Archiv der Kategorie: Feierabend! #18

Warnstreik der Lehrkräfte

In der Geschichte hat es, so u.a. das Museum für bildende Künste Leipzig, über Jahr­hunderte hinweg enge Beziehun­gen zwischen Frankreich und Sachsen gegeben. Auf diese Tradition scheint sich die CDU-SPD-Koalition besonnen zu haben und will sich wohl vom „gouverne­ment de combat“, von der „kämpferischen Regie­rung“ des inzwischen abgesetzten Premiers Raffarin ‘ne Scheibe abschneiden.

So lassen es zumindest die Ausmaße des Angriffs vermuten, den der sächsische Kultusminister Flath auf die Arbeits­bedingungen der LehrerInnen und der SchülerIn­nen unternahm. Daraufhin kam es im Mai an sächsischen Schulen zu einer der größten Streik­bewegungen der letzten Jahre in dieser Region.

Derzeit unterrichten 18.000 LehrerInnen an den weiterführenden Schulen des Landes. Bis 2009 sollen 4.700 dieser Stellen abgebaut werden. Die Arbeitgeber­seite stützt sich dabei auf Prognosen des Statistischen Landesamtes über den Schülerrückgang der kommenden Jahre, der bei 24 Prozent liegen soll. Um Entlassungen zu vermeiden, schlug das Ministerium eine Teilzeitregelung vor, die eine Absenkung von Arbeit und Gehalt auf 62 bzw. 73 Prozent vorsah. Sollten sich die Tarifpartner nicht einverstanden zeigen, drohte das Ministerium (mit Rücken­deckung von Ministerpräsident Milbradt) mit Änderungskündigungen. Daneben sollen mehr als 82 Schulen – betriebs­bedingt – geschlossen werden.

Unter diesen Vorzeichen sahen sich GEW im DGB und VBE/SLV im DBB(1) am 13. Mai gezwungen, einen Warnstreik auszu­rufen – die Verhandlungen waren ja nur vertagt. So kam es am 17.5. (mit Schwerpunkt in Dresden) an fast 20 Schulen zum dritten Ausstand des Lehrpersonals in 15 Jahren: die ersten drei Schulstunden fielen aus. In Sachsen ist ein Lehrerstreik rechtlich abgesichert, weil allein ein be­deutender Teil der Schulleiter verbeam­tet ist. Am Folgetag wurde die Aktion aus­­geweitet (3.000 Streikende an 80 Schu­len). Allein in Leipzig beteiligen sich, der GEW zufolge, 2.000 Lehrende aller 60 Schulen – allerdings kommen nur etwa 700 KollegInnen, und einige Dut­zend Schü­lerIn­nen, am 18. Mai bei der Streikkund­gebung im Stadtzentrum zusammen. In kurzen Schlaglichtern zeichnet sich ein ver­heerendes Bild der hiesigen Gewerk­schafts­­bewegung ab: zum einen verweigert die nahe gelegende Uni-Bibliothek den Streikenden einen Strom­anschluss, und begründet dies mit „Loya­lität zum Minis­te­rium“; zum anderen sind die Rede­beiträge zwar teils sehr kämpferisch – in dem Sinne, zur Not „nicht nur drei Stunden, sondern drei Tage, drei Wochen, drei Monate [zu] streiken“ – sie schlagen sich aber nicht auf die Stimmung nieder: die Kundgebung dauerte nicht etwa länger, sondern nur halb so lang wie angekündigt, nämlich etwa 30 Minuten. Auch die restliche Woche tourt der Warnstreik durch Sachsen, wobei etwa 500 Chem­nitzer LehrerInnen von 50 SchülerInnen unter­stützt werden. Die Presse raunt zwischen­­zeitlich von einer ersten Koali­tions­krise, während in den Schulen „die Kompetenz des Kultusministeriums […] ernsthaft in Frage gestellt“ werde – eine Einigung im Tarifstreit wird erst für Anfang Juli erwartet. Die Zeichen stehen auf Sturm: die GEW-Landesvorsitzende Gerold erklärt „Der Unmut in den Lehrerzimmern ist zum Zorn gewachsen.“ Doch in ihrer Drohung einer „vollen Konfrontation“ offenbart sich das korpo­ratistisch-institu­tionelle Modell der „Bonner Republik“, wenn sie damit „jahrelange Auseinander­setzungen um die Rechtmäßigkeit von Kündigungen“ meint.

Vor dem Einstieg in die 7. Verhandlungs­runde am 25. Mai wollten GEW, VBE und SLV aber noch einmal Stärke demon­strieren und riefen für den Vortag 25.000 Lehrende, also auch die der Grundschulen, zu einem ganztägigen Ausstand auf – an diesem branchenweiten Generalstreik, der auch der bisher letzte Aktionstag der Gewerkschaften gewesen sein sollte, beteiligten sich 19.000 LehrerInnen. Zu der Leipziger Kundgebung vorm „Volks­haus“ fanden sich an diesem Tag bis zu 3.000 TeilnehmerInnen ein – der Schüler­anteil hatte sich im Vergleich zum 18.5. deutlich erhöht. Über Stunden blockierten sie die Straße und diskutierten in kleineren Gruppen, was die Kollektivwahrnehmung sowohl der Lehrer als auch der Schüler gewiss gestärkt hat, wenn auch niemand wirklich zuversichtlich war. In Chem­nitz sollen es 4.000, in Dresden 3.000 Demon­stranten gewesen sein.

