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Schulen vom Netz?! Fickt das System!

Veranstaltungsreihe der AG tollWUT zur Bildungskritik

„Schule ist Scheiße“ – dieser Ausspruch spricht sicherlich jeder und jedem von Euch aus dem Herzen…. Lange, nicht endende Schulstunden, genervte und überreizte LehrerInnen, die tägliche Qual zu unmenschlichen Zeiten aufstehen zu müssen, das zwanghafte Auswendiglernen für die nächste Leistungskontrolle. Seitenweise könnte dieses Abkotzen wohl weitergeführt werden. Aber sind Bildung und Lernen wirklich „Scheiße“? Ist es nicht spannend und faszinierend, Dinge selbstbestimmt erforschen und untersuchen zu können? Stundenlanges Basteln am Computer, das Ergründen von historischen Zusammenhängen etc. Mit der Veranstaltungsreihe „Schulen vom Netz?! Fickt das System!“ nimmt sich die Jugendgruppe tollWUT die (staatliche) Schule kritisch vor. Anknüpfend an das angerissene „Null-Bock-auf-Schule-Gefühl“ soll das Schulsystem fundiert analysiert und kritisiert werden.

Klarstellen will tollWUT damit: Lernen ist keineswegs „Scheiße“, ebenso wenig wie Bildungseinrichtungen „Scheiße“ sind. Unerträglich ist die Art und Weise, wie Schule funktioniert und welchen ausschließlichen Zweck Schule besitzt. Schule formt Menschen für die nachschulische Arbeitswelt und unterstützt nicht die Möglichkeit der selbstbestimmten Entwicklung jedes einzelnen Menschen, seiner Interessen und möglichen Begabungen.

Für tollWUT ist es nicht akzeptabel, dass Bildung diesem einen gesellschaftlich festgelegten und ein Menschenleben ausmachenden Zweck, nämlich die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, den Weg ebnet. Die Reihe soll verdeutlichen, dass Schulkritik Gesellschaftskritik ist und sein muss, denn Schule ist ein wesentlicher Bestandteil der herrschenden kapitalistischen Verhältnisse, in denen wir leben (müssen); ein Gesellschaftsverhältnis, in dem Menschen nur als Humankapital gelten, das ständig Gewinn erwirtschaften muss.

Ausgehend von dieser Kritik werden zur staatlichen Schule alternative Schulkonzepte vorgestellt und diskutiert. Diese Schulkonzepte werden vor allem danach befragt, ob sie die Perspektive einer emanzipatorischen Organisation von Gesellschaft eröffnen können.

Sind die vorgestellten Schulkonzepte frei von den kritisierten schulischen Zwangsmechanismen? Bieten diese Schulkonzepte Voraussetzungen für eine bedingt freie Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und/oder für eine radikale Veränderung von Gesellschaft, ohne die den Kapitalismus prägenden Dogmen wie Arbeit, Tauschverhältnisse und das gängige Tauschmittel Geld, Profitfixiertheit, sowie Konkurrenz- und Leistungsdenken? Existieren Schulkonzepte, die einer solchen Vorstellung entsprechen? Kann Schule allein einen relevanten Beitrag zur Emanzipation von Menschen leisten, wo doch der Zwangscharakter der gesellschaftlichen Normen schon den familiären Sozialisationsprozess beeinflusst und darüber hinaus jeden Lebensbereich?

tollWUT hofft, Euer Interesse geweckt zu haben und Euch bei den Veranstaltungen zu treffen. Es wird auch Reader geben, in denen schulkritische Standpunkte und Texte zu den vorgestellten Schulkonzepten nachzulesen sind.

(Oktober 2002)

mehr Infos/Texte: www.ag-tollwut.de

Bildung

Schwänzer schwänzen…

Stell Dir vor, es ist Schule und niemand geht hin!

Es gibt nichts Schöneres als Schule! Was soll mensch denn sonst machen? Ach, da käme mensch gar nicht mehr raus aus dem Aufzählen! Und so denken anscheinend viele, zumindest nach einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Rund eine halbe Million Schülerinnen und Schüler schwänzen in Deutschland regelmäßig den Unterricht. An Haupt- und Sonderschulen fehlen durchschnittlich zehn bis zwanzig Prozent der Schüler mehrere Stunden in der Woche unentschuldigt. Ein weiteres Resultat war, daß 9 % der Schüler eines Jahrgangs ohne Abschluß die Normierungsanstalt verlassen. Dafür wird von „Experten“ das Phänomen der „Schulmüdigkeit“ konstruiert. Als ob es eine Krankheit wäre, keinen Bock auf Schule zu haben.

Schreckenserregende Symptome sind: Lernunlust, Aufmerksamkeitsverweigerung durch Schlafen, Träumen, Zuspätkommen oder regelmäßiges Vergessen von Arbeitsmaterialien.

Und dieser Teufelskreis führt bis zum Schwänzen und zur späteren schlechten Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt. Armes Deutschland: Erst PISA, dann das. Aber wen interessiert schon Deutschland? Wir meinen: Habt keine Gewissensbisse, genießt eure freie Zeit, so lange ihr sie noch habt. Und: Viel Spaß beim Schlafen, Lieben und Träumen.

murr

Bildung

„Wo ist die Streikzentrale?“

Streiken, Demonstrieren, Protestieren und kreative Aktionen. Die Studierenden haben ihr tradiertes Handwerkszeug seit 68 nicht verlernt. Die Inhalte bleiben dabei bisher leider auf der Strecke. Der Versuch eines Kaleidoskops mit Spektralanalyse.

