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Schnüffeln – bitte nur persönlich

Demokratie heißt mal ganz wörtlich genommen Volksherrschaft. Die Bundesrepublik hat die Staatsform einer parlamentarischen Demokratie. Das Volk übt seine Macht dadurch aus, daß es Abgeordnete in das Parlament wählt, das Gesetze im Sinne des regierenden Volkes beschließt. Durch den Staat einschließlich des ihm gegebenen Machtmonopols werden die Gesetze zum Wohle des Volkes zur Wirkung gebracht. Soviel zur Schulweisheit, nachzulesen in einschlägigen Schulbüchern.

Bedenken wir die jüngsten Ergebnisse deutscher Gesetzgebung wie die Änderungen zum Sozialgesetz, bekannt geworden als Harz IV, die Änderungen im Sozial­versicherungsrecht, bekannt geworden als Gesundheitsreform, diverse Steuerreformen, die Einführung der Autobahnmaut, die uns als Kostenfaktor der Transportunternehmen bald als Umlage im Supermarkt wiederbegegnen wird und die Gesetze zur Terrorismusbekämpung mit umfassenden Abhörbefugnissen des Staates, kommt man zu einer ganz anderen These.

Aus der Erinnerung erwacht Altbekanntes zu neuem Leben, im Konsumrausch und bei der Schnäppchenjagd fast vergessen: Die Besitzenden bilden die herrschende Klasse. Der Staat ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse. Und die altbekannte Frage ist wieder bedenkenswert: Wem nützt es?

Die Gesetze der jüngeren Vergangenheit ergänzen einander. Der Staat ist an Erkenntnissen über seine Bürger interessiert, die mit der offiziellen Begründung wenig zu tun haben. Als Mittel im Kampf gegen die organisierte Kriminalität hat sich der Staat Zugriffsrechte auf die Internet-anbieter und den privaten E-Mailverkahr geschaffen. Das war vor dem Terroranschlag auf das International Trade Center in New York. Deutschland, so hat sich herausgestellt, war das Planungsland des Anschlags. Sollte hier nicht die Frage erlaubt sein, ob das Überwachungswerkzeug im Kampf gegen den Terrorismus nichts taugt, weil sich Terroristen eben nicht unverschlüsselt per E-Mail über ihre Absichten unterhalten oder wird das Werkzeug zur Überwachung der eigenen Bürger benutzt. Schließlich könnte es doch beispielsweise sein, daß ein ALG 2- Empfänger seinem Enkel per E-Mail mitteilt, daß er dessen fällige KFZ- Steuer und Versicherung von etwa 1000,00 Euro aus einer persönlichen Rücklage auslegen kann. Dann können die zuständigen Organe zugreifen und nicht angegebene Ver-mögenswerte bei der Streichung des ALG 2 geltend machen.

Im Reigen der Gesetze erscheint ein Werk absonderlich und unmotiviert. Wie ein lustiger Hanswurst in einem Trauerzug präsentiert sich die deutsche Rechtschreibreform. Selbst auf die Gefahr der eigenen Lächerlichkeit hin wird von der Politik ein Gesetz verabschiedet, das keine Rechtsfolgen kennt. Oder können wir uns ein Ordnungsstafverfahren wegen Orto-grafiefehlern vorstellen? Was soll das? Scheinbar unmotiviert soll mit Ge-stzeskraft festgeschrieben werden, was lebt, sich ständig verändert und dies auch in Zukunft tun wird.

Aus unserer Sicht gibt es einen guten Grund für die Normierung der Sprache über den bisherigen Stand hinaus, der wie der letzte Stein in ein Puzzle passt: Das ist die bessere Erfassbarkeit durch Datenerfassungssysteme.

Als in der Mitte der 80er ein staatlicher Leiter in einem DDR-Betrieb eine unbequeme Mitarbeiterin loswerden wollte, marschierte er als ehemaliger MfS-Mitarbeiter zur Sparkasse und verlangte dort mit Vorlage seines Dienstausweises Konteneinsicht. Aus der Kontenbewegung mit durchaus einigen kurzfristigen Überziehungen konstruierte er einen Kündigungsgrund, da die Mitarbeiterin dienstlich mit der Portokasse zu tun hatte und für den Umgang mit betrieblichen Geldmitteln nicht mehr geeignet war. Ja, das war noch echte Handarbeit, gepaart mit Ideenreichtum und Initiative. Heute kann man den gleichen Vorgang in einem Arbeitsgang erledigen, ohne die Finger von der PC-Tastatur zu nehmen. Auch das Abhören von Telefonen war beim MfS echte Handarbeit. Die Genossen benutzten speziell konstruierte Kassettenrecorder, um einigermaßen effektiv die Zielpersonen und deren Kontakte zu erfassen. Und Alles mußte dann abgehört und vor Allem bewertet werden. Dabei war das Telefonnetz in der DDR eher unterentwickelt, ein Telefonanschluß war ein Glücksfall. Es hatte sich eingebürgert, am Ende eines Gespräches alle die, die sonst noch mithören, ganz nett zu grüßen. Es liegt uns fern, auch nur den Anschein von Stasi-Nostalgie zu erwecken. Es geht um den wesentlichen Unterschied von zwei Überwachungssystemen in technischer Hinsicht, die neue Dimension der Datenmengen. Das DDR-Telefonnetz war überschau- und abhörbar. Das Internet sprengt alle Möglichkeiten der manuellen Überwachung. Immer größere Datenmengen werden mit immer neuen Techniken übertragen. Die berühmte Nadel in Heuhaufen ist dagegen der Wink mit dem Zaunpfahl. Es ist zwingend nötig, die Rechner bei der Bewertung des zugänglichen Materials einzusetzen und eine maschinelle Vorauswahl zu organisieren. Das können schon die vom Internetsurfen allgemein bekannten Suchmaschinen. Suchmaschinen arbeiten mit Schlüsselwörtern und werden Texte erfassen, die bestimmte Schlüsselwörter zum Inhalt haben. Wir können aber auch davon ausgehen, daß weitere und bessere Anwendungen die Texte auf bestimmte zusammenhängende Fragmente hin untersuchen. Hier passt nun der oben erwähnte Puzzlestein: die normierte Sprache. Eine standardisierte Sprache erlaubt Analyseprogrammen einen vereinfachten Zugriff auf den Inhalt der Daten.

