Archiv der Kategorie: Feierabend! #13

Ökomacht?

Wer sich am 7.6. gegen 18 Uhr der Nikolaikirche näherte, um an der geplanten Montagsdemonstration gegen Sozialabbau teilzunehmen, mag sich verwundert die Augen gerieben haben. Schließlich waren dort mit der SPD und den Grünen ausgerechnet jene zwei Parteien mit Ständen präsent, die als Bundesregierung den Abbau der sozialen Sicherungssysteme maßgeblich vorantreiben. Wie sich herausstellte, war jedoch gar nicht die Montagsdemonstration der Grund ihrer Anwesenheit. Vielmehr waren sie der Einladung eines Bündnisses gegen Genfood gefolgt, welches wohl maßgeblich vom Ökolöwen initiiert wurde – zumindest war der dritte Stand von diesem. Sein Redner wies dann per Megafon darauf hin, wie wichtig es doch wäre, sich an den kommenden Wahlen zu beteiligen. Gerade bei den Europawahlen gälte es, durch das Kreuz an der richtigen Stelle das alte Europa zu stärken, damit es dem Druck der USA, genmanipulierte Nahrungsmittel zu erlauben, widerstehen könne. Nun mag es gute Gründe geben, skeptisch gegenüber Genfood zu sein. Wer aber wie hier geschildert argumentiert, treibt den EU-Nationalismus, der sich wesentlich aus einer Abgrenzung zu den USA definiert, voran. So macht mensch sich zum nützlichen Idioten der europäischen Großmachtspolitik, die sich auf Grund der relativen militärischen Schwäche im Vergleich zu den USA noch auf deren moralischen Diskreditierung verlegen muss und sich deshalb offenbar nicht nur als Friedens-, sondern auch als Ökomacht darstellt. Übrigens: Die Montagsdemonstration wurde von Winfried Helbig, der sie für das Sozialforum Leipzig angemeldet hatte, abgesagt, weil er sich nicht in die Nähe von SPD und Grünen bringen lassen wollte … immerhin ein Lichtblick an diesem Abend.

j.e.mensch

Lokales

selbst ist der text

(spätfolgen von 12 jahren deutschunterricht)

es war einmal ein text. er begann mit einer einleitung. die einleitung bestand aus drei sätzen. doch sie wuchs weiter und weiter. nach dem vierten satz beschloss sie langsam aber sicher in der hauptteil überzugehen.

auch der hauptteil fing klein an, aber er hatte den vorteil sich auf die einleitung beziehen zu können und enthielt erstmals nebensätze, die mit einem komma vom restlichen satzgebilde abgetrennt wurden. das machte es wesentlich schwerer die sätze zu zählen. also beschloß der hauptteil nur die satzgebilde zu zählen, die zwischen den punkten standen. er enthielt jetzt schon drei punkte, also drei ganze satzgebilde. die einleitung hatte fünf punkte enthalten, der hauptteil bestand allerdings aus einer größeren anzahl von wörtern und buchstaben als die einleitung. er war jetzt schon über 500 buchstaben und 92 wörter lang. zusammen mit der einleitung und der überschrift ergab sich nun eine anzahl von über 150 wörtern. der hauptteil hielt dies für völlig ausreichend und überließ dem schluss den rest.

der schluss fasste noch einmal zusammen, dass es sich um einen relativ langen text gehandelt hatte. die überschrift hatte aus vier wörtern bestanden und der text ergab mit dem schluss eine runde sache aus genau 200 wör­tern.

dan

Lyrik & Prosa

Für die Diktatur bereit

Zum Naziaufmarsch am 1. Mai in Leipzig

Antifaschismus ist keine besonders revolutionäre, ja nicht einmal speziell linke Angelegenheit. Warum bekommt dann der Naziaufmarsch am 1.Mai in diesem Heft einen so großen Platz eingeräumt? Er wäre doch bestenfalls eine Kurzmitteilung wert, à la „Am 1.Mai wollten einige hundert Nazis durch Leipzig marschieren. Tausende Menschen schickten sie dahin, wo der Pfeffer wächst“. Punkt. Fall erledigt. Doch so ist es nicht passiert, weshalb es angebracht ist, ein paar mehr Worte zu verlieren.

Es hatte sich tatsächlich ein buntes Völkchen von über tausend Menschen zusammengefunden, die der Meinung waren, einen Naziaufmarsch könne man nicht hinnehmen. Am Augustusplatz setzten sich die ersten Leute auf die Kreuzung. Doch dann tauchte Pfarrer Führer auf, mit einem Pappkreuz, auf dem „keine Gewalt“ stand. Sich als Vertreter der Anwesenden begreifend, handelte er mit der Polizei eine Demonstration zum Völkerschlachtdenkmal aus. Die Route überdeckte sich mit der der Nazis und die Demo sollte den Rechten vorangehen.

Bereits nach wenigen Metern zeigte sich, daß es dem Pfarrer und mit ihm vielen weiteren nicht darum ging, den Nazis entgegenzutreten, sondern nur darum, den Schein zu waren. Als die Polizei einen Demoteilnehmer aus dem Zug herausgriff, blieben Leute stehen, um nicht eher weiterzugehen, bis der Gefangene wieder frei wäre. Doch Herr Führer, seine ewige Wahrheit vor sich hertragend, schritt weiter voran, als wollte er die Strecke für die Nazis segnen. Es hätte ihn wohl nicht gestört, hätte die Polizei nach und nach alle Demoteilnehmer/innen in Gewahrsam genommen und wäre er allein am Völkerschlachtdenkmal angekommen.

Auch viele andere wollten weitergehen, um die Polizei nicht zu provozieren, anstatt sich für den Gefangenen einzusetzen. Schließlich wurde dieser nach einigen Minuten freigelassen und der Zug bewegte sich weiter. Durch eine Bummeltaktik und kleine Konflikte zwischen Demonstrant/innen und Polizei, zog sich der Demozug in die Länge. Als die nachfolgende Nazidemo in Sichtweite gelangte, blieb der hintere Teil der Demo auf der Kreuzung Prager Straße/Rie­beck­straße stehen, um die Route zu blockieren.

