Schlagwort-Archive: Lokales

Was gibt´s Neues in Altwest?

In alter Zeit, als das Wünschen noch half… Da wurde Leipzig noch in einem Atemzug mit Detroit genannt, gab es Symposien, Ausstellungen, Wettbewerbe zum Thema „schrumpfende Stadt“ allüberall. Das ist keine zehn Jahre her, doch inzwischen ist der neue Kampfbegriff „Gentrifizierung“ an seine Stelle getreten. Seitdem ist dieser Topos, der lokal mit dem Begriff #hypezig einigermaßen treffend umrissen ist, ein Dauerbrenner in den Medien. Diese überschlagen sich im Wochenrhythmus mit den neuesten sensationsheischenden Beiträgen zum Thema Boomtown Leipzig. Nur selten jedoch werden die Akteure der Verdrängung benannt. Wie beispielsweise die Stadtverwaltung: „Leipzig hat ein ganz klares räumliches Leitbild: die kompakte Stadt, die Stadt der kurzen Wege. Der Zuwachs wird also in der inneren Stadt fokussiert“, so Jochen Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. „…hier gibt es noch ausreichend Flächenpotentiale, um die notwendigen Wohnungen und Einrichtungen unterbringen zu können – auch bei einem anhaltend starken Zuzug.“ (1)

Der ist in der Tat beträchtlich: inzwischen zählt Leipzig wieder 551.871 Einwohner (2) – so viel wie zuletzt vor 30 Jahren.

Leipziger Häuserkampf – Rennen um Ruinen

Die Zeichen stehen auf Sturm: Wurde in den ersten 20 Jahre nach der Wende meist nur über Abwanderung und Verfall geklagt, so schossen in den letzten fünf Jahren die Kräne und Baugerüste wie Pilze aus dem Boden. Leipzig ist mittlerweile die am schnellsten wachsende Stadt des Landes, hat die Einwohnerzahl aus der Wendezeit schon überschritten. „Wohnen wird in dieser Zeit zur zentralen sozialen Frage“ (3) mahnte kürzlich die frisch gewählte Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, wobei wir ihr gerne zustimmen. Noch sind es nur Einzelfälle, in denen es zu schikanöser Verdrängung der Altmieter kommt, das gibt auch das Netzwerk „Stadt für Alle“ zu, doch der Druck steigt spürbar an. Dass diese Entwicklung punktuell sehr unterschiedlich abläuft, lässt sich gut anhand der Karten auf www.einundleipzig.de erkennen. Besonders schnell wächst aktuell neben Wahren und den zentrumsnahen Stadtteilen im Osten vor allem Leipzigs wilder Westen, nach Schleußig und Plagwitz sind derzeit Lindenau und Leutzsch an der Reihe. (4) Der Oberbürgermeister höchstselbst, der sich seinen letzten Wahlkampf im Wesentlichen von Bauunternehmen hat sponsorn lassen (5), äußerte unlängst die Ansicht, dass Lindenau in naher Zukunft „DER Stadtteil Leipzigs“ (6) werde. Vergaß aber zu erwähnen, welche unangenehmen Folgen das für Alteingesessene und Zugezogene hat, wie etwa der enorme Mangel an Kita- und Schulkapazitäten, um nur die offensichtlichsten Versäumnisse der Verwaltung zu benennen.

Mit am lautesten wird derzeit in der Angerstraße gebaut, wegen der Anbindung an die kleine Luppe und weil das bürokratische Hickhack am Lindenauer Hafen so manchen Investor verschreckt hat. Größtes Bauvorhaben ist die Umwertung einer verfallenen Holzleimfabrik in eine luxuriöse Eigentums-Wohnanlage namens „Pelzmanufaktur“, wo es 35 m²-Wohnungen für rund 80.000 Euro zu erstehen gab (6), oder eine Vierzimmerwohnung (139 m²) für 390.000 Euro. Gab, wohlgemerkt, denn schon kurz nach Baubeginn waren alle Wohneinheiten verkauft. Die Preise mögen läppisch wirken im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, doch für Lindenauer Verhältnisse ist das astronomisch. Es wäre dumm zu glauben, dass der rasante Zuzug (8) ohne Folgen für die Alteingesessenen bleibt, doch sind die von den Apologeten der Gentrifizierung befürchteten Verdrängungseffekte bislang nicht eingetreten: Der Lindenauer Markt ist noch immer ein Tummelplatz der Abgehängten, Abgelegten und Aufgegebenen.

Das änderte sich auch nicht, als vor zehn Jahren die ersten Wächterhäuser auf den Plan traten, zogen sie doch vor allem kreative Menschen mit geringem Einkommen an. Allerdings verschafften sie dem Kiez das Image als hip, rough, edgy, etc. – mit dem Effekt, dass plötzlich die New York Times und ungezählte andere Medien (9) berichteten, wie cool es hier doch sei. Daraufhin dauerte es naturgemäß nicht lange und Immobilienspekulanten erkannten ihre Chance und das Potenzial des Kiezes. Wie man heute weiß, dienten die Hauswächter als flexibel und günstig anzuwerbende Pioniere (bereits damals warnte der Feierabend! vor dem zu kurz gedachten Konzept, beginnend mit Ausgabe #29).

Licht und Schatten

Dass die Mietpreise vergleichsweise langsam steigen, liegt vorrangig daran, dass es noch genügend Brachflächen und seit den Wendewirren leerstehende Häuser gibt, die erst noch Stück für Stück in Rendite abwerfende Investments umgemünzt werden können. Nicht einmal die räumliche Nähe der Kleinmesse und des Zentralstadions, deren Veranstaltungen lärmendes Publikum magisch anzieht (und einen Verkehrskollaps herbeiführt), kann diesen Prozess bedeutend bremsen. Im Gegenteil – die gewieften Marketingstrategen der Immobilienmakler versuchen selbst aus diesem Makel Profit zu schlagen. Unter dem postironischen Label „Kiez mal rein!“ werden selbst Penthouses, von denen man zur einen Seite Kleinmesse und Rote-Brause-Tummelplatz im Blick hat und zur anderen das Parkdeck von Kaufland, für fast geschenkte 399.000 Euro angeboten (10). Und vom Fleck weg gekauft. Gewiss, dieser Zustand ist auch zu nicht unerheblichen Teilen durch die desaströse Situation auf dem Finanzmarkt verursacht: Wo Sparkonten, -briefe, Anleihen und Renten kaum oder gar Minuszinsen abwerfen, erscheint „das Investment“ in Immobilien langfristig lohnender zu sein. Ist es in gewissen Lagen sicher auch, doch treiben solche Überlegungen die Blasenbildung nur weiter an. Nicht von ungefähr erinnert dieses Verhältnis an die Lebensmittelspekulationen an der Börse, wo Mangel und Leid noch vermehrt werden durch den Antrieb, möglichst viel Profit aus einem Grundbedürfnis zu pressen.