Da schießen sie aus dem Boden, die AK’s und AG’s, Plena werden abgehalten, Vollversammlungen und Demos organisiert. Beeindruckend viele Protestseiten gibt es im Netz, wie zum Beispiel die www.streikzentrale.de.vu der Freien Universität Berlin. Bis heute fanden in Berlin eine Vielzahl von Protesten und Demonstrationen statt, wie am 27.11. in Berlin mit 20.000 Teilnehmern und anschließenden Straßenblockaden in der Innenstadt.

Seit dem 6.11. streiken die Studierenden der Technischen Universität, am 19.11. setzte der Streik an der Humboldt-Universität ein, auf der Vollversammlung vom 26.11. wurden Streikforderungen beschlossen. (1) Die Freie Universität macht seit dem 20.11. mit, als 3500 Studis auf einer Vollversammlung (VV) den Streik beschlossen. Gleichzeitig wurden alle Studierenden aufgerufen, am 24.11. an der Informationsveranstaltung des Präsidenten teilzunehmen, während der alle Lehrveranstaltung ausfielen, ein Privileg das der anschließenden VV nicht zugestanden wurde.

Das Band zwischen Studierenden und Hochschulleitung scheint oft gar zu eng, in Erlangen lädt man sich zur Demo anlässlich des bayernweiten Protesttages gegen Kürzungen, den Rektor und Gebührenvertreter Gürske als Hauptredner. Wie passend, dass nach Willen der Demoleitung nicht gegen Unileitung und Studiengebühren demonstriert werden sollte, schließlich heißt der Semesterbeitrag ja schon Studiengebühr.

Auch in München, wo zwischen 20.000 (Tagesschau) und 40.000 (Veranstalter) auf die Straße gingen, war zwecks Bündnisfähigkeit der Protest gegen „das kontrovers diskutierte Thema“ Studiengebühren und Sozialabbau nicht gern gesehen (2). Obwohl Bayern zusammen mit anderen CDU-geführten Bundesländern Klage vor‘m Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot allgemeiner Studiengebühren eingereicht hat und der neue Wissenschaftsminister Goppel im Wintersemester 2004/05 zwischen 400 und 600 Euro Studiengebühren einführen will.

Ebenso wie in Hessen, wo Roland Koch mit seinem radikalen Sparprogramm „Operation Sichere Zukunft“ den Sozialabbau forciert und mit dem Studienguthabengesetz (StuGuG) ab nächstem Semester (!) Verwaltungsgebühren (50 Euro), Langzeit- (zwischen 500 Euro im 12.Semester und 900 Euro ab dem 14.Semester) und Zweitstudiengebühren (1500 Euro) einführen will. Damit hat er sich nicht nur eine Demonstration gegen Sozialabbau am 18.11. mit „antikapitalistischem Block“, sondern auch einen Studistreik eingehandelt. Dieser nahm am 4.11. in Frankfurt seinen Anfang und hat inzwischen Marburg, Kassel und Gießen erreicht. Auf der Frankfurter Vollversammlung wurde Roland Koch ein Hausverbot erteilt. Der Ministerpräsident schien dieses demokratische Votum allerdings nicht akzeptieren zu können und brach das Hausverbot, indem er im benachbarten Senckenbergmuseum anlässlich dessen Wiedereröffnung eine Rede hielt. An die 3000 Studierende besetzen Ein- und Ausgänge und bevölkerten die umliegenden Straßen. (3) Allein durch Gewalteinsatz der Polizei konnte er das Museum nach dreistündiger Belagerung verlassen, musste seine Limousine zurücklassen und mit einem Einsatzfahrzeug der Polizei „in Sicherheit“ gebracht werden. Dabei wurden mehrere Studenten durch Schlagstöcke der Polizei leicht verletzt.

Da diese Aktionsidee so gut war, belagerten am 21.11. in Berlin 200 Leute, darunter an die 100 Studierende der Humboldt-Universität, Wowereit in einem Restaurant, bis sie von der Polizei weggetragen wurden. Wenn das nicht zur Anarchie führt…

Am 25.11. wurde in Berlin für mehr als 24 Stunden das Büro des Wissenschaftssenators Flierl (PDS) und darauf die PDS-Bundesgeschäftsstelle besetzt. Die Studiosi bringen die PDS damit ganz schön ins Schwitzen. Wie soll sie ihre dialektische Herangehensweise an das Problem erklären? Sowohl Sozialabbau bekämpfen wollen und selbst Kürzungen durchführen, letztendlich werden sie sich schizophrenerweise selbst bekämpfen müssen. Nicht nur in Berlin, wo am 28.11. noch das Büro von Finanzsenator Sarrazin besetzt wurde, auch in Niedersachsen wurde einem Regierungsmitglied der Respekt verweigert: Studierende verwandelten die Rundreise des Wissenschaftsministers Stratmann an verschiedenen Universitäten in ein Debakel.

