Das VoKü-Rezept FA! #54

„Hey MV! Beim letzten Containern sind Unmengen Blumenkohl, Artischocken und Äpfel bei rum gekommen. Hast du ne schicke Idee für ein Vokü-Menü?

Sonnige Grüße, Molle“

 

Liebe_r Molle,

Sicher! Nur noch das eine und das andere dazu gekauft und los geht‘s. Hier die Vokü-Idee (für ca. 25 Personen):

 

Gang 1: Artischockencremesuppe

Zutaten:

ca. 40-50 Artischocken (je nach Größe)

2 Zitronen, in Scheiben

Zitronensaft

15 Zwiebeln, fein gewürfelt

6 Knoblauchzehen, zerdrückt

ca. 150g Mehl

4,5 l Gemüsebrühe

1,5 l Artischockenwasser

Sojamehl

750ml Sojasahne

1 Bd. Schnittlauch, in kleinen Röllchen

Kokosfett oder Margarine

Salz, Pfeffer

 

Zubereitung:

Die vorbereiteten Artischocken mit frischem Wasser und Zitronenscheiben aufsetzen, etwa ½ Stunde kochen lassen. Herausnehmen, Blätter und Heu entfernen, Kochwasser aufheben. Fett erhitzen, Zwiebeln dünsten, Knoblauch und Mehl dazu, anschwitzen. Mit Gemüsebrühe und Artischockenwasser ablöschen, 20-25 Minuten kochen lassen. Artischockenherzen nach 10 Minuten hinzufügen, salzen, pfeffern. Suppe pürieren. Eventuell mit Sojamehl andicken. Mit Sojasahne und Schnittlauchröllchen verfeinern. Fertig.

 

Gang 2: Gerösteter Blumenkohl mit Apfel-Hirse-Bratlingen und Soja-Joghurt

Zutaten:

6 Blumenkohlköpfe, geputzt, in Röschen

100ml Zitronensaft

2 Bd. glatte Petersilie, fein gehackt

300ml Olivenöl

200g Hirse

500g Möhren, fein geraspelt

100g Ingwer, fein geraspelt

1kg Äpfel, grob geraspelt

100g Lauch, fein geschnitten

350g Mehl

150g Balsamico (weiß)

150g Sonnenblumenkerne, geröstet

1,5kg Soja-Joghurt

1 Tiefkühl-Kräuter-Mix

3 Knoblauchzehen, zerdrückt

Kokosfett oder Margarine

Salz, Pfeffer

 

Zubereitung:

Backblech einfetten, Blumenkohl darauf legen, salzen. Bei ca. 220 Grad (vorgeheizt) 15-20 Minuten backen. Petersilie, Zitronensaft und Olivenöl mischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Würzöl über fertigen Blumenkohl geben.

Hirse kochen, abkühlen lassen. Mit Möhren, Ingwer, Äpfeln, Lauch, Sonnenblumenkernen und Balsamico mischen. Mehl zum Dicken dazu geben. Mit Salz und Pfeffer kräftig abschmecken. Bratlinge formen. Fett in Pfanne zergehen lassen. Bratlinge von beiden Seiten goldbraun braten.

Soja-Joghurt mit TK-Kräutern, Knoblauch, Salz und Pfeffer mischen. Fertig.

 

Gang 3: Apfel-Vanille-Grütze

Zutaten:

5kg Äpfel

400ml Zitronensaft

3l Apfelsaft

6 Pck. Vanille-Pudding-Pulver

Kokosraspeln oder Zimt (nach Geschmack)

Agavendicksaft (mind. 300ml)

 

Zubereitung:

Äpfel schälen und grob würfeln. Möglichst schnell mit Zitronensaft mischen. 500ml Apfelsaft mit Puddingpulver verrühren. Restlichen Apfelsaft kochen, Apfelstücke dazu geben und 2-3 Minuten kochen lassen. Puddingmasse einrühren, aufkochen, kurz kochen lassen, ständig rühren. Agavendicksaft, eventuell Kokosraspeln oder Zimt dazu geben. In Gläser oder Schalen füllen. Auskühlen lassen. Eventuell noch Vanille-Sauce oder Sahne dazu. Fertig.

 

[mv]

 

teenage warlord der liebe

it is not love that you want, schwester, ein warmes bett und etwas zu essen, dahinter bist du her, in einer von weißen jungen kaputtgespielten welt wirst du zum offiziersmesser, klappst jeden noch so obskuren trick, jede noch so stumpfe waffe aus, teenage warlord der liebe, romantik! romantik! achtung jetzt, wir halluzinierten wir wollten dasselbe, geborgen sein in sanften händen, aber da ist kein frieden, da ist kein frieden, manche halluzinieren den blühenden zweig, du aber hast den messerkampf gebracht, und manchmal hab ich gewartet, mit blut zwischen den zähnen, teenage warlord der liebe, das ist kein love song, die vögel im baum am morgen singen nicht, sie brüllen und scharren mit ihren reptilienfüßen, es ist keine schlechte welt, auf die wir beide stampfen, in meinem hass auf deinen verzweifelten krieg schimmert bewunderung, teenage warlord der liebe, teenage warlord der liebe, dein schöner körper liegt offen da, hart umfochtenes territorium, du gehörst dir nicht und eroberst dich jeden tag aufs neue, deine gebirgstäler und den seltsamen stein am fluß, wo du als kind deine hand aufs wasser gelegt hast, teenage warlord der liebe, auf eine weise schmeiße ich mich immer noch jeden tag zu deiner augenhöhe hin, um eine hand auzustrecken, für einen augenblick am rand vom dummen vorhang, irgendwie halte ich meine hand noch immer ausgestreckt, die dumme hand, die sich inmitten der scheinkämpfe jeden tag anders entscheidet, ausgestreckt bleibt, weil wir uns kennen, solidarity to the whole gang, teenage warlords der liebe. (wir helfen uns und singen das geschwisterlied, mit schlechten zähnen und wütender verachtung, für alle von uns, aber ich weiß es gibt noch welten, in denen es sich grad noch leben lässt.)

Editorial FA! #53

Mit dem Zuspätkommen ist das so eine Sache. In Maßen zu spät zu kommen, ist nicht weiter schlimm, sondern gehört fast schon zum guten Ton – „Pünktlichkeit plus“ nannte das der gute Max Goldt mal. Aber übertreiben sollte mensch es nicht. Klar, auch dieser Feierabend! sollte eigentlich viiieeel früher rauskommen, nach drei Monaten, und nicht erst nach sechs… Aber das kennt ihr, werte Leser_innen, ja bereits von uns. Wir sind eben haltlose Anarcho-Schlawiner und -Schlawinerinnen, und jetzt ist ja auch alles wieder gut. Peinlich ist nur, dass sogar der Cee-Ieh-Newsflyer uns diesmal einen Schritt voraus war: In dessen Märzausgabe findet ihr eine Kritik der IG Roboterkommunismus an dem in FA! #52 veröffentlichten Text der ADI, „Warum Degrowth und nicht Klassenkampf?“.