Grundschulen beteiligten sich nur zu 25 Prozent. Warum? Weil sie schon seit mehreren Jahren auf 57 Prozent Teilzeit gesetzt sind, und die GEW das mittrug und also auch durchsetzte. Ebenso wird es sich mit der Einigung verhalten, die am 31. Mai offiziell bekannt gegeben wurde: Arbeitszeitreduzierung auf 85 Prozent im kommenden und 77 Prozent in den drei folgenden sowie 79 im letzten Schuljahr und entsprechende Kürzung des Gehalts sowie des Weihnachtsgeldes; Neueinstel­lung von jährlich 80 bzw. 50 Lehrkräften im Mittelschul- bzw. Gymnasialbereich; Kündigungsschutz bis zum Auslaufen des fünfjährigen Tarifvertrags am 31. Juli 2010. Für die GrundschullehrerInnen wird die Mindestarbeitszeit im Vertrags­zeit­raum um 14 Prozent auf 20 Unter­richts­stunden angehoben. Die Rhetorik der GEW à la „das maximal Mögliche, freut euch“, die nun in Mitglieder­ver­sammlungen vor der Urabstimmung gras­sieren wird, erstickt geradezu jegliche Hoffnung und/auf Initiative heute, so wie es die im Tarif­vertrag vorgesehene zwei­jäh­rige Son­dierungs­phase für die Zukunft tut.

In die gleiche Richtung führen auch „moralisch-ethische Fragen“ über die Be­treuung und Beaufsichtigung der Kinder – gerade diesen Aspekt aber hebt die OECD als besonders wirksam hervor: „Der Streik der Lehrkräfte ist als solcher für die Regierung keine Bedrohung. Er ist aber, wie bereits festgestellt, indirekt ge­fähr­lich, da er die Jugendlichen befreit und diese demonstrieren können. Diese Streiks kön­nen sich also zu Kraftproben ent­wic­keln, die schwierig zu handhaben sind.“ (2)

Wenn es auch „nur“ ein Warnstreik war, so war die Streikerfahrung doch für viele LehrerInnen – oder gar für ganze Ein­richtungen! – ein absolutes Novum. Von daher ist es nachvollziehbar, dass die empfindlichen Punkte, nämlich Be­treuung und Prüfungen, unangetastet blieben – letztere wurden selbst 2003 in Frankreich nicht berührt.

A.E.

(1) Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW); Verband Bildung und Erziehung (VBE) und Sächsischer Lehrerverband (SLV); Deutscher Beamtenbund, DBB
(2) Aus: Centre de Développement (Hg.): Cahier de politique économique N° 13 – La faisabilité politique de l’ajustement. Dt.: Wirtschaftspolitisches Heft Nr.13 – Die politische Machbarkeit der Anpassung, November 2003. Eigene Übersetzung.

Lokales

Wer erteilt wem ‘ne Lektion?

Über die SchülerInnenbewegung in Frankreich

Das Bildungswesen hat in den letzten Monaten wieder im Fokus der Politik gestanden – in Frankreich wie in der BRD. Freilich schauen die Herren und Damen Politiker dabei durch die Brille „ökono­mischer Notwendigkeiten“: im Zentrum der Angleichung der Bildungswesen in der EU steht die „Beschäftigungsfähigkeit“ der SchülerInnen.

In dem Land, in dem Louise Michel einst die Alphabetisierung der Armen betrieb, und in dem 1881 die allgemeine Schul­pflicht eingeführt wurde, trägt die aktuelle Schulreform den Namen des Bildungs­ministers: Fillon. Das „Rahmengesetz zur Zukunft der Schule“ brachte seit Mitte Januar Zehntausende SchülerInnen auf die Barrikaden, zielt der Minister doch v.a. auf Kostensenkung ab. Damit einher würden nicht nur Stellenkürzung bzw. Unter­besetzung gehen: in den Oberschulen werden 2005 7.000 LehrerInnen weniger unterrichten. Die Fillon-Reform soll auch das Fächerangebot schmälern und die Abiturstufe von 4 auf 3 Jahre verkürzen. Dabei hatte man in Paris auch an die „Dezentralisierung“ der Abiturprüfungen gedacht – Überlegungen, die auf breite Ablehnung unter SchülerInnen, Lehren­den und Eltern gestoßen sind und in den Mobilisierungen eine wichtige Rolle spielten. Befürchtet wird nämlich, dass sich mit den Abiturprüfungen auch ihre Wertigkeit ausdifferenziert und also die Ungleichheit der Ausstattung im Unter­richt im Abschluss festgeschrieben wird.

Einem landesweiten Aufruf folgten am 10. Februar, in den Ferien 100.000 SchülerInnen – die Regierung jedoch ist entschlossen, nicht nachzugeben. Ebenso­wenig sind es die SchülerInnen: während die Schulreform im Parlament verhandelt und am 24.3. auch verabschiedet wird, geht die Bewegung in die nächste Runde, die ihren demonstrativen Höhepunkt Mitte März mit 200.000 TeilnehmerInnen überschritten hatte. Die neue Aktionsform heißt Schul-Besetzung und gab der Bewe­gung den neuen Schwung, den sie brauch­te. Die Schülergewerkschaft FIDL, die der sozialdemokratischen Partei PS nahesteht und sich inzwischen für juristische Sanktionen gegen aktive SchülerInnen ausspricht, berichtet Anfang April von Bewegungen in 370 Schulen des Landes; Mitte desselben Monats werden 780 besetzte oder blockierte Schulen gezählt.

Es lässt sich für die gesamten Proteste der SchülerInnen festhalten, dass die offiziellen Verbände FIDL und UNL die Kontrolle verloren haben und die Initiative bei sogenannten Schüleraktionskomitees (CAL) gelegen hat. Die CAL hatten dazu aufgerufen, ab dem 21.3. die Schulen zu besetzen. In der ersten Aprilhälfte gehen die Aktionen weiter. Während die Zahl der DemonstrantInnen mit einigen Tausend TeilnehmerInnen in Paris auf relativ niedrigem Niveau bleibt, kommt es nun regelmäßig zu gewaltsamen Auseinander­setzungen mit den „Ordnungskräften“ der Republik. Letztere gehen nämlich nicht nur gegen Besetzungen öffentlicher Gebäude vor, sondern machen sich auf Weisung des Ministers an die Räumung bloc­kierter Schulen und zers­treuen Demon­s­trationen mit Tränengas und Gummi­knüppeln. Die Situation spitzte sich zu, als am 20.4. fast 200 SchülerInnen und auch Lehrer einen Flügel des Bil­dungs­ministeriums in Paris besetzten und allesamt in die umliegenden Polizeireviere verfrachtet wurden. Neun von ihnen hielt man noch zwei Tage darauf fest und führte sie schließlich dem Haftrichter vor: ihnen drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren und Geldbußen von 45.000 Euro!

