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Eine Dosis Blau

Interview mit Radio-Blau-Aktivist_innen

Einen eher trostlosen Anblick boten am 12. November zur Linken Medienakademie Regional die überwiegend verlassenen Räume in der Universität Leipzig. Denn das interessante Workshopangebot, das überwiegend von lokalen (linken) Medienschaffenden vorbereitet wurde, traf – auch aufgrund der Kurzfristigkeit – auf recht wenig interessiertes Publikum. Doch statt Blasen mit Trübsal zu füllen, nutzten wir die Zeit für einen intensiven Austausch mit zwei Aktivist_innen vom freien Radio Blau. Das folgende Interview zur aktuellen Situation und anderem Wissenswerten kam auch dabei rum:

FA!: Hallo, schön euch zu interviewen. Für die Leser_innen, die euch noch nicht kennen: Was ist denn Radio Blau?

Anne: Radio Blau ist euer Freies Radio in Leipzig. Das bedeutet, dass wir zugangsoffen sind für alle, die in Leipzig Radio machen wollen. Wir sind ein nichtkommerzielles Radio, wir machen das also ehrenamtlich, um der Ideen und Inhalte willen, die wir einem größeren Publikum zugänglich machen wollen. Und wir spielen keine Werbung. Wir sind basisdemokratisch organisiert, bei uns gibt es keine Hierarchien und keine Chefredaktion. Bei uns entscheidet die Vollversammlung über Organisatorisches im Radio und auch die Inhalte werden dort diskutiert. Es gibt den Konsens, keine sexistischen, rassistischen, antisemitischen, faschistischen oder chauvinistischen Inhalte zu senden. Aber ansonsten gibt es keine Einschränkungen. In diesem Rahmen kann jeder senden, was er will.

FA!: Welche Sendungen würdet Ihr denn besonders hervorheben?

A: Wichtig ist unser tagesaktuelles Magazin Aktuell. Das läuft immer 19 bis 20 Uhr, Montag bis Freitag. Da geht´s um aktuelle, lokale, überregionale oder globale Themen aus Politik, Kultur, Umwelt, Wirtschaft. Dabei richten wir uns nicht nach herkömmlichen journalistischen Werten, zum Beispiel diesen unbedingten Zwang zu Aktualität oder den Blick auf Nachrichtenwerte. Wir bemühen uns darum, Themen aus den Perspektiven zu bearbeiten, die in den kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien nicht vorkommen.

Lutz: Vieles findet sich eben anderswo nicht wieder, weil´s keine spannende Nachricht ist. Uns geht es eher darum, denen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden. Sich für ein Thema Zeit zu nehmen, auch wenn es gerade nicht topaktuell, aber trotzdem interessant ist.

FA!: Wer entscheidet über die Themen? Es gab ja vor einigen Jahren z.B. eine Debatte über eine Sendung, wo Musik von Muslimgauze gespielt werden sollte – eine Industrialband, die sich u.a. positiv auf den palästinensischen Widerstand bezieht, womit einige Leute bei Radio Blau ein Problem hatten. Wie ist das Verhältnis zwischen der Entscheidungsfreiheit der Redakteur_innen und der Vollversammlung?

A: Neue Sendungsmacher_innen müssen ihre Inhalte erst mal in der Vollversammlung vorstellen. In einer richtigen Redaktion wie Aktuell werden Themenvorschläge und Inhalte intern diskutiert und teilweise abgewiesen. Neulich zum Beispiel ging es um eine politische Veranstaltung, die wir thematisieren wollten. Ein Redakteur meinte dann, ob wir uns mal die Akteure angeschaut haben, wer die Veranstaltung macht, und ob wir so ein Thema wirklich tragen können. Haben wir dann nicht gemacht.

Wenn langjährige Sendungsmacher_innen wissen, dass sie ein umstrittenes Thema behandeln, tragen sie das auch in die VV und diskutieren es dort. Und wenn die VV sagt, „Wir wollen das so nicht senden“, dann wird es nicht gemacht.

L: Bei einer Vollversammlung im Monat lässt sich nicht alles im Detail diskutieren, obwohl das wünschenswert wäre. Das passiert innerhalb der Redaktionen, aber sonst wird eher im Nachhinein Kritik geäußert, oder Lob, wenn eine Sendung besonders gut war.