Die Sprache ist ein Zuordnungssystem von Symbolen, die reale Gegenstände bezeichnen. Durch gesellschaftliche Übereinkunft entstehen kulturelle Unterschiede, es existieren Nationalsprachen und Dialekte. In einer der Sprachtheorien unerscheidet man darüberhinaus harte und weiche Sprachen. Eine harte Sprache bedeutet, daß es für jeden Gegenstand genau ein Symbol, also ein Wort gibt. Es besteht zwischen dem Orginal und der Abbildung Eineindeutigkeit. Bei weichen Sprachen gibt es in der Zuordnung Mehrdeutigkeit. Der Vorteil einer harten Sprache, die genaue Abblidung der Realität zu ermöglichen, stößt bald an eine Grenze. Sobald ein neuer Sachverhalt beschrieben werden soll, ist das mit dem vorhandenen Zeichenvorrat nicht möglich. Der Ausweg aus diesem Dilema ist eine gewisse Mehrdeutigkeit, die die Sprache weich werden lässt. Nur so ist es möglich, mit der bestehenden Sprache neues Begriffe zu schaffen. Umgangssprache wird daher immer ein Kom­promiß zwischen hart und weich sein müssen. Mehrdeutigkeiten in der Wortzuordnung werden durch das Verständnis des Zusammen­hanges mög­lich. Aus dem Kontext können wir die verschiedenen Bedeutungen einzelner Wörter einordnen. Begriffe wie Diäten, Vertreter, Leiter, usw. können nur aus dem Sinnzusammenhang des übrigen Textes verstanden werden. Durch diese Eigenschaften sind harte Sprachen besser geeignet, maschinell analysiert zu werden. Das Verständnis einer weichen Sprache setzt das Verständnis des Gesamtzusammenhanges voraus. Das geschieht durch Kombination der möglichen Zusammenhänge und der Aussonderung der sinnlosen Kombinationen. Weiche Sprachen sind daher wenig maschinenverständlich. Beispiele für harte Sprachen sind Programmiersprachen wie Basic, C usw, bei denen jeder Anweisung genau ein Befehlsablauf zugeordnet ist und auch kleinste Fehler nicht durch einen Zusammenhang richtiggestellt werden können. Ein Beispiel für weiche Sprache sind Gedichte, bei denen ein Text verschiedene Interpretationen zulässt.

Betrachten wir im diesem Zusammenhang die Neuregelungen der Rechtschreibreform, wird die Veränderung zu mehr Eindeutigkeit, also Härte deutlich. Verben werden ihren Stammsubstantiven angeglichen, Sonder-regelungen werden aufgelöst, Trennregeln lassen den getrennten Teile im Einzelnen eine Bedeutung zuordnen und das im Englischen unbekannte ß entfällt weitgehend. Die Rechtschreibung wird zwar einfacher, aber vielleicht ist es nicht nur paranoid anzunehmen, daß die Reform die Sprache genau wie den künftigen Personalausweis maschinenlesbar machen soll. Das könnte die Intensität der Bemühungen der Politik bei der Durchführung der Recht-schreibreforn erklären.

Was machma nu ? Dor sächsche Dio-legd is so scheen weech, dassa nich moschinläsbor is. Ohne dän Gondeksd gehd nix. Schedor Gombschudor hängt sich uff, wenna dormid zuräschdegommn soll. Nu is wieda Handorbeet gefrocht, die Schungs vom schielenden Otto misssn sisch berseenlisch bemiehn, wennse was midgriechn wolln. Gann awor sinn, dass ma gleech rausgewunken wärd aussa Dadnaudoboohn. Dormid missma rechnen. Dis schafft awor och Arweeds­blädse inne Ämda, brauchma ja ooch. Mia wolln geene Gulduarevoluzchon anzed­deln, die is eenmal im Gang. Nu, da gömma och so schreim. Un midde Derro­risdn­abwehr machma och nix gabudd, die wern sich scho annorsch ausdauschn. Was machma midn Gombjuda im Indanedd ? Füa die wischdschen Dadn is ne exderne Bladde iba uhesbeh sähr nidslisch, die gamma abziehn, wemma ins Neds gehd. Dis is och gud, wemma den Gomschudor beschloochnohmt kriegt un die zu­schdändschn Orschone neiguggn wolln. Wärklisch wischde Sachn schiggsde mid Disgedde. Ausadem solltema imma ma wieda die Pladde midn Andi­spy­pro­grammn budsn, is scho manche Iba­raschung bei rausgegommn. Neie un­begande Mädjn stckma erschdma nich inn Gombjuda mid den inderessandn Dadn steggn, sondan erstma guggn, ob sich nachm Insdallian Alles wieda ändfärn lässd. Und wenn die freie Gabazitäd der Bladde imma gleena wärd, ohne dass wass druffgommd, is Alarm. Nu, sächsch gehgd doch! Du gannstd och Blattdütsch oder bayrisch jo mei schreibm oder balinan oder schwäbisch, is ganz eschol. Das is freilich geene Godierung, aber äbn nich maschin­läsbor. Un es sachd Allen, die wieda mal miläsn wolln und ooch werdn: Mia wolln das nich, das nützt nich dem Schutz der Börcha, sondan be­schneided därn Rächde imma wei­da. Wea midläsn will, soll sich ber­sönlisch bemühn. Mir ham damals beim Delefonian das Emefes gegrüßd, mir grüßn ooch eich. Weat eich, schreibd sächsch.

