Archiv der Kategorie: Feierabend! #11

One Family? Ohne Graffiti

Die Stadt Leipzig legt sich schon seit einer geraumen Weile mit den Graffiti-Sprayern an. Bereits September 2002 wurde das „unerlaubte Beschriften, Bemalen, Besprühen und Plakatieren“ mit einer Strafe von bis zu 1000 Euro belegt. Seitdem versucht die Stadt, uns zum Denunziantentum zu erziehen und schloss schließlich am 20. Oktober 2003 zusammen mit dem „Aktionsbündnis STATTbild“ die einzige legale Wand in Leipzig, die „Wall of Fame“ am Karl-Heine-Kanal. Gegen dieses Vandalentum der Stadt richtet sich nicht nur die leipzigweite Kampagne „Meine Wand?“, sondern auch die Internetseite www.profame.de. Eine Olympiabewerberstadt hat scheinbar keinen Platz für Normabweichungen. Die olympische Familie soll sauber bleiben.

Mit Kanonen auf Spatzen

Dresdner Staatsschutz ermittelt gegen die Kampagne DRESDEN.UMSONST

Seit einigen Monaten ermittelt der Dresdner Staatsschutz wegen schweren Hausfriedensbruchs gegen die Kampagne DRESDEN.UMSONST, die sich mit künstlerischen Ausdrucks- und Interventionsformen gegen räumliche und soziale Ausgrenzung wendet. Angefangen hatte alles mit einer Aktion in der Altmarkt-Galerie, die untersuchen sollte, inwieweit Handlungen, die im öffentlichen Raum früher selbstverständlich waren, wie Tanzen, Betteln, musizieren, Karten spielen, Auf-dem-Boden-sitzen und das Trinken von Alkohol, in angeblich multifunktionalen Einkaufszentren noch möglich sind. Mit dieser Aktion sollte gegen die räumliche Ausgrenzung von “abweichenden” Verhaltensweisen protestiert werden.

Am 14. September gingen dann AktivistInnen der Kampagne DRESDEN.UMSONST im städtischen Arnhold-Bad schwimmen. Mit Luftballons, Handzetteln, Musik, UMSONST und ohne zu bezahlen. Ein paar Wochen später fand eine weitere Aktion statt: BUS UND BAHN FREI. Offen und in Gruppen wurde Straßenbahn gefahren. Nicht schwarz, sondern UMSONST. Im November dann führte DRESDEN.UMSONST einen szenischen Dialog im Theater Junge Generation vor ca. 350 Jugendlichen auf, in dem die Schließung von sozialen und kulturellen Einrichtungen thematisiert wurde.

Die Kampagne DRESDEN.UMSONST will mit ihren symbolischen Aneignungen deutlich machen, dass bestimmte soziale Bedürfnisse keinen Luxus darstellen, der zur Disposition gestellt werden kann, sondern zum Leben dazugehören. DRESDEN.UMSONST will dabei neue Wege beschreiten, um politische Inhalte mit künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden.

Diese Form politischen Protestes wird jetzt kriminalisiert.

Nach der 15 minütigen Aktion “Heute FREIbaden” wurden vier Personen von Polizeibeamten festgehalten, ihre Personalien aufgenommen und Fotomaterial beschlagnahmt. Was sich anfangs als polizeiliches Routinehandeln ausnahm, stellte sich im Nachhinein als Ermittlungsmaßnahme der Abteilung des Staatsschutzes der Dresdner Polizei dar. Und die wollen es ganz genau wissen. Mittlerweile wird nicht nur gegen die vier Festgenommenen wegen schweren Hausfriedensbruchs ein Verfahren geführt, sondern auch gegen MitarbeiterInnen und KünstlerInnen des Kunstprojektes DRESDENPostplatz. Ende des Jahres schickte der Staatsschutz an alle Beschuldigten eine Vorladung zur Vernehmung heraus, in der auch eine erkennungsdienstliche Behandlung angedroht wurde, die das Anfertigen von Portraitfotos und die Abnahme von Fingerabdrücken beinhaltet.

Die Ermittlungsmaßnahmen des Staatsschutzes machen aber nicht bei den Beschuldigten halt, sondern erstrecken sich auf alle und alles, was sie mit DRESDEN.UMSONST in Verbindung bringen. So wurde die Kuratorin des Kunstprojektes DRESDENPostplatz, die aus dem Schwimmbad als Journalistin berichtete, von Beamten des Staatsschutzes über drei Stunden lang verhört. Ebenso wurden an den Redakteur der Radiosendung, der über die Aktion berichtete, und den Lizenznehmer des Veranstaltungs- und Kunstsenders DRESDENPostplatz Zeugenvorladungen verschickt. Sogar per Telefon wird damit gedroht, die Beschuldigten zuhause aufzusuchen, um sie zwangsweise für eine erkennungsdienstliche Behandlung vorzuführen.

Wir müssen zugeben, dass wir über den Umfang der staatlichen Repression überrascht sind. Was sich anfangs lediglich als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für tätigkeitslose StaatsschützerInnen darstellte, entpuppt sich als gezielte Kriminalisierung sozialen Protestes. Sie meinen es wirklich ernst. Das bedeutet aber auch, dass wir mit unseren Aktionen den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Der Umfang des Abbaus sozialer und kultureller Leistungen und die damit verbundene Ausschließung von Teilen der Bevölkerung macht sich nicht nur an der Gesundheitsreform, den Hartz- und Rürup-Gesetzen deutlich, sondern auch an dem geplanten Sparhaushalt der Stadt Dresden. Proteste dagegen werden als so gefährlich angesehen, dass der STAATSSCHUTZ ermittelt. Dabei stellen symbolische Aneignungen und temporäre Besetzungen keinesfalls Interventionsformen dar, die ungewöhnlich oder kriminell sind, sondern gehören schon immer zum Repertoire politischen Protestes und künstlerischer Auseinandersetzung, wie die derzeitigen Aktionen der Studierenden in Hamburg, Berlin und Sachsen deutlich machen.

