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Utopie oder Zwangsneurose?

Wie realistisch sind wir, können wir, müssen wir sein?

Die Grundlinie der streikenden Studierenden war klar: Nicht nur zeigen, dass die Pläne zur Umstrukturierung und Kürzungen an den Hochschulen auf Missfallen stoßen, sondern sie verhindern. Am Anfang standen ganz persönliche Bedürfnisse der aktiven Studierenden, die sich in einem sogenannten Streikkomitee organisiert hatten. Inhaltlich beschränkte sich die Zielsetzung der Mehrheit auf Hochschulpolitisches. Wer mit der Analyse der Verhältnisse etwas weiter ging, merkte jedoch, dass es einen grundlegenden Zusammenhang mit anderen Politikfeldern gibt. Fraglich bleibt, ob das bei allen angekommen ist. Bei dem Einen oder der Anderen scheint die Reflektion über den „konstruktiven“ Streik allerdings den Anstoß zu radikalerer Kritik gegeben zu haben.

Zu Beginn beschränkten sich die Inhalte des Protestes auf Slogans wie: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ Trotz relativ wenigen aktiven Leuten verlief er aber durchaus erfolgreich. Die Kreativität der Studierenden dominierte den öffentlichen Raum. Nach einigen Wochen Aktionismus sah das Ganze schon anders aus. Mehr und mehr blieben die Leute aus, die wenigen, die noch versuchten, etwas auf die Beine zu stellen, gingen auf dem Zahnfleisch. Die große Frage war nun: Woran lag‘s? Wenig verwunderlich, dass viele die Schuld nicht bei sich suchen wollten, selbst war man ja schließlich ordentlich dabei gewesen. Die anderen, die nicht mitmachten, waren also schuld und damit hatte es sich. Von inhaltlichen Fehlern war dagegen wenig zu hören, obwohl Unsicherheiten hierbei überall anzutreffen waren. Parallel war im Streikkomitee zu beobachten: Veranstaltungen und Flugblätter wurden als vollkommen ausreichendes Mittel gesehen, um an Nichtstreikende heranzutreten.

Die Verbindung von eigenen inhaltlichen Unsicherheiten und dem Ausbleiben weiterer MitstreiterInnen liegt auf der Hand: Wer nicht in der Lage ist, Ahnungslosen konkrete Hintergründe zu vermitteln, soll sich nicht wundern, wenn sich diese dann nicht interessieren. Woher kamen also diese Unsicherheiten? Möglicherweise war die große Hürde die gebetsmühlenartig zu vernehmende Vorgabe, „realistisch“ oder „konstruktiv“ bleiben zu müssen. Verbaute man sich dadurch doch den Weg zu jeder weitergehenden Kritik an den Verhältnissen, gegen die man sich doch zur Wehr setzen wollte.

„Realistisch“ hieß hier, sich von „Utopien“ fernzuhalten, sich allem zu verweigern, was die herrschende Politik radikal hinterfragen könnte. „Konstruktiv“ bedeutete, mit seinen Forderungen im Rahmen des „Machbaren“ zu bleiben, auf die Politik zuzugehen. Vielleicht sollte mensch sich klarmachen, dass das politisch Mögliche im Wesentlichen von Parteiprogrammen bestimmt wird: Von der PDS über Rot/Grün bis zur NPD, alles ist wählbar. Forderungen, die über Vorstellungen einzelner Parteien hinaus- oder an ihnen vorbeigehen, sind schlichtweg unmöglich. Für die aktuelle Kürzungsorgie ist aber keine bestimmte Regierung verantwortlich, sie findet überall statt – ob Rot/Rot in Berlin regiert oder Schwarz in Sachsen. Ist es nicht gerade utopisch, mit „realistischen“ Forderungen an die Regierenden heranzutreten? Ist es nicht vielmehr realistisch, den Zusammenhang zum um sich greifenden Sozialabbau herzustellen und solidarisch mit den anderen Betroffenen dagegen zu kämpfen?

Bleibt die Frage, warum diese Politik betrieben wird. Offizielle Begründung: Die desolate wirtschaftliche Lage sei schuld. Jetzt müsse überall gekürzt werden, nicht nur an den Unis, sondern an allen sozialen Leistungen und Einrichtungen. Die längst laufende Sparpolitik betrifft also alle, nicht nur die Studierenden. Auch Teile des Streikkomitees waren sich der offensichtlichen Verbindung zwischen Bildungs- und Sozialabbau nach drei Wochen Streik bewusst: so wurde von der Vollversammlung am 29.1. etwa der Stopp der neoliberalen Entwicklung von Bildungs- und Sozialpolitik gefordert und die Agenda 2010 abgelehnt. Spätestens jetzt ist mit „konstruktiv“ nichts mehr anzufangen.

Wenn von offizieller Seite die schlechte Wirtschaftslage als Rechtfertigung für politische Entscheidungen genannt wird, ist das gar nicht mal so falsch. Politik ist Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände. Besser wird sie dadurch nicht, im Gegenteil – stimmt etwas in einer Gesellschaft nicht, kann es auch mit der von ihr abhängigen Politik nicht weit her sein. Zu kritisieren ist gerade das, was das Streikkomitee inhaltlich derart in die Ecke treibt: diese Verhältnisse! Es sollte eigentlich nicht schwer sein, das zu begreifen, scheint es aber. Zum Ausdruck kam dies in den Protesten selten. Zu sehr zielten Aktionen auf Verständnis hin, zu sehr waren sie vom Wunsch geprägt, von den Verantwortlichen „angehört“ zu werden. Nochmal: die Politik hört nur, was sie hören will – das, was „realistisch“ ist, sich also im von ihr gesteckten Rahmen abspielt.

Und genau deshalb ist es wichtig, eine grundsätzliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen und ihrer Politik zu formulieren, um durch öffentlichen Druck eine breite Auseinandersetzung mit den hier aufgeworfenen Fragen zu erzwingen. Wie sonst kann etwas erreicht werden?

fi & freunde

Bildung

Freundliche Helfer

Nach Informationen aus Regierungskreisen besteht kein Grund zur Beunruhigung.