Ein wenig fühlt mensch sich an das kleine gallische Dorf aus dem Comic erinnert, welches von römischen Heerlagern umgeben ist, betrachtet man vor diesem Hintergrund das Squat Lindenow. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren leben, arbeiten und feiern hier junge Menschen abseits vom Verwertungszwang und der Profitlogik der Miethaie nebenan. Grund genug für den Feierabend!, sich das Treiben einmal zu beschauen und die Besetzer_innen mit naiven Fragen zu löchern wie im folgenden Interview. „Dreckig bleiben“ nennt uns einer der Initiatoren des Projektes die Vision für Gegenwart und Zukunft. Mir sei das Pathos verziehen, doch es ist diesen hundefreundlichen Dosenbierafficionados zu wünschen, dass sich ihr Haus in diesem feindlichen Umfeld lange halten kann. Eben weil sie ihren Kiez abwerten und damit erhalten helfen. Und weil sie ein Experimentierfeld bieten, um Antworten auf Fragen zu finden, die vom Bündnis „Stadt für alle“ ebenso wie im Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ (11) aufgezeigt werden.

Syndikat als einziger Ausweg?

Auf Unterstützung der Stadtverwaltung sollte hingegen niemand hoffen. Denn die Personen mit Entscheidungsbefugnissen im Rathaus bewerten ganz offensichtlich die Erhaltung der Altbausubstanz höher als Partikularinteressen. So schön die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude auch ist, doch selbst auf Brachen angesiedelte selbstverwaltete Projekte und Wagenplätze durften noch immer nicht dem Status der Duldung entwachsen. Ein beredtes Zeugnis, wohin die Entwicklung gehen soll, zeigt die Verbreitung von sogenannten „Stadthäusern“ auf Freiflächen. Auch die perfide Instrumentalisierung von Bürgerpartizipation und von keinerlei Sachkenntnis zeugende Statements wie dieses (aus dem Arbeitsprogramm des OBM für 2020): „Leipzig wächst! Die Einwohnerzahlen steigen, seit 2010 um rund 10.000 Menschen jährlich. […] Leipzig braucht dieses Wachstum dringend, um seinen Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität dauerhaft bieten und als Stadt auf eigenen Füßen stehen zu können.“ (12) Wie viele Einwohner Leipzig denn haben muss, um eigenständig sein und die Lebensqualität halten zu können, behält der Bürgermeister aus naheliegenden Gründen für sich.

Der unübertreffliche Max Goldt – sonst nicht als Befürworter von Umverteilung bekannt – sprach schon im Sommer 1992 deutlich aus, woher die ganze Chose rührt:

Es gibt nämlich gar keine Wohnungsnot, sondern nur zu viele Zahnärzte, Innenarchitekten und Zeitungsredakteure, die ganz allein in riesigen Altbauwohnungen wohnen…“ (13). Einen begrüßenswerten Ansatz haben darum auch die Menschen hinter der Aktion „Willkommen im Kiez“, die Asylbewerberinnen dezentral in WG-Zimmern und Mietwohnungen in Lindenau und Plagwitz untergebracht sehen wollen (14). Höchstwahrscheinlich ist die Schnittmenge zwischen denen, die solcherlei fordern und jenen, die riesige Altbauwohnungen für sich beanspruchen, gleich null.

bonz

(1) www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-platzt100_zc-20d3192e_zs-423b0bc6.html

(2) www.leipzig.de/news/news/einwohner-entwicklung-uebertrifft-selbst-optimistischste-prognosen/

(3) www.weltnest.de/Blog/577/was-fr-einen-oberbrgermeister-wrden-sie-sich-fr-leipzig-wnschen

(4) Im Osten der Stadt ist die Entwicklung mancherorts ähnlich dynamisch, doch in kleinerem Maßstab, die Verdrängungseffekte werden des erheblich größen Leerstands wegen noch etwas länger auf sich warten lassen.

(5) LVZ vom 19.03.2014

(6) www.bild.de/regional/leipzig/burkhard-jung/leipzigs-ob-jung-mag-hypzig-nicht-37168814.bild.html

(7) dima-immobilien.de

(8) Von 2008 bis 2013 hat Lindenau 665 Einwohner hinzugewonnen, ein Zuwachs von 25,9%. Quelle: www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/61_ Stadtplanungsamt/Stadtentwicklung/Monitoring/Monitoting_Wohnen/Monitoringbericht_2013_14_web.pdf?L=0

(9) www.hypezig.tumblr.com

(10) dima-immobilien.de/immobilie-Henricistra%DFe+15%2B04177+Leipzig%2BLindenau/vk-henri-allgemein

(11) berlingentrification.wordpress.com

(10) www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/stadtverwaltung/oberbuergermeister/arbeitsprogramm-leipzig-2020/?eID=dam_frontend_push&docID=28519

(13) Titanic!-Kolumne vom Juli 1992

(14) www.willkommenimkiez.de/

Interview: Squat Lindenow

Feierabend!: Wie habt ihr zusammengefunden und wie definiert ihr euch als Gruppe?

Squat Lindenow: Als wir hier angefangen haben, waren wir zu dritt. Über gemeinsame Freundschaften haben wir uns vergrößert, inzwischen sind wir neun. Als Gruppe haben wir keine festgelegte Ausrichtung, uns eint die politische Gesinnung.

FA!: Was war der Anlass, gerade dieses Haus in der Angerstraße zu besetzen?

SL: Wir waren unabhängig voneinander auf der Suche nach einem geeigneten Haus. Dieses Haus stand leer, hat einen Garten und ist stadtnah. Außerdem gefällt uns, dass es architektonisch heraussticht. Eines Tages stand die Eigentümerin plötzlich vor uns und hat ein sehr nettes Gespräch mit uns geführt. Sie duldet uns hier, weil wir die Bausubstanz erhalten. Das Haus stand 16 Jahre lang leer, darum ist vor allem das Dach in einem schlechten Zustand. Die einzige Bedingung ist, dass potenzielle Kaufinteressenten auch hereingelassen werden. Das war bisher viermal der Fall, jedoch machen wir denen klar, dass das Haus nur mit uns darin zu kaufen ist. Einmal waren auch Leute vom HausHalten e.V. da.

FA!: Was stört euch denn am Wächterhaus-Konzept von „Haushalten e.V.“?

SL: Wir haben deren Vertreter als scheinheilig erlebt, denn sie geben vor, für günstigen Wohnraum zu sorgen. Dabei kooperieren sie eng mit der Stadt und sind mitschuldig, dass der Westen und der Osten der Stadt momentan so aufgewertet werden. Wir fordern unser Wohnrecht ein und finden, für Besetzung ist jetzt genau die richtige Zeit.

FA!: Wollt ihr nicht letzten Endes selber einen legalen Status? Oder seht ihr euch auch nur als Zwischen-Nutzer?

SL: Wir brauchen keinen Vertrag! Wir wollen auch keine Miete zahlen! Wir fühlen uns auch so sicher. Wohnen ist ein Grundrecht, wieso viel Miete zahlen? Was wäre die Stadt ohne Menschen? Wir fänden es wünschenswert, wenn wir Akzeptanz finden und dieses Projekt so weiterentwickeln können. Schön wäre, wenn andere Leute angeregt werden, über die offensichtlichen Alternativen nachzudenken und sich selbst nicht so sehr einengen und eingrenzen lassen.

FA!: Welche Angebote habt ihr an den Start gebracht, was ist noch in Arbeit?

SL: Wir kochen jeden Dienstag Abend VoKü, am Freitag bieten wir auch eine Fahrradwerkstatt an. Zu diesen Zeiten kann auch der Umsonstladen genutzt werden. Wir sind jederzeit für Außenstehende offen, Auswärtige können hier pennen. Andere Angebote sind in Vorbereitung, jedoch noch nicht spruchreif.