Papa Blue Beer

Überwachung

Wie im Krimi, so künftig auch in Hessen?

In Zukunft darf die hessische Polizei Autokennzeichen elektronisch erfassen, (angeblich) kurzfristig speichern und mit Daten in Fahndungscomputern abgleichen. Ein ent­sprechendes Gesetz wurde Ende des Jah­res 2004 im Landtag verabschiedet. Mit diesem Generalverdacht solle verhindert wer­den, dass mit gestohlenen Fahrzeugen wei­tere Straftaten begangen werden.

Da die Exekutive aber selbst weiß, dass man Kenn­zeichen austauschen kann, wurden auch die Überwachungsbefugnisse aus­ge­weitet. Telekommunikationsfirmen müs­sen der Polizei nun ggf. Daten von Telefonteilnehmern aus­händigen. Ohne richterlichen Beschluss darf auch mitgehört und mitge­lesen werden, wenn es um die „Abwehr einer akuten Gefahr“ geht. Und dank der Verwendung von sog. IMSI-Catchern kann der Abgehörte auf 50 Meter genau geortet werden.

Im Klartext: Künftig ist es allein die Polizei, die entscheidet ob man auf Fahrt und Satz überwacht wird. Um dem Ganzen noch die Krone auszusetzen, dürfen hes­sische Beamte in Zukunft auch strafun­mün­digen Kindern genetisches Material entnehmen, ausreichend ist auch hier der bloße Verdacht! Diesen kleinen Mördern und Handtaschenräubern scheint man allein mit Fotos und Fingerabdrücken nicht mehr beizukommen.

Da hat hat die CDU-geführte Landesregierung die Zeichen der Zeit erkannt: ein flächen­deckendes Informa­tions­netz, das quasi prophylaktisch die Identifizierung jedes „Bürgers“ garantiert. Arbeitslos kann heute jeder werden, und dass sie sich „sittlich wohlverhalten“ … In dieser Tendenz, hält auch die Bundesregierung mit der tech­nischen Entwicklung Schritt: ab Herbst diesen Jahres werden die Reisepässe mit biometrischen Daten (Fingerab­druck, Ge­sichts­form) ausgegeben – „Krieg gegen den Terror“. Ab 2007 sollen dann auch die Personalausweise aufgerüstet werden, und zwar EU-weit. Die Kosten dafür bringen die Kontrollierten selbst auf – seien es die 130, statt bisher 26 Euro (für einen Pass), oder auch durch Steuern.

hannah

Erfolg ohne Nachhaltigkeit?

Kameras in Foyers, Fluren, in den Außen­be­reich­en der Universität, den kommen­den Fahrradtiefgaragen am Augustusplatz, Büros oder Mensen. Keine Kameras in Hörsälen und Seminarräumen. Vorerst, aber die Kabelschächte dafür werden vorbereitet. Das ist der Stand im Sommer 2006. So richtig verstehen kann ich bei dem Zwischenstand nicht, was es von der AntiKa-AG des StuRa zu feiern gab. Sicher, die Podiumsdiskussion im Frühjahr schuf eine breite Medienöffentlichkeit und das Rechtsgutachten von Prof. Degenhart versaute der Universitätsleitung, ins­besondere dem Universitätskanzler die ungehemmte Überwachung überall. Ein Zwischenerfolg, doch mehr auch nicht. Es wird neue Versuche geben, einen Rechts­weg zu finden – das wissen alle, die den Ehrgeiz des Kanzlers kennen. Und ebenso wenig wird der amtliche Datenschutz­beauftragte der Uni dies aufhalten können. Der Jubel der AntiKa vermittelt ein schein­bares Sicher­heits­gefühl und ein „Wenn wir wollen, können wir es stop­pen“­-Denken, das so nicht stimmt. Schon jetzt spielten der Zufall und die Unter­stützung verschiedener Stellen in den Erfolg mit hinein. Bereits in einem Semester kann dieser Anfangserfolg das Papier nicht mehr wert sein, wenn erst eine neue Rahmenordnung zur Video­überwachung geschaffen ist. Die Kabel und Bohrlöcher für Hörsaalkameras bleiben ja weiterhin vorhanden und projektiert. Und auf dem Weg hinein bin ich schon jetzt mehrfach gefilmt worden.

RiRo

Arbeitsgruppe AntiKa

Im Interview

FA!: Ihr habt im letzten Semester eine Kampagne gegen die Überwachungs­pläne der Universität im Rahmen des Neubaus gestartet. Mit welchen For­derungen seid ihr angetreten?

VdAK: Unsere weitreichendste Forderung ist, die Uni zu einem überwachungsfreien Raum zu machen. Diesem Ziel wollten wir im Rahmen unserer Mittel möglichst nahe kommen.

FA! Wie nah seid ihr denn diesem Ziel gekommen?

VdAK: Naja, der größte Skandal war für uns, dass auch die Hörsäle überwacht werden sollten, daher haben wir das als Auf­­­hänger für die Kampagne „SMASH SURVEIL­LANCE“ genutzt. Und in diesem Punkt haben wir tatsächlich Erfolg gehabt.

FA!: Die Pläne der Unileitung waren ja nun schon ausgemachte Sache. Wie habt ihr es geschafft, sie davon abzubringen?

VdAK: Erst einmal haben wir Öffentlichkeits­arbeit in Form von Infoständen, einer Podiumsdiskussion, Unterschrif­ten sammeln und Pressemit­­teilung­en gemacht. So wichtig das auch war, hat den Ausschlag für die Änderung der Pläne ein Rechtsgutachten von Prof. Degenhardt gegeben (der ironischerweise auch maß­geb­­lich an der Klage gegen die Studien­gebührenfreiheit beteiligt war), das ohne die studentische Initiative wohl aber nicht zu Stande gekommen wäre. Fakt ist, dass Hörsaalkameras dem Grundrecht von Freiheit der Lehre und Forschung derart widersprechen, dass sie juristisch im Prinzip nicht durchsetzbar sind.