Besondere Brisanz erfahren die Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes aber nicht nur dadurch, dass die Anfertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken als geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen wegen 15minütigen UMSONSTBadens angesehen werden, sondern dass auch versucht wird, Journalistinnen und Journalisten, die ihrer Berichtspflicht nachkommen, in die Nähe von Mitwissern zu drängen. Oder wurde schon mal der Sendeleiter des MDR von der Polizei vorgeladen, weil er von Besetzungsaktionen Leipziger Studierender berichtet hat? Damit wird deutlich, dass es nicht darum geht, Informationen für einen etwaigen Prozess zu sammeln, sondern Menschen mit eigenen Ideen und ihr soziales Umfeld auszuforschen.

Wir sehen diese Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes nicht nur als Maßnahmen gegen DRESDEN.UMSONST, sondern gegen alle, die sich gegen den zunehmenden Sozialabbau gewehrt haben und auch weiterhin wehren wollen. Mit der Anfang des Jahres in Kraft getretenen AGENDA 2010 und den anstehenden Kürzungen im Kultur- und Sozialhaushalt der Stadt Dresden nehmen der Unmut und die Unzufriedenheit weiter zu. Welcher Ausdrucks- und Interventionsformen sich dabei bedient werden kann, ist noch offen. Wenn es dem Dresdner Staatsschutz gelingt, symbolische Aneignungen zu kriminalisieren, werden Formen zivilen Ungehorsams kaum noch möglich sein. Es geht also nicht nur um DRESDEN.UMSONST, sondern um die Zukunft des sozialen Protestes und Widerstandes und die möglichen Formen politischer Auseinandersetzung. Daher rufen wir alle auf, sich mit der Kampagne DRESDEN.UMSONST zu solidarisieren und sich gegen die Kriminalisierung durch den Dresdner Staatsschutz zu wenden.

karen pietscher

Lokales

Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis heute

Noch immer sind 60-65 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse Normalarbeitsverhältnisse, definiert als unbefristete und sozial- wie arbeitsrechtlich abgesicherte Vollzeitbeschäftigung. Doch wer denkt, bereits die Form Normalarbeitsverhältnis biete Schutz vor Verarmung und Niedriglohn, sollte sich die unterschiedlichen Branchen und Regionen anschauen.

„Die Köchin, die Putzfrau und der Wachmann“: In dieser ZDF-Sendung wurden am 2. September 2003 drei entsprechende ArbeiterInnen aus Berlin vorgestellt, unter dem Motto "Viel Arbeit für wenig Geld". Sie verdienen zwischen 6 und 8 Euro in der Stunde, machen Schicht- und Wochenendarbeit und kommen mit diversen „Nebenjobs“ auf eine 60h-Woche. Ihre Hauptjobs sind Vollzeitbeschäftigungen, bezahlt nach Tarif, mit Kündigungsschutz. Dass eine Vollzeitbeschäftigung zu Tariflohn nicht nur in Ausnahmefällen keine Existenzsicherung bietet, zeigen folgende Zahlen: 1999 verdienten 36 Prozent aller Beschäftigten weniger als 75 Prozent des Durchschnittslohns (…), 12 Prozent bekamen weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohns (das sind dann 800-900 Euro netto). Etwa ein Drittel aller ganzjährig Vollzeitbeschäftigten aus den Kernbereichen des tarifvertraglich abgesicherten Normalarbeitsverhältnisses gehören zum sogenannten Niedriglohnsektor: Verkäuferinnen, Putzfrauen, Wachleute, LandarbeiterInnen, Beschäftigte in Kleinstbetrieben.

Im Jahr 2002 betrug das durchschnittliche Arbeitslosengeld 737 Euro, ca. ein Drittel der ALG-BezieherInnen hatte weniger als 600 Euro. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe lag bei 522 Euro: diese Zahlen weisen auf das frühere Lohnniveau der heutigen Arbeitslosen hin (…). „Das geltende Tarifvertragssystem ist äußerst flexibel … Die Gewerkschaften haben … Abweichungen von bestehenden Tarifverträgen vielfach zugestimmt, wenn dadurch Beschäftigung gesichert und Unternehmen in wirtschaftlicher Not geholfen werden konnte.“ (aus einer Anzeige von „Betriebs- & Personalräten für den Erhalt der Tarifautonomie“, September 2003). Circa 35 Prozent aller Betriebe haben bisher Öffnungsklauseln der Flächentarifverträge genutzt: variable/verlängerte/verkürzte Arbeitszeiten, niedrigere Einstiegslöhne, Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Jenseits der Löhne haben sich auch die anderen Rahmenbedingungen des Normalarbeitsverhältnisses verändert: nur noch 65 Prozent aller Beschäftigten waren im Jahr 2001 tarifgebunden, 1996 waren es noch 70 Prozent. 58 Prozent hatten keine festen Arbeitszeiten mehr, sondern waren mit Arbeitszeitkonten oder Ähnlichem konfrontiert. Fast jede/r zweite Beschäftigte (47 Prozent; 1991 waren es 42 Prozent) muss inzwischen Wochenend-, Schicht- oder Nacharbeit leisten. Der Kündigungsschutz spielt in der öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle. (Gerade eben wurde die Mindestbeschäftigtenzahl der Betriebe, für die er gilt, wieder auf über zehn verdoppelt). Er gilt grundsätzlich nach sechs Monaten im unbefristeten Arbeitsverhältnis. Selten wird ein Entlassener wieder eingestellt, sondern der Beschäftigungsanspruch wird mit Geld abgegolten. Der Unternehmer muss, wenn er aus betrieblichen Gründen entlassen will, eine soziale Auswahl unter den Beschäftigten treffen. Existiert ein Betriebsrat, werden Massenentlassungen ausgehandelt. Je älter, je mehr Unterhaltspflichten und je länger im Betrieb, desto teurer wird eine Entlassung. Dabei ist in Deutschland keine Abfindung vorgeschrieben; Entlassene müssen vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung klagen. War die Kündigung nicht gerechtfertigt, erhalten sie eine Abfindungszahlung, andernfalls nicht.

aus: Wildcat, Nr. 68, Januar 2004, S. 47

P.S.: Wer eine Abfindung einklagen will, muss dies innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung tun. Nach Ablauf der Frist wird die Klage nicht mehr zugelassen. Also, lieber vorsorglich klagen. Kommt doch eine Abfindung, kann man die Klage, bei den langen Bearbeitungsfristen der Gerichte, ohne Kosten zurückziehen.