„Es wäre doch schade, wenn das jetzt hier eskalieren würde. Bisher waren eure Proteste doch so schön friedlich.“ * – Eine banale Beschreibung dessen, worauf es der herrschenden Politik im Umgang mit der Studibewegung ankommt. Alles soll möglichst schön konstruktiv ablaufen. Symbolischer Protest ist okay, solange nichts „eskaliert“. Misstrauisch beäugt die Polizei die vielschichtige und spontane Streikbewegung bei der jede Kriminalisierung durch die überwiegend positive Berichterstattung der Medien erschwert wird. Studierende genießen durch ihre Vorzeigefunktion als zukünftige Elite anscheinend mehr Narrenfreiheit als andere protestierende Gruppen, wie beispielsweise AntifaschistInnen, die oft von vornherein zu „Chaoten“ gestempelt werden.

Mehr und mehr studentische Aktionen machen aber deutlich, dass der zugestandene Rahmen symbolischer Proteste zu eng ist, für Leute, die etwas bewegen wollen. Gleich zum Streikauftakt wird das Rektorat besetzt und anlässlich des Schröder-Besuchs Polizeisperren durchbrochen. Auf den ersten Blick wirken die Bewahrer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung konzeptlos. Wie ist mit so einer heterogenen Masse jung-dynamischer Leute bloß umzugehen? Mit den laufenden Aktionen offenbart sich von Seite der Obrigkeit allerdings ein interessantes zweigleisiges Konzept.

Während auf der einen Seite dem symbolisch-konstruktiven Protest öffentlicher Raum gegeben wird, sollen ihm aber ganz klar Grenzen gesetzt werden. Schließlich erkennt man bei den Studis auch durchaus Potential, das sich radikalisieren könnte – spätestens seit `68 ist bekannt, wie sich Bewegungen, die mit vergleichsweise harmlosen Forderungen anfangen, zu einem Generalangriff aufs Herrschaftsgefüge ausweiten können. Eine solche Entwicklung muss auf jeden Fall vermieden werden und so ganz ohne Repression soll es jedenfalls nicht abgehen: Leute, die etwas länger das Megafon in Händen halten, werden (möglichst) diskret zur Seite geführt: Personalienfeststellung. Andere, die sich in kleiner Gruppe vorwagen, um über den 08-15-Protest hinauszugehen, werden festgehalten – es gibt Platzverweise mit dem Hinweis, sich „nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen“, man „kenne Sie ja schon“. Während im Allgemeinen ein kollegial-kumpelhafter Ton gegenüber den Protestierenden gepflegt wird, versucht die Polizei mit umfassender Überwachung der Proteste, „Rädelsführer“ und „Extremisten“ ausfindig zu machen, gegen die mit Einschüchterung oder Anzeigen vorgegangen werden kann, wie neuerdings gegen die StörerInnen des Dresdner Landtags.

Einer sozialen Bewegung klare Grenzen zu setzen, ohne den Polizeistaat zu offensichtlich werden zu lassen, ist theoretisch nicht möglich, praktisch aber anscheinend schon. So „eskaliert“ nichts und alles bleibt „schön friedlich“. Natürlich nach der Definition der grundfriedlichen Polizei.

soja

* „Einsatzleiter“ der Polizei bei der angedrohten Räumung des Regierungspräsidiums, 28.1.

Bildung

Bildung selbst organisieren!

Seit zwei Jahren gibt es bereits die selbstorganisierten Seminare. Sie entstanden als AG seminare aus den Studierendenprotesten 2001, die sich gegen die Kürzungen der Landesregierung und die Hochschulumbaupläne richteten. Nach dem Abflauen der studentischen Protestbewegung wollten sich manche nicht einfach wieder dem Unialltag ergeben, sondern haben nach Möglichkeiten gesucht, sich selbst zu bilden, aber anders als an der Universität: keine Massenvorlesungen, kein Druck Scheine oder Prüfungen machen zu müssen und ohne das hierarchische Lehrer-Schüler- Verhältnis. Sie wollten und wollen Bildung selbst organisieren. Diese Bildung soll für alle offen sein. Es geht nicht darum, die Menschen nach Funktionen einzuteilen oder gar sich die Selektion anzumaßen, Menschen wegen des Schulabschlusses bei den Seminaren nicht mitmachen zu lassen. Dies macht bereits das jetzige Bildungssystem, das deswegen auch so ungeheuer unsympathisch ist. Derzeit entwickelt es sich von einer staatlichen Steuerung zu einer Marktsteuerung. Beides stellt keine wirkliche Lösung dar. Besser wäre es, Bildung einfach von den Menschen bestimmen zu lassen, die sich bilden. Deshalb gibt es auch nächstes Semester eine neue Runde selbstorganisierter Seminare (es können auch alternative Einzelveranstaltungen oder Wochenendseminare eingebracht werden) und alle sind aufgerufen eigene Ideen zu entwickeln und Themen vorzuschlagen. Bisher reichten die Seminare von der Transformation der Demokratie, Arbeit und Kapitalismus über Camus und das Absurde bis hin zu Spanisch- und Französisch- Sprachgruppen. Eure Themen könnt ihr mitsamt einem Vorstellungstext, erstem Treffen (wo die nächsten Treffen vereinbart werden) und Kontaktmöglichkeit an die AG seminare schicken…

Kontakt und Internet:
ag-seminare@bildungskritik.de
www.ag-seminare.bildungskritik.de

Bildung

Die Ausweitung der Kampfzone

Das „vereinigte Europa“ macht sich heut­zu­tage nicht nur in mehr oder weniger gla­mourö­sen Feierstunden und Sonn­tags­­­reden bemerkbar, sondern auch im sozia­len Bereich. Nachdem mit Beginn dieses­ Jahres die Sozialhilfe in der Slowakei um die Hälfte gekürzt wurde, kam es im Südwesten des Landes zu Plünderungen, worauf­hin die Re­­gie­­rung sogar die Armee einsetzte. Die „Aus­­­­schrei­tungen“ wurden vor allem von Roma getragen, es beteiligten sich aber auch andere Erwerbslose daran – denn die Kürzung betrifft alle Be­dürf­­tigen. Es handelt sich dabei also um soziale, nicht um „ethnische“ Konflikte, wie es hier­zulande in den Medien geheißen hatte.