Sollten wir ab jetzt unser Heft vielleicht nicht mehr nach dem Erscheinungsmonat, sondern nach Jahreszeiten benennen? Dann kann die Sonne wieder aufgehen, denn der Frühling kommt. Außerdem bemühen wir uns beim Georg-Schwarz-Straßenfest im Mai um einen Generalablass vom Leipziger Papstbewerber Bruder Ignatius. Wir unterschlagen schon fleißig das Kleingeld aus der Feierabend!-Kasse und hoffen, dass es für unsere Sünden reicht. Ansonsten verbünden wir uns eben mit dem Teufel.

Nee, Blödsinn! Ganz im Ernst wollen wir in Klausur gehen, Strukturen besprechen, wieder arbeitsfähig werden. Dabei könnt ihr uns gern unterstützen – ob als Artikellieferant_in, Redaktionsmitglied oder fliegende_r Feierabend!-Händler_in. (einfach anschreiben unter: feierabendle@riseup.net).

Unsere „Verkaufsstelle des Monats“ ist übrigens die Anarchistische Bibliothek und Archiv Wien. Viel Spaß beim Schmökern!

Eure Feierabend!-Redaktion

Ein Job – 1000 Schlechtigkeiten

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) muss sich einiges anhören dieser Tage. Dabei gibt er doch beflissen den Mustersparer im Kabinett Tillichs. Ulbig will sich für höhere Weihen profilieren, im Juni OBM von Dresden werden. Inzwischen sind aber sogar „seine“ Polizisten schlecht auf ihn zu sprechen. Weil die Dienste vor allem für Großeinsätze steigen, die Stellen aber munter gekürzt werden, melden sie sich ständig krank, im Schnitt 32 Tage im Jahr – fast doppelt so oft wie der Durchschnittssachse. Jede dritte Beschwerde ist „psychisch bedingt“, klagt die Gewerkschaft GdP.

Das kann selbstverständlich nur eine grobe Schätzung sein, denn schließlich wurde letztes Jahr lächerliche 182 mal Anzeige gegen die Ordnungsmacht wegen Körperverletzung im Amt erstattet. Nur bei fünfen davon kam es überhaupt zu einer Anhörung und auch bei dieser handvoll Fälle konnte oder wollte die Justiz abschließend keine Schuld der beschuldigten, psychisch stabilen und integren Büttel feststellen.Wegen vorgeblicher Personalnot musste im Februar gar ein LEGIDA-Spaziergang untersagt werden. Ulbig reagierte wie gewohnt taktisch auf die patriotischen Abendlandbewahrer und kündigte eine neue Sondereinheit an, die gegen „straffällige Asylbewerber durchgreifen“ soll.

Das brachte Bundesinnenminister de Maiziere unter Zugzwang: auch er kündigte eine neue Antiterrortruppe an – auf dass sich Charlie Hebdo nie wiederhole! Die hochgerüstete und gepanzerte Schnelleingreiftruppen sollen auch für reguläre Einsätze bereitstehen und damit eine imaginierte Lücke zwischen Bereitschaftspolizei und GSG9 schließen. Ob die Superbullen dann Terroristen jagen oder doch wieder nur Fußballfans kontrollieren, muss die Zukunft zeigen. Der Neubau des BND ist indes durch einen Anschlag abgesoffen – dort kontrollierte ein privater Wachdienst.

bonz

Auf sie mit Idyll!

Gutgemeintes gegen LEGIDA

„Leipzig, du stolze Stadt!“ – so titelte die Bild-Zeitung, nachdem am Vortag, dem 12. Januar 2014, die erste LEGIDA-Demonstration über die Bühne gegangen war. Die Punktauswertung schien tatsächlich ziemlich eindeutig zu sein: Während sich auf der einen Seite rund 3000 „patriotische Europäer“ versammelt hatten, stellten sich ihnen etwa 30.000 Gegendemonstrant_innen in den Weg. „Für Toleranz, mit buntem, kreativem und vor allem friedlichem Protest – man kennt das ja. Die offene Gesellschaft wurde vorerst erfolgreich gegen ihre Feinde verteidigt.

Freiheitlich-demokratisches Liedgut

Allerdings wirken die demokratischen Abgrenzungsrituale einigermaßen befremdlich, wenn man ihnen aus der Nähe ausgesetzt ist. So geschah es an diesem Abend auch mir, als ich versuchte, mich eben mal geschmeidig durch die Menge zu schlängeln, die den Waldplatz verstopfte. Stattdessen fand ich mich minutenlang in der Menschenmasse eingekeilt und konnte mich nicht dagegen wehren, als plötzlich Sebastian Krumbiegel die nahegelegene Bühne betrat und ohne Umschweife ein Loblied auf die Toleranz anstimmte (1).

Die persönliche Integrität von Herrn Krumbiegel will ich hier nicht in Frage stellen – der Mann engagiert sich schon seit Dekaden „gegen rechts“, meint es also offensichtlich ernst und ehrlich. Aber trotzdem, und auch obwohl das Lied ziemlich kurz war, schaffte Krumbiegel es doch, erstaunlich viel Unsinn hineinzupacken. Das fing schon bei den ersten beiden Zeilen an: „Kein Mensch hat Lust auf Ärger / kein Mensch ist illegal“. Die erste ist eine Tatsachenfeststellung, die binsenhafter kaum sein könnte – klar, kein Mensch hat Lust auf Ärger. Dass kein Mensch illegal ist, ist dagegen bei weitem nicht so klar. Tatsächlich klassifiziert das demokratische Staatswesen alle naselang Menschen als „illegal“, wenn sie sich unerwünscht auf seinem Territorium aufhalten. In seinem ursprünglichen Kontext dient der Satz „Kein Mensch ist illegal“ auch genau dazu, dies als Tatsache zu benennen und zu skandalisieren – während in der Krumbiegel-Version nur noch die Aussage übrigbleibt: „Alles in Ordnung.“

Aber gut, es ist eh schon schwierig genug, es so hinzukriegen, dass sich am Ende alles reimt – wahrscheinlich wollte der Künstler beim Texten nur auf den Kehrreim hinaus, der da lautete: „Mal so von Mensch zu Mensch / Wir sind doch international.“ Mit „wir“ waren offenbar a) das weltoffene Leipzig, und b) der weltoffene Sebastian Krumbiegel gemeint. So berichtete Krumbiegel im Rest des Songs auch hauptsächlich von seinem Dasein als Tourist, wo er überall schon war (New York, Tokio) oder eben noch nicht war (in Rio, „aber das mach ich auch noch klar“). Gute Absicht hin oder her – es ist schon ziemlich doof oder dreist, sich mit Illegalisierten oder Geflüchteten zu vergleichen, weil man selber auch schon mal im Ausland war. Und auch die LEGIDA-Demonstrant_innen dürften sich kaum von ihrer Abneigung gegen bestimmte Menschengruppen abbringen lassen, nur weil Sebastian Krumbiegel so gern verreist. Im Ausland waren sie sicher auch schon mal – das hält im Zweifelsfall niemanden davon ab, rassistische Vorurteile zu hegen oder auf die eigene Nation stolz zu sein.