FA!: Wie hat die Unileitung auf eure Aktionen reagiert?

VdAK: Zunächst hat sich die Uni­leitung in Person von Kanz­ler Frank Nolden auf unserer Podiumsveranstaltung am 24.04.06 in der Mo­ritz­bastei für die Hörsaalkameras ausgespro­chen, mit den großartigen Argumenten, man müsse Diebstähle verhindern und kontrollieren können, ob das Licht aus sei. Das kam sowohl bei den Anwesenden als auch in der Presse eher schlecht an. Auch der Datenschutz­beauftragte Thomas Braatz, der uns anfänglich nicht einmal In­formationen zu den Plänen geben wollte, hat uns schließ­lich ernst genommen und mit uns zusammen gearbeitet. Mitte des Semesters hat das Studentenwerk die Webcam-Pläne für die Mensen auf unseren Druck hin zurückgenommen. Schließlich erhielt die Unileitung das besagte Rechtsgutachten, hatte an­scheinend wenig Lust auf weitere Aus­einander­setzungen und hat in der Frage der Hörsaalkameras eingelenkt. Das Rektorat sprach dann von einem „Kommunikationsproblem“, was so nicht stimmt, da die Installationspläne zu Beginn der Kampagne „SMASH SURVEIL­LANCE“ bereits beschlossene Sache waren.

FA!: Wie haben die Studierenden darauf reagiert, wieviel Unterstützung habt ihr da erfahren?

VdAK: Es gab erst mal viel Sympathie und Interesse, wir haben einige hundert Unterschriften gesammelt. Konkrete Unterstützung gab es dagegen nur von einer handvoll Studierender. Für eine Kampagne dieser Art reichen ein paar motivierte Leute aber auch aus, man muss eben taktisch arbeiten. Insgesamt hat sich gezeigt, dass erfolg­reiche Basisorganisation nötig und möglich ist, um Vorhaben, die unseren Interessen entgegenstehen, zu verhindern. Nebenbei hat es auch allen sehr viel Spaß gemacht, inklusive der großartigen „Victory Party“ auf dem Baustellencampus.

FA!: Wie soll es denn im nächsten Semester weitergehen. Habt ihr schon Ideen?

VdAK: Solange es Kameras gibt,braucht es eine AntiKa! Wer also Interesse hat mit­zu­machen: www.uni-leipzig.de/-antika

wanst

Theater gegen Überwachung

Mit einer Aktion am Connewitzer Kreuz hat die Leipziger Kamera-Initiative gegen Überwachung am 21. 9.06 den zweiten Teil ihrer Kampagne „10 Jahre sind genug!“ eingeläutet. Inspiration dazu kam von den New York City Surveillance Camera Players, einer amerikanischen Aktivistengruppe, die kleine Theaterstücke vor Überwachungskameras aufführt (www.notbored.org). Vor der Polizeikamera am Connewitzer Kreuz kamen zwei Stücke zur Aufführung: „Alles klar, Herr Kommissar“ als Adaption eines Stücks der New Yorker, bei dem die Akteure mit beschrifteten Pappschildern offensiv auf die eigene Harmlosigkeit aufmerksam machen („Ich gehe nur spazieren“ usw.). Bei „Was guckst du?“, einer Eigenkreation der Leipziger Kamera, wurden Fragen an die überwachenden Beamten gerichtet. Die Polizei hielt sich zurück, zwar fuhren zwei- oder dreimal Streifenwagen vorbei, ein weiteres Eingreifen hielt man offensichtlich für unnötig. Die Haltung der Passanten reichten von begeisterter Zustimmung über stilles Amüsement bis hin zu blanker Verständnislosigkeit, die positiven Reaktionen überwogen aber deutlich. So wurde nach rund anderthalb Stunden die Aktion zufrieden beendet – weitere werden in nächster Zeit folgen. Infos unter www.leipzigerkamera.twoday.net

justus

Hörsaal künftig überwacht?

Im Zuge des Umbaus plant die Universität Leipzig nun auch, die Hörsäle mit Videokameras zu überwachen. Bisher gab es Kameras im Außenbereich auf dem Innenstadtcampus, in den Cafeterien, Mensen, dem Rektorat und im Rechenzentrum. Diese weitere Ausweitung der Technik auf den Raum der Wissensvermittlung könnte sogar Tonaufnahmen ermöglichen. Genauere Informationen hält die Universität jedoch trotz mehrerer Anfragen zurück.

Laut Thomas Braatz, dem Datenschutzbeauftragten der Universität, diene die Videoüberwachung der besseren Kommunika­tion zwischen Lehrenden und Hausmeister, wenn etwa Probleme mit der Technik auftreten. Außerdem könne sich das Personal einen Rundgang durch das Gebäude sparen, um zu schauen, ob das Licht aus ist. In dem Papier „Ordnung zur Errichtung und zum Betrieb von Einrichtungen zur Videoüberwachung“ heißt es, dass Videoüberwachung u.a. eingesetzt werden darf, um „Dienstabläufe effizienter verfolgen zu können.“

Dieser vermeintliche Nutzen steht in keinem Verhältnis zu diesen Maßnahmen. Zum einen Kosten die Kameras viel Geld, welches der Uni dann an anderer Stelle fehlt. Was aber schwerer wiegt ist der Angriff auf elementare Grundrechte, der damit einhergeht.