Unter dem Druck der Straße waren in der Parlamentsdebatte übrigens Budget­erhöhungen gebilligt worden, die am 22.4. allerdings vom Verfassungsrat beanstandet wurden. Dieser annullierte auch zwei Artikel des Fillon-Gesetzes, darin ging es um den Bildungsauftrag der Schule und um Zielvorgaben; begründete seine Entscheidung aber mit Formfehlern des Ministeriums – so dass das Gesetz nicht in Kraft treten kann. Nach der Regierungs­neubildung infolge des EU-Referendums hat der neue Bildungsminister De Robien angekündigt, die beiden Artikel per Dekret durchzusetzen. Dies soll am 16. Juni geschehen, allerdings erst nach Absprache mit den Gewerkschaften.

Nach den Schul­ferien Ende April ist es aber nicht ge­lungen, die mas­sive Mo­bi­li­sierung aufrecht zu erhal­ten, obwohl es auch im Mai noch einige Demon­stra­tio­nen gab. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt gegenwärtig auf Flugblattaktionen, sowie der Presse- und Soli-Arbeit. Denn nach Monaten des Protests hat nun die Stunde der juris­tischen Verfolgung geschlagen. Die ersten Prozesse haben schon im März und April stattgefunden. Zeitgleich begann Fillon am 12.4. einen „Dialog“ mit den offiziell anerkannten, aber marginali­sierten Ver­bän­den FIDL/UNL, die die Demos und Aktionen nicht mehr unter­stützten. Das Angebot des Ministers lautete, die Dezen­tra­lisierung des Abiturs zu verschieben.

Verhandelt werden im Gerichtssaal unter­des­sen „Beschädigung öffentlichen Eigen­tums“ und „Widerstand gegen Beamte“. In Bayonne wurden deswegen zwei Schüler zu zwei Jahren auf Bewäh­rung, 6.000 Euro Geldstrafe und 800 Arbeits­stunden verur­teilt, ein anderer soll den Wurf einer Bier­dose mit 1.000 Euro bezahlen. Insgesamt sind noch etwa 40 Verfahren anhängig, die teilweise aber erst Ende dieses oder im Laufe des nächsten Jahres eröffnet werden sol­len – so der Fall der Neun vom 20. April*. Die meiste Auf­merk­samkeit hat sicher­lich das Ver­fah­ren von Samuel Morville, eines „Rädels­führers“ der CAL und Aktivisten der Alternative libertaire, erfahren: allein wegen angeblicher Beleidi­gung eines Kommissars, und (so der Staats­anwalt) um ihm „eine Lektion [zu] erteilen“, wurden dem Schüler 500 Euro Buße und fünf Monate Bewährung auf­gebrummt. Inzwi­schen hat sich auch ein Solidaritätskomitee gegründet, das ver­schie­dene Organisatio­nen und Gewerk­schaften, aber auch Einzelpersonen versammelt: erster Ansatz­punkt ist zu­nächst die Forderung, alle juristischen Verfolgungen einzustellen, zum zweiten sollen evtl. Anwaltskosten und Bußgelder kollektiv getragen werden.

Derweil haben die SchülerInnen, die den Unterricht mehrere Wochen oder gar Monate boykottiert und den Protest organisiert hatten, nicht nur mit dem Strafgesetzbuch, sondern auch mit der Schulordnung zu kämpfen. In vielen Schulen müssen die Aktiven das Schuljahr wiederholen, oder werden im kommenden Schuljahr nicht mehr aufgenommen.

Apropos nächstes Schuljahr: die Proteste sollen im September weitergehen, sogar noch umfas­sender. Aber es ist nicht das erste Mal, dass die Sommerferien zum Grab einer Bewegung werden. Mit eben jener Parole hatte sich 2003 die Niederlage der LehrerInnen abgezeichnet.

A.E.

*) Darunter Mitglieder des Pariser CAL, der CNT und ein Lehrer, der in der SUD organisiert ist.

Nachbarn

Atommülltransport via Straße von Dresden nach Ahaus

Am Morgen des 14. 6. rollten die letzten LKWs des bisher größten Castor-Straßen-Transportes der BRD durch ein Hinter­türchen in das Zwischen­la­ger von Ahaus. Nach 3 Transporten, 14 Tagen und ca. 3000 km Straße war das Großaufgebot der Polizei sicher froh darüber, daß der stetig zuneh­men­de Widerstand endlich vorbei war. Ob­wohl die versammel­ten Ordnungsbe­hörden strategisch weit überlegen waren, gelang es AktivistInnen-Gruppen immer wieder, den Castor-Transport durch fried­liche Sitz­blockaden zum Halten zu bringen. Dabei waren gerade das dezentrale Auftreten und die län­derübergreifende Vernetzung bemer­kenswert. Das Engagement und die persön­liche Einsatzbereit­schaft der Atomkraft­geg­ner­Innen ist umso erstaun­licher, bedenkt man die massive Ignoranz und Kriminali­sierung, mit der die Anti-Atom-Bewe­gung kon­frontiert ist. Dabei gibt ihnen das welt­weite Klima der Amtomkraftbefürwortung und die friedliche Militanz der Protestes doppelt recht. An­statt eine Politik des schnel­len, kalten Entzugs vor­anzutreiben, füh­len sich viele PolitikerInnen mit dem The­ma offensichtlich überfordert und knicken letztlich immer wieder vor den Interessen der Atom­­kraft-Lobby ein. Bei der Abwahl der Bundes­regierung ist auch in der BRD wieder mit einem Pro-Atomkraft-Konsens zu rechnen. Derzeit sind zwar keine Neubauten ge­plant, aber der Export läuft munter wei­ter, ebenso wie die betrie­be­nen Reaktoren, für die die christlich-liberale Koali­tion schon ange­kündigt hat, daß ihre geneh­migten Lauf­zeiten voll ausgereizt werden. Was unver­ständlich bleibt, ist die Augenwischerei, die viele weltweit um die Risiken der atoma­ren Stromerzeu­gung und die katastrophalen Prob­leme der Abfall­entsorgung betreiben. Nur wenn Aufklärung, Wi­der­stand und Kampf gegen die Atomindustrie endlich die allgemeine Ignoranz, Unwissenheit und Ohnmacht ablösen, hat eine atomkraftfreie Welt eine reale Chance. Und diese einzurichten, ist die Verantwortung, die jede/r Einzelne für alle zukünf­tigen Generationen trägt, ob nun gewollt oder nicht. Nachhaltigkeit kann deshalb nur heißen, die unsinnige und höchst gefährliche Kernspaltung schnellstmöglich abzuwickeln. Wehrt Euch und organisiert den Widerstand, eine bessere Welt ist möglich, setzt sie ins Werk!

clov

Lokales

„Tag der Solidarität“?