Die Polizei forderte – wenig überraschend – die Leute auf, die Kreuzung zu räumen. Keine der anwesenden Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Anti-Rechts-Bündnisse oder auch nur ein/e Vertreter/in unterstützte den Blockadeversuch. Im Gegenteil. Es wurde alles unternommen, um die Blockierer/innen von ihrem Vorhaben abzubringen. Ein Anti-Rechts-Bündnis benutzte dazu sogar Polizeilautsprecher. Doch manche Leute waren nicht bereit, den Nazis freiwillig Platz zu machen. Dann folgte – wieder wenig überraschend – eine Polizeistandardprozedur.

Auf der Kreuzung befanden sich vielleicht etwas mehr als hundert Leute, davon bildeten ein paar Dutzend auf der Prager Straße eine Kette. Es waren keine besonderen Leute, bunt zusammengewürfelt und unorganisiert. Ein paar junge Punks, ein paar ohne besondere Kennzeichen. Sie waren völlig chancenlos, der Polizei, die mit mehreren Wasserwerfern vor Ort war, auch nur eine Minute lang standzuhalten.

Der Einsatzleiter ging vor, als hätte er die aufgeschlagene Dienstvorschrift vor sich liegen. Nach dreimaliger Aufforderung den Platz zu verlassen und der Ankündigung „einfache Gewalt“ und Wasserwerfer einzusetzen, drängte die Polizei unter Einsatz von Fausthieben, Tritten und Püffen die Leute vom Platz. Dennoch war es den Demonstrant/innen gelungen, die Nazis durch ihre Blockade für eine Weile zu stoppen.

Wie hätte denn aus einer bürgerlich liberalen Sicht in dieser Situation der Aufmarsch gestoppt werden können? Zum Beispiel, in dem die komplette Demo auf der Route stehengeblieben wäre. Die Polizei wäre wahrscheinlich froh gewesen, einen guten Grund zu finden, die Nazis wieder heimzuschicken. Die Vorkontrollen deuteten darauf hin. In den städtischen und sächsischen Behörden hätte sicher jemand mit Verweis auf die demokratische Breite des Widerstand gegen den Aufmarsch die Verantwortung übernommen, die Blockade nicht zu räumen.

Am Ende wären alle über ihre Courage und die allgemeine Demokratiefähigkeit froh gewesen, die verschiedenen Vertreter hätten sich gegenseitig auf die Schulter geklopft, Leipzig erneut als „Heldenstadt“ gefeiert und die Mündigkeit der Bürger gelobt. Der Feierabend! hätte sich auf die bereits erwähnte Kurzmitteilung beschränkt.

Aus liberaler Sicht ist es weder Aufgabe der Polizei noch der Justiz einen Naziaufmarsch zu verhindern. Es ist die Aufgabe der sogenannten mündigen Bürger. Doch die waren am 1.Mai bis auf wenige Ausnahmen weit und breit nicht zu sehen. Statt dessen Untertanengeist und mehr vorauseilender Gehorsam, als der Polizei lieb war.

Der Herr Pfarrer hatte irgendwie „übersehen“, daß ein Naziaufmarsch an sich schon Gewalt ist und der galt es entgegenzutreten. Die Parteienvertreter/innen hatten „übersehen“, daß es keine nichtge­nehmig­ten Demonstrationen gibt. Denn das Grundgesetz (Artikel 8) gewährt Versammlungsfreiheit. Die Behörden genehmigen also keine Demonstrationen, sie können sie allenfalls einschränken oder verbieten. Letzteres nur in Ausnahmefällen. Eben das hatte Bürgermeister Tschense „übersehen“, als er die Gerichte für das Stattfinden des Naziaufmarsches verantwortlich machte.

Anstatt den Aufmarsch wirklich zu verhindern, suchte man zahlreiche Ausflüchte. Von symbolischen Erfolgen war die Rede, davon, daß durch eine Blockade die Nazis gewinnen würden, daß es doch mehr Gegendemonstrant/innen gewesen wären und so weiter. Rhetorik und Redegewandt­heit ersetzten Mündigkeit und Courage. Von einem bürgerlich-liberalen Verhalten keine Spur. Im Geiste sind viele Vertreter/innen von Staat und Organisationen für die Diktatur bereit.

Die 68’er haben gezeigt, daß auch militante Konflikte innerhalb eines demokratischen Staates diesen Staat modernisieren können. Ehemalige Straßenkämpfer und Anwälte der RAF sind jetzt Minister. Bei diesen Konflikten wurde die Grenze Legalität teilweise überschritten, ohne das dadurch die bürgerliche Demokratie Schaden genommen hätte.

Wir leben in einer Zeit, in der der Druck von Staat und Kapital auf die Lohn­abhängigen stark erhöht wird. Der mündige Bürger, für den es legitim ist, die Grenzen der Legalität unter gewissen Umständen auch mal zu überschreiten, ist dann ein Risiko. Im ersten Quartal dieses Jahres betrug beispielsweise das Wirtschafts­wachstum 1,5% gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres. Dieses Quartal war aber auch um einen Tag länger. Wäre es genauso lang gewesen, wie das entsprechende Vorjahresquartal, hätte das Wirtschaftswachstum 0,7% betragen. Proteste, die sich nicht auf Symbolik oder Rhetorik beschränken und etwa mit Streiks verbunden sind, bilden eine ernsthafte Gefahr für die Wirtschaft, sprich das Kapital.

Eine noch größere Gefahr entsteht dann, wenn der mündige Bürger durch sein eigenständiges und kritisches Handeln erkennt, daß er oder sie in einer Klassengesellschaft lebt, die auf Ausbeutung der Arbeit der Lohnabhängigen beruht. Dann könnte er/sie sich zum klassenbewußten Proletarier wandeln, der es legitim findet, sich gegen Ausbeutung durch das Kapital an sich zu wenden. Dann doch lieber eine Diktatur.

Das wußte auch schon Leipzigs ehemaliger Oberbürgermeister Carl F. Goerdeler. Goer­deler war zwischen 1933 und 1937 Mitglied der Regierung Hitler, ein Gegner der Gewerkschaften und des von Hitler geschlossenen deutsch-polnischen Frie­dens­abkommens, bekennender Antisemit und ein Gegner der Demokratie. Er versuchte nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Jahre 1944 durch einen Putsch gegen die Nazis, den zweiten Weltkrieg für Deutschland zu retten. Dafür wurde ihm in Leipzig ein Denkmal gesetzt.

Der mündige Bürger ist der Held der liberalen Ideologie und doch für den realen kapitalistischen Staat ein ständiges Risiko, welches insbesondere in Krisenzeiten nicht erwünscht ist.