Ein solcher Umgang mit den persönlichen Freiheitsrechten der Studierenden und Lehrenden ist empörend! Hier wird massiv in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Auch die Freiheit von Forschung und Lehre wird damit massiv beeinträchtigt. Anwesenheit in und Beteiligung an Veranstaltungen kann damit überprüft werden. Die Daten werden einen Monat lang gespeichert. Für Studierende und Lehrende hieße das permanente Überwachung! Und allein das Wissen, dass man möglicherweise überwacht werden könnte, reicht ja bekanntlich oft aus, sich angepasst und konform zu verhalten.

Doch über diesen grundlegenden Eingriff hinaus, bietet die Verordnung zur Videoüberwachung auch noch Lücken für gefährlichen Missbrauch. Denn sie regelt nicht einmal, wer die Aufnahmen zum Zwecke der effizienteren Gestaltung der Dienstabläufe alles anschauen darf. Geschieht ein Unglücksfall dürfen nur fünf Personen die Aufnahmen auswerten. Für den „Normalfall“ gibt es eine solche Beschränkung nicht.

Auch die technische Nachrüstung der Kameras – beispielsweise mit einer Software zur Gesichtserkennung – ist nur dann verboten, wenn der Zweck der Nachrüstung die Leistungsevaluation der Lehrenden ist. Für Studierende gibt es eine solche Regelung nicht. Es ist also davon auszugehen, dass bald auch Anwesenheitskontrollen oder Ordnungsmaßnahmen durch die Kameras „effizienter“ durchgeführt werden können. Der „gläserne Student“ ist keine Zukunftsmusik!

Dagegen machen die Studierenden nun mobil. Die Initiative „AntiKa“ (Gruppe überwachungskritischer Studierender) organisiert in Zusammenarbeit mit dem StuRa die Kampagne „Smash Surveillance“, um die Kameras zu verhindern und die Sensibilität für Freiheitsrechte zu erhöhen.

Den Auftakt bildet eine Podiumsdiskussion mit Dr. Rebecca Pates (Institut für Politikwissenschaft), Thomas Braatz (Datenschutzbeauftragter der Universität) und Hannes Delto (Stura-Sprecher). Angefragt sind auch AktivistInnen von anderen Universitäten, sowie der Kanzler der Universität Leipzig, Frank Nolden, als Verantwortlicher für die geplante Überwachung.

AntiKa

10 Jahre sind genug!

Schluss mit der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze

Am 10. April 2006 jährt sich zum zehnten Mal der Start des Pilotprojekts zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze. Leipzig gilt als Modell und Wegbereiter der dauerhaften Videoüber­wachung öffentlicher Plätze in der BRD. Heu­te stehen der Polizei vier Kamerastand­orte zur Verfügung, an denen sie seit Neustem nicht nur beobachtet, sondern auch auf­zeich­net. Das Leipziger Modell wurde bis heute von mindesten 26 deutschen Städten mit insgesamt 94 Kameras übernommen. Während der diesjährigen Fußballwelt­meister­schaft ist mit noch mehr Videoüber­wachung zu rechnen.

Sicherheitshysterie, Imagepolitik, Populismus, die Sehnsucht nach sozialer Ordnung und staatliche All­machtsphantasien treiben die Ausweitung po­li­zeilicher Vollmachten stetig voran. Der Ka­meraeinsatz ist gepaart mit einem Einsatzkonzept der Polizei, des Ordnungsamtes und der Bundespolizei, das die Verdrängung missliebiger sozialer Gruppen aus der Innenstadt zum Ziel hat. Seine Entsprechung fin­det dies in einem allgemeinen Sicherheits­dis­­kurs, der zunehmend auf Repression und Ver­­drängung setzt. Dieser Diskurs betrachtet Sicherheit als Standortfaktor. Im Interes­se der Kommunalpolitiker, der Einzelhändler und Sicherheitsbehörden soll alles un­sicht­­bar gemacht werden, was potentielle In­vestoren abschreckt und den touristischen Blick stört. Nicht nur hier in Leipzig bildet sich eine neue soziale Apartheid heraus, von der vor allem Obdachlose, Drogen­nut­­zerIn­nen, Jugendliche und MigrantInnen betroffen sind. Armut soll unsichtbar gemacht wer­den. Letztendlich stehen aber alle unter stän­digem Verdacht. Für jene, die sich anpassen, bedeutet das „nur“ Überwachung. Für jene, die aus freiem Willen oder Zwang dem Muster weißer MittelstandskonsumentIn­nen nicht entsprechen, bedeutet es auch Ver­treibung und Strafe.

Wir fordern ein Recht auf den Gebrauch von Stadt für alle!

Wir fordern soziale Lösungen statt den Ausbau der Überwachung!

Wir fordern ein Recht auf abweichende Lebensentwürfe!

Wir fordern: Schluss mit der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze!

Gruppe „Leipziger Kamera“

Mehr Informationen & das ganze Programm: leipzigerkamera.twoday.net

Kontrolle ist besser

2. Erich-Mielke-Gedächtnispreis in Leipzig verliehen

 

Pünktlich zum 56. Geburtstag der DDR fand am 7. Oktober die zweite Verleihung des Erich-Mielke-Ge­däch­t­nispreises (1) statt. Initiiert worden war die Veran­staltung von der Initiative Leipziger Ka­mera, einer über­wachungs­kritischen Gruppe (siehe auch FA! #11), die bis­her vor allem durch den von ihr erstellten Kamerastadtplan und ihre von Zeit zu Zeit stattfindenden Kamera­stadtrundgänge auf sich aufmerksam machte. Wie schon 2003 bei der ersten Verleihung dieses Negativ­preises waren wieder eine Reihe von Personen und Institutionen nominiert, die sich bei der Förderung von Überwachung und sozialer Ausgrenzung in Leipzig und Umgebung besonders hervorgetan haben. Startpunkt war, passend zum Anlass, das Stasimuseum am Runden Eck. Anwesend waren neben den Aktivisten der Leipziger Kamera und den Leuten von Presse und Radio auch Vertreter diverser anderer über­wachungs­kritischer Gruppen. So z.B. Torsten Michaelsen von der Hamburger LIGNA-Gruppe (2) und Thomas Brunst von safercity.de.