Streik gegen Umsonstarbeit am Pfingstmontag

Für den diesjährigen Pfingstmontag hatte sich die französische Regierung etwas Besonderes ausgedacht: Den Tag der „Solidarität für die Selbstständigkeit älterer und behinderter Personen“. An diesem sollen die ArbeiterInnen, für lau schuften (selbständige Bauern und Ge­schäfts­­inhaber ausgenommen).

Es geht darum, dass die ArbeiterInnen (1) in Frankreich bis vorerst 2008 je sieben Stunden zum Nulltarif arbeiten sollen.

Der gesamte Tageslohn und eine jährliche Sonderabgabe der Arbeitgeber in Höhe von 0,3%, (entsprechend dem errechneten Mehrwertzuwachs), sollen zusammen zwei Milliarden EUR einbringen, um die bisherigen Leistungen der „Beihilfe für Pflegebedürftige“ (Allocation person­nalisée d’autonomie, APA) zu ergänzen. Die Mittel gehen direkt an eine Caisse nationale de solidarité pour l’autonomie, die nationale Kasse für Pflege, die hierfür eingerichtet wurde – und damit in den Staatshaushalt.

Begründet wird diese Maßnahme mit der Hitzewelle im Sommer 2003, bei der 14.400 alte Menschen starben. Dass es zu einer solchen Katastrophe kommen konnte, ist ein Abbild der katastrophalen Zustände, die v.a. im Urlaubsmonat August alljährlich im öffentlichen Gesundheitsdienst einkehren, vor allem wegen Per­sonal­mangels. 80 Prozent der Betroffenen starben nicht isoliert zu Hause, sondern in Krankenhäusern oder in Alters- und Pflegeheimen.

Was sind nun die Effekte dieser Neuerung?

Zum einen verlängert sich die jährliche Arbeitszeit, ohne den Chefs Kosten zu verursachen. (2) Zum anderen müssen diese nur 0,3 % des jährlichen Bruttolohns an den Staat abführen und bezahlen die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung nicht.

Ein Beispiel: Im Normalfall verdient ein Angestellter 11,9 EUR/h und arbeitet 151,64 h/Monat, macht im Monat 1758,08 EUR brutto. Wenn er/sie für seine/ihre Arbeit am Pfingstmontag bezahlt werden würde, hätte er/sie Anspruch auf 101,5 EUR (plus Überstundenzuschlag). Darauf legt der Chef 40% Sozialbeiträge drauf, macht 142,10 EUR.

Im Rahmen des „Solidaritätsbeitrags“ für den neu geschaffenen Arbeitstag, führt der Chef nun 63,29 EUR statt 42,10 EUR an den Staat ab. So gehen 20 EUR mehr in die neue Sozialkasse, andererseits spart der Arbeitgeber an diesem Tag aber auch satte 80 EUR an Lohnkosten. Wer leer ausgeht, ist der Arbeitende, der den Profit ja erst ermöglicht.

Dagegen gab es landesweit heftige Proteste. Trotz des Regierungsplanes, blieben Millionen Beschäftigte – Medienberichten zufolge rund 55 Prozent – nach Streikaufrufen der Gewerkschaften zu Hause. Einen einheitlichen Streikaufruf der Gewerkschaften gab es jedoch nicht. Die Führung der (sozialdemokratisch-neoliberalen) CFDT und der „postkommunistischen“ CGT, die diese Regelung mit verabschiedet hatten, wollten auf keinen Falle für „soziales Durcheinander“ an diesem Tag sorgen, da sie fürchteten, sichtbare soziale Unzufriedenheit könnte den Ausgang des Referendums zur EU-Verfassung „gefährden“. Einen landesweiten Aufruf gab es nur von der minoritären christlichen Gewerkschaft CFTC, die keinen religiösen Feiertag streichen lassen will. Lokal mobilisierte vor allem die anarchsitische CNT.

Am Pfingstmontag selbst funktionierten mehrere städtische Nahverkehrssysteme nur sehr partiell(3), Geschäfte blieben geschlossen, wie auch einige Schulen und Kindertagesstätten. Die französische Gewerkschaft SUD sprach von einer insgesamt 55% igen Beteiligung.

Eine Ausnahme machte das französische Bahnunternehmen SNCF. Eine blockierte Republik vor Augen (medial von J.-P.Raffarin heraufbeschworen), blieb der Pfingstmontag für die BahnarbeiterInnen, unter der Bedingung zweier täglicher unbezahlter Zusatzminuten, ein Feiertag. Diese Minuten sind zwar symbolisch (da es keine Stechuhren gibt), schlagen aber dennoch eine Bresche Richtung Arbeits­zeit­verlängerung und schwächen nicht zuletzt die Streikbewegung.

Was Demonstrationen und öffentliche Versammlungen betrifft, zeichnete sich die Provinz (alles außer Paris) durch massive Präsenz gegenüber der eher ruhigen Hauptstadt aus: So demonstrierten in Toulouse 4000, in Marseille 5000 Menschen, verglichen mit ca. 500 in Paris. Letztere waren hauptsächlich Schüler, die als einzige zu berufsübergreifenden Aktionen aufgerufen hatten.