Nicht nur im Bereich der Erwerbslosen gehen europäische Regierungen in die selbe Richtung, sondern auch in der Bildungs­branche. Daher gründeten am 3. März 2004 Studierende der größten Uni des Landes, der Comenius-Universität in Bratislava, ein Studentisches Streikkomitee (SVS). Das Streik­komitee definiert sich als apolitische Gruppierung. Die Treffen, die ein- bis zweimal wöchentlich stattfinden, sind öffentlich und versammeln durchschnittlich 20 bis 30 Leute. Ein Großteil der Entschei­dungen wird im Konsens getroffen, nachdem gleich­berechtigt über Ziele und Aktivitäten diskutiert wurde.

Auf diese Weise kam am 5. Mai die größte Studierendendemonstration seit 1989 zustande. An dem Zug durch das Stadtzentrum nahmen mehr als 1.000 Studis, Arbei­terIn­nen und Rent­nerIn­­nen teil. Dieses Spektrum verdeutlicht die umfassende Be­deu­tung des Bildungswesens – das SVS legt Wert darauf, dass seine Aktivität nicht nur den gegenwärtig Studierenden zugute kommt, sondern auch der Gesellschaft all­ge­mein. Das SVS mobilisiert nun mit Info­ständen in Bratislava für einen Studi-Streik im Oktober, verteilt 20.000 Flugblätter und plant die Ausweitung der Aktivitäten auf andere Städte (z.B. Kosice) – obwohl die Beteiligung mit Semesterende nun abnimmt. Außerdem gibt es Gespräche mit der Bildungsgewerkschaft, die der Regierung mit Streik droht.

Wie bei den Protesten 2000/2001 beteili­gen sich auch in diesen Tagen Anarchisten an der sozialen Bewegung. Die Forderungen des SVS beziehen sich auf Gebühren­­freiheit des Studiums – Ende August könnte im Parlament ein Gesetz verabschiedet werden, das Studiengebühren vorsieht– , die Steigerung des Bildungs­etats (bis 2006 auf 1,33 Prozent des Bruttosozialprodukts) und der finan­ziel­len Unterstützung Studierender, sowie die Bewertung des Studiums durch unabhängige Agenturen und durch Studie­rende selbst. An diesem Forderungskatalog ist erkennbar, dass das SVS keineswegs homogen ist und noch am Anfang seiner Aktivität steht. Klar wird dabei die Notwendigkeit grenzüberschreitender Dis­kus­sion. Denn die geforderte Be­wer­tung des Studiums führt hierzu­lande zu er­höh­tem Druck auf die Universitäten, dient als Rechtfertigung von Um­struk­turie­rungen und Kürzungen und tritt den Studierenden selbst letztlich als Sachzwang entgegen – die Hoffnung einer weiter­gehenden Einflussnahme auf die Ge­staltung der Uni erfüllte sich nicht.

A.E.

Nachbarn

Entschlossener als Andere

Im vergangenen Jahr sah sich die französi­sche Regierung, anders als die deutsche, mit einer breiten Streikbewegung kon­fron­tiert, die sich u.a. gegen die Reformen der Rente, des Bildungswesens und der Sozial­ver­sicherung der „Intermittents“ (unregelmäßig beschäftigte ArbeiterInnen der Kulturindustrie) richtete. Die An­gestellten der Bil­dungsbranche, vor allem LehrerIn­nen, gehör­ten zu den wichtigsten Teilen der Bewe­gung – ihr wichtigstes Druckmittel: Ausfall der Abiturprüfungen. Nach einer imposanten Medienkampagne über die „Ver­­ant­wortungslosigkeit“ der Streikenden, und auch aufgrund der Anwesenheit von „Ord­nungskräften“ konnten die Prüfungen durch­geführt werden. Dieser Niederlage ent­sprechend schwer waren Versuche nach den Sommer­ferien, den Protest wieder auf­zu­­nehmen. Im Schulwesen geht es vor allem um die Zahl der Hilfskräfte, sowie um die Verbesserung ihrer oft prekären Arbeits­si­tuation und um die Abwehr der so­ge­nann­ten „Dezentralisierung“: mit dem Über­­gang der Bildungshoheit an die Départements, so fürchten die LehrerIn­nen, wird einem Gefälle in Lern- und Arbeits­bedingungen Vorschub geleistet. In Lyon fanden sich die ehemals Streikenden nach den Sommerferien in einer über­gewerk­schaftlichen Runde zusammen. Die gewerkschaftsübergreifende Kooperation „Inter­syndicale“ will einen „kollektiven Kampf gegen die Prekarität fördern, der von den Prekären selbst geleitet […] und von unseren Gewerkschaften [CGT, CNT, SUD] mit den notwendigen Mitteln unter­stützt wird.“ Sie kritisieren nicht nur die soziale Unsicherheit in der Schule, sondern im gesamten öffentlichen Dienst – das Bil­dungs­wesen aber ist freilich ihr Schwerpunkt. Neben öffentlichen Ver­samm­lungen und Petitionen, kümmerten sie sich auch um einen Fragebogen der Prekären.