Ehe es aber gegen 11.00 Uhr losgehen konnte, tauchte erst mal die Polizei auf, die wissen wollte, wer für die Aktion verantwortlich sei, schließlich handele es sich dabei um eine nicht genehmigte Versammlung. Wenig später war das aber geklärt und die Herren Polizisten zogen wieder ab. Was sie jedoch nicht davon abhielt, kurz darauf noch einmal auf dem Handy eines Teil­nehmers der Aktion anzurufen, um anzufragen, wer den Preis denn nun bekommen würde, vielleicht in der Annahme, auch ein Besuch bei ihrem Chef Rolf Müller sei geplant. Nachdem einer der Initiatoren der Aktion die Anwesenden begrüßt und den weiteren Ablauf grob erläutert hatte, schritt man zur Tat und zog den ersten Gewinner. Dies war in der Kategorie „Schö­­ner unsere Städ­te und Dörfer“ Dr. Nor­bert Beital in seiner Funktion als Vor­sitzender des Ak­t­­­ions­bündnisses Statt­­bild e.V.. Die­ses Bündnis aus Ver­­tret­ern der Stadt und Immobilien- und Wer­­b­­e­firmen hat sich den Kampf gegen Graffiti auf die Fahnen geschrieben. Erfolge dieses Einsatzes waren dabei u. a. die Schließung der „Wall Of Fame“ im Oktober 2003 in Plagwitz, der einzigen legalen Wand zum Sprühen in Leipzig. Damit machte man sich auf den Weg zum Büro des Vereins, wo dann die Laudatio verlesen wurde. Leider fand sich kein Mitarbeiter des Aktionsbündnisses bereit, der Preisverleihung beizuwohnen.

Davon ließ man sich aber nicht beirren und schritt zur Ziehung des nächsten Gewin­ners in der Kategorie „Heraus­ragende politisch-ideologische Stand­festigkeit“. Dies war Robert Clemen, CDU-Kandidat bei der letzten Lei­p­ziger OBM-Wahl. Der hatte bei dies­em Anlass mit sein­en Null Toleranz Par­olen gegen „Chaoten“, „Graffiti-Schmierer“ und sonstige Stören­friede auf sich aufmerksam gemacht und auf Plakaten „Weniger Schlagl­öcher! Mehr Video­über­wachung!“ gefordert. Ein würdiger Sieger also, der nur leider grad nicht vor Ort war und somit den Preis nicht selbst entgegen­neh­men konnte. So ging es zügig weiter.

In der letzten Kategorie „Schild und Schwert der Partei“ gab es gleich drei Gewinner: Polizeichef Robert Müller, Holger Tschense (ehemaliger Ord­nungs­­beigeordneter der Stadt) sowie Norbert Beital, Chef des Leipziger Ordnungsamtes. Anlass war hier die Novellierung des Leipziger Polizeigesetzes im Juni letzten Jahres. Dieses umfasst eine Reihe neuer, gegen Randgruppen wie Bettler und Drogenabhängige gerichteter Verord­nungen (etwa das Verbot, in öffentlichen Grünanlagen zu über­nach­ten), aber auch Bestimmungen gegen „wildes“ Pla­ka­tieren, welches nicht zu Werbezwecken dient. Die Preis­verlei­hung sollte in der Außen­stelle des Ord­nungs­amtes in der Prager Straße vor sich gehen, aber auch hier wollte diesen keiner haben. So wurde im Flur des Am­tes noch die letzte Laudatio ver­lesen und die Aktion damit wür­dig zu En­de geführt.

 

justus

www.leipziger-kamera.cjb.net
(1) Erich Mielke, Chef der Stasi.
(2) Freie Radiogruppe LIGNA. Manch einem vielleicht bekannt durch das Radio­ballett 2002 auf dem Leipziger Haupt­bahnhof.

kick control

Rückblick auf die Veranstaltungs- und Aktionswoche (2.-10. Juni 2006)

Vom 2. bis 10. Juni 2006 führte ein Bündnis verschiedener Leipziger Gruppen unter dem Motto „kick control“ eine Veranstaltungs- und Aktionswoche mit abschließender Demonstration durch. An­lass aber nicht einziger Hintergrund für die Initiative war die am 9. Juni startende Fußballweltmeisterschaft in Deut­schland: ein Großereignis, das bereits im Vor­feld neben dem sportlichen Wettkampf eine derartige Unmenge von kri­ti­sierungs- und hinterfragungswürdigen Facetten und Nebenwirkungen ankündigte, dass man da eigentlich nicht mehr hinschauen wollte: Sicherheit galt dabei als oberste Priorität, es galt Terror und Gewalt abzuwenden, mit allen Mitteln.

Dem Bündnis „kick control“ ging es in der Veranstaltungs- und Aktionswoche darum, diesen Zweck „Sicherheit“, als auch die Mittel zur Durchsetzung – altbewährte wie neu erfundene Maßnahmen – zu dis­ku­tieren und letztendlich bei der Demo mit annähernd 300 Teinehmer/innen in der Öffentlichkeit lautstark zu kritisieren.

In den inhaltlichen Veranstaltungen wurde zunächst der allgemeingesellschaftliche As­pekt thematisiert, der Wandel sozialer Kon­trolle und die so bezeichneten Konturen der Sicherheitsgesellschaft (siehe Buch­tipp Seite 22).

