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Triebkauf-Appell

Nackte Tatsachen und deren Verwertung: Die BILD-Kampagne

Anfang November kam mensch nicht umhin Litfasssäulen und andere Werbeflächen mit Nacktbildern und dazugehörigen Triebappellen wie „Mein persönlicher Rekord 8 Stunden“ im typischen Bildzeitschriftenstil zu betrachten. Einige Tage später fährt mensch durch die Stadt und sieht einige Kommentare. So wurde „Was ich drunter habe? Nichts natürlich“ zu „Was ich im Kopf habe…“ oder „Mittags denke ich an Sex“ wurde erweitert mit „Und was haben Sie im Kopf?“ oder „Schande! Frauenwürde ist unantastbar“. Und mensch denkt sich, dass das Thema schon komplexer ist und mehr dazu gesagt werden müsste.

Gleich zu Beginn: Es geht mir nicht darum, dass nackte Körper abgebildet werden, sondern wie und zu welchem Zweck es dazu kommt. Frauen machen Nacktfotos (ob einmalig um Geldengpässe zu überwinden oder professionell als Model tut da nichts zur Sache), die Agentur kauft ihnen die Rechte an den Fotos ab und verhökert sie an Nachfrager, wie die BILD-Zeitung eben. Diese schaut im Katalog nach, kauft das Bild und eine andere Person schreibt den Text dazu. Dann kauft sich „der Mann“ die Zeitung und holt sich einen runter.

Das Nacktfoto ist also kein persönlicher Ausdruck der Fotografierten, der es in anderen Kontexten durchaus sein könnte, sondern wird von der Person abgelöst und zur Ware. Das Ziel dabei ist klar: Auflagensteigerung durch Appell an den Sexualtrieb. Diese Plakatmotive sind kein Ausdruck individueller Sehnsüchte, Ausdauer oder Vorlieben. Hier wird sich bewußt Stereotypen sexbesessener, unterwürfiger Frauen bedient, die das patriarchale Rollenbild des übergeordneten Mannes, dem die Frau stets zu Diensten zu sein hat, anvisieren.

Mensch könnte auch einwenden, die haben das doch freiwillig getan, den Vertrag unterschrieben, Fotos von sich machen lassen und für Geld ihre Haut zu Markte getragen. Und das trifft auch den Kern des bürgerlichen Freiheitsbegriffs: Freiheit sich zu verwerten, zu konsumieren, (Arbeits-)Verträge zu unterzeichnen. Auch wenn es eine Entfremdung des eigenen Körpers bedeutet, der zum Objekt gemacht wird. Aber in einer Gesellschaft, die aus warenförmigen Prozessen besteht, ist es normal, dass Sexualität auch zur Ware wird. Und es wird behauptet, diese Gesellschaft sei sexfixiert. Überall Plakate, Fernsehspots, Filmsequenzen zu dem Thema.

Doch ist diese Analyse oberflächlich, jedenfalls wenn sie sich auf zwischenmenschliche Kontakte bezieht. Diese Reizüberflutung mit sexualisierten Inhalten ist quasi entindividualisiert, ja vielleicht als abstrakter Sex zu bezeichnen. Wie es nun in den „Schlafzimmern der Nation“ aussieht, kann ich auch nicht sagen, dass jedoch so viele Menschen auf Ersatzbefriedigungen zurückgreifen „müssen“ (nicht umsonst kann die BILD-Zeitschrift mit solchen Kampagnen die Auflage steigern), ist eher ein Indiz für den Ausschluss sexueller Bereiche aus sozialen Kontakten, Prüderie oder einfach dumpfer Triebhaftigkeit.

francis

Lokales

PIERRE-JOSEPH PROUDHON

Ein Blick zurück in die Geschichte eröffnet zuweilen mehr Möglichkeiten des Weiterdenkens, Zuwiderhandelns oder Neuerfindens als der einfache Blick nach vorn. Denn wer nicht erinnert, der vergißt! Deshalb wollen wir in loser Folge auch Exkurse in die Geschichte anarchistischer Ideen eröffnen. Nicht so sehr, um über Denker wie Proudhon, Bakunin, Kropotkin oder Landauer und ihre Gedanken zu urteilen, als vielmehr zur Beschäftigung mit dererlei Überlegungen anzuregen.

Betritt man in heutiger Zeit den Politzirkus der polemischen Meinungen, ist man im ersten Moment von den gebotenen Attraktionen fasziniert. Hartz-Komissionen, Riester-Rente, Vermögenssteuer, Kindergeld oder Studiengebühren, das bunte Chaos hat demokratischen Anschein. Doch blickt man länger in die Manege, fällt es schwer, nicht in Zweifel über den Wert und Sinn der sich darbietenden Veranstaltung zu verfallen, angesichts der Böllermänner, Spätzünder und Stimmenfischer, die eher als hölzern-statische Artisten denn als virtuose erscheinen. Dererlei Zweifel an den ‚guten alten‘ demokratischen Traditionen hegend, sieht man sich seit je her schon mit einem Bilderverbot belegt. Dabei geht gerade heute vielen Menschen die Geschichte der guten Idee der Demokratie verloren. Der kritisch-kluge Mensch hat es aber ebenso seit je her verstanden, diese Idee gegen ihre institutionelle Erstarrung, gegen die Machtübernahme Einiger zu wenden. Kritik am Staat, welcher sich selbst als demokratisch verfaßt bezeichnete, war sie nicht reaktionär, ging so einher mit einem radikaleren Demokratieverständnis bzw. mit einem radikaleren Verständnis des Begriffs von ihr. Die Debatten um die außerparlamentarische Opposition (APO) der 68er Bewegung, die kritischen Strömungen der Weimarer Republik, die politischen Unruhen des 19. Jahrhunderts zeugen davon.

Hier, sage ich Ihnen, unter dem Säbel Bonapartes, unter der Zuchtrute der Jesuiten und dem Kneiper der Polizei, ist es, wo wir an der Emanzipation des Menschengeschlechts zu arbeiten haben. Es gibt für uns keinen günstigeren Himmel, keine fruchtbarere Erde.“

Es gibt keinen Platz für mich in der Welt, ich betrachte mich als im Zustand ständigen Aufstands gegen die Ordnung der Dinge befindlich.“

(P.-J. Proudhon, 1852)

Hier, am Wurzelwerk der modernen Staatsbildung, ist das Leben und Wirken Pierre-Joseph Proudhons situiert. Mit seinem politischen, intellektuellen und sozialen Engagement, seinem regen Interesse für die Vorgänge seiner Gegenwart ist er über sie hinausgewachsen und hat sich in die Geschichte der französischen Kultur eingeschrieben. Seine Staatskritik auf Grundlage eines radikalen Demokratieverständnisses gehört auch heute noch zu den Eckpfeilern anarchistischer Skepsis gegenüber Regierung und Regierenden. Der Durchgang durch die Herrschaft Aller mittels unlauterer Vertreter sollte zur Herrschaft jedes Einzelnen führen, zur Herrschaftslosigkeit der Gesellschaft, zum Ende der Herrschaft des Menschen über den Menschen. „Die Politiker endlich […] sträuben sich unüberwindlich gegen die An-archie, welche sie mit dem Chaos für identisch halten, als wenn die Demokratie sich anders als durch Machtverteilung verwirklichen ließe und der wahre Sinn des Wortes Demokratie nicht Abschaffung der Regierung wäre.“ (1a) Aufgrund des umfangreichen Schriftenmaterials, von dem noch immer nicht alles übersetzt zu sein scheint (2), wäre es illusorisch anzunehmen, ein solcher Artikel könnte alle Facetten des Proudhonschen Denkens aufzeigen und letztlich eine weiterführende Lektüre ersparen. Ich will demzufolge nur einige Lesezeichen setzen.