Das ficht Herrn Krumbiegel freilich nicht an. In seiner Perspektive „so von Mensch zu Mensch“ tauchen kompliziertere soziale Verhältnisse (wie z.B. das Verhältnis von Mensch und Staat) gar nicht erst auf. Was dann noch an Problemen übrig bleibt, sind letztlich nur Fragen der persönlichen Einstellung, die sich mit etwas gutem Zureden schon behandeln lassen: Seid tolerant, seid nett zueinander. Das klappt zwar nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Letztlich soll das „Courage zeigen“, „Farbe bekennen gegen rechts“ usw. ohnehin nur die eigene Identität bestärken: „Wir“ sind international, also weltoffen und tolerant und gute Demokrat_innen, während die anderen eben engstirnig, intolerant und undemokratisch sind.

Wer ist das Volk?

Mit so einer Identität kann man sich natürlich wohlfühlen. Man könnte sich aber auch fragen, wie denn „die anderen“, in diesem Fall also die LEGIDA-Demonstrant_innen, zu ihren Ansichten kommen. Und bevor man sich daran macht, den Status quo gegen all die unsympathischen „Auswüchse“ zu verteidigen, die er selbst mit schöner Regelmäßigkeit hervorbringt, könnte man sich auch über diesen mal ein paar Gedanken machen. Die „offene Gesellschaft“, das soll­ten wir nicht ver­gessen, ist auch eine Klassengesellschaft, die sich im Alltag (z.B. auf dem Arbeitsamt) nicht immer so nett ausnimmt wie auf lauschigen Demonstrationen für Toleranz.

Dreist gesagt ließe sich ja auch der Rassismus als Klassenfrage bestimmen: Bestimmte Merkmale, wie z.B. die Hautfarbe, werden als Begründung benutzt, um bestimmten Menschengruppen eine bestimmte Position in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zuzuweisen – es ist z.B. kein Zufall, dass Thilo Sarrazin gegen Hartz-IV-Empfänger_innen genauso hetzt wie gegen „Kopftuchmädchen“ und angeblich dumme Einwanderer aus dem arabischen Raum.

So thematisieren die LEGIDA-Demonstrant_innen – zumindest indirekt – immer auch ihre eigene Stellung in der Gesellschaft, wenn sie bestimmte Menschengruppen verteufeln und abwerten. Das Ziel ist es, die Nation und die eigene Position in dieser gegen eine vermeintliche Bedrohung von außen, also Werteverfall, unkontrollierte Einwanderung, islamische „Unterwanderung“ der Gesellschaft etc. pp. zu verteidigen. Wobei die Bewegung in der Tat vor allem für jene attraktiv zu sein scheint, die noch eine Position zu verteidigen haben: An den ersten LEGIDA-Demonstrationen beteiligten sich auffällig viele gut gekleidete Bürgerinnen und Bürger aus der Altersgruppe von vierzig an aufwärts – Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“ (2).

Das sorgte in den letzten Monaten für viel Verwirrung, weil sich eben auch die Gegner_innen von PEGIDA/LEGIDA als „Mitte der Gesellschaft“ fühlten und in Szene setzten. So gestaltete sich die ganze „Debatte“ hübsch spiegelbildlich. Zum Beispiel bezeichnete Justizminister Heiko Maas die PEGIDA-Demonstrant_innen als „Schande für Deutschland“ (3), was bei diesen wiederum für helle Empörung sorgte – den Vorwurf, sie seien nicht ordentlich nationalistisch, wollten sie nicht auf sich sitzen lassen. Politiker_innen und sonstige Prominente wiesen darauf hin, dass eine geregelte Einfuhr von „nützlichen“ Ausländern doch gut für den Standort sei (4) – während die PEGIDA-Demonstrant_innen schlicht abstritten, dass „die Ausländer“ irgendwelche besonderen Fähigkeiten mitbrächten, so wie ein älterer Demonstrant in Dresden es beispielhaft formulierte: „Das sind alles junge Kerle … Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass das hochqualifizierte Fachkräfte sind!“ (5)

Und letztlich passt auch Sebastian Krumbiegel in dieses Szenario hinein: Während er ein imaginäres Deutschland verteidigt, wo „kein Mensch illegal“ ist und es auch sonst keine nennenswerten Probleme gibt, wollen die PEGIDA-Demonstrant_innen ein starkes, souveränes Deutschland, wo es nicht zu viele Ausländer, aber dafür schöne „christliche“ Weihnachtsmärkte gibt, wo erzgebirgische Holzschnitzkunst und sonstige Folklore gepflegt wird und alle fleißig den „Faust“ oder die „Buddenbrooks“ lesen. Die Bedrohung kommt in beiden Fällen von außen – von islamischen Barbarenhorden oder von einigen Ewiggestrigen, die es immer noch nicht gelernt haben, zu allen Menschen nett zu sein.Man muss den Vergleich natürlich nicht überstrapazieren. Wenn man Lust hat, kann man auch darüber streiten, welche Vorstellung von Deutschland man nun sympathischer findet – imaginär sind sie alle beide.

justus

(1) www.youtube.com/watch?v=bZZx0EPnBOA

(2) so mein subjektiver Eindruck, der von einer Studie der TU Dresden bestätigt wird: vgl. http://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2015/1/pegida_pk

(3) www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-heiko-maas-nennt-proteste-schande-fuer-deutschland-a-1008452.html

(4) z.B. in der Bild-Zeitung: www.bild.de/politik/inland/pegida/promis-sagen-nein-zu-pegida-39208948.bild.html

(5) zu finden hier www.youtube.com/watch?v=Bl0KPaLPL7g ab Minute 8:30.

 

Was gibt´s Neues in Altwest?