In einer weiteren Veranstaltung drehte es sich um die Hintergründe, die reale oder kons­truierte Gefahr durch bspw. Terror und die damit verbundene Verbreitung von Ängsten. Sie führten dann zur be­reit­willigen Akzeptanz aller möglichen, auch Persönlichkeitsrechte einschränkenden, Sicherheitsmaßnahmen. In­wie­weit hier­bei der technische Fortschritt als zusätzliches Übel mitspielt, wurde im Rahmen der Vorstellung all der faszinierenden Möglichkeiten und Methoden in der Überwachungsgesellschaft diskutiert.

Mit gemeinsamem Kicken in der Öffentlichkeit wollte man der guten alten Forderung nach Rückgewinnung öffentlicher Räume Ausdruck verleihen. Da der Augustusplatz bereits in Hand der FIFA und somit für die banale Bevölkerung nicht mehr zugänglich, geschweige denn bespielbar war, musste man sich im Zugangsbereich zur Fußgängerzone aufhalten. Weil das aber nun mal einfach nicht geht, da Verkehr und alles mögliche andere blockiert werden und außerdem die Aktion nicht als angemeldete Veranstaltung dem Ordnungsamt vorgelegt worden war, wur­de die Sache nach einer Stunde dann auch unterbunden. Immerhin verzichteten die Ordnungskräfte auf die umfassende Personalienfeststellung aller Teilnehmer und das Erteilen von Platzverweisen, was wir hiermit noch einmal zutiefst dankbar hervorheben wollen.

Eine dritte inhaltliche Veranstaltung widmete sich dann einem Mittel der eher ra­biaten Durchsetzung von Sicherheit: den Gewalttäterdateien und so genannten Gefährderanschreiben (oder -ansprachen) mit denen unliebsame Gesell/innen aus den Massen der friedlichen Bürger/innen herausgefiltert werden und ihnen mit persönlichem Anschreiben von der Teil­nahme an bestimmten Veranstaltungen dringend abgeraten wird. Referent war hier ein Aktivist der Roten Hilfe, der selbst ein­mal von einem solchen Anschreiben be­troffen war, sich nicht mit der Einschränkung abgefunden und erfolgreich ge­gen diese Sonderbehandlung geklagt hat. Angesichts von mehreren hundert derartiger Anschreiben, die allein in Leip­zig an Fußballfans – tschuldigung, es muss heißen: mutmaßliche Gewalttäter – verschickt wurden, welche hier und da in den un­teren Ligen auffällig geworden sind, gibt es hier eindeutig Handlungsbedarf.

Man will all die Blutbäder nicht schönreden, die von Fußballfans in ihrer verbrecherischen Unfähigkeit ihre Emotionen zu zü­geln, bekanntlich regelmäßig angerichtet werden, bzw. angerichtet werden könnten wäre, da nicht der bereits auf Hochtouren laufende Kontroll- und Re­pressionsapparat in und um die Welt des ba­nalen Ligafußballs. Jüngstes Beispiel da­für, wie aus Kontrollwahn und Sicher­heits­bedürfnis bei Fußballspielen längst schon Schikane und Kriminalisierung geworden sind, ist der Fall einer sech­zehnjährigen Dresdnerin, die den Fehler begangen hat, ein Auswärtsspiel der SG Dynamo Dresden in Saarbrücken zu besuchen. Da sie darüber hin­aus jung, weiblich, unauffällig und somit nicht im gerings­ten dem Standardbild des ge­waltbereiten Fans und Schmugg­­­lers von Pyrotechnik und Waffen entsprach, wurde sie, wie alle anderen „so genannten unauffälligen ins­besondere weiblichen Fans“ vor Spielbeginn in extra bereitgestellten Kabinen einer Kom­plett­durchsuchung unterzogen. Sie klagte gegen diese Sonder­be­handlung und verlor, schließ­lich war der Verdacht aus den oben genannten Gründen berechtigt und der Tatbestand der Gefährdung (es gibt tatsächlich von Zeit zu Zeit Ausschreitungen bei Dynamo Dresden-Spielen) gegeben. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Saarlouis ist ein lesenswerter Beitrag zum Thema und sei jeder und jedem hier als Lektüre ans Herz gelegt.

Insgesamt waren die Veranstaltungen nur mäßig besucht – über die Gründe wurde in der Auswertung durch das Bündnis schon ausführlich spekuliert, selbiges sei hier der Leserschaft überlassen.

Nunmehr zwei Wochen nach WM-Start muss man natürlich feststellen, dass die Welt zu Gast bei Freunden ganz andere Blüten treibt, dass Deutschland sich endlich wieder gefunden hat, dass im patriotischen Miteinander sich alle ganz lieb haben und die Zeiten, wo man Fahnen schwenkend in den Krieg und nicht nur durch die Stadt gezogen ist, ein für alle Mal vorbei sind. Wahrscheinlich werden wir froh sein, wenn nach Ende der WM nur die Kameras bleiben, die Fahnen verschwinden und der Rest in den „Normalzustand“ zurückkehrt.

Auf die Gefahr hin, dass man dann mit dem Thema Überwachungskritik nur noch auf Lethargie und taube Ohren stößt, ist das Bündnis dennoch fest entschlossen sich weiter der Sache zu widmen. Dabei wird es dann jenseits des Diskutierens von Fallbeispielen auch um das Finden und Etablieren weiterer und vielleicht auch mal ganz neuer Aktionsformen gehen, um den Forderungen Gehör zu verschaffen:

+ + Gegen Sicherheitswahn, Repression und Überwachung + + Gegen die Lösung gesellschaftlicher Konflikte durch Repression + + Schluss mit rassistischer und sozialer Ausgrenzung + +

(larsson)