Sozialismus vs. Liberalismus

Ohne Zweifel schließt Proudhon an die sozialistischen Traditionen seiner Zeit an. In dem politisch unruhigen Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts groß geworden, kennt er die Gefahren der absolutistischen oder konservativen Reaktion und verteidigt gegen sie die Ideen und Errungenschaften des sozialen Fortschritts (z.B. Stimmrecht. Organisierung o. Redefreiheit). Aufklärerischer Idealismus und soziale Ideen verbinden sich in seinem Werk organisch. „Geboren und auferzogen im Schoß der arbeitenden Klasse …“ (1a, S.93) schenkt er den liberalen Mythen von der Naturwüchsigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse nur wenig Glauben. Ob als Druckereiarbeiter, gewählter Vertreter, Häftling oder Barrikadenbauer – überall erscheint ihm Gesellschaft als von Menschen gemachter und beeinflußbarer Zusammenhang, als Sozietät zwischen Menschen, aus deren Spielräumen der Stoff sozialer Fragen entspringt. Aus dem Studium der sozialistischen Traditionen des 17. Jahrhunderts heraus richtete er seine Kritik gegen die liberalen Theorien mit ihrer Projektion von allem Bösen, Schlechten und Noch-Nicht-Gewordenen in den Naturzustand, vor jeder Gesellschaft, vor jeder Vergesellschaftung. Dererlei Überlegungen spalteten den Menschen von vornherein mitten entzwei, in einen zur liberalen Gesellschaft fähigen und einen dazu unfähigen Teil. (2) Auch schienen die liberalen Vorstellungen zur Zeit Proudhons zunehmend an Erklärungskraft zu verlieren. Industrialisierung und politische Revolte hatten ungeheure gesellschaftliche Dynamiken entfesselt. Phänomenen wie dem im 19. Jh. grassierenden Pauperismus stand die liberale Theorie ratlos gegenüber. Für Proudhon war so früh klar, daß die liberale Vorstellung der Demokratie zu kurz fassen mußte. Für sein Freiheitsverständnis wird diese Einsicht fruchtbar…

Mutualismus und Freiheitsbegriff

„Es gibt zwei Arten von Freiheit; eine einfache: dies ist die Freiheit des Barbaren, auch des zivilisierten Menschen, sobald er kein anderes Gesetz anerkennt als das des ‚jeder in seinen vier Pfählen und jeder für sich‘; – eine zusammengesetzte*, wenn sie für ihr Dasein die Mitwirkung von zwei oder mehreren Freiheiten voraussetzt.“ (1a)

Die liberale Idee der individuellen Freiheit des Einzelnen erscheint im Proudhonschen Denken radikal gewendet, nicht als Ziel und Zweck gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Menschen, sondern als deren Voraussetzung. Durch die individuelle Freiheit hindurch wird eine Freiheit höherer Qualität möglich, die durch Gegenseitigkeit. Der Andere ist nicht mehr nur die Grenze der eigenen Freiheit, er wird zur Bedingung der Möglichkeit größerer Freiheit. Das Prinzip der Gegenseitigkeit bildet den Kern der Lehre vom Mutualismus, so wie Proudhon ihn vertrat. Der freieste Liberale ist letztlich allein auf der Welt, die freieste Mutualistin dagegen pflegt die meisten Beziehungen zu anderen Menschen. Während Proudhon die mutualistische Idee der Gegenseitigkeit noch im Kopf herumschwirrt, betreibt er ökonomische Studien … ja auch er sah das Elend schon heraufsteigen.

Proudhons Ökonomie und der große Bruder Marx

Das Urteil, welches des kalt rationale Karl Marx über seinen älteren Zeitgenossen fällt, ist vernichtend. „Vulgärökonomie“, Proudhon sei der „lebende Widerspruch“, das „Elend der Philosophie“. Der autoritäre Charakter des ‚absoluten Geists‘ seines Meisters Hegel kehrt im jungen Marx zurück. Ein weites Feld. Doch auch wenn die ökonomischen Überlegungen Proudhons in Konsequenz, Reichweite und Tiefe denen Marxens nicht im mindesten das Wasser reichen können, so fehlt ihnen auch der Dogmatismus der Methode, nach dem Proudhon vielleicht sein Leben lang vergeblich trachtete. Der Inhalt scheint durch die organische Form des Proudhonschen Denkens. Zwei gute Ideen…

Eigentumskritik und Volksbank

„Während ich so, als der einzige meiner Schule, gegen die Bollwerke der alten politischen Ökonomie die Laufgraben eröffnete…“ (1a) Was ist Eigentum, fragte Proudhon 1840 und gab auch gleich die Anwort: Eigentum ist Diebstahl! So oder so ähnlich ist es in die „gängige“ Geschichte eingegangen. Und auch heute noch wird diese These, so verkürzt dargestellt, gegen anarchistische Eigentumskritik ins Feld geführt. Doch auch wenn Proudhon nicht zu den großen Dialektikern zählt, sieht er doch den doppelten Charakter des Eigentums, als wohlstandsschaffendes und wohlstandsverhinderndes Moment. Proudhons Denken kennt nicht die Tiefe einer „Akkumulation durchs Kapital“, aber als guter Beobachter sieht er sehr wohl die Schieflage in der Verteilung der gesellschaftlichen Güter, seiner Zeit, die politische (durch Reaktionen im Frankreich des frühen 19. Jh.’s immer wieder gefährdet) aber nicht ökonomische Entmachtung der alten Feudalherren. Sein Idealismus treibt ihn dazu, den Eigentumsbegriff unkritisch in seine ökonomischen Überlegungen einzubetten. Das Zauberwort heißt hier: Zirkulation. Den Schlüssel hingegen bietet seine mutualistische Grundidee. Die „Zirkulation der Werte“ ist für Proudhon letztlich ein Zusammenhang menschlicher Verhältnisse, je mehr Zirkulation um so besser. Im Prinzip der Gegenseitigkeit sieht er den fairen (gerechten) Betrieb der Zirkulation gesichert. Privateigentum (relevanter Menge) wirkt sich, so gedacht, immer hemmend auf Zirkulation und Freiheit der ökonomisch Betroffenen aus.

Von hier versteht sich, warum Proudhon für eine soziale Ökonomie des Staates, gegen eine private Ökonomie desselben argumentiert (gerade eben gegen heutige Vorstellungen des Staates als privatisiertes Unternehmen, sprich gegen die „Deutschland-AG“). Der Proudhonsche Gedanke der „Volksbank“ beruht auf der fixen Idee des unentgeltlichen Kredits (3), der freie Zirkulation innerhalb der Mitglieder sichern sollte. Er glaubte daran, dass durch diesen (organisiert) freien Zugriff aller auf die gemeinsam zirkulierenden Werte, eine egalitäre Gesellschaft möglich wäre; in der schließlich an die Stelle der Diktatur der Mehrheit die freie, demokratische (weil auf Gegenseitigkeit beruhende) Regierung (mächtige Verantwortlichkeit) jedes Einzelnen tritt. Die Idee der Volksbank wird so zum Fallbeispiel der programmatischen Verortung Proudhons zwischen sozialistischen und anarchistischen Gedanken. Sie ist die Vorstellung vom Staat ohne Regierung, „nur“ zentralisierte Institution. Und dabei ohne Macht? Die tiefe Skepsis gegenüber den korrupten politischen Verhältnissen, die man aus seinen polemischen Beschreibungen immer wieder entnehmen kann, treiben Proudhon dazu, seine Hoffnungen in die Veränderbarkeit und Veränderung der Gesellschaft auf ein radikaleres Demokratieverständnis zu gründen. Es war mehr als Sozialismus … Der Anarchismus begann zu laufen …

Aber ist das nicht alles aus der Luft gegriffen?

