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Alles UNO! … oder was?

Nun findet statt, wogegen Millionen von Menschen weltweit protestierten und protestieren: die Invasion des Irak durch die Streitkräfte der USA und mit ihr verbündeter Staaten. Unter den KriegsgegnerInnen hierzulande wird der Ruf nach der UNO laut.

Gruppen wie attac blockieren US-Stützpunkte und die Bundesregierung wird aufgefordert, den US-Streitkräften die Überflug rechte zu entziehen und die Bundeswehrsoldaten aus den AWACS-Maschinen zurückzuziehen. Warum der Ruf nach der UNO? Ist sie tatsächlich der Garant für ein friedliches Zusammenleben.

Die USA sind der einzige Staat in dieser Welt, der Kraft seiner wirtschaftlichen und militärischen Stärke in der Lage ist, Willen der „Weltgemeinschaft“ gegen irgendein anderes Land Krieg zu führen. Das, was manchen am derzeitigen Krieg im Irak erschrecken mag, ist der Umstand, dass die USA eben jenes tun. Mehr noch: nach dem Anschlag vom 11. September hat der Präsident der USA einen neuen Krieg ausgerufen, der die Welt neu und demokratisch ordnen soll. Diese Politik wirft nicht nur die Frage auf, welches Land denn das Nächste sei, sondern führt auch zur Angst darüber, dass dieser Krieg mit unabsehbaren Folgen eskalieren könnte. Viele KriegsgegnerInnen sind durchaus der Meinung, dass man etwas gegen die irakische Regierung tun müsste. In der Hoffnung auf eine Art Weltstaat, dessen Ansätze in der UNO lägen, richtet sich der Protest gegen den Alleingang der Vereinigten Staaten.

Auf der anderen Seite ist vielen Menschen bewusst, dass Demokratie als Ziel hauptsächlich der Rechtfertigung des Krieges dient. Es geht in Wirklichkeit um etwas Anderes. Das irakische Öl spielt dabei eine Rolle und die allgemeine weltweite Krise. Im (Welt-)Staat wird oft eine Institution gesehen, die ökonomische Interessen demokratisch im Zaum hält und verschiedene Interessen im Gemeinsinn ausgleicht.

Die UNO und insbesondere der UN-Sicherheitsrat ist selbst Schauplatz eines Kampfes. Im Kalten Krieg war es der Platz an dem die fünf konkurrierenden Atom-und Vetomächte USA, SU, Großbritannien, Frankreich und China offiziell miteinander sprachen und ein Teil des Kalten Kriegsschauplatzes selbst. Aber lieber einmal mehr geredet, und sei es noch so großer Mist, als einmal Atombomben geworfen. Nach Ende des Kalten Krieges sind es vor allem die militärisch weniger potenten Staaten der zweiten Reihe, die in den internationalen Organisationen wie der UNO ein Mittel sehen, ihre Interessen gegen den derzeit vorherrschenden Staat – die Vereinigten Staaten – zu behaupten. Ganz vorn in der zweiten Reihe steht die Bundesrepublik. Neben Frankreich, Russland und China. Die Bundesrepublik ist dabei noch am wenigsten in der Lage eigenständig militärisch offensiv zu werden. Die Bundeswehr ist noch auf einen Krieg in Mitteleuropa ausgelegt und nicht auf weltweite ,,Krisenreaktion“. Zu viele Panzer, zu wenige weitreichende Transport- und Kommunikationsmittel. Die Europäische Union versetzt deren Staaten nicht nur in die Lage, gemeinsam gegen die Vereinigten Staaten konkurrenzfähig zu sein, sondern auch die aus dieser Not geborene Staatengemeinschaft als diplomatisches und politisches Pfund zu gebrauchen. Das Gemeinschaftliche der EU wird gegen den Alleingang der USA gesetzt.

Klar, sind weder die französische noch die Bundesrepublik in der Lage einen Krieg gegen den Irak zu führen. Zumindest nicht mit Aussicht auf Erfolg. Die Bundesrepublik versucht der USA vor allem diplomatisch die Flügel zu stutzen und benutzt dabei die Politik der staatlichen Gemeinschaftlichkeit. Beispiele dafür sind nicht nur die UNO, sondern auch der internationale Gerichtshof oder das Kyoto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgase [1].

Der Krieg gegen den Irak ist nicht nur Resultat des Anspruches der Vereinigten Staaten auf weltweite Vorherrschaft, sondern auch des Kampfes der Bundesrepublik gegen diese Vorherrschaft und für die Stärkung der eigenen Rolle im Weltgeschehen. Das die Methode der Bundesrepublik nicht die der Vereinigten Staaten ist, liegt vorrangig in den verschiedenen Möglichkeiten beider Staaten. Das Anliegen der Politik der Bundesrepublik in der UNO war vordergründig nicht eine Verhinderung des Irakkrieges, vielmehr eine Schwächung der Position der Vereinigten Staaten. Der Krieg gegen den Irak sollte insofern verhindert werden, als das er den Einfluss der Bundesrepublik auf den Irak zurückdrängt und den der Vereinigten Staaten stärkt. Dennoch ist Schröders Politik aufgegangen. Zur Bundestagswahl hat er mit seinem ,,Nein zum Krieg gegen den Irak“ noch wie ein Rufer in der Wüste dagestanden und bekam von allen Seiten vorgehalten er würde „Deutschland weltpolitisch isolieren“. Inzwischen zeigt sich, dass sein Angriff auf die „Weltmacht USA“ Früchte trägt und eher die US-Administration als die Bundesregierung politisch isoliert dasteht. Vor dem Beginn der Invasion entstand eine Situation, in der die US-Regierung gezwungen war, sich entweder Kraft ihrer Stärke über den UN-Sicherheitsrat hinwegzusetzen, oder vor der UNO – sprich Bundesrepublik, Frankreich und Russland – zurückzutreten und den Krieg abzublasen. Diese drei Staaten sicherten bisher ihren Einfluss im Irak eher durch Geschäftsbeziehungen, weniger durch militärische Gewalt.

Der Ruf nach der UNO ist eine Stärkung der Politik der Bundesregierung und kein Weg zum Frieden. Die Frage ob die Welt mit einer Vorherrschaft eines Staates besser bedient sei oder mit mehreren Staaten, die sich in gegenseitiger Konkurrenz die Waage halten, ist nicht die Frage zwischen Krieg und Frieden. Wenn die weltweiten Proteste ein Ausdruck davon sind, die Entscheidung über Art und Weise des weltweiten Zusammenlebens den Staatsmännern aus der Hand zunehmen, so bedeutet der Ruf nach der UNO die Frage von Krieg und Frieden eben jenen Staatsmännern wieder in die Hand zu geben. Der Protest gegen einen einzelnen Staat – die USA – ist eine Parteinahme für einen anderen Staat – die Bundesrepublik.

Mit der Auseinandersetzung auf dem diplomatischen Parkett, geht das Ausheben von nationalen Gräben einher. Auffällig ist, das mit Beginn der Invasion die wichtigsten Regierungen zunächst Unterstützung für ihre Politik hatten: in den USA, in GB, Frankreich und der BRD. Das die Stimmung in den USA und GB umgeschlagen ist, mag auch damit zusammenhängen, dass die Soldaten die im Irak kämpfen gerade Freunde und Verwandte derjenigen sind, die gegen den Krieg sind. Neben den „zivilen“ Opfern des Krieges sind es auch die eigenen gefallenen Freunde und Verwandten, die Motiv für die Ablehnung des Krieges ist. Es sind eben nicht die Staatsmänner, die in den Krieg ziehen. Es ist in der überwiegenden Mehrheit das Proletariat das im Krieg sowohl als Soldat als auch als Zivilbevölkerung stirbt Eine Armee von Namenlosen, bloße Statisten auf der Bühne der Weltpolitik Auf einen toten Hussein kommen tausende tote Namenlose. Das Proletariat verliert jeden Krieg. Nationen, Staaten oder was auch immer, mögen Kriege gewinnen können.

Jede Parteinahme für eine Nation – welche ist gleichgültig – führt früher oder später zu Befürwortung für Mord und Krieg. Es ist verhängnisvoll, Kampf gegen den Krieg als Politik gegen die USA zu verstehen. Es ist dazu gekommen, dass die Vereinigten Staaten im Quasi-Alleingang den Irak angreifen und dieser Angriff vielerorts als nationaler Akt – als Angriff der bornierten Amerikaner auf die arabische Nation – gesehen wird und nicht als Resultat der (welt)gesellschaftlichen Entwicklung, die auch die ökonomische Krise und die Konkurrenz der Staaten um ihren Einfluss umfasst. Der Protest in einigen arabischen Staaten richtet sich gegen die „amerikanische Invasion“ und die eigene Regierung, die die Politik der Vereinigten Staaten stillschweigend stützt, gleichermaßen. Was ist, wenn die Auseinandersetzungen eskalieren und zum Beispiel die iranische oder saudiarabische Regierung stürzt und eine fundamentalistische Regierung entsteht? Oder der Konflikt zwischen Syrien und den Vereinigten Staaten eskaliert? Die USA werfen Syrien Waffenlieferungen an den Irak vor. Wenn ein weiterer arabischer Staat in den Krieg gezogen wird, könnte das zu weiteren Kriegserklärungen arabischer Staaten an die USA und an Israel führen. Wie verhält sich dann die EU? Wie Russland und China?

Der „Feind“ ist nicht die andere Nation. Nicht die Araber/Moslems, Juden, Deutschen oder Amerikaner. Das arabische Nationalgefühl ist ein Spiegelbild des amerikanischen, deutschen, französischen, jüdischen/israelischen etc. pp. Das jeweilige Nationalgefühl ist eine konkrete Erscheinungsform ein und derselben Sache. Nicht eine bestimmte Nation ist das Problem, sondern Nationen an sich. Denn mögen die Staatsmänner, Generäle oder Wirtschaftsbosse auch die Verantwortung tragen, die Folgen trägt in jedem Fall das Proletariat. Wenn in Basra nach der Bombardierung eines Kraftwerkes tausende Namenlose keine Wasser hatten, so hatte Saddam Hussein bestimmt welches.

Was dabei an öffentlichen Diskussionen produziert wird ist grauenerregend. US-Außenminister Powell spricht vom „old europe“, was von den Grünen positiv aufgegriffen wird. Ja genau: der Irakkrieg findet im Spannungsfeld EU-USA statt Aber was soll toll daran sein, dabei „mitzuspielen“? Es wird (z.B. Deutschlandfunk) von der „eurasischen Friedensachse“ gesprochen. Alle meine Erinnerungen an politische „Achsen“ in der Geschichte, sind mit Millionen Toten verbunden. Währenddessen wird erstaunlich Kritisches über die USA produziert Über Methoden des CIA, über Euthanasie und was sonst noch für Schweinereien. Ist ja nett, dass man so etwas mal erfährt, aber geht es dabei nicht darum das „Ansehen der USA“ zu beschädigen? Dem Handeln der US-Regierung wird so auf breiterer Basis die Legitimation entzogen. Dies geschieht freilich nicht deshalb, weil Staaten als solches infrage gestellt werden soll, sondern um das Handeln einer anderen Regierung – der Bundesregierung – zu legitimieren. Solche Berichte, Meldungen und Reportagen jetzt zu bringen, bedeutet ideologisches, nationales Grabenausheben. Auch der Devotionalienhandel fängt an zu blühen. Während hier CDs mit religiösem Singsang vertrieben werden, um für die Soldaten und Kampferfolg zu beten, werden dort Regenbogen-Friedensfahnen angeboten. Die unterschiedlichen Positionen die die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten in dieser Auseinandersetzung einnehmen, spiegelt sich auch in der Presse wieder. In der Bundesrepublik vermittelt die Presse den Eindruck besonders kritisch und demokratisch über den Irakkrieg zu berichten, während auf der anderen Seite auf eine regierungsfreundliche Presse geachtet wird.

Wenn der Protest gegen den Irakkrieg ein Protest gegen Krieg überhaupt sein soll, dann muss er sich auch gegen die Politik der „eigenen“ Regierung richten. Denn der Irakkrieg ist, wie jeder andere Krieg, an dem die Bundesrepublik beteiligt war, nicht die Tat einer einzelnen durchgesetzten Macht, sondern ein Ergebnis der Konkurrenz um die Vorherrschaft in der Welt, sei es mit ökonomischen, militärischen oder mit diplomatischen Mitteln. Wobei die Diplomatie sich letztlich auf das Militär stützt und eine starke Armee nicht ohne die entsprechende Wirtschaftskraft zu haben ist. Nach den Erfahrungen im Vorfeld und zu Beginn des Irakkrieges, hat die Bundesregierung angekündigt, dass „im Angesicht der gewachsenen Aufgaben der Bundeswehr“ der Militäretat mittelfristig erhöht werden soll. Im übrigen hat man inzwischen auch das Galileo-Projekt, die europäische Variante zum GPS-System, weiter vorangetrieben. Wenn das System einmal funktioniert, können die europäischen Staaten z.B. satellitengesteuerte Waffen einsetzen oder auf der ganzen Welt Kampftruppen einsetzen ohne auf die GPS-Satelliten der USA angewiesen zu sein.

Die Kriegsgefahr liegt nicht bei einem einzelnen Staat. Jede Parteinahme oder Antiparteinahme für eine Nation, Religion oder was sonst, ist letztlich eine Parteinahme für irgendeinen Staat und für irgendeine Kapitalfraktion. Keine Parteinahme verringert eine Kriegsgefahr, im Gegenteil. Sie führt nur dazu, das man um einer guten Sache Willen andere Menschen ermordet. Als Vertreter oder im Namen der einen Nation/Religion den Vertreter einer anderen Nation/Religion. Wenn man einen Christen fragt, was er denn für sich unter „Christ sein“ versteht, so wird man sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Je nachdem, an wen man gerät. Einige Antworten weiden einander widersprechen. Dasselbe wird bei Muslimen oder Juden passieren. Es sind nicht „die Juden“, die den Antisemitismus provozieren, es sind die Antisemiten, die „die Juden" schaffen, die sagen, wie „die Juden“ seien, was im „jüdischen“ läge. Es sind Antisemiten, die sagen, wie „die Moslems“ sein, was im „muslimischen“ läge.

Bleibt die Frage, wer denn die Diktatur im Irak beseitigen soll. Wie heißt es so schön? „Es rettet uns kein höheres Wesen. Kein Gott, kein Kanzler noch General. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selbst tun.“ Aber unser Blick ist eben nicht auf die Menschen im Irak und auf die Proletarier weltweit gerichtet. Wir schauen auf Präsidenten, Kanzler, Generäle. Dies sind für uns die Handelnden. Der Rest ist in den Augen des mediengewöhnten Menschen nichts als Masse. Opfer. Passiv. Hilfsbedürftig. Und wir sind selbst ein Teil dieser Masse. Es sind die Gedanken von Präsidenten, Kanzlern und Generäle, die wir jeden Tag aufgetischt bekommen, ihre Politik, ihre Strategie, ihre Notwendigkeiten, ihre Moral. In ihren Augen sind wir nur Fähnchen auf einer Landkarte, Prozentzahlen bei einer Wahl, eine Rechengröße. Und darin unterscheiden sich die Leute im Irak in nichts von den Leuten in Tschetschenien, der Bundesrepublik, den Vereinigten Staaten oder irgendwo in Afrika. Die Proleten der Welt sind Fähnchen in den Augen derselben Leute.

Kein Krieg. Kein Gott. Kein Vaterland.

v.sc.d

(1) durch die 68er Bewegung entstand in der Bundesrepublik frühzeitig „Ökokapital“ das sich über die Produktion von „Umweltschutz“waren vermehrt.