Noch ein Wort zur Ex-Berufs-Antifa. Es ist klar, Arbeit ist Scheiße. Doch warum Ihr mit Eurem Beruf Euren Antifaschismus abgelegt habt, ist unverständlich. Nein, es gibt keine Verpflichtung, ständig irgendwelchen Dumpfbacken hinterherzujagen, auch keine moralische. Bedenklich ist nur das kollektive Wegbleiben. Ist es Euch keine Herzensangelegenheit mehr Nazis in die Schranken zu weisen? Oder schafft ihr es ohne Aufruf nicht mal mehr bis auf’s Klo?

Fazit ist, daß an diesem Tag nur Wenige beherzten Antifaschismus gezeigt haben. Und die haben dafür ein blaues Auge oder ein Anklage wegen Beleidigung riskiert. Die meisten Demonstrant/innen sind vor den Nazis davongelaufen.

v.sc.d

Lokales

Der Alptraum ist aus

Kleine Hommage an die Anti-Olympische Bewegung

Mittwoch, 18.05. 13.30 Uhr, Leipzig – Gleichzeitig mit der Verkündung der Frohen Botschaft vom Ausscheiden der „Heldenstadt“, gibt das Antiolym­pische Komittee Leipzig (AOK) seine Auflösung bekannt. Die Story einer kleinen aber feinen Bewegung, die im Laufe ihrer kurzen Geschichte nicht nur von Seiten der Obrigkeit ignoriert und ab und zu bekämpft wurde, geht zu Ende.

Olympia war kein eingrenzbares „Böses“, gegen das sich eine Bewegung mit Hilfe liberaler Öffentlichkeit hätte wenden können, wie etwa Nazis oder Atomkraft. Olympia war ein tausendfach definiertes Ziel der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Der „Leipziger“ im Besonderen und der „Deutschen“ im Allgemeinen.

Spätestens nach der Pro-Olym­pia-Demo des Herrn Führer und der bitteren Erkenntnis, wirklich die komplette selbsternannte „fa­mi­ly“ gegen sich zu haben, lag es nahe, das „Volk“ seiner eigenen Dummheit zu überlassen und sich um anderes als Sport- und Standortkritik zu küm­mern.

Die glor­rei­che Selbst­sicht des AOK-Plakats zur bun­des­wei­ten De­mo am 15. Ma­i, wo ein tri­umphaler Anti-Olympia-Drache den bösen Leip­zig2012-Wurm bezwingt, lag jedenfalls daneben. Passender wäre ein AOK – Don Quijote im heldenhaften aber aussichtslosen Kampf gegen die Leipziger Windmühlen gewesen.

Viele kritische Menschen gelangten während der langen Leipzig-Jubel-Kam­pagne zur makaberen Einsicht, dass sich eine lokalpatriotische Öffentlichkeit nicht überzeugen, aber provozieren lässt. Deshalb gab es während der „heißen Phase“ unmittelbar vor der Entscheidung kei­nen Anti-Olympia-Info­stand im Zentrum, dafür aber nächtliche Aktiv-Spa­ziergänge, um die Stand­ort­politiker mit „Na­del­stichen“ (AOK) zu traktieren.

Durch die sportliche Grund­stim­mung in der Stadt lag es nahe, den anti-olympischen Aktivismus als sportlichen Wettkampf („wir gegen die“) zu begreifen. Die Stadt nahm die Herausforderung an und schickte täglich früh am Morgen ein Sonderkommando der „Blau-Gelben Engel“ zum Übermalen entsprechender Graffiti los. Etwas anderes als blaue one-family-Fahnen sollte nicht zu sehen sein. Andere Leute verlegten sich auf den „Laufe für Leipzig“-Staffellauf, um den Olympia-Stab zu entführen. Nächtelanges Auf-der-Lauer-Liegen und die dauernde Frage, ob es politisch korrekt ist, im Park Leute zu überfallen, führten dann aller­dings doch nicht zum Erfolg.

Was dann folgte, war die bundesweite Demo. Mit Spannung erwarteten viele einen Krawall im Connewitzer Silvester-Stil, oder befürchteten Polizeiübergriffe, was dann aber komplett ausblieb. Im Anschluss ließ sich sogar noch die Pro-Olym­pia-Bühne am Augustusplatz be­setzen, wo laut LVZ „Tausende Leipziger“ gegen „ca. 300 Kritiker“ demonstrierten. Quoten wie in alten Zeiten.

Wenn die Anti-Olympische Bewegung auch klein war – eine große Tragikomik hatte sie auf jeden Fall. Und einen grandiosen Abschluss. – Während sich die Vorzeige-LeipzigerInnen am 18. Mai weinend in den Armen lagen (möglicher­weise um aufs LVZ-Titelbild zu kommen), ließen andere die Sektkorken knallen. Abends sammelte sich am Connewitzer Kreuz eine spontane Party, die sich später an den Südplatz verlagerte, um bis tief in die Nacht mehr oder weniger sportlich die Kreuzung zu besetzen.

Wenn es auch nicht die großartige Bewegung war, die uns das Happy End schenkte, sondern fehlende Leip­­ziger Ho­tel­betten – gewonnen haben am Ende WIR. Es war eine gran­diose Party.

soja

Lokales

Olympia und Leipzig – war es Liebe?

Die Kandidatenstädte sind New York, Moskau, London, Madrid, Paris und … Nein! Keine sechste Stadt folgte. Erstarrte Gesichter, Buhrufe, Fassungslosigkeit… kurz darauf verlassen die ersten den Platz, auf dem Boden zerknüllte und zerrissene Winkelemente. Noch eine halbe Stunde vorher wurde gejubelt: „Leipzig 2012“ gab der Moderator vor. „one family“ kam es von den sicherlich 5000 Zuschauern zurück. Auch „Leipzig“-Rufe erschallten, wenn teilweise schon gequält klingende Durchhalteparolen („wir schaffen das“) durchgegeben wurden. Anfangs mußten die Animatoren auf der Bühne noch nachhelfen: „wir sind hier nicht zum Spass“, „das könnt ihr aber besser“, „ich will euch toben sehen“ wurden schließ­­­­lich befolgt und der Wunsch einer Mittzwanzigerin („Macht doch mal mit“) erfüllt. Es konnte sogar eine Laola-Welle zustandegebracht werden, die es allerdings nicht mehr zurück zur Bühne schaffte weil sie an einer schwarz abgetönten Containerwand zerschellte. Wer weiß, wer sich dahinter verbarg? Warteten dort Tiefensee und Milbradt auf ihren Auftritt um noch einmal zu bekräftigen, daß in Leipzig niemand gegen Olympia wäre. Als hätte es nicht drei Tage vorher die antiolympische Demo gegeben, die es sogar bis ins ZDF geschafft hat. Doch egal, schon kurz darauf war der Spuk vorbei. OBM und Ministerpräsident mußten gute Miene zum bösen Spiel machen und die guten Verlierer mimen. Tiefensee lobte die tollen Bürger, ihr Engagement und ihre Ideen – und wenn’s denn nicht Olympia ist, so gibts den City-Tunnel als Trostpflaster.