In dieser Situation riefen die großen Gewerk­schaften landesweit für den 25. Mai zu einem zweiten Streik- und Aktionstag auf – die erfolgreiche Mobilisierung vom 12. März sollte wiederholt werden, um zu zeigen „dass wir noch entschlossen sind“. Aber ein eintägiger Warnstreik wenige Wochen vor Ende des Schuljahres ist nicht mehr als ein gewerkschaftliches Lippen­bekennt­nis und kann kaum Druck auf die Regierung ausüben, die 2003 mehreren Streikwochen trotzte. So fand der Aufruf kaum Resonanz: es herrscht eine allgemeine Resignation. Die CNT beklagt in einer Erklärung, dass es Mitte März versäumt worden war, die Bewegung zu intensivieren. Dieser Wille, wie ihn KollegInnen in Versammlungen formu­lierten, gereichte nicht zur Tat.

A.E.

Nachbarn

Studistreik adé – Widerstand olé

Knapp zwar, aber dennoch: die Ent­scheidung ist gefallen. 2200 gegen 1900 Stimmen haben auf der Vollver­sammlung vom 14.4. den einwöchigen Streik mit Ausfall der Lehrveranstaltungen abge­lehnt.

Ein Blick zurück: Nachdem auf einer VV am 13.12. 2003 der Streik beschlossen wurde, hatte sich ein Komitee konstituiert um den Streik vorzubereiten. Auf einer VV Anfang Januar wurde das Adjektiv „konstruktiv“ hinzugefügt, das zum Synonym dafür wurde, brav zu protes­tieren und nieman­den zu stören. Das Streik­komitee diente als organi­sato­rische Plattform, diesen Streik zu organi­sieren und Entscheidungen fällen zu können. Das Resultat blieb unbefrie­digend: während die meisten ihre Scheine machten, organisier­ten die vielen Aktiven den Streik und konnten durch das „konstruktive“ nicht mal genü­gend Druck erzeugen. Ende Januar wurde der Streik auf einer VV ausgesetzt, ohne daß sich an den Studien­be­dingungen oder an der Bedrohung durch Studiengebühren etwas geändert hätte. Für April wurde zudem das Fallen des Studiengebühren­verbots erwar­tet, dafür eine Telefon­mobi­lisierung und für das Sommer­semester auf einen Voll­streik vorbereitet, der ernsthafter und druck­voller sein sollte. Dieser wurde nun abgelehnt, damit auch der Streik beendet und die wochenlangen organi­satorischen Vorbe­reitungen obsolet. Dement­spre­chend frus­triert fiel die Reaktion des Streikkomitees aus, daß sich aber nach ein paar Tagen Reflektion wieder mit einer Stellung­nahme zu Wort meldete. Neben der Kritik am Fatalismus und Nichter­kennen der Brisanz der Kürzungen und des Umbaus durch die Mehrzahl der Studie­ren­den wurden auch eigene Fehler bei der Mobilisierung thematisiert. Zudem wurde noch einmal deutlich gemacht, daß Bildungs- und Sozialabbau nicht zu trennen sind und einen Angriff auf die Lebensbedingungen vieler Men­schen darstellen. Und da auch nach der Ableh­nung des „Vollstreiks“ keine Verbes­serungen zu erwarten sind, haben die Menschen des Streikkomitees ange­kündigt weiter­zumachen und auch alle anderen Studierenden, Do­zent­­Innen und Mitarbeiter aufgefordert sich basis­demo­kratisch zu organi­sieren, weil man alleine den derzeitigen Entwick­lungen nicht stand­halten kann. Damit hat sich zumindest ein (gar nicht so) kleiner Teil der Studie­renden­schaft aufgemacht längerfristig Widerstand gegen die der­zeitige Bil­dungs- und Sozialpolitik zu leisten und sich nicht wie so oft nach einer Pro­testwelle, in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen.

Von den Streikgegnern, die Demonstra­tionen und Ähnliches vorschlugen, sind derweil keine organisatorische Aktivitäten erkennbar. Hier zeigt sich auch ein Grundproblem: es wird zwar Kritik geübt am Streikkomitee, aber es wird wie natürlich erwartet, daß es alles für einen organisiert und man selbst nicht aktiv werden braucht. Bei der Vollstreik-Alternative „Montagsdemo“ vom 19. April haben sich ganze 25 Studierende eingefunden. Auch die Spontan­demo zur Solidarität mit der drei Tage lang streiken­den FH Zwickau wurde zum Trauerspiel: der Innenhof war relativ gut gefüllt, aber nur wenige konnten sich aufraffen Solidarität zu zeigen. Es zeigte sich eine beängstigende Lethargie. Die wichtigste Hilfe zur Entscheidungs­findung ist anscheinend das Verhalten des Nachbarn und der Nachbarin und nicht der eigene Verstand oder gar das eigene Interesse an einem guten Leben. Das große Gejammer wird erst los­gehen, wenn die Gebühren ein­geführt sind und viele von der Uni geschmissen werden. Dieser Fall ist in Nordrhein-Westfalen bereits eingetreten, wo schätzungsweise 50.000 Studierende ihr Studium ab­brechen müssen, weil sie sich die Lang­zeitstudiengebühren nicht leisten können. Wo waren diese 50.000 bei den Protesten? Wo sind diejenigen, die morgen in Leipzig exma­trikuliert werden, heute?

kater francis murr

ehemaliges Streikkomitee Leipzig
www.leipzig04.de.vu

Bildung

Ehre – Scheiße – Vaterland

Übertreibung dient der Veranschaulichung

Am 27. Oktober 2004 fand die all­semesterliche Vorstellungsstrasse auf dem Unicampus statt, auf der traditionell auch Studen­tenverbindungen und Burschen-schaften ihr Unwesen treiben. Diesmal blieb uns die Anwesenheit letzterer erspart, die ebenfalls traditionellen Gegenaktivitäten durch die Linke StudentInnen-Gruppe und andere Burschengegner fielen dafür umso sichtbarer aus. In der Vorbereitung zur Vorstellungsstrasse erwuchs die glorreiche Idee, endlich mal selbst chauvinistische, nationalistische und andere versoffene Positionen auszuleben und zu diesem Zweck die Burschenschaft Faekalia ins Leben zu rufen:

Das Wappen war schnell gefunden und als Buttonorden erhältlich, Staubwedel in schwarz-rot-gold inspirierten uns zum Selbstverständnis als (mit dem deutschen Mob) schlagende Verbindung, als Schärpe war uns nur das teuerste Klopapier gut genug. Neben den Grundsätzen der Deutschen Burschenschaft wurden eigene Leitlinien entwickelt (siehe Titel) und gemeinsam als Hintergrundkulisse unseres Tisches auf der Vorstellungsstraße aufgestellt. Zur Anwerbung und Eignungsprüfung von Mitgliedern lag ein Fragebogen aus, den auch um die 40 Interessenten ausfüllten. Unter denen waren zwar auch Interessentinnen, sie standen aber einer Geschlechtsumwandlung bei Mitgliedschaft bereitwillig gegenüber.