Bewegung

Tatort München – Die Sicherheitskonferenz

Und wieder eine Stadt im Ausnahmezustand, diesmal ist es München. Kriegsstrategen und Rüstungslobbyisten aller führenden Nationen treffen sich im „Hotel Bayrischer Hof“, um globale Militäreinsätze der nächsten Jahre zu planen und die laufenden irgendwie aus dem Guerilla-Schlamassel zu bringen.

Mehr als genug Gründe also für ein breites Bündnis kriegskritischer Menschen – von Friedensgruppen bis Autonomen – eine internationale Mobilisierung zu starten. Erklärtes Ziel ist die Verhinderung der Konferenz.

Problematisch erweist sich das Vorhaben wie üblich durch die nationale Mobilisierung von Bereitschaftspolizei und Sondereinsatzkommandos. Über 4000 Uniformierte sind angereist um die Sicherheit der Sicherheitsexperten zu gewährleisten. Und so füllen sich die Münchner Gefängnisse bereits am Freitag durch den interessanten Grundsatz der Polizei, ein „freies Vagabundieren potentieller Gewalttäter“ müsse „präventiv verhindert“ werden. Verdächtig aussehende Personen werden also schon vorher festgesetzt, zum Beispiel beim Einkaufen. Um 16 Uhr beginnen die Kundgebungen rund ums Tagungsgelände, allesamt schwer bewacht, praktisch eingekesselt. Einige Entschlossene versuchen trotzdem, Straßen zu blockieren, was von der Polizei als Eskalation bewertet wird. Willkürliche Festnahmen provozieren Gegenwehr und weitere Zugriffe. Besonders Zivilbeamte tun sich durch Hooliganverhalten hervor – viele DemonstrantInnen gehen durch Knüppelschläge zu Boden, werden zusammengetreten und finden sich mit einer Anzeige in der Sammelzelle wieder. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Eingriff in den Straßenverkehr“ sind von Münchens Polizeichef einfach als „Straftat“ definiert worden. Resultat ist ein Wochenende Knast. Insgesamt werden 266 Leute arrettiert. Bei ihrer Suche nach Rädelsführern hat die Obrigkeit den IMi*-Aktivisten Tobias Pflüger ausgemacht. Der Tübinger wird nach einer Kundgebung angegriffen und am Genick verletzt.

Zweite Runde: Samstag, Großdemonstration. Etwa 10.000 Menschen ziehen mit guter Stimmung durch die Stadt. Es ist laut, die Musik fetzig und es bleibt die Frage offen, ob mehr „Hoch-die-Inter-“ oder „Antinationale“ gebrüllt wird. Die Polizei lässt von Anfang an keinen Zweifel zu, wer das Gewaltmonopol innehat. Mit absurden Auflagen wie „Fahnen müssen parallel zum Zug getragen werden“ und der Forderung nach einer „Teilnehmerliste“ macht sie sich allerdings eher lächerlich, was von den VeranstalterInnen auch so formuliert wird.

Gegen die Übermacht in Grün-Weiß ist allerdings von vornherein nichts auszurichten und so ziehen viele „potentielle Gewalttäter“ in die Fußgängerzone. Auf dem Marienplatz eskaliert die Lage durch eine radikale Polonaise: „Hüpfen für den Frieden.“ Beim Zugriff der Polizei ist der Tumult schon lustiger und unkontrollierter. Auch PassantInnen missfällt denn auch die offen zuschlagende Obrigkeit, viele solidarisieren sich verbal mit den Protesten. Gegen Abend ist es dann wieder ruhig in München. Abgesehen von einigen Schaufensterscheiben erholen sich alle Beteiligten.

soja

* IMi = Informationsstelle Militarisierung

Deutsche Interessen werden auch am Hindukusch verteidigt.“ Struck

Wenn es einen Konsens der Veranstaltung gibt, dann den, dass weiter angegriffen werden muss. Ohne dauernde militärische Interventionen sind Renditen immer weniger zu haben. Besonders in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation gilt: Krieg ist Geld. Und auf Geld kommt es schließlich an. Wo die nächsten Bomben fallen und wer wie an welchem Konflikt verdient, darum geht es in München.

Was das Weltwirtschaftsforum in Davos für die Spitzenvertreter der internationalen Wirtschaft ist, ist die Sicherheitskonferenz (…) für die Repräsentanten der strategischen Gemeinschaft.“

Horst Teltschik, Organisator

Eine Konferenz, die sich mit den Attributen „Frieden“ und „Sicherheit“ schmückt und bei der gleichzeitig eine klare Kontinuität zum altdeutschen Militarismus besteht. Wurde sie doch 1962 von ehemaligen Nazi-Generälen zusammen mit den NATO-Staaten als „Wehrkundetagung“ ins Leben gerufen. Von Anfang an ging es um strategische Aufrüstung und die Verankerung des Militärs in den westlichen Gesellschaften. Nur einige der dort diskutierten und beschlossenen Themen sind etwa die Neutronenbombe, die „Nachrüstung“, der atomare Erstschlag und, als aktuellste Erfindung, der Präventivkrieg. Ebenso zeitgemäß präsentieren sich auch die Organisatoren: Seit 1998 ist es die Quandt-Stiftung von BMW, einem direkt in Kriege involviertem Rüstungskonzern, die die Konferenz des weltweiten Durchgriffs moderiert. Überall sollen Ordnung, Frieden und vor allem Sicherheit herrschen. Vielen Dank.

Antimilitarismus

Denkmal

In jüngster Zeit wird häufig auf eine Ursache des geringen Wirtschaftswachstums hingewiesen. Der Binnenkonsum ist zu gering. Was ist das für eine Wirtschaft, die krankt, weil zu wenig konsumiert wird? Der Reihe nach: Die Menschen arbeiten, um zu leben. Man kocht, weil man etwas essen will. Niemand ißt, um hinterher endlich wieder Geschirr spülen zu können. Auf Leute, die behaupten (Lohn-)Arbeit mache Spaß und sie wüßten sonst nichts mit ihrer Zeit anzufangen, soll hier nicht eingangen werden.