FA!: Wie reagieren die Anwohner, Stadt und Polizei auf euch?

SL: Die Nachbarn bringen uns öfter mal Einrichtungsgegenstände vorbei, die sie nicht mehr brauchen und plaudern auch gerne mit uns, wenn wir zum Gassi gehen draußen sind. Dahingehend können wir uns also nicht beschweren. Die Polizei und die Stadt sind bislang friedlich geblieben, doch generell werden wir als Gefahrenquelle eingeschätzt. Das hat beispielsweise zur Folge, dass bei Demos im Stadtteil eine Wanne direkt gegenüber vom Haus geparkt wird. Lediglich das Ordnungsamt macht Stress und sitzt der Eigentümerin im Nacken. Die haben vor Monaten mal gemeckert, als sie den verstärkten Zaun bemerkt haben, aber seitdem ist nichts mehr gekommen. Wir sind schon aus eigenem Vorteil daran interessiert, nicht zuviel Stress zu haben.

FA!: Wie wichtig waren die Erfahrungen aus dem geräumten Hausbesetzungsprojekt in der Naumburger Straße vor zwei Jahren?

SL: Es hat uns viel Erfahrung gebracht im Umgang mit der Polizei. Jetzt wissen wir, was auf uns zukommen kann und sind besser vorbereitet für den Fall der Räumung.

FA!: Ihr strebt seit kurzem auch in die Öffentlichkeit, wollt ihr nur Werbung für eure Partys machen oder geht es euch auch um eine andere Botschaft?

SL: Wir finden es natürlich schön, wenn viele Menschen zu unserer wöchentlichen VoKü kommen oder zu Partys. Aber nach zwei Jahren Arbeit am Haus wollen wir auch mal „ausstrahlen“ und zeigen, dass man nicht gleich ein Haus kaufen muss, sondern es auch anders geht.

FA!: Wie stehen die Chancen für baldige weitere Hausbesetzungen in Leipzig?

SL: Aus unserer Sicht gut, wir sind auch schon eifrig dabei, Metastasen zu bilden und unser Wissen weiterzugeben. Wir unterstützen gerne jegliche Besetzer, die es ernst meinen. Einige Häuser sind in Arbeit, andere in Vorbereitung, aber genauer wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht darauf eingehen.

Interview: bonz

Die Leipziger LebensmittelretterInnen stellen sich vor

Samstag 16:45 Uhr. Treffpunkt am Seiteneingang eines Wochenmarktes in Leipzig. Eine kleine Gruppe überwiegend jüngerer Menschen trifft sich hier, um Lebensmittel zu retten. Deutschlandweit werden jährlich bis zu elf Millionen Tonnen weggeworfen, ein Großteil davon bereits vor dem Verkauf.

Für die FoodsaverInnen geht es darum, dieser Verschwendung etwas entgegen­zusetzen und denjenigen, die das in Wirtschaft und Politik zu verantworten haben, die Gefolgschaft zu verweigern. Wer weggeworfene Lebensmittel rettet und sich darüber versorgt, muss schließlich kein Geld mehr dafür aufwenden. Auch der ökologische Gedanke spielt eine Rolle – wie kann es sein, dass wir Lebensmittel rund um den Globus transportieren, um sie dann direkt in die Tonne zu werfen? Und das, während immer noch ein Fünftel der Weltbevölkerung Hunger leidet und die Ressourcen schwinden?! Manche LebensmittelretterInnen ernähren sich vegan oder vegetarisch und sind über die Ablehnung industrieller Tierhaltung zum Lebensmittelretten gekommen. Es gibt viele gute Gründe, zum/zur FoodsaverIn zu werden – einig sind sich die Aktivist­Innen vor allem darin, dass es besser ist, für eine enkeltaugliche Gesellschaft etwas Konkretes zu tun, als nur darüber zu reden. Das Verwerten und Teilen anstelle des Wegwerfens und Konsumierens ist dabei aus Sicht der FoodsaverInnen eine grundlegende Notwendigkeit.

Für mich ist heute der erste Einsatz. Der Leipziger Wochenmarkt ist aber auch für meine MitstreiterInnen neues Terrain. Zunächst geht es darum, kooperative Händler zu finden. In Zweiergrüppchen werden die Stände abgegrast. So schreite auch ich zielstrebig zu einem Obst- und Gemüsehändler und spreche ihn freundlich, aber selbstbewusst an, um ihm das Konzept zu erklären. Kein leichtes Unterfangen im geschäftigen Treiben, denn der Mann hat keine Zeit.

Statt meinen Vortrag anzuhören, zeigt er auf Türme aus Holzkisten, die am Rand und hinter seinem Stand stehen. Mandarinen, To­ma­ten, Gur­ken, Kohlrabi und Weintrauben in Mengen, für die meine Fahrradtaschen kaum ausreichen dürften. Manche ein wenig matschig, andere mit Schimmel – Sortierung ist nötig. Und die Bereitschaft, sich dabei die Hände schmutzig zu machen.

Die Idee, Lebensmittel in größeren Mengen vor dem Müll zu retten, geht auf den Film Taste the Waste” des Regisseurs Valentin Turn zurück, der 2011 in die deutschen Kinos kam und einige Aufmerksamkeit erregte. Was zuvor nur in privatem Rahmen erprobt wurde, wenn Einzelne zum Containern” aufbrachen, bekommt seither durch die FoodsaverInnen eine professionelle Dimension.

Auch das Buch Leben ohne Geld” des Konsumverweigeres Raphael Fellmer hat das Problem in die Öffentlichkeit gebracht. Die zunächst parallel existierenden Internet-Plattformen www.lebenmittelsretten.de und www.foodsharing.de wurden kürzlich zusammengeführt, um die unterschiedlichen Ansätze – überschüssige Lebensmittel teilen auf der einen, Kooperationen mit Händlern auf der anderen Seite – zusammenzuführen. Inzwischen läuft die Sache bundesweit, in Österreich und der Schweiz erfolgreich. Insgesamt wurden so bis heute über 1000 Tonnen Lebensmittel gerettet. Sie werden untereinander nach Bedarf aufgeteilt, die Überschüsse werden verschenkt oder in sogenannten Fairteilern – öffentlich zugänglichen Verteilungsstellen – eingestellt. In Leipzig wird neuerdings auch die Volxküche in der Libelle (www.libelle-leipzig.de) beliefert.

Die Leipziger Gruppe der FoodsaverInnen besteht seit Oktober 2013 und hat derzeit etwa 50 aktive Mitglieder, die dennoch oft nicht ausreichen, um die Kooperationen mit den Händlern immer sicher abzudecken.

Da Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit Voraussetzung sind, um neue Kooperationen abzuschließen und diese dann dauerhaft zu halten, freuen sich die netten Leipziger LebensmittelretterInnen über jeden Neuzugang, der dann dank des persönlichen Einsatzes Einzelner und durch die Onlineplattform (www.foodsharing.de) in das FoodsaverInnen-Leben mitsamt seinen Regeln eingeführt wird.

Meine Fahrradtaschen sind bis zum Rand gefüllt. Der Händler schüttelt schmunzelnd mit dem Kopf und rät mir, nächstes Mal mindestens mit einem Anhänger zu kommen. Nicht immer funktioniert es so einfach. Bei vielen HändlerInnen muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es gibt also noch viel zu tun. Packen wir’s an!