Was bleibt, ist wieder mal der Eindruck, in Frankreich wird viel demonstriert und gestreikt, solange dies aber im institutionellen Rahmen verharrt, erstarrt jede Bewegung zum Symbol und der Sozialabbau schreitet höchstens anders aber dennoch voran.

hannah

(1) Zwar kann der Arbeitgeber nicht allein entscheiden, ob ein Feiertag zum Arbeitstag wird, allerdings hatten nicht alle Belegschaften die Möglichkeit, zu verhandeln.
(2) Schon die jährliche statt wöchentliche Arbeits­zeitbemessung, erlaubt es den Chefs Überstunden umzulegen, statt als solche zu bezahlen, und die Arbeit insgesamt zu flexibilisieren.
(3) Z.B. streikten im Toulouser Nahverkehr nach Angaben der Direktion 74%, in Lyon folgten Busse und Bahnen dem Fahrplan nur sporadisch.

Nachbarn

Arbeitsrechtsgymnastik

Wir sind so wehrlos wie wir passiv sind. Diese schlichte Wahrheit bestätigte sich für die FAU Leipzig im Konflikt mit der Kneipe Lembas (siehe Feierabend! #17) und soll nun ein weiteres Mal überprüft werden.

Diesmal geht es um die Firma Saturn und deren Geschäftspraktiken. Das Prinzip „hire and fire“ scheint sich hier durch­gesetzt zu haben: Für die Neueröffnung am 4.6. suchte Saturn u.a. über die Jobvermittlung des Studentenwerks Aushilfs­kräfte zum Eintüten an der Kasse – für gut 8 Euro pro Stunde. Ein verloc­kendes Angebot für jeden Studierenden.

Problematisch wurde es, als Hilfskräf­ten, die bereits einen Vertrag erhalten hatten, teilweise erst kurz vor Arbeits­beginn mitgeteilt wurde, sie könnten zu Hause bleiben, da es keine Arbeit gäbe. Doch damit geht die Sache erst richtig los, solche Praktiken muß sich niemand gefallen lassen.

Denn die Saturn-Verwaltung hat hier einige Fehler gemacht: ein schriftlicher und befristeter Arbeitsvertrag, wie in diesem Falle, ist nicht so einfach zu kün­di­gen, wie sich die Personalchefin das vor­gestellt haben mag. Die betreffende Person war, wie vorgesehen, erschienen (natürlich mit Zeuge) und hatte ihre Arbeitskraft an­gebo­ten – ob es da auch was zu arbeiten gibt, liegt als „wirtschaftliches Risiko“ beim Unternehmen, damit lässt sich keine Kün­digung rechtfertigen.

Der Gang zum Arbeitsgericht steht, jedem abhängig Beschäftigtem gleich welcher Staatsangehörigkeit, offen, birgt in diesem Falle allerdings die Gefahr, wegen Nichtig­keit des Streitwerts (80 EUR) abgeschmet­tert zu werden. Bevor das aber geschieht, treten für Saturn die ersten Kosten auf, die den Streitwert weit übersteigen – auf unserer Seite werden sie per Beratungs­schein gedeckt (1).

Wenn die kurze Beschäftigungsdauer dem Rechtsanspruch also formal keinen Ab­bruch tut, dauert seine Durchsetzung doch erheblich. Solidarität und direkte Aktion wirken zumeist schneller als der Gang zum Arbeitsgericht, und kommen so auch dem Charakter der „Beschäf­tigung“ recht nahe.

Wie die Sache ausgeht, erfahrt ihr in der nächsten Ausgabe…

 

hannah

(1) In der ersten Instanz ist anwaltliche Vertretung nicht zwingend, das kann man selbst oder einE GenossIn übernehmen.

Lokales

Der Irak nach 25 Monaten Besatzung

Ganz schön verwirrend, was man an Informationen über die Situation im Irak serviert bekommt: tägliche Meldungen über Razzien der Besat­zungs­armee oder/und islamistische Terrorattentate.

Von wem nicht gesprochen wird (außer wenn Wahlen abgehalten werden sollen), ist die Bevölkerung, da diese in den politischen Strategien, welcher Seite auch immer, kaum Platz hat.

Dass sich gerade die unteren Klassen nach dem Sturz Husseins zu Wort und Tat melden, wird bei genauerem Hinsehen deutlich. War der Irak vor dem Angriffskrieg der „Koalition der Willigen“ eine Diktatur, so kämpfen heute alle politischen Gruppierungen um die Macht. Derweil lebt die zivile Bevölkerung unter extremsten Bedingungen. Bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 25 Millionen, sind 50 – 75 % der Erwerbsbevölkerung (rund 7 Millionen) arbeitslos. Dies hat häufig Hunger und Obdachlosigkeit zur Folge; die Erwerbslosen können oft nicht die nötigen Kosten für den Lebensunterhalt einer Familie (umgerechnet 400-500 EUR im Monat) aufbrin­gen.(1) Da es keine Arbeitslosenunterstützung gibt, ver­suchen die meisten durch illega­lisierte Einkommen zu über­leben oder durch die Grundnahrungsmittel (Mehl, Speise­öl) des UN-Programms „Food for Oil“.

Durch den Krieg der Koa­li­tion wurden große Teile lebenswichtiger Einrichtungen zerstört. Die Ver­sorgung mit Trinkwasser, Strom und Medizin ist teilweise zusammengebrochen. Der „Politische Rat des Mittleren Ostens“(2) geht davon aus, dass der Wiederaufbau des Irak zehn Jahre dauern und 200 Mrd. Euro kosten wird.

Zudem hat die 12 Jahre dauernde Wirt­schafts­bloc­kade in der Bevölkerung schwere Spuren der Verarmung hinterlassen. Nach der militärischen Befreiung von der Hussein-Diktatur kam es zudem in Ministerien und Behörden zu zahlreichen Zerstörungen und Plünderungen, und zu Massen­entlassungen. Die alliierte Übergangsverwaltung entließ u.a. etwa 400.000 Soldaten der irakischen Armee aus dem Staatsdienst. In den verstaatlichten Betrieben, wo sich rund 80% aller Arbeitsplätze befanden, kam es ebenso zu Massenentlassungen (dort arbeiteten in der Mehrzahl Frauen). Durch diese Entwicklung wachsen Unzufriedenheit und Wider­stands­wille der Bevölkerung.