Doch brauchte es wenig Inhalte für kreative proolympische Aktionen. Die Notwendigkeit, das Mega-Event mit Argumenten zu unterfüttern, war bereits kurz nach der Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees obsolet geworden. So klar war die Zustimmung im öffentlichen und medialen Stadtbild vertreten, so marginal die Gegenstimmen, die, wenn sie denn kamen, durchaus rationaler waren als der Jubelbrei. Die Olympia-Bewegung war eine irrationale, ja eine kollektiv emotionale. Man brauchte keine Argumente mehr, denn es ging ja um Leipzig, denn man war ja Leipziger. Der Lokalpatriotismus war das größte Pfund für die Pläne Tiefensees, der sich wie kein Anderer mit Olym­pia identifiziert hat und wurde. 11.000 sollen für Olympia durch Leipzig gejoggt sein, mit Staffelstab, Olym­pia- und Deutsch­land­fahne. Damit ist die Reaktion der Leipziger auf die Olympiapläne nicht zu vergleichen mit den Reaktionen, die ein Redakteur des FA! in London beobachtete. Hier eine Kleinstadt, die sich darauf freut einmal groß zu sein; dort eine Großstadt, die ohne Aufkleber und Fahnen auskam, in der die Menschen an solche Großprojekte gewöhnt sind und erkannt haben, daß diese ihr alltägliches Leben nicht verbessern. Viel­leicht wer­den auch die Leip­ziger eines Tages diese Erfahrung machen.

Woher kommt der Wunsch nach einer kollektiven gemeinschaftlichen Vision? Liegt es an der Vereinzelung innerhalb der kapitalistischen Maschinerie? Am Arbeitsplatz ist mensch doch nichts mehr als ein kleines Rädchen im Getriebe, gehetzt von den Vorgesetzten, sechs bis zehn Stunden Unfreiheit. Mit Olympia können die so Malträtierten plötzlich etwas sein, Teil etwas Größerem, was sie aus ihrer Routine heraushebt. Gerne nehmen sie die kollektive Vision an, die ihnen von oben geschenkt wird. Der schon längere Zeit grassierende Leipzig- und Standortpatriotismus erreichte mit dem Olympiataumel seinen vorläufigen Höhepunkt. Forciert wurde er unter anderem im Zuge der BMW-Bewerbung durch die Stadt, anlässlich der Antinaziaktionen und Montagsdemons­tratio­nen durch zivilgesell­schaftliche Kreise um die Niko­lai­kirche, dem Aktionskreis Frieden und dem Bündnis „Courage zeigen“ und nicht zuletzt auch im Rahmen der alljährlichen Stu­dieren­­den­­proteste der letzten Jahre (der Januarstreik ist weitgehend ohne Standort­argu­mentation ausgekommen). Auch an den Wahlplakaten zur Stadtratswahl am 13.6. sieht man, „Leipzig“ scheint für die Werbeagenturen der wirksamste Köder, um die Leute zu fangen und an die Leine zu legen. Kombiniert mit Deutschland wird das Netz perfekt. Die Nation und eine konstruierte lokale Gemeinschaft bilden für viele den Fluchtpunkt aus den eigenen erniedrigten Lebensumständen. Aber die Menschen hängen am Gummiseil. Es schnellt zurück in die öde Realität, die Nationalismus und Lokal­patriotismus nur übertünchen können. Anstatt zu verdrängen, daß man nur ein kleines Rädchen ist, daß man gezwungen ist, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen und Befehlen Folge zu leisten, sollte man aufhören ein Rädchen zu sein. Dies ist wichtig, um nicht auf die nächsten lo­kal­­patrio­ti­schen „Brot und Spiele“ hereinzufallen.

Es gibt aber auch Leute, die ganz handfeste Gründe haben. So argumentierte ein Bauarbeiter, er sei für Olympia, weil er hoffe, damit seinen Arbeitsplatz zu sichern. Dies zeigt zumindest, daß die Analyse nicht ganz so einfach ist und die Frage noch unbeantwortet bleibt: Gibt es die „One family“ oder ist sie nichts weiter als eine mediale Projektion? Dieser Slogan, kreiert durch die Werbeagentur Heimrich & Hannot, ähnelt, auch wenn er in englischer Sprache daherkommt, dem Konzept der Volksgemeinschaft. In der „einen Familie“ verschwimmen Unterschiede und Gegensätze in der homogenen Gemeinschaft, alle sind einer Meinung und arbeiten an ihrer Position als kleiner Angestellter oder Firmenboß. Es handelt sich hier also um eine Festschreibung der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse, die real allein schon durch die ungleiche Mittelverteilung zur Produktion und Konsumtion von Gütern Interessensgegensätze hervorbringt. Diese existieren allerdings in der „einen Familie“ nicht mehr, werden eingeebnet, die kleinen Rädchen sollen mit ihrer Position zufrieden sein.

Nun gibt es diese Umfragen mit den 90 % Zustimmung, deren Pro­paganda­­funktion unübersehbar ist und deren Vertrauenswürdigkeit sicher nicht unhinterfragt angenommen werden kann.

Andererseits haben wir auch die Staffelläu­fer, die vielen Vereine, die Jubelhymnen in der LVZ, der Trauerflor nach der Niederla­ge und eine allgemein starke Leipzig­identi­fikation, die durchaus eine Mehrheits-„one family“ möglich erscheinen lassen. Auch der Gegensatz zu London wurde von uns bereits festgestellt. Dem gegenüber steht die materielle Hoffnung unseres Bauarbeiters, die verlogene Zahl von tausenden Teilnehmern an der Pro-Olympia-Menschenkette anlässlich der Anti-Olympia-Demo, und natürlich auch die passive Mehrheit, die weder proolympische noch antiolympische Neigungen in die Öffentlichkeit getragen hat und deren Position daher nur gemutmaßt werden kann. Es gibt in Leipzig einen starken Lokalpatriotismus, aber ist er tatsächlich so stark, wie ihn „one family“, die Volksgemeinschaft aus der PR-Agentur, erscheinen lässt?