Rico Kranz

„Versagen mit System“

Ein Interview mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung

Vom 23. Februar bis 13. März 2015 war die Ausstellung „Versagen mit System – Geschichte und Wirken des Verfassungsschutzes“ in Leipzig zu sehen. Wir haben mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung gesprochen, von dem diese Ausstellung erarbeitet wurde.

FA!: Könnt ihr euch kurz vorstellen? Wer seid ihr und womit befasst ihr euch?

FKR: Wir sind eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler_innen und Menschen, die in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Wir haben uns als studentische Initiative 2005 nach dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag zusammengefunden, weil wir das Gefühl hatten, dass die Forschung zu Themen wie Rassismus, Neue Rechte und Neonazismus an den sächsischen Hochschulen nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es angesichts der politischen Lage verdient hätte.

Über die Beschäftigung mit dem Thema „Rechtsextremismus“ und auch den kritischen Implikationen dieser Kategorie, haben wir uns auch näher angeschaut, wie Gesellschaft und Politik vermeintliche „Extremisten“ identifizieren und von der demokratischen Teilhabe ausschließen. Von dort ist der Weg zur Beobachtung des Verfassungsschutzes und seiner Aktivitäten nicht mehr weit.

FA!: Dazu gibt es ja derzeit in Leipzig die Ausstellung „Versagen mit System“. Was war eure Motivation dabei?

FKR: Der NSU-Skandal hat seit November 2011 das völlige Versagen des Inlandsgeheimdienstes, der ja eigentlich ein Frühwarnsystem für die Demokratie in Deutschland sein will, offenbart. Doch trotz der schrecklichen Verstrickungen von V-Leuten in den Skandal, dem Unvermögen des Dienstes das rechte Terrornetzwerk zu enttarnen und der Behinderung der Aufklärung durch Öffentlichkeit und Justiz, scheint es, als würden die VS-Ämter gestärkt aus der Affäre hervorgehen.

Gleichzeitig ging der VS in den letzten Jahren verstärkt gegen linke Strukturen vor, die in den jährlichen Berichten unter Extremismusverdacht und damit ins politische Abseits gestellt wurden. Viele Initiativen und Einzelpersonen mussten sich vor Gericht erstreiten, nicht mehr vom VS heimlich beobachtet und öffentlich diffamiert zu werden.

Als wir Ende des Jahres 2012 auf eine Podiumsdiskussion eingeladen wurden, auf der der sächsische VS-Präsident seine Ideen von Einsätzen seiner Behörde in der politischen Bildungsarbeit erläutern wollte, hatten wir das Gefühl, dass wir ein Zeichen setzen wollen, dass auch außerhalb akademischer Diskurse wahrgenommen wird. Ein Geheimdienst hat in der politischen Bildungsarbeit nichts zu suchen. Damit war die Idee für eine Ausstellung geboren.

FA!: Und was erfährt man in der Ausstellung?

FKR: Die Ausstellung beleuchtet auf 20 Tafeln in sechs thematischen Abschnitten die Ursachen und Hintergründe für Versagen des Verfassungsschutzes, nicht nur im Fall NSU. Wir zeigen anhand einer Vielzahl weiterer Skandalfälle, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst für die Demokratie sehr viel Schaden angerichtet hat. Zusätzlich zur Entstehungsgeschichte erläutern wir die problematischen Aspekte an der Verquickung von Geheimdienst und politischer Bildungsarbeit und dem V-Leute-System.

FA!: Die Ausstellung ist in Leipzig ja nur noch bis zum 13. März zu sehen. Wie geht es jetzt damit weiter?

FKR: Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie war vor Leipzig bereits in Hamburg und Berlin zu sehen. Als nächstes stehen Orte in Sachsen-Anhalt, Bielefeld und Lüneburg auf dem Plan.

Wir werden im Laufe des Jahres auch noch mehr Begleitmaterial zur Ausstellung erarbeiten. Das kann dann auch auf unserer Webseite zur Ausstellung herunter geladen werden: vs-ausstellung.tumblr.com

FA!: Danke für das Interview.

Mindestlohn: Gutes Gewissen für nur 8,50 Euro die Stunde

Seit Anfang dieses Jahres gilt in Deutschland der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde. Für die Regierungsparteien CDU und SPD ist das Mindestlohngesetz (MiLoG) ein Ausdruck „unsere[r] Wertschätzung der Arbeit und derer, die sie leisten“ (Peter Weiß, CDU) (1) und ein Weg zur gerechten Entlohnung derselben (Andrea Nahles, SPD) (2). Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht im Mindestlohn ein Mittel, um Lohn- und Altersarmut zu verhindern, würdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, sowie Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fördern (3). Doch wie sieht es in der Wirklichkeit der Arbeitnehmer_innen aus?

Rechnungen der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) zufolge stellt der Mindestlohn keine ausreichende Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar; der Gang zur Agentur für Arbeit jedenfalls werde durch ihn nicht verhindert (4). Außerdem ermöglicht auch ein Lohn von 8,50€ pro Stunde weder eine langfristige Lebens- bzw. Zukunftsplanung, noch bietet er den vom DGB hochgehaltenen Schutz vor Altersarmut.

Ausnahmen

Hinzu kommen die zahlreichen Ausnahmen, die den „flächendeckenden“ Mindestlohn schon vor seiner Einführung eher zum einem Flickenteppich gemacht haben. So sind folgende Menschen und Arbeitsverhältnisse vom Mindestlohn (vorübergehend) ausgenommen:

– Zeitungszusteller_innen (Sie werden bis 2018 stufenweise an den Mindestlohn angepasst.)

– Menschen unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung

– Auszubildende

– freiwillige und Pflichtpraktika im Rahmen von Ausbildung/Studium, die weniger als drei Monate dauern

– Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung (zumindest bis 2016; dann soll diese Ausnahme geprüft werden)

– 1€-Jobs, denn hierbei handele es sich nur um eine „Aufwandsentschädigung“

– bis Ende 2016 laufende Tarifverträge, in denen Löhne unterhalb des Mindestlohns vereinbart sind

– freie Mitarbeiter_innen (Selbstständige)

– Werkverträge

– Häftlinge

– nicht genau geklärt ist der Status von Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten (ausgenommen Pflegearbeit, wo der Mindestlohn auch bei diesen Diensten gilt!)

Die Länge dieser Liste spricht für sich!

Unter Minijobs versteht man Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeiternehmer_innen monatlich nicht mehr als 450€ verdienen. Auch für sie gilt der Mindestlohn, d.h. die monatliche Arbeitsstundenzahl muss entsprechend angepasst werden. Wichtig für Minijobbende ist die arbeitgeberseitige Aufzeichnungspflicht, die seit dem 01.01.2015 gilt: Demzufolge müssen Arbeitergeber_innen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeiten erfassen.

Umgehung des Mindestlohns

Gerade so, als würden die zahlreichen Ausnahmen den Mindestlohn nicht schon genug aushöhlen, ist das Internet voll mit Tipps und Tricks von „Expert_innen“ und Rechtsanwält_innen (!) an Arbeitgeber_innen, wie man den Mindestlohn legal umgehen kann (5).