Des Weiteren schafft der Aufschwung eines politischen Islam (3) mit Terror­kampag­nen zur Durchsetzung des Kopftuchgebots, Geiselnahmen, Enthauptungen, Vergewaltigungen, und einem Arbeits- und Bildungsverbot für Frauen, Unsicherheit in der Bevölkerung. Die Besatzung dient den Islamisten als Vorwand, den Terrorismus fortzusetzen – solange es Attentate geben wird, werden die Militärs der Koalition einen Grund sehen, nicht abzuziehen.

Besonders dramatisch scheint die Lage für die Frauen im Irak. Hatten die Frauen 1959, vor der Machtübernahme Sad­dam Husseins, die Festschrei­bung einiger elementarer Rechte in der Verfassung erkämpft (Bildung, Scheidung, Kindererziehung, etc.), wurden viele dieser Rechte unter Hussein zurück genommen und schließlich „Ehrentötungen“ (4), lega­lisiert, die nun auch von der In­terims­regierung geduldet werden. Diese schlug im Februar 2004 vor, das Zivilrecht durch die Scharia, das islamische Gesetz zu ersetzen. Dagegen wandte sich eine Koali­tion von 85 Frauenorganisationen, die trotz aller Unsicherheit auf den Straßen Treffen und Demonstrationen abhielten.

Kurz nach dem Sturz Husseins begannen Arbeiterproteste und neue Gewerkschaften entstanden. Dabei spielten die zwei einflussreichsten marxistischen Parteien (die traditionelle „Irakische Kommunistische Partei“ (ICP) und die moderne „Arbeiterkommunistische Partei des Irak“ (WPI)), eine bedeutende Rolle. Diese stehen politisch und gesellschaftlich in einem Konkurrenzverhältnis und unterstützen jeweils andere Organisationen. (siehe Kasten unten)

Daneben gibt es noch die „Irakische ArbeiterInnen-Gewerkschaftsföderation“ (IFTU), die auch nach dem Sturz Hus­seins gegründet wurde und im ganzen Land aktiv ist. Im Vorstand der IFTU finden sich einige Mitglieder der ICP, die ihren Einfluss geltend machen. Zwar wendet sich die IFTU gegen die Besatzungskoa­li­tion, allerdings wurde sie im Januar 2004 von der Interimsregierung als einzig legale Gewerkschaft anerkannt.

Während fast alle Gesetze des alten Baath-Regimes nach dessen militärischer Niederlage abgeschafft wurden, hält die Über­gangsver­wal­tung an einem Gesetz aus dem Jahr 1987 fest, mit dem der Acht-Stunden-Tag abgeschafft worden war. Außerdem verbietet es in staatlichen Betrieben (das ist nach wie vor die überwiegende Mehrheit) Gewerk­s­chaf­ten zu gründen oder zu streiken. In einer Anordnung vom Juni 2003 droht die Über­gangs­ver­wal­tung damit, alle Menschen, die „zivile Unordnung anstiften“, also „jede Art von Streik oder Unterbrechung in einer Fabrik oder einem wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen“ organisieren, festzunehmen und als Kriegsgefangene zu behandeln.

Da sich bisher keine der um die Zentralgewalt kämpfenden Gruppen wirklich durchsetzen konnte, entstand für diese ein quasi straffreier Raum und für die Bevölkerung große Unsicherheit, der durch Organisierung entgegen getreten werden soll. Da jede Organisierung außerhalb der IFTU illegal ist, sind die Erfolge der ArbeiterInnen umso interessanter.

Im Januar und Februar 2005 soll es nach einem Bericht von David Bacon, der mit einer Dele­gation des U.S. Labor Ag­ainst the War im Irak (5) un­­ter­­wegs war, eine enorme Streik­welle ge­geben ha­ben. Tex­til­ar­beiter in Kut, En­er­gie- und Alumi­nium­­arbeiter in Nasiriyah, Chemiearbeiter und Gerber in Bagdad und Landarbeiter waren daran beteiligt. Die jeweiligen Gründe waren verschieden, es gab eine Brenn­stoff­verteuerung, die Forderungen nach Lohnerhöhung nach sich zog, außerdem Privatisierungsdrohungen, v.a. für die Aluminium- und Energiearbeiter. Einige Streiks entwickelten sich spontan (6) – so in der Textilbranche und einer Pepsi-Cola Fabrik in Bagdad – in anderen Fällen spielte die FWCUI eine bedeutende Rolle.

Die Kämpfe waren für die Arbeiter erfolgreich: Die Chemiearbeiter sahen fast alle ihrer Forderungen erfüllt, die Energiearbeiter die Hälfte, wäh­­rend die Landarbeiter nur zu Teilerfolgen kamen. Im Januar 2005 gewannen Arbeiter in der chemischen und plastischen In­­dus­trie Bag­dads einen Streik und grün­­­deten ihren eigenen Ar­beiter­rat. (7) Die Streikenden hat­­ten den Ausstand be­en­det, nachdem die Direktion sieben von acht Forde­rungen akzeptiert hatte. Diese drehten sich u.a. um die Erhöhung des Mindestlohns, die Abschaffung der Pflicht­über­stunden, Ge­fahren­zulagen und die Verteilung des Jahresgewinns an die Arbeiter.

Oftmals sehen sich ArbeiterInnen auch gezwungen, selbst zu den Waffen zu greifen. So organisierten im Oktober 2003 Ar­beiter­Innen einer Ziegelsteinfabrik nahe Bagdads eine Demonstration zum Firmensitz. Dort forderten sie Lohnerhöhungen, da drei Viertel der Belegschaft nur etwa 1,50 Euro für einen Arbeitstag von 14 Stunden be­­kamen. Außerdem verlangten sie schrift­liche Verträge, sowie medizinische Einrichtungen und eine Altersversorgung. Als die Chefs mit Entlassung drohten, gingen die Leute nach Hause, kamen aber mit Schusswaffen zurück und bildeten Streikposten. Dem Besitzer blieb nichts anderes übrig, als den Arbeiter­Innen eine Lohnerhöhung von 500 irakischen Dinar (umgerechnet etwa 30 Cent) je Arbeitstag zu versprechen. Zudem bot er Verhandlung über eine Sozial- und Gesund­heits­versorgung an, was von der Beleg­schaft als Sieg gefeiert wurde.