A: Naja, es wäre schon möglich das in der Vollversammlung zu diskutieren, so viele Wortbeitragssendungen haben wir ja nicht. Mir fällt da die queerfeministische Sendung Tipkin ein, Politsendungen wie Statement, T9, Linksdrehendes Radio, Der dialektische Diwan

L: Und Kultursendungen wie Lesbar und Al Dente… Wobei Musik ja auch einen Inhalt vermittelt, über die Texte, oder wie beim Beispiel Muslimgauze, wo die Cover der Platten recht fragwürdig waren.

A: Das steht auch bei uns im Statut, dass Musik eine eigene Darstellungsform ist. Wir haben auch gute Musikredaktionen wie Bleep Hop oder die Zonic Radio Show, Leute, die sich auch sehr intensiv mit Geschichte und politischer Bedeutung von Musik auseinandersetzen. Es wird also nicht nur ein Song nach dem anderen gespielt, sondern auch kontextualisiert.

FA!: Wie viele Leute engagieren sich bei Radio Blau?

A: Ich schätze, ungefähr 130 Menschen. Die Zugangshürden sind auch relativ niedrig. Man muss eine „Erste Dosis Blau“ machen, da wird man in die Organisationsformen eingeführt, und dann den Technikkurs, damit man das Mischpult bedienen kann. Deshalb kommen viele Redakteur_innen zu uns, gehen wieder, bringen Leute mit… Es ist ein sehr fließender Kreis von Leuten.

FA!: Es gab ja vor zwei Jahren eine größere Krise, die Radio Blau fast in seiner Existenz bedroht hätte. Wie hat sich denn die Situation seitdem entwickelt?

A: Radio Blau war nicht in seiner Existenz bedroht. Das Problem war, dass wir die Sendungs- und Leitungskosten von 25.000 Euro im Jahr bezahlen mussten, die für die Übertragung auf UKW ent­stehen. Der Verein selbst war aus meiner Sicht nicht in der Existenz bedroht. Wir hätten dann eben wohl oder übel Netzradio machen müssen. Allerdings wollen wir das nicht. Im Gegensatz zum Internetradio ist UKW für alle Leute zugänglich, die ein einfaches Radio besitzen. Die zuständigen Me­dienpoli­tiker_innen argumentieren, man wolle bis 2015 die UKW-Frequenzen auslaufen lassen, zugunsten des Digitalradios. Der­zeit sieht´s aber so aus, als würde sich das noch Jahre hinziehen.

L: Wobei Radio Blau schon existenziell bedroht wäre, wenn wir nicht mehr auf UKW senden könnten. Ich würde schon von einer Krise reden, und die ist auch heut noch nicht ausgestanden. Auch wegen der sächsischen Medienpolitik, wo Freies Radio gar nicht vorgesehen ist. Es gibt einen Satz im Rundfunkgesetz, der sagt, dass nichtkommerzielles Radio ermöglicht werden kann. Wo unklar ist, was heißt das? Schließt das eine Förderung ein? Tatsächlich werden wir gerade mal mit einem Drittel der Sendekosten finanziert – von der Landesmedienanstalt, die als sogenannte staatsferne Behörde den Privatrundfunk beaufsichtigt und dafür einen Teil der GEZ-Gebühren erhält. Das sind ca. 7 Mio., davon kriegen Radio T und Radio Blau zusammen 16.000 Euro, während die Kosten bei ca. 50.000 Euro für alle drei Freien Radios liegen. ColoRadio in Dresden kriegt gar nichts, weil die bei der Landesmedienanstalt nicht so beliebt sind.

Das sind schlechte Voraussetzungen. Die Kosten für Strom, Miete, Telefon usw. sind ohne Förderung nicht zu schaffen. Bis Ende 2009 wurde unser Anteil an den Sende- und Leitungsgebühren noch von Apollo Radio übernommen. Diese Vereinbarung lief aus, und das führte dann zum Rechtsstreit mit Apollo und zur zeitweiligen Abschaltung der Freien Radios. Letztlich senden wir wieder, weil wir die Kosten selbst tragen – durch Spenden, und nun im zweiten Jahr durch eine anteilige Förderung der Stadt.

A: Ohne Unterstützung durch die Hörer_innen, die Medienpolitik und die Stadt sieht´s schwierig aus. Wir können nur appellieren, uns zu unterstützen. Wir sind als Plattform wichtig für Menschen, die in dieser Stadt ihr Radio machen und ihre Inhalte nach außen tragen möchten. Dabei vermittelt das Radio auch Medienkompetenz. Man schätzt ja den Gehalt von Medien ganz anders ein, wenn man weiß, wie sie funktionieren.

FA!: Und was sind Eure Visionen für Radio Blau für´s nächste Jahr?