Auch für uns ist es von Vorteil, einen Blick auf diese Taktiken zu werfen, denn nicht alle von ihnen sind legal und nicht eine einzige von ihnen sollte unbeantwortet bleiben! Die folgende Liste bietet nur eine Auswahl:

– unbezahlte Überstunden bzw. Vor- und Nachbereitungstätigkeiten (die natürlich eigentlich bezahlt werden müssen);

– (Schein-)Werkverträge oder (Schein-)Selbstständigkeit (hierbei ist es wichtig zu wissen, dass eine Umwandlung eines vorherigen festen Arbeitsverhältnisses in eine Selbstständigkeit oder einen Werkvertrag nicht erlaubt ist);

– Beschäftigung von Praktikant_innen (auch hier ist eine Umwandlung nicht erlaubt);

– vermehrte Bereitschaftsdienste;

– Senkung der Arbeitszeit, die natürlich in den allermeisten Fällen mit einer Verdichtung der Arbeitsleistung verbunden ist (hier bedarf es der ausdrücklichen Zustimmung der Arbeitnehmer_in);

– Anrechnung der Trinkgeldes (dies ist nicht zulässig, da es sich beim Trinkgeld um eine Schenkung(!) des Gastes an den/die Arbeitnehmer_in handelt);

– Verzichtserklärung des/der Arbeitnehmer_in – egal ob unterschrieben oder nicht, diese Verzichtserklärung ist ungültig! Der Mindestlohn ist unabdingbar und der/die Arbeitgeber_in hat die Differenz ebenso wie die sozialversicherungspflichtigen Abgaben nachzuzahlen!

Generell gilt, dass der/die Arbeitnehmer_in die Differenz zwischen gezahltem Lohn und Mindestlohn einklagen kann. Zusätzlich dazu und den Nachzahlungen der sozialversicherungspflichtigen Abgaben drohen bei Verstößen gegen den Mindestlohn Bußgelder von bis zu 500.000€.

Kritik am Mindestlohn

Wir halten es für äußerst wichtig, keine (versuchte) Unterwanderung des Mindestlohnes unbeantwortet zu lassen und legen jedem und jeder von euch ans Herz, für eure Rechte und euren Lohn einzustehen. Nichtsdestotrotz sehen wir den Mindestlohn weder als Allheilmittel, noch als überhaupt ein ausreichendes Mittel, um signifikante Verbesserungen zu erreichen.

Immer wieder wird die Kritik am Mindestlohngesetz laut, dass viele Punkte schon im Gesetzestext so undeutlich formuliert sind, dass sie einer Unterwanderung Tür und Tor öffnen. Hinzu kommen voraussichtlich mangelhafte Kontrollen seiner Umsetzung. Weiterhin ist es ohne Weiteres vorstellbar, dass aufgrund der generellen Abhängigkeitsverhältnisse der Arbeitnehmer_innen von den Arbeitgeber_innen, die häufig durch die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes und mangelnder Alternativen noch verstärkt werden, Verstöße gegen das MiLoG nicht kommuniziert und der zustehende (Mindest-)Lohn nicht eingefordert wird.

Auch an der prinzipiellen Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen wird das Mindestlohngesetz wenig ändern – weder für diejenigen, die ihn tatsächlich bekommen, noch überhaupt für die zahlreichen gesetzlichen Ausnahmen oder diejenigen, die um ihn geprellt werden, obwohl er ihnen zusteht.

Wir teilen die Auffassung der Genoss_innen der IWW und der Freien ArbeiterInnen-Union, dass der Mindestlohn weder eine ausreichende (geschweige denn zufriedenstellende) Grundlage des Lebensunterhaltes darstellt, noch einen Ausweg aus prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen bietet. Vor allem bedeutet er kein Ende der Ausbeutung! Und die zahlreichen Tricks, um ihn zu umgehen, zeigen, dass wir auch mit erlassenem Mindestlohngesetz für jede einzelne Verbesserung werden kämpfen müssen!

ASJ Leipzig

 

Wenn ihr weitere Fragen zum Mindestlohn an eurem Arbeitsplatz habt, ihr Umgehungstaktiken oder andere Missstände festgestellt habt und/oder für eure Rechte einstehen wollt, schreibt uns an:

leipzig@minijob.cc

Besucht uns im Internet: http://minijob.cc/

oder zu unserer Beratungs­stunde:

jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat

19 Uhr, Libelle,

Kolonnadenstr. 19

 

(1) www.welt.de/politik/deutschland/article126480260/Bundesregierung-setzt-den-Mindestlohn-um.html

(2) www.tagesspiegel.de/politik/kompromiss-beim-mindestlohn-nahles-vier-millionen-werden-profitieren/9704414.html

(3) vgl. www.mindestlohn.de/hintergrund/argumente/

(4) www.wobblies.de/2014/12/27/850-euro-mindestlohn-hartz-iv-ist-gewiss/#more-2755

(5) www.etl-rechtsanwaelte.de/stichworte/arbeitsrecht/strategien-zur-umgehung-des-mindestlohngesetzes

www.owlaw.de/internationales-handelsrecht/3201-mindestlohn-umgehen-strategien-die-ab-2015-funktionieren/

Es darf gewählt werden

Wahlkampfzeit ist Sloganzeit. Irgendeine Botschaft braucht es eben, damit die Gesichter der Kandidat_innen nicht so nackig in der Gegend rumhängen… Nur die CDU kann auf Inhalte verzichten – die setzt einfach auf die normative Macht des Faktischen und schreibt „Unser Ministerpräsident“ auf das Plakat, wo dann tatsächlich der Ministerpräsident zu sehen ist. CDU-Wähler_innen und andere autoritäre Charaktere mögen das vermutlich: „Ja, den Tillich kennen wir, der macht das schon so lange – den wählen wir wieder, oder?“

Ob die Linke da mithalten kann? Na gut, deren Spitzenkandidat Külow hat sich immerhin ein Jackett und ein frisches Hemd angezogen und zeigt sich „löwenstark für Leipzig“, indem er zähnefletschend ein Dingsbums zwischen seinen Händen biegt. Das passt dann prima zu den sonstigen Slogans der Partei („Industrietradition und Energiewende“, „Sächsisch und weltoffen“ etc. pp.), die ja auch eine ziemlich gelungene Synthese von Dings und Bums vorführen.

Die AfD versucht derweil, sich an die Schleußiger Öko-Muttis anzubiedern und plakatiert: „Kinder sind unser Kapital“. Den Versuch war es wert. Aber es lässt schon tief blicken, wenn da von allen irgendwie positiv besetzten Begriffen ausgerechnet der verkniffenste und unschönste („Kapital“) gewählt wird. Was soll uns das sagen? Vermutlich dieses: „Wir mögen keine Kinder, weil sie tendenziell unreinlich sind und beim Spielen immer Krach machen – immerhin können wir sie später mal ausbeuten!“

Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität kommt dagegen traditionell eher bekloppt rüber und textet was von einer „neuen Seidenstraße“ und anderes wirres Zeug: „Wir Deutschen können den Weltkrieg verhindern!“ Aber immerhin hat die Partei Erfahrung, was das Verhindern von Kriegen angeht: Seit etwa 40 Jahren warnt sie nun schon vor einem unmittelbar bevorstehenden Weltkrieg, und – tadaa! – bisher ist noch keiner eingetreten.