Warum soll mehr konsumiert werden? Damit die Wirtschaft wächst. Warum? Damit Arbeitsplätze entstehen. Warum? Damit es Wohlstand für alle gibt. Was heißt das? Das alle konsumieren können. Wer Arbeitsplätze nicht als Wert an sich ansieht, kommt zu folgender Logik: Wir müssen heute mehr essen als gestern, damit wir morgen überhaupt noch etwas zu essen haben. Alles klar?

Der naive Geist mag sich sagen, wenn mehr Güter und Dienstleistungen produziert als konsumiert werden, warum müssen dann immer mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden (denn nicht anderes bedeutet die Forderung nach längeren Arbeitszeiten und mehr Arbeitsplätzen). Gleichzeitig werden die Löhne gekürzt. Für das Gemeinwohl müssen wir alle den Gürtel enger schnallen. Wie jetzt? Fressen für’s Gemeinwohl oder Gürtel enger schnallen? Die Gesundheitsminister/innen der wirtschaftlichen Zentren klagen über das zunehmende Übergewicht unter „ihrer“ Bevölkerung, während Millionen Menschen jeden Tag mit leerem Magen schlafen gehen. Gemeinwohl? Wohlstand für alle? Wohl kaum. Warum versorgen wir nicht alle Menschen mit genügend Lebensmitteln? Weil das der Wirtschaft schaden würde. Daß es der Wirtschaft gut geht, bedeutet nicht, daß es der Mehrheit der Menschen gut geht. Im Gegenteil. Warum zerbrechen wir uns also den Kopf „der Wirtschaft“?

v.sc.d

Think Tank

Vom konstruktiven Streik zur Streikpause

Zu der Zeit als wir mit Feierabend! #10 die StudentInnenbewegung vom November vorstellten und bei der bundesweiten Demonstration vom 13.12. ein Extrablatt verteilten, war in Leipzig noch tote Hose. Damals wusste noch niemand, ob es einen „Streik“ geben würde und wie er aussehen sollte. In unseren Köpfen spukten Fragen herum, wie: Inwieweit erkennen die Studierenden die Tragweite der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung, die zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung führt? Inwieweit können sie sich von ihrem Vorlesungs- und Klausuralltag lösen? Sind sie überhaupt in der Lage zu kämpfen oder kapitulieren sie bereits, bevor sie angefangen haben? Wird der Streik wie so oft zum Knallfrosch, zwei Wochen aktiv zu sein um danach in der Versenkung zu verschwinden oder Auftakt einer längerfristigen Organisierung?

Diese Fragen können wohl erst nächstes Semester beantwortet werden. Schließlich hat die letzte Vollversammlung der Studierenden eine Aussetzung des Streiks beschlossen. Am 14.4. wird eine erneute Vollversammlung über den weiteren Verlauf entscheiden. Wie sind die hochschulpolitischen Rahmenbedingungen, in denen sich die Studierenden bewegen? Seit Jahren verschlechtern sich die Zustände an den Universitäten dramatisch, die stetig steigenden Studierendenzahlen fallen mit dem Rückzug des Staates aus der Bildungsfinanzierung zusammen. Die Folge sind überfüllte Vorlesungen und Seminare, schlechte Ausstattungen der Bibliotheken, kein Geld für Exkursionen und neue Technik. Der letzte Paukenschlag war die Erhöhung des Semesterbeitrags auf 69 Euro um „die Essenspreise für Studierende stabil zu halten“.Ursache hierfür sind die Kürzungen des Freistaats Sachsen an den Zuschüssen, die voraussichtlich bis 2006 von derzeit ca. 2,1 Mio. auf 1,2 Mio. Euro sinken sollen (2001 noch 3,5 Mio.). Gleichzeitig werden allgemeine Studiengebühren immer wahrscheinlicher. Alle Studienbereiche sind bereits zugepflastert mit Gebühren: für Zweit- und Langzeitstudien (Zwangsexmatrikulation in Sachsen), für ausländische Studierende und Sprachkurse, Erwachsenen- und Fortbildung. Nur noch das Erststudium in der „Regelstudienzeit“ ist bisher aufgrund des Verbots im Hochschulrahmengesetz für Gebühren noch nicht zugänglich.

Doch Bundesländer wie Sachsen und Bayern klagen beim Bundesverfassungsgericht gegen dieses Verbot mit der Begründung, daß Bildung Ländersache sei. Auch wenn es mancherlei Ausweichmanöver gibt, wird es, sollte dieses Verbot fallen, womöglich schon im Wintersemester Studiengebühren geben. Mit dem Propaganda-Terminus „sozialverträglicher Studiengebühren“ soll den Studierenden und allgemein der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut werden. Das Problem ist nicht nur die weitere Ausgrenzung der unteren Schichten von der Bildung. Der Bildungsbereich steht vor einer weitgehenden Verökonomisierung. Das heißt Bildung als Ware, die ihren Preis hat – sprich Studiengebühren. Doch kann Bildung überhaupt abgerechnet werden? Würde dies nicht der Vergewaltigung eines lebendigen kommunikativen Prozesses gleichkommen?

Ebenfalls im Wintersemester sollen alle Studiengänge auf BAchelor und Master umgestellt werden. Hier gibt es noch Unklarheiten bei den Studierenden, dem Konzept werden positive Punkte abgerungen, wie der europaweiten Vergleichbarkeit. Vor lauter Konstruktivität wird vergessen, daß damit eine europaweite Zweiklassenhochschule kommt. Auch die derzeitigen Anpassungsprobleme werden irgendwann gelöst sein, dann steht für 80% der durchgeplante und mit wenig Freiräumen ausgestattete Regelabschluß Bachelor zur Verfügung, während die Elite einen wissenschaftlichen Abschluß machen darf. Eine Möglichkeit diese Quote zu erreichen, wären Studiengebühren für den Master, der auch als Zweitstudium interpretiert werden kann. Diesen Zweiklassenabschluß zu begrüßen verrät eine gehörige Portion Blindheit, und zu meinen, man könnte dort mehr als kosmetisch mitwirken, Naivität und Unkenntnis der Kräfteverhältnisse. Die Rahmenbedingungen sind über Hochschulgremien nicht veränderbar.