In alter Zeit, als das Wünschen noch half… Da wurde Leipzig noch in einem Atemzug mit Detroit genannt, gab es Symposien, Ausstellungen, Wettbewerbe zum Thema „schrumpfende Stadt“ allüberall. Das ist keine zehn Jahre her, doch inzwischen ist der neue Kampfbegriff „Gentrifizierung“ an seine Stelle getreten. Seitdem ist dieser Topos, der lokal mit dem Begriff #hypezig einigermaßen treffend umrissen ist, ein Dauerbrenner in den Medien. Diese überschlagen sich im Wochenrhythmus mit den neuesten sensationsheischenden Beiträgen zum Thema Boomtown Leipzig. Nur selten jedoch werden die Akteure der Verdrängung benannt. Wie beispielsweise die Stadtverwaltung: „Leipzig hat ein ganz klares räumliches Leitbild: die kompakte Stadt, die Stadt der kurzen Wege. Der Zuwachs wird also in der inneren Stadt fokussiert“, so Jochen Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. „…hier gibt es noch ausreichend Flächenpotentiale, um die notwendigen Wohnungen und Einrichtungen unterbringen zu können – auch bei einem anhaltend starken Zuzug.“ (1)

Der ist in der Tat beträchtlich: inzwischen zählt Leipzig wieder 551.871 Einwohner (2) – so viel wie zuletzt vor 30 Jahren.

Leipziger Häuserkampf – Rennen um Ruinen

Die Zeichen stehen auf Sturm: Wurde in den ersten 20 Jahre nach der Wende meist nur über Abwanderung und Verfall geklagt, so schossen in den letzten fünf Jahren die Kräne und Baugerüste wie Pilze aus dem Boden. Leipzig ist mittlerweile die am schnellsten wachsende Stadt des Landes, hat die Einwohnerzahl aus der Wendezeit schon überschritten. „Wohnen wird in dieser Zeit zur zentralen sozialen Frage“ (3) mahnte kürzlich die frisch gewählte Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, wobei wir ihr gerne zustimmen. Noch sind es nur Einzelfälle, in denen es zu schikanöser Verdrängung der Altmieter kommt, das gibt auch das Netzwerk „Stadt für Alle“ zu, doch der Druck steigt spürbar an. Dass diese Entwicklung punktuell sehr unterschiedlich abläuft, lässt sich gut anhand der Karten auf www.einundleipzig.de erkennen. Besonders schnell wächst aktuell neben Wahren und den zentrumsnahen Stadtteilen im Osten vor allem Leipzigs wilder Westen, nach Schleußig und Plagwitz sind derzeit Lindenau und Leutzsch an der Reihe. (4) Der Oberbürgermeister höchstselbst, der sich seinen letzten Wahlkampf im Wesentlichen von Bauunternehmen hat sponsorn lassen (5), äußerte unlängst die Ansicht, dass Lindenau in naher Zukunft „DER Stadtteil Leipzigs“ (6) werde. Vergaß aber zu erwähnen, welche unangenehmen Folgen das für Alteingesessene und Zugezogene hat, wie etwa der enorme Mangel an Kita- und Schulkapazitäten, um nur die offensichtlichsten Versäumnisse der Verwaltung zu benennen.

Mit am lautesten wird derzeit in der Angerstraße gebaut, wegen der Anbindung an die kleine Luppe und weil das bürokratische Hickhack am Lindenauer Hafen so manchen Investor verschreckt hat. Größtes Bauvorhaben ist die Umwertung einer verfallenen Holzleimfabrik in eine luxuriöse Eigentums-Wohnanlage namens „Pelzmanufaktur“, wo es 35 m²-Wohnungen für rund 80.000 Euro zu erstehen gab (6), oder eine Vierzimmerwohnung (139 m²) für 390.000 Euro. Gab, wohlgemerkt, denn schon kurz nach Baubeginn waren alle Wohneinheiten verkauft. Die Preise mögen läppisch wirken im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, doch für Lindenauer Verhältnisse ist das astronomisch. Es wäre dumm zu glauben, dass der rasante Zuzug (8) ohne Folgen für die Alteingesessenen bleibt, doch sind die von den Apologeten der Gentrifizierung befürchteten Verdrängungseffekte bislang nicht eingetreten: Der Lindenauer Markt ist noch immer ein Tummelplatz der Abgehängten, Abgelegten und Aufgegebenen.

Das änderte sich auch nicht, als vor zehn Jahren die ersten Wächterhäuser auf den Plan traten, zogen sie doch vor allem kreative Menschen mit geringem Einkommen an. Allerdings verschafften sie dem Kiez das Image als hip, rough, edgy, etc. – mit dem Effekt, dass plötzlich die New York Times und ungezählte andere Medien (9) berichteten, wie cool es hier doch sei. Daraufhin dauerte es naturgemäß nicht lange und Immobilienspekulanten erkannten ihre Chance und das Potenzial des Kiezes. Wie man heute weiß, dienten die Hauswächter als flexibel und günstig anzuwerbende Pioniere (bereits damals warnte der Feierabend! vor dem zu kurz gedachten Konzept, beginnend mit Ausgabe #29).

Licht und Schatten

Dass die Mietpreise vergleichsweise langsam steigen, liegt vorrangig daran, dass es noch genügend Brachflächen und seit den Wendewirren leerstehende Häuser gibt, die erst noch Stück für Stück in Rendite abwerfende Investments umgemünzt werden können. Nicht einmal die räumliche Nähe der Kleinmesse und des Zentralstadions, deren Veranstaltungen lärmendes Publikum magisch anzieht (und einen Verkehrskollaps herbeiführt), kann diesen Prozess bedeutend bremsen. Im Gegenteil – die gewieften Marketingstrategen der Immobilienmakler versuchen selbst aus diesem Makel Profit zu schlagen. Unter dem postironischen Label „Kiez mal rein!“ werden selbst Penthouses, von denen man zur einen Seite Kleinmesse und Rote-Brause-Tummelplatz im Blick hat und zur anderen das Parkdeck von Kaufland, für fast geschenkte 399.000 Euro angeboten (10). Und vom Fleck weg gekauft. Gewiss, dieser Zustand ist auch zu nicht unerheblichen Teilen durch die desaströse Situation auf dem Finanzmarkt verursacht: Wo Sparkonten, -briefe, Anleihen und Renten kaum oder gar Minuszinsen abwerfen, erscheint „das Investment“ in Immobilien langfristig lohnender zu sein. Ist es in gewissen Lagen sicher auch, doch treiben solche Überlegungen die Blasenbildung nur weiter an. Nicht von ungefähr erinnert dieses Verhältnis an die Lebensmittelspekulationen an der Börse, wo Mangel und Leid noch vermehrt werden durch den Antrieb, möglichst viel Profit aus einem Grundbedürfnis zu pressen.