Die Piratenpartei regt dagegen mit tiefgründigen Sinnsprüchen zum Nachdenken an: „Von Bildungsversprechen wird keiner klug“. Äh, ja. Das sieht man ja z.B. an der FDP… Wobei diese zumindest im Fach Heimatkunde aufgepasst hat: „Sachsen ist nicht Berlin!“ Hier in der Provinz kann man vielleicht noch was reißen… Klugerweise versuchen die Liberalen dabei gar nicht erst, mit eigenen Inhalten zu überzeugen, sondern spielen lieber über Bande: „Für schwarz-gelb FDP wählen.“ Ob da wirklich 5% der Wählerschaft drauf reinfallen? Zweifel sind da zweifellos erlaubt. Wenn dieses Heft hier erschienen ist, werden wir mehr wissen.

justus

Was sonst noch so war…

Videoüberwachung für alle! Anfang Juni wurde in einem leerstehenden Haus in der Plagwitzer Gießerstraße eine Überwachungskamera gefunden – klar ist bislang, dass sie auf Initiative der Leipziger Staatsanwaltschaft dort aufgestellt wurde, über den Zweck der Maßnahme darf weiter spekuliert werden.

Am 21. Juni beteiligten sich etwa 150 Menschen an einer Demonstration auf dem Leipziger Augustusplatz unter dem Motto „Überwachung stoppen – Grundrechte stärken!“

Bei diversen Solidaritäts-Aktionen gingen diverse Sachen kaputt: Am 20. Juni zogen etwa 30 Leute durch Plagwitz, um für den in Wien inhaftierten Antifaschisten Josef zu demonstrieren. Dabei wurde u.a. eine Haltestelle beschädigt. Ebenfalls beschädigt – mit Farbbeuteln und Flaschen – wurde eine Woche später das Technische Rathaus, wo auch die Leipziger Ausländerbehörde sitzt.

Nach Connewitz sind nun andere Stadtteile dran: Seit dem 7. August gibt es auch in der Eisenbahnstraße einen neuen Polizeiposten. Geöffnet hat der jeweils von 10 bis 17 Uhr. Drei Beamte sollen als „Bürgerpolizisten zum Anfassen“ (LVZ-Polizeiticker vom 7.8.) dafür sorgen, dass Kinder und Senioren nun auch im Leipziger Osten wieder angstfrei auf der Straße herumtollen können.

Seit Mitte Juli war ein Haus in Anger-Crottendorf besetzt – am 13. August schlug die Staatsmacht zu: Die Polizei räumte und nahm vier Besetzer_innen vorläufig fest.

Noch was? Ach ja: „Hypezig“ ist jetzt out, stattdessen heißt es „Likezig“ oder „Lovezig“. Aber das habt ihr sicher schon gemerkt…

Freikörper unerwünscht? Burka für Männer!

Ein Nachtrag zum Reclaim the Fields/ Anti B87n – Camp; Juli 2014

Liebe LeserInnen,
wir, die Redaktion, haben das Gefühl, dass der folgende Text kontroverse Diksussionen auslösen kann. Er wurde uns zugeschickt und wir fanden die persönliche Perspektive auf geschlechtsspezifische Dresscodes interessant. Wie immer hoffen wir natürlich auf diskursfördernde LeserInnenbriefe.


Sehlis, ein kleines Dörfchen nordöstlich von Leipzig. Das Netzwerk „Reclaim the Fields“ und eine Bürgerinitiative gegen den geplanten Bau der Bundesstraße B 87n hatten zu einem einwöchigen Aktions- und Protestcamp eingeladen. Nachdem ich es leider erst am Freitag zum Camp geschafft hatte, verpasste ich wegen einer Orga-Aufgabe auch noch das Plenum. Beim Anstehen an der Essensschlange dann plötzlich doch die ersten warmen Sonnenstrahlen des Tages. `Hemd aus!` war mein Reflex, denn ich liebe warme Sonne auf der Haut. Es dauerte keine Minute, bis eine Bekannte auf mich zukam und mir sagte, das Camp sei ein `Kein-freier-Oberkörper-Bereich`. Ich war ziemlich geschockt und weigerte mich spontan, mein Hemd wieder anzuziehen. Als ich dann am Tisch saß, kam eine andere Frau, jetzt mit dem orangefarbenen Armband des Awareness-Teams, und forderte mich ebenfalls auf, meinen Oberkörper zu bekleiden. Ich solle Rücksicht nehmen. Einige Frauen würden sich beim Anblick nackter biologisch männlicher Oberkörper unwohl fühlen, da es sie an sexuelle Gewalt gegen Frauen erinnern würde. Und überhaupt: Frauen könnten ja auch nicht einfach ihren Oberkörper freimachen. Das Plenum hätte es nach langen Diskussionen so beschlossen und wenn ich mich nicht daran halten wollte, wäre das wohl nicht der richtige Platz für mich. Ich verteidigte mich ebenso empört wie erfolglos. Irgendwie macht es einen fassungslos, mit dem Rücksichtnahme-Argument in so einer ureigenen und elementaren Sphäre wie der der Kleidung angegriffen zu werden. Erinnerungen schossen hoch, an eine Zeit, in der ich mit buntem Iro und zerfetzten Klamotten herumlief und meine Mutter mich inständig bat, doch Rücksicht auf sie zu nehmen und sie mit meinem Aussehen nicht so zu verletzen. Damals die flehenden, nun die fordernden Augen. Textile Rücksichtnahme scheint mein Thema zu sein. Der Versuch einer theoretischen Auseinandersetzung …

Freiheit als Individuum und Rücksicht als Mitglied eines sozialen Gefüges sind seit jeher Spannungsfelder menschlichen Lebens. Meine Freiheit endet dort, wo ich andere Menschen schädige, belästige, behindere, whatever. Naturgemäß herrschen über die konkreten Sachverhalte oft unterschiedliche Auffassungen der Beteiligten. Im Idealfall kommt es via Aushandlung zu einer gütlichen Einigung, meist zu einem Kompromiss. Am Ende ist die Grenze meiner Freiheit sowie die Grenze meiner Rücksichtnahme in einem zeitlichen und situativen Kontext definiert. Wichtig dabei ist, dass ich mich mit der Rücksichtnahme auch identifizieren kann, sie mir nicht als Schikane oder Anmaßung vorkommt. Im Fall von Nacktheit zum Beispiel finde ich ein Ideal anstrebenswert, welches den nackten Körper grundsätzlich bejaht und die Einschränkung erklärungsbedürftig macht. Andersherum wäre es für mich eben nicht akzeptabel, weil ich es nicht verstehen würde, warum Menschen per se ein Problem mit ihrem nackten Körper haben sollten. (In diesem Zusammenhang sollte mensch sich auch mal an die jahrzehntelangen Kämpfe erinnern, beispielsweise öffentlich nackt baden zu dürfen.) Die „Lust am Nacktsein“ als „Gegenbewegung zu einem als „muffig“ empfundenen Bürgertum und einer beengten, städtischen Lebens- und Wohnsituation mit wenig Luft und Licht“ (1) ist mir persönlich sehr sympathisch.