Für uns, die dem Olympia­hype mehr als skeptisch gegenüberstanden, ist dies eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird.

kater francis murr

Lokales

Hippie-Yuppie-Meile vs. Einheitskommerz

Bahnt sich ein neuer Häuserkampf im Leipziger Süden an? Barrikaden auf der Karli? Gut gegen Böse? Oder doch alles nur ein Interessenkonflikt zwischen Kapitalisten?

Verhärtete Positionen wurden diskutiert und näherten sich an.“

In der Pressemitteilung der „TLG Immobilien“ soll der Eindruck erweckt werden, die Gegensätze zwischen ihr, der Be­trei­ber­gesellschaft des FEIN­KOST Geländes und der Mieterge­meinschaft „IG Feinkost“, seien eigentlich gar nicht so wild.

Von Seiten der Nutzer­Innen des Geländes hört sich das schon anders an: „Es ist unmissverständlich klar gemacht worden, dass die IG Feinkost weiter­hin für ihr Konzept der kostengünstigen Sanierung im Bestand, der Schaffung eines großzügigen Bereiches für kleinteilige kulturelle und gewerbliche Nutzung sowie gegen die Ansiedlung von Discounterflächen in der von Ihnen angestrebten Größenordnung kämpfen wird.“

Für das neue „Stadtteilzentrum Löffelfamilie“ soll immerhin die Hälfte des Ex-Industrieareals für Einheitskommerz wie Aldi verplant werden, da „Untersuchungen der Stadt ermittelten, dass ein Verbrauchermarkt in dieser Größenordnung in dieser Region“ nicht nur sinnvoll, nein: „absolut sinnvoll ist“.

Der Rest bliebe für die jetzigen Kleinläden übrig, die (bestimmt nicht uneigennützig) ein alternatives Image bemühen und damit für das beliebte Label der Südvorstadt als Hippie-Yuppie-Meile verantwortlich sind.

Eine gehegte und gepflegte Marke, von „Rücktritt“ bis „Mrs.Hippie“, die es aber für die TLG möglich macht, genau in diese Kerbe zu schlagen: „Bei uns ist der Eindruck entstanden, dass hier lediglich die bisherige Situation im Interesse einer Handvoll Mieter zementiert werden soll. An einer Aufwertung des Stadtteils insgesamt haben diese Leute kein Interesse.“

Der bürgerliche Standort-Reflex soll hier wieder mal gegen „diese Leute“, also den inneren Feind gewendet werden. Neuer­dings sollen dies die Feinkost-Mieter sein, die diese Rolle aber gar nicht mögen.

Statt Verbalradikalismus und Mobilisierung der alternativen Szene für eine Kampagne im Stil vom Conne Island, wenden sie sich mit einer Unterschriftenkampagne an die „Bürgerinnen und Bürger“, von denen sich auch schon einige Tausend eintrugen. Schließlich geht es für die IG um „eine für die Zukunft der Südvorstadt außerordentlich wichtige Entscheidung“. Sie empört sich darüber, dass die TLG-Leute „das Klischee der bunten Chaoten und gewieften Abzocker bemühen“, um die Stadt auf ihre Seite zu bringen und das Feinkost-Areal notfalls im Stil eines besetzten Hauses polizeilich räumen zu lassen.

Mrs.Hippie wird die schon einige Wochen alte Räumungsklage jedenfalls ignorieren und die IG Feinkost hat alle Gespräche bis auf weiteres ausgesetzt.

Fortsetzung folgt…

soja

Lokales

Ein Prost auf die Libellen!

Seit nunmehr einem Jahr wird in der Kolonnadenstraße 19, im libertären Zentrum Libelle, politisch gearbeitet. Die Bilanz fällt größtenteils positiv aus. Auch wenn es sicher noch vieles zu verbessern gibt. Grund genug jedenfalls, mit Kaffee und Kuchen, Cocktailbar und Schlammbowle, Schokokusswurfmaschine und Sterni, mit Musik von Peryton und Flos Jongelage-Einlagen zu feiern. Daß auch die Suppe reichte, lag sicher nicht an den langweiligen Wahlkampfabschlußveranstaltungen der Parteien in der Innenstadt, sondern wohl eher daran, daß der Wagenplatz am Lauerschen Weg just am gleichen Tag seinen Freundenkreis zum Feste eingeladen hatte. Und so mancher zog so die Wiese der Straße vor. Zudem war manche auch nach Pirna gefahren, um dem antifaschistischen Hilferuf der lokal Aktiven zu folgen und danach wohl zu müde, sich noch aufzuraffen. Nichtsdestotrotz, vor der Toilette war es den ganzen Abend richtig eng. Platz genug indes gab es für so manche Diskus­sion mit der Nachbarschaft, der eine brachte gar ein Buch­ge­schenk und eine Bana­nenpflanze mit. Ein runder Abend schließ­lich, der erst im Morgengrauen endete. Nach einem bunten Fest und einigen Katerstunden war allen klar: Ein guter Anfang, weiter so!

clov

Lokales

Monopol erneut bestätigt

Seit dem 13. Juni 2004, ist in Leipzig eine neue Polizeiverordnung in Kraft, die eine gewisse Art öffentlicher Kommunikation ein weiteres Mal kriminalisiert. Der Erlass über „Sicherheit und Ordnung“ wurde am 19. Mai im Stadtrat beschlossen und zeichnet sich vor allem durch Pflichten bzw. Verbote für BürgerIn­nen und weitere Befugnisse für die Polizei aus. So ist es untersagt, in Parks zu übernachten und/oder zu urinieren. Hundehal­terIn­nen haben von nun an mit Polizeikontrollen zu rechnen, ob sie die vorgeschriebenen Kotbehältnisse mit sich führen. Die Ausweitung der Zuständigkeiten der Polizei, das Eindringen der Verwaltung in die geringsten Nischen ge­­sell­schaftlicher Angelegenheiten, nimmt in der Verordnung groteske Züge an. Es drängt sich die Frage auf nach der Henne und dem Ei: sind die BewohnerInnen der Stadt unfähig zur Interaktion, dass es solcher Regelwerke bedarf; oder schaffen erst solche Edikte die unmündige Borniertheit?