Nimmt man noch andere Bausteine dazu, wie die Chipkarten, die auch zur Zugangskontrolle eingesetzt werden können, Hochschulgremien mit Wirtschaftsvertretern und nicht zu vergessen der abzusehende universitäre Konkurrenzkampf um den Status der Elituniversität, dann lässt sich das zukünftige Hochschulmodell erahnen: eine Universität als Unternehmen, dem Rektorat als Führung (1), den DozentInnen und Hilfskräften als Lohnabhängige und den Studierenden als Kunden, deren Einfluß auf ihr Bares und die Ausfüllung von Fragebögen zur Evaluation beschränkt wird.

Diese Entwicklung ist nicht neu, bereits bei den Studierendenprotesten 2001 war sie absehbar. Es bleibt nicht mehr viel Zeit dem entgegenzutreten. Schritt für Schritt wird eine Verschlechterung nach der anderen durchgesetzt werden, wenn wir passiv bleiben. Und da die zugestandene Mitbestimmung und der kreativ-brave Protest bereits in den letzten Jahren nichts an der Situation geändert hat, sollten wir endlich mal das Selbstbewußtsein aufbringen NEIN! zu sagen und uns nicht weiter verarschen zu lassen.

kater francis murr

(1) anlässlich einer Diskussionsrunde in ihrem Seminar äußerte sich die Prorektorin Schubert zur Legitimation des Rektorats dahingehend, daß schließlich auch niemand auf die Idee käme Unternehmensführungen abzuschaffen.

Bildung

Eine Aktivistin kommt selten allein

oder: Es lebe der Ausnahmezustand!

Dabei und aktiv sein

Zieht man die Studiproteste von 2001 gegen den Beschluss der heute noch andauernden Stellenkürzungen und der Sächsischen Hochschulentwicklungskommission heran und vergleicht sie mit den konstruktiven Streiktagen 2004, fallen zwei Sachen auf. Während der StudentInnenRat 2001 versuchte die Proteste unter seiner Kontrolle zu behalten (ein gegründetes Komitee – AG gegen Stellenkürzungen, sollte eine StuRa-AG sein), hielt sich positiverweise der StuRa dieses Mal weitgehend zurück, er überließ es dem Streikkomitee sich selbst zu organisieren und zusammen mit der Vollversammlung den Ablauf zu beschließen.

Der zweite Punkt ist die Anzahl der AktivistInnen (also Leute, die Demos, Aktionen, Infrastruktur organisieren und nicht nur als Statisten mitlaufen): diese würde ich im Januar 2004 auf mindestens 250 schätzen, dabei ist natürlich auch der Grad der Involvierung unterschiedlich und auch nicht alle waren im Streikkomitee organisiert. Im gesamten Verlauf des Streiks waren immer zwischen 30 und 100 Studierende bei Streikkomitee-Plena anzutreffen, die zudem noch stark fluktuierten, was einige Probleme hinsichtlich der Kontinuität mit sich brachte (wenn das Mittwochsplenum nicht mehr wusste was das Montagsplenum für dieses geplant hatte oder manche Diskussionen dreimal wiederholt werden mussten). Daneben waren noch einige Fachschaftsräte, die Angry Strike- Gruppe, CinemAbstruso und viele Einzelpersonen aktiv.

Zustand der Ausnahme

Ein "Streik", auch ein "konstruktiver", ist eine Zeit des Ausnahmezustands, eine Zeit vielschichtiger Aktivitäten, von vielfältigen Selbstorganisierungen und unzähligen Diskussionen. Ein zentraler und äußerst bedeutender Punkt ist die stattfindende Aneignung des universitären Raumes durch die Studierenden und damit die zumindest prinzipielle Öffnung anderen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber. Dies könnte für eine Kommunikation mit anderen vom Sozialabbau betroffenen noch stärker genutzt werden. So wird ein Raum, der dazu konzipiert ist, daß Menschen funktionieren, menschlich. Das Streikcafé z.B. ist ein gutes Beispiel für die Selbstorganisierung des eigenen Lebens, und das innerhalb kürzester Zeit. Hier wurde viel diskutiert, aktiviert, entspannt und pleniert. Nach dem Abbau Ende Januar blieb ein kalter Raum und eine gewisse Traurigkeit zurück. Es war halt nur der Ausnahmezustand und noch keine Universität die sich an menschlichen Bedürfnissen orientiert.

Die Streiktage waren Tage sozialer Bewegung, mit Aktionen genauso wie der Meinungsbildung und der Reflektion der eigenen Situation. Jede Auflehnung und Infragestellung des Bestehenden, die mit einer nicht-vorschriftsmäßigen und sich spontan aufbauenden Aktivität einhergeht (der Streik steht schließlich nicht in der Studienordnung), birgt eine eigene soziale Dynamik in sich. Diese zeichnet sich durch Dezentralität und Unkontrollierbarkeit von Autoritäten und institutionalisierten Vertretern aus. Wenn selbst das Streikkomitee partiell den Überblick verlor, so ist das kein Zeichen von Schwäche sondern von Stärke. Denn nur wenn es diese soziale Dynamik gibt, besteht überhaupt die Chance, den weniger angepassten Zielen näherzukommen. Die Aufgabe des Streikkomitees sollte es deshalb sein, Eigenaktivität zu fördern und dafür eine Plattform zu bieten (Möglichkeit Flyer zu kopieren, offene Presseplattform, Gewinnung weiterer Leute für eine Aktion, Infomaterial/Bibliothek etc.). Es sollte sich vor allem davor hüten, durch Kontrollverlustängste die Eigendynamik zu ersticken oder gar interne Hierarchien auszubilden. Wer alles steuern will, wird alles kaputt machen. Natürlich sollte es dabei nicht auf eigene Inhalte und Aktionen verzichten.

Und in Zukunft?