Wie gestaltet sich nun das Verhältnis von Freiheit und Rücksichtnahme im konkreten Fall? Beim RTF-Camp sollte das Unwohl-Fühlen der betroffenen Frauen schwerer wiegen als mein Unwohl-Fühlen (und das aller anderer betroffener Menschen), bei hochsommerlichen Temperaturen meinen Oberkörper nicht frei machen zu dürfen. Welches Ideal liegt dieser Argumentation zugrunde? Es ist das der größtmöglichen Rücksichtnahme, zumal in einem so sensiblen Bereich, wie dem der sexuellen Gewalt gegen Frauen. Orientierung an der/dem Schwächsten, Sensibelsten, Schutzbedürftigsten. Als ad hoc-Problemlösung wird darüber hinaus das Ziel der Angezogenheit proklammiert. Kleidung bedeckt nackte Haut, Synonym für Körperlichkeit und Sexualität, eben auch für Missbrauch von Sexualität. Möglichst umfassende Kleidung ist also gut, viel nackte Haut ist schlecht. Bis einfach alle Frauen mit männlicher Nacktheit klar kommen, müssen wir da halt durch.

Aber warum dann eigentlich nur den nackten Oberkörper verhüllen? Alles Sichtbare am Mann erinnert doch sichtbar an Mann, oder? Es könnte doch genauso gut um die nackten, stark behaarten, Beine oder Arme gehen, die die Sommergarderobe ans Licht bringt? Oder um den Bart? Muss der ab, wenn frau sich unwohl fühlt? All das gehört explizit zu Männern und könnte damit an männliche Gewalt erinnern. Würde eine Frau Rücksichtnahme fordern, dann wäre es soweit. Dann wäre die Burka für Männer wohl irgendwann die einzig logische Konsequenz?! Und was wäre denn auch schon dabei? Mal die paar Tage? Das lässt sich doch aushalten. Immerhin begleitet dieser Sack viele Frauen weltweit ihr ganzes Leben! Und noch dazu in viel wärmeren Ländern! Also habt euch bloß nicht so! Und ihre Redebeiträge beim Workshop oder bei der Kundgebung sollten Männer auch lieber von Frauen vorlesen lassen. Schließlich könnte auch eine männliche Stimme …

Ja, sorry, ich bin polemisch geworden. Denn wo ist die Grenze? Wer wird die nächste Forderung stellen, die unser Leben tendentiell beengter, anstatt befreiter macht? Kann Rücksichtnahme Selbstverleugnung als Basis haben? Schon die Forderung nach einem bedeckten Oberkörper in einem Sommercamp auf dem Land überschreitet die Grenze der Rücksichtnahme. Als Mensch bewege ich mich normalerweise immer in einem Raum, in dem ich mich mit anderen Menschen und den natürlichen Bedingungen arrangieren muss. Soll das für Frauen etwa nicht mehr gelten? Ich bin weiterhin immer mit einer Welt konfrontiert, die nie vollkommen meinen Erwartungen entspricht, die oft sehr unangenehm und sogar verletzend sein kann. Es ist einer der klassischen Irrwege emanzipatorischer Bewegungen, den jeweils Versklavten und Entrechteten quasi das Himmelreich auf Erden zu versprechen, wenn, ja wenn, erst Feind X oder Phänomen Y besiegt ist. (2) Die Erwartung einer Welt, die mich nicht verletzt, an der ich mich nicht reiben und abarbeiten muss, ist naiv. Biologische Männer gehören nun mal zu dieser Welt. Ergo muss frau sich mit ihnen auseinandersetzen, und zwar auf Basis einer grundsätzlichen Akzeptanz, auf Basis von Freiheit und Ratio und nicht auf Basis von Anmaßungen und Verboten. Hätte im Camp nicht ein sensibler Raum sein können, auch am femininen Unwohl-Fühlen zu arbeiten?

Neben dem Rücksichtnahme-Argument kam immer wieder das `Glotzargument`. Männer würden ja glotzen, wenn Frauen ihren Oberkörper frei machen. Da würden die Männer im Camp auch keine Ausnahme sein. Wohlgemerkt: Es handelt sich um jene Menschen, mit denen frau wahrscheinlich gerade noch im Workshop gesprochen hat, mit denen frau oft in gemeinsamen Wohnprojekten zusammenlebt, gemeinsam politische Arbeit macht, gemeinsam die Vokü schmeißt … Allen, allen steht der Mund offen, sobald sie paar nackte Titten sehen! Menschen nicht mehr als komplexe Persönlichkeiten wahrzunehmen, sondern auf ihre sexuelle Sphäre zu reduzieren, ist, mit Verlaub, sexistisch. Warum `glotzen` diese Männer eigentlich nicht am FKK-Strand? Nicht mal der, per Augenschein und Ohrenklang identifizierte, ganz gewöhnliche Durchschnittsmann glotzt am Strand! Jedenfalls nach meinen Erfahrungen. Alle scheinen entspannt zu sein. Gerade linke feministische AktivistInnen, die bei jeder Gelegenheit die sozio-kulturelle Konstruktion von Geschlechterrollen betonen, sollten doch klar sehen, dass es sich beim `Verbot` für Frauen, mit freiem Oberkörper rumzulaufen, um einen geradezu idealtypischen Fall dieser kulturellen Vorgaben handelt. Zugegeben: Es würde sehr viel Mut erfordern, die erste Frau oder eine der ersten Frauen mit freiem Oberkörper zu sein. Allen und damit auch sich selbst die Freiheit zu verbieten, scheint einfacher zu sein. Frauen, die eigentlich den Mut hätten, das Tabu anzugreifen, werden so ebenfalls ausgebremst.

Abschließend soll hier noch ein technischer Aspekt erwähnt werden: Über passende und zweckmässige Kleidung haben sich Menschen schon früher ihre Gedanken gemacht. Sie erfanden für den weiblichen Oberkörper an warmen Tagen den Bikini. Was ist eigentlich damit? Dieses Stück Textil sollte doch genügen? Oder wird mensch dann sagen: „Bikinis könnten aber unter Umständen zu aufreizend wirken.“ Dann weiß ich auch nicht weiter. Dann lasst uns alle graue Burkas anziehen! Egal ob Mann, Frau oder wie immer sich Menschen definieren. Gleichentrechtigung eben.

A. Schmidt

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Freikörperkultur
(2) Vgl.: Camus, Albert: Der Mensch in der Revolte; Reinbeck bei Hamburg; 1969

Theaterwissenschaft bleibt!

„Kürzer geht’s nicht! – Bildung braucht Zukunft!“ – unter diesem Motto protestierten nahezu 10.000 Studierende gegen die Sparpolitik der Universität Leipzig. Sie forderten die Erhaltung aller universitären Angebote und ein Stopp der Stellenstreichungen.

Bis zu 172 Stellen sollen bis Ende 2020 von der Universität Leipzig gestrichen werden, etwa 1.000 sind es insgesamt im Freistaat Sachsen. Kurzfristig betroffen sind vor allem das Institut für Archäologie mit seiner 300-jährigen Tradition und das Institut für Theaterwissenschaften, dessen Studiengang nur zweimal in Ostdeutschland angeboten wird. Diese werden beide geschlossen. Aber nicht nur die Geisteswissenschaften sind von den vom Freistaat Sachsen auferlegten Sparzwängen betroffen. Das Institut für Pharmazie wird ebenso geschlossen, ferner muss das Institut für physikalische und theoretische Chemie je einen Professor und einen Mitarbeiter einbüßen. Weitere Schließungen sind auch in den nächsten Jahren zu erwarten. Studierende der Theaterwissenschaften besetzten drei Wochen später vom 14. bis zum 25. Juli das Rektorat, um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Weitere Verhandlungen und Gespräche mit der Rektorin Beate Schücking brachten jedoch keine neuen Ergebnisse hervor.