Betrachtet man das Proudhonsche Schriftwerk im Ganzen, lässt sich ein systematische Philosophie nur schwer erschließen. Teils im Gefängnis, teils „zwischen der Schicht“ geschrieben, ist die Funktion seiner theoretischen Arbeiten oft praktisch angelegt, ob als Programm, Stellungnahme oder Bericht. So gewinnt sein Werk organischen Charakter. Wie der gesamte unkritische Idealismus verwechselt er jedoch seine eigene Logik (Sprache) mit der Logik der Welt (Geschichte). Sein System der Widersprüche, seine Serien widersprechender Pole, seine empirischen Datenreihen – nach deren Notwendigkeiten sich die Welt bewegen soll – es sind die Trugbilder der eigenen, subjektiven Erfahrung; die Täuschung über die eigene Sprache. Daß Proudhon aber an die Harmonisierung, an das Gleichgewicht sich gegenseitig haltender Pole glauben konnte, an die Versöhnung der Widersprüche, an ein Bild sich gegenseitig zur Hilfe fähiger Menschen … ist die positive Seite des Idealismus …

Und?

Ein Schuß Idealismus könnte den heutigen pragmatischen Zeiten nicht schaden. Schließlich ist es der Glaube an die Kraft zur Veränderung, die Menschen handeln lässt.

Ein Beispiel: Angenommen der Rawl’sche Schleier des Nichtwissens liegt über uns. Keiner hat eine Ahnung, in welcher sozialen Position er sich befindet. Oder etwas aufgeweicht: Angenommen die zunehmende Flexibilisierung führt zu größerer Unsicherheit bei der Bestimmung derselben (heute noch Büro, morgen Umschulung, Drittstudium, Straße, dann wieder im Restaurant etc. pp.). Wo liegen meine Interessen während des Arbeitskampfes, der sich gerade in Europa zusammenbraut. Profitiere ich, wenn die Gewerkschaften schlecht abschließen oder nicht? (Höhere Löhne und mehr private Vorsorge vs. Niedrigere Löhne und staatliche Umverteilung?) Vom Klassenstandpunkt scheint die Frage nur ungenügend beantwortet. Schließlich könnte auch die sozialistische Regierung das Klasseninteresse vertreten (Ich verteile, soviel ich kann nach unten, kann aber gerade nicht.).

Zwei Tipps von Proudhon:

– Stell Dich auf den Standpunkt des Schwächsten, also des prekär abhängigen (soziale statt individuelle Vernunft), betrachte von dort die Verhältnisse der Gesellschaft (heute z.B. die gesamtwirtschaftliche Krise), und habe die Kraft daran zu glauben, mit den Schwächsten die Verhältnisse zum Besseren wenden zu können (soziale Utopie).

– Hoffe auf keine Regierung! In Friedenszeiten würde sie jeden Einzelnen fürs Gemeinwohl verraten und in Krisenzeiten das Gemeinwohl gegen jeden Einzelnen wenden.

Zumindest gegen die Schwächsten! Pah! Solche Macht begehre ich nicht! Laßt andere Wege uns finden!

clov

Zur Lektüre einiger ausgewählter Schriften:
(1a) „Bekenntnisse eines Revolutionärs …“ (1849), Rowohlt, Hamburg, 1969
(2a) „Was ist Eigentum?“ (1840); teilw. in: Proudhon, „Ausgewählte Werke“, hrsg. v. Thilo Ramm, Stuttgart, 1963
(3a) „Philosophie d. Staatsökonomie o. Notwendigkeit des Elends“, Darmstadt, 1847
(4a) „Das Recht auf Arbeit, das Eigentumsrecht und …“, Leipzig, 1849
(5a) „Die Volksbank“ (1849), übers. v. Ludwig Bamberger, Frankfurt (M.),1849
(6a) „Ein Wahlmanifest Proudhons (8.6.1864). … zur Vorgeschichte d. Kommune.“; in: „Die neue Gesellschaft“, Mntstft. f. Sozialws (1.Jh.), Zürich, 1877/78
Fußnoten:
(2) der unfähige Teil ist dann auch das Schlachtfeld auf dem die zahllosen Hüter der Ordnung (Erzieher, Offiziere, Therapeuten, Richter oder Polizisten etc. pp.) um die „liberalen Seelen“ ihrer Mitmenschen ringen.
(3) Anfang 1849 gab es tatsächlich für drei Monate eine Volksbank, mit bis zu 60000 Mitgliedern. Nach der Verhaftung Proudhons (Direktor) mußte die Bank jedoch Konkurs anmelden.
* „Vis unita major.“ – Größere Kraft durch Einheit, mensch denke an Solidarität.

Theorie & Praxis

Über die Kriminalisierung öffentlicher Kommunikation

Das Programm zur Bekämpfung illegaler Grafitti

Ausgangspunkt für die Diskussion um Graffiti kann nicht die staatliche, in diesem Fall behördliche Sicht auf die Gesellschaft sein, denn viel zu oft schon wurde die staatliche Gesellschaftsnorm mittels seiner Repressionsorgane zur staatlich normierten Gesellschaft.

Ausgangspunkt kann nur die Gesellschaft mit den Menschen in sozialen Beziehungen sein. Und in unseren Zeiten gibt es da nicht nur die Bürger und ihr Privateigentum (das nicht mit Graffiti „beschmutzt“ werden soll) oder die Stadt mit ihrer Standortideologie (Graffiti sei schlecht um neue Investoren zu gewinnen, die die Stadt Leipzig in der Konkurrenz mit anderen Städten vorwärts bringen sollen), sondern auch die Menschen, die sich anders ausdrücken, als es die behördliche Norm verlangt.

Hier ist die Frage nach dem öffentlichen Raum relevant. Öffentlicher Raum bedeutet öffentliche Kommunikation und diese öffentliche Kommunikation muß allen möglich sein. Wer hat denn das Geld sich eine Werbetafel zu mieten? Wer hat denn eine öffentliche Stellung inne, die die Macht verleiht, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen?

Sowohl Graffiti, egal in welcher Form, als auch „wilde“ Plakate sind Formen öffentlicher Kommunikation, die immer weiter eingeschränkt werden. Öffentliche Kommunikation ist ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens, das in dieser Gesellschaft hinter Eigentum und kapitalistischen Konkurrenzkämpfen (zwischen den bürgerlichen Individuen, Unternehmen, Städten und nationalen Standorten) rangiert. Das „Programm zur Bekämpfung illegaler Graffiti“ ist ein eindeutiges Signal für die weitere Marginalisierung öffentlicher nichtnormierter Kommunikation, zeigt deutlich, dass dieses Unkontrollierbare den Behörden ein Dorn im Auge ist, dass schärfstens bekämpft werden soll. Wie schade nur, dass es bis vor kurzem kein Straftatbestand war. Nichtsdestotrotz wurde in der Stadtratsvorlage ständig von Straftat geredet, obwohl die Ergänzung der Polizeiverordnung erst später in Kraft trat.