Nicht nur Aktionsideen, auch Slogans gehen um die Welt. Der Leitspruch der Umsonstkampagnen (siehe Feierabend! #9) „Alles für alle und zwar umsonst!“ wurde zu „Bildung für alle und zwar umsonst!“ und tauchte auch am 12.11. in Hannover zur Demonstration „Rettet die Bildung – Bildet die Rettung“ (22.000 TeilnehmerInnen) gegen das Hochschuloptimierungskonzept und die Kürzungspläne der niedersächsischen Landesregierung auf. Das war auch das Radikalste, zumindest auf der Internetseite www.bildet-die-rettung.de, auf der beteuert wurde, dass mensch ja mit umstrukturieren will, aber anders, und mehrmals beschworen wurde, dass man friedlich demonstrieren wolle. Man hätte auch gleich das Fronttranspi mit „Bitte, bitte, nehmt uns nicht ernst!“ beschriften können

Allein in Göttingen steht ein Sparvolumen von zwölf Millionen Euro im Raum und damit die Schließung von Studiengängen und ein massiver Stellenabbau bevor. Dagegen organisierte auch der bürgerliche AstA (RCDS, ADF) und sein „Bündnis für ein starkes Göttingen“ zwei Demonstrationen mit 2000 bzw. 8000 Teilnehmern und versprüht den eiskalten Charme der Standort-Rhetorik: die Universität Göttingen müsse verschont bleiben und dafür beispielsweise die Uni Vechta geschlossen werden.

Dagegen gründete sich das „Bündnis gegen Bildungsklau“ (www.bildungsklau.de um den „Widerstand von unten“ zu organisieren. Es gab Vollversammlungen an vielen Fakultäten, auf der Demo einen Lautsprecherwagen mit offenem Mikro (unter der AstA-Bedingung, von dort nicht kritisiert zu werden) und eine offene Mailingliste. Sie wollen Widerstand in Solidarität mit anderen „Standorten“ leisten und den Zusammenhang zwischen Bildungsabbau und Sozialabbau herstellen. Der Zwiespalt scheint inzwischen (wie auch immer) gelöst zu sein: in Göttingen wurde inzwischen ein Streik beschlossen, in der entsprechenden Pressemitteilung stehen beide Gruppierungen einträchtig nebeneinander

Die Standortrhetorik ist allgemein ein großes Übel bei StudentInnenprotesten, wenn sich der Blick der Protestierenden auf das eigene Lokale und die eigenen Interessen fixiert und ignoriert was anderen sozialen Schichten und an anderen Orten passiert, wenn mensch sich für den Standort Deutschland stark macht , weil man selbst ja das beste Kapital dafür wäre. Das ist Selbstzurichtung par excellence. Auch der Leipziger StuRa meint in seiner Solidaritätserklärung er müsse sich Sorgen um den Standort Deutschland machen. Den Zacken aus der Krone haut da aber die selbstentmündigende Äußerung „Bildung ist die Aufgabe des Staates“. Hat schon jemand ´nen Staat neben sich im Hörsaal gesehen? Eben!

Zurück nach Göttingen: Bei der ersten inoffiziellen VV soll die inhaltliche Basis noch recht dünn gewesen sein, so wurde sowohl jemandem applaudiert, der die Zusammenarbeit mit der Hochschulleitung forderte, wie auch jemandem, der diese kategorisch ausschloß, weil sie für Studiengebühren wäre. Allgemein sind die Hochschulleitungen schlicht der Verwalter des Unternehmens Hochschule und somit um dessen Wohlergehen und nicht das der Studierenden besorgt. So werden sie folgende Fragen meist mit Ja beantworten: Studiengebühren, wenn es der Uni zu Gute kommt? NC und frühzeitige Selektion, wenn dadurch die Uni profiliert wird? Weg mit den LangzeitstudentInnen, damit die Statistik besser aussieht?

Einem Streik oder Protest, der sich selbst an die Zustimmung oder das Wohlwollen der Hochschulleitung kettet, sind von vorneherein die Zähne gezogen um Druck auszuüben. Mit kreativen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen (wie die Bildung zum xten Mal zu Grabe zu tragen oder baden gehen zu lassen) alleine, wird keine gesellschaftliche Auseinandersetzung gewonnen. In Halle gab es am 18.11. eine Vollversammlung mit 500 Leuten, die eine Resolution (4) zum geplanten neuen Hochschulgesetz und Hochschulstrukturgesetz verabschiedeten und für den 20.11. einen Warnstreik beschlossen. Dies alles geschah im Rahmen eines sachsen-anhaltinischen Protesttags gegen die Landeshochschulpolitik. Für den 8. bis 12.12. wurden Warnstreiks beschlossen. Auch in Hannover soll in dem Zeitraum eine Aktionswoche veranstalten. Ob in Leipzig ein nennenswerter und ernstzunehmender lokaler Protest in Gang kommt, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Ein solcher entsteht natürlich nicht aus dem Nichts und auch nicht durch Abschieben der Verantwortung an die Studierendenvertretung, sondern durch aktive Teilnahme möglichst vieler Studierender. Gründe gibt es jedenfalls genug, seien es die Kürzungen der Zuschüsse für die Studentenwerke und damit die Erhöhung der Mensapreise bzw. des „Semesterbeitrags“, die Teilnahme Sachsens an der Klage für allgemeine Studiengebühren oder die Zwangsexmatrikulation nach dem 13. Semester. Und es ließen sich sicherlich noch weitere Gründe finden.

Viel Zeit zur Vorbereitung ist nicht mehr. Auf einem Koordinierungstreffen Ende November wurden nämlich für den 13.12. ein europaweiter (5) dezentraler Aktionstag und drei Demonstrationen beschlossen, zu denen bundesweit mobilisiert wird: in Frankfurt, Berlin und Leipzig. Stand: 30.11.

kater

(1) www.refrat.hu-berlin.de/sowi/alle/allenews/vvbeschluss.html
(2) www.denkstop.de; zudem kreuchten auf bayrischen Demos Burschenschafter, eine Deutschlandfahne, Transparente mit Slogans wie „Wir sind Deutschlands bestes Kapital“; siehe auch www.jungle-world.com/seiten/2003/48/2107.php.
(3) eine andere Version spricht vom Blockieren seiner Limousine
(4) Resolution VV Halle www.stura.uni-halle.de
(5) Es waren auch AktivistInnen aus anderen europäischen Ländern anwesend.