Nicht hinter jeder Ecke kann ein Polizist stehen, daher ruft das „Amtsblatt“ wieder zur Denunziation auf. Da geht es natürlich nicht nur um Häufchen oder wildes Campen, sondern um Graffiti und Plakate. Wie bereits seit 21 Monaten, ist auch künftig noch das Anbringen von „Plakaten, Anschlägen, Aufklebern“ verboten, die nicht „Ankündigungen, (und) Anpreisungen“ darstellen. Ausgenommen sind die „speziell dafür zugelassenen Flächen“ (§5) In Absatz 4 heißt es: „die Rechte Privater an ihrem Eigentum bleiben von dieser Regelung unberührt.“ Und so bleibt etwa kom­­merziellen Betreibern von Litfaßsäulen, fremde Plakate abzunehmen und die Klebe-Trupps zu verfolgen. Die Feststellung aus Feierabend! #2 gilt weiterhin: es ist „von vorneherein schonmal jeder in den illegalen Raum gedrängt, der den öffentlichen Raum zur öffentlichen Kommunikation nutzen will.“ Sofern er/sie nicht dafür zu blechen bereit ist.

 

A.E.

Lokales

„… sie zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.“

Interview mit einem Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums

Feierabend!: Das Europäische Wirtschaftsforum und sein Gegengipfel sind jetzt vorbei. Vielleicht willst Du, bevor wir darauf kommen, etwas über Dich und Deine Intention erzählen bei der Vorbereitung des Alternativen Wirtschaftsforum mitzuwirken.

Jakub: Okay. Mein Name ist Jakub und ich bin Mitglied der Anarchistischen Föderation. Ich bin Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums. Damit wollen wir die Idee weiterverbreiten, dass es verschiedene Wege gibt, sich gesellschaftlich zu organisieren, und dass es zum Neoliberalismus ökonomische Alternativen gibt.

FA!: Für viele Globalisierungsgegner ist die Alternative ein starker Staat, der die Wirtschaft kontrolliert. Ist das auch Deine Vorstellung?

J: Natürlich nicht. Wir sind gegen den Staat und alle Lösungen, die auf Hierarchien basieren. Wir unterstützen selbstorganisierte Kollektive von Arbeitern. Das bedeutet, daß alle an der Entschei­dungsfindung teilhaben.

FA!: Was meinst Du, wenn Du von Arbeitern sprichst?

J: Ich meine den aktiven Teil der Gesellschaft, der sinnvolle Arbeit für diese leistet. Speziell meine ich die Leute, die keine Manager sind, die nicht entscheiden können, was sie tun, die die vorgesetzten Pläne erfüllen müssen.

FA!: Was ist die Rolle der Manager? Haben sie nicht ihre eigenen Zwänge?

J: Ja, es ist wahr, daß Manager auch Opfer des Systems sind und ihre Handlungen durch das System determiniert sind. Sehr oft fangen Manager von kleineren Unternehmen an, ihre Angestellten auszubeuten, weil sie schwierige Konkurrenz­bedin­gungen durch multinationale Unternehmen haben. In Ländern wie Polen begegnest Du oft dem Phänomen, dass die Eliten kleiner werden und Menschen der Mittel- oder Managerklasse dazu gezwungen werden für jemand anders zu arbeiten.

FA!: Ausgebeutet zu werden ist etwas anderes, als für jemanden zu arbeiten?

J: Das kapitalistische System basiert immer auf Ausbeutung. Aber natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Familienwirtschaft und Unternehmenswirtschaft. Das Unternehmenssystem übernimmt Bereiche der Familienwirtschaft, wie kleine Geschäfte, und das steigert die Ausbeutung.

FA!: Zu unserem konkreten Thema: dem Wirtschaftsforum. Wie reagierten Regierung und Medien nachdem das libertäre Milieu begann, Gegenaktivitäten vorzubereiten?

J: Sie reagierten mit Hysterie und versuchten Panik zu verbreiten. Sie wollten keine Argumente hören. Stattdessen zeigten sie Bilder von Straßenschlachten. Damit verweigerten sich die Medien einer Debatte über wichtige ökonomische Themen und zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.

FA!: Und während des Gipfels?

J: Während des Gipfels berichteten die Zeitungen ein wenig über die Demonstra­tion. Aber dies ist nicht vergleichbar mit dem Platz, den sie dafür verwendeten, Artikel über Alterglobalisierer zu schreiben, die die Stadt zerstören würden. Am Tag nach der Demonstration fand eine Pressekonferenz statt und nur fünf Journalisten kamen. Weil es nicht zu Straßenschlachten kam, hatten sie auch kein Interesse am Hintergrund der Demonstration. Sie brachten ein paar Bilder und einige schrieben, dass es ein Skandal wäre, dass die Polizei soviel Geld ausgegeben hat.

FA!: Wieviel Polizei war denn da?

J: Die Polizei zog in Warschau Einsatzkräfte aus ganz Polen zusammen, 15.000 Polizis­t­Innen für vielleicht 4000 Demonstran­­tInnen plus nochmal 4000 PassantInnen, die zufällig vorbeikamen.

FA!: Du hast Dich sicherer gefühlt, von so viel Polizei beschützt zu werden?

J. (lacht): Nein, nein! Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie habe ich mich nicht so sicher gefühlt.

FA!: Du hast von Alterglobalisierern (1) gesprochen, nicht von Globalisierungsgegnern. Was ist der Grund? In Deutschland gibt es einen solchen Begriff meines Wissens nicht.

J: Ich denke es gibt ihn nicht nur in Polen. Aber wir verwenden diesen Namen, weil wir damit unterstreichen wollen, dass wir nicht gegen jede Globalisierung sind. Zum Beispiel haben wir nichts gegen kulturelle Globalisierung. Wir sind gegen die Globalisierung des Kapitals. Wir ziehen Alterglobalisierung der Antigloba­lisierung auch vor, weil oft nationalistische Gruppen sich selbst Globalisierungsgegner nennen und wir mit denen nichts gemein haben.

FA!: In anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien werden die großen Events der Antiglobali­sierungs­bewegung von reformistischen Parteien und Organisationen organisiert bzw. dominiert, wie attac, Rifondazione Comu­nis­ta oder hierarchischen NGO’s. Hier in Warschau wurden die Gegenaktivitäten vom „libertären Milieu“ organisiert. Was ist besonders in Polen?