Nach dieser ist jetzt „jedes Anbringen von Beschriftungen, Bemalungen, Besprühungen oder Plakaten, die weder eine Ankündigung, noch eine Anpreisung oder einen Hinweis auf Gewerbe oder Beruf zum Inhalt haben, (…) verboten. Dieses Verbot gilt nicht für das Beschriften, Bemalen und Besprühen speziell dafür zugelassener Flächen bzw. das Plakatieren auf den dafür zugelassenen Plakatträgern (…)“ (neu eingefügter §2a der Leipziger Polizeiverordnung)

Begründet wird diese Verschärfung damit, daß Graffiti „gesellschaftliche Verrohung, Rücksichtslosigkeit und Vernachlässigung städtischer Bereiche“ signalisieren, und dieser Zustand der „allgemeinen Werteordnung“ widerspricht.

Welche Anmassung einer staatlichen Stelle, eine einheitliche Werteordnung für alle zu bestimmen! Welch repressive Strategie zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen! Welch unsägliches Denken, eine Initiative „sauberes Leipzig“ gründen zu wollen, und um dieses „saubere Leipzig“ willen, „die derzeit bestehende Lücke in der Verfolgungskette“ zu schließen und Graffitiprojekte nur noch unter polizeilicher Aufsicht zuzulassen!

Diese Ergänzung bedeutet eine Kriminalisierung von nichtkommerziellen Plakaten und Zeichnungen. Wo keine Veranstaltungen oder Preise draufstehen, muß gezahlt werden, falls mensch erwischt wird. Wer zum Beispiel ein Plakat verklebt, auf dem gegen „Sozialabbau“ argumentiert wird, macht sich strafbar. Wer Bier für 99 Cent bewirbt, muß nichts befürchten. Der Staat mit seinen Organen beansprucht die Kontrolle über immer weiterer Bereiche des öffentlichen Lebens. Dies ist ein Prozeß der parallel läuft zu dem der Privatisierung & Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Wer öffentlich kommunizieren will, muß sich staatlichen Normen beugen, braucht Geld oder Status! Das kann nicht die Basis einer sozialen Gesellschaft sein, nimmer und nirgends, auch nicht in der „Leipziger Freiheit“!

francis

„Ich singe den Frieden, mitten im Krieg.“

(Textzeile von Wolf Biermann)

Die Frage auf den Frieden zu stellen, grenzt in den derzeitigen Diskussionen um militärische Intervention, Terroreinsatz und Sicherheitsgefühl geradezu an die Vorstellung eines sentimental-trauernden Pierrots, dem, auf einem Drahtseil taumelnd, der Magen sich vom Fuße auf den Kopf verdreht. ‚Notwendig, einzig möglich, unabwendbar, richtig‘ … Eine ganze Welt steht auf, erkennt sich; den Feind … und greift zur Bombe! Das Kriegsgeschrei ertönt in allen Lagern. Das Säbelrasseln wird zum Summen der Rotoren. Die alten Militanten haben‘s immer schon gewußt. Die Jungen wissen‘s auch nicht besser. Oh Elend! Und wieder zieht der Rauch durch Trümmerfelder und Ruinen, wieder tote Kinder, wieder weinen Mütter, sterben Väter, wieder, wieder, wieder

Naja, was sind schon zehn, hundert oder tausend – die Verluste sind gering, die meisten unter ihnen zählten eh‘ zum Feind. Oh Patria – glorreiches Land deiner Väter! Was ist denn schon das Leben eines Einzigen wert, wenn doch sein Tod das von hundert retten könnte? Und munter spielt man Nutzen gegen Kosten und umgekehrt. Schwindelerregendes Zahlenspiel. Schwindelei!

Nun hör‘ schon auf! Stell‘ dir doch vor, was unvorstellbar ist … Gift in der U-Bahn, Atompilze in San Francisco, Tel Aviv, Paris, Berlin. Da gibt es keine Möglichkeit – als den Krieg zu Land, zu Wasser und in der Luft. Ehrlich! Alle Experten zucken mit den tonnenschweren Schultern, ihre trüben Blicke schweifen in die Ferne … Wovon träumen sie? Von der letzten Schlacht? Dem ewigen Frieden nach dem letzten Krieg? ‚Wer Frieden will, muß Frieden halten.‘, so geht ein Satz der Alten, ‚Wer Kriege führt, wird stets bekriegt‘. Die Geschichten unserer Kulturen sind voll von solchen Bildern. Doch was schert uns schon Geschichte? Heute. Wo doch alles anders ist, wir doch alles besser wissen … müßten …

Die Ideen geh‘n baden – ganz privat. Und wieder rufen Demagogen beider Seiten auf zum Kampf um Leben oder Tod. Der Andere ist abstrakt, der Feind. Am Screen oder auf dem Pergamentpapier, skizzenhafte Fratze seiner taktischen Position. Die Technik erspart den Blick von Aug‘ zu Aug‘. Warum auch nur, den Anderen von Angesicht zu Angesicht erblicken, man selber steht doch auf der richtigen Seite… …und nicht er … Sieh‘ ihm in die Augen und dann drück‘ ab. Meine Hoffnung ist, Du vermagst es nicht, den Finger noch zu krümmen. Soll‘n es denn wirklich wieder Kriege sein, die über‘s Schicksal vieler Menschen richten? Menschen über Menschen, ohne sich zu kennen? Soll wieder unschuldiges Blut die Rache an den Schuldnern tünchen? Der Krieg ist keine Wahl, noch höchstens Ausdruck, keine Wahl zu haben. Hilfloser Würgegriff der Macht, die Reichweite ihrer Herren auszuweiten. Das Recht zu leben schließt das Recht zum Töten nimmer ein. Die Idee, den And‘ren einfach hinzumorden, kann nur als falsche menschliches Zusammenleben prägen. Soviel Kultur und soviel Leid, soviel Weisheit und soviel verbrannte Erde … und noch immer keine Einsicht weit und breit.

Lieber Moslem, lieber Christ, lieber Jude, lieber Atheist – laßt im Wettstreit der Ideen unsere Gedanken aneinander wetzen, anstatt uns in den Schützengraben gegenseitig zu zerfetzen. Im großen Kriege um die Macht und um die Gier haben stets die großen Macher nur gesiegt, all die Bin Ladens, Bushs, Blairs, Scharons, Putins und Arafats dieser Welt. Den Mensch am Abzug hat die Kugel stets noch angetroffen.

Für die ‚gute‘ Sache einzusteh‘n, ist wichtig, doch wird sie nur durch ihre Mittel richtig. Für den Schwächeren Partei ergreifen, heißt auch: für den Stärkeren Verantwortung mitzutragen. Aber nicht ihn richten! Gottes Stimme allein sollte dies vermögen. Doch sie spricht nicht durch uns Menschen. Keines unsere Worte, Schriften, Gedanken oder Gefühle, keines Menschen Tat kann ihr Urteil in der Welt verkünden.