Bildung

Häuser räumen! Rektoren kürzen!

Franz Häuser bleibt also weiterhin Rektor der Universität Leipzig. Nachdem er die Stelle des zurückgetretenen Volker Bigl einnahm, wurde er nun regulär gewählt. Im Universitätsjournal vom November verspricht er uns eine neoliberale und anpaßlerische Bildungspolitik: die Angleichung der Studierendenzahlen an die immer wieder gekürzten Lehrkapazitäten, was eine Verschärfung des Numerus Clausus und der Selektion bedeutet. Weiter steht er für die schnelle Umsetzung der Bologna-Beschlüsse (siehe auch FA! 8 & 9), und damit Bachelor und Master in allen Studiengängen. Und schließlich will er die Einwerbung von Drittmitteln steigern und damit die Abhängigkeit wissenschaftlicher Forschung von Wirtschaftsunternehmen befördern. Da fragt mensch sich, wozu braucht es eigentlich Kanzler und Rektoren? Für Bildung, wahrscheinlich genauso wenig wie Staat und Markt.

kater

Bildung

Schrei, wenn Du kannst!

Am 18. September 2003 treffen sich in Berlin die Bildungsminister der EU. Die Zusammenkunft wird sich im besonderen mit der Abfassung einer „Bildungscharta“ und dem Zeitplan einer europaweiten Hochschulreform beschäftigen. Beide Vorhaben leuchten ein, angesichts des toten, brach liegenden Wissens vieler SchülerInnen (PISA) und angesichts der Verschulung der Universitäten (strenger Lehrplan, finanziell vermittelter Zeitdruck, etc.). Wer wollte die Stimme erheben gegen freie, vielseitige, humanistische Bildung und eine Reform der am Rande der Funktionalität operierenden Hochschulen? Indes, dies sind nicht mehr als schöne Etiketten … die EU wuchert nicht nur mit ihrem fortschrittlichen Image, die Nationalstaatlichkeit schrecklicher Jahrzehnte zu überwinden.

Derweil hält die „Humanität“ eines Giscard d’Estaing oder Fischer einem näheren Blick nicht stand. Die Reform wie die Charta zielen auf die Vereinheitlichung der Bildungswesen in dem Sinne, in der Kombination „allgemeiner Standards“ und der „Vernunft des Sparens“ sogenannte Sachzwänge zu schaffen. Mit solcher, per Expertise bestätigter Übermacht der „Wirklichkeit“ konfrontiert, sehen sich die Betroffenen – SchülerInnen und Studierende wie Lehrende – und letztlich die gesamte Gesellschaft kaum in der Lage, ihre Interessen wahrzunehmen.

Unwidersprochen allerdings sollen diese regierungsamtlichen Märchen nicht hingenommen werden. Um ein Nachdenken anzustoßen, das der Tat notwendig vorausgeht, organisieren die Bildungssyndikate in der FAU unter anderem eine europäische Tagung in den Räumen der Humboldt-Universität (Berlin). Neben den Absichten der gegenwärtigen Bildungspolitik sollen auch Handlungsoptionen und libertäre Bildungskonzeptionen zur Sprache gebracht werden.

A.E.

Kontakt und nähere Informationen finden Interessierte unter
www.fau.org/bsy und
www.bologna-berlin2003.de/de/

Bildung

„Wir woll’n in die Tagesschau!“

Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …ein Problem

Medienwirksamkeit hieß das Schlagwort vieler Studierender im Streik des letzten Semesters. Groß muss es sein, laut und bunt und vor allem kreativ. Denn sonst kümmert es niemanden, ob die Universitäten gerade bis zur Arbeitsunfähigkeit zusammengekürzt werden, immer mehr Ungleichheit im Bildungsbereich institutionalisiert wird oder Erwerbslose durch den Zwang zur Annahme einer ‚zumutbaren’ Arbeit in die Vormundschaft durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) gedrängt werden. Frei nach dem Motto: Was nicht in der Tagesschau läuft, ist auch nicht passiert. Und da Studierende weder Partei, Lobby noch irgendwie relevante Interessenvertretungen in politischen Gremien haben, bleibt zunächst nur, Öffentlichkeit durch Aktionen zu schaffen. So wälzte sich in den letzten Monaten eine wahre Aktionslawine durch die streikenden Universitäten. „Spar Wars“ in Berlin, Hamburg, Bremen oder Leipzig – „The University strikes back“. Im Dezember stürmten in Berlin nackte Studierende, ihres letzten Hemdes beraubt, durch die Straßen oder der Weihnachtsbaum wurde symbolträchtig um seine Spitze gekürzt. In Bremen beteiligten sich zwei StudentInnnen-WG‘s an der „Wetten dass?!“-Stadtwette vom 24.01.04 und entrollten Transparente vor dem offenen Container, in den sie ihre Wohnzimmereinrichtung transportiert hatten. Gesendet wurde das jedoch nicht. Denn „Fernsehen ist halt nur Unterhaltung. Eben eine geschickte Lüge“, so ein ZDF-Redakteur. (1)