Auf einer anderen Ebene spielen sich die Kämpfe der zivilen, nicht arbeitenden und meist weiblichen Bevölkerung ab: Amjad al-Jawhartzy, Mitglied der UUI und für die FWCUI-Vertreter in den USA, sprach in einem Interview mit alternative liber­taire im Januar 2005 von einer „zivilen Front“, die auf sozialem Gebiet, in den Städten und Stadtvierteln agiere. In einigen Vierteln hätten sich Einwohnerkomitees gebildet, die die Verteidigung gegen alle kämpfenden Gruppen organisierten. Diese bestünden aus 30-40 Wachleuten, die militärisch ausgebildet seien und das Gebiet rund um die Uhr bewachten. Angeblich gab es seitdem keine Übergriffe auf die Zivilbevölkerung mehr.

Insgesamt also kein sehr optimistisches Bild – seien es kämpfende Gruppen oder bewaffnete Miliz, um sich wirklich zu befreien, bedarf es gesamtgesellschaftlicher Selbstorganisation, die den Bedürfnissen aller und nicht denen einiger Warlords folgt.

hannah

(1) Die Besatzungsbehörde CPA zahlt Staatsbeschäftigten Löhne wie zu Husseins Zeiten, zwischen 60-180 Dollar, allerdings wurden die staatlichen Zulagen – Kinder, Unterkunft, Nahrungsmittel, Prämien – abgeschafft.
(2) “Politische Rat des Mittleren Ostens“, (The Middle East Policy Council), 1981 gegründet, um die Politik der USA im Mittleren Osten verständlich zu machen.
(3) Politischer Islam, da die Religionsfrage in die politische Arena verschoben wird.
(4) Die Männer haben das Recht, Frauen aus ihrer Familie zu töten, wenn sie meinen diese verhielten sich „unmoralisch“. Hervorstechend in der Frauenpolitik unter Hussein war die „Kampagne der Rechtschaffenheit“. Es wurde dazu aufgerufen, (angebliche) Prostituierte zu enthaupten. Die meisten dieser Frauen sahen sich zu dieser Art Gelderwerb durch das US-Embargo gezwungen, durch das viele Frauen ihre Arbeit verloren.
(5) Eine „Internationale Kampagne gegen die Besatzung und für Arbeitsrechte im Irak“ soll helfen, grundlegende Sicherheits- und Lohnstandards der ILO „Internationalen Arbeitsorganisation“ und das Recht auf freie Gewerkschaften im Irak durchzusetzen. Die Kampagne wurde von sechs Organisationen ins Leben gerufen, die sich im März 2004 im Genfer ILO Büro trafen: die FWCUI, die UUI, die „Internationale Konföderation der Arabischen Gewerkschaften“ (ICATU) und das „Internationale Verbindungskomitee der Arbeiter und Völker“ (ILC), sowie die gewerkschaftliche Antikriegsgruppe „US Labor Against the War“ (USLAW).
(6) Im August und September 2003 legten TransportarbeiterInnen in Basra ihre Arbeit nieder und forderten auf einem Protestmarsch die Versorgung mit Gas, Wasser und Strom. Als britische SoldatInnen den Demonstrations­zug stoppen wollten, kam es zu einer Massen­schlägerei und es folgten drei Tage Aufruhr in der Stadt.
(7) Arbeiterräte und Gewerkschaften gibt es mittlerweile in fast allen Betrieben.

WPI – „Arbeiterkommunistische Partei des Irak“, 1993 gegründet, hat nach eigenen Angaben ca. 150.000 Mitglieder. Spricht sich sowohl gegen den eingesetzten „Irakischen Regierungs­rat“ aus, wie auch gegen die Militärbesatzung und den terroristischen „Widerstand“. Der WPI stehen die UUI und die FWCUI nahe.

UUI – „Gewerkschaft der Arbeitslosen“, im Juni 2003 gegründet, gibt 350.000 Mitglieder an.

FWCUI – „Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im Irak“, im Dezember 2003 gegründet, gibt ebenfalls 350000 Mitglieder an.

ICP – „Irakische Kommunistische Partei“, 1934 nach Ende der britischen Kolonialherrschaft gegründet, befand sich bis in die 70er Jahre in Opposition zum arabisch-völkischen „Baath-Regime“ und koalierte 1973 mit diesem in einer Regierung einer „Nationalen Fortschrittsfront“. Seit der Machtübernahme Husseins im Untergrund, beteiligt sich an der kurdischen Selbstverwaltung und war mit verschiedenen religiösen und nationalistischen Parteien im „Irakischen Regierungsrat“ (IGC) vertreten, da ihr Generalsekretär dort zu einem Vertreter der schiitischen Bevölkerung bestimmt wurde.

IFTU – „Irakische ArbeiterInnen-Gewerk­schafts­föderation“, dem Sturz der Hussein-Diktatur gegründet und im ganzen Land aktiv. Im Vorstand der IFTU finden sich Mitglieder der ICP. Die IFTU wendet sich einerseits gegen die Besatzungskoalition, andererseits wurde sie im Januar 2004 von der Interimsregierung als einzige legale Gewerkschaft anerkannt und spricht sich grundsätzlich gegen jede Form von Militanz aus. Sie besteht aus 10 Einzelgewerkschaften.

Nachbarn

Leipzig im Höhenflug

Nachdem im November 2004 bekannt gegeben wurde, dass das DHL-Kontinen­tal­drehkreuz in der Leipziger Region gebaut werden soll (siehe Feierabend! #16), mussten nur noch einige Hürden genom­men werden. So geschehen am 20. Mai 2005, als das Bundesverwaltungsgericht Anträge auf Baustop von AnwohnerInnen des Flug­­hafens ablehnte. Die Erweiterung der Lande­bahnen wird bereits vor­bereitet, und im Januar 2006 sollen schließlich die Arbeiten für das Ver­teil­zentrum und diverse Hangars beginnen.

