wegungen, die sich global gleichbe­rechtigt und ohne Zentrale zusammen­schlie­ß­en, ohne ihre Eigenständigkeit zu ver­lieren. 1996 gab es ein Treffen mit über 3.000 Menschen aus rund 40 Staaten im Auf­standsgebiet. Darauf­hin entstanden vie­­le Bewegungen, viele zerstrittene linke Sek­ten haben danach erstmals wieder mit­ein­­ander geredet und sich z.T. neu or­ga­ni­siert. Zusammengefasst: im europäischen Sin­­ne ist die EZLN nicht nationalistisch.

Ei­­ne Anmerkung noch: der Begriff „pue­blo“, der hier mit „Volk“ übersetzt wird, be­­deutet dort eben nicht eine völkische Ein­­heit, die bei über 50 Sprach- und Kul­turgruppen eh absurd wäre, sondern be­zeichnet das ge­sell­schaf­t­liche Unten.

Zu Militarismus kann ich sagen, dass die EZLN auf Wunsch der Unter­stüt­z­ung­s­basen existiert, die seit Jahrzehnten unter ex­­tremer Gewalt leiden. Es gibt keinen Rechtsstaat, alle friedfertigen Aktivitäten wur­­den mit Mord und Folter beantwortet. Aus dem winzigen Kern städtischer Guerilla-Kader entstand dann in einem zehn­­jährigen Prozess diese besondere Or­ga­­nisation einer basis­demokratisch organi­sier­ten Guerilla. Inner­halb der Guerilla geht es natürlich militärisch zu. Es ist be­stim­mt kein „Spaß“, in der Truppe in­vo­l­viert zu sein, es gibt einen gewissen Drill wie in militärischen Orga­nisationen und das Leben in den Bergen ist hart und un­ge­­sund. Aber die Leute wollen es. Sie er­hal­­ten dort viel Bildung und der Grad an Gleichberechtigung zwischen Frauen und Män­­­nern ist dort höher als in den Dörfern. Die EZLN hat übrigens kaum Vorwürfe we­­gen Men­schen­rechts­ver­let­zungen er­hal­ten, nur im Januar 94, als Menschen vor ihr flüchteten. Die EZLN baut keine Dro­gen an und führt auch keine Zwangs­rekru­tier­­ungen durch. Im Mom­ent machen sie vor allem Radio, was sehr gut bei der Be­völ­­kerung, auch bei Nichtzapatistas, an­kommt. Natürlich sind militärische Ver­bände trotzdem immer äußerst kritisch zu be­­­obachten. Sie sagen jedoch: „Wir sind Sol­­daten, damit es eines Tages nicht mehr nö­­­tig ist, dass es Soldaten gibt“.

FA!: Inwiefern kann die zapatistische Be­we­gung auch als libertäre gesehen werden?

Luz: Libertäre Aspekte sind vor allem in der Organisation der Gemeinden zu fin­den: Wichtige Entscheidungen werden auf Voll­­versammlungen getroffen. Wer dort ei­ne Funktion innehat, kann jederzeit ab­ge­­setzt werden, wenn er oder sie die Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Betroffenen macht. D.h., dass Funktionen vor allem eine Last, ein Dienst an der Allgemeinheit sind und außer Respekt keine materiellen Pri­­vilegien mit sich bringen. Die zapatisti­schen Ge­meinden praktizieren über die Ge­­mein­deräte, die autonomen Landkreise und die fünf politisch-organisatorischen Zen­­­tren, die „caracoles“ (Schnecken­häu­ser), in denen die „Juntas (Räte) der Guten Re­­gier­ung“ arbeiten, eine reale Selbstver­wal­t­ung. Vor allem im Bereich der Bildung und der Gesundheitsversorgung haben sie be­­achtliche Fortschritte gemacht. Ein zweiter Punkt ist, dass sie die Macht nicht do­minieren wollen. Sie kämpfen für ei­ne ba­sisdemokratische Gesellschaft, in der sie nur Teil, aber nicht Avantgarde sind. Ein drit­ter Aspekt ist das Motto „pregun­tando cami­namos“, „fragend gehen wir vo­ran“.

Dies bedeutet, dass sie nicht sagen, „wir-ha­­ben-hier-eine-Bibel-von-unserem-Ober­guru, wenn-alle-die-lesen-und-befolgen-wird-die-Menschheit-glückselig-werden“, (..) d.h. die Praxis bestimmt die Theorie.