In Leipzig reichte das Repertoire von altbekannten Inszenierungen des „Zu Grabe Tragens der Bildung“ über Besetzungen und die Störung einer Landtagssitzung in Dresden bis hin zum Dreh eines Softpornos unter dem Motto: „Die Bildung ist keine Hure der Wirtschaft“. Jene Aktionen, deren Ursprung in einer Wortspielerei liegt, wie „Die Bildung geht baden“, „Bildung geht Flöten mit Streichern“ oder „Studienplätzchen für Passanten“ wecken sicher Sympathie unter der Bevölkerung. Ein paar Leute lesen vielleicht sogar die ausgeteilten Handzettel. Und auch die lokale Presse berichtet, wenn es nette Bilder gibt. Aber angesichts der akuten Probleme im Bildungs- und Sozialbereich wirken sie lasch. „Ihr Streik hat keinem geschadet… ein bisschen mehr Mut und Frechheit [wäre] angebracht“, wird im Kreuzer (Februar 2004) kommentiert. Dabei folgen die Protestierenden hier einer einfachen Werbestrategie. Wie für die Titelseite des Kreuzer, der Bild oder der LVZ (Leipziger Volkszeitung), braucht auch eine gute Aktion erst mal eine Überschrift, ein Motto. Im Gegensatz zur Bild, der mensch sicher keine Inhaltsvermittlung unterstellen kann, steht hinter den Aktionstiteln das Anliegen, Probleme öffentlich zu machen, die sonst kein Gehör fänden. Für die Veränderung der Zustände, die Rücknahme der Sozialkürzungen und für die Erfüllung der Forderungen aber, muss mehr passieren, als Wortspielerei.

Weniger zahm sah es zunächst bei der Besetzung des Rektorats am 07.01.04 aus. Während die Angestellten mit Kaffee und Kuchen überrumpelt wurden, verschickten die ErstBesetzterInnen über die Pressestelle ein Fax, in dem der Rücktritt von Rektor Franz Häuser gefordert wird. Diese Aktion brachte sofort die Presse auf den Plan. Einige spekulierten wohl schon auf eine spektakuläre Räumung durch die Polizei. Doch alles verlief in geordneten Bahnen. Die Besetzung wurde durch die Gewährung des Hausrechtes genehmigt und mit Berufung auf ein pauschales Unterstützungsangebot durch Kanzler Peter Gutjahr-Löser forderten die BesetzerInnen Logistik in Form von Computer, Drucker und Faxgerät für den Streik ein. Zumindest in kleinem Rahmen konnten so Forderungen nach technischer Unterstützung durchgesetzt werden. Doch selbst diese Aktion wird wegen der ausgehandelten Kooperationsbasis, im Spiegel belächelt. „Das Rektorat ist wieder „besetzt“, wie es ein Transparent draußen am Gebäude verkündet. Und zwar genau bis 16.30 Uhr [… ] Wenig später gehen die Lichter aus. Bis zum nächsten Morgen.“ (15.01.04)

Was Aufmerksamkeit zieht, hat sich während des Streikes besonders gut an der Aktion des „Streikporno“ Drehs der Gruppe „CinemAbstruso“ gezeigt. Nämlich nackte Haut, ein bisschen Erotik und alles was irgendwie skandalös ist.

Der Außendreh unter d e m Karl-Marx-Relief am Augustusplatz entsprach dabei wohl noch am ehesten den voyeuristischen Erwartungen der Presse. Vor den Augen verwirrter und gaffender Passanten, sowie aufgeregt herumwuselnder Fotografen und Kamerateams, fielen trotz winterlicher Temperaturen die Hüllen der beiden Akteure. Nur ein aufgespanntes Laken verhüllte die Details des angedeuteten Motto: „Paaren statt sparen“. Das Drehbuch ist so kompliziert gestrickt, wie das Pornogenre tiefgründig. Er, Dozent Dr. Vögler, hilft ihr, Studentin Chantal, beim Stopfen von Bildungs-, Haushalts- und anderen Löchern. Endlich hatte selbst RTL Grund genug, den Studi-Streik zu beachten. Die Bild versuchte gleich eine ganze Skandal-Reihe aufzubauschen. Und die StreikaktivistInnen debattierten, ob die Aktion zu unterstützen sei oder nicht und veröffentlichte schließlich eine Solidaritätserklärung.

Der „…Versuch, den Streik in Massenmedien zu tragen, die sich normalerweise nicht mit dem Thema beschäftigt hätten, und der Versuch, desinteressierte Studenten der Uni auf den Streik aufmerksam zu machen“ (2), ist den Leuten von CinemAbstruso auf jeden Fall gelungen. Bei der Uraufführung am 22.01.04 mussten sich viele der Schaulustigen vertrösten lassen, weil der Hörsaal mit 300 Leuten völlig überfüllt war. Ob der Andrang in der Hoffnung auf ein schlüpfriges Filmchen nach stereotypem Rollenmuster lag, oder aber an der Erkenntnis, dass die Lage ernst und eine StreikPornoFilmSchau endlich DIE geeignete Aktionsform ist, an der mensch teilnehmen kann, bleibt unklar. Der fertig geschnittene Film selbst entsprach nicht dem Bild, das der Dreh hätte vermuten lassen. Entblößt wurde weniger nackte Haut, als die Tatsache, dass mediale Aufmerksamkeit mehr dem Skandalprinzip folgt als politischer Brisanz. Gezeigt wird, wie Regisseur und Schauspielerin in der MDR-Sendung „Dabei ab Zwei“ dem Moderator das Podium stehlen und nicht auf seine körperorientierten Fragen antworten. Stattdessen liest Tillmann König immer wieder aus den Forderungen der Leipziger Studierenden vor. Der Zuschauer sieht, wie Kamerateams bei den Filmemachern zu Hausbesuchen vorbeikommen. Die Befragten verkehren die Rollen und richten ihre Linse auf die Teams. Die Frage, ob sie, die Presse, auch so interessiert wären, wenn es nur um die politischen Inhalte ginge, wird verneint. Erst am Ende kommen die Szenen, die überall durch die Presse gingen.