Mob-Fechten gegen Germania, Polaroid-Verewigung auf der Ehrentafel, gemeinsamer Kampf gegen linke Störer und natür­lich die Anfreundung mit den gemässigten Verbindungsbrüdern von Adel und Klerus gehörten zu diesem unseren ersten und sehr erfolgreichen Auftritt.

Ein Weihnachtsmarktbesuch unserer Freunde von der Burschenschaft Nor­mannia am 14.12.2004 motivierte uns kürzlich, in liebevoller Kleinarbeit braune Magisterhüte, mit unserem Wappen und Motto verziert, anzufertigen und uns, frisch herausgeputzt dem Umtrunk zum besseren Kennenlernen anzuschließen. Leider waren dort auch ein paar Chaoten zugegen, die gegen unsere großartigen Ideen schmierige Handzettel verteilten. Als dann noch zwei junge Deutsche unser Leitmotto kritisierten und einer von ihnen sich den alten Gruß nicht sparen konnte, kam es zu Diskussionen mit der Weihnachtsmarktpolizei, während derer die Normannia geschlossen den Schauplatz verließ. Nichtsdestotrotz werden wir nicht verzagen, auch weiterhin den Kontakt zu unseren Brüdern in Geist, Bier und dem, was hinten rauskommt, zu suchen.

Wenn auch ihr euch für eine Mitgliedschaft unter unseren Idealen erwärmen könnt, wendet euch vertrauensvoll an die LinkeStudentInnen­Gruppe, die sind so blöd und leiten euch weiter.

clara

Bildung

PISA2: Alles eine Frage der Betrachtung

Genau genommen ist es nicht richtig, wenn im­mer wieder behauptet wird, Deutsch­land habe auch in der zweiten PISA-Studie unterdurchschnittlich ab­ge­schlos­sen. In einer Rubrik zählt es sogar zu den drei Spitzennationen. Nur Ungarn und Belgien erzielen höhere Werte in der Frage, wie stark der Zusammenhang zwi­schen schulischer Leistung und sozialer Her­kunft ist. Laut Statistik trifft in allen drei Ländern die schlichte Rechnung zu, daß Kinder armer Eltern über eine schlech­te, und Kinder aus reichen Familien über ei­ne gute Bildung verfügen. Selbst die USA, nicht eben berühmt für ein sozial aus­gewogenes Bildungssystem, finden sich erst etliche Plätze hinter Deutschland in der Tabelle.

Nachdem in Brandenburg die „Ober­schule“ eingeführt wird, die die Selektion in verschiedene Schulformen abmildern soll, und Schleswig-Holstein gar die Schaffung einer Einheitsschule bis zur 10. Klasse plant, haben sich CDU-Politiker beeilt, die PISA II-Ergebnisse als Be­stätigung für den Erhalt, ja Ausbau des Drei­schulen­systems zu deuten. Ent­sprechend ihres sozialen Hintergrundes und ihrer daraus resultierenden Bedürf­nisse, so die christdemokratischen Bil­dungs­experten, müß­ten die Kinderlein gezielter gefördert werden, und das gewährleiste das Modell Haupt-, Real­schule und Gymnasium ja nun am besten. Dringend erforderlich sei, das zeige PISA II, eine verstärkte Elitenförderung.

Genau das sieht die PISA-Kommission der OECD dezent anders. In jenen Schul­systemen mit niedriger „Steigung des sozialen Gradienten“ und schwachem „Zusammenhang der Varianzaufklärung“ – wie die PISA-Studie soziale Chancen­gleichheit verklausuliert benennt – ist gerade die Förderung von Schülern mit Lern­problemen stark ausgeprägt, gibt es ein gefächertes System aus Erziehern, Nach­hilfelehrern und Therapeuten, das bereits im Vorschulalter ansetzt und Defi­zite der sozialen und sozio-kulturellen Her­kunft ausgleichen soll. Spezielle Eliten­förderungen dagegen sind hier weitest­gehend unbekannt. Aber es ist natürlich die Frage, worauf man hinaus will. Die PISA-Kommission bewertet eine mög­lichst geringe Streuung des Leistungsniveaus einer Vergleichsgruppe positiv, das Gros der Schüler eines Jahrgangs soll also nicht zu­weit auseinander liegen; Verteidiger des deut­schen „Standorts“ hingegen ist mehr an einer großen Bestengruppe gelegen, und da landet Deutschland mit 4,1% genau im Durchschnittsbereich (der sich aus einem Feld ermittelt, zu dem, wohl­gemerkt, auch Mexiko gehört, das hier auf ein klares Ergebnis von 0,0% kommt). Daß die PISA-Studie 21,6% der getesteten deutschen Schüler zur „Risikogruppe“ zählt, deren Leistungen in Schulnoten ausgedrückt irgendwo zwischen 5 und 6 schwanken, stört hierzulande Kapital und Politik kaum. Aber daß diese Gruppe zum Großteil aus sozial benachteiligten Haus­halten kommt und so der Eindruck ent­steht, im deutschen Bildungssystem herrsche keine Chancengleichkeit, die doch als kapitalistische Urtugend gilt, wurmt. Knapp 45% der Kinder, deren Elternhaus dem ärmsten Viertel der Gesellschaft angehört, besuchen die Hauptschule. Umgekehrt genießen über 52% jener Kin­der, deren Eltern das vermögenste Bevöl­­kerungsviertel unter sich aufteilen, den Drill des Gymnasiums. In allen Test­kategorien schneiden HauptschülerInnen am schlechtesten, Gymnasiasten am besten ab, und Realschüler liegen in der goldenen Mitte.