Warum nur ist der Krieg heut wieder einzig möglich, unabwendbar, richtig? Warum haben die Geschichten so wenig nur gelehrt? Ich wüßte gern die Antwort auf die Frage. Sie ist auf meine Friedenshoffnung nur gestellt. Warum nur diktiert ihr die Menschen zu den Waffen, warum nur Menschen, greift ihr zu? „Hört auf damit und haltet Frieden!“ ruft Euch ein Freund im Herzen mutig und entschieden zwar entgegen, doch zaudernd bei der Frage: wie man so jung sein kann, und schon sooooo sentimental!

clov

Standpunkt

Erweiterung mal anders…

Dieser Artikel will einen kurzen Einblick in die historische Entwicklung des Streik geben. Das heißt auch: eine Erweiterung des Begriffs von „Streik“. Denn die Arbeitsniederlegung ist nicht auf Tarifauseinandersetzung beschränkt, ist Fest und…

Der Gedanke an die kollektive Arbeitsniederlegung als taktische Waffe in Auseinandersetzungen kam bereits im 18. Jahrhundert auf und wurde auch zu Zeiten der Französischen Revolution diskutiert. Nach Jahren des Krieges und „nationaler“ Befreiungsbewegungen kam die Idee in den 1830er Jahren wieder in die Diskussion, geknüpft an Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung auf acht Stunden. Die Achtstundenbewegung wurde von AnarchistInnen zunächst abgelehnt, weil diese Forderung ein faktische Anerkennung des Lohnsystems bedeutete. Bald aber war diese Bewegung nicht mehr zu ignorieren. Am ersten Ersten Mai im Jahre 1886 streikten 340 Tausend ArbeiterInnen, 40 Tausend allein in Chicago, einer Hochburg der Bewegung. So wurde in weiten Teilen des Landes den Achtstundentag durchgesetzt – ganz ohne gesetzgeberische Tätigkeit. Die brutale Reaktion des Staates, die sich vor allem auf Chicago konzentrierte, bewog die Sozialistische Internationale dazu, sich des 1. Mai 1890 als globalen Aktionstag für den Achtstundentag anzunehmen.

Allerdings sollte die Forderung durch Verhandlungen erlangt werden, nur im Falle ihres Scheiterns wurde der Streik erwogen. Dieser Standpunkt, der im besonderen von der deutschen Sozialdemokratie vertreten wurde, nimmt das heutige, allgemeine Verständnis vorweg. Ganz anders sah es an der Basis aus, die beschloss ihre Streiks in Generalversammlungen, zu denen alle Betroffenen Delegierte schickten. Die Delegierten aber hatten keine Entscheidungsbefugnis, sondern dienten als Boten, zum Austausch und Verhandeln. Diese Streikautonomie ging mit der Bildung von Zentralverbänden und Weisungsbefugnis verloren. Von nun an hatte nur noch der nationale Verbandsvorstand das Recht, einen Streik auszurufen … so ist es bis heute. Gesetzgeber und Rechtssprechung blieben bis 1933 bei einer liberalen Auffassung, daß Streik zwar in gewissen Maßen bleiben müsse – „nicht über dasjenige hinausgehen, was im Lohn- und Klassenkampf […] als statthaft anzusehen ist.“ In das Grundgesetz wurde ein Streikrecht 1949 explizit nicht aufgenommen, weil das "unsere ganze staatliche Ordnung […] auf den Kopf stellen kann." (CDU-Abgeordneter Kaufmann) In den Jahren der "kleinen" BRD stellten die Richter dann im wesentlichen drei Kriterien für legale Streiks auf: 1) geführt durch anerkannte Gewerkschaft, 2) geführt zum Abschluß eines Tarifvertrags, 3) geführt unter Wahrung der im Tarifvertrag vereinbarten Friedenspflicht. So verhält es sich in Deutschland bis heute. Und dieser enge Rahmen wird bisher nicht in Frage gestellt … Streiks sind äußerst selten. In anderen Ländern stellt sich die Situation anders dar … davon wollen wir berichten.

A.E.

Streik

ArbeiterInnen kontrollieren Fabriken

Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise des Landes übernehmen argentinische ArbeiterInnen die Fabriken selbst und sind damit erfolgreich. Sie tauschen ihre Chefs gegen mehr Lebensqualität. Exemplarisch für diesen Prozess berichten wir hier von der Grissinopoli-Fabrik, ähnliche Vorgänge kann mensch aber auch an anderer Stelle beobachten, wie z.B. bei Brukman: So war die Familie Brukman – Besitzerin einer Textilfabrik in Buenos Aires – kurz vor dem Sturz des Präsidenten De la Rúa geflüchtet. Sie schuldete ihren MitarbeiterInnnen mehrere Monatsgehälter und fürchtete, im Rahmen der damaligen Ausschreitungen angegriffen zu werden. Die Fabrik wurde in Dezember 2001 besetzt und nach einigen Monaten der Vorbereitung wurde die Produktion von den MitarbeiterInnen autonom wieder aufgenommen. Jetzt läuft das Geschäft und die Brukmans wollen sich mit Hilfe der „Polizeiinfanterie“ ihre Fabrik zurück holen. Nachdem die Inhaber von der nichtbezahlten Arbeit ihrer ArbeiterInnen und Angestellten profitiert hatten und mit dem Restkapital geflüchtet waren, war es nicht leicht, die als insolvent geltende Fabrik wieder in Betrieb zu nehmen. Am 24.11.02, um 9 Uhr, stürmte die Polizei überraschend die Fabrik und verhaftete sechs Mitglieder der Wochenendbesetzung – ohne Durchsuchungs- oder Haftbefehle. Viele Organisationen mobilisierten dagegen; eine Stunde später hatte sich bereits eine Straßenblockade gebildet. Die Polizei hatte, da sie kein Widerstand erwartete, nur einige Wachleute vor Ort. Gegen 11 Uhr kam die Meldung, dass die MitarbeiterInnen die Polizei verdrängt und die Fabrik erneut besetzt haben!

Innerhalb eines Jahres erlebten die ArbeiterInnen in der Brotfabrik Grissinopoli einen Schwund ihrer Wochenlöhne von 150 auf 40 Pesos. Am dritten Juni schließlich, als die Firma Bankrott ging, verlangten die Angestellten die Auszahlung ihrer zurückgehaltenen Löhne. Der Fabrikmanager bot jedem der 14 ArbeiterInnen 10 Pesos und forderte sie auf, die Fabrik zu verlassen. Sie gingen nicht. Was als verzweifelte Aktion begann, um die eigenen Arbeitsplätze zu retten oder Ausgleichszahlungen zu erhalten, wurde zu dem hartnäckigen Versuch, die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen. Die ArbeiterInnen bewachten die Fabrik 24 Stunden am Tag und überlebten dadurch, dass sie an der Universität um Kleingeld baten und Gebäck verkauften. Weitere vier Monate später enteignete die Stadtverwaltung die Besitzer und übergab die Fabrik an die ArbeiterInnen. Im Oktober lief die Produktion in Grissinopoli wieder an.