Bleibt die Frage nach der Perspektive über den Ausnahmezustand hinaus. Verstreuen sich dann alle wieder und isolieren sich in ihrer studentischen Funktion? Fällt die kurzzeitige Erweiterung der Möglichkeiten dem Vergessen anheim und weicht dem Tunnelblick Studium, Arbeit, Rente? Oder entscheiden sie sich für eine längerfristige Organisierung? Wird sich hier der Illusion der Partei und des Parlamentarismus ergeben oder bleibt es dabei, sich wie im Streikkomitee (oder in anderen Formen) basisdemokratisch und vor allem selbst zu organisieren und diese Alternative auch für die Zukunft stark zu machen?

kater francis murr

Bildung

„Wir woll’n in die Tagesschau!“

Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …ein Problem

Medienwirksamkeit hieß das Schlagwort vieler Studierender im Streik des letzten Semesters. Groß muss es sein, laut und bunt und vor allem kreativ. Denn sonst kümmert es niemanden, ob die Universitäten gerade bis zur Arbeitsunfähigkeit zusammengekürzt werden, immer mehr Ungleichheit im Bildungsbereich institutionalisiert wird oder Erwerbslose durch den Zwang zur Annahme einer ‚zumutbaren’ Arbeit in die Vormundschaft durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) gedrängt werden. Frei nach dem Motto: Was nicht in der Tagesschau läuft, ist auch nicht passiert. Und da Studierende weder Partei, Lobby noch irgendwie relevante Interessenvertretungen in politischen Gremien haben, bleibt zunächst nur, Öffentlichkeit durch Aktionen zu schaffen. So wälzte sich in den letzten Monaten eine wahre Aktionslawine durch die streikenden Universitäten. „Spar Wars“ in Berlin, Hamburg, Bremen oder Leipzig – „The University strikes back“. Im Dezember stürmten in Berlin nackte Studierende, ihres letzten Hemdes beraubt, durch die Straßen oder der Weihnachtsbaum wurde symbolträchtig um seine Spitze gekürzt. In Bremen beteiligten sich zwei StudentInnnen-WG‘s an der „Wetten dass?!“-Stadtwette vom 24.01.04 und entrollten Transparente vor dem offenen Container, in den sie ihre Wohnzimmereinrichtung transportiert hatten. Gesendet wurde das jedoch nicht. Denn „Fernsehen ist halt nur Unterhaltung. Eben eine geschickte Lüge“, so ein ZDF-Redakteur. (1)

In Leipzig reichte das Repertoire von altbekannten Inszenierungen des „Zu Grabe Tragens der Bildung“ über Besetzungen und die Störung einer Landtagssitzung in Dresden bis hin zum Dreh eines Softpornos unter dem Motto: „Die Bildung ist keine Hure der Wirtschaft“. Jene Aktionen, deren Ursprung in einer Wortspielerei liegt, wie „Die Bildung geht baden“, „Bildung geht Flöten mit Streichern“ oder „Studienplätzchen für Passanten“ wecken sicher Sympathie unter der Bevölkerung. Ein paar Leute lesen vielleicht sogar die ausgeteilten Handzettel. Und auch die lokale Presse berichtet, wenn es nette Bilder gibt. Aber angesichts der akuten Probleme im Bildungs- und Sozialbereich wirken sie lasch. „Ihr Streik hat keinem geschadet… ein bisschen mehr Mut und Frechheit [wäre] angebracht“, wird im Kreuzer (Februar 2004) kommentiert. Dabei folgen die Protestierenden hier einer einfachen Werbestrategie. Wie für die Titelseite des Kreuzer, der Bild oder der LVZ (Leipziger Volkszeitung), braucht auch eine gute Aktion erst mal eine Überschrift, ein Motto. Im Gegensatz zur Bild, der mensch sicher keine Inhaltsvermittlung unterstellen kann, steht hinter den Aktionstiteln das Anliegen, Probleme öffentlich zu machen, die sonst kein Gehör fänden. Für die Veränderung der Zustände, die Rücknahme der Sozialkürzungen und für die Erfüllung der Forderungen aber, muss mehr passieren, als Wortspielerei.

Weniger zahm sah es zunächst bei der Besetzung des Rektorats am 07.01.04 aus. Während die Angestellten mit Kaffee und Kuchen überrumpelt wurden, verschickten die ErstBesetzterInnen über die Pressestelle ein Fax, in dem der Rücktritt von Rektor Franz Häuser gefordert wird. Diese Aktion brachte sofort die Presse auf den Plan. Einige spekulierten wohl schon auf eine spektakuläre Räumung durch die Polizei. Doch alles verlief in geordneten Bahnen. Die Besetzung wurde durch die Gewährung des Hausrechtes genehmigt und mit Berufung auf ein pauschales Unterstützungsangebot durch Kanzler Peter Gutjahr-Löser forderten die BesetzerInnen Logistik in Form von Computer, Drucker und Faxgerät für den Streik ein. Zumindest in kleinem Rahmen konnten so Forderungen nach technischer Unterstützung durchgesetzt werden. Doch selbst diese Aktion wird wegen der ausgehandelten Kooperationsbasis, im Spiegel belächelt. „Das Rektorat ist wieder „besetzt“, wie es ein Transparent draußen am Gebäude verkündet. Und zwar genau bis 16.30 Uhr [… ] Wenig später gehen die Lichter aus. Bis zum nächsten Morgen.“ (15.01.04)

Was Aufmerksamkeit zieht, hat sich während des Streikes besonders gut an der Aktion des „Streikporno“ Drehs der Gruppe „CinemAbstruso“ gezeigt. Nämlich nackte Haut, ein bisschen Erotik und alles was irgendwie skandalös ist.

Der Außendreh unter d e m Karl-Marx-Relief am Augustusplatz entsprach dabei wohl noch am ehesten den voyeuristischen Erwartungen der Presse. Vor den Augen verwirrter und gaffender Passanten, sowie aufgeregt herumwuselnder Fotografen und Kamerateams, fielen trotz winterlicher Temperaturen die Hüllen der beiden Akteure. Nur ein aufgespanntes Laken verhüllte die Details des angedeuteten Motto: „Paaren statt sparen“. Das Drehbuch ist so kompliziert gestrickt, wie das Pornogenre tiefgründig. Er, Dozent Dr. Vögler, hilft ihr, Studentin Chantal, beim Stopfen von Bildungs-, Haushalts- und anderen Löchern. Endlich hatte selbst RTL Grund genug, den Studi-Streik zu beachten. Die Bild versuchte gleich eine ganze Skandal-Reihe aufzubauschen. Und die StreikaktivistInnen debattierten, ob die Aktion zu unterstützen sei oder nicht und veröffentlichte schließlich eine Solidaritätserklärung.