* Aktuelle Informationen unter: www.kickcontrol.de.vu

Panoptismus im Zentralstadion

Bei der zeitgenössischen Fußballstadienarchitektur hätte der von der Aufklärung beseelte Erfinder des Pano­pticons (Anm. d. Red.: gebräuchlicher ist Panoptikum) Jeremy Bentham wohl vor Begeisterung gejubelt. Sein Panopticon sollte als ringförmiges Gebäude, in dem die Wärter alles und alle sehen, das Modell für Zucht-, Arbeits- und Schulhäuser abgeben. Im Panopticon hatte jedes Subjekt seine Einzelzelle. Die Fußballfans von heute sind in vier Sektoren A, B, C und D gepfercht. Seit kurzem verschwinden die Stehplätze zugunsten der Sitzschalen. Dahinter steckt durchaus erzieherisches Kalkül. Die tobenden Fanmassen werden durch die Sitze vereinzelt und an Bewegungen gehindert. Wer aufspringt und grölt, wird sich über kurz oder lang den Hals brechen. Auch die Stadien sind ringförmige Gebäude in denen unsichtbare Wärter im Raum der Polizeiaufsicht an zwei Bedienplätzen auf acht Farbmoni­toren, im Raum des Stadion­sprechers und beim Brandschutzbeauf­trag­ten alles sehen. Honeywell Security Deutschland installierte im Leipziger Zentralstadion in „allen Stadien- und Vorfeldbereichen ins­gesamt 68 hochauflösende Farbkameras“. „Die ausgewählten Zoomobjektive mit langer Brennweite erlauben eine lückenlose Überwachung aller Tribünenplätze mit großformatigen Darstellungen der Personen.“ (1)

Elke Weiße, ehemalige Geschäftsstellenleiterin des FC Sachsen Leipzig, beschrieb die Technik griffiger in der Provinzpostille hallo Leipzig! zur Eröffnung 2004: „Die Videoüberwachung klappt bereits vorzüglich. Wenn jemand gähnt, kann man problemlos die Goldkrone sehen“, so die Geschäftstellenleiterin belustigt. „Das Sicherheitsaufgebot wird so groß sein, dass der Polizei schon derjenige auffällt, der den Arm hebt“, spitzt es der Vize-Manager Uwe Thomas zu. (2)

Dank Lichtwellenleiter können sogar Aufnahmen mobiler Polizeikamerateams und der Polizeikameras aus der Innenstadt in die Videozentrale übertragen werden. Das digitale System erlaubt „zeitnahe Ausdrucke von aktuellen Aufnahmen auf einem Drucker zu erstellen“ und die Sicherung der Aufnahmen auf CD-Rom-Datenträgern. (3) Wenn es sich dabei nur um das Bild der Goldkrone handelt, ist der Stadion­besuch glimpflich verlaufen. Denn nach Sachsen-Justizminister Geert Mac­ken­­­roths (CDU) Aussage soll hinter dem Poli­zisten gleich noch ein Staatsanwalt, „der Haftbefehle beantragt oder Durchsu­chungen durchführt“, und ein Richter sitzen. Das Fernziel sei, „dass bei leichteren Vergehen der Täter nach dem Schlusspfiff seine Strafe bekommen habe“, äußerte der Minister gegenüber der Presse. (4)

Digitale Bildaufzeichnung ist auch offen für immer neue programmierte Fähigkeiten. Der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily hat biometrische Erkennungssoftware zur WM bereits im Mai 2005 auf einer Pressekonferenz angekündigt. (5) Die Dresdner Firma Cognitec hat im holländischen Stadion des PSV Eindhoven ein biometrisches Gesichtserkennungsverfahren getestet. Diese Systeme melden dann automatisch Alarm, wenn sie ein Gesicht erkennen, das in einer entsprechenden Datei gespeichert ist. Dabei kann es sich um bekannte Ge­walt­­täterInnen handeln, doch sehr häufig geraten Personen hinein, gegen die nur vage oder unhaltbare Ver­dachts­momente bestehen. Gerichtlich geregelt ist dieser Bereich selten. Hinzu kommt noch, dass sensibler Software Fehler unterlaufen. Was hier gebaut und geplant wird, sind gedankliche Fehlgeburten von politischen Popu­list­Innen und technischen, juristischen und politischen Techno­kratInnen, die oft nicht sonderlich mit dem korrespondieren, was tatsächlich technisch oder juristisch machbar, geschweige denn sinnvoll ist. Für die, die immer noch glauben, dass Videoüber­wachung eine – wie auch immer verstandene – Sicherheit erhöhe, sei darauf hingewiesen, dass diese Technik bei weitem nicht die Ziele erreicht, die ihre Befür­worterInnen behaupten. Britische Studien sprechen aus, was vielen schon klar ist: „Videoüberwachung hat keine Auswirkung auf Gewaltverbrechen.“ Denn diese werden entweder im Rausch oder Affekt begangen oder geplant, und dann an unüberwachter Stelle oder maskiert.

Jeremy Benthams panoptisches Prinzip baute darauf, dass sich die Eingesperrten normgerecht verhielten, weil sie nicht wissen, ob sie gerade der kontrollierende Blick trifft oder nicht. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden dabei durch die Architektur und die eigene Normanpassung reproduziert. Ihr Ziel haben die Architekten und Technokraten schon erreicht. Das zentrale Sicherheitsproblem der Stadien ist beseitigt, denn die Masse der einkommensschwachen Fußballfans kommt durch die hohen Preise und die Modalitäten der Ticketvergabe nicht mehr ins Stadion. Die Lust würde ihnen dort auch vergehen, da sie auf den Schalensitzen festsitzen und sich nicht bewegen kön­nen. Bier ist auch verboten. Die Ränge sind frei für die Funk­tio­närInnen, Spon­­soren und Part­ner­In­nen der FIFA.

(leipziger kamera.)

initiative gegen überwachung

 

(1) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(2) hallo! Leipzig, März 2004, S. 17

(3) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(4) www.netzeitung.de/servlets/page?section=704&item=333232

(5) www.heise.de/newsticker/meldung/print/59911