"Er schloß die Fensterläden und wir blieben drin." berichtet Norma Pintos, 49, die 11 Jahre in der Fabrik gearbeitet hat. "Wir wollten einfach weiterhin zur Arbeit

In weniger als einem Jahr errangen die ArbeiterInnen die Kontrolle über eine ganze Anzahl von argentinischen Unternehmen. Weitaus bemerkenswerter als die Übernahmen, ist aber die von ArbeiterInnen gesteuerte Wiederbelebung der Fabriken, welche in einigen Fällen profitabler wirtschaften als unter ihren vorherigen Besitzern. Abgesehen davon, dass so Tausende von Arbeitsplätzen gesichert werden und der massive Niedergang der vormals riesigen nationalen Industrieproduktion abgeschwächt wird, werden durch die Fabrikübernahmen meist unangefochtene Annahmen über das Verhältnis von Kapital und Arbeit in Frage gestellt. Die ArbeiterInnen ziehen aber auch die Aufmerksamkeit der Konservativen auf sich, die sie als eine Bedrohung für die Eigentumsrechte betrachten. In dieser krisengeschüttelten Gesellschaft jedoch, mit 37 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze (1) lebt und 34% der Arbeitskraft arbeitslos oder unterbeschäftigt ist, haben die ArbeiterInnen die Billigung der Regierung und starke allgemeine Unterstützung.

Es dämmert bereits über dem Riachuelo-Fluß, der die südliche Grenze von Buenos Aires markiert, jedoch in der nahen Ghelco-Ice-cream-Fabrik herrscht reges Treiben. Männer in grünen Uniformen wischen den Boden, während andere Papiere ordnen. Im Februar hatte der Besitzer der Fabrik, die einstmals national führend im Produzieren von aromatisierten Puder war, welches der Grundstoff für Eiskrem ist, die Tore verschlossen und stellte wenig später Insolvenzantrag. Die Angestellten, denen noch tausende Dollars aus zurückgehaltenen Löhnen und Leistungen zustanden, blieben sich selbst überlassen, während sie auf die Ergebnisse eines langen und unsicheren legalen Prozesses warteten. Auf Drängen von Luis Caro, einem Rechtsanwalt, der schon über 40 besetzte Fabriken vertreten hat, bildeten die ArbeiterInnen eine Kooperative und organisierten vor den Fabriktoren einen permanenten Protest, um der Entfernung des Mobiliars und der Maschinerie vorzubeugen. Nach drei Monaten gestatte der Konkursrichter ihnen die Fabrik vorübergehend zu mieten. Im September dann, enteignete die Stadtverwaltung Ghelco und händigte die Schlüssel der Kooperative aus. Seitdem führen 43 ehemalige untere Ghelco-Angestellte die Fabrik. Obwohl es ihnen gefällt, für sich selbst zu arbeiten, war es ein hartes Stück Arbeit. Viele arbeiten 12 Stunden am Tag, da sie nun mit zusätzlichen Administrativ- und Managmentaufgaben jonglieren. „Früher sind wir zur Tür raus gegangen, als die Zeit um war… Jetzt ist es 21 Uhr am Abend und wir sind noch immer hier“, sagt Claudia Pea, die Kunden und Geschäftspartner an der Rezeption empfängt, die Container beschriftet und die Bäder putzt.

Auf der anderen Seite des Riachuelo quellen die Auftragsbücher für 54 Mitglieder der Einheit- und Kraft- Kooperative (Union and Force Co-operative) über – sie hatten für sechs Monate einen metallverarbeitenden Betrieb besetzt gehalten, bevor sie die offizielle Kontrolle durch eine Enteignung im vergangenen Jahr übertragen bekamen. Die ArbeiterInnen verdienen mehr als das doppelte ihres vormaligen Lohns und sind dabei, 20 neue Mitglieder aufzunehmen. Aufgrund der hohen Nachfrage für ihre Kupfer- und Messingrohre wollen sie expandieren und exportieren. Die ArbeiterInnen sind ebenso wie alle anderen von dem Erfolg überrascht. „Die Kollegen glauben, dass das alles ein Traum sein muss“, sagt der Präsident der Kooperative, Roberto Salcedo, 49. Die Bücher von den alten Schulden zu befreien, war nicht schwer. Was aber wichtiger ist, wie die ArbeiterInnen sagen, ist, dass die Gewinnabzüge für den Besitzer und die höheren Gehälter der Verwaltung wegfallen. Wie in den meisten besetzten Fabriken hat auch die Einheit- und Kraft- Kooperative egalitäre Lohnmaßstäbe. Entscheidungen werden durch Abstimmung in regelmäßigen Versammlungen getroffen und jede/R ArbeiterIn verdient das Gleiche, basierend auf den Gewinnen der vorhergehenden Wochen.

Caro schätzt, das die ArbeiterInnen landesweit etwa 100 Fabriken und andere Firmen übernommen haben. Supermärkte, eine medizinische Klinik, eine patagonische Mine und ein Hafen von Buenos Aires gehören dazu. Oftmals handeln die Besitzer aus, dass die ArbeiterInnen statt der zurückgehaltenen Löhne oder anderen Ansprüchen, die Produktion übernehmen. Andere Fabriken haben noch immer keinen rechtlich gesicherten Status. Aber das eigentliche Ziel für viele selbstverwaltete Betriebe ist die Enteignung. Während der letzten zwei Jahren wurden 21 Produktionsstätten in und um Buenos Aires enteignet. Provinzielle und städtische Repräsentanten riechen den Braten und reichen Anträge ein, die die Bildung von Regierungsagenturen fordern. Diese Agenturen sollen bei der Bildung von Kooperativen, der Enteignung von bankrotten Unternehmen, sowie deren Übergabe an die ArbeiterInnen behilflich sein. Wie dem auch sei, Uneinigkeit macht sich unter den verschiedenen ökonomischen Interessengruppen breit, was dazu führen könnte, dass die politische Unterstützung schwindet. Während die ersten beiden Enteignungen in der Hauptstadt noch einmütig von der Stadtregierung beschlossen wurden, hat die Radikale Mitte-Rechts Partei ihre Position seitdem geändert und weigerte sich für die Enteignung von Grissinopoli zu stimmen. „Enteignung kann nur zugunsten derAllgemeinheit vorgenommen werden. In diesen Fällen gibt es keinen allgemeinen Nutzen. Es ist das Wohl von 20 oder 30 Leuten.“, meinte Gregorio Badeni, ein Verfassungsrechtler. Nur wenn die lokale Unterstützung für die fabrikbesetzenden ArbeiterInnen stark ist, können auch Autoritäten nur wenig dagegen ausrichten. „Die Vorstellung, dass Kapitalisten nötig seien, um die Produktion zu organisieren, wird entmystifiziert,“ erklärt Christian Castillo, Soziologieprofessor an der Universität Buenos Aires. „Möglicherweise wird diese Bewegung verschwinden, wenn sich die wirtschaftliche Lage entspannt. Aber die Idee und Erfahrung der Arbeiterselbstverwaltung ist in den Köpfen.“

Reed Lindsay, IMC Buenos Aires

(Übersetzung: hannah b.)

(1) Unter der absoluten Armutsgrenze leben heißt, weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung zu haben.

Soziale Bewegung

Weder Spiel noch Ritual

Streiks gibt es viele verschiedene: Wildcat-Strike (wilder Streik), Solidaritätsstreik, Lucky-Strike (Spaß-Streik), Flexi-Streik (wandernder Streik), schließlich der schon konventionelle Warnstreik. An dieser Stelle wird von einem Indy-Strike berichtet.