Der „…Versuch, den Streik in Massenmedien zu tragen, die sich normalerweise nicht mit dem Thema beschäftigt hätten, und der Versuch, desinteressierte Studenten der Uni auf den Streik aufmerksam zu machen“ (2), ist den Leuten von CinemAbstruso auf jeden Fall gelungen. Bei der Uraufführung am 22.01.04 mussten sich viele der Schaulustigen vertrösten lassen, weil der Hörsaal mit 300 Leuten völlig überfüllt war. Ob der Andrang in der Hoffnung auf ein schlüpfriges Filmchen nach stereotypem Rollenmuster lag, oder aber an der Erkenntnis, dass die Lage ernst und eine StreikPornoFilmSchau endlich DIE geeignete Aktionsform ist, an der mensch teilnehmen kann, bleibt unklar. Der fertig geschnittene Film selbst entsprach nicht dem Bild, das der Dreh hätte vermuten lassen. Entblößt wurde weniger nackte Haut, als die Tatsache, dass mediale Aufmerksamkeit mehr dem Skandalprinzip folgt als politischer Brisanz. Gezeigt wird, wie Regisseur und Schauspielerin in der MDR-Sendung „Dabei ab Zwei“ dem Moderator das Podium stehlen und nicht auf seine körperorientierten Fragen antworten. Stattdessen liest Tillmann König immer wieder aus den Forderungen der Leipziger Studierenden vor. Der Zuschauer sieht, wie Kamerateams bei den Filmemachern zu Hausbesuchen vorbeikommen. Die Befragten verkehren die Rollen und richten ihre Linse auf die Teams. Die Frage, ob sie, die Presse, auch so interessiert wären, wenn es nur um die politischen Inhalte ginge, wird verneint. Erst am Ende kommen die Szenen, die überall durch die Presse gingen.

Ob die Präsenz der Studierendenproteste in den Tagesmedien zu konkreten Verbesserungen im Bildungsbereich führen kann, bleibt fraglich. Klar ist, dass es vieler Stimmen in allen sozialen Schichten bedarf, um die herrschende Sparpolitik zu stoppen.

wanst

(1) Pressemitteilung des Streikbüro der Universität Bremen (25.01.2004). Mehr Info und Bilder: www.de.indymedia.org. Info Streik Leipzig: www.leipzig04.de.vu
(2) Abspann des Streikporno von CinemAbstruso.

Bildung

StudentInnen brechen Hausfrieden

Wir empfanden nur, dass hier anscheinend Menschen saßen, die scheinbar aus eigener Nähe zu Macht und Versorgung – Unwissenheit konnte es einfach nicht sein – überhaupt kein Empfinden mehr dafür haben, mit welchen Wirkungen verfehlter Bildungs- und Sozialpolitik wir als Studierende umgehen müssen, welche Missstände, Verunsicherungen, auch Ängste uns Anlass sind, eigenen Protest vor und in das Haus der gewählten Volksvertreter zu tragen.“ Stellungnahme, 02.03.04

Am 16.01. begingen die Leipziger StudentInnen ein altes Ritual, als sie wieder einmal allein, in kleineren und größeren Gruppen nach Dresden vor den Landtag zogen. Doch dieses Mal wollte student/in sich nicht so einfach abspeisen lassen wie in den letzten Jahren, mit Beschimpfungen á la Rößler und der Erkenntnis, daß sich im Landtag eigentlich keine/r für die studentischen Forderungen interessiert. Deshalb standen die Proteste an diesem Freitag von Anfang an unter der Devise, nicht nur brav der genehmigten Strecke zum Parlament zu folgen und dort an der Kundgebung teilzunehmen, sondern durch viele dezentrale Aktionen im Stadtgebiet Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Daß sich diese Vorstellung neben ein paar nackten Ärschen und sporadischen Kreuzungsblockaden nur mäßig umsetzen ließ, lag sicher auch an der Unerfahrenheit und mangelnden Organisierung der aktiven StudentInnenschaft. Als jedoch 14 Studiosi von den BesucherInnen-Plätzen im Landtag in lautstarken Jubel über die vorgehende Politik ausbrachen, platzte einigen EntscheidungsträgerInnen der Kragen angesichts des Faktes, daß das Verständnis der StudentInnen für die politische Ausweg- und Konzeptlosigkeit des sächsischen Parlamentes in der Bildungs- und Sozialpolitik schwindet. Und dann wollten jene weder aufhören noch den Saal verlassen. Oh, welch Unverschämtheit! Da half nur noch der Einsatz polizeilicher Gewalt, um diesen Aufstand im ehrenwehrten Hause des Landes niederzuwerfen. „Eklat“ und „einmalige Störung der Arbeit der Volksvertreter“ tönten gereizte PolitikerInnen, während viele StudentInnen mit der Aktion und der erreichten Aufmerksamkeit zufrieden waren.

Also alles gut? Denkste! Am darauffolgenden Mittwoch sprach der Landtagspräsident Erich Iltgen für die 14 polizeilich erfaßten StudentInnen ein einjähriges Hausverbot aus und stellte gleichzeitig einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch (§123 bzw. §106b). Die Kriminalisierung dieser politischer Aktion bedeutet auch einen Angriff auf die studentischen Proteste und zeigt deutlich, wie niedrig die Hemm- und Schmerzgrenzen der verantwortlichen PolitikerInnen liegen. Die Betroffenen sind gerade dabei, Gespräche mit Politik, Presse und verschiedenen Gruppen aufzunehmen und es gibt schon Ideen, u.a. durch Doppelgängeraktionen die überzogenen Maßnahmen (Staatsschutz ermittelt!) weiter zu problematisieren. Es sollte an Solidarität und Unterstützung aus der Studierendenschaft nicht mangeln, schließlich haben sich jene für die Probleme von jeder/m Einzelnen eingesetzt. Und letztlich bleibt nur eine Erkenntnis aus den gemachten Erfahrungen: Wir machen weiter und kommen wieder!

clov

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Utopie oder Zwangsneurose?