A: Natürlich wollen wir weiterhin Menschen einladen, ihre Ideen ins Radioprogramm einzubringen. Eine Umweltredaktion haben wir zum Beispiel noch nicht. Warum nicht? Vielleicht waren wir für die Leute noch nicht Plattform genug? Es gibt ja auch in anderen inhaltlichen Feldern viele Gruppen und Medien in Leipzig, die inhaltlich arbeiten, brillante Essays schreiben… Und es wäre spannend, diese ins Radio zu holen, damit sie ihre Ideen und Texte auch dort präsentieren können. Auch ein Umdenken bei den Formaten wäre spannend…

L: Weniger Wortbeitragssendungen, die nur aus Interviews bestehen… Wobei jetzt schon mehr Leute auf die Idee kommen, uns als Radio anzufragen. Ich weiß nicht, wie oft wir in diesem Jahr als Medienpartner für Veranstaltungen angefragt wurden…

A: Podiumsdiskussionen im Radio zu senden, wäre eine Idee. Oder politische Hörspiele als Verbindung von Politik und Kunst. Das könnte für Menschen spannend sein, die sich mit literarischem Schreiben beschäftigen, aber auch politische Ansprüche haben. Oder Demo-Radio. Mal abgesehen von den Anti-Nazi-Demonstrationen könnten wir auch andere Veranstaltungen im Radio begleiten. Mir fällt da noch mobiles Radio ein… Wir haben letztes Jahr mit dem Straßenecken-Radio angefangen, sind in Projektläden im Leipziger Westen und Osten gegangen und haben Leute eingeladen, über das zu reden, was sie bewegt. Gentrifizierung, Probleme mit Gewalt, mit Drogen im Viertel… Das würden wir gern fortführen. Sehr spannend finde ich auch immer Live-Übertragungen von Fußball-Events des Roten Sterns. Neben den Berichten vom Spiel werden nebenbei dann Initiativen vorgestellt, die sich zum Beispiel gegen Rassismus in der Kurve engagieren.

FA!: Was braucht Ihr, um diese Ideen umsetzen zu können?

A: Kraft, und nette Leute, die uns unterstützen…

L: Wir hatten bis vor kurzem auch noch Leute, die als AGH-Stellen bezahlt wurden. Das gibt’s jetzt nicht mehr. Die Leute, die mitmachen, machen jetzt nicht mehr nur Programm, sondern tatsächlich alles in diesem Radio. Die Verwaltung usw. läuft jetzt alles ehrenamtlich.

A: Ich glaube, wir sind das erste und einzige Freie Radio in Deutschland, das vollkommen selbstorganisiert läuft. Und es läuft, erstaunlicherweise!

FA!: Wer mitmachen will, meldet sich einfach bei euch?

L: Genau, über radioblau@radioblau.de. Jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat gibt’s die „Erste Dosis Blau“, jeweils 18.00 Uhr, im Hinterhof der Paul-Gruner-Straße 62. Da wird wie gesagt in die Strukturen eingeführt, und bei Bedarf kann man auch weitere Fragen stellen.

A: Und immer montags bis freitags von 17 bis 19.00 Uhr ist das Büro geöffnet und für Anfragen offen.

FA!: Vielen Dank für das Interview!

(momo & justus)

„Anders ist so unpolitisch“

Im Gespräch über Aktivismus, Widerstand und Selbstorganisation

Hanna Poddig ist nicht nur seit Jahren in der antimilitaristischen und Umweltbewegung aktiv. Wegen ihrem Buches „Radikal mutig: Meine Anleitung zum Anderssein“ und dem dadurch geweckten medialen Interesse wird sie in Zeitungsinterviews, Radiosendungen und Talkshows geradezu als neues Aushängeschild der Aktivist_innenszene präsentiert. Davon fühlte sich wiederum die Leitung des Centraltheaters animiert, sie nach Leipzig einzuladen. An einem sonnigen Samstag im April trafen wir uns mit den „Vollzeit-Aktivistinnen“ Hanna und Franzi am weißen Haus des Centraltheaters, wo eine Woche lang Workshops und Aktionen zu Themen wie Atomkraft oder staatliche Repression ihren Ausgang nehmen sollen. Wir warten gemütlich, bis die beiden von oben aus den Bäumen, wo sie gerade ein Anti-Atom-Transparent befestigt haben, zu uns herabsteigen und Rede und Antwort stehen.

FA!: Wie seid Ihr zum Centraltheater gekommen und was erhofft Ihr Euch davon?