Krieg

Krieg und der Alkohol

Im Rahmen umfassender Studien geht ein Feierabend!-Redakteur der Frage nach, was Krieg und Alkohol gemeinsam haben.

Kriege waren in der Geschichte eher die Regel als die Ausnahme. Frieden wurde als „Nicht-Krieg“ erklärt. Das ist noch heute so. Oft am Rande eines dritten Weltkrieges, führte die Atomwaffenrüstung der NATO und des Warschauer Vertrages zu einem Abschreckungsfrieden und dazu, dass die meisten Leser/innen dieses Artikels nie einen Krieg erlebt haben. Dieser Frieden bestand aber keineswegs überall. Im Gegenteil. Auch in der „Nachkriegsperiode“ (des zweiten Weltkrieges) wurden zahlreiche Kriege geführt. In der Regel hat man gar keinen Überblick wo derzeit überall Krieg herrscht. Derzeit erleben wir die Vorbereitungsphase der Invasion des Irak durch die USA und Verbündete.

Das zumindest eine Bedingung für die derzeitige Weltpolitik das Erdöl ist, kann heute niemand ernsthaft in Frage stellen. Aufschlussreich ist etwa die Prognose der „Wirtschaftsweisen“ für das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik. Die besagt etwa 1% Wirtschaftswachstum für das Jahr 2003, falls es keinen Krieg im Irak gibt. Denn ein Irakkrieg würde den Ölpreis weiter hochtreiben und das Wachstum weiter verringern. Dabei ist schon 1% Wachstum im Grunde Stagnation. Im übrigen neigen sich die Ölreserven merklich zur Neige. 40 Jahre soll das Erdöl bei derzeitigen Verbrauch noch reichen. Die zehn umsatzstärksten Unternehmen der Welt sind, mal abgesehen von Wal-Mart, Auto- und Ölproduzenten. In der Bundesrepublik stehen DaimlerChrysler und Volkswagen auf den ersten beiden Plätzen. Die Erschöpfung der Ölreserven wird zwangsläufig zu – vorsichtig ausgedrückt – ernsthaften Problemen führen.

Eine weitere Bedingung ist eine allgemeine Krise. Warum die Wirtschaft ständig weiter wachsen muss, fragt niemand. Dass dies so sein muss scheint so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche. Andererseits führt dies nicht dazu, dass mit wachsender Produktmenge das Elend weniger wird. Gerade die nicht mehr zu verkaufende Warenmasse führt zu Stagnation und zu sinkendem Anteil der Arbeiter/ innen an dieser Masse (ihren eigenem Produkt!) aufgrund von Lohnkürzungen, Arbeitslosigkeiten, prekären Jobs, etc.

Wenn die Wirtschaft nicht weiter wächst, gerät das Kapitalverhältnis und mit ihm die auf dem Kapitalverhältnis beruhende Gesellschaft in die Krise. Das Kapitalverhältnis fußt auf der ständigen Ausweitung der Produktion und damit der Produktmasse. Es müssen also auch ständig neue Quellen und Märkte erschlossen werden. Das führte unter anderem im letzten Jahrhundert (dem 20.) zu einer Demokratisierung für Weltbankkreditpolitik. Mit Demokratisierung war aber nur gemeint, dass sich das jeweilige Land der Weltwirtschaft anschließen soll. Also Märkte öffnen, Im- und Export ermöglichen, Ressourcen dem Weltmarkt zugänglich machen. Das führte in der Regel zu einer Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen.

Das Kapital tritt nur im Abstrakten als allgemeines Weltkapital zutage. Wirtschaftswachstum (= Kapitalwachstum) ist eine regionale, nationale Sache. Es gibt eine ständige Konkurrenz zwischen den verschiedenen Einzelkapitalen. Der Nationalstaat schafft für den in seinem Einflussbereich stattfindenden Kapitalprozess relativ einheitliche Bedingungen. Das sind z.B. Schulausbildung, Straßen / Schienen / Leitungen, also Infrastruktur, Gesetze die die jeweiligen Aktivitäten regeln, eine einheitliche Sprache (die Amtssprache), Festlegungen über Arbeitszeiten / Ladenöffnungszeiten / Feiertage / Rente, Steuern und Subventionen, Handelsabkommen, Beherrschung anderer Länder und Regionen etc. Neben den Interessen als Weltkapital oder Interessen innerhalb der Branche etc., hat Kapital auch immer ein Interesse als nationales Kapital. Dieses beruht auf der polizeilichen/militärischen Gewalt, mit der der jeweilige Staat günstige Bedingungen für das eigene Kapital (und damit für das Wirtschaftswachstum) schafft und sichert.

Die USA wollen die Regierung Hussein stürzen. Das ist ihr erklärtes Ziel. Wenn die USA im Irak eine ihr wohlgesonnene Regierung etabliert, verbessert sich ihre Kontrolle über das Öl der Region zu Ungunsten etwa der EU. Wenn sich G. Schröder hinstellt und sagt, die Bundesrepublik beteilige sich nicht an einer Invasion im Irak, so bewährt er sich auch als europäischer Politiker. Der Umstand, dass er dies gerade im Wahlkampf geäußert hat, ändert daran nichts grundsätzlich. Es kommt dadurch hinzu, dass er bei Kriegsgegner/innen und Leuten mit antiamerikanischen Positionen auf Stimmenfang gegangen ist. Es ist falsch die USA einseitig als Kriegstreiber anzusehen. Die USA unterscheidet sich derzeit von allen anderen Ländern dadurch, dass sie die größte Kapitalmasse beherbergt, deshalb technologisch mit führend ist und die größte militärische Stärke hat und die Fähigkeit weltweit militärisch agieren zu können. Der Versuch, diese Führungsrolle in der derzeitigen Krise auszunutzen, zu sichern und auszuspielen, macht die (Regierung der) USA derzeit so aggressiv.

Die Bundesrepublik und die anderen EU-Staaten versuchen nichts anderes, nur sind insbesondere ihre militärischen Fähigkeiten bei weitem nicht so groß wie die der USA. Die Einführung des Euro ist gleichzeitig ein Versuch die Bedingungen für das Kapital innerhalb von Europa zu verbessern, als auch eine Attacke gegen die Vorherrschaft des Dollars als Weltwährung. Dies sind zwei Momente ein- und desselben Vorgangs. In dem Kampf um die Kontrolle der Ölreserven und dem Doppelcharakter der Euroeinführung zeigt sich exemplarisch die Konkurrenz zwischen den „nationalen“ Kapitalen, hier dem europäischen und US-amerikanischen.

Die offizielle Begründung, die für die Notwendigkeit einer Invasion angegeben wird, lautet, dass Hussein mit Massenvernichtungswaffen die Welt bedroht. Das Ziel sei somit Sturz des Regimes Hussein und die Errichtung einer demokratischen Regierung im Irak. Doch wie sieht es denn mit der Entwicklung der Demokratie aus, seit der ,,Krieg gegen den Terror“ begonnen hat? Der 11.09.01 markiert den Anfang vom Ende, von dem, was gemeinhin unter Demokratie verstanden wird. Ein Mittel dazu ist die offizielle Einführung einer Art „Untermensch“, genannt Terrorist oder manchmal auch Barbar. Dieser „Untermensch“ verkörpert das Böse schlechthin, für dessen Bekämpfung jedes Mittel Recht ist. Es gibt dabei keinerlei Halt: weder vor Folter, noch vor Massenexekutionen oder vor Bombardierung von Wohngebieten und auch nicht vor dem offenen Drohen mit Atomwaffen. Es wird Giftgas eingesetzt und keinerlei Rücksicht auf Zivilisten oder Unbeteiligte genommen. Sicherheitsgesetze spülen all das weg, was aus der Erfahrung des zweiten Weltkrieges an Schranken z.B. in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Auch in Großbritannien können beispielsweise laut Antiterrorgesetz alle Ausländer, die des Terrorismus verdächtig sind, ohne richterliche Zustimmung unbegrenzt festgehalten werden. Den Beschuldigten muss der konkrete Grund ihrer Festnahme nicht genannt werden. Wie der Sydney Morning Herald vom 18.12.02 berichtet, mussten sich in den USA zehntausende arabische oder muslimische Männer über 16 Jahren (mit Aufenthaltsgenehmigung o.ä.) registrieren lassen und einer Art erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen, also Foto, Fingerabdrücke etc. Ansonsten drohte ihnen der Landesverweis. Überall auf der Welt wird und unter dem Deckmantel Terrorbekämpfung gemordet. Tschetschenien sei hier nur als ein Beispiel genannt.

Nun zieht die „böse“ USA gegen den Irak. Und das „gute“ Deutschland ist nicht dabei? Verbietet das. Grundgesetz nicht Angriffskriege? In der Tat. Das tut es. Doch das Grundgesetz ist im Zweifelsfall nicht das Papier wert auf dem es steht. Es beginnt schon bei Artikel 1. Laut Bundespräsident ist mit Schutz der Menschenwürde ein aktiver gemeint, der für alle Menschen gilt. Doch wer sich je mit der Asylpraxis in der Bundesrepublik befasst hat weiß, dass die Würde von Migrant/innen von staatlicher Seite aktiv mit Füssen getreten wird. Es passiert also das genaue Gegenteil von dem, was in Artikel 1.GG gefordert wird. Begründet wird das damit, dass es Asylsuchende in Deutschland nicht zu bequem haben sollen um nicht noch mehr anzulocken. Damit aus dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien ein (tja was eigentlich?) humanitärer Einsatz wurde, bemühten Fischer und Co. ausgerechnet den systematischen Mord an sechs Millionen Menschen als Juden im Nationalsozialismus (Bild: „Sie treiben sie ins KZ“). Es wäre keinerlei Problem, ein ähnliches Konstrukt für den Irak zurechtzubasteln. Herr Schröder müsste sich dazu nur Bushs Ansicht von der „Achse des Bösen“ anschließen. Oder anders gesagt: Ob die Bundesrepublik Krieg führt oder nicht, hängt mitnichten davon ab, was im Grundgesetz steht. Auch hatte die Bundesrepublik nie Probleme Asylsuchende abzuschieben. Ob das Zielland als „Diktatur“ oder „Demokratie“ gilt, spielte und spielt dabei nie eine vordergründige Rolle. Oft genug führte der Weg der Abgeschobenen vom „Heimatflughafen“ direkt in die Folterkammer. Nein, Demokratie ist kein Kriegsziel. Nicht in Jugoslawien, nicht in Tschetschenien, nicht in Afghanistan, nicht im Irak und auch nicht auf irgendeinem anderen Kriegsschauplatz auf dieser Welt.

Apropos. Die Erfolgsmeldungen aus Afghanistan sind schnell verstummt. Noch Monate nachdem der Eindruck erzeugt worden war, der Krieg sei im großen und ganzen beendet, waren vereinzelt Meldungen zu hören, dass Spezialeinheiten eine neue Offensive in Afghanistan vorbereiten. Die Jubelbilder aus Kabul können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch durch den jüngsten Afghanistan-Krieg die Situation im Land nicht grundlegend geändert hat. Während in Kabul einmal mehr die „Regierung“ gewechselt hat, ist der Rest des Landes weiterhin durch den Konflikt lokaler Gruppen bestimmt. Im Grunde wird in Afghanistan seit 1980 Krieg geführt. In dieser Zeit ist über Kabul mehr Sprengstoff niedergegangen als über Dresden im zweiten Weltkrieg. Die jüngsten Bomben der USA noch gar nicht mitgerechnet. Millionen von Menschen sind auf der Flucht, Millionen von Minen sind über das Land verstreut. Doch all dies lässt sich nur aufzählen und ist für die meisten Menschen hier kaum nachvollziehbar.

Unterdessen bietet sich ein ungeheures Schauspiel an Doppelzüngigkeit in der offiziellen Weltpolitik. Die UN-Waffeninspekteure bilden kaum mehr als ein Feigenblatt um die offene Kriegsabsicht gegen den Irak zu verbergen. Die USA wollen die Invasion, gleichgültig was für Waffen der Irak besitzt. Doch je kleiner das Feigenblatt, desto stärker das Interesse daran. Journalisten und Politiker verweisen mit großer Hingabe auf die Waffeninspektionen und reden davon, dass alles noch offen sei. Aber die Taten sprechen eine ganz andere Sprache. Denn im Grunde hat der Krieg gegen den Irak bereits begonnen. Ein Krieg beginnt nicht mit massiven Luftangriffen, sondern mit dem verdeckten Kampfeinsatz von Diversions- und Aufklärungstruppen. Und der ist bereits im Gange. Die Propaganda gewinnt dadurch Qualität, dass sie von Leuten gemacht wird die offenbar selbst daran glauben. Die Rede ist besonders von den Parlamentariern von B’90/Grünen. Das ist schon Meisterleistung. Man nehme beispielsweise den Einsatz von Urangeschossen im Jugoslawien-Krieg. Die Diskussion darüber endete damit, dass man sich Gedanken über amerikanische Übungsplätze in der BRD machte. Der Kosovo war vergessen. Doch im Ablenken sind Presse und Bundestag Meister. Man denke auch an das elende Gezerre um UN-Mandate, Angriffs- oder Verteidigungswaffen, Kriegs„verbrechen“, Menschenrechte. In dem immer wieder große Aufmerksamkeit auf Dinge gelegt wird, die mit dem wirklichen Geschehen wenig zu tun haben. Dabei wird gerade von jenem Geschehen abgelenkt und jedem/r ein paar Argumente geliefert, mit denen man sich beruhigen kann. Schätzungen gehen von hunderttausenden Toten im Falle einer Irak-Invasion aus. Müßig ist es zu erwähnen, dass es vor allem diejenigen am stärksten treffen wird, die zur „einfachen“ Bevölkerung gehören. Deren Möglichkeiten sich zu schützen, zu fliehen oder was auch immer sind am geringsten. Es handelt sich dabei keinesfalls um Kollateralschäden. Denn dies würde unterstellen, dass die Bombardierung von Wohngebieten gewissermaßen aus versehen geschieht. All denjenigen, die daran glauben, sei gesagt: „Aufwachen! Es gibt keinen Weihnachtsmann!“ Aber mit Krieg scheint es so zu sein, wie mit dem Alkohol. Das „Nie wieder!“ überdauert den Kater danach nicht.

v.sc.d

PolitMix

Zum antideutschen Kommunismus

Nicht nur für Marxisten-Leninisten, sondern für jeden vernünftig denkenden Menschen ist es unverständlich, wie man die Verantwortung einzelner Personen oder Gruppen für feindliche Handlungen auf ganze Völker übertragen konnte, Frauen und Kinder, Alte, Kommunisten und Komsomolzen nicht ausgenommen, wie man ihnen gegenüber Massenrepressalien anwenden und sie Entbehrungen und Leid aussetzen konnte.“ (Chruschtschow über die Massenumsiedelungen unter Stalins Führung)

Am Tag X, dem Tag der Invasion der USA und ihrer Verbündeter in den Irak, provozierte in Leipzig eine Gruppe mit einem Transparent mit der Aufschrift: „Hinter dem Ruf nach Frieden verbergen sich die Mörder“ eine Friedensdemo. Diese Gruppe gehört zu Vertretern der sogenannten antideutschen Ideologie, einem reaktionären Zerfallsprodukt der Linken in der BRD. Sie setzt vor allem die elitären Tendenzen der sich zunehmend selbst in die Isolation treibenden Linken der 90er Jahre fort. Ideologische Grundlage ist der Philosemitismus, der Elemente des Antisemitismus, wie etwa die Sonderstellung der Juden, fortführt, jedoch in umgekehrter Form.