Ob die Präsenz der Studierendenproteste in den Tagesmedien zu konkreten Verbesserungen im Bildungsbereich führen kann, bleibt fraglich. Klar ist, dass es vieler Stimmen in allen sozialen Schichten bedarf, um die herrschende Sparpolitik zu stoppen.

wanst

(1) Pressemitteilung des Streikbüro der Universität Bremen (25.01.2004). Mehr Info und Bilder: www.de.indymedia.org. Info Streik Leipzig: www.leipzig04.de.vu
(2) Abspann des Streikporno von CinemAbstruso.

Bildung

StudentInnen brechen Hausfrieden

Wir empfanden nur, dass hier anscheinend Menschen saßen, die scheinbar aus eigener Nähe zu Macht und Versorgung – Unwissenheit konnte es einfach nicht sein – überhaupt kein Empfinden mehr dafür haben, mit welchen Wirkungen verfehlter Bildungs- und Sozialpolitik wir als Studierende umgehen müssen, welche Missstände, Verunsicherungen, auch Ängste uns Anlass sind, eigenen Protest vor und in das Haus der gewählten Volksvertreter zu tragen.“ Stellungnahme, 02.03.04

Am 16.01. begingen die Leipziger StudentInnen ein altes Ritual, als sie wieder einmal allein, in kleineren und größeren Gruppen nach Dresden vor den Landtag zogen. Doch dieses Mal wollte student/in sich nicht so einfach abspeisen lassen wie in den letzten Jahren, mit Beschimpfungen á la Rößler und der Erkenntnis, daß sich im Landtag eigentlich keine/r für die studentischen Forderungen interessiert. Deshalb standen die Proteste an diesem Freitag von Anfang an unter der Devise, nicht nur brav der genehmigten Strecke zum Parlament zu folgen und dort an der Kundgebung teilzunehmen, sondern durch viele dezentrale Aktionen im Stadtgebiet Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Daß sich diese Vorstellung neben ein paar nackten Ärschen und sporadischen Kreuzungsblockaden nur mäßig umsetzen ließ, lag sicher auch an der Unerfahrenheit und mangelnden Organisierung der aktiven StudentInnenschaft. Als jedoch 14 Studiosi von den BesucherInnen-Plätzen im Landtag in lautstarken Jubel über die vorgehende Politik ausbrachen, platzte einigen EntscheidungsträgerInnen der Kragen angesichts des Faktes, daß das Verständnis der StudentInnen für die politische Ausweg- und Konzeptlosigkeit des sächsischen Parlamentes in der Bildungs- und Sozialpolitik schwindet. Und dann wollten jene weder aufhören noch den Saal verlassen. Oh, welch Unverschämtheit! Da half nur noch der Einsatz polizeilicher Gewalt, um diesen Aufstand im ehrenwehrten Hause des Landes niederzuwerfen. „Eklat“ und „einmalige Störung der Arbeit der Volksvertreter“ tönten gereizte PolitikerInnen, während viele StudentInnen mit der Aktion und der erreichten Aufmerksamkeit zufrieden waren.

Also alles gut? Denkste! Am darauffolgenden Mittwoch sprach der Landtagspräsident Erich Iltgen für die 14 polizeilich erfaßten StudentInnen ein einjähriges Hausverbot aus und stellte gleichzeitig einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch (§123 bzw. §106b). Die Kriminalisierung dieser politischer Aktion bedeutet auch einen Angriff auf die studentischen Proteste und zeigt deutlich, wie niedrig die Hemm- und Schmerzgrenzen der verantwortlichen PolitikerInnen liegen. Die Betroffenen sind gerade dabei, Gespräche mit Politik, Presse und verschiedenen Gruppen aufzunehmen und es gibt schon Ideen, u.a. durch Doppelgängeraktionen die überzogenen Maßnahmen (Staatsschutz ermittelt!) weiter zu problematisieren. Es sollte an Solidarität und Unterstützung aus der Studierendenschaft nicht mangeln, schließlich haben sich jene für die Probleme von jeder/m Einzelnen eingesetzt. Und letztlich bleibt nur eine Erkenntnis aus den gemachten Erfahrungen: Wir machen weiter und kommen wieder!

clov

Bildung

Utopie oder Zwangsneurose?

Wie realistisch sind wir, können wir, müssen wir sein?

Die Grundlinie der streikenden Studierenden war klar: Nicht nur zeigen, dass die Pläne zur Umstrukturierung und Kürzungen an den Hochschulen auf Missfallen stoßen, sondern sie verhindern. Am Anfang standen ganz persönliche Bedürfnisse der aktiven Studierenden, die sich in einem sogenannten Streikkomitee organisiert hatten. Inhaltlich beschränkte sich die Zielsetzung der Mehrheit auf Hochschulpolitisches. Wer mit der Analyse der Verhältnisse etwas weiter ging, merkte jedoch, dass es einen grundlegenden Zusammenhang mit anderen Politikfeldern gibt. Fraglich bleibt, ob das bei allen angekommen ist. Bei dem Einen oder der Anderen scheint die Reflektion über den „konstruktiven“ Streik allerdings den Anstoß zu radikalerer Kritik gegeben zu haben.