Hanna: Ich bin vom Centraltheater eingeladen worden, weil die auf mich aufmerksam geworden sind durch die Medien. Die haben mich angesprochen, ob ich nicht Lust hab zur Buchmesse eine Veranstaltung zu machen und hier aus meinem Buch zu lesen. Und dann haben sie gesagt, sie hätten da so eine Idee und da war mal Öff Öff da und ob ich nicht vielleicht auch Lust hätte. Ich seh das immer erstmal als Chance – solche Anfragen sind bei mir gar nicht verknüpft mit einer großen Hoffnung, ich glaube nicht, daß hier die Weltrevolution ausbrechen wird, auch wenn es jetzt nicht schlimm wäre. Ich sehe das als Chance an Leute ranzukommen, an die ich sonst nicht rankomme, mit meinen politischen Inhalten ein bißchen aus dem politischen Ghetto rauszukommen und nicht nur im eigenen Saft zu schmoren.

FA!: Klingt überzeugend. Wie seht Ihr Euch in der Reihe mit Öff Öff, der ja vor Euch Gast des Centraltheaters war?

Hanna: Was Öff Öff macht, finde ich grundsätzlich nicht falsch. Aber es reicht in meinen Augen nicht. Also ich glaube, daß er schon vorlebt, daß viele Dinge gar nicht so zwanghaft sind, wie viele Leute glauben. Daß ganz viel möglich ist, von dem viele Leute glauben, das geht gar nicht. Dafür schätze ich ihn, auch für Ideenreichtum und für so Recyclinggedanken und Selbstorganisation, da ist er schon ganz schön gut. Aber ich glaube, daß manche Dinge nicht beseitigt werden dadurch, daß ich sie nicht mache. Also dadurch, daß ich keine Gentechnik anpflanze, wächst sie trotzdem. Und dann muss ich sie kaputtmachen. Und an der Stelle glaube ich, daß dieses Nischendenken, sich eine eigene heile Welt aufzubauen, eben nicht reicht und mehr passieren muss. Das ist, glaube ich, was mich sehr zentral von Öff Öff unterscheidet. Ich hatte mal eine längere Email-Debatte mit ihm über das Thema „Hab ich einen Ausweis oder nicht“. Öff Öff legt ja viel Wert darauf  keinen Ausweis zu haben, weil er damit  das Konzept von Nation und Staat nicht legitimiert. Aber wenn ich keinen Ausweis hätte, wären politische Aktionen immer fünfmal so anstrengend, weil ich jedes Mal mitgenommen würde. Wer keine Aktionen macht, wird natürlich auch nicht mitgenommen, deswegen ist es für Öff Öff nicht so wild, keinen Ausweis zu haben. Mir ist es das nicht wert, ich mach’ lieber Genfelder kaputt und stopp’ Atomtransporte. Ich find’ das die cooleren Aktionen.

FA!: Was ist denn Eure Perspektive von gesellschaftlicher Veränderung? Wie stellt Ihr Euch gesellschaftliche Veränderung vor und wie denkt Ihr, daß Euer Handeln dazu beiträgt?

Franzi: Ich hab natürlich so ‘ne Utopie im Kopf, wie die Welt aussehen könnte. Ich möchte z.B. keine Hierarchien. Ich möchte, daß alle Leute möglichst Zugriff auf alle Ressourcen haben und es trotzdem möglich ist, daß Leute an einzelnen, persönlichen Dingen hängen können. Die Veränderung sollte schon irgendwie in die Richtung gehen. Mir reicht es z.B. nicht zu sagen ich bin gegen Atomkraft oder ich bin gegen Gentechnik. Sondern das sind für mich alles Symptome dieser ziemlich krassen Welt, in der wir leben. Veränderung beginnt für mich in den Köpfen von Leuten. Es kann nur passieren, indem ich praktisch Dinge verhindere, weil’s einfach nicht anders geht. Aber meiner Ansicht nach muss sich erstmal etwas in den Köpfen verändern, auch in der Hinsicht, daß ich versuche das in meinem Alltag umzusetzen und dafür zu kämpfen.