In Deutschland erlebten wir zuletzt die neue Form des Flexi-Streiks. Das war die „Waffe“ der IGM in den Tarifauseinandersetzungen des Frühjahrs 2002 und stellte sich wie folgt dar: Großspurig wird der Ausstand angekündigt, dank der Leitlinienkompetenz oder Weisungsbefugnis der Gewerkschaftsspitze sah der dann aber ganz drollig aus: gestern wurde in Wolfsburg gestreikt, heute streiken die Belegschaften in Augsburg, und morgen wird Zwickau bestreikt … teilweise legte nur eine Schicht eines Werks die Arbeit nieder! Solch‘ flauschige Samthandschuhe hatte wohl selbst die Arbeit„geber“schaft nicht erwartet. Das Ergebnis war denn auch eine gütliche Einigung: die FunktionärInnen bekamen ihre Vier vor dem Komma, und die Arbeit„geber“ Innen kamen günstiger weg als erwartet (1).

Zuvor erblickte 1998 der Lucky-Strike der Studierenden das Licht der Öffentlichkeit: viele Demonstrationen und einige Institutsbesetzungen, um ein generelle Absage an Studiengebühren durchzusetzen. Wirtschaftlichen Druck aber, denn allein darauf kommt es in dieser Gesellschaft an, haben diese Proteste nicht ausgeübt. So dienten sie denn als Vorlage für den Wahlkampf der damaligen Opposition (SPD & Grüne), doch bis heute sind die Forderungen der damals Protestierenden nicht umgesetzt.

Leider völlig unbekannt scheinen hierzulande inzwischen der wilde und der Solidaritätsstreik zu sein, beide sind nämlich nicht gesetzlich gedeckt. Ganz anders verhält es sich in Frankreich: die durchschnittlich 70 Streiktage (pro Jahr und Tausend ArbeiterInnen; zum Vergleich: etwa 14 Streiktage in der BRD) sind lustig und flexibel nämlich, ohne Vorwarnung und „wild“ … und von vergleichsweise wenigen Streikenden geführt, die unabhängig (independent, daher Indy-Streik) von großen Gewerkschaften ihren Kampf beginnen. Von einem Beispiel sei im Folgenden berichtet:

ARCADE

Arcade ist ein Subunternehmen der Hotelgruppe Accor – dazu gehören unter anderem Ibis und Mercure – und versieht die Reinigung der Hotelzimmer. Die Angestellten von Arcade sind Immigrantinnen aus der sog. „Dritten Welt“ … die meisten können oftmals gar nicht lesen oder schreiben. Dementsprechend leicht war es auch, harte Arbeitsbedingungen bei geringer Entlohnung durchzusetzen. Das Arbeitsverhältnis ist in Teilzeitverträgen geregelt, häufig aber erreicht die tatsächliche Arbeitszeit glatte 35 Stunden pro Woche – die Überstunden werden nicht bezahlt. Und das läuft so: es besteht ein Quotensystem, nachdem für die Reinigung eines Zimmer exakt 17 Minuten vorgesehen sind. Wer also 3,2 Zimmer reinigt erhält 7,16 Euro als Bruttostundenlohn – 33 Cent mehr als der gesetzlich festgelegte Mindestlohn. Um den äußerst peniblen Kontrollen aber gerecht zu werden, braucht es schon mehr als ’ne Viertelstunde.

Im Frühjahr dann brachte die Entlassung von acht Angestellten das Faß zum Überlaufen. Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsrhythmus und für die Wiedereinstellung den Kolleginnen befinden sich seit dem 7. März 2002 dreißig der 800 Zimmerfrauen von Arcade im Streik – und kein Gewerkschaftsvorstand kann hier intervenieren, es gilt die Entscheidung der Beteiligten! Die Frauen fordern die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten und Vollzeitverträge sowie eine Jahresendprämie von 305 Euro für alle Angestellten. Nach ihren Vorstellungen soll der Arbeitsrhythmus verringert werden auf 2,5 Zimmer pro Stunde in Drei-Sterne- und auf 3 Zimmer in Zwei-Sterne-Hotels. Des weiteren beharren sie auf der Rücknahme der Sanktionen (und besonders der acht Entlassungen).

Dieser spontane Streik in der Region Paris wäre wohl bereits in den ersten Wochen zusammengebrochen, weil die Streikenden nicht gewerkschaftlich organisiert sind und also auf ihre eigenen Ressourcen (falls vorhanden) zurückgreifen müssen. Doch in jenen ersten Wochen, die nun schon mehr als 6 Monate zurückliegen, fand sich eine Solidaritätsbewegung zusammen (darunter auch AktivistInnen der Gewerkschaften "Propreté & Service" in der SUD und "Nettoyage" in der CNT sowie Sektionen der parteikommunistischen CGT). Zusammen mit den Streikenden sorgten sie mit Protestaktionen in den Accor-Hotels für einiges Aufsehen. Besonders wichtig aber war und ist die finanzielle Unterstützung durch die alternative SUD und die Spendensammlungen der Solidaritätsgruppe.

Sollte dieser Streik Erfolg haben, hätte das nicht nur Signalwirkung auf die Angestellten von Arcade, sondern würde auf den gesamten Reinigungssektor ausstrahlen … gegen Subverträge, mittels derer sich die Arbeit„geber“ juristischer Verantwortlichkeit entziehen und Lohnsenkungen erwirkt werden können. Beispiele für das Wirken von Subverträgen finden sich auch vor Ort: die Umstrukturierung des Busverkehrs der LVB (siehe Feierabend! Nr. 2); die Unternehmensgruppe Schubert, Betreiberin der Mensa der medizinischen Fakultät (Universität Leipzig), beschäftigt nach der Entlassung von fünf Fahrern nun Zeitarbeiter zu deutlich schlechteren Bedingungen. Der Streik bei Arcade zeigt aber auch, daß es zur Auseinandersetzung keiner großen Organisation bedarf, sondern vielmehr der Entschlossenheit der Beteiligten und Betroffenen.

A.E.

(1) vgl. „Direkte Aktion“, Juli/August 2002. Näheres zu Arcade im Wildcat-Zirkular, Juli 2002; aktuelles unter www.ras.eu.org/arcades; verwandtes im Kino: „Der Glanz von Berlin“.

Streik

Politisch lesen

Lesen bildet! So sagt man gerne. Damit die ganze Sache aber nicht vergebens ist, tut es gut, in Rezensionen auf Buchempfehlungen oder Verrisse zurückgreifen zu können. So nun auch hier im Feierabend! Um es gleich vorwegzuschicken, es folgt eine Empfehlung! Bücher mit politischem Anspruch sind gewiß nicht selten zu finden. Manche stechen aber geradezu hervor.

Mitte September 2002 erschien das Buch „hotlines – Call Center / Untersuchung / Kommunismus“, herausgegeben von der Gruppe kolinko. Sehr ambitioniert kommt es daher und dreht sich im Groben um die Untersuchung von Arbeitsbedingungen, Konflikten und Perspektiven für den Arbeitskampf im nicht unwesentlichen Call-Center-Gewerbe. Das Autorenkollektiv weiß, worüber es schreibt, denn es besteht aus Menschen, die sich bewußt dafür entschieden, einige Jahre in die Call Center zu gehen, dort zu arbeiten und sozusagen Teil des Arbeitsprozesses zu sein. Eine Stellung. von der man wesentlich authentischer analysieren kann als vom heimischen Schreibtisch. Dies wäre der erste Pluspunkt, der bei der Lektüre offensichtlich wird.