Wenn die Überhöhung der Juden und das Denken in Völkern Grundlage der meisten Leute ist, die sich selbst „antideutsch“ nennen, so richten sich die folgenden Bemerkungen gegen das Antideutschtum in seiner konsequent zugespitzten Form, wie sie etwa von der Redaktion der Berliner exlinken Bahamas-Zeitschrift vertreten werden. Das Motto des Transparentes geht auf eine Erklärung der Bahamas Redaktion zu den Anschlägen am 11.9.2001 in den USA zurück. In dieser Erklärung fordert die Bahamas Redaktion in einem argumentativen Dreischritt die philosemitisch motivierte Ermordung von Moslems:

1) „Der Islam ist Heidegger für Analphabeten …“

2) „Da letztlich niemand gezwungen werden kann, Moslem zu sein, sondern sich stets aufs neue dazu entscheiden muss …“

3) „US-amerikanische Militärschläge gegen islamische Zentren hätte jeder bis auf weiteres zu begrüßen … Sollte wirklich Afghanistan das erste Ziel eines US-Gegenschlages sein, wäre zu fordern, dass dieser so konsequent wie möglich erfolgt, … Dies scheint … nicht garantiert zu sein …“

Oder kurz gefasst: 1) Moslems sind Barbaren, 2) alle sind es und sie wollen es sein, 3) tötet sie. Die Leute, die den Friedensdemonstranten Antisemitismus unterstellen und sie Mörder nennen, sind selbst Philosemiten und fordern Mord.

Eine Methode der Antideutschen besteht darin, Anderen die eigene Position und Denkweise in ihrer umgekehrten Form zu unterstellen, das heißt ihren Gegenpol selbst zu konstruieren. F. Schandl hat in „Scharfe Schafe“ recht, wenn er behauptet, dass niemand Deutschland so sehr brauche wie die Antideutschen (ausgenommen die Nazis). Es zeigt sich:

Philosemitismus und Antisemitismus sind verschiedene Formen derselben Sache.

An der Sonderstellung der Juden geben die Antideutschen faktisch jede Position auf, die jemals als links galt und verkehren sie in ihr Gegenteil. „Links“ hat noch nie besonders viel bedeutet. Es gibt wohl kaum eine Aussage, die alle, die sich als „Links“ bezeichnen, gemeinsam tragen würden. Breite Unterstützung würde wohl die sehr allgemein und unverbindlich gehaltene Einsicht „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten“ finden, während die Umkehrung meist als „Rechts“ gelten würde. Doch gerade diese Umkehrung wird von den Antideutschen behauptet. Das völkische Denken, welches sie aller Welt unterstellen ist notwendiger Bestandteil ihrer eigenen Ideologie. Sie müssen in antisemitischer Tradition die Juden selbst in rassistischer Weise zum Volk machen. „Rassistisch“ meint hier, dass dem Jüdischen an sich Eigenschaften zugeschrieben werden. Während die Nazis in den Juden eine Art parasitäres Übel gesehen haben, sehen die Antideutschen in den Juden die Emanzipation aufscheinen. Juden können nicht „böse“ sein. Und wenn sie doch scheinbar Übles tun, dann um noch größeres Übel zu beseitigen, so die Antideutschen. Dies ist ihr – letztlich antisemitischer – Grundsatz. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren überraschte mich ein Connewitzer mit der Behauptung, israelische Soldaten würden nicht auf Zivilisten schießen (weil sie Juden sind). Der antideutsche Philosemitismus liegt hier darin, israelischen Soldaten diese Handlungsfreiheit abzusprechen und damit ein Teil ihrer Menschlichkeit. Eine Wahl die von vornherein entschieden ist, ist keine. Falls aber eine Wahl besteht (freier Wille, Willkür, die Kür des Willens), so sind Entscheidungen im Einzelnen nicht vorherzusehen und obige Behauptung haltlos, gleichgültig wie der Einsatz der israelischen Armee selbst einzuschätzen ist. Die Ideologie des Antideutschtums unterwirft alle anderen Aspekte des gesellschaftlichen Seins der Frage Jude oder nicht Jude, oder allgemeiner, der Frage der Volks- bzw. Religionszugehörigkeit, die den entscheidenden Faktor menschlichen Daseins ausmachen soll. Das sind Ansichten von Rechten und religiösen Fanatikern.

Die antideutsche Ideologie bekennt sich offen zum bürgerlichen Staat und seiner Exekutive. Das ehemalige „Bündnis gegen Rechts“ wandte sich vor Jahren aus einer antistaatlichen Haltung heraus gegen Hausarreste von Nazis anlässlich von „Hesstagen“ und setzte vielmehr auf eine antifaschistische Gegenmobilisierung. Die heutigen Antideutschen haben keinerlei Bedenken die US-Armee zum Vollstrecker ihres Willens zu erklären. Alle Kritik, die an Militär- und Zwangsdiensten oder am Rassismus innerhalb der Armee bestanden hat, und das Leben hunderter GI’s werden auf dem Altar des Philosemitismus geopfert. Die Antideutschen haben gegenüber den ehemaligen autonomen Antifaschisten, Hausbesetzern etc. einen anderen Standpunkt eingenommen, von dem sie auf die Welt schauen. Bevorzug(t)en die Autonomen die direkte Aktion von Unten, so befinden sich die Antideutschen auf einer Augenhöhe mit Staatsmännern, Generälen, etc. Damit verbunden ist die Akzeptanz von Kalkülen, wie das des „Kollateralschadens“, oder Folter. Der Großteil der Menschen verschwimmt aus der politischen Vogelperspektive zur grauen Masse, in der Einzelne nicht mehr zählen. Sichtbar bleiben nur diejenigen, die von den Medien tagtäglich in Szene gesetzt werden, die Staatenlenker. Die Antideutschen sind keine Gegner der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre politische Praxis verhöhnt ihren verbalen Antikapitalismus.

Zionismus ist Nationalismus

Ein Irrtum, dem Linke in Leipzig unterlagen, liegt in der Rolle des Antinationalismus. Mit dem Übergang von Antinationalismus zum Antideutschtum haben die Antideutschen ihre Position zugespitzt. Sie haben sich jedoch von der antinationalen Position, die sich gegen Nation an sich und jeder Form wendet, abgewandt und sind zum Nationalismus zurückgekehrt. Wie es scheint, nur in seiner negativen Form. Doch das ist falsch. Die Antideutschen bekennen sich positiv zum Nationalismus und zwar zum Zionismus. Sie haben das Tragen von Nationalflaggen eingeführt und sie sind insbesondere diejenigen aus der ehemaligen Leipziger linken Szene, die eindeutig nationale Symbole tragen. Letztlich war die autonome Vorstellung der antinationalen Haltung unklar und diffus, wenn sich aus ihr heraus wieder Nationalismus entwickeln konnte.

Solidarität mit Israel heißt nicht, Solidarität mit allen Juden. Eine solche Solidarität ist nicht möglich. Solidarität mit Israel ist vielmehr eine Solidarität mit der jüdischen Rechten, mit dem, insbesondere rechten, Zionismus. Linke, antinationale Juden werden von den Antideutschen sogar tendenziell als Verräter angesehen. „Links ist dort, wo keine Heimat ist“ lautet ein heute gebrauchter linker Slogan. Dem kann man nur zustimmen. Mir sind die Vaterlandsverräter die liebsten, „vaterlandsloser Geselle“ ist mir ein Kompliment. Der Zionismus ist sicherlich ein besonderer Nationalismus, ebenso wie der deutsche, der US-amerikanische oder der britische. Sie alle haben ihre besonderen Merkmale. Der Zionismus ist aber weder der „bessere“ Nationalismus, noch ist er von größerem Übel als alle anderen (was hin und wieder mal in der, auch israelischen, Linken behauptet wird). Die Behauptung, Israel sei für den Schutz der Juden aller Welt notwendig, ist Unsinn und haltlos. Der Staat Israel ist den rechten Nationalisten reaktionärer Selbstzweck, sie opfern ihm gern ein paar „ihres Volkes“ und paktieren zu diesem Zweck mit anderen Rechten, ja sogar mit den Nazis. Hierzu einige Beispiele, siehe Quelle [4]:

Als die britische Regierung nach der sogenannten Kristallnacht, in der Hoffnung den Migrationsdruck nach Palästina zu verringern, vorschlug, tausende jüdische Kinder direkt nach Großbritannien zu holen, lehnte der rechte Zionist Ben-Gurion (er war später u.a. Ministerpräsident und Verteidigungsminister Israels) ab. Er sagte auf einem Treffen am 7.12.1938 von Führern der Arbeiter-Zionisten:

„Wenn ich wüsste, dass es möglich wäre, alle Kinder in Deutschland zu retten, indem man sie nach Großbritannien bringt und nur die Hälfte von ihnen, indem man sie nach Israel bringt, dann würde ich mich für die zweite Variante entscheiden. Für uns darf nicht nur das Leben dieser Kinder zählen, sondern auch die Geschichte des Volkes von Israel“

1941 schlug die rechte, zionistische Nationale Militärische Organisation in Palästina (Irgun Zewai Leumi) den Nazis ihren Kriegseintritt auf der Seite Deutschlands (gegen Großbritannien) vor. Ziel war es, die „jüdische Frage“ durch die Evakuierung aller europäischen Juden nach Palästina zu „lösen“ und in Palästina einen jüdischen Nationalstaat zu gründen. Als die Nazis im März 1944 Ungarn okkupierten, verriet der Führer der Arbeiter-Zionisten Rezso Kasztner die Mehrheit der Juden im Ungarn, um einen Zug mit handverlesenen Juden samt Hab und Gut unter Duldung der Nazis nach Israel zu evakuieren. Adolf Eichmann über Kasztner:

„Dieser Dr. Kastner war ein junger Mann, etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und ein fanatischer Zionist. Er war einverstanden, dabei zu helfen, die Juden davon abzuhalten Widerstand gegen die Deportation zu leisten – und auch die Ordnung in den Sammellagern aufrecht zu erhalten – wenn ich meine Augen schließen würde und wenige hundert oder wenige tausend junge Juden illegal nach Palästina emigrieren lassen würde.

… Wir verhandelten als völlig Gleichgestellte. … Ich glaube, daß Kastner tausend oder hunderttausend seines Blutes geopfert haben würde, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er war nicht an alten Juden interessiert oder an in die ungarische Gesellschaft assimilierten. Doch er war unglaublich beharrlich bei dem Versuch biologisch wertvolles jüdisches Blut zu retten – also Menschenmaterial, dass zur Reproduktion und harten Arbeit fähig war. ‚Sie können die andren haben‘ würde er sagen, ‚doch lassen sie mich diese Gruppe hier haben.‘ Und weil uns Kastner einen großen Dienst leistete, in dem er half, die Deportationslager friedlich zu halten, habe ich seine Gruppe entkommen lassen.“

Kein Mensch ist „gut“ oder „schlecht“ aufgrund seiner Geburt, seiner „Volkszugehörigkeit“ oder seiner Religion. Maßgeblich sind seine Entscheidungen, sein Denken und Handeln, und zwar immer. Die Nationalisten spielen sich wechselseitig die Bälle zu. Sie brauchen sich, sie sind feindliche Brüder. Jedes Selbstmordattentat der Hamas tötet nicht nur wahllos Menschen um Juden zu treffen, sondern es ist auch Wasser auf die Mühlen der Regierung Scharon. Diese zerstört ihrerseits Häuser von Palästinensern, ohne sich im Geringsten darum zu scheren, was aus den Leuten wird und liefert damit der Hamas Argumente. Für die Rechten ist es eine Frage des Volkes und sie verwirklichen diese Frage, in dem sie wahllos nach „Volkszugehörigkeit“ Menschen tyrannisieren und ermorden. Wer Positionen, wie die der Initiative Sozialistisches Forum Freiburg (ISF) unterstützt und das Vorgehen der Regierung Scharon zum einzig historisch möglichen erklärt oder wie die Bahamas argumentiert, ist nicht solidarisch mit allen Juden, sondern mit Leuten wie Kasztner und Ben-Gurion. Dies hat mit Kampf gegen Faschismus nichts tun. Die antideutsche Ideologie braucht den deutschen Nationalismus, weil sie selbst nationalistisch ist. Deshalb projizieren die Antideutschen ihn überall hinein und wählen aus allen möglichen Interpretationen von Äußerungen und Symbolen Anderer immer die nationalistische. Nicht weil es die angemessene ist, sondern weil es diejenige Interpretation ist, die ihnen selbst am meisten nützt. Gleiches gilt für den antideutschen Philosemitismus.

Zu einer der Projektionen der Antideutschen zählt auch das Existenzrecht Israels. Die Frage nach dem Existenzrecht Israels oder irgendeines anderen Staates ist eine Frage der Rechten. Es sind die Antideutschen selbst, die diese Frage aufgeworfen haben. Ich lehne es ab, das Existenzrecht von Israel, Palästina oder irgendeines anderen Staates an- bzw. abzuerkennen. Diese Frage ist nicht meine Sache. Grenzen zu verschieben oder einzelne Grenzen zu beseitigen, um Territorien dem einen oder anderen Nationalstaat zuzuschanzen, ist Sache der Rechten. Sache der Linken ist es, Staat und Grenzen überhaupt zu beseitigen. Meine Sache ist es, gegen Ausbeutung und Unterdrückung anzutreten, in dem Wissen, dass dies nicht nur an einem begrenzten Ort geschehen kann.

Die Linke ist ein Teil des Problems

Es ist zwar hier mit positivem Bezug von der Linken die Rede, es handelt sich dabei jedoch um einen zweifelhaften Begriff der leicht überstrapaziert wird. Mit dem Ereignissen um das Aufkommen des Antideutschtums hat „links“ (gleiches gilt für linksradikal) noch mehr an Bedeutung verloren und es scheint an der Zeit zu sein, diesen Begriff fallen zu lassen. Nicht das Wort ist das Problem, sondern dass diejenigen, die sich und andere so bezeichnen zu unklare und zu verschwommene, ja teils gegensätzliche Ziele und Vorstellungen haben. Die Linke in der BRD ist eine Mischung der verschiedensten Anschauungen von Menschen verschiedener sozialer Herkunft (Schichten), die hauptsächlich dem Kleinbürgertum aber auch dem Proletariat (Klassen) entstammen.

Die Linke hat in zweierlei Hinsicht die Antideutschen hervorgebracht. Einerseits liefern sie den Antideutschen den Gegenstand der Kritik, gespeist aus verschiedenen Ressentiments, die innerhalb „der“ Linken vorhanden sind. Zum zweiten treiben die Antideutschen selbst ein Moment vorwärts, das innerhalb „der“ Linken vorkommt und ihrer Herkunft verbunden ist. Insbesondere in der Leipziger schreibenden Zunft hat sich über die Jahre ein elitärer Geist entwickelt. Viele versuchen – völlig unkritisch – die Methode des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs nachzuahmen und treiben es dabei bis zur ungewollten Persiflage desselben, wie Yves im Conne Island Newsflyer CEE IEH #100 schön illustriert. Das einzige Argument, dass zählt, ist das diskursive. Es ist also ein Heimspiel der Intellektuellen, d.h. Journalisten, linker Wanderprediger, Professoren und solcher, die es werden wollen. Dabei entheben die Antideutschen der Diskussion als Form der Auseinandersetzung jegliche Kraft, indem sie die schon im bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb herrschende argumentative Beliebigkeit auf die Spitze treiben. Wenn Yves schreibt, er sei stolz ein Softcore-Antideutscher zu sein, fällt er damit scheinbar auf das Niveau der „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“-Spinner zurück. Gemeinsam ist beiden das nichtargumentative festhalten an ihrer Position. Doch während die Deutschen nie ein Argument hatten, haben sich Yves’ Argumente als unwirksam erwiesen, weil die Diskussion schon längst von den Antideutschen aufgekündigt worden ist und sie sich statt dessen rhetorischer Attacken und willkürlicher Deutungen interessant klingender Wortkombinationen bedienen. Auch hier handelt es sich um eine Zuspitzung bürgerlicher Methoden, insbesondere des Berufspolitikerschwachsinns, den wir tagtäglich über uns ergehen lassen.