Hanna: Ich würde sagen, der wichtige Punkt ist Organisierung. Also nicht nur Inhalte vermitteln – das ist sicherlich auch wichtig, aber bei einigen Themen gar nicht notwendig. Z.B. Gentechnik: Da sind schon 80% der Leute dagegen und trotzdem wächst es auf den Feldern. Das heißt, es geht gar nicht um Überzeugung, sondern darum die Leute zu aktivieren, auf die Felder zu gehen und den Scheiß da weg zu machen. Das heißt, ich will schon erreichen, daß Menschen sich zusammentun und gemeinsam überlegen, was denn ihre Art und Weise sein könnte, dagegen aktiv zu werden. Ich sage jetzt nicht, daß alle Leute Genfelder plattmachen müssen. Sondern mir wär’s wichtig, daß Leute sich im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und Kapazitäten organisieren, sich selber wieder was zutrauen.

FA!: Du bist ja nun „Vollzeit-Aktivistin“ – zumindest wirst Du so verkauft oder verkaufst Dich vielleicht auch selber so. Denkst Du, daß das Leben, das Du führst, ein Modell für andere sein könnte?

Hanna: Jein. Solange es noch eine Gesellschaft gibt, die ganz viel Scheiß abwirft, der als Müll sonst vernichtet wird oder vergammelt, den ich noch brauchen kann, versuche ich natürlich möglichst von diesen Dingen zu leben und keine neue Nachfrage zu schaffen. Das ist natürlich keine Utopie für alle Menschen. Es können nicht alle Menschen vom Müll leben, den würde dann ja keiner mehr produzieren. Trotzdem glaube ich, daß viele der Ansätze, die ich vorzuleben versuche, schon ein Modell für mehr Menschen sein können. Aber ich will nichts aufzwingen. Das heißt, es gibt schon Sachen, die ich so gar nicht will – ich würde jetzt nicht sagen, ich überlasse es meinem Nachbarn, ob er ein Atomkraftwerk betreibt oder nicht, da ist schon eine Grenze. Aber im Grunde will ich Leuten nicht vorschreiben, wie sie leben und worauf sie Lust haben sollen, oder was sie machen sollen …

Franzi: Ich würde auch unterscheiden zwischen Modellen, die vielleicht für hier und jetzt irgendwie passend sind und Modellen, die ich mir in der Utopie wünsche. Das Containern zum Beispiel, das passt, solang’s diese Welt gibt. Aber wenn’s diese Welt so nicht gäbe, dann müsste für alle, also auch für die jetzigen Vollzeitaktivist_innen, eine wie auch immer geartete Selbstversorgung oder Gemeinschaftsversorgung her.

FA!: Wie, denkt Ihr, kann die gesellschaftliche Veränderung am besten vonstatten gehen? Langsam, Stück für Stück, weil bei immer mehr Menschen das Bewusstsein geschaffen wird und die partizipieren an der Selbstorganisation? Oder auf den großen Knall hinaus?

Hanna: Ich glaube nicht an diese Logik von, ich sag mal, traditionellen Marxisten, die sagen mensch muss nur genug Marx-Lesekreise veranstalten und genug Leute müssen das Wissen haben,  dann kommt die Revolution von selber. Und wenn alle Leute das Kapital gelesen und verstanden haben und wir sind die einzigen die wissen, wie man’s zu deuten hat, dann macht es plötzlich ‘knall’ und die Welt ist ‘ne bessere. Ich glaube Menschen müssen Umgang miteinander lernen. Die Verhältnisse sind vom Menschen gemacht. Das heißt, es muss sich schon was am Verhalten ändern und das müssen Menschen auch üben. Das geht nicht von jetzt auf sofort, denn natürlich haben die Leute auch ganz viel Scheiße verinnerlicht. Trotzdem will ich auch nicht so mißverstanden werden, daß es heißt: Ach, die findet es auch gar nicht so schlecht, den Weg durch die Institutionen zu gehen. Das Gegenmodell heißt ja nicht Parteiarbeit. Sondern das Gegenmodell ist sowas wie radikale Transformation. Der Begriff ist ein bißchen sehr künstlich, aber das beschreibt noch am ehesten ein Hinarbeiten auf eine bessere Welt, ohne daß man mit den Einzelschritten den bestehenden Scheiß stabilisiert. Trotzdem kann ich mich natürlich über einzelne Sachen freuen und auch irgendwelche Detailkämpfe führen.

FA!: Hanna, Du hast da dieses Buch geschrieben und bist dadurch relativ medial präsent. Wie kamst Du dazu, dieses Buch zu schreiben und was war die Resonanz der Presse bzw. was für Erfahrungen hast Du damit gemacht?