An­­dererseits gibt es viele Dinge, die nicht an­­archistisch sind: der Bezug auf die öko­no­mischen Regulationsaufgaben des Staates z.B. Selbstverständlich ist ihre Gue­ril­la, die seit Mitte Januar 1994 nicht mehr gekämpft hat, aber noch existiert, in­­tern keineswegs libertär. (..) Sie steht im Hin­­tergrund bereit, um die Gemeinden im Extremfall zu verteidigen und sie hat bis­­her immer die politischen Entschei­dun­gen der Dörfer respektiert. Auf Gemeinde­eb­ene halten wir die Frage der Gleich­be­rech­tigung von Frauen und Män­nern noch für unbedingt verbesser­ungs­würdig. Al­ler­dings sollte gesagt werden, dass die EZLN das ­selbst öffent­lich an­ge­prangert hat und stark an einer Ver­besserung arbeitet.

FA!: Was hast du aus deinen Erfahrungen in Mexiko für Widerstand und Emanzi­pa­tion hier gelernt?

Luz: Beeindruckend ist die Offenheit der Be­­wegungen und die Bereitschaft zur Zu­sammenarbeit mit der Bevölkerung. Wenn sie Flugblätter schreiben, sind sie viel besser ver­­ständlich als hier, vielmehr am Alltag der Menschen orientiert. (..) Vor allem die in­­digenen Organisationen sind stark ver­ankert. Vielleicht können wir von dort ler­nen, dass der Kampf um Emanzipation un­ser ganzes Leben dauert, wahrscheinlich mehr­ere Generationen. (..) Viele Leute, die in Europa die obercoolen Autonomen sind, sind nach fünf Jahren wieder weg und füh­ren ein völlig angepasstes Leben. (..)

Den­­noch finden wir längst nicht alles, was die Zapatistas machen oder sagen „super“, wir begleiten sie kritisch-solidarisch! Wir kön­­nen ihr Projekt nicht einfach nach hier über­­tragen, das wäre absurd.

clara

www.gruppe-basta.de
www.chiapas.ch
www.cafe-libertad.de

Nachbarn

Vorbei der Mai

„Auge um Auge macht alle blind“

Aber was war da eigentlich los am ersten Sonntag in der vermeint­lichen „Krawall­hauptstadt“ ? (1)

2500 z.T. gewalt­bereite Po­li­zis­tInnen gingen schi­ka­nös gegen 4000 Anti­faschistInnen vor, um ei­nem kleinen Wanderzirkus von offiziell ge­schätzten 800 Na­zis einen 6h kurzen Spaziergang von 500 Metern zu er­mög­lichen.

Menschen gegen Faschismus

Unausgeschlafen, aber z.T. gestärkt durch ei­nen dynamischen linken Block (bis zu 800 Teilnehmende) auf der traditionellen 1.Mai-Demo hatten sich Tausende ab um 12 am Hauptbahnhof eingefunden, den Na­zis keinen Fußbreit zu lassen. Wer Erfahrungen hat mit dem „nor­malen“ Ablauf einer „notwendig“ brutalen Räu­mungs­­aktion, kann vielleicht auch nach­voll­ziehen, wenn ir­gend­­wer dem nach 3h zuvor­kommen wollte. Die „Reaktion“ der Po­lizei auf die ersten Flaschenwürfe ist jedoch durch nichts zu rechtfertigen: Die Bloc­kade am Bahnhof wurde binnen Se­kun­den mit Tränengasgranaten und prü­gelnden Hundertschaften in panische Flucht verwandelt. Am Augustus­platz waren es die Entschlossenen, die dann die entscheidende Straßenseite bloc­kierten. Die angemeldete Sitzblockade der selbst­ernannten Friedlichen löste sich hin­ge­gen freiwillig auf, nachdem sie dazu auf­ge­fordert wurden. Nur Gesicht zeigen reicht aber nicht, es sei denn, mensch will sich das „Spektakel“ von weitem angucken. Bei großen Kon­zer­ten, wie am Vorabend unterm Völ­ker­schlacht­denk­­mal, passiert so was doch auch nicht. Dort ste­hen tausende Men­schen dicht an dicht, verzichten auf ihre Pri­vatsphä­re, damit alle sehen und hören. Das Risiko einer Massenpanik macht solche Zusam­men­­künf­te dann näm­lich auch nur sehr schwer angreifbar…