So das Wort „unbedingte Solidarität“. Direkt dem Munde Schröders entnommen wird es verkündet. Doch diese Wortkombination ist zwar grammatikalisch zulässig, aber inhaltsleer. Gerade deswegen hat Schröder sie benutzt. Solidarität hat immer die eigenen Ziele und Nöte zur Bedingung. Es bedeutet, in den Zielen und Nöten des Anderen die eigenen zu erkennen, sich selbst im Anderen zu erkennen. Solidarität ist der Egoismus des sich als gesellschaftlich begreifenden Individuums. Man verfolgt die Ziele Anderer, indem man die eigenen verfolgt und die eigenen Ziele, indem man die Anderer verfolgt. Mit der Solidarität ist es wie mit dem Satt-sein, man wird nicht dadurch solidarisch, in dem man es erklärt. Unbedingt ist bestenfalls Gehorsam, niemals Solidarität.

Tatsächlich kommt es der heutigen Ex-Linken mehr auf gute Rechtschreibung und Grammatik an, als auf das was geschrieben wurde. Wertmüllers Vorwurf an das Leipziger Blatt Incipito „die können ja nicht mal richtig deutsch“ ist in diesem Fall kein Ausdruck seines Nationalismus, sondern seines elitären Dünkels. Wie’s scheint nach dem Motto „Nach oben buckeln und nach unten treten“, verhöhnte das Incipito seinerseits ein Text der Leipziger Antifagruppe AJF. Witze auf Kosten der Schwächen anderer Leute zu machen ist nicht komisch. Das ist Spießertum. Die Antideutschen entscheiden gleich selbst, wer etwas zu sagen hat und sich äußern darf. „Wer nichts zu sagen hat, soll auch nicht sprechen“ titeln die Herren Möller und Pünjer. Indem sie bestimmen wollen, was gesagt werden darf und was nicht, erheben sie Führungsansprüche gegenüber Andern.

Kehren wir zurück zum Tag X. Was haben denn die Antideutschen mit dem besagten Transparent bezweckt? Nichts anderes als den Demonstranten zu sagen, „Wir finden euch völlig Scheiße“ und einen Angriff zu provozieren, um sich selbst in die Opferrolle begeben zu können. Der Angriff erfolgte dann auch und wurde zur Unterstützung der Position der Antideutschen ausgeschlachtet. Nach dieser Demo warfen Unbekannte Farbbeutel auf ein Graffiti des Conne Island. Das BgR beschwerte sich hinterher: „Grundsätzlich ist eine Abnahme des innerlinken Dialogs zu beobachten“. Doch bei der Attacke handelte es sich um eine Aufkündigung des Dialoges, der schon seit längerer Zeit eine sehr einseitige Sache war. Für diese Abnahme sind nicht die Farbbeutelwerfer verantwortlich, sondern die Politik der aktiven Gruppen rund ums Conne Island und die „Diskussion“ im Incipito und Cee Ieh, die teilweise mit der Herabsetzung der Kritiker der neurechten Politik im Leipziger Süden verbunden war. So wurde etwa ein Text des Antikriegsbündnisses im Incipito durch das Layout vorgeführt. Tomorrow, eine Jugendantifagruppe, veröffentlicht eine Broschüre, die Hass gegen Moslems schürt. Antideutsche, wie die Bahamas oder die Herrn Möller und Pünjer, sind nicht „links“ und wenn doch, dann will ich es nicht sein. Es gibt keine Basis, auf der eine gemeinsame Diskussion möglich wäre. Die Entscheidung linker Projekte, wie etwa der LiWi, das Incipto nicht mehr zu verkaufen, ist angemessen. Die Antideutschen stellen sich gern als Opfer dar, doch antideutsche Täter sind keine Opfer und es gibt keinen Grund, wenn einem jemand auf die linke Backe schlägt, auch die rechte hinzuhalten.

Als auf einer Diskussion in der LiWi über das Incipito seitens der Kritiker eingeworfen wurde, dass die Linke nicht über Krieg diskutiert und ihn schon gar nicht unterstützt, entgegnete Martin D. den antideutschen Kriegstreibern beispringend, dass die SPD 1914 auch für den Krieg gestimmt hat. Es sei hier noch mal an das Zitat des konservativen Prof. Dellbrück zu diesem Thema erinnert (siehe FA! #7):

Wie weggeblasen war [von der SPD am 4. August] der ganze Schwulst der staatsfeindlichen Redensarten; der internationale Proletarier erwies sich als eine bloße Kampfesmaske; mit einem Ruck war sie heruntergerissen und es erschien das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten!“

Auch Martin D. schien an dieser Stelle Schlagfertigkeit wichtiger zu sein als Inhalt. Denn dass ausgerechnet die Rechtswende der SPD herhalten muss, spricht nicht für die nationalistische Kriegstreiberei, sondern gegen sie. Erwähnt sei noch, dass diese Entscheidung der Hauptgrund für die Abspaltung der linken USPD von der SPD war. Die SPD hätte 1914 wohl auch gern den Holocaust als Kriegsgrund angegeben, doch dafür kam sie zwei Kriege zu früh und musste sich deshalb mit dem russischen Despotismus begnügen. Mehr Glück hatten da schon die Grünen 1999 und die Antideutschen 2001. Sie konnten ihre Feinde mit dem Nationalsozialismus vergleichen. Dass die Antideutschen behaupten, der Nationalsozialismus sei prinzipiell unvergleichbar, störte sie dabei nicht.

Ich habe des Öfteren Stimmen gehört, die sagen, die Cee-Ieh-Redaktion sei eine unabhängige Gruppe, das Conne Island biete Gruppen Raum, habe aber mit deren Inhalt nichts zu tun oder das „kulturelle“ Conne Island sei von dem „politischen“ verschieden. Solche Aussagen sind politische Bankrotterklärungen. Wegbereiter des Antideutschtums sind die Aktiven im Conne Island und zwar alle. Ohne deren aktive und passive Unterstützung wäre das Antideutschtum nicht stark geworden. Gleichzeitig zeigen solchen Äußerungen eine fortschreitende Entpolitisierung und den Rückzug ins Private. Natürlich trifft sich nicht Attac oder die SPD-Jugend im Conne Island; es gibt sehr wohl eine inhaltliche Unterstützung der Gruppen im Conne Island durch das Conne Island. Die Redaktion des Newsflyers für politisch eigenständig zu erklären, ist ein Armutszeugnis, das in der Linken seinesgleichen sucht. War das Conne-Island-Plenum nicht in der Lage, den Vertrieb einer Klarofix-Ausgabe zu verhindern? Jetzt will es nicht mehr für die Zeitung verantwortlich sein, die das eigene Projekt repräsentiert? Doch, alle Aktiven im Cee Ieh tragen auch für den Newsflyer politisch Verantwortung, es ist ein Teil ihrer Freiheit, ihres Freiraumes. Daß Yves einer der Wenigen ist, die offen Kritik üben und dennoch im antideutschen Denken gefangen bleiben, ist tragisch. Hier stellt sich die Linke selbst in Frage. Verkünder der Emanzipation und des Freiraumes ist sie nicht in Lage, mit den eigenen reaktionären Tendenzen umzugehen. Stattdessen Schweigen, Rückzug ins Private, Passivität und Mittragen dieser Tendenzen um den eigenen kleinen Vorgarten nicht zu gefährden.

Die Wertkritik als theoretische Basis der Antideutschen

Vorab sei gesagt, dass es sich bei Wertkritikern wie etwa R. Kurz im Allgemeinen und im Gegensatz zu den konsequent antideutschen Positionen um Linke handelt, was ich ihnen bei allem Unsinn, den sie erzählen, gerne zugute halte. Dennoch haben sie die antideutsche Ideologie unterstützt, was sie in „Scharfe Schafe“ auch einräumen. Die ehemalige Nähe erklärt die Heftigkeit ihrer Kritik, dass ihre Kritik oft stumpf bleibt, liegt in ihren eigenen Ansichten. Denn den halben Weg auf der Umkehr der Einsicht „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völker, sondern zwischen Oben und Unten“ haben sie selbst zurückgelegt, in dem sie erklären, es gäbe gar kein Oben und Unten. Vielmehr seien „abstrakt universalistische Prinzipien“ (N.Trenkle) wie der Wert am Werk. R.Kurz erklärt dementsprechend in trend online Dez. 2003: „Die Anwendung von Arbeitskraft setzt dem ursprünglichen Geldkapital Mehrwert zu …“, was schlicht beweist, dass er selbst nicht genau weiß, wovon er eigentlich redet. Er nennt diesen Mehrwert dann „Beute“, muss aber dieses Wort schon in Anführungsstriche setzen. Denn sonst würde sofort die Frage aufkommen, wer denn an wem Beute macht, sprich wer wen ausbeutet. Er müsste die Frage nach dem Oben und Unten (oder nach Marx: den Klassen) stellen. Doch dazu ist er zu sehr Bürger. Wer nach Marx von Wert spricht, sagt, dass sich im gesellschaftlichen Durchschnitt die Waren im Verhältnis der zur ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit tauschen (das ist das sog. Wertgesetz). In Gesellschaften, wo dieser Satz nicht gilt, gibt es keinen Wert. Dass im Durchschnitt nach diesem Verhältnis getauscht wird, stellt sich dadurch ein, dass Alle versuchen, möglichst billig zu kaufen und möglichst teuer zu verkaufen, nicht weil sie irgendeine Idee vom Wert im Kopf haben. Der Wert ist keine Eigenschaft der einzelnen Ware, sondern Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse. Der Lohn ist Äquivalent der Arbeitskraft, d.h. der Waren die die Arbeiter für ihre Reproduktion konsumieren. Für ihr Produkt erhalten die Arbeiter nichts. So konzentrieren sich die von der übergroßen Mehrheit der Menschen hergestellten Produkte in den Händen der Ausbeuter, der Kapitalbesitzer, der Bourgeoisie (ein lesenswerter Text zur Frage „Proletariat – Wat dat?“ ist unter www.mxks.de/files/ag/proletariat.html zu finden). Von Mehrwert zu reden heißt, dass die Arbeiter mehr produzieren, als ihnen an Produkt zugewiesen wird. Das Maß hierfür ist eben die in der Ware enthaltene durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Es gibt keinen direkten Wertzusammenhang zwischen der Arbeitskraft und der von ihr produzierten Ware. Das in der Produktion irgendetwas Mehrwert hinzugefügt wird, ist Nonsens. In der Produktion realisiert sich das andere Moment der Ware, der Gebrauchswert. Nach Marx ist die Ware in ihrer entwickelten, entfalteten Form Kapital. Deshalb ist dies auch Titel eines seiner Hauptwerke und nicht etwa „Die Ware“ oder „Der Wert“.

Auch die Leipziger Wertkritiker Micha B., Martin D. und Kenneth P. („Scharfe Schafe“) sehen im Kapitalismus eine Bürgergesellschaft und keine Klassengesellschaft. Sie sehen in der Antiglobalisierungsbewegung den einzigen Ort, an dem sich Emanzipation entwickeln kann. Der einzige Ort, an dem heute tatsächlich das Kapitalverhältnis (örtlich und zeitlich begrenzt) außer Kraft gesetzt wird, ist der Streik. Dass das Proletariat das Kapital spontan aus Eigeninteresse und ohne größere politische Theorien immer wieder angreift, erweckt bei den Wertkritikern keine Aufmerksamkeit. Intellektuelle, die sie sind, ist ihnen gerade die Ideologielosigkeit der meisten Streiks zuwider. Dabei ist dieser ständige Kampf, der auch ohne tiefgreifende Begriffe oder Theorien stattfindet, Ausdruck des unvereinbaren Widerspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital. Denn er beruht nicht auf Ideen (außer der, unter den jeweiligen Bedingungen nicht mehr arbeiten zu wollen), sondern wirklichen Verhältnissen.

Auch die Leipziger Wertkritiker können sich nicht der antideutschen Ideologie entziehen. Sie teilen den positiven Bezug auf den Staat Israel und damit Teile der zugehörigen Ideen. Zudem behaupten sie indirekt, Philosemitismus sei weniger bedrohlich als Antisemitismus. Bei einem auf Juden gemünzten Bahamasschen Dreischritt, hätte niemand Zweifel, Antisemitismus in offener und brutaler Form vor sich zu haben. Nur wird hier den Moslems die Rolle zugeschrieben, die die Nazis den Juden zugeschrieben haben, nämlich Verderbnis und Übel für die kulturvollen Zivilisationen zu sein. Philosemitismus ist umgestülpter Antisemitismus. Geändert werden nur die Zuweisungen von höher- und niederwertigen Menschen.

Die Leipziger Wertkritiker tragen ein klare Mitverantwortung für das Antideutschtum, für dass sie sich viel zu sehr als Steigbügelhalter hergeben.

Antideutsche argumentieren irrational und unvernünftig

Es ist bereits an verschiedenen Stellen gezeigt worden, dass die antideutsche Ideologie jeglichen vernünftigen Denkens entbehrt. Sie unterwirft alles Denken der Sonderrolle der Juden und darüber hinaus, nationaler Logik folgend, der Sonderrolle Israels. Widersprüche werden einfach wegdefiniert oder solange umgedeutet, bis es irgendwie passt. So wurde etwa der Widerspruch zwischen erklärter Antistaatlichkeit und ebenso erklärter Solidarität mit Israel zu „aber Israel zuletzt“ „gelöst“. Dieser Gedanke ist, wenn man ihn zum ersten Mal hört, völlig überraschend, weil/wenn man Antistaatlichkeit niemals als Auflösung oder Abschaffung einzelner Staaten verstanden hat und nie auch nur die Idee einer Reihenfolge, in der Staaten abzuschaffen wären, bestanden hat. Dieses Beispiel zeigt die völlige Unklarheit was Überwindung von Staat praktisch bedeuten könnte, denn sonst würde der Schwachsinn offenkundig sein. Die Frage, warum die antideutsche Ideologie auftaucht lässt sich nicht so einfach beantworten. Doch liegen hier die Leipziger Wertkritiker nicht so falsch, wenn sie auf eine nicht aufgearbeitete Vergangenheit der Antideutschen verweisen. Es scheint, dass sich die Antideutschen selbst mit dem „deutschen Volk“ identifizieren und sich schuldig fühlen (warum auch immer). Sie projizieren ihr eigenes Denken in umgekehrter Form in Andere und wollen sich selbst in der Opferrolle sehen und handeln dabei äußerst aggressiv. Dass die Friedensdemonstranten am Tag X sich vom Transparent provozieren lassen würden, war vorhersehbar. Die Transparentträger haben selbst nach Mord gerufen und gleichzeitig andere Leute Mörder genannt. Die Antideutschen versuchen darüber hinaus, das Richtige zu tun, etwas von dem sie selbst behaupten, dass es nicht möglich wäre. Sie üben Druck auf Andere aus und erklären jeden, der ihre Position nicht teilt, tendenziell zum Antisemiten, was wiederum, wie an ihrer Haltung zu den Moslems zu sehen ist, auf eine Freigabe zum Abschuss hinausläuft. Die Antideutschen unterdrücken mit rhetorischer Gewalt andere, erklären ihnen was sie zu denken haben, wie welche Worte und Symbole zu interpretieren sind, und nennen das Kritik. Und alle lassen sich das gefallen. Siehe z.B. Vol(ks/x)sport, Volksküche etc. Die Behauptung, dass der, der von Volkssport redet, zwangsläufig Völkisches im Sinne hat, ist blanker Unfug. Auch hier stellt sich die Frage, warum lässt sich die Leipziger autonome Linke so vorführen? Es zeigt sich, dass die Antideutschen ein Situation des Schweigens hervorbringen, die letztlich auch bis zu mir reicht. Die Farbbeutel auf das Conne Island sind ein Ausdruck dieser sprachlosen Ohnmacht. Es mag bedenklich scheinen, wenn Leute zu solchen Mitteln greifen. Bedenklich ist auf jeden Fall die Situation, die solche Ausdrücke der Sprachlosigkeit, zu der auch Yves’ „Stolz“ gehört, hervorgebracht hat. Die Antideutschen benutzen ihre Rhetorik als Machtmittel. Sie beherrschen bereits einen guten Teil der ehemaligen autonomen Szene Leipzigs.