Noch vor dem Gerichts­entscheid ließen sich Stadt und Wirtschaft die „riesigen Poten­tiale“ und „guten Chancen“ wissen­schaft­lich untermauern. Die Studie zu „Struktur und Entwick­lungs­perspektiven der Logis­tik in Leipzig und in der Region Mittel­deutschland“ kostete mit 15.000 Euro zwar nur halb soviel wie das neue Logo der Arbeits­agentur. Doch scheint das 31seitige Papier des „international renom­mier­ten Logistik-Ex­per­ten“ Prof. Jüne­mann v.a. die Zukunfts­musik der Auftrag­geber zu spielen. Runde Zahlen machen sich da immer gut: binnen 10 Jahren könnten in der Region 100.000 Arbeits­plätze geschaf­fen werden. Was sich in der LVZ wie eine Null zuviel las – immerhin hatte man dort das Ausmaß der 1.-Mai-Demo auch mit 8.000 angegeben – meint der Experte durchaus ernst, wenn auch durch die DHL-Ansiedlung direkt und indirekt nur 10.000 Jobs entstehen sollen. Freilich müsste sich da noch einiges tun, so sehe etwa die Subventionslandschaft noch zu karg aus. Außerdem wird per Expertise empfohlen, eine public-private GmbH zu gründen, zur „gezielten Ver­mark­tung Mitteldeutschlands als Logistik­region“.

Zumindest im „Entwicklungskern“ Leip­zig scheint dieses Vorhaben ge­glückt: Die Zahl der eingegangenen Bewerbungen hat sich seit Anfang des Jahres auf 18.000 verdoppelt. Werden sich diese wachstums­ökono­mischen Blütenträume bald als Ikarus-Phantasien erweisen?

 

A.E.

Lokales

Italien: unter Druck

Am 26. Mai fanden erneut landesweite Polizeiaktionen in Italien statt. Ergebnis: 110 Haus­durchsuchungen und 10 Fest­nah­men.

Eine Aktion auf Ersuchen eines Staats­anwalts von Bologna, wobei es um die Verfolgung der „Informellen Anarchisti­schen Föderation“ (FAIn; siehe Feierabend! #11) ging. Sieben Inhaftierten wird nun die Bildung einer terroristischen Vereini­gung und „subversive Propaganda“ vorge­wor­fen. Die zweite Aktion ging auf einen Staatsanwalt in Rom zurück, der u.a. wegen eines Brandanschlags auf ein Gericht im Januar 2004 ermittelt. Allen fünf Arrettierten wird die Bildung einer „bewaff­ne­ten Bande“ vorgeworfen.

Innenminister Pisanu warnte wiederum vor „den Anarcho-Insurrektionalisten“, die man „nicht unter­schätzen“ dürfe. Und das tut er auch nicht: allein seit 12.Mai gab es 190 Durch­suchungen und 22 Festnahmen – 13 be­fin­den sich im Knast, neun stehen unter Haus­arrest. Außerdem befinden sich seit 2004 noch andere AnarchistInnen in Haft.

 

A.E./a.infos

Nachbarn

Karneval der Demokraten

Man spricht von Krise und Instabilität, man verspricht sich Aufbruch, Aufbau und Abbau, besonders im Osten, den Abbau der Arbeitslosigkeit. Und einige ver­sprechen sich auch Aufwind in der „politischen Auseinandersetzung um den Einzug in den nächsten Bundestag,“1 wie es in einer von Leipziger PDS- und WASG-Vorstandsmitgliedern unter­zeich­neten Erklärung vom 1. Juni 2005 heißt.

Die Neo-Sozial­demokraten unter­schiedlicher Prove­nienz „sind bereit dazu“ als „wählbare Alternative“ aufzu­treten, bzw. sich von Oskar und Gregor vorführen zu lassen. Dabei bedient sich die Leipziger Führungsriege tatsächlich althergebrachter rhetorischer Figuren, die wir schon in geschichtlichen Abrissen der Sozial­demokratie behan­delten (vgl. Feierabend! #14, „Sackgasse Sozialdemokratie?!“, S. 9): „Die Mandate im Bundes­tag sind politisch wichtig, um … eine parlamentarische Stimme zu geben.“

Das ist Karneval der Demokraten: sie treten auf mit der Forderung, „die Politik des Sozialabbaus muss gestoppt werden“. Sie enden aber dabei, den Unmut nicht wirksam werden zu lassen, sondern nur noch auszudrücken, zu formulieren: ihm eben auf der Tribüne des Parlaments eine „Stimme zu geben“.

Eine solch laxe Haltung entspricht nicht „dem Ernst der Lage“, in der der Sozial­staat umgebaut wird – also die Rechte der Arbei­terIn­nen reduziert, und die Kontroll- und Diszi­pli­nar­funk­tionen der amt­lichen Be­treuung aus­ge­wei­tet wer­den. Hier gilt es, Sand in die Staats­ma­schine zu streuen, Kon­flik­te und Brüche hervor­zukehren und selbst die Initiative zu er­greifen.

A.E.

(1) Auch alle weite­ren Zitate sind die­ser Er­klä­rung entnommen.

Lokales

Griechenland: Gewerkschaften holen den 1. Mai nach

Ein landesweiter Streik hat am Mittwoch, den 11. Mai in Griechenland den öffent­lichen Verkehr weitgehend lahmgelegt. Beschäftigte auf Flughäfen, bei der Eisenbahn sowie im Schiffsverkehr legten die Arbeit nieder – 90% der Inlandsflüge wur­den gestrichen, auf Athener Boden stand fast der gesamte Verkehr still und Tau­sen­de gingen nicht zur Arbeit, Schulen blieben geschlossen, und in den Kranken­häusern wurde nur ein Notbetrieb aufrecht erhalten. Der Streik diente als Ausgleich für den entgangenen Feiertag, argumen­tieren sie, da der 1. Mai dieses Jahr auf einen ohnehin arbeitsfreien Sonntag, gefallen war.

A.E.

Nachbarn