Exekutive

Noch am Bahnhof, bei einem anfäng­lichen Durchbruchversuch der Nazis, bzw. des nationalen, vermeintlich autonomen Schlägerblocks aus Berlin, wurde dieser le­dig­lich zurückgedrängt, obwohl dies nach po­lizeilicher Logik schon Grund genug war, die Nazis wieder nach Hause zu­schicken. Nein, am Augustusplatz wurde zwei mal hintereinander die eine Stras­senhälfte mit Wasserwerfern „gesäubert“, mit Pferden in Sitzende hin­ein­ge­ritten, wobei mehrere verletzt wur­den; ebenso, als viele Courage-Prakti­zie­rende (2) von der Strasse geprügelt wurden. Auch in der Süd­vor­stadt war ein massives, mobiles Polizei­auf­gebot in Habachtstellung, nicht aus­zu­den­ken, was passiert wäre, wenn Zeit und Kraft der Widerstehenden nicht aus­ge­reicht hätten – das antifaschistische Ziel des „kein Fußbreit“ sieht trotzdem anders aus. Warum dies nicht gelingen konnte? Der „Befehl von oben“ lautete, es den „linken Chaoten“ mal so richtig zu zeigen an diesem wie gesagt repräsentativen, also auch nationalen Feiertag, wie es der 3. Ok­tober ja auch ist, an dem im ver­gangenen Herbst eine überforderte Polizei und dezentrale Aktionen Unzähliger einen Nazi­mob von 300 Personen den ganzen Tag am Leuschnerplatz festhielten. Dazu ka­men und kommen die Spaltungs­ver­suche der antifaschistisch motivierten Men­schen in „militante“ und „friedliche“, durch Polizei (3), staatliche Öffentlichkeits­arbeit und andere oberflächliche Mei­nungs­macher­Innen. Im Kontext einer Po­li­tik der Ignoranz, Toleranz und sogar Ver­teidigung von gewalttätigen Nazis muss je­doch das situationsbedingte Abwägen zwischen Zwecken und Mitteln als un­trenn­bar von den Handlungsperspektiven kon­se­quenter Menschen gesehen wer­den, die ihre eigene Vorstellung von Gerech­tig­keit hier bewußt und zu Recht über die des Staates stellen. Auch mit Blick auf Ber­lin, wo hingegen am 8.Mai die NPD-Demo von der Polizei sehr schnell abge­blasen worden ist, drängt sich die Frage nach den Ursachen von Gewalt und Ausschrei­tungen erneut auf. Die ver­schie­de­nen Wi­der­standsformen, ob nun Sitz­bloc­kaden oder geworfene Steine, bleiben je­den­falls hauptsächlich in ihrer Symbolik wirk­sam, langfristige Chancen in diesem Kampf hat keine dieser Taktiken sondern nur Auf­klärung und Eman­zipation in der Ge­sellschaft. Die Sicherheit kann nicht ge­währ­leistet sein, solange Nazis marschieren und Bürger­Innen selbst die deutsche Ordnung illusionieren. Nie und nimmer.

clara

(1) titulierte die Bild am 2.05.2005.
(2) die sich z.T. mit Oberkörper und Kopf auf den Asphalt gelegt hatten.
(3) Das kurze Ablenkungsmanöver zur Nürn­ber­ger Strasse z.B. sollte zeigen, wer bereit ist, sich den Nazis überall und nicht bloß auf einer angemeldeten Veranstaltung ent­gegen­zu­stellen.

Lokales

Jena: „Wenn da nur Unrecht ist – dem Wahnsinn widerstehen“

Folgend sind Hintergründe und Berichte zu einem Volksfest der besonderen Art ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder formale Objektivität – vom Auge in die Tastatur – zusammengefasst.

No entry – nationalsozialistische Unkultur.

Dem Anmelder des „Fest der Völker“ (1) für den 11.06.05 auf dem Jenaer Marktplatz, Ralf „Notdung“ Wohlleben (Jenai­sche­str.25, Jena-Lobeda), NPD-Kreis­vor­sitzen­­der, selbsternannter Thüringer Hei­mat­schützer, bzw. gewalttätiger Neonazi, wurde sicher noch wohler, als er kurz vor der Angst doch noch einen Platz an der Jenaer Sonne für seine „Glat­zen­party“ zu­ge­sprochen be­kam. Ein Großevent war (zu­min­dest dieses) dann aber nicht, nur einer von 10 er­war­teten Nazis, also zwi­schen 400 und 800 Nazis durften für 6h auf einem Platz an der Au­tobahn bei Jena-Lo­be­da eine Ver­an­staltung mit 4 Na­zi-Bands, 4 Nazi-Rednern und einigen Nazi-Stän­den (oh­ne Ein­trittsgeld) ge­nies­sen. Da­von abhalten woll­te oder konnte sie nie­mand, da­zu weiter unten. Im Mo­bi­li­sierungs­text, der in 15 Spra­chen übersetzt, durch inter­na­tionale websites im In­ter­net ging, war zur Erklärung u.a. zu lesen, „dass je­der Mensch und jede Kultur ihren an­ge­stammten Platz in dieser Welt hat, dieser muss auch von jedem respektiert wer­den.“