Antideutsche sind Antikommunisten

„Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (Marx/Engels) Dass dieses Zitat der „deutschen Ideologie“ entstammt, ist nicht verwunderlich, denn auch die antideutsche Ideologie ist eine deutsche Ideologie. Antideutsche, wie die ISF, behaupten gerne, sie seien Kommunisten und Israel, da im „Jüdischen“ die Emanzipation stecke, im Übergang zum Kommunismus begriffen. Israel sei mit normalen Mitteln nicht zu erklären und schon gar keine Klassengesellschaft, so die ISF. Israel sei etwas ähnliches wie die „Diktatur des Proletariats“. Das heißt aber nichts anderes als Klassengesellschaft, nämlich Diktatur der Klasse des Proletariats gegen die Klasse der Bourgeoisie. Das Konzept der „Diktatur des Proletariats“ besagt grob, dass das Gewaltmonopol in der Hand des Proletariats liegt, das es dazu benutzt, das Privileg der Bourgeoisie am Privateigentum abzuschaffen, alles notwendig zu Tuende unter alle Mitglieder der Gesellschaft zu verteilen und somit alle in Proletarier zu verwandeln, bis eben nur noch diese eine Klasse übrig ist, die damit jedoch aufhört Klasse zu sein. Damit verschwindet nach diesem Konzept Staat und jede Form der Politik, Demokratie wie Diktatur überhaupt. In Israel herrscht, wie fast überall auf der Welt, die Diktatur der Bourgeoisie (die Hartzgesetze lassen grüßen). Nur dass gesellschaftlicher Zwang hier als Naturzwang („Sachzwang“) dargestellt wird. Die Wahlen entscheiden nur, welche Eliten die Diktatur des Wirtschaftswachstums, der Standortideologie etc. (eben die Interessen der Kapitalbesitzer) durchsetzen.

Hier noch ein paar weitere Beispiele für das leere Gerede Antideutscher. Die ISF schreibt: „… der Kommunismus, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft, verlangt … etwas Unmögliches: Rache für die Toten …“. Rache ist kleinbürgerlicher Mist, der dem Denken der ISF selbst entspringt. Das Rache etwas mit Kommunismus zu tun hat, ist blanke Dichtung. Weiter: „Es mag sein, dass die Juden ein ‚Volk‘ sind; Israel jedenfalls ist eine Gesellschaft.“ Hier räumen sie ihr eigenes völkisches Denken ein, der zweite Teil ist ein für Antideutsche typischer Nullsatz. Gesellschaft ist – zumindest für Marxisten – jegliche Form menschlichen Zusammenlebens, sowohl das der ersten Menschen, als auch der in Israel, ebenso der Nationalsozialismus, wie auch die klassenlose Gesellschaft. Und noch eins: „ … niemals war ein Sozialist der Ansicht, es sei die famose ‚Befreiung der Arbeit‘ und nicht vielmehr das Recht auf Beute, was seine Politik im Interesse der Arbeiterklasse motivierte“

Wieder Blödsinn. Leider ist das Gegenteil zu sehr der Fall. Sozialisten, Anarchisten, Kommunisten oder wie sie sich auch immer nennen, woll(t)en meist das Beutemachen beenden. Dies trifft auch auf Leute wie Stalin, Mielke oder eben Chruschtschow zu, die leider auch Kommunisten waren:

Man kann nicht sagen, dass die Taten Stalins die eines gedankenlosen Despoten waren. Er meinte, dass man im Interesse der Partei, der werktätigen Massen, um der Verteidigung der revolutionären Errungenschaften willen so handeln müsste. Darin liegt die wirkliche Tragödie!“ (Chruschtschow)

Und weil der Kommunismus eine wirkliche Geschichte hat, eine Geschichte in der viele Menschen, nicht zuletzt des Proletariat selbst, Entbehrungen, Leid und Tyrannei ausgesetzt waren, ist es keine Frage der Interpretation, Definition oder „kritischen Fassung“ was Kommunismus sei. Fakt ist, Kommunisten erkennen im Kapitalismus eine Ausbeuter-, sprich Klassengesellschaft. Sie sind solidarisch dem Proletariat gegenüber. Weder die Antideutschen, noch die Wertkritiker haben mit dem Kommunismus etwas gemein, und wenn sie es tausendmal sagen. Dass die Geschichte des realen Sozialismus sie nicht berührt, sie nichts angeht und sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, ist Beweis genug dafür (siehe auch FA! #13 „Hinter dem Vorhang“). Den Wertkritikern muss man zugute halten, dass sie dem Kommunismus einen anderen Namen geben wollten, als den antideutschen. Die heutige Schwäche der Kommunisten ist Ergebnis ihrer eigenen Geschichte. Auch in der Instrumentalisierung der Geschichte des Kommunismus und damit verbunden, dem Leid vieler Menschen zeigt sich der zynische Charakter der antideutschen Ideologie. Sie sehen sich selbst gern als Opfer, doch instrumentalisieren den Holocaust. Leid anderer Menschen ist ihnen völlig gleichgültig.

Ausblick

Wenn sich aus diesem Wahnsinn überhaupt etwas Positives entnehmen lässt, dann das: Es gibt keine gute Nation. Nationalismus darf in keiner Form unterstützt werden. Das gilt auch für Israel und Palästina. Keine Solidarität mit Israel; Solidarität gegen Antisemitismus. Keine Solidarität mit Palästina; Solidarität gegen Unterdrückung. Wenn sich derzeit in der BRD und in vielen anderen Ländern Protest gegen die Verschärfung der Lebensbedingungen äußert, ist das für Linke eine kritische Situation. Bei solchen Protesten ist auch mit nationalistischen Äußerungen zu rechnen. Ich nehme Micha B., Martin D. und Kenneth P. beim Wort wenn sie in „Scharfe Schafe“schreiben:

Ohne ein Hineinwirken ist nicht klar, in welche Richtung sich eine eventuell kommende Friedensbewegung oder die Globalisierungskritik [oder die Proteste gegen Sozialabbau] entwickeln werden. Gerade bei fehlendem vermittelndem Eingreifen befürchten wir eher eine antiemanzipatorische Entwicklung“

v.sc.d

Einige Quellen:
[1] „Über den Personenkult und seine Folgen“, N.S. Chruschtschow, Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU
[2] „Israel und der Kommunismus“, ISF Freiburg, hagalil.com
[3] „Hinter dem Ruf nach Frieden verbergen sich die Mörder“, Bahamas
[4] „Zionism in the Age of the Dictators“, Lenni Brenner, marxists.de
[5] „Scharfe Schafe“, Broschüre gegen den antideutschen Bellizismus, Krisis (Hrsg.)

Theorie & …

Das Spiel mit der Statistik

Statistik ist immer eine Frage des Standpunktes. „Mit Statistik läßt sich alles beweisen“, lautet eine moderne Weisheit. Statistik drückt keine unabhängige Wahrheit aus, sondern blickt auf die Welt durch die Augen, die von den Verfasser/innen gewollt ist. Das Problem bei einer Umfrage oder Wahl liegt darin, daß viele tausend Einzelmeinungen zu sehr wenigen Meinungen zusammengefasst werden. Dazu werden sowohl Fragen mit einer gewissen Absicht gestellt, als auch die Antwortmöglichkeiten eingeschränkt. So mag die Frage zur Bundestagswahl etwa so gelautet haben: „Welche der unten aufgeführten Parteien soll das Land regieren?“ Eine Antwort „keine von denen“ oder „ich will nicht regiert werden“ war nicht möglich. Im Grunde liegt aber der Bundestagswahl keinerlei konkrete Frage zu Grunde. Nicht mal die: „Durch welche Partei willst Du im Bundestag vertreten sein“. Die politisch interessierten Wähler/innen versuchen vielmehr durch „geschicktes“ verteilen ihrer beiden Stimmen das kleinste Übel zu erreichen. So waren etwa vor der Wahl mit „verhindert Stoiber“ zu lesen. Doch von Geschick kann keine Rede sein. Wenn jemand Stoiber nicht wollte, so war ihre Wahl schon auf zwei eingeschränkt. Niemand kann ernsthaft behaupten, das über 80 Millionen Menschen so derart armselig sind, das sie sich auf „Schröder gegen Stoiber“ reduzieren lassen.

Eine Bundestagswahl soll die Plätze im Plenarsaal des Reichstages füllen. Und das hat sie: 251 Sitze für die SPD, das sind etwa 41,6% der insgesamt 603 Abgeordneten, 190 für die CDU (31%), 58 für die CSU (9,6%), 55 für die Grünen (9,1%), 47 für die FDP (7,8%) und 2 für die PDS (0,3%). Das ist im oberen Tortendiagramm zusammengestellt. Zusammen stellt also Rotgrün 306 der 603 Abgeordneten. Man könnte nun meinen, Rotgrün würde die Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik repräsentieren. Weit gefehlt! Niemand weiß genau warum die Leute Rotgrün gewählt haben. Denn auf dem Wahlzettel durfte man nur zwei Kreuze machen, als könne man nicht lesen und schreiben. Und zum anderen hat Rotgrün gar nicht die Mehrheit der „Wähler“ (dieses Wort ist derart widerlich, das man es nur mit der Kneifzange anfassen möchte; der „Wähler“ hat entschieden, wer auch immer das sein mag). Spielen wir ein bißchen mit der Statistik.

In der zweiten Torte hat Rotgrün schon keine Mehrheit mehr. Die 5%-Hürde hat bereits über 5% der gültigen abgegeben Stimmen weggeschnitten. Praktisch, oder? Und das ist noch die Ebene, auf der sich Leute im Sinne der Wahl entschieden haben. Ihre Stimmen werden nicht berücksichtigt. In der dritten Torte sind die abgegeben Stimmen aufgeführt. Leute die der Meinung waren „keine von denen“ haben ihren Wahlzettel vielleicht ungültig gemacht. 586-Tausend Stimmen unberücksichtigt. Über 10 Millionen Menschen die das Recht hatten zur Wahl zu gehen, haben es nicht getan (vierte Torte). Aus welchen Gründen auch immer. Sicher sind welche darunter, die der Meinung sind „ich will nicht regiert werden“. Ihre Stimmen wurden nicht berücksichtigt. Täte man dies, hätte nur eine „große Koalition“ eine Mehrheit. Von 61 Millionen Wahlberechtigten haben 22,6 Millionen Rotgrün gewählt. Auf dem Territorium der Bundesrepublik leben ca. 82 Millionen Menschen. 75 Millionen davon Staatsbürger der BRD. Gemessen an diesen 82 Millionen hätte nicht mal eine große Koalition eine Mehrheit. Von all den im Parlament vertretenen Parteien könnte gerade mal eine der kleinen nicht in der Regierung sein, damit diese eine Mehrheit hätte. Rotgrün hat nicht über 50%, sondern gerade 27% dieser Stimmen. So ist das mit der Statistik.

v.sc.d

Quelle: statistisches Bundesamt

Wahl

Arbeit macht Spass!

… doch wer kann schon immer Spass vertragen?

Wahlzeit ist Propagandazeit. Und ein Thema steht immer im Vordergrund. Die Arbeitslosigkeit. Doch wenn man sich die Debatten so anschaut, stellt sich die Frage, wo liegt das Problem? Gibt es zu wenig Arbeit oder sind die Arbeitslosen zu faul? Der Herr Schröder sagt, es gibt kein Recht auf Faulheit. Warum eigentlich nicht? Arbeiten wir deshalb, weil wir befürchten, dass es sonst morgen nichts zu kaufen gäbe? Natürlich nicht. Es wird ja allerorten gejammert, das die Leute zu wenig konsumieren, das die Auftragsbücher leer sind und die Umsätze der Konzerne zurückgehen. Es ist eher umgekehrt: wir konsumieren, damit wir arbeiten können! Wo anderenorts die Menschen verrecken weil sie zu wenig zu essen haben, sterben sie in unseren Breiten weil sie sich überfressen. Wozu also arbeiten? Die Sache ist einfach: damit die Miete bezahlt werden kann, damit einem zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt, damit man nicht als faul und Schmarotzer verachtet wird.

Und irgendwie will man schon einen Teil von der schönen bunten Welt. Es ist doch klar: die Unternehmen wollen, ja sie müssen Profit machen. Es werden nur Leute eingestellt, wenn sie profitabel sind. Und am besten zum Nulltarif! Es ist nie die richtige Zeit für eine Lohnforderung. In der Konjunktur, so wird gejammert, droht sie die Konjunktur abzuwürgen. Und in einer Krise sind Lohnforderungen gleich gar nicht angebracht. Schaut man auf die Börse, so bewirkt eine Lohnerhöhung den Fall einer Aktie. Werden Leute rausgeschmissen so steigt die Aktie. Wohlstand für alle ist ein Witz. Wenn es den Konzernen gut geht, geht es der Mehrheit, die arbeitet keinesfalls gut. Doch woher kommt der Reichtum der Unternehmen? Woher ihre Macht? Aus der Verwertung unserer Arbeit. Je besser und effektiver die Fähigkeit zu arbeiten ausgenutzt wird um so profitabler ist es für das Unternehmen. Die Arbeitspropaganda läuft genau darauf hinaus: länger arbeiten, mehr arbeiten, flexibler arbeiten, für weniger Lohn arbeiten. Möglichst jedes Quentchen Arbeit soll genutzt werden. Denn anscheinend geht es ja um eine gemeinsame Sache: die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Renteneintrittsalter soll erhöht werden und die Arbeitszeit soll verlängert werden.

Irgendetwas haut da nicht hin. Es geht darum, unter den Menschen die Bereitschaft zu erzeugen, selbst noch den beschissensten Job für ‘nen Appel und ‘n Ei zu machen. Es geht darum, die Wirtschaft anzukurbeln. Und wer nicht will wird bestraft. Das verlangt die Hartz-Kommision. Und wie der nächste Kanzler auch heißen mag, diesen Vorschlag wird er gern aufnehmen. Es gibt kein Recht auf Faulheit! Und wer hofft schon durch Arbeit je aus dieser Mühle herauszukommen? Wer kann den Montag leiden, wer freut sich nicht auf den Freitag? Nein, Arbeit macht keinen Spaß. Spaß macht es mit Freunden am Strand zu liegen. Doch der Weg zur Arbeit führt nicht zum Strand.