J: Es gibt einen Unterschied zwischen Ost- und West­europa. Das sind historische Gründe. Die radikale Bewegung in Polen hat eine anti­stalinis­tische Tra­­dition, weil Stalinismus offensichtlich eine Form von Herrschaft war, die das Leben der Leute kontrolliert hat. Deshalb vertrauen viele Menschen keiner Bewegung mehr, die von einem Staat spricht, der kommen wird um die Probleme der Menschen zu lösen und ihnen Gerechtigkeit zu bringen.

FA!: Haben linke Parteien oder andere reformistische Organisationen an der Demonstration teilgenommen. Und wer hat noch mitgewirkt?

J: Es nahm eine Partei namens „Neue Linke“ teil, die aus der Polnischen Sozialistischen Partei kommt, dazu die Grüne Partei, die hier etwas Neues ist, und die trotzkistische Organisation „Arbeiterdemokratie“, die von der englischen Socialist Workers Party finanziert wird. Aber keine der mehr oder weniger radikalen Protestbewegungen hat eine große soziale Basis.

Aber es waren einige Farmer da und Bergarbeiter aus Walbrzych (²), die nicht Teil der reformistischen Gewerkschaft sind, sondern ihre eigene Organisation haben. Da waren Leute von der OKP, einem Netzwerk von Arbeiter­protest­komi­tees aus Fabriken in ganz Polen, die umstrukturiert werden sollen: von Oza­row, Cegielski in Poznan, von UnionTex in Lodz.

FA!: Gab es Probleme zwischen AnarchistInnen und diesen Parteien?

J: Natürlich gab es Probleme. Wir wollten verhindern, dass sie aus unserer Arbeit eine Wahlkampagne machen. Zum Beispiel versuchte die „Neue Linke“ den Eindruck zu erwecken, dass sie Mitorganisatoren des Alternativen Wirt­schafts­forums wären.

FA!: Denkst Du, daß diese selbstorganisierten Arbeiterkomitees in Zukunft eine größere Rolle spielen werden?

J: Ich hoffe es! Sie haben gezeigt, dass Menschen aus verschiedenen Fabriken mit ähnlichen Bedingungen zusammenarbeiten können. Aber da sind einige Minuspunkte: oft gehen die Unterstützungs- und Solidaritätsaktionen nicht über Worte und Erklärungen hinaus. Ein richtiger Durchbruch kann kommen, wenn die Leute die Bedeutung des Solidaritätsstreiks wieder entdecken.

FA!: Zurück zum Alternativen Forum. Denkst Du, dass es ein Erfolg war?

J: Es kommt auf die Perspektive an. Eine friedliche Demonstration zu machen, war gut um die Ansässigen, die ängstlich waren, auf unsere Seite zu bringen. Und als sie die Demonstration mit Picknick-Atmosphäre sahen, haben sie sich uns angeschlossen und nach unserer Meinung gefragt. Aber auf der anderen Seite ist eine friedliche Demonstration kein gutes Argument den Ort des European Economic Forum zu wechseln. Eines unserer Ziele war es, zu verhindern, dass das Forum nächstes Jahr wieder in Warschau organisiert wird. Aus dem lokalen Blickwinkel war es ein Erfolg, aus der allgemeinen Perspektive nicht notwendigerweise. Aber für die meisten ist die lokale Betrachtung wichtiger.

FA!: Du sagtest, es gab eine positive Reak­tion der Einwohner. Was wird sich an Deiner alltäglichen politischen Arbeit ändern? Was ist Deine Perspektive?

J: Einige Leute sind jetzt stärker an den Themen interessiert, über die wir reden. Es ist für sie jetzt weniger abstrakt. Aber natürlich braucht es nun eine Menge Arbeit um anhaltende Ergebnisse zu erzielen.

FA!: Ich habe jetzt keine Fragen mehr, aber vielleicht möchtest Du noch etwas sagen, sozusagen die berühmten „letzten Worte“!

J: Das Alternativforum zu organisieren, war sehr interessant, brachte viele Leute zusammen und wir sind sehr froh neue Kontakte zu haben. Aber die wahre Veränderung kommt von der täglichen Arbeit und nicht von einmaligen Großereignissen.

FA!: Danke schön!

(1) alter, lat.: der/die/das Andere
(2) Social Committee in Defence of the Biedaszyby

Nachbarn

Krieg ist Frieden ist . . .

Einige Eindrücke zu den Wahlkampagnen 2004 . . .

Wieder mal Wahlen . . . . .ob Kommunal-, Landtags- oder Europa­wahlen, der Bürger durfte sich ent­scheiden. Aber wie? Als kleine oder auch größere Ent­scheidungs­hilfen prang­ten an jeder nur erdenklichen Stelle Wahl­werbeplakate. Nach Wählerstimmen heischend lächelten dort Stadträte von Straßenlaternen herunter, einige suhlten sich, Sturm bedingt oder bewusst heruntergerissen, schnell im Straßenmatsch des verregneten Sommeranfangs.

Die CDU setzte mit dem comic-haften Leipziger Löwen auf die junge Wähler­schaft. . . Die FDP blieb ihrer Geld­fixierung treu und war so kreativ, ihrem Programm mit ganzen drei Worten Ausdruck zu ver­leihen: „Geld-Stadt-Wahl“. . . Die SPD machte aus der Einfachheit eine Tugend. Ein Foto und vage Worte sollten überzeugen. Aber schließlich ging es ja auch nur um ein paar Kreuze. . . Die PDS versuchte mit einer „X statt Y-Strategie“ ihr Programm für den sozialen Wirtschaftsstandort zu for­mulieren. Mit den Forderungen „Arbeit statt Almosen“ oder „Aufträge statt Pleiten“ wollen sie für ein „Leipzig gerecht“ einstehen. Die Frage, ob diese Logik nicht letztendlich dazu führt, dass Mensch gelinkt wird, weil die Sachzwänge der Marktwirtschaft immer Ungerechtigkeit hervorrufen, wird an keinem Punkt gestellt.