Ein wenig fühlt mensch sich an das kleine gallische Dorf aus dem Comic erinnert, welches von römischen Heerlagern umgeben ist, betrachtet man vor diesem Hintergrund das Squat Lindenow. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren leben, arbeiten und feiern hier junge Menschen abseits vom Verwertungszwang und der Profitlogik der Miethaie nebenan. Grund genug für den Feierabend!, sich das Treiben einmal zu beschauen und die Besetzer_innen mit naiven Fragen zu löchern wie im folgenden Interview. „Dreckig bleiben“ nennt uns einer der Initiatoren des Projektes die Vision für Gegenwart und Zukunft. Mir sei das Pathos verziehen, doch es ist diesen hundefreundlichen Dosenbierafficionados zu wünschen, dass sich ihr Haus in diesem feindlichen Umfeld lange halten kann. Eben weil sie ihren Kiez abwerten und damit erhalten helfen. Und weil sie ein Experimentierfeld bieten, um Antworten auf Fragen zu finden, die vom Bündnis „Stadt für alle“ ebenso wie im Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ (11) aufgezeigt werden.

Syndikat als einziger Ausweg?

Auf Unterstützung der Stadtverwaltung sollte hingegen niemand hoffen. Denn die Personen mit Entscheidungsbefugnissen im Rathaus bewerten ganz offensichtlich die Erhaltung der Altbausubstanz höher als Partikularinteressen. So schön die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude auch ist, doch selbst auf Brachen angesiedelte selbstverwaltete Projekte und Wagenplätze durften noch immer nicht dem Status der Duldung entwachsen. Ein beredtes Zeugnis, wohin die Entwicklung gehen soll, zeigt die Verbreitung von sogenannten „Stadthäusern“ auf Freiflächen. Auch die perfide Instrumentalisierung von Bürgerpartizipation und von keinerlei Sachkenntnis zeugende Statements wie dieses (aus dem Arbeitsprogramm des OBM für 2020): „Leipzig wächst! Die Einwohnerzahlen steigen, seit 2010 um rund 10.000 Menschen jährlich. […] Leipzig braucht dieses Wachstum dringend, um seinen Bürgerinnen und Bürgern Lebensqualität dauerhaft bieten und als Stadt auf eigenen Füßen stehen zu können.“ (12) Wie viele Einwohner Leipzig denn haben muss, um eigenständig sein und die Lebensqualität halten zu können, behält der Bürgermeister aus naheliegenden Gründen für sich.

Der unübertreffliche Max Goldt – sonst nicht als Befürworter von Umverteilung bekannt – sprach schon im Sommer 1992 deutlich aus, woher die ganze Chose rührt:

Es gibt nämlich gar keine Wohnungsnot, sondern nur zu viele Zahnärzte, Innenarchitekten und Zeitungsredakteure, die ganz allein in riesigen Altbauwohnungen wohnen…“ (13). Einen begrüßenswerten Ansatz haben darum auch die Menschen hinter der Aktion „Willkommen im Kiez“, die Asylbewerberinnen dezentral in WG-Zimmern und Mietwohnungen in Lindenau und Plagwitz untergebracht sehen wollen (14). Höchstwahrscheinlich ist die Schnittmenge zwischen denen, die solcherlei fordern und jenen, die riesige Altbauwohnungen für sich beanspruchen, gleich null.

bonz

(1) www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-platzt100_zc-20d3192e_zs-423b0bc6.html

(2) www.leipzig.de/news/news/einwohner-entwicklung-uebertrifft-selbst-optimistischste-prognosen/

(3) www.weltnest.de/Blog/577/was-fr-einen-oberbrgermeister-wrden-sie-sich-fr-leipzig-wnschen

(4) Im Osten der Stadt ist die Entwicklung mancherorts ähnlich dynamisch, doch in kleinerem Maßstab, die Verdrängungseffekte werden des erheblich größen Leerstands wegen noch etwas länger auf sich warten lassen.

(5) LVZ vom 19.03.2014

(6) www.bild.de/regional/leipzig/burkhard-jung/leipzigs-ob-jung-mag-hypzig-nicht-37168814.bild.html

(7) dima-immobilien.de

(8) Von 2008 bis 2013 hat Lindenau 665 Einwohner hinzugewonnen, ein Zuwachs von 25,9%. Quelle: www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/61_ Stadtplanungsamt/Stadtentwicklung/Monitoring/Monitoting_Wohnen/Monitoringbericht_2013_14_web.pdf?L=0

(9) www.hypezig.tumblr.com

(10) dima-immobilien.de/immobilie-Henricistra%DFe+15%2B04177+Leipzig%2BLindenau/vk-henri-allgemein

(11) berlingentrification.wordpress.com

(10) www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/stadtverwaltung/oberbuergermeister/arbeitsprogramm-leipzig-2020/?eID=dam_frontend_push&docID=28519

(13) Titanic!-Kolumne vom Juli 1992

(14) www.willkommenimkiez.de/

Interview: Squat Lindenow

Feierabend!: Wie habt ihr zusammengefunden und wie definiert ihr euch als Gruppe?

Squat Lindenow: Als wir hier angefangen haben, waren wir zu dritt. Über gemeinsame Freundschaften haben wir uns vergrößert, inzwischen sind wir neun. Als Gruppe haben wir keine festgelegte Ausrichtung, uns eint die politische Gesinnung.

FA!: Was war der Anlass, gerade dieses Haus in der Angerstraße zu besetzen?

SL: Wir waren unabhängig voneinander auf der Suche nach einem geeigneten Haus. Dieses Haus stand leer, hat einen Garten und ist stadtnah. Außerdem gefällt uns, dass es architektonisch heraussticht. Eines Tages stand die Eigentümerin plötzlich vor uns und hat ein sehr nettes Gespräch mit uns geführt. Sie duldet uns hier, weil wir die Bausubstanz erhalten. Das Haus stand 16 Jahre lang leer, darum ist vor allem das Dach in einem schlechten Zustand. Die einzige Bedingung ist, dass potenzielle Kaufinteressenten auch hereingelassen werden. Das war bisher viermal der Fall, jedoch machen wir denen klar, dass das Haus nur mit uns darin zu kaufen ist. Einmal waren auch Leute vom HausHalten e.V. da.

FA!: Was stört euch denn am Wächterhaus-Konzept von „Haushalten e.V.“?

SL: Wir haben deren Vertreter als scheinheilig erlebt, denn sie geben vor, für günstigen Wohnraum zu sorgen. Dabei kooperieren sie eng mit der Stadt und sind mitschuldig, dass der Westen und der Osten der Stadt momentan so aufgewertet werden. Wir fordern unser Wohnrecht ein und finden, für Besetzung ist jetzt genau die richtige Zeit.

FA!: Wollt ihr nicht letzten Endes selber einen legalen Status? Oder seht ihr euch auch nur als Zwischen-Nutzer?

SL: Wir brauchen keinen Vertrag! Wir wollen auch keine Miete zahlen! Wir fühlen uns auch so sicher. Wohnen ist ein Grundrecht, wieso viel Miete zahlen? Was wäre die Stadt ohne Menschen? Wir fänden es wünschenswert, wenn wir Akzeptanz finden und dieses Projekt so weiterentwickeln können. Schön wäre, wenn andere Leute angeregt werden, über die offensichtlichen Alternativen nachzudenken und sich selbst nicht so sehr einengen und eingrenzen lassen.