Zu Beginn beschränkten sich die Inhalte des Protestes auf Slogans wie: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ Trotz relativ wenigen aktiven Leuten verlief er aber durchaus erfolgreich. Die Kreativität der Studierenden dominierte den öffentlichen Raum. Nach einigen Wochen Aktionismus sah das Ganze schon anders aus. Mehr und mehr blieben die Leute aus, die wenigen, die noch versuchten, etwas auf die Beine zu stellen, gingen auf dem Zahnfleisch. Die große Frage war nun: Woran lag‘s? Wenig verwunderlich, dass viele die Schuld nicht bei sich suchen wollten, selbst war man ja schließlich ordentlich dabei gewesen. Die anderen, die nicht mitmachten, waren also schuld und damit hatte es sich. Von inhaltlichen Fehlern war dagegen wenig zu hören, obwohl Unsicherheiten hierbei überall anzutreffen waren. Parallel war im Streikkomitee zu beobachten: Veranstaltungen und Flugblätter wurden als vollkommen ausreichendes Mittel gesehen, um an Nichtstreikende heranzutreten.

Die Verbindung von eigenen inhaltlichen Unsicherheiten und dem Ausbleiben weiterer MitstreiterInnen liegt auf der Hand: Wer nicht in der Lage ist, Ahnungslosen konkrete Hintergründe zu vermitteln, soll sich nicht wundern, wenn sich diese dann nicht interessieren. Woher kamen also diese Unsicherheiten? Möglicherweise war die große Hürde die gebetsmühlenartig zu vernehmende Vorgabe, „realistisch“ oder „konstruktiv“ bleiben zu müssen. Verbaute man sich dadurch doch den Weg zu jeder weitergehenden Kritik an den Verhältnissen, gegen die man sich doch zur Wehr setzen wollte.

„Realistisch“ hieß hier, sich von „Utopien“ fernzuhalten, sich allem zu verweigern, was die herrschende Politik radikal hinterfragen könnte. „Konstruktiv“ bedeutete, mit seinen Forderungen im Rahmen des „Machbaren“ zu bleiben, auf die Politik zuzugehen. Vielleicht sollte mensch sich klarmachen, dass das politisch Mögliche im Wesentlichen von Parteiprogrammen bestimmt wird: Von der PDS über Rot/Grün bis zur NPD, alles ist wählbar. Forderungen, die über Vorstellungen einzelner Parteien hinaus- oder an ihnen vorbeigehen, sind schlichtweg unmöglich. Für die aktuelle Kürzungsorgie ist aber keine bestimmte Regierung verantwortlich, sie findet überall statt – ob Rot/Rot in Berlin regiert oder Schwarz in Sachsen. Ist es nicht gerade utopisch, mit „realistischen“ Forderungen an die Regierenden heranzutreten? Ist es nicht vielmehr realistisch, den Zusammenhang zum um sich greifenden Sozialabbau herzustellen und solidarisch mit den anderen Betroffenen dagegen zu kämpfen?

Bleibt die Frage, warum diese Politik betrieben wird. Offizielle Begründung: Die desolate wirtschaftliche Lage sei schuld. Jetzt müsse überall gekürzt werden, nicht nur an den Unis, sondern an allen sozialen Leistungen und Einrichtungen. Die längst laufende Sparpolitik betrifft also alle, nicht nur die Studierenden. Auch Teile des Streikkomitees waren sich der offensichtlichen Verbindung zwischen Bildungs- und Sozialabbau nach drei Wochen Streik bewusst: so wurde von der Vollversammlung am 29.1. etwa der Stopp der neoliberalen Entwicklung von Bildungs- und Sozialpolitik gefordert und die Agenda 2010 abgelehnt. Spätestens jetzt ist mit „konstruktiv“ nichts mehr anzufangen.

Wenn von offizieller Seite die schlechte Wirtschaftslage als Rechtfertigung für politische Entscheidungen genannt wird, ist das gar nicht mal so falsch. Politik ist Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände. Besser wird sie dadurch nicht, im Gegenteil – stimmt etwas in einer Gesellschaft nicht, kann es auch mit der von ihr abhängigen Politik nicht weit her sein. Zu kritisieren ist gerade das, was das Streikkomitee inhaltlich derart in die Ecke treibt: diese Verhältnisse! Es sollte eigentlich nicht schwer sein, das zu begreifen, scheint es aber. Zum Ausdruck kam dies in den Protesten selten. Zu sehr zielten Aktionen auf Verständnis hin, zu sehr waren sie vom Wunsch geprägt, von den Verantwortlichen „angehört“ zu werden. Nochmal: die Politik hört nur, was sie hören will – das, was „realistisch“ ist, sich also im von ihr gesteckten Rahmen abspielt.

Und genau deshalb ist es wichtig, eine grundsätzliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen und ihrer Politik zu formulieren, um durch öffentlichen Druck eine breite Auseinandersetzung mit den hier aufgeworfenen Fragen zu erzwingen. Wie sonst kann etwas erreicht werden?

fi & freunde

Bildung

Freundliche Helfer

Nach Informationen aus Regierungskreisen besteht kein Grund zur Beunruhigung.