Wie funktioniert der ganze Laden eigentlich? Als Kapital. Das heißt, es wird Geld eingesetzt, um Produktionsmittel und Arbeitskräfte zu kaufen. Die Arbeitskräfte wendet man auf die Produktionsmittel an, läßt sie also arbeiten. Dabei werden sowohl Produktionsmittel als auch Arbeitskräfte verbraucht. Im Ergebnis entstehen neue Produktionsmittel oder Konsumtionsmittel. Diese werden wieder in Geld verflüssigt, also verkauft. Dann kann der Prozess von neuem beginnen. Nun entsteht beim Arbeiten mehr, als für die Wiederherstellung der Produktionsvoraussetzungen vonnöten ist. Also wird die Produktion mit diesem Mehr ausgedehnt. Das heißt es werden mehr Produktionsmittel gekauft und mehr Arbeitskräfte eingestellt und so weiter. So entsteht eine immer größere Warenmasse. Das geht so lange gut, solange jeder der drei Teilprozesse, also Ankauf, Produktion und Verkauf funktioniert. Wenn die lokalen Märkte gesättigt sind, drängt das Kapital über die Grenzen hinaus. Das Kapital breitet sich über die ganze Welt aus. Der Verkauf ist innerhalb des Kapitalprozesses der kritischste Punkt. Wenn die Märkte gesättigt sind kann nichts mehr verkauft werden und der ganze Prozess gerät ins stocken. Produktionsmittel liegen brach, Arbeitskräfte werden rausgeschmissen etc. pp. Das kennen wir ja. Die Arbeiter/innen selbst haben keine Möglichkeit sich ihre Grundlagen fürs Leben selbst zu produzieren, da sie keinen freien Zugang zu den Produktionsmitteln und Ressourcen haben. Sie sind als Produzent/innen von den Produktionsmitteln getrennt. Deshalb sind sie gezwungen, die einzige Ressource zu verkaufen, die sie besitzen und reproduzieren können: ihre Fähigkeit zu arbeiten. Also verkaufen sie diese Fähigkeit und arbeiten. Sie kaufen sich mit dem Geld Konsumtionsmittel und reproduzieren ihre Arbeitskraft um sie wieder verkaufen zu können, etc pp. Das kennen wir ja auch. Was bei der Arbeit tätsächlich konkret gemacht wird ist im Grunde gleichgültig. Wer in einer Panzerfabrik arbeitet, will ebenso wenig auf der Straße landen, wie jemand der/die in einer Schokoladenfabrik oder irgendwo anders arbeitet. Im Kapitalismus haben die Arbeiter/innen ihren Bezug zu ihrem Produkt verloren, ihre Arbeitskraft ist für sie in erster Linie nur insofern von Interesse, als sie verkaufbar – Tauschwert – ist. Möglichst viel Kohle für möglichst wenig Arbeit.

Welchen Sinn hat nun das Ganze? Gar keinen! Es ist ein sich selbst vorwärtstreibender Prozess, der dadurch funktioniert, dass die einzelnen Menschen den Möglichkeiten und Zwängen nachgehen, die sie unmittelbar für sich selbst erkennen. Der Kapitalprozess in seiner Gesamtheit hat nicht mehr Sinn, als das Heranwachsen eines Baumes. Die Folgen sind bekannt: massenhaft sinnlose Schufterei, die krank macht. Eine Schufterei die die Sinne abstumpft und die Muse tötet, die Menschen in gehetzte Tiere verwandelt. Die Zerstörung der Umwelt, Hunger und Kriege erscheinen dagegen als relativ harmlose Nebenwirkung.

Die hier gegebene Darstellung ist natürlich nur eine sehr grobe Skizze. Feierabend! will sich mit dem Thema Arbeit auf eine andere Weise beschäftigen, als es die Politiker aller Parteien tun. Es wird uns darum gehen Zusammenhänge aufzuzeigen; zu schauen, was Leute gegen den Arbeitsirrsinn tun; wo und wie sich Leute wehren. Macht Feierabend!

v.sc.d

Arbeit

Aussperrung in den Häfen der Westküste der USA

Über „Arbeitskämpfe“ in den USA zu berichten ist keine einfache Sache. Und zwar deshalb, weil in den USA die Gewerkschaften anders funktionieren als in Europa.

Wenn eine Gewerkschaft in den USA einen Vertrag mit einem Unternehmen hat (die Firma ist ‘unionized’; union = Gewerkschaft), so fungiert sie wie eine Art Arbeitsagentur. Es ist vertraglich vereinbart ob und wenn wieviel Nicht-Gewerkschaftsmitglieder in der Firma arbeiten dürfen. Die Gewerkschaft ist dafür zuständig, dass für eine Arbeit – etwa das Entladen eines Schiffes – genügend Leute mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung stehen. Die Gewerkschaft entscheidet auch über Streiks. Urabstimmungen oder etwas ähnliches gibt es nicht. So kann es sein, dass etwa ein/e Hafenarbeiter/in Mitglied in der Gewerkschaft sein muss, um einen Job zu bekommen. Einzelne Gewerkschaftsfunktionäre können unter Umständen über eine relativ große Macht verfügen.

Worum geht es an der Westküste? Anfang des Sommers ist der Vertrag zwischen der ILWU (International Longshore and Warehouse Union, longshoreman = Hafenarbeiter) und der PMA (Pacific Maritime Association) ausgelaufen und Verhandlungen über einen neuen Vertrag wurden aufgenommen. Die PMA warf dann der ILWU vor, sie würde Bummelstreiks organisieren, und sperrte die Arbeiter/innen der ILWU aus. Die Schiffe, die vor der amerikanischen Pazifikküste liegen, werden nicht entladen, weil die Arbeiter/innen ausgesperrt sind, nicht weil sie streiken. Das klingt absurd. Noch absurder scheint es, dass und wie die US-Regierung in die Auseinandersetzung eingreifen will. Sie betrachtet jede Gewerkschaftsaktion als Bedrohung der nationalen Sicherheit und hat damit mehrere Möglichkeiten zu intervenieren. Zum einen den „Taft-Hartley-Act“ der jetzt auch angewandt wurde. Dabei handelt es sich um ein 80-tägiges Streikverbot (cooling-off period etwa: Abkühlungsperiode), das bis zum 26. Dezember läuft. Zum zweiten kann sie die Arbeiter/innen durch Soldaten ersetzen. Eine weitere Möglichkeit ist der „Railway-Labor-Act“. In dem Fall wird eine staatliche Vermittlungsinstanz, das National Mediation Board eingeschaltet: „Die Besonderheit des National Mediation Board liegt darin, dass die Parteien im Falle der Einschaltung des Boards ihre Verhandlungen nicht von sich aus für gescheitert erklären und zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen dürfen, solange das Board Mediationsbemühungen unternimmt, was häufig Monate dauert. Die Entscheidung, wann die Mediation eingestellt wird, liegt im Ermessen des Boards.“ [„Arbeitgeber“ Nr.6 Juni 2002, Online-Ausgabe, Mediation ist eine Konfrontationsunterdrückungstechnik]

Aber worin besteht der Konflikt? Durch die Einführung der Containertechnologie, die in den US-Häfen etwa Anfang der 70er Jahre abgeschlossen wurde, sank die Zahl der Hafenarbeiter an der Westküste von etwa 100.000 auf heute etwa 10.000. 1971 fand auch der letzte Dockerstreik an der Westküste statt. In der Auseinandersetzung um Jobs sperrte sich die ILWU vor der Aussperrung etwa gegen Einführung von Scannern in den Häfen. Daten werden von Hand erfasst und per Hand in den Computer eingegeben. Jetzt wollen die in der PMA vereinigten Unternehmen die Häfen automatisieren, wie es etwa in Rotterdam oder Singapur schon der Fall ist. Das bedeutet, dass zum einen die Jobs im Hafen weiter abnehmen und dass die Jobs wechseln. Alte verschwinden und neue entstehen. Die PMA versucht nun die ILWU auszubremsen. Die alten Jobs sind zum größten Teil ILWU-Jobs. Das bedeutet relativ gute Löhne (etwa 16$/Stunde) für die longshore(wo)men, von denen die meisten Afroamerikaner oder Latinos sind. Die ILWU will nun, dass auch die neuen Jobs von Gewerkschaftsmitgliedern erledigt werden. Dadurch würde sie wie bisher über die eingesetzten Arbeiter/innen bestimmen. Ähnlich ist es auch bei der Umstellung auf Containerbetrieb gelaufen. Falls die Umstellung auf neue Hafentechnik ohne die ILWU passiert, würde das praktisch das Ende der ILWU bedeuten. Seitens der PMA geht es also um Kürzung und Flexibilisierung der Jobs und die Zurückdrängung der ILWU, die ILWU will vor allem ihren Einfluss behalten, bei allem andern ist man sich im Großen einig.

Die Auseinandersetzung ist von der PMA gut vorbereitet. So wird die auch vom Spiegel ähnlich kolportierte Meldung, die Schließung der Häfen würde die Ökonomie täglich Milliarden kosten, von US-Ökonomen als übertrieben betrachtet. Die Zahl stammt aus einer von der PMA vor der Aussperrung in Auftrag gegebenen Studie. Gleichzeitig wurden die Umschlagzahlen auf den Docks erhöht. Während des Sommers ist der Warenumschlag nach dem Journal of Commerce um etwa 30% angestiegen. Vertreter der Hafenarbeiter/innen werfen der PMA vor, dass dieses „speedup“ auf Kosten der Sicherheit geht und verweisen auf fünf tödliche Unfälle in diesem Jahr. Die Ironie der Sache ist, dass die ILWU bereit ist, ihre Mitglieder arbeiten zu lassen. Sie besteht nur auf sicheren und erträglichen Bedingungen. Die PMA ist an den alten Vertrag mit der ILWU nicht gebunden und kann also z.B. einstellen, wen sie will, auch wenn die Mehrheit der Hafenarbeiter/innen ILWU Mitglieder sind. Der „Taft-Hartley-Act“ soll auch sicherstellen, dass das Weihnachtsgeschäft läuft, da es unerträglich wäre, wenn es dann kein Spielzeug gäbe oder wenn der Umsatz des Weihnachtsgeschäftes ausbliebe, je nachdem. Durch die Aussperrung und den „Taft-Hartley-Act“ ist der Druck auf die ILWU von vornherein erhöht. Die Automatisierung ist eine langfristig angelegte Sache, der Vertrag zwischen ILWU und PMA lief drei Jahre. Die Automatisierung selbst stellt einen Umbruch in der Hafenwirtschaft dar, wie es die Einführung der Container vor etwa dreißig Jahren bedeutete. Und die neue Ära soll eine andere Machtverteilung zwischen PMA und ILWU mit sich bringen. Die PMA erhält in ihrem Handeln Rückendeckung von der US-Regierung. Hier wurde nur die Auseinandersetzung als solches besprochen. Doch der „Taft-Hartley-Act“ kann kaum ausschließlich als Unterstützung der US-Regierung für die PMA – etwa im Sinne eines Lobbyismus – betrachtet werden. Dies am Rande.

Die ILWU ist keine freie Assoziation, oder etwas Ähnliches. Gewerkschaften sind in den USA ein eigener Machtfaktor. Die Gewerkschaft sichert jedoch auch Bedingungen für die Arbeiter/innen, die sonst deutlich schlechter wären. Die ILWU hat sich offenbar in den letzten dreißig Jahren als stabilisierender Faktor „bewährt“. Jetzt will die PMA die Karten neu mischen. Sie greift damit beides an: Die Lebenssituation der Arbeiter/innen und die Rolle der ILWU. Es geht ihr um die Durchsetzung neuer Produktionsformen, um eine steigende Produktivität zu erreichen. Und dies heißt hier: schnellerer Umschlag mit weniger Leuten, Computertastaturen statt Kranhebel. Für die Longshore(wo)men bedeutet dies Kampf um den Job, um eine gewisse Lebensqualität. Oder wie es ein Gewerkschaftsfunktionär ausdrückte: „If you want your children and families to have the same kind of life you’ve had, you know what you have to do.“ („Wenn Du Deiner Familie und Kindern dasselbe Leben sichern willst, das auch Du hattest, dann weißt Du, was zu tun ist.)

v.sc.d

Streik

Auf der Jagd nach dem Glück

Die amerikanische Verfassung garantiert jedem Bürger der USA das Recht, nach seinem individuellen Lebensglück zu streben. Kaum ein anderer Satz wie der vom «pursuit of hapiness» kennzeichnet das amerikanische Lebens-, Rechts- und Staatsverständnis treffender. Er weist dem Staat die Verpflichtung zu, seinen Bürgern die Freiheit zu gewähren, innerhalb derer sie ihr eigenes Glück schmieden können. Und zugleich räumt die Verfassung klipp und klar jeden Verdacht aus, irgendjemand anderes als der Einzelne selbst – am Ende gar der Staat – könne dafür in Haftung genommen werden, wie schön oder nicht man es sich im Rahmen seiner Möglichkeiten einrichtet.“

So beginnt ein Kommentar von Stephan Detjen im Deutschlandfunk am 22.6.03 um 19:05. Im Weiteren wird er sich dem Propagandafeldzug anschließen, der derzeit bundesweit aus dem bürgerlichen Lager gegen den Streik der IG-Metall um die 35-Stunden-Woche geführt wird.

Vorspiel

Einer der Hauptbestandteile jener bürgerlichen Freiheit ist das Recht auf Eigentum, das Recht zu kaufen und zu verkaufen und die Preise frei auszuhandeln. Das steht jedem Bürger eines Staates zu, das macht sie gleich. Doch wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, ist Eigentum nicht gleich Eigentum und Bürger nicht gleich Bürger. Eine besondere Art des Eigentums ist die des Kapitals. Kapital zu besitzen bedeutet in anderen Worten, ein Anrecht darauf zu haben, sich Produkte fremder Arbeit anzueignen. Wer kein Kapital besitzt, besitzt im Grunde gar nichts. Nun ja, fast nichts. Außer der Fähigkeit zu arbeiten. Diese Fähigkeit hat jeder Mensch, insofern er/sie überhaupt Mensch ist. Diese Fähigkeit läßt sich verkaufen.

Hier ist der Zeitpunkt auf eine Sache besonders hinzuweisen. Es gibt eine Reihe von Formulierungen wie „Arbeit muß her!“, „für Arbeit bezahlt werden“, „Arbeitsmarkt“ oder auch „tote Arbeit beherrscht lebendige Arbeit“. Manche dieser Formulierungen mögen für die eine Sache geeignet sein und für die andere nicht. Doch eines haben sie alle gemeinsam. Sie verdecken einen kleinen, aber feinen Unterschied, der letztlich für das Verständnis von dem was Kapital ist, unerläßlich ist. Und zwar den von der Ware Arbeitskraft und der von ihr produzierten Ware. Die Fähigkeit, einen Kuchen zu backen, ist natürlich etwas anderes als ein Kuchen. Die Arbeit selbst ist keine Ware und nicht handelbar. Die menschliche Arbeit schafft Waren.

Die Kapitalbesitzer kaufen die Fähigkeit zu arbeiten, lassen arbeiten und behalten das Produkt dieser Arbeit. Selbstverständlich. Es ist Produkt der von ihnen gekauften Arbeitskraft, die natürlich dadurch Eigentum der Kapitalbesitzer ist, produziert mit Maschinen und aus Rohstoffen die den Kapitalbesitzern gehören. Die Kapitalbesitzer kaufen die Arbeitskraft, um sie ausbeuten zu können. Daran ist nichts unrechtes. Ausbeuten darf hier keinesfalls moralisch verstanden werden. Der Vergleich mit der Ausbeutung einer Erzader ist sachlich durchaus gerechtfertigt. Der Verkauf und Kauf der Ware Arbeitskraft ist ein freier Handel zwischen freien Bürgern. Hoch lebe das Recht! Trotz aller Abweichungen, die vielleicht auch nicht immer konsequent geahndet werden, ist der Kapitalismus vom Prinzip her eine gerechte Gesellschaft. Wer etwas anderes behauptet, irrt sich oder ist ein übler Propagandist. Und: der Kapitalismus ist eine auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruhende Gesellschaft. Für die Kapitalbesitzer (!) ist die Ware Arbeitskraft selbst Kapital. Nicht jedoch für diejenigen, die Träger dieser Ware sind und sie verkaufen müssen. Die Maschinerie, die Gebäude, die Rohstoffe etc. sind nur Hilfsmittel, ohne die sich die Ausbeutung der Arbeitskraft nicht realisieren ließe. Sie tragen nichts zum Gewinn bei, sondern gehen in Gänze oder scheibchenweise auf die produzierte Ware über. Diese Form des Kapitals heißt in der Kritik der politischen Ökonomie deshalb auch konstantes Kapital. Die Quelle des Reichtums liegt in der Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese Form des Kapitals heißt deshalb in der Kritik der politischen Ökonomie variables Kapital. Hin und wieder wird es auch Humankapital genannt. Dies geschieht in zwar sachlich richtiger Weise, doch werden die Menschen und ihre Verhältnisse dabei nur noch als bloße Sache, als Ding betrachtet. In politischen, philosophischen oder ideologischen Betrachtungen, in denen eher die Menschen im Vordergrund stehen, wird das variable Kapital als Arbeiterklasse oder Proletariat bezeichnet. Doch diese Formulierungen sind dem freien Bürger von Welt eher peinlich, wirken überkommen und hausbacken.