FA!: Welche Angebote habt ihr an den Start gebracht, was ist noch in Arbeit?

SL: Wir kochen jeden Dienstag Abend VoKü, am Freitag bieten wir auch eine Fahrradwerkstatt an. Zu diesen Zeiten kann auch der Umsonstladen genutzt werden. Wir sind jederzeit für Außenstehende offen, Auswärtige können hier pennen. Andere Angebote sind in Vorbereitung, jedoch noch nicht spruchreif.

FA!: Wie reagieren die Anwohner, Stadt und Polizei auf euch?

SL: Die Nachbarn bringen uns öfter mal Einrichtungsgegenstände vorbei, die sie nicht mehr brauchen und plaudern auch gerne mit uns, wenn wir zum Gassi gehen draußen sind. Dahingehend können wir uns also nicht beschweren. Die Polizei und die Stadt sind bislang friedlich geblieben, doch generell werden wir als Gefahrenquelle eingeschätzt. Das hat beispielsweise zur Folge, dass bei Demos im Stadtteil eine Wanne direkt gegenüber vom Haus geparkt wird. Lediglich das Ordnungsamt macht Stress und sitzt der Eigentümerin im Nacken. Die haben vor Monaten mal gemeckert, als sie den verstärkten Zaun bemerkt haben, aber seitdem ist nichts mehr gekommen. Wir sind schon aus eigenem Vorteil daran interessiert, nicht zuviel Stress zu haben.

FA!: Wie wichtig waren die Erfahrungen aus dem geräumten Hausbesetzungsprojekt in der Naumburger Straße vor zwei Jahren?

SL: Es hat uns viel Erfahrung gebracht im Umgang mit der Polizei. Jetzt wissen wir, was auf uns zukommen kann und sind besser vorbereitet für den Fall der Räumung.

FA!: Ihr strebt seit kurzem auch in die Öffentlichkeit, wollt ihr nur Werbung für eure Partys machen oder geht es euch auch um eine andere Botschaft?

SL: Wir finden es natürlich schön, wenn viele Menschen zu unserer wöchentlichen VoKü kommen oder zu Partys. Aber nach zwei Jahren Arbeit am Haus wollen wir auch mal „ausstrahlen“ und zeigen, dass man nicht gleich ein Haus kaufen muss, sondern es auch anders geht.

FA!: Wie stehen die Chancen für baldige weitere Hausbesetzungen in Leipzig?

SL: Aus unserer Sicht gut, wir sind auch schon eifrig dabei, Metastasen zu bilden und unser Wissen weiterzugeben. Wir unterstützen gerne jegliche Besetzer, die es ernst meinen. Einige Häuser sind in Arbeit, andere in Vorbereitung, aber genauer wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht darauf eingehen.

Interview: bonz

Die Leipziger LebensmittelretterInnen stellen sich vor

Samstag 16:45 Uhr. Treffpunkt am Seiteneingang eines Wochenmarktes in Leipzig. Eine kleine Gruppe überwiegend jüngerer Menschen trifft sich hier, um Lebensmittel zu retten. Deutschlandweit werden jährlich bis zu elf Millionen Tonnen weggeworfen, ein Großteil davon bereits vor dem Verkauf.

Für die FoodsaverInnen geht es darum, dieser Verschwendung etwas entgegen­zusetzen und denjenigen, die das in Wirtschaft und Politik zu verantworten haben, die Gefolgschaft zu verweigern. Wer weggeworfene Lebensmittel rettet und sich darüber versorgt, muss schließlich kein Geld mehr dafür aufwenden. Auch der ökologische Gedanke spielt eine Rolle – wie kann es sein, dass wir Lebensmittel rund um den Globus transportieren, um sie dann direkt in die Tonne zu werfen? Und das, während immer noch ein Fünftel der Weltbevölkerung Hunger leidet und die Ressourcen schwinden?! Manche LebensmittelretterInnen ernähren sich vegan oder vegetarisch und sind über die Ablehnung industrieller Tierhaltung zum Lebensmittelretten gekommen. Es gibt viele gute Gründe, zum/zur FoodsaverIn zu werden – einig sind sich die Aktivist­Innen vor allem darin, dass es besser ist, für eine enkeltaugliche Gesellschaft etwas Konkretes zu tun, als nur darüber zu reden. Das Verwerten und Teilen anstelle des Wegwerfens und Konsumierens ist dabei aus Sicht der FoodsaverInnen eine grundlegende Notwendigkeit.

Für mich ist heute der erste Einsatz. Der Leipziger Wochenmarkt ist aber auch für meine MitstreiterInnen neues Terrain. Zunächst geht es darum, kooperative Händler zu finden. In Zweiergrüppchen werden die Stände abgegrast. So schreite auch ich zielstrebig zu einem Obst- und Gemüsehändler und spreche ihn freundlich, aber selbstbewusst an, um ihm das Konzept zu erklären. Kein leichtes Unterfangen im geschäftigen Treiben, denn der Mann hat keine Zeit.

Statt meinen Vortrag anzuhören, zeigt er auf Türme aus Holzkisten, die am Rand und hinter seinem Stand stehen. Mandarinen, To­ma­ten, Gur­ken, Kohlrabi und Weintrauben in Mengen, für die meine Fahrradtaschen kaum ausreichen dürften. Manche ein wenig matschig, andere mit Schimmel – Sortierung ist nötig. Und die Bereitschaft, sich dabei die Hände schmutzig zu machen.

Die Idee, Lebensmittel in größeren Mengen vor dem Müll zu retten, geht auf den Film Taste the Waste” des Regisseurs Valentin Turn zurück, der 2011 in die deutschen Kinos kam und einige Aufmerksamkeit erregte. Was zuvor nur in privatem Rahmen erprobt wurde, wenn Einzelne zum Containern” aufbrachen, bekommt seither durch die FoodsaverInnen eine professionelle Dimension.

Auch das Buch Leben ohne Geld” des Konsumverweigeres Raphael Fellmer hat das Problem in die Öffentlichkeit gebracht. Die zunächst parallel existierenden Internet-Plattformen www.lebenmittelsretten.de und www.foodsharing.de wurden kürzlich zusammengeführt, um die unterschiedlichen Ansätze – überschüssige Lebensmittel teilen auf der einen, Kooperationen mit Händlern auf der anderen Seite – zusammenzuführen. Inzwischen läuft die Sache bundesweit, in Österreich und der Schweiz erfolgreich. Insgesamt wurden so bis heute über 1000 Tonnen Lebensmittel gerettet. Sie werden untereinander nach Bedarf aufgeteilt, die Überschüsse werden verschenkt oder in sogenannten Fairteilern – öffentlich zugänglichen Verteilungsstellen – eingestellt. In Leipzig wird neuerdings auch die Volxküche in der Libelle (www.libelle-leipzig.de) beliefert.