Hanna: Also es war nicht meine Idee, das Buch zu schreiben, sondern die Idee des Verlags, der auf mich zugekommen ist und mich gefragt hat. So daß ich gedacht hab’, vielleicht kann das eine Chance sein, meine politischen Inhalte Leuten näherzubringen, die ich sonst nicht erreichen würde, weil das Medium Buch irgendwie eine andere Glaubwürdigkeit hat als ich als Person. Ich glaube, der Erfolg liegt zum einen an der sehr professionellen Marketingabteilung im Verlag und zum anderen daran, daß es schlicht Produkteigenschaften an mir gibt, die vermarktbar sind. Also klein, blond, weiblich und mehr oder weniger rhetorisch vorzeigbar. Das ist auch der mediale Hunger nach Protest, Exoten oder dem Vorführen von Menschen. Von daher weiß ich insgesamt nicht, ob ich sagen würde, es ist ein großer Erfolg. Nach einer Talkshow hat sich mal jemand bei mir auf ein Praktikum beworben und da hatte ich zwei Wochen lang einen Praktikanten. Das war für den  eine ganz neue Welt und auch ganz spannend, was er gelernt hat. Und das ist ein Erfolg, finde ich, weil dort jemand was neues gesehen hat, was er vorher nicht kannte, und das nicht nur einen Abend konsumiert, sondern wirklich zwei Wochen gelebt hat.

FA!: Glaubst Du, dadurch eine Vorbildfunktion zu haben und andere auch zum Mitmachen zu animieren?

Hanna: Ich bin schon eingeladen worden zu Veranstaltungen aufgrund der Medienberichterstattung. Ich hab dann immer gesagt, ich würde viel lieber Aktionstrainings machen als Lesungen. Ich hab schon an einer besetzten Uni Aktionstraining gemacht und die Leute haben danach Aktionen gemacht. Das sind schon Sachen, die mir Hoffnung machen, denn an diese Studis wäre ich sonst nicht rangekommen. Die haben mich wirklich im Fernsehen gesehen und gesagt: Ey, die wollen wir hier haben!

FA!: Es ist doch aber schon problematisch, wenn man als Superaktivistin so auf einen Sockel gestellt wird. Dadurch, daß man medial so präsent ist und zu einer Repräsentationsfigur wird, die andere Leute repräsentiert, auch wenn man eigentlich nur für sich selbst sprechen will.

Hanna:
Ich seh’ das Problem auch schon. Ich versuche auch bei Anfragen das weiterzuleiten an andere Leute. Das liegt schon genau daran, daß ich keinen Bock hab, die eine Stellvertreterin des neuen, hippen, jungen Aktivismus zu sein. Ich seh auch, daß ich da gar nicht so viel Einfluß drauf hab, was die aus mir machen. Im Nachhinein würde ich auch dem Buchtitel so nicht mehr zustimmen.  „Anders“ ist als Begriff einfach so inhaltsleer. War sowieso nicht meine Idee, sondern vom Verlag. „Anders“ ist zu unpolitisch, „anders“ ist grade alles.

FA!: Wie lange seid Ihr schon politisch aktiv? Seid Ihr jung politisiert worden?

Franzi: Bei mir überhaupt nicht. Ich war schon immer so’n bißchen Öko, aber Handlungen sind daraus nicht so richtig erfolgt. Irgendwann nach meiner Lehre hab ich immer mal bei einer attac-Gruppe vorbeigeschaut, bin darüber dann auf G8-Gipfel gekommen, Klimacamp-Orga, hab ‘ne eigene Rebel Clown Army gegründet, mit Gendreck weg! oder x-tausend zu tun gekriegt. Auf dem Weg zu einer Anti-Gentechnik-Kampagne in Portugal bin ich dann aber im Kelsterbacher Wald hängengeblieben. Und damit war ich dann auch schon in dieser Szene hier.

Hanna: Ich bin da auch reingewachsen. Am Anfang war ich mal auf ‘ner Demo und dann war ich häufiger auf ‘ner Demo. Nach dem Abi hab ich ein freiwilliges ökologisches Jahr gemacht bei Robin Wood und bin da hängengeblieben. Dann kannte ich da tausend Leute und hab’ da irgendwelche Jobangebote gekriegt. Dann habe ich für Gendreck weg! was gemacht, zum G8-Gipfel, und bin so irgendwie von einer Kampagne zur nächsten gewandert, bis ich dann irgendwann fand: Ich brauch gar keine feste Kampagne, für die ich arbeite. Ich bin jetzt einfach meine eigene Chefin.