Natürlich sagt kein Mensch „die Kapitalbesitzer kaufen Arbeitskraft“, daß heißt vielmehr: „Unternehmer oder Arbeitgeber schaffen Arbeitsplätze“; der Markt für Arbeitskräfte heißt „Arbeitsmarkt“ und diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen und sich ihres Produktes enteignen lassen, heißen „Arbeitnehmer“. Und Ausbeutung erfolgt nicht durch die Kapitalbesitzer sondern durch die Gewerkschaften (!), wie Stephan Detjen weiß:

Die Rhetorik der Funktionäre entlarvt den Arbeitskampf als verantwortungslosen Ausbeutungsfeldzug, in dem allein die Gewerkschaften selbst auf Beute hoffen dürfen. Ausgebeutet werden die antikapitalistischen und antiwestlichen Ressentiments in den Köpfen ostdeutscher Arbeitnehmer. Ausgebeutet werden die verbliebenen Überreste der antiindividualistischen Lebenseinstellung, die Rolf Henrich in den letzten Jahren der DDR als mentales Merkmal des von ihm so genannten «vormundschaftlichen Staates» ausmachte.“

Doch bevor ich einige Worte drüber verliere, wer hier welche „verquast-kollektivistische“ Rhetorik an den Tag legt, ein Blick zurück in die Vergangenheit.

Etwas Geschichte

Als ich eines schönes Tages spazieren ging, kam ich an einem DGB-Stand vorbei, der neben Werbung für die aktuelle DGB-Politik auch kostenlose Erfrischungsgetränke bot. Auf mein trockenes „Kapitalismus läßt sich nicht reformieren“ erhielt ich die Antwort: „Es geht nicht um Kapitalismus, sondern um die Sozialreform“. Wenn die „Arbeitergeber“ auf ein Streik mit Aussperrung reagieren wollen, klagt die Gewerkschaft, es sei ein Rückfall in den Klassenkampf. Ist heute tatsächlich alles anders als gestern? Sind die Gewerkschaften heute so anders als vor hundert Jahren? Lassen wir doch mal einen Arbeiter zu Wort kommen, der die Rolle der Gewerkschaften vor dem ersten Weltkrieg beurteilt. Richard Müller schreibt 1925 in seinem Buch „Vom Kaiserreich zur Republik“:

Die Entwicklung der Gewerkschaften zur Zeit des kapitalistischen Aufstieges hatte jede revolutionäre Regung erstickt. Ihr Streben war darauf gerichtet, den Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen. …

Der Charakter der Gewerkschaften wurde weiter beeinflußt durch das immer weiter ausgebaute Unterstützungswesen. Die Gewerkschaften halfen den Mitgliedern bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, in besonderen Notfällen usw. Durch diese Unterstützungen sollte die Fluktuation eingedämmt, die Mitglieder bei der Organisation gehalten werden. Zahlenmäßig war der Erfolg gut. Die Fluktuation ließ nach und die Kassen wurden gestärkt, aber der Kampfcharakter der Organisation trat in den Hintergrund. Für viele Mitglieder waren die Gewerkschaften Versicherungsanstalten, bestenfalls Organe zur Befriedigung bloßer Augenblicksinteressen.

Die Gewerkschaftsführer lehnten es ab, den Kapitalismus als solchen zu bekämpfen. Sie fürchteten, damit auf das politische Gebiet zu treten, auf dem sie sich als Personen und Gewerkschaftsführer tummelten, aber das nach ihrer Meinung für eine Betätigung der Gewerkschaftsmitglieder nicht geeignet war. Politische Fragen durften in den Gewerkschaften nicht diskutiert werden. Die kaiserliche Polizei brauchte den politischen Generalstreik nicht zu verbieten. Das besorgten die Führer der Gewerkschaften. Eine Revolution stand für sie außerhalb des Bereiches der Möglichkeiten. Reformen innerhalb der kapitalistischen Welt waren ihr Programm. Wurde nach einem hartnäckigen Kampf das Unternehmertum an den Verhandlungstisch gezwungen, dann quoll das Herz des tapferen Gewerkschaftsführers über, wenn er seine Füße mit denen des Gegners unter einen Tisch setzen durfte. Karl Marx hatte zwar vor vielen Jahren einmal gesagt: die Gewerkschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie die Spitze ihres Kampfes nicht gegen die Lohnarbeit überhaupt richten. Aber das lag weit zurück und war durch die bewährte Praxis der Gewerkschaften widerlegt worden. …

Die innere und äußere Politik der Gewerkschaftsführer, das Ziel wie die Methoden ihres Kampfes mußten den Mitgliedern jedes revolutionäre Denken und Empfinden nehmen und den Willen zu entscheidenden Kämpfen brechen. Wo sich unter dem Einfluß politischer Propaganda ein radikaler Geist bemerkbar machte, wurde er niedergedrückt und wenn gar in dem ungeheuer großen Verwaltungsapparat ein Angestellter als räudiges Schaf entdeckt wurde, der die von oben gegebene politische Weisheit nicht widerspruchslos schlucken wollte, traf ihn der Bannstrahl des heiligen Stuhls. Es war eine ganz natürliche Entwicklung, wenn schließlich die Führer den Massen keinen revolutionären Willen zutrauten, weil sie selbst keinen besaßen. Die Führer betrachteten sich als das Hirn der Masse, mit dem Geldschrank und dem Verwaltungsapparat in der Hand.“

Holla, der Mann scheint nicht nur von Gestern zu sein, er ist es auch. Oder doch nicht? Wie um alles in der Welt konnte er meinen kleinen Dialog am DGB-Erfrischungsstand im Jahre 2003 vorhersehen? Hat er gar nicht. Nur die Gewerkschaften erfüllen immer noch eben jene Rolle, die sie schon vor dem Ersten Weltkrieg und vor dem Versuch einer sozialistischen Revolution im Jahre 1918 im kaiserlichen Deutschland erfüllt hatten. Und die Sozialdemokraten? Müller zitiert eine Aufruf des Parteivorstandes der SPD…

… Parteigenossen, wir fordern Euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewußten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster als irgend eine der letzten Jahrzehnte. Gefahr ist im Verzuge! Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“

… und einer Erklärung der Reichstagsfraktion der SPD: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. … Da machen wir wahr, was wir immer behauptet haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen! Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“

Zwischen den von mir gekürzten Zitaten liegt nicht viel. Bei Richard Müller nur eine Überschrift: „Eine weltgeschichtliche Katastrophe“; in der Geschichte die zehn Tage zwischen dem 25.6.1914 und dem 4.8. 1914. Dieser nationale Schwenk der deutschen Sozialdemokratie führte mit Volldampf in den ersten Weltkrieg, der weltweit Millionen Proletariern das Leben kostete. Zu guter Letzt die Reaktion eines Konservativen. Müller zitiert Prof. Hans Dellbrück (September 1914):

Wie weggeblasen war (von der deutschen Sozialdemokratie am 4. August) der ganze Schwulst der staatsfeindlichen Redensarten; der internationale Proletarier erwies sich als eine bloße Kampfesmaske; mit einem Ruck war sie heruntergerissen und es erschien das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten! Es genügt nicht, den Sozialdemokraten zu danken, daß sie ihr Parteiprogramm in die Ecke gestellt haben und unter der nationalen Fahne mit marschieren, sondern man muß sich auch klarmachen, welches Verdienst sie sich direkt durch ihre Organisationen erworben haben. Stellen wir uns vor, wir hätten diese großen Arbeitervereinigungen nicht, sondern diese Millionen ständen dem Staat nur als Individuen, gegenüber, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich sehr viele unter ihnen befinden würden, die nicht von der allgemeinen Bewegung ergriffen, der Einberufung zur Armee passiven oder auch aktiven Widerstand entgegengesetzt hätten.“

Ist es verwunderlich, daß der Kapitalismus nach jahrzehntelanger Propaganda von Gewerkschaftsführern, Sozialdemokraten und Konservativen als das Ende der Geschichte erscheint, als ein Hort der Glückseeligkeit?

Schlimmer geht’s immer!

Doch zurück zu Stephan Detjen: „Nach diesem Verhaltensmuster hat die IG-Metall aus dem Munde ihres Berlin-Brandenburgischen Landesvorsitzenden «mehr Lebensqualität» zum Streikziel in der ostdeutschen Metallindustrie erklärt. … Wir dürfen gespannt sein, wofür die IG-Metall ihre Mitglieder als nächstes zur Arbeitsniederlegung aufruft, wenn die nach dem Vernichtungskampf dieser Tage in den Trümmern der ostdeutschen Metallindustrie verbliebenen Arbeitnehmer nur 35 Stunden zu arbeiten brauchen. Sollten die Gewerkschaften dann zu der durchaus realistischen Einschätzung gelangen, dass sich die Lebensqualität ihrer Mitglieder noch weiter erhöhen ließe, können wir uns wahrscheinlich auf Streiks für besseres Wetter und dickere Grillwürste gefasst machen. …

Wie viel Lebensqualität ein Arbeitnehmer gewinnt, …, wird sich selbst mit einer verquast-kollektivistischen Gewerkschaftsrhetorik nicht erfassen lassen. Um so klarer bezifferbar aber werden die volkswirtschaftlichen Schäden sein, die dieser Streik in ganz Deutschland anrichtet. … In zynischer Offenheit lassen die Gewerkschaften keinen Zweifel daran zu, dass sich ihr Streik genau gegen das richtet, was die Menschen in den östlichen Ländern am bittersten benötigen: Es ist ein Kampf gegen die Arbeit und die damit verbundenen Chancen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Diese Lebensmöglichkeiten schmälern die Gewerkschaften im Augenblick vor allem für diejenigen, die überhaupt keine Arbeit haben.“

Detjen erweist sich als ein legitimer Nachfolger des von Müller zitierten Professor Dellbrück.

Wie Müller richtig bemerkt, liegt eine Funktion der Gewerkschaften darin, „Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen“. Wir leben in der Zeit von Hartz und Agenda 2010 und selbst Konservative wie die der Financial Times Deutschland stellen fest, das einige Maßnahmen des Staates nichts sind, als versteckte Lohnkürzungen. Die Zersplitterung der Lohnabhängigen ist blankes Geld für die Kapitalbesitzer, da die Arbeitskraft billiger zu haben ist. Die Angst vor der Konkurrenz in Osteuropa und Deutschland selbst, führt dazu, das immer mehr Arbeiter/innen und Angestellte dazu bereit sind, ihre Haut für immer weniger zu verkaufen. Es kommt noch schlimmer. Derzeit leidet des weltweite Kapital wieder unter einer Krise. Die produzierten Waren lassen sich nicht mehr absetzen. Immer weniger Arbeiter/innen produzieren immer mehr Waren. Das Verhältnis von „toter Arbeit“, also von Gebäuden, Maschinerie etc., die zur Ausbeutung der Arbeitkraft notwendig sind, zur „lebendigen Arbeit“, also zur Arbeitskraft, zum „Humankapital“ neigt sich immer mehr zur „toten Arbeit“. Damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann, ist es notwendig ein Teil des derzeit vorhanden Kapitals einzustampfen. Dies betrifft nicht nur das virtuelle Kapital, also die handelbaren Anrechtsscheine auf Ausbeutung, wie z.B. Aktien, sondern auch die Maschinerie und das „Humankapital“. Dies bedeutet schlicht, das die Anzahl der „erträglichen“ Arbeitsplätze und der Preis der Arbeitskraft – der Lohn – weiter sinken werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldmenge des Euro nicht mehr im Griff, wie der Deutschlandfunk in „Hintergrund Wirtschaft“ am 22.6.03 zu berichten wußte. Die Banken geben ein und dasselbe Geld vielfach heraus und schreiben es den Kontoinhabern gut. Doch gerade in der Krise ist nur Bares Wahres und es droht eine Bankenkrise, wenn die Banken auf die Forderung „Sehen!“ kein Geld vorweisen können. Deshalb holen sie sich immer mehr Geld von der EZB. Doch die zunehmende Geldausgabe verschlimmert das Problem nur und macht den ins Haus stehenden Crash, der zur notwendigen Kapitalvernichtung führt, nur um so härter.

Die einzige Chance, die die Arbeiter/innen haben, ist die proletarische Kooperation. Sei es die Chance auf ein erträgliches Leben innerhalb des Kapitalismus, die durch dessen krisenhafte Entwicklung letztlich begrenzt ist, oder eine Chance auf die Überwindung der Ausbeutung überhaupt. Diese Kooperation muß weiter reichen, als bis zu dem Betrieb, in den man gerade arbeitet, über die „eigene“ Branche hinaus und über die Grenzen des Landes hinaus, in den man gerade Steuern zahlt. Gerade dagegen wendet sich Detjen. Eine weitere Vereinzelung und Individualisierung der Lohnabhängigen ist nichts, als eine Einladung an die Kapitalbesitzer die Löhne weiter zu kürzen und den Arbeitsdruck weiter zu erhöhen. Eines der Resultate dieses Streiks ist, daß die Gewerkschaft zunehmend ihre Fähigkeit verliert, für die Arbeiter/innen erträgliche Bedingungen zu schaffen. Der faktische Wegfall der Flächentarifverträge begünstigt in dieser Situation weitere Lohnkürzungen.

Eines werden die Konservativen den „Ossis“ nie verzeihen. So beschissen und staatskapitalistisch die DDR auch war, sie bleibt Deutschlands Schande und die ostdeutschen Proleten werden dafür bezahlen. Mit längeren Arbeitszeiten und weniger Entgeld. Und jeder Ungeist im Osten, der sich eventuell noch gegen den deutschen Kapitalismus richtet, soll ausgetrieben werden.

Für «pursuit of happiness»

Doch es zeigt sich, daß Detjens keineswegs ein uneingeschränkter Gegner von „verquast- kollektivistischer“ Rhetorik ist und keineswegs ein grenzenloser Freund der «pursuit of happiness», des Strebens oder der Jagd nach dem Glück. Ihm ist nur die proletarische Solidarität zuwider, das Glück, das nicht nach Arbeit strebt. Ihm geht es um das „verquast-kollektivistische“ Deutschland. Jenes Deutschland das im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege vom Zaum gebrochen hat, Millionen von Menschen mit bürokratischer Sorgfalt ermordet hat und über dem sich derzeit ein übler antiamerikanischer Mief erhebt. Das ist das Kollektiv das Detjen für die ostdeutschen Metaller/innen für geeignet hält. Er will es sehen, „das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten!“ Die deutsche Volkswirtschaft ist seine Sorge, keineswegs das individuelle Glück der Arbeiter/innen.