Wie realistisch sind wir, können wir, müssen wir sein?

Die Grundlinie der streikenden Studierenden war klar: Nicht nur zeigen, dass die Pläne zur Umstrukturierung und Kürzungen an den Hochschulen auf Missfallen stoßen, sondern sie verhindern. Am Anfang standen ganz persönliche Bedürfnisse der aktiven Studierenden, die sich in einem sogenannten Streikkomitee organisiert hatten. Inhaltlich beschränkte sich die Zielsetzung der Mehrheit auf Hochschulpolitisches. Wer mit der Analyse der Verhältnisse etwas weiter ging, merkte jedoch, dass es einen grundlegenden Zusammenhang mit anderen Politikfeldern gibt. Fraglich bleibt, ob das bei allen angekommen ist. Bei dem Einen oder der Anderen scheint die Reflektion über den „konstruktiven“ Streik allerdings den Anstoß zu radikalerer Kritik gegeben zu haben.

Zu Beginn beschränkten sich die Inhalte des Protestes auf Slogans wie: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ Trotz relativ wenigen aktiven Leuten verlief er aber durchaus erfolgreich. Die Kreativität der Studierenden dominierte den öffentlichen Raum. Nach einigen Wochen Aktionismus sah das Ganze schon anders aus. Mehr und mehr blieben die Leute aus, die wenigen, die noch versuchten, etwas auf die Beine zu stellen, gingen auf dem Zahnfleisch. Die große Frage war nun: Woran lag‘s? Wenig verwunderlich, dass viele die Schuld nicht bei sich suchen wollten, selbst war man ja schließlich ordentlich dabei gewesen. Die anderen, die nicht mitmachten, waren also schuld und damit hatte es sich. Von inhaltlichen Fehlern war dagegen wenig zu hören, obwohl Unsicherheiten hierbei überall anzutreffen waren. Parallel war im Streikkomitee zu beobachten: Veranstaltungen und Flugblätter wurden als vollkommen ausreichendes Mittel gesehen, um an Nichtstreikende heranzutreten.

Die Verbindung von eigenen inhaltlichen Unsicherheiten und dem Ausbleiben weiterer MitstreiterInnen liegt auf der Hand: Wer nicht in der Lage ist, Ahnungslosen konkrete Hintergründe zu vermitteln, soll sich nicht wundern, wenn sich diese dann nicht interessieren. Woher kamen also diese Unsicherheiten? Möglicherweise war die große Hürde die gebetsmühlenartig zu vernehmende Vorgabe, „realistisch“ oder „konstruktiv“ bleiben zu müssen. Verbaute man sich dadurch doch den Weg zu jeder weitergehenden Kritik an den Verhältnissen, gegen die man sich doch zur Wehr setzen wollte.

„Realistisch“ hieß hier, sich von „Utopien“ fernzuhalten, sich allem zu verweigern, was die herrschende Politik radikal hinterfragen könnte. „Konstruktiv“ bedeutete, mit seinen Forderungen im Rahmen des „Machbaren“ zu bleiben, auf die Politik zuzugehen. Vielleicht sollte mensch sich klarmachen, dass das politisch Mögliche im Wesentlichen von Parteiprogrammen bestimmt wird: Von der PDS über Rot/Grün bis zur NPD, alles ist wählbar. Forderungen, die über Vorstellungen einzelner Parteien hinaus- oder an ihnen vorbeigehen, sind schlichtweg unmöglich. Für die aktuelle Kürzungsorgie ist aber keine bestimmte Regierung verantwortlich, sie findet überall statt – ob Rot/Rot in Berlin regiert oder Schwarz in Sachsen. Ist es nicht gerade utopisch, mit „realistischen“ Forderungen an die Regierenden heranzutreten? Ist es nicht vielmehr realistisch, den Zusammenhang zum um sich greifenden Sozialabbau herzustellen und solidarisch mit den anderen Betroffenen dagegen zu kämpfen?

Bleibt die Frage, warum diese Politik betrieben wird. Offizielle Begründung: Die desolate wirtschaftliche Lage sei schuld. Jetzt müsse überall gekürzt werden, nicht nur an den Unis, sondern an allen sozialen Leistungen und Einrichtungen. Die längst laufende Sparpolitik betrifft also alle, nicht nur die Studierenden. Auch Teile des Streikkomitees waren sich der offensichtlichen Verbindung zwischen Bildungs- und Sozialabbau nach drei Wochen Streik bewusst: so wurde von der Vollversammlung am 29.1. etwa der Stopp der neoliberalen Entwicklung von Bildungs- und Sozialpolitik gefordert und die Agenda 2010 abgelehnt. Spätestens jetzt ist mit „konstruktiv“ nichts mehr anzufangen.

Wenn von offizieller Seite die schlechte Wirtschaftslage als Rechtfertigung für politische Entscheidungen genannt wird, ist das gar nicht mal so falsch. Politik ist Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände. Besser wird sie dadurch nicht, im Gegenteil – stimmt etwas in einer Gesellschaft nicht, kann es auch mit der von ihr abhängigen Politik nicht weit her sein. Zu kritisieren ist gerade das, was das Streikkomitee inhaltlich derart in die Ecke treibt: diese Verhältnisse! Es sollte eigentlich nicht schwer sein, das zu begreifen, scheint es aber. Zum Ausdruck kam dies in den Protesten selten. Zu sehr zielten Aktionen auf Verständnis hin, zu sehr waren sie vom Wunsch geprägt, von den Verantwortlichen „angehört“ zu werden. Nochmal: die Politik hört nur, was sie hören will – das, was „realistisch“ ist, sich also im von ihr gesteckten Rahmen abspielt.

Und genau deshalb ist es wichtig, eine grundsätzliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen und ihrer Politik zu formulieren, um durch öffentlichen Druck eine breite Auseinandersetzung mit den hier aufgeworfenen Fragen zu erzwingen. Wie sonst kann etwas erreicht werden?

fi & freunde

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