Hintergründe

Am 21. Januar diesen Jahres gab das Rektorat die geplante Schließung des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig bekannt. Der Grund dafür sind die Kürzungsauflagen des Sächsischen Mi­nisteriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK). 2010 verabschiedete der sächsische Landtag einen Kürzungsplan, laut dem bis 2020 über 1000 Stellen an sächsischen Hochschulen gestrichen werden sollen und beruft sich auf eine Statistik von 2009, die den Rückgang der Studierendenzahlen prognostiziert.
Das Gegenteil jedoch ist eingetreten, die Zahl an BewerberInnen für Studienplätze in Sachsen ist fast doppelt so hoch wie angenommen. Trotzdem wird der Kürzungsplan nicht angepasst und die Leipziger Theaterwissenschaft, „ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können“, wie Rektorin Beate Schücking betont, kurzerhand ganz abgeschafft. Und das, obwohl dieser Studiengang in den neuen deutschen Bundesländern ansonsten nicht angeboten wird. Abgesehen davon bietet Leipzig mit seiner vielfältigen Kulturlandschaft und der florierenden freien Theaterszene einen idealen Standpunkt für diese interdisziplinäre Wissenschaft. „Ich kann mir nicht vorstellen, was aus dieser Stadt ohne die Theaterwissenschaft werden soll“, so eine studentische Vertreterin, die sich außerdem in der Leipziger Freien Theater- und Kulturszene engagiert. „Ausgebildete und sich noch studierende Theaterwissenschaftler und Theaterwissenschaftlerinnen finden sich sowohl in Führungspositionen großer Kulturinstitutionen wie dem Schauspiel Leipzig, als auch unter den Künstlern und Künstlerinnen der freischaffenden Szene zu Hauf. Der Studiengang prägt Leipzig ungemein und ist eigentlich kaum wegzudenken. Dazu kommt, dass 20% der gesamten Theaterwissenschaft Deutschlands einfach wegfällt. Das ist beängstigend“, zeigt die Studentin auf.
Doch was passiert, wenn Bildung und Kultur als sich nicht lohnender Luxus abgetan wird?
Die Prorektoren um Frau Schücking lenkten bereits ein und deuteten im Gegensatz zur Aussage der Rektorin an, es gäbe keine plausiblen inhaltlichen Gründe, warum man das Institut schließe – unglücklicherweise seien hier viele Stellen mit Dozierenden besetzt, die kurz vor der Pensionierung stünden. Das SMWK fordert dieses Jahr die Streichung von 24 Stellen. Welche das sind, muss das Rektorat selbst entscheiden – das wird dann „Hochschulfreiheit“ genannt. Also werden die Stellen ausgewählt, die sowieso gerade am Auslaufen sind.
Nach aktuellsten Entwicklungen stehen dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst 85 Mio. Euro zusätzlich zur Verfügung – denn dank der BAföG-Reform 2014 übernimmt nun der Bund alleinig die Kosten der Studiumsförderung, die vorher teilweise vom Land getragen werden mussten. „Warum werden die frei gewordenen Mittel aus der BAföG-Reform nicht, wie in anderen Bundesländern, direkt in die Finanzierung der Hochschullehre gesteckt? Allein ein Teil des Geldes würde ausreichen, die 1042 Stellen im Hochschulbereich langfristig zu erhalten. Stattdessen soll das Geld z.B. in Neubauten und Großgeräte investiert werden. Das ist größtes Ausmaß von Geringschätzung (geistes-)wissenschaftlicher Arbeit, von Seiten der Landesregierung” so Paul Schwabe, studentischer Vertreter. Aus studentischer Sicht scheint sich die Landesregierung auch ansonsten gerade ins Aus zu katapultieren. Fachschaftsratmitlgied Torben Schleiner merkt an: „Der Freistaat Sachsen schneidet sich ins eigene Fleisch: In einem Land mit Bevölkerungsrückgang an den Unis Stellen zu kürzen und damit die Schließung ganzer Institute in Kauf zu nehmen, ist völlig kontraproduktiv: Institutionen zu beschneiden, die lernwillige junge Menschen im Land halten oder ins Land holen und damit eine Zukunft für Sachsen bauen, konterkariert alle Bestrebungen, Sachsen zukunftsfähig zu gestalten. Wenn dabei sogar für Sachsen einzigartige Institute wie die für Theaterwissenschaft und Archäologie geschlossen werden, wird die interdisziplinäre Erforschung und Auseinandersetzung mit kulturellen Praxen in Geschichte und Gegenwart schrittweise zurückgedrängt und wir laufen Gefahr, nur mehr marktwirtschaftlich und gewinnorientiert zu denken. Und in so einem Land möchte ich nicht leben.“
Im Kontext mit dem Wirtschaftsdiktat über Bildung und Kultur, das aktuell vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt um sich greift, bleibt jedoch weiterhin fraglich, welche Motivation tatsächlich hinter der Schließung des Institutes steht.
„Wir befinden uns in einer Phase, in der die Gefahr hoch ist, dass sich die Gesellschaft irreparabel verändert“, erläutert Frau Baumbach, Professorin für Theaterwissenschaft, die Dimensionen: „Dies ist kein Kampf auf universitärer Ebene, dies ist ein politischer Kampf.“

Talkin’ bout a revolution?

Theaterprojekt hinterfragt den Mythos vom “Arabischen Frühling”

 

Die Initiative Ost-Passage Theater, die momentan versucht, ein Nachbarschaftstheater im Leipziger Osten aufzubauen, hat ein Pilotprojekt gestartet, das die zukünftige Bühne inhaltlich profilieren soll. Gemeinsam mit Flüchtlingen und Migrant/-innen aus den Aufstandsgebieten Nordafrikas und des Nahen Ostens will die Gruppe auf Spurensuche gehen und dabei hinter die Fassaden der deutschen Berichterstattung schauen. Wie ist die aktuelle Lage der Menschen vor Ort? Was hat sich für sie verändert? Und wie geht mensch mit der Situation um, hier in Deutschland im Exil zu sein, während Familienangehörige und Freunde in der Heimat bleiben mussten?

Über den Sommer soll das gesammelte Material zu einem Theaterstück verdichtet werden und Ende Oktober Premiere feiern. Flankierend bereitet die Gruppe eine kleine Gesprächsreihe vor, die dem interessierten Publikum außerdem die Möglichkeit geben soll, selbst Fragen an die Flüchtlinge und Migrant/-innen zu richten.

Momentan setzt sich die Gruppe vor allem aus tunesischen und syrischen Flüchtlingen aus den Asylbewerberheimen Torgauer Straße und Riebeckstraße zusammen. Gesucht werden weiterhin Menschen vor allem aus Ägypten, Libyen oder dem Libanon, die Lust und Zeit haben, ihre Geschichte zu erzählen und gemeinsam mit den anderen ein Theaterstück zu dem Thema zu entwickeln. Auch wer keinen entsprechenden Migrationshintergrund vorweisen kann, aber Interesse an dem Thema hat, ist herzlich eingeladen, das Projekt zu unterstützen. Denn die Gruppe will im Rahmen eines Patenmodells zusätzlich Tandems bilden, um den Flüchtlingen und Migrant/-innen das Überwinden von Sprach- und Kulturbarrieren zu erleichtern.

 

Mehr Informationen unter: http://ost-passage-theater.de/projekte/pilot-2014

Anmeldung und Kontakt: info [ät] ost-passage-theater.de