PISA II bestätigt damit eine Reihe älterer Studien zum deutschen Schulsystem, die wiederholt auf den alarmierenden Zusam­men­hang zwischen Herkunft und Bildung hinwiesen. Durch den internationalen Vergleich mit anderen Schulsystemen, die auf eingleisiger Schulform und Förderung der Schwächeren statt Eliten setzen, erfährt die Studie der OECD jedoch eine beson­dere argumentative Schärfe. PISA-Koor­dinator Andreas Schleicher stellt fest, daß „schwache Schüler nur abgeschoben“ werden, wenn sie in Haupt- bzw. Real­schule landen. Das dreigeteilte Schulsystem erklärt er glatt für „gescheitert“.

Das deutsche Schulsystem folgt zu aller erst dem Prinzip der Selektion, was in letzter Konsequenz bloße Wissensabfrage statt -vermittlung bedeutet. Typisch hierfür erweist sich die PISA-Erhebung zu Com­puter­kenntnissen der 15jährigen. Obwohl bei Interesse und Können ganz vorne mit dabei, geben nahezu 80% der deutschen SchülerInnen an, ihre Fähigkeiten außer­halb des Unterrichts erworben zu haben. Es scheint, die Schule funktioniert tatsächlich allein nach dem Konzept, daß sie nur abfragt und bewertet, was ihre Schützlinge privat beigebracht bekommen, bzw. sich selbst angeeignet haben. Es wird viel geprüft und wenig gelehrt. Das verdeutlicht auch das insgesamt schwache Abschneiden der Gymnasiasten. Nieder­schmetternd fällt schließlich auch das Ergebnis für die Gesamtschule aus. Dessen Pennäler schneiden in allen Kategorien schlechter ab als RealschülerInnen. Schleicher führt das darauf zurück, daß, wer die Wahl hat, im Zweifel das Gym­nasium bevorzugt und die Gesamtschule kaum weniger soziales Abstellgleis ist als die Hauptschule. Das Modell der drei, bzw. vier Schulformen nützt offenbar nie­mandem so recht.

Allerdings bedeutet die Einheitsschule keine Patentlösung des sozialen Problems. Die meisten der getesteten Staaten weisen in diesem Punkt ein nur um weniges besseres Niveau als Deutschland auf. Nur wenige Länder (darunter Island, PISA-Primus Finnland und Mexico) weisen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Können und sozialer Herkunft der getesteten SchülerInnen auf – wobei im Falle Mexikos zu ergänzen bleibt, daß auch Kinder aus reichem Hause bei den Test­ergebnissen ziemlich arm aussehen. Der enorme Aufwand, der nötig ist, um eine relative Chancengleichheit in der Ausbil­dung herzustellen, verdeutlicht die soziale Kluft, die der Kapitalismus erzeugt. Da gibt es nichts zu deuteln.

Matti

Bildung

Erziehung zum Manne

Burschenschaften, Landsmannschaften, Corps und jede Art von Korporierten werden immer noch in vielerlei Hinsicht ideo­logisch unterschätzt. Es ist zwar relativ bekannt, dass viele Vertreter ihrer Art mit rechtsextremen Haltungen sympathisieren bis hin zum Austausch mit faschistischen Gruppen, genauso ihre elitäre Abgrenzung verbunden mit Vetternwirt­schaftlerei und den ausgeprägten Sexismus, trotzdem genießen sie – und das nicht nur in konservativen Kreisen – eine unreflektierte gesellschaftliche Akzeptanz. Das wird oft damit begründet, dass es viele unter ihnen gäbe, die sich „liberal“ äußern mit den Hinweis, dass man die verschiedenen Studentenverbindungen nicht als eine homogene Masse begreifen könne. Es ist nicht abzustreiten, dass es bezüglich der einzelnen Weltanschauungen Differenzen gibt (auch wenn sich die Spanne in fast allen Fällen nur zwischen rechtsextrem und konservativ bewegt) und dass es selbst so- genannte „alternative“ Burschenschaften gibt, die „sogar“ Frauen aufnehmen; ihre gemeinsamen Grundprinzipien und der damit verbundene Zwangscharakter jedoch, was alle Formen von Verbindungswesen teilen, wird sehr gerne übersehen oder sogar heimlich bewundert. Studentische Korp­erationen teilen alle eine militärisch hierarchische Grundnorm sowie einen erzieherischen Anspruch. Der Einzelne hat sich seiner Aufgaben – die ihm meist vom nächst höheren zugeteilt werden- sowie der eigenen Verbindung bedingungslos zu unterwerfen. Die Gemeinschaft die sich zuallererst über elitäre Abgrenzung definiert, hat die Aufgabe, den Einzelnen nach einer entsprechenden Norm zu formen. Dies gelingt über eine Fülle verschiedenster Rituale und Konventionen.