Von den 9 angekündigten europäischen (2) Bands mit Namen wie Before the war (vor dem Krieg), Legion of Thor (Legion Thors, ei­nes Obergottes des Wikinger­stammes) und den un­säg­lichen Block 11 sind mind. 6 dem „Netzwerk mit einem hochgradig mi­litanten und terroristisch ambitionier­ten Potential“ (3) Blood and Ho­nour (BH) zu­zurechnen. In dem 11. Block im Stamm­lager bei Os­wiecim („KL Auschwitz I“), dem „Todes­block“, wurden unter an­de­ren ver­dächtigte oder „konspirativ tätig“ ge­we­­sene Häft­linge verhört und grausamst zu Tode gequält oder vor dem Block an der „Todes­mauer“ er­schossen.

Neben BH-Vertretern aus Ungarn, Schwe­den, England, Italien und den Nieder­lan­den sollten der (gerade aus knapp 3jähriger Haft entlassene) Eisenacher Obernazi Pat­rick Wieschke, der ´00 einen Spreng­stoff­an­schlag auf einen Dönerladen in Eise­nach verübte, und Frank Schwerdt auf dem Volksfest reden; auch der Bundes­ge­schäfts­führer und Thüringer Landes­vor­sitzende der NPD ist vorbestraft: aufgrund von Herstellung und Verbreitung von Ge­walt- und NS-Verherrlichung saß er zwi­schen ´98 und ´00 zweimal insgesamt 15 Mo­­nate ein. In durch ihn verbreiteten Lied­texten heißt es z.B., dass man „sich bes­ser fühlt“, wenn man „Bunte auf­klatscht“ und weiter: „Mitten im Gefecht hörst du auf zu denken, du willst nur noch tö­t­en, keiner kann dich lenken“. Wer ge­spielt und gesprochen hat, ist nicht be­kannt, von den Infoständen ganz zu schwei­gen.

Milch und Reue statt Blut und Ehre! Was war los?

Nach intensiver Mobilisierung und Auf­klärung durch die Jenaer Antifa entstand in Jena schon vor Wochen ein Klima, das sich mit „Alle gegen Nazis“ umschreiben lässt, wenn selbst der FDP-Oberbürger­meis­ter zum lippenbekennenden Anti­fa­schis­ten wird. Alternativ-Feste wurden an­ge­meldet, vom deutsch-französischen Bläser­chor über ein Studentensportfest bis zum obligatorischen Hardcore-Konzert. Diskussionen und bunter Konsens bil­deten sich, Widerstands-Strukturen wur­den organisiert. Anfang April fand im nahe ge­legenen Pößneck, wo „Wotan-Recke“ Jür­gen Rieger kürzlich eine weitere Nazi-Immobilie für ein Kameraden­schu­lungs­zen­trum erwarb, im übrigen ein von 1500 (!) Rechten besuchtes Konzert statt (5).