Aber darum geht es ja auch gar nicht. Egal welches Programm oder welche Ver­sprechen gemacht wurden, die Wahlen dienen zuerst der erneuten Legitimation der par­la­mentarischen Demokratie, die bei der stetig sinkenden Wahlbeteiligung immer frag­würdiger wird. Daher kommt auch der grundlegende Aufruf der PDS, „Wählen statt Resignieren“, als kleinster Konsens aller Parteien, nicht über­raschend. Mit dem moralischen Zeige­finger sollen die Wahlmuffel zurück zur Urne getrieben werden, wo sie zwischen dem größeren und dem kleineren Übel wählen dür­fen. Was bei der Wahl herauskommt ist letztlich nicht so wichtig. Denn am Ende bleiben alle Parteien nur ein Teil der bürgerlichen Demo­kratie­maschine und somit unfähig, den Menschen auf der Straße das Recht auf Selbstbestimmung einzuräumen; weder mit noch ohne Mehrheit im Parlament.

Die Generalsperspektive, aus der der Mensch nur am Wert seiner Nützlichkeit bemessen wird, wohnt dem Stellvertreter­system namens Demokratie inne. Sym­p­tome, wie der tief verwurzelte Büro­kratismus, zeigen dabei nur zu deutlich, wie weit die reale Politik und deren Kommunikation von den konkreten Bedürfnissen entfernt ist.

Europawahlen

Wesentlich schwereres Geschütz wurde vom Bundespresseamt und dem Europä­ischen Parlament für die Europawahl aufgefahren, um die 61,6 Millionen Wahl­berechtigten in Deutschland zu erreichen. Da gab es neben dem Europa­bus, eine alle Medien umfassende Kam­pagne. Abgesehen von einem Werbespot, der im Mai bundesweit durch Kinosäle und über U-Bahn-Moni­­tore flimmerte, präsentierten sich Stars und Sternchen der Promi­welt auf dem Fernsehbildschirm. Im Internet stand ein „Wahl-O-Mat“ dem unentschlossenen Wähler mit 30 Test­fragen zur Seite, an­hand derer ermittelt wurde, welche Partei ihm wohl am nächsten stehe. Das Ziel dieser über­partei­lichen Kampagne war es, die `inno­vative Insti­tution Europa` in den Köpfen der Men­schen als Leitfigur der neuen europäischen Konsu­menten­ge­mein­schaft zu verankern. Nicht umsonst werden, be­sonders von den Grünen, The­men, wie Verbraucherpolitik, Lebens­mittel­sicher­heit oder Verkehr als bürger­nahe Belange des Europäischen Parla­ments hervor­gehoben. Der `Binnen­markt’ Eu­ropa spiegelt unbegrenzte Wirt­schafts­räume (Freihandelszone) vor, obwohl die Grenz­markierungen nur ein wenig ver­schoben wurden. Allein wirt­schaft­lich nutzbare MigrantInnen sind in der Festung Europa erwünscht. Die anderen sollen doch bitte bleiben, wo sie sind und sich Armut, Krieg oder Ver­folgung stellen.

Die Gemeinschaft ist klar definiert.

Die Nationalstaatsbürger erhalten nun ein weiteres Identifikationsmerkmal. Sie werden zu Europabürgern, die jetzt auf einer weiter übergeordneten Ebene für den Erhalt ihrer Ohnmacht wählen dürfen.

Aber haben sie wirklich eine Wahl? Welchen Unterschied macht es, ob CDU, SPD oder gar die Bibeltreuen Christen im euro­päischen Parlament sitzen? Für den Wähler dürfte es nach der Stimmabgabe laufen, wie immer. Die biegsam formu­lierten Versprechen lassen sich schnell noch biegsamer umdeuten, womit die plakative Werbestrategie einmal mehr gute Dienste geleistet hätte. Aber schließlich war es auch nicht ihre Aufgabe, offen und ehrlich über die Möglichkeiten oder Grenzen der Realpolitik zu informieren. Es ging eher darum schlagkräftige Über­schriften mit der eigenen Partei in Verbindung zu bringen und beim Wähler auf eine Ge­dächtnisleistung bis zum 13. Juni zu hoffen.

Inwieweit Wahlkampagnen überhaupt geeignet sind, eine faktenorientierte Aufklärung zu verwirklichen, sei dahingestellt.

Besonders auffällig war im parteilichen Wahl­kampf für Europa das wieder salon­fähig gewordene nationalpatriotische Ideologie­vokabular (1). Gegen den Ver­trauens­verlust der Bürger in die Politik, der nach Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident durch „Ego­ismus, Gier und Anspruchsmentalität in Teilen der so genannten Eliten“ verursacht wird, sollen starke Worte ein neues nationales Gemein­schaftsgefühl pro­duzieren.

Horst Köhler, neuer „Bundespräsident aller Deutschen“, meint „Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander“.

Mit vollem Munde spricht die SPD gar vom „Deutschen Interesse“, dass sie in Brüssel vertreten will. Das Deutsche an sich darf wieder als Wert hoch­gehalten werden. Es ist gar „Zu­kunfts­gerecht“.

Ebenso offensiv prangt der SPD-Slogan „Friedensmacht – Politik mit Ent­schlos­sen­heit“ vor den Farben der Na­tional­flagge. Hier wird nicht mit Ar­gumenten gekämpft, sondern mit Worten. „Frie­densmacht“ ist das Instru­ment der Stimmungsmache.

Die negative Bedeutung des Wortes „Macht“ – viele verbinden es zunächst mit `Missbrauch` – wird umgekehrt. In Verbindung mit dem positiv besetzten Begriff „Frieden“ wird suggeriert, dass die SPD ihre „Macht“, die vom Wähler Zugestandene, nur zu gewaltfreien Zwec­ken verwendet. Das zu glauben, dürfte jedoch schwer fallen, angesichts der bisher betriebenen Außenpolitik. So wurde nicht nur 1999 im Kosovo bom­bardiert, son­dern auch 2003 erstmals unter der Hoheit der EU-In­terventions­truppe in der Demo­kra­tischen Republik Kongo eingegriffen, eben­so, wie 2001 in Afghanistan. Ge­kämpft wird hier nicht nur um die politische Macht, sondern ebenso um die Sprache, die den Menschen doch eigent­lich zur Verständigung dienen sollte, anstatt Gewalt zu legitimieren.

Die erste Wahl sollte daher sein, sich den Krieg nicht für Frieden verkaufen zu lassen und die eigene Stimme zu behalten!

wanst

(1) Ideologievokabular, das sind „Wörter, in denen politische Gruppierungen ihre Deutungen und Bewertungen der politisch-sozialen Welt, ihre Prinzipien und Prioritäten formulieren“. Josef Klein, Sprachwissenschaftler

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