Ein zentrales Element bei schlagenden Verbindungen ist die Mensur, ein ritualisierter Degenkampf, der die Aufgabe hat, dass die Kämpfenden sich selbst überwinden. Die beiden Kontrahenten dürfen während des Kampfes ihre Positionen nicht verändern um abwechselnd auf­einander einzuschlagen. Sollte einer von beiden rückwärts ausweichen, bekommt er eine Strafe die in den meisten Fällen ein Freischlag (also ein Schlag bei dem der Gegner nicht parieren darf) für den anderen bedeutet. Der ganze Vorgang ist nicht nur ein krudes Männerspiel, es dient auch der Charakterdisziplinierung. Der Einzelne, dem die Aufgabe obliegt sich selbst zu überwinden, zwingt sich zum Kriegsspiel, indem er natürliche Ängste in erster Linie verdrängt und somit sich total dem kollektiven Diktat der soldatischen Tugend unterwirft, sie quasi lieben lernt. Die Mensur bindet das noch junge Mitglied an die Fraktion und wird ihr Soldat. In den verschiedenen, schlagenden Verbindungen muss jeder mind­estens einmal die sogenannte Bestim­mungsmensur gefochten haben um Mitglied zu werden. Längst überholte Männer­roman­tik vom harten, pflichtbewussten und bedingungslos loyalen preußischen Männchen blüht bei ihr wieder auf. Indem Ängste einfach wegdividiert oder ihre Ursachen unreflektiert gelassen werden, bietet die durchdisziplin­ierte Gemeinschaft das Gefühl der Sicherheit und den festen Glauben daran, dass jeder Erfolg nur ihr zu verdanken ist. Ein weiteres Beispiel für die ständige kämpferische Auseinandersetzung sowie gezielte Diszi­plinierung innerhalb von Studentenbünden sind die „Trinkspiele“. Diese sind nicht als gesellige Partyunterstützer zu betrachten, sondern dienen oft als Ersatz für Zucht und Mannbarkeitsbestimmung. Trinkrituale werden zum einen als Strafe der Gruppe gegenüber dem Einzelnen verwendet, der die engen Regeln und Konventionen übertreten hat, zum anderen sind sie Duellersatz zwischen zwei Mitgliedern. Trinken als Strafe findet sich bei der so genannten „Kneipe“ wieder, eine geschlossener verbindungs­internen „Feierlichkeit“. Während des „öffentlichen“ Teils dürfen die einzelnen Mitglieder nicht vom Tisch aufstehen (auch nicht um einfach banal auf die Toilette zu gehen). Bricht ein Teilnehmer jedoch die strenge Regel muss er öffentlich zur „Belehrung“ Zwangstrinken. Bei solchen Ritualen wird ein Schwächerer gekürt und seine angebliche Schwäche öffentlich diffamiert. Es fordert gleichzeitig alle anderen Anwesenden dazu auf bloß keine Schwäche zu zeigen Das Trinken als Duell ist Mittel der männlichen Auseinandersetzung und verliert die Unschuld des schlicht Geselligen. Das ständige Kampftrinken ist ebenso Grundlage bei der Auseinandersetzung mit anderen Verbindungen, wo militärisch stramm und im Gleichschritt Marsch „Stafetten“ gegen­einander getrunken werden. Das Individuum ist ständig einen Druck zur Profi­l­ierung ausgesetzt, damit es sich immer aufs neue „selbstüberwinden“, sprich Ängste verdrängen muss um nicht als Verlierer (und damit als nicht profund „männlich“) dazustehen. Indem sich der gemeinschaftliche Rahmen in Verbindungen durch Disziplinierung, Unterwerfung unter eine Autorität und ewige Auseinandersetzung charakterisiert, wird der Einzelne unter Druck gehalten und formbar zum sexistischen, nationaltreuen und Autorität heuchelnden Ellenbogentypus. Im Selbstbild der korporierten Erziehung wird das als Prozess zur Entwicklung von Verantwortlichkeit stilisiert. Der Einzelne hat sich autoritärer Strukturen anzupassen, was schon in der Verbindlichkeit zur einheitlichen Kleidung zum Ausdruck kommt. Das Verbindungs(un)wesen vermittelt ein Weltbild, was sich auf Ellen­bogenmentalität bis hin zum Recht des stärkeren versteht. Insofern sind die Verbindungen von Burschenschaften zur extremen Rechten kein Zufall und keine Ausnahme und eben darum nicht zu ignorieren.

Verbindungen starten gerade zu Anfang des Semesters vielerlei Werbeveranstaltung in Form von Info-Ständen, Parties oder günstige Wohnangebote um neue Mitglieder zu rekrutieren.

Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft (ein burschenschaftlicher Dachverband) treffen sich ebenso alljährlich zu ihrem Burschen- und Altherrentag. Die Versammlung findet in der Zeit vom 18-22. Mai 2005 statt. Jeder ist aufgerufen das nationalistische Fanengeschwenke zu stören und sich kritisch mit dem im selben Rahmen stattfindenden Vorträgen und Veranstaltungen auseinanderzusetzen.

Karotte

Bildung

PISA2: Bildung für Deutschland

Als Ende November vorab Teilergebnisse von PISA II (1) veröffentlicht wurden, ging ähnlich wie schon nach PISA I ein Auf­schrei durchs Land: „Deutschland weltweit unter Mittelmaß“ empörte sich beispiels­weise das Börsenblatt am 22.11. 2004 (2). Die hier geäußerte Sorge um die Stellung des deutschen Staates (was die von ihm be­treute Ökonomie mit einschließt) ist typisch für den öffentlichen Diskurs um Bil­dungs­fragen. Damit drückt er jedoch auch eine Wahrheit über die Funktion des Bil­dungswesens in kapitalistischen Ver­hält­­nis­­­sen aus. Dieses ist durch seinen Aufbau, seine Lehrmethoden und Lehrpläne darauf aus­gerichtet, Humankapital hervorzu­bringen. (3) Das wird auch keines­wegs verheimlicht. So schrieben etwa die sog. 5 Wirtschaftsweisen in ihren Jahresbericht folgende Passage zum Thema: „Human­kapital ist sowohl ein wichtiger Standort­faktor als auch theoretisch wie empirisch bestätigter wesentlicher Bestimmungs­faktor für Wachstum. […] Eine zentrale Rolle für Humankapital als ökonomisch verwertbarem Wissen spielt das Bildungs­system.“ (4) Wie aber ist diese Rolle nun konkret beschaffen?