Wenn Detjen in übertriebener Weise die ostdeutsche Metallindustrie in Trümmern sieht, so gibt er dem ollen Marx ungewollt und unbewußt recht, wenn dieser der „heiligen Familie“, einigen seiner Zeitgenossen, entgegenhält:

Die kritische Kritik schafft Nichts, der Arbeiter schafft Alles, ja so sehr Alles, daß er die ganze Kritik auch in seinen geistigen Schöpfungen beschämt; die englischen und französischen Arbeiter können davon Zeugnis ablegen. Der Arbeiter schafft sogar den Menschen; der Kritiker wird stets ein Unmensch bleiben, wofür er freilich die Genugtuung hat, kritischer Kritiker zu sein.“ *)

In einen Punkt irrt Detjens leider: Die IG Metall kämpft nicht gegen, sondern für mehr Arbeit. In einem anderen Punkt irrt er sich ganz gezielt: die ostdeutschen Metallarbeiter/innen und alle Lohnabhängigen weltweit brauchen nicht am dringendsten Arbeit, sondern besseres Wetter und dickere Grillwürste oder was auch immer ihr Geschmack begehrt. Wo kommen wir denn da hin, wenn die Proleten weltweit massenhaft für ihr individuelles Glück auf die Straße gehen? Vielleicht zu einer Gesellschaft ohne Ausbeutung? Weg von den verquast-kollektivistischen Nationen. Weg von Kommentatoren, die das Glück für Andere nur in der Arbeit erblicken können. Das Glück der Arbeiter/innen liegt auf der Straße, ihre «pursuit of hapiness» führt sie weg von der Arbeit in den Fabriken, Büros, Geschäften etc. Sie schaffen alles, doch nichts für sich, nicht mal den Menschen. Statt dessen schaffen sie ihr eigenes Joch, daß die Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, nur noch als Arbeit, als Möglichkeit des Verkaufs der eigenen Arbeitskraft erscheinen läßt. Also heraus auf die Straße. Für besseres Wetter und dickere Grillwürstchen! Und Senf und Ketchup nicht vergessen!

v.sc.d

*) K.Marx, F.Engels „Die heilige Familie oder die Kritik der kritischen Kritik“

35 Stunden

Denkmal

In jüngster Zeit wird häufig auf eine Ursache des geringen Wirtschaftswachstums hingewiesen. Der Binnenkonsum ist zu gering. Was ist das für eine Wirtschaft, die krankt, weil zu wenig konsumiert wird? Der Reihe nach: Die Menschen arbeiten, um zu leben. Man kocht, weil man etwas essen will. Niemand ißt, um hinterher endlich wieder Geschirr spülen zu können. Auf Leute, die behaupten (Lohn-)Arbeit mache Spaß und sie wüßten sonst nichts mit ihrer Zeit anzufangen, soll hier nicht eingangen werden.

Warum soll mehr konsumiert werden? Damit die Wirtschaft wächst. Warum? Damit Arbeitsplätze entstehen. Warum? Damit es Wohlstand für alle gibt. Was heißt das? Das alle konsumieren können. Wer Arbeitsplätze nicht als Wert an sich ansieht, kommt zu folgender Logik: Wir müssen heute mehr essen als gestern, damit wir morgen überhaupt noch etwas zu essen haben. Alles klar?

Der naive Geist mag sich sagen, wenn mehr Güter und Dienstleistungen produziert als konsumiert werden, warum müssen dann immer mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden (denn nicht anderes bedeutet die Forderung nach längeren Arbeitszeiten und mehr Arbeitsplätzen). Gleichzeitig werden die Löhne gekürzt. Für das Gemeinwohl müssen wir alle den Gürtel enger schnallen. Wie jetzt? Fressen für’s Gemeinwohl oder Gürtel enger schnallen? Die Gesundheitsminister/innen der wirtschaftlichen Zentren klagen über das zunehmende Übergewicht unter „ihrer“ Bevölkerung, während Millionen Menschen jeden Tag mit leerem Magen schlafen gehen. Gemeinwohl? Wohlstand für alle? Wohl kaum. Warum versorgen wir nicht alle Menschen mit genügend Lebensmitteln? Weil das der Wirtschaft schaden würde. Daß es der Wirtschaft gut geht, bedeutet nicht, daß es der Mehrheit der Menschen gut geht. Im Gegenteil. Warum zerbrechen wir uns also den Kopf „der Wirtschaft“?

v.sc.d

Think Tank

Wie das Geld, so die Wahl

Freiheit ist relativ. Die relativ freieste Gesellschaft, die ich bisher erlebt habe, bestand zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 in der Noch-DDR. Heute läßt es sich schwer vorstellen, daß führende Staatsmänner sich vor tausenden Menschen rechtfertigen und erklären müssen. Man erinnere sich an Kohl, der die Sonntagsdemo von Hunderttau­senden einfach weggewischt hat, oder an Schröder, der keinen Zweifel daran ließ mit der Polizei die Ordnung wiederherzustellen, als eine Benzinpreiserhöhung Tausende auf die Straße trieb. 1989 war die Bereitschaft unter den Leuten, sich aktiv in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen so stark wie nie zuvor und hat auch danach nie wieder auch nur annähernd dieses Niveau erreicht. Die Anzahl der Zeitungsprojekte explodierte, wie die der unkonventionellen, erfrischend (selbst-)kritischen Musikprojekte. Nie war es einfacher, mit Leuten, von denen man es vorher nie erwartet hätte, ernsthaft über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren. Nie gab es mehr Engagement. Dies alles erstarb mit der letzten Volkskammerwahl, der ersten „freien“. Von da ab übernahmen die Politprofis wieder das Kommando und die meisten Leute zogen sich ins Private zurück.

Nun war es wieder mal an der Zeit, die eigene Stimme den Politiker/innen zu geben, anstatt sie selbst zu erheben. So wie das Geld das Mittel der Ausbeutung ist, so sind Wahlen das Mittel der Entmündigung.

v.sc.d

Kommentar

Für die Diktatur bereit

Zum Naziaufmarsch am 1. Mai in Leipzig

Antifaschismus ist keine besonders revolutionäre, ja nicht einmal speziell linke Angelegenheit. Warum bekommt dann der Naziaufmarsch am 1.Mai in diesem Heft einen so großen Platz eingeräumt? Er wäre doch bestenfalls eine Kurzmitteilung wert, à la „Am 1.Mai wollten einige hundert Nazis durch Leipzig marschieren. Tausende Menschen schickten sie dahin, wo der Pfeffer wächst“. Punkt. Fall erledigt. Doch so ist es nicht passiert, weshalb es angebracht ist, ein paar mehr Worte zu verlieren.

Es hatte sich tatsächlich ein buntes Völkchen von über tausend Menschen zusammengefunden, die der Meinung waren, einen Naziaufmarsch könne man nicht hinnehmen. Am Augustusplatz setzten sich die ersten Leute auf die Kreuzung. Doch dann tauchte Pfarrer Führer auf, mit einem Pappkreuz, auf dem „keine Gewalt“ stand. Sich als Vertreter der Anwesenden begreifend, handelte er mit der Polizei eine Demonstration zum Völkerschlachtdenkmal aus. Die Route überdeckte sich mit der der Nazis und die Demo sollte den Rechten vorangehen.

Bereits nach wenigen Metern zeigte sich, daß es dem Pfarrer und mit ihm vielen weiteren nicht darum ging, den Nazis entgegenzutreten, sondern nur darum, den Schein zu waren. Als die Polizei einen Demoteilnehmer aus dem Zug herausgriff, blieben Leute stehen, um nicht eher weiterzugehen, bis der Gefangene wieder frei wäre. Doch Herr Führer, seine ewige Wahrheit vor sich hertragend, schritt weiter voran, als wollte er die Strecke für die Nazis segnen. Es hätte ihn wohl nicht gestört, hätte die Polizei nach und nach alle Demoteilnehmer/innen in Gewahrsam genommen und wäre er allein am Völkerschlachtdenkmal angekommen.

Auch viele andere wollten weitergehen, um die Polizei nicht zu provozieren, anstatt sich für den Gefangenen einzusetzen. Schließlich wurde dieser nach einigen Minuten freigelassen und der Zug bewegte sich weiter. Durch eine Bummeltaktik und kleine Konflikte zwischen Demonstrant/innen und Polizei, zog sich der Demozug in die Länge. Als die nachfolgende Nazidemo in Sichtweite gelangte, blieb der hintere Teil der Demo auf der Kreuzung Prager Straße/Rie­beck­straße stehen, um die Route zu blockieren.

Die Polizei forderte – wenig überraschend – die Leute auf, die Kreuzung zu räumen. Keine der anwesenden Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Anti-Rechts-Bündnisse oder auch nur ein/e Vertreter/in unterstützte den Blockadeversuch. Im Gegenteil. Es wurde alles unternommen, um die Blockierer/innen von ihrem Vorhaben abzubringen. Ein Anti-Rechts-Bündnis benutzte dazu sogar Polizeilautsprecher. Doch manche Leute waren nicht bereit, den Nazis freiwillig Platz zu machen. Dann folgte – wieder wenig überraschend – eine Polizeistandardprozedur.

Auf der Kreuzung befanden sich vielleicht etwas mehr als hundert Leute, davon bildeten ein paar Dutzend auf der Prager Straße eine Kette. Es waren keine besonderen Leute, bunt zusammengewürfelt und unorganisiert. Ein paar junge Punks, ein paar ohne besondere Kennzeichen. Sie waren völlig chancenlos, der Polizei, die mit mehreren Wasserwerfern vor Ort war, auch nur eine Minute lang standzuhalten.

Der Einsatzleiter ging vor, als hätte er die aufgeschlagene Dienstvorschrift vor sich liegen. Nach dreimaliger Aufforderung den Platz zu verlassen und der Ankündigung „einfache Gewalt“ und Wasserwerfer einzusetzen, drängte die Polizei unter Einsatz von Fausthieben, Tritten und Püffen die Leute vom Platz. Dennoch war es den Demonstrant/innen gelungen, die Nazis durch ihre Blockade für eine Weile zu stoppen.

Wie hätte denn aus einer bürgerlich liberalen Sicht in dieser Situation der Aufmarsch gestoppt werden können? Zum Beispiel, in dem die komplette Demo auf der Route stehengeblieben wäre. Die Polizei wäre wahrscheinlich froh gewesen, einen guten Grund zu finden, die Nazis wieder heimzuschicken. Die Vorkontrollen deuteten darauf hin. In den städtischen und sächsischen Behörden hätte sicher jemand mit Verweis auf die demokratische Breite des Widerstand gegen den Aufmarsch die Verantwortung übernommen, die Blockade nicht zu räumen.

Am Ende wären alle über ihre Courage und die allgemeine Demokratiefähigkeit froh gewesen, die verschiedenen Vertreter hätten sich gegenseitig auf die Schulter geklopft, Leipzig erneut als „Heldenstadt“ gefeiert und die Mündigkeit der Bürger gelobt. Der Feierabend! hätte sich auf die bereits erwähnte Kurzmitteilung beschränkt.

Aus liberaler Sicht ist es weder Aufgabe der Polizei noch der Justiz einen Naziaufmarsch zu verhindern. Es ist die Aufgabe der sogenannten mündigen Bürger. Doch die waren am 1.Mai bis auf wenige Ausnahmen weit und breit nicht zu sehen. Statt dessen Untertanengeist und mehr vorauseilender Gehorsam, als der Polizei lieb war.

Der Herr Pfarrer hatte irgendwie „übersehen“, daß ein Naziaufmarsch an sich schon Gewalt ist und der galt es entgegenzutreten. Die Parteienvertreter/innen hatten „übersehen“, daß es keine nichtge­nehmig­ten Demonstrationen gibt. Denn das Grundgesetz (Artikel 8) gewährt Versammlungsfreiheit. Die Behörden genehmigen also keine Demonstrationen, sie können sie allenfalls einschränken oder verbieten. Letzteres nur in Ausnahmefällen. Eben das hatte Bürgermeister Tschense „übersehen“, als er die Gerichte für das Stattfinden des Naziaufmarsches verantwortlich machte.

Anstatt den Aufmarsch wirklich zu verhindern, suchte man zahlreiche Ausflüchte. Von symbolischen Erfolgen war die Rede, davon, daß durch eine Blockade die Nazis gewinnen würden, daß es doch mehr Gegendemonstrant/innen gewesen wären und so weiter. Rhetorik und Redegewandt­heit ersetzten Mündigkeit und Courage. Von einem bürgerlich-liberalen Verhalten keine Spur. Im Geiste sind viele Vertreter/innen von Staat und Organisationen für die Diktatur bereit.

Die 68’er haben gezeigt, daß auch militante Konflikte innerhalb eines demokratischen Staates diesen Staat modernisieren können. Ehemalige Straßenkämpfer und Anwälte der RAF sind jetzt Minister. Bei diesen Konflikten wurde die Grenze Legalität teilweise überschritten, ohne das dadurch die bürgerliche Demokratie Schaden genommen hätte.

Wir leben in einer Zeit, in der der Druck von Staat und Kapital auf die Lohn­abhängigen stark erhöht wird. Der mündige Bürger, für den es legitim ist, die Grenzen der Legalität unter gewissen Umständen auch mal zu überschreiten, ist dann ein Risiko. Im ersten Quartal dieses Jahres betrug beispielsweise das Wirtschafts­wachstum 1,5% gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres. Dieses Quartal war aber auch um einen Tag länger. Wäre es genauso lang gewesen, wie das entsprechende Vorjahresquartal, hätte das Wirtschaftswachstum 0,7% betragen. Proteste, die sich nicht auf Symbolik oder Rhetorik beschränken und etwa mit Streiks verbunden sind, bilden eine ernsthafte Gefahr für die Wirtschaft, sprich das Kapital.

Eine noch größere Gefahr entsteht dann, wenn der mündige Bürger durch sein eigenständiges und kritisches Handeln erkennt, daß er oder sie in einer Klassengesellschaft lebt, die auf Ausbeutung der Arbeit der Lohnabhängigen beruht. Dann könnte er/sie sich zum klassenbewußten Proletarier wandeln, der es legitim findet, sich gegen Ausbeutung durch das Kapital an sich zu wenden. Dann doch lieber eine Diktatur.

Das wußte auch schon Leipzigs ehemaliger Oberbürgermeister Carl F. Goerdeler. Goer­deler war zwischen 1933 und 1937 Mitglied der Regierung Hitler, ein Gegner der Gewerkschaften und des von Hitler geschlossenen deutsch-polnischen Frie­dens­abkommens, bekennender Antisemit und ein Gegner der Demokratie. Er versuchte nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Jahre 1944 durch einen Putsch gegen die Nazis, den zweiten Weltkrieg für Deutschland zu retten. Dafür wurde ihm in Leipzig ein Denkmal gesetzt.

Der mündige Bürger ist der Held der liberalen Ideologie und doch für den realen kapitalistischen Staat ein ständiges Risiko, welches insbesondere in Krisenzeiten nicht erwünscht ist.

Noch ein Wort zur Ex-Berufs-Antifa. Es ist klar, Arbeit ist Scheiße. Doch warum Ihr mit Eurem Beruf Euren Antifaschismus abgelegt habt, ist unverständlich. Nein, es gibt keine Verpflichtung, ständig irgendwelchen Dumpfbacken hinterherzujagen, auch keine moralische. Bedenklich ist nur das kollektive Wegbleiben. Ist es Euch keine Herzensangelegenheit mehr Nazis in die Schranken zu weisen? Oder schafft ihr es ohne Aufruf nicht mal mehr bis auf’s Klo?

Fazit ist, daß an diesem Tag nur Wenige beherzten Antifaschismus gezeigt haben. Und die haben dafür ein blaues Auge oder ein Anklage wegen Beleidigung riskiert. Die meisten Demonstrant/innen sind vor den Nazis davongelaufen.

v.sc.d

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