Die Leipziger Gruppe der FoodsaverInnen besteht seit Oktober 2013 und hat derzeit etwa 50 aktive Mitglieder, die dennoch oft nicht ausreichen, um die Kooperationen mit den Händlern immer sicher abzudecken.

Da Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit Voraussetzung sind, um neue Kooperationen abzuschließen und diese dann dauerhaft zu halten, freuen sich die netten Leipziger LebensmittelretterInnen über jeden Neuzugang, der dann dank des persönlichen Einsatzes Einzelner und durch die Onlineplattform (www.foodsharing.de) in das FoodsaverInnen-Leben mitsamt seinen Regeln eingeführt wird.

Meine Fahrradtaschen sind bis zum Rand gefüllt. Der Händler schüttelt schmunzelnd mit dem Kopf und rät mir, nächstes Mal mindestens mit einem Anhänger zu kommen. Nicht immer funktioniert es so einfach. Bei vielen HändlerInnen muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es gibt also noch viel zu tun. Packen wir’s an!

Rico Kranz

„Versagen mit System“

Ein Interview mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung

Vom 23. Februar bis 13. März 2015 war die Ausstellung „Versagen mit System – Geschichte und Wirken des Verfassungsschutzes“ in Leipzig zu sehen. Wir haben mit dem Forum für kritische Rechtsextremismusforschung gesprochen, von dem diese Ausstellung erarbeitet wurde.

FA!: Könnt ihr euch kurz vorstellen? Wer seid ihr und womit befasst ihr euch?

FKR: Wir sind eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler_innen und Menschen, die in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Wir haben uns als studentische Initiative 2005 nach dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag zusammengefunden, weil wir das Gefühl hatten, dass die Forschung zu Themen wie Rassismus, Neue Rechte und Neonazismus an den sächsischen Hochschulen nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es angesichts der politischen Lage verdient hätte.

Über die Beschäftigung mit dem Thema „Rechtsextremismus“ und auch den kritischen Implikationen dieser Kategorie, haben wir uns auch näher angeschaut, wie Gesellschaft und Politik vermeintliche „Extremisten“ identifizieren und von der demokratischen Teilhabe ausschließen. Von dort ist der Weg zur Beobachtung des Verfassungsschutzes und seiner Aktivitäten nicht mehr weit.

FA!: Dazu gibt es ja derzeit in Leipzig die Ausstellung „Versagen mit System“. Was war eure Motivation dabei?

FKR: Der NSU-Skandal hat seit November 2011 das völlige Versagen des Inlandsgeheimdienstes, der ja eigentlich ein Frühwarnsystem für die Demokratie in Deutschland sein will, offenbart. Doch trotz der schrecklichen Verstrickungen von V-Leuten in den Skandal, dem Unvermögen des Dienstes das rechte Terrornetzwerk zu enttarnen und der Behinderung der Aufklärung durch Öffentlichkeit und Justiz, scheint es, als würden die VS-Ämter gestärkt aus der Affäre hervorgehen.

Gleichzeitig ging der VS in den letzten Jahren verstärkt gegen linke Strukturen vor, die in den jährlichen Berichten unter Extremismusverdacht und damit ins politische Abseits gestellt wurden. Viele Initiativen und Einzelpersonen mussten sich vor Gericht erstreiten, nicht mehr vom VS heimlich beobachtet und öffentlich diffamiert zu werden.

Als wir Ende des Jahres 2012 auf eine Podiumsdiskussion eingeladen wurden, auf der der sächsische VS-Präsident seine Ideen von Einsätzen seiner Behörde in der politischen Bildungsarbeit erläutern wollte, hatten wir das Gefühl, dass wir ein Zeichen setzen wollen, dass auch außerhalb akademischer Diskurse wahrgenommen wird. Ein Geheimdienst hat in der politischen Bildungsarbeit nichts zu suchen. Damit war die Idee für eine Ausstellung geboren.

FA!: Und was erfährt man in der Ausstellung?

FKR: Die Ausstellung beleuchtet auf 20 Tafeln in sechs thematischen Abschnitten die Ursachen und Hintergründe für Versagen des Verfassungsschutzes, nicht nur im Fall NSU. Wir zeigen anhand einer Vielzahl weiterer Skandalfälle, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst für die Demokratie sehr viel Schaden angerichtet hat. Zusätzlich zur Entstehungsgeschichte erläutern wir die problematischen Aspekte an der Verquickung von Geheimdienst und politischer Bildungsarbeit und dem V-Leute-System.

FA!: Die Ausstellung ist in Leipzig ja nur noch bis zum 13. März zu sehen. Wie geht es jetzt damit weiter?

FKR: Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie war vor Leipzig bereits in Hamburg und Berlin zu sehen. Als nächstes stehen Orte in Sachsen-Anhalt, Bielefeld und Lüneburg auf dem Plan.

Wir werden im Laufe des Jahres auch noch mehr Begleitmaterial zur Ausstellung erarbeiten. Das kann dann auch auf unserer Webseite zur Ausstellung herunter geladen werden: vs-ausstellung.tumblr.com

FA!: Danke für das Interview.

Mindestlohn: Gutes Gewissen für nur 8,50 Euro die Stunde

Seit Anfang dieses Jahres gilt in Deutschland der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde. Für die Regierungsparteien CDU und SPD ist das Mindestlohngesetz (MiLoG) ein Ausdruck „unsere[r] Wertschätzung der Arbeit und derer, die sie leisten“ (Peter Weiß, CDU) (1) und ein Weg zur gerechten Entlohnung derselben (Andrea Nahles, SPD) (2). Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht im Mindestlohn ein Mittel, um Lohn- und Altersarmut zu verhindern, würdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, sowie Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fördern (3). Doch wie sieht es in der Wirklichkeit der Arbeitnehmer_innen aus?

Rechnungen der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) zufolge stellt der Mindestlohn keine ausreichende Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar; der Gang zur Agentur für Arbeit jedenfalls werde durch ihn nicht verhindert (4). Außerdem ermöglicht auch ein Lohn von 8,50€ pro Stunde weder eine langfristige Lebens- bzw. Zukunftsplanung, noch bietet er den vom DGB hochgehaltenen Schutz vor Altersarmut.

Ausnahmen

Hinzu kommen die zahlreichen Ausnahmen, die den „flächendeckenden“ Mindestlohn schon vor seiner Einführung eher zum einem Flickenteppich gemacht haben. So sind folgende Menschen und Arbeitsverhältnisse vom Mindestlohn (vorübergehend) ausgenommen:

– Zeitungszusteller_innen (Sie werden bis 2018 stufenweise an den Mindestlohn angepasst.)