Nun mag eingewendet werden: Alles nichts neues, kennen wir schon, ist doch ehedem vergeblich versucht worden, in die Betriebe zu gehen. Bei kolinko sieht es jedoch anders aus, es ist recht angenehm zu lesen, daß die verschiedenen Leute unterschiedliche Ansätze wählten. Mal Agitation, mal die Lage abchecken, mal ganz pragmatisch und dann auch wieder auf internationaler Ebene – jede/r fand einen Weg. Über die unterschiedlichsten Erfahrungen konnte man dann diskutieren.

Das Ergebnis sieht so aus, daß kolinko klar strukturiert darlegen, um was es ihnen ging, was sie in den Call Centern taten und wie die Reaktionen von politischen Leuten ausfielen. Und in diesen ersten drei Kapiteln wird der zweite Pluspunkt des Buches deutlich. Man hat es mit Leuten zu tun, die fähig sind, ihren Aktionismus zu reflektieren und auch nicht mit Selbstkritik geizen.

Im vierten Kapitel finden sich umfassend allgemeine Informationen zur Branche, die einst als Modell für die „neue Arbeit“ herhielt (flache Hierarchien, alle zusammen statt Arbeitskampf,…) Daß dieser Schein trügt, mag schon vorher klar gewesen sein. Wem nicht, der findet im fünften Kapitel, betitelt Arbeitsalltag, den schönen Scheiß/Schein säuberlichst aufgedröselt. Und siehe da, das Kartenhaus fällt zusammen, ganz ohne Sturm oder Wind, es genügt schon ein genauer Blick auf die Situation in Call Centern. Und was den Menschen nicht gefallen kann, gehört umgestürzt… So wird folgerichtig im sechsten Kapitel das Thema Arbeitskampf / Konflikte angegangen. Es wird über Möglichkeiten des Widerstandes berichtet, bestehende Organisationsformen und Versuche dargestellt. Und wieder einmal wird ehrlicherweise nicht verschwiegen, daß das natürlich nicht immer problemlos funktioniert. Besonders erschwerend kommt in Call Centern, aufgrund von hoher Fluktuation, mangelnde Kontinuität hinzu. Dort ist es so ätzend, daß man das nicht Ewigkeiten aushält…

Nach den Auseinandersetzungen geben uns kolinko einen Ausblick darauf, wie es weitergehen könnte, was zu tun wäre. Als besonders wichtig wird hier der Austausch mit anderen Gruppen, ArbeiterInnen gesehen. Also wird zur besseren Koordination die Website prolposition.net vorgestellt, auf der man sich in die laufenden Diskussionen und Aktionen einklinken kann.

Zum Abschluß werden die Fragebögen und Flugblätter der letzten 3 Jahre dokumentiert, Betriebe knapp vorgestellt und der manchmal recht eigentümliche Call-Center-Jargon in Form eines Glossars übersichtlich verständlich gemacht. Obendrein gibt es als Gimmick noch eine CD-ROM zum Buch – und das für nur 9 Euro.

Um es kurz zu machen: Das Buch ist der Hammer! Es tut gut, so etwas zu lesen.

Erhältlich in ausgewählten Buchläden, auf Büchertischen oder Direktbestellung (+2 Euro für Porto und Versand, nähere Informationen unter kolinko@prol-position.net)

Rezension

Gegenseitige Hilfe

Seit Dienstag, den 12. November, sind die Krankenschwestern und andere Angestellte des Rydygiera Krankenhauses in Wroclaw (Polen) gemeinsam aktiv, um die Auszahlung ihrer Löhne zu erwirken und gegen geplante Massenentlassungen zu protestieren – acht Frauen befinden sich sogar im Hungerstreik. Am Samstag blockierten mehr als 100 Menschen eine Straße in der Stadt an der Oder und bekamen die harte Hand der Exekutive zu spüren … 11 Leute mußten medizinisch behandelt werden, darunter auch AktivistInnen der Anarchistischen Föderation (FA). Die Polizei bekam dafür einige Kartoffeln ab. Mehr Kartoffeln aber wurden für die Versorgung des Krankenhauses aufgewendet, denn dieses wird zur Zeit besetzt gehalten.

Ende November demonstrierten erneut fast 200 Menschen aus Protest gegen den zerrütteten Zustand des Gesundheitswesens. Es beteiligten sich nicht nur die Krankenschwestern und AnarchistInnen, sondern auch Arbeitslose, RentnerInnen und Studierende … bis in die Stadtverwaltung wurden sie aber nicht vorgelassen. Die Proteste werden sicherlich nicht abreißen … das ist umso gewisser als die Krankenschwestern solche Aktionen für das gesamte Land ankündigten.

In den lokalen Medien werden die UnterstützerInnen von der FA Wroclaw für die Proteste verantwortlich gemacht… zwei AktivistInnen werden wahrscheinlich angeklagt werden. In Reaktion darauf aber gehen die Krankenschwestern jetzt auch in Solidarität mit den Inhaftierten auf die Straße!

Vielleicht sollten wir uns die Praxis der benachbarten AnarchistInnen ‘mal näher ansehen, denn sie unterstützen nicht nur Lohnkämpfe, sondern sind auch bei zwangsweisen Wohnungsräumungen zur Stelle, um diese zu verhindern. Direkte Aktion im besten Sinn des Wortes!

A.E.

Streik

Die Bastelecke

Anstelle eines Fertigproduktes wollen wir uns heute selbst mit der Herstellung eines Kommentars beschäftigen. Dazu benötigen wir vier Zutaten. Man nehme:

1. Aus dem Wahlwerbespot der SPD zur Bundestagswahl:„Seit dem Regierungsantritt haben wir wirklich hart gearbeitet. Mehr Geld für Bildung, bessere Förderung der Familien und natürlich Abbau der Staatsschulden. Aber das reicht mir nicht. Deshalb werden wir dafür sorgen, daß die Steuersätze weiter sinken, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen. Das wird die Wirtschaft weiter ankurbeln und wird helfen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.“… oder wahlweise auch „Wir schaffen das.“

2. Aus der Einkommenssteuererklärung für unbeschränkt Steuerpflichtige: „Ich versichere, dass ich die Angaben in dieser Steuererklärung wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe. Mir ist bekannt, dass Angaben über Kindschaftsverhältnisse und Pauschalbeträge für Behinderte erforderlichenfalls der Gemeinde mitgeteilt werden, die für die Ausstellung der Lohnsteuerkarten zuständig ist.“

3. Zitat Altbundeskanzler Konrad Adenauer: „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an.“

4. Aus dem eigenen Bücherschrank nach eigenem Geschmack einen schönen gutabgelagerten alten Krimi. Weniger empfohlen sei etwa Agatha Christie wegen der fehlenden Note des politisch-wirtschaftlichen Eigengeschmacks oder ein Sherlock Holmes, bei dem die Missetaten im Wesentlichen das Werk von Einzelnen sind. Besser wäre da etwas von Raimond Chandler, etwa eine Stelle mit korrupten Politikern, beinharten Cops, dollarschweren Spielbankinvestoren und einem Spielcasinoschiff, dass außerhalb der offiziellen staatlichen Hoheitsgewässer satte Gewinne einfährt.

Der Rest ist ganz einfach: Die so gefundene Stelle auf einen Kopierer legen, ausschneiden und hier einkleben – fertig. War doch gar nicht schwer.

Bleibt bloß noch das blöde Gefühl, sich selbst strafbar gemacht zu haben: Wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung am Wahlsonntag.

winnie puh

et cetera