„Es wäre doch schade, wenn das jetzt hier eskalieren würde. Bisher waren eure Proteste doch so schön friedlich.“ * – Eine banale Beschreibung dessen, worauf es der herrschenden Politik im Umgang mit der Studibewegung ankommt. Alles soll möglichst schön konstruktiv ablaufen. Symbolischer Protest ist okay, solange nichts „eskaliert“. Misstrauisch beäugt die Polizei die vielschichtige und spontane Streikbewegung bei der jede Kriminalisierung durch die überwiegend positive Berichterstattung der Medien erschwert wird. Studierende genießen durch ihre Vorzeigefunktion als zukünftige Elite anscheinend mehr Narrenfreiheit als andere protestierende Gruppen, wie beispielsweise AntifaschistInnen, die oft von vornherein zu „Chaoten“ gestempelt werden.

Mehr und mehr studentische Aktionen machen aber deutlich, dass der zugestandene Rahmen symbolischer Proteste zu eng ist, für Leute, die etwas bewegen wollen. Gleich zum Streikauftakt wird das Rektorat besetzt und anlässlich des Schröder-Besuchs Polizeisperren durchbrochen. Auf den ersten Blick wirken die Bewahrer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung konzeptlos. Wie ist mit so einer heterogenen Masse jung-dynamischer Leute bloß umzugehen? Mit den laufenden Aktionen offenbart sich von Seite der Obrigkeit allerdings ein interessantes zweigleisiges Konzept.

Während auf der einen Seite dem symbolisch-konstruktiven Protest öffentlicher Raum gegeben wird, sollen ihm aber ganz klar Grenzen gesetzt werden. Schließlich erkennt man bei den Studis auch durchaus Potential, das sich radikalisieren könnte – spätestens seit `68 ist bekannt, wie sich Bewegungen, die mit vergleichsweise harmlosen Forderungen anfangen, zu einem Generalangriff aufs Herrschaftsgefüge ausweiten können. Eine solche Entwicklung muss auf jeden Fall vermieden werden und so ganz ohne Repression soll es jedenfalls nicht abgehen: Leute, die etwas länger das Megafon in Händen halten, werden (möglichst) diskret zur Seite geführt: Personalienfeststellung. Andere, die sich in kleiner Gruppe vorwagen, um über den 08-15-Protest hinauszugehen, werden festgehalten – es gibt Platzverweise mit dem Hinweis, sich „nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen“, man „kenne Sie ja schon“. Während im Allgemeinen ein kollegial-kumpelhafter Ton gegenüber den Protestierenden gepflegt wird, versucht die Polizei mit umfassender Überwachung der Proteste, „Rädelsführer“ und „Extremisten“ ausfindig zu machen, gegen die mit Einschüchterung oder Anzeigen vorgegangen werden kann, wie neuerdings gegen die StörerInnen des Dresdner Landtags.

Einer sozialen Bewegung klare Grenzen zu setzen, ohne den Polizeistaat zu offensichtlich werden zu lassen, ist theoretisch nicht möglich, praktisch aber anscheinend schon. So „eskaliert“ nichts und alles bleibt „schön friedlich“. Natürlich nach der Definition der grundfriedlichen Polizei.

soja

* „Einsatzleiter“ der Polizei bei der angedrohten Räumung des Regierungspräsidiums, 28.1.

Bildung

Bildung selbst organisieren!

Seit zwei Jahren gibt es bereits die selbstorganisierten Seminare. Sie entstanden als AG seminare aus den Studierendenprotesten 2001, die sich gegen die Kürzungen der Landesregierung und die Hochschulumbaupläne richteten. Nach dem Abflauen der studentischen Protestbewegung wollten sich manche nicht einfach wieder dem Unialltag ergeben, sondern haben nach Möglichkeiten gesucht, sich selbst zu bilden, aber anders als an der Universität: keine Massenvorlesungen, kein Druck Scheine oder Prüfungen machen zu müssen und ohne das hierarchische Lehrer-Schüler- Verhältnis. Sie wollten und wollen Bildung selbst organisieren. Diese Bildung soll für alle offen sein. Es geht nicht darum, die Menschen nach Funktionen einzuteilen oder gar sich die Selektion anzumaßen, Menschen wegen des Schulabschlusses bei den Seminaren nicht mitmachen zu lassen. Dies macht bereits das jetzige Bildungssystem, das deswegen auch so ungeheuer unsympathisch ist. Derzeit entwickelt es sich von einer staatlichen Steuerung zu einer Marktsteuerung. Beides stellt keine wirkliche Lösung dar. Besser wäre es, Bildung einfach von den Menschen bestimmen zu lassen, die sich bilden. Deshalb gibt es auch nächstes Semester eine neue Runde selbstorganisierter Seminare (es können auch alternative Einzelveranstaltungen oder Wochenendseminare eingebracht werden) und alle sind aufgerufen eigene Ideen zu entwickeln und Themen vorzuschlagen. Bisher reichten die Seminare von der Transformation der Demokratie, Arbeit und Kapitalismus über Camus und das Absurde bis hin zu Spanisch- und Französisch- Sprachgruppen. Eure Themen könnt ihr mitsamt einem Vorstellungstext, erstem Treffen (wo die nächsten Treffen vereinbart werden) und Kontaktmöglichkeit an die AG seminare schicken…

Kontakt und Internet:
ag-seminare@bildungskritik.de
www.ag-seminare.bildungskritik.de

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