– Menschen unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung

– Auszubildende

– freiwillige und Pflichtpraktika im Rahmen von Ausbildung/Studium, die weniger als drei Monate dauern

– Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung (zumindest bis 2016; dann soll diese Ausnahme geprüft werden)

– 1€-Jobs, denn hierbei handele es sich nur um eine „Aufwandsentschädigung“

– bis Ende 2016 laufende Tarifverträge, in denen Löhne unterhalb des Mindestlohns vereinbart sind

– freie Mitarbeiter_innen (Selbstständige)

– Werkverträge

– Häftlinge

– nicht genau geklärt ist der Status von Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten (ausgenommen Pflegearbeit, wo der Mindestlohn auch bei diesen Diensten gilt!)

Die Länge dieser Liste spricht für sich!

Unter Minijobs versteht man Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeiternehmer_innen monatlich nicht mehr als 450€ verdienen. Auch für sie gilt der Mindestlohn, d.h. die monatliche Arbeitsstundenzahl muss entsprechend angepasst werden. Wichtig für Minijobbende ist die arbeitgeberseitige Aufzeichnungspflicht, die seit dem 01.01.2015 gilt: Demzufolge müssen Arbeitergeber_innen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeiten erfassen.

Umgehung des Mindestlohns

Gerade so, als würden die zahlreichen Ausnahmen den Mindestlohn nicht schon genug aushöhlen, ist das Internet voll mit Tipps und Tricks von „Expert_innen“ und Rechtsanwält_innen (!) an Arbeitgeber_innen, wie man den Mindestlohn legal umgehen kann (5).

Auch für uns ist es von Vorteil, einen Blick auf diese Taktiken zu werfen, denn nicht alle von ihnen sind legal und nicht eine einzige von ihnen sollte unbeantwortet bleiben! Die folgende Liste bietet nur eine Auswahl:

– unbezahlte Überstunden bzw. Vor- und Nachbereitungstätigkeiten (die natürlich eigentlich bezahlt werden müssen);

– (Schein-)Werkverträge oder (Schein-)Selbstständigkeit (hierbei ist es wichtig zu wissen, dass eine Umwandlung eines vorherigen festen Arbeitsverhältnisses in eine Selbstständigkeit oder einen Werkvertrag nicht erlaubt ist);

– Beschäftigung von Praktikant_innen (auch hier ist eine Umwandlung nicht erlaubt);

– vermehrte Bereitschaftsdienste;

– Senkung der Arbeitszeit, die natürlich in den allermeisten Fällen mit einer Verdichtung der Arbeitsleistung verbunden ist (hier bedarf es der ausdrücklichen Zustimmung der Arbeitnehmer_in);

– Anrechnung der Trinkgeldes (dies ist nicht zulässig, da es sich beim Trinkgeld um eine Schenkung(!) des Gastes an den/die Arbeitnehmer_in handelt);

– Verzichtserklärung des/der Arbeitnehmer_in – egal ob unterschrieben oder nicht, diese Verzichtserklärung ist ungültig! Der Mindestlohn ist unabdingbar und der/die Arbeitgeber_in hat die Differenz ebenso wie die sozialversicherungspflichtigen Abgaben nachzuzahlen!

Generell gilt, dass der/die Arbeitnehmer_in die Differenz zwischen gezahltem Lohn und Mindestlohn einklagen kann. Zusätzlich dazu und den Nachzahlungen der sozialversicherungspflichtigen Abgaben drohen bei Verstößen gegen den Mindestlohn Bußgelder von bis zu 500.000€.

Kritik am Mindestlohn

Wir halten es für äußerst wichtig, keine (versuchte) Unterwanderung des Mindestlohnes unbeantwortet zu lassen und legen jedem und jeder von euch ans Herz, für eure Rechte und euren Lohn einzustehen. Nichtsdestotrotz sehen wir den Mindestlohn weder als Allheilmittel, noch als überhaupt ein ausreichendes Mittel, um signifikante Verbesserungen zu erreichen.

Immer wieder wird die Kritik am Mindestlohngesetz laut, dass viele Punkte schon im Gesetzestext so undeutlich formuliert sind, dass sie einer Unterwanderung Tür und Tor öffnen. Hinzu kommen voraussichtlich mangelhafte Kontrollen seiner Umsetzung. Weiterhin ist es ohne Weiteres vorstellbar, dass aufgrund der generellen Abhängigkeitsverhältnisse der Arbeitnehmer_innen von den Arbeitgeber_innen, die häufig durch die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes und mangelnder Alternativen noch verstärkt werden, Verstöße gegen das MiLoG nicht kommuniziert und der zustehende (Mindest-)Lohn nicht eingefordert wird.

Auch an der prinzipiellen Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen wird das Mindestlohngesetz wenig ändern – weder für diejenigen, die ihn tatsächlich bekommen, noch überhaupt für die zahlreichen gesetzlichen Ausnahmen oder diejenigen, die um ihn geprellt werden, obwohl er ihnen zusteht.

Wir teilen die Auffassung der Genoss_innen der IWW und der Freien ArbeiterInnen-Union, dass der Mindestlohn weder eine ausreichende (geschweige denn zufriedenstellende) Grundlage des Lebensunterhaltes darstellt, noch einen Ausweg aus prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen bietet. Vor allem bedeutet er kein Ende der Ausbeutung! Und die zahlreichen Tricks, um ihn zu umgehen, zeigen, dass wir auch mit erlassenem Mindestlohngesetz für jede einzelne Verbesserung werden kämpfen müssen!

ASJ Leipzig

 

Wenn ihr weitere Fragen zum Mindestlohn an eurem Arbeitsplatz habt, ihr Umgehungstaktiken oder andere Missstände festgestellt habt und/oder für eure Rechte einstehen wollt, schreibt uns an:

leipzig@minijob.cc

Besucht uns im Internet: http://minijob.cc/

oder zu unserer Beratungs­stunde:

jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat

19 Uhr, Libelle,

Kolonnadenstr. 19

 

(1) www.welt.de/politik/deutschland/article126480260/Bundesregierung-setzt-den-Mindestlohn-um.html

(2) www.tagesspiegel.de/politik/kompromiss-beim-mindestlohn-nahles-vier-millionen-werden-profitieren/9704414.html

(3) vgl. www.mindestlohn.de/hintergrund/argumente/

(4) www.wobblies.de/2014/12/27/850-euro-mindestlohn-hartz-iv-ist-gewiss/#more-2755

(5) www.etl-rechtsanwaelte.de/stichworte/arbeitsrecht/strategien-zur-umgehung-des-mindestlohngesetzes

www.owlaw.de/internationales-handelsrecht/3201-mindestlohn-umgehen-strategien-die-ab-2015-funktionieren/

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