FA!: Freischaffende Aktive …

Hanna:
Ja, das war für mich tatsächlich ein wichtiger Schritt, mich zu lösen von Verbänden, Vereinen und festen Kampagnen, zu sagen: Ich kann das alleine, ich hab das Know-How und ich find’s sinnvoller alleine. Natürlich nicht ganz allein, ich mach’ meine Aktionen ja nicht ohne andere Menschen… Aber eben ganz klassisch mit freien Menschen in freien Kooperationen. Was mir daran so wichtig ist ist, daß mich nicht irgendein Label mit irgendwem verbindet, sondern jedesmal auf’s neue irgendeine Absprache über irgendwas, worauf ich halt Lust hab’ oder sinnvoll und wertvoll finde.

FA!: In der „linken Szene“ ist Mackertum mittlerweile ja (zurecht) ein Thema, wobei mensch da noch mal zwischen  Bewegungsmackern und intellektuellen Mackern unterscheiden könnte. Gibt es bei den Aktionisten denn Aktionistenmacker?

Hanna: Ja, definitiv. Es gibt Leute, die nach Kletteraktionen immer wieder betonen wie cool die Kletteraktion war und dabei nicht erwähnen, daß es auch ein Bodenteam gab, ohne das sie nicht hätten klettern können. Da gibt es schon immer wieder. Leute, die nicht ausreichend häufig sagen, daß sie nicht alleine agieren. Immer wieder prolliges Heldengetue, daß das alles gar nicht so schlimm ist, daß die sich mal nicht so haben sollen. Ein unsensibler Umgang mit Ängsten, Befürchtungen, sowas.

Franzi: … die Erfahrenheit raushängen lassen und andere nicht daran ranführen.

FA!: Hat das was mit dem Geschlecht bzw. der Sozialisierung nach dem Geschlecht zu tun?

Franzi: Mir fallen meist männlich sozialisierte Personen ein, wo mir das auffällt. Ich kenne auch ein paar Frauen, die ich  als sehr mackerig empfinde. Wobei das eher was anderes ist als das gerade beschriebene… Es muss nicht unbedingt was mit dem Geschlecht zu tun haben, aber ich sehe es häufiger an Männern.
Hanna: Wobei es vielleicht auch wirklich was mit dem Sehen zu tun hat. Also daß es weniger auffällt bei Frauen, weil wir bei Männern eher drauf geeicht sind, kritisch drauf zu gucken. Uns eher mal zu freuen, wenn es auch mal ‘ne dominantere Frau gibt, die sich durchsetzt. Weil ist ja cool, daß sie das macht. Daß das in Szenekreisen viel mehr gedeckt wird, als daß es kritisch gesehen wird, weil es halt mit bestehender Normalität bricht. Was ich ein stückweit auch richtig finde. Eine Unterdrückung erstmal über eine Überprivilegierung eine zeitlang zu bekämpfen, finde ich in Ordnung. Sowas wie Frauenredequote und solche Sachen finde ich durchaus legitime Mittel.

Franzi: Wobei ich es spannender finde z.B. eine Redequote für Leute einzuführen, die wenig reden. Mir fällt’s schon auch an Frauen auf, wenn die so krass dominant sind …

An dieser Stelle wird das Gespräch langsam ausgeblendet. justus & shy im Außendienst geben zurück ins Studio.

Propaganda der geistigen Niederkultur

Das exzentrisch schillernde Wesen, einem Großteil der Leipziger Szene bekannt wie ein bunter Hund unter dem Namen „Haschke“, ist nicht nur Musiker bei einem gefühlten Dutzend Bands, Krachklangkünstler, Barmensch, Gelegenheitsmoderator, Plagwitzer Original, Kneipenschreck, Quasi-Lokalpolitiker (Die PARTEI) und Lebenskünstler, sondern auch seit neuestem Herausgeber von MÜeLL. Dies ist ein Heftchen im A5-Format, angefüllt mit, wie es im Untertitel bedrohlich dräut „literatur und klolektüre“. Wir haben dieses formatsprengende Ausnahmetalent in seinem natürlichen Habitat aufgespürt und den glücklichen Umstand genutzt, dass er zwischen zwei Wrestlingkämpfen auf dem Gieszerfest eine kleine Verschnaufpause brauchte, um dem nach Atem ringenden Freizeitlyriker paar Fragen zu stellen.

Feierabend!: Zum Einstieg erstmal was einfaches: Gibt es einen Sinn des Lebens und falls ja, was?

Haschke: Sinn des Lebens findet jeder selber raus … und die andere Sache: Ich bin kein Plagwitzer Original, sondern ich habe in Grünau gewohnt und danach in … (unverständliches sächsiches Gebrabbel). Außerdem, wenn ich mich umgucke – (dramatische Pause) vielleicht ist ja doch gar nicht alles so sinnlos wie es immer scheint.