Der Staat stellt über die Bildungseinrich­tungen den Unternehmen ein Reservoir an entsprechend qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung, an denen sie sich nach ihren Be­darf bedienen können. Da aber diese Ge­sell­schaft nur eine relativ geringe Anzahl an Positionen bereit hält, für die eine um­fas­sendere Ausbildung nötig ist, über­nimmt das Bildungswesen zugleich auch die Selektion. Es siebt durch perma­nente Tests diejenigen nach unten aus, denen we­gen ihres Misserfolges in diesen eine weitere Ausbildungskarriere versperrt bleibt. (5) So soll gewährleistet werden, dass die Men­schen in die entsprechenden Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie sortiert werden und die jeweils dafür nötigen Kennt­nisse – und nur die – vermittelt be­kommen. Dies kann selbst­verständlich immer nur ein Annäherungs­prozess sein, denn letztendlich entscheidet das Kapital nach seinen Maßgaben wann es wen ein­stellt oder es eben auch bleiben lässt. Zu­dem kann gar nicht vorab so genau gewusst werden, wann welche Qualifi­kationen in wel­chem Ausmaß gebraucht werden. Da­her kommt es auch in schöner Regelmäßig­keit zum Ruf nach Bildungs­reformen, welche ein optimaleres Ergebnis in diesem An­nä­herungs­prozess bringen sollen.

Momentan werden in der BRD diesbezüg­lich v.a. zwei Themenfelder diskutiert. Zum einen sollen an der Spitze des Selektions­prozesses Eliteunis (6) eingeführt werden, um dort diejenigen zu sammeln und zu fördern, die als zu gut für die Bedingungen an den Massenunis gelten. Zum anderen aber wird aber auch von Fraktionen der herrschenden Klasse vermehrt gefordert, mehr Geld und Aufwand in Kindergärten und Grund­schulen zu stecken (7) – so z.B. auch der bereits erwähnte Bericht der „Wirtschafts­weisen“. Dort wird u.a. kritisiert, dass die Leis­tungen (nach denen ja die Selektion vor­genom­men wird) sehr stark vom sozialen Hintergrund der SchülerInnen abhängen (8). So nähmen nur 18% der Arbeiter­kinder, aber 63% der Beamten­kinder ein Studium auf. Als Gegenmaß­nahme wird empfohlen, durch bessere Aus­stattung des Elementar- und Primar­bereichs des Bildungswesens Defizite schon frühzeitig auszugleichen (alles S. 37). Würden sie nicht Studiengebühren fordern (S. 38) – von denen Linke wohl zu recht eine Abschreckungswirkung v.a. auf Arbeiterkinder befürchten (9) – könnten sie dies glatt von ‚progressiven’ KritikerInnen des deutschen Bil­dungs­wesens abgeschrie­ben haben (10).

Schließlich fordern auch diese nicht ein Ende der Klassengesellschaft und der Selektion in ihren Positionen, sondern lediglich, dass diese sozial gerecht ablaufen solle. Sie wollen also, dass der Selektions­prozess sich wirklich nach der Begabung und nicht etwa nach sozialen Vorteilen richtet. Damit bejahen sie jedoch den Bio­lo­gismus, welcher der Ideologie von der Begabung zu Grunde liegt. Ähnlich wie bei der mittlerweile zum Glück als reaktionär geltenden Aussage: „Frauen gehören an den Herd, weil sie häuslich veranlagt sind“, wird auch mit ihm ein gesellschaftliches Verhältnis als „natürlich“ legitimiert: „Haupt­schülerIn­nen gehören in die Hauptschule und danach in die Hand­arbeit, weil sie praktisch veranlagt sind“. Die in der Selektion herrschende Chancen­gleich­heit verschleiert diesen Biologismus, ändert aber nichts an ihm. So werden die Re­sul­tate der Selektion allgemein aner­kannt – selbst von den von ihr negativ Be­trof­fenen. Gesellschaftliche Verhältnisse sind jedoch menschengemacht, kön­nen also auch von Menschen geändert werden.

Grund genug dafür gäbe es auch in Be­zug auf das Bildungssystem allemal. Durch die Funktion des Bildungswesens arbeiten die meisten Schulen mit Lehrplänen, die gänz­lich unabhängig vom individuellen Lern­interesse der SchülerInnen entwickelt und angewendet werden. Stattdessen hätte die Aufgabe der Bildungseinrichtungen darin zu bestehen, als ein allen zugänglicher Ort der Möglichkeiten zu fungieren, an dem mensch Materialien, Gleichgesinnte oder eben auch ExpertInnen zur Verwirk­lichung der eigenen Bildungsinteressen fin­den kann. Diese Bildungsinteressen vertra­gen sich nicht mit Schulphasen und kommen auch nicht durch „Abschlüsse“ zu einem Ende. Ein derart geändertes Wesen der Bildung muss daher mit einer grund­legenden Veränderung der Gesellschaft einhergehen.

Bildungssyndikat Leipzig

(1) Einen Überblick zu PISA bietet www.skh.de/pisa/index.htm?dpa/2004/04-11-21-a.htm
(2) boersenblatt.net/sixcms/detail.php?id=79333
(3) Dass wir uns hier auf diesen Aspekt beschränken, heißt nicht, dass es nicht noch andere gäbe.
(4) Gutachten 2004/05, www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/04_i.pdf, S. 36
(5) Dozekal: Die deutsche Uni, Bremen 2003, S. 18
(6) vgl. Freerk Huisken: Motor und Elite, jungle-world.com/seiten/2004/48/4414.php
(7) vgl. R. Balcerowiak: »Humankapital« Bildung, www.jungewelt.de/2004/11-26/011.php
(8) s. dazu auch in Bezug auf PISA II: www.spiegel .de/unispiegel/studium/0,1518,330879,00.html
(9) s. z.B. idw-online.de/pages/de/news89208
(10) z.B. Chancengleichheit und Elite, Interview mit M. Hartmann, www.gew-berlin.de/blz/3373.htm

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