Ende April hatte die Stadt den Marktplatz für das Fest der Völker verboten, allerdings nur mit der wackeligen Begründung un­termauert, das Versammlungsrecht damit für eine Vergnügungsveranstaltung miss­brauchen zu wollen. Nach einer Ver­bots­bestätigung durch das Verwaltungsgericht Gera vom 31.Mai kam das Ober­ver­wal­tungs­gericht Weimar zum Zuge, da die NPD geklagt hatte. Am Tag vor dem „Fest“ hat es – wieder mal typisch – ein Treffen im Gericht mit Stadtverwaltung und Nazis gegeben, auf dem beschlossen wurde, die Veranstaltung zu ge­nehmigen, nur nicht auf dem Markt. Der Griesplatz in Jena-Ost war am 18. Februar (!) für eine Gedenk-Kundgebung (!) und zu­dem Anfang Juni als Startpunkt einer antifa­schistischen Demonstration ange­meldet worden. Durch Redebeiträge sollte an die sich in diesen Tagen jährenden Massaker der deutschen Wehrmacht und SS in Lidice (6) (Tschechien), Distomo (Griechen­land), Oradour-sur-Glane und Tulle (beide Frankreich), aber auch an den d-day (06.06.1944-Landung der Aliierten in der Normandie) erinnert werden. Statt dessen sollte also nun ein BH-Konzert am selben Ort sein und damit keine Kund­ge­bung und auch keine Demo. „Eine der Be­grün­dungen des Gerichtes [für die Ab­lehnung des eingelegten Widerspruches hier der Erstanmelder, die zum Treffen nicht ge­laden wurden] lautete, das nicht mehr zu erkennen wäre, wer Erstanmelder für den Platz war und es darüber hinaus eine Ver­ständigung über den Ausweichplatz ge­ge­ben hätte.“ (7) Schon das war ein Fanal.

Da die Aufbauarbeiten für 6 Uhr an­ge­kün­digt waren, versammelten sich ab 5 Uhr in der Früh um die 600 Leute, die bei­de Zufahrtswege entschieden bloc­kierten (sogar die hiesigen Parteipolitiker von Links bis Mitte standen vor den Sitz­blo­ckaden). Aber der Staat hatte mit­ge­dacht und einen Mann gesandt, das Ver­waltungsdezernat zu repräsentieren. Er ent­schied nach 3h gegen eine hässliche Räu­mung und für eine Umverlegung der Nazis, die noch nicht da waren, hinter das 8km entfernte Jena-Lobeda. Diese In­for­mation wurde jedoch nicht verlautbart, im Ge­gensatz zu vielem anderen Geschwätz. In die richtige Richtung ging es erst wieder mit einem ca. 4000 Menschen großen De­mo­zug um die Mittagszeit (größtenteils aus Antifa und oder Studierenden be­stehend). Nach Lobeda liefen dann noch mind. 3000 Menschen auf verschiedensten We­gen, ein großer Teil blieb jedoch bei einer Kundgebung am „braunen Haus“ in Alt­lobeda, NPD-Zentrale und Wohnung des Anmelders. Schätzungsweise 1km vor dem Nazifest ging dann für rund 500 Leute aber rein gar nichts mehr, Wasser­werfer und Hundertschaften standen be­reit. Gegen 16 Uhr löste sich jeder Wi­derstand in Nichtgefallen auf.

Am Abend rockten politisch korrekte Bands die Abgekämpften in den Schlaf. In Altlobeda sind 4 AntifaschistInnen ver­letzt worden, ein paar Naziautos fegten durch die Strassen und ein paar NPD-Auf­kle­ber wurden hier und da für eine Nacht an­gebracht. Die Jenenser Burschen­schaften veranstalteten nach ihren Stif­tungs­festen am Sonntag ab 11 Uhr Frühschoppen in der vielzitierten „guten Stube Jenas“ auf dem Marktplatz und konnten nur kurz gestört werden.

Rockst du noch oder schon?

Antifa hieß also wieder mal nicht schlafen, dafür Existenzrechte ausüben, den ganzen Tag laufen und die Ohnmacht zu spüren, die im Moment der Tat über allem steht: Staat, Volk und Faschisten befriedigt, Häppchen für die übrig gebliebenen, Repressionen für Entschlossene. Wenn sich Parteifunktionäre, Gerichtsvertreter und „Team Green“ verständigen, und sei es auch nur kurz, gibt es nur noch eins: selbstorganisiert und unabhängig Han­deln. Und eigentlich ist nicht nur das Orga-Treffen wichtiger als Deutschland, son­dern auch Vertrauen nötiger als Hys­terie.

Feste völkisch

Meine Vorstellung von Kultur umfasst je­des Leben. Nur leider wird ein völkischer Kon­sens der „guten Kultur“ in dieser Ge­sell­schaft konstruiert; kollektive Tra­di­tio­nen mögen die Menschen eben mehr oder we­niger. Trotzdem: Ich kenne kein einziges Volk außer der Menschheit. Weder Nazis noch BürgerInnen haben ihre Volksfeste von Blut und Boden frei gemacht, ver­meint­liche Wurzeln, aber auch „Blumen des Bösen“ wachsen aus den Köpfen, ein neues altes europäisches „Volk“ geistert durch den Identitäten-Äther, der so man­chen Menschen verschlingt, weil er Leben ka­te­gorisieren will. Und in der Präambel des Deutschen Grundgesetzes steht es auch: „Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“ und weiter im Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

Im nächsten Jahr will Ralf Wohlleben es erneut „krachen lassen“.