FA!: Aha. Zweite Frage: Der MÜeLL, was soll das?

H: Das soll eine Profilierungserscheinung sein, die einfach von meiner Person ausgeht. Eine Art Propaganda der geistigen Niederkultur und, solange es sich hundertmal verkauft… ich denke, ich werde eine zweite Nummer machen.

FA!: Wieso weist der MÜeLL so viele Ähnlichkeiten zum upsetter auf?

H: (grinsend) Weil der upsetter geil ist!

FA!: Jetzt mal im Ernst: Was soll der Scheiß? Geht es in Deinen Texten nicht nur um Penisse, Erregung von Ekel und zwanghaftes Kacken auf vermeintliche und tatsächliche Tabuthemen?

H: (sichtlich irritiert ob der entlarvenden Direktheit) Dann übersetze Deine Frage einfach nur mit: Ja, es muss einen Penis geben, der kackt und irgendwas anderes noch macht. Also übersetze die Frage einfach nur mit nem normalen Satz. Junge, das Heft heißt MÜeLL!

FA!: Das heißt, es dient wirklich nur der Befriedigung Deines eigenen Egos?

H: In gewisser Weise schon, in einer anderen nicht. Weil ich ständig gefragt werde: „Kannst Du mir mal einen Text geben oder irgendwas?“ Da gebe ich die Scheiße halt eben heraus. Natürlich freue ich mich, dass ich da meinen Scheiß mehr ´reinbasteln kann.

FA!: In Deiner Nullnummer hast Du auch Texte von zwei Gastautorinnen, Sandra und Johanna, die sind ja richtig gut gelungen. Beabsichtigst Du, in Zukunft weitere externe Autor_innen zu gewinnen oder diesen mehr Platz einzuräumen?

H: Ich versuche, dass das Label „literatur und klolektüre“ zusammen bleibt.

FA!: Aha… wie geht´s weiter? Hast Du schon einen Zeitplan?

H: Vielleicht im Winter… (triumphierend) Vorher ficke ich allen libertären Arschlöchern in den Arsch!

FA!: In den Arsch?

H: Naja, gut, ich fick dran vorbei. Oder ich stecke denen den Besenstiel so ein bisschen rein, dass es sich wenigstens so anfühlt, als ob es echt wäre.

FA!: Großartig. Würdest Du Dich als Fäkalfetischisten bezeichnen?

H: (genervt) Ich bin kein Fäkalfetischist, ich bin KOTPHILOSOPH! Das könnt ihr auch bei wikipedia eingeben. (stolz wie Bolle) Bei „Haschke“ kommt „Kotphilosoph“ raus.

FA!: Hast Du den wikipedia-Artikel selber geschrieben?

H: Halt Deine Fresse und verpiss‘ Dich!

Ich bedanke mich bei Haschke daraufhin noch recht herzlich für dieses Gespräch und entferne mich unauffällig, um nicht der nächste Ringgegner des angriffslustigen Bohemien zu werden. Denn obgleich er bei so ziemlich jedem Kräftemessen an diesem ausgelassen lustigen Sonntagnachmittag den Kürzeren zieht, wird das drahtige Energiebündel trotz zahlreicher Schürfwunden, in denen sich dunkle Batzen von Asphaltstaub, Hundehaar und Asche sammeln, des Kämpfens nicht müde. Dafür kennt und schätzt, ja verehrt mensch ihn hier geradezu: Dass er sich in allem versucht, dabei meistens scheitert und doch stets eine beachtlich gute Figur abgibt und damit andere inspiriert, es ihm nicht gleich zu tun und dennoch niemals aufzugeben. Oder, um es mit den Worten von Chuck Palahniuk in Fight Club zu sagen: Wir sind der singende, tanzende Abschaum der Welt. Als muttitauglicher Schwiegersohn oder gar Chef der Deutschen Bank hat er sich längst selbst ausgebootet, aber als solcher könnte er sich ja auch nicht die Freiheit nehmen, an einem sonnenverwöhnten Nachmittag in die Mitte der Gieszerstraße zu kotzen und dann auch noch die Befriedigung geniessen, dass zwei Punks auf die Knie fallen um den Kotzfleck anzubeten. Vielleicht ist ja doch nicht alles so sinnlos wie es immer scheint.

(Anmerkung: die deutsche wikipedia kennt die Begriffe „Kotphilosoph“ und „Haschke“ nicht.)

(bonz)