Die fast unlösbare Aufgabe besteht dann, weder von der eigenen Ohnmacht noch von der Macht der anderen sich dumm machen zu lassen.“ (Adorno: Minima Moralia, 1951.)

RABE

Blood and Honour (4)

Mit diesem Namen hatten 1987 in England zwei für rassistische Gewaltverbrechen Vorbestrafte eine fatale Idee: an die SS „anzuknüpfen“ und sich endlich mit den Brüdern in Deutschland in „weißem“ Stolz zu vereinen. Schon im darauffolgenden Jahr konnten Verbindungen zur ehemaligen SS sowie zum Ku-Klux-Klan nachgewiesen werden und wurde vom Sänger der Band Skrewdriver I.S. Donaldson im Sunday-People-Magazin ein bevorstehender „Rassenkrieg“ verkündet! Bis heute veranstaltet das weltweite Geflecht aus Bands, Zeitschriften, Labels, Vertrieben und anderen NationalistInnen internationale Vernetzungstreffen bzw. Konzerte. Im militanten Untergrund der Szene (wenn es noch Steigerungen gibt) organisiert sich (v.a. in Skandinavien und England) das Combat 18 (Kampf, Adolf Hitler) als bewaffneter Arm von BH (Erkennungszeichen ist der „SS-Totenkopf). Sektionen von BH existieren in Argentinien, Bulgarien, Chile, Großbritannien, Litauen, den Niederlanden, Schweden und Skandinavien insgesamt, der Slowakei, der Ukraine, Ungarn und den USA.

Die deutsche Sektion, mit dem Berliner Stefan „Pinocchio“ Lange an der Spitze und mind.17 Untersektionen, die sich seit den frühen 90ern im Umfeld „freier“ Kameradschaften bildeten, um „Patrioten verschiedener Stilrichtungen zu sammeln und zu einen, nicht nur in der Musik, sondern im Kampf“ wurde 2000 offiziell als terroristische Vereinigung verboten. Namenlos, bzw. mit dem Bekennungskürzel „28“, werden jedoch weiterhin Tour­neen von BH-Bands, europäische Handelsstrassen für indizierte Waren aller Art (z.B. Musik und NS-Propa­gan­da­material) und Treffen organisiert.

Aus der sächsischen Sektion sind die meisten zwar angeblich 1999 ausgetreten, aber es gibt ja auch genug andere Gruppen: Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), 2001 verboten, „freie“ Kameradschaften (siehe auch S.7 und 10) und NPD (S.11), die nach jeder Verbotswelle gerne als Auffangbecken bereitsteht.

Z.B. der vielleicht einigen bekannte Hallenser Nazikader Sven Liebich aber war und ist samt seiner „politischen“ Aktivität, seines „Ultima“-Tonträgervertriebes in Halle und einem ´99 in Leipzig eröffneten (und ´02 abgebrannten) Naziladen „Midgard“ ein BH-Aktivist.

(1) Begriff u.a. angelehnt an Leni Riefen­stahls Film „Olympia – Fest der Vöker“ von 1938.
(2) aus Ungarn, Schweden, England, Frankreich, Italien, Slowakei, Niederlande, Sachsen-Anhalt und Berlin.
(3) “White Noise: Rechtsrock, Skinhead-Musik, Blood&Honour” herausgegeben u.a. von Searchlight, Hamburg 1999. Dort wird auch von Bombenbaukursen, Mordaufrufen, Waffen- und Sprengstoffkunde, para­mi­li­tä­rischen Übungen und kriminellen Lebens­läufen berichtet.
(4) „Blut und Ehre“ stand auf Fahrtenmessern der HJ und in den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 „zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“.
(5) Die Bremer Antifa-Journalistin Andrea Röpke warnte in Jena vor bevorstehenden Szenarien wie z.B. Schuloffensiven und Kaderzentren der Kameradschaften in Ostdeutschland.
(6) In der Nacht vom 9. auf den 10.06.1942 wurden dort alle Männer erschossen, alle Frauen und Kinder in Konzentrationslager verschleppt, jeder Stein des Dorfes abgetragen und weggebracht.
(7) www.jg-stadtmitte.

NazisNixHier