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Editorial FA! #7

Die verflixte Sieben hat wieder zugeschlagen! Dem/Der aufmerksamen Leser/in wird aufgefallen sein, seit der Veröffentlichung der FA! #6 sind nicht nur 1½ Monate ins Land gegangen sondern derer 2 ½. Im Redaktionsprozeß der Zeitung hatte sich in dem vergangenen ¾-Jahr doch einiges aufgestaut, was der Diskussion und Kritik bedurfte. Daß die Zeit dabei verflog, hat manche schon früh bedauert, mancher gar nicht mehr recht wahrgenommen; an manchem wurden sich die Köpfe heiß geredet, übermäßig …; manches ist unter den berüchtigten Tisch gefallen, leider … Daß der Feierabend! #7 dann doch erstaunliche Parallelen zu den vorherigen Ausgaben aufweist, ist Indiz für die grundsätzliche Einigkeit der Beteiligten, trotz einiger Abstriche. Ein Heft in die Öffentlichkeit zu tragen, das selbstorganisierter Praxis entspringt und im Prozeß gegenseitiger Anteilnahme als Ergebnis einer solidarischen Atmosphäre produziert wird. Eine Zeitung, die eben nicht eine Gruppe, sondern jeden Einzelnen ansprechen soll, mag sie eine Schülerin, er ein Rentner sein, er Sympathisant anarchistischer Haltungen oder sie einfach arbeitslos, ob aus der Szene, aus dem Büro, der Uni oder vom Bau, kritisch aufgeklärt, organisiert oder eben nicht … Eine kritische Aktion gegen die Übermacht der meinungsbildenden Diskurse, mit eigenem Inhalt und mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber den zentralistischen Institutionen des Staates, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, gegenüber den Parlamenten. Ein Heft aus Leipzig, aber nicht darauf beschränkt …

Trotz des Gleichgebliebenen hat sich einiges verändert, manches ging schmerzlich verloren. Es soll ab nun auch mehr gerätselt und gelacht werden, die Kultur stärker mitmischen. Politik, Theorie und Aktualität dahinter aber nicht zurücktreten. Inwieweit uns das in diesem Heft gelang, könnt Ihr ja nachlesen bzw. uns schreiben. Das Feierabend!- Projekt soll langfristig weitergehen, also SympathisantInnen aller Staaten und Klassen vereinigt euch, und helft uns. Schickt Beiträge, Kritik, Infos, Aufrufe, Texte, Rezensionen, Erlebnisbeschreibungen usw., usw., usw…

Da Heidis Dienstleistungscenter uns nun schon von Anfang an die Treue hält, haben wir sie diesmal zur Verkaufsstelle des Monats erkoren. Diese Werbung ist gegenseitig frei, also besucht doch mal Heidi und vielleicht, ja vielleicht gibt es dann bereits den Feierabend! #8, mal sehen…

… Euer Feierabend!

P.S.: Für das Rohmaterial zum Titelbild bedanken wir uns bei den MacherInnen der Ausstellung „Human Work – Menschliche Arbeit“.

Auf der Jagd nach dem Glück

Die amerikanische Verfassung garantiert jedem Bürger der USA das Recht, nach seinem individuellen Lebensglück zu streben. Kaum ein anderer Satz wie der vom «pursuit of hapiness» kennzeichnet das amerikanische Lebens-, Rechts- und Staatsverständnis treffender. Er weist dem Staat die Verpflichtung zu, seinen Bürgern die Freiheit zu gewähren, innerhalb derer sie ihr eigenes Glück schmieden können. Und zugleich räumt die Verfassung klipp und klar jeden Verdacht aus, irgendjemand anderes als der Einzelne selbst – am Ende gar der Staat – könne dafür in Haftung genommen werden, wie schön oder nicht man es sich im Rahmen seiner Möglichkeiten einrichtet.“

So beginnt ein Kommentar von Stephan Detjen im Deutschlandfunk am 22.6.03 um 19:05. Im Weiteren wird er sich dem Propagandafeldzug anschließen, der derzeit bundesweit aus dem bürgerlichen Lager gegen den Streik der IG-Metall um die 35-Stunden-Woche geführt wird.

Vorspiel

Einer der Hauptbestandteile jener bürgerlichen Freiheit ist das Recht auf Eigentum, das Recht zu kaufen und zu verkaufen und die Preise frei auszuhandeln. Das steht jedem Bürger eines Staates zu, das macht sie gleich. Doch wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, ist Eigentum nicht gleich Eigentum und Bürger nicht gleich Bürger. Eine besondere Art des Eigentums ist die des Kapitals. Kapital zu besitzen bedeutet in anderen Worten, ein Anrecht darauf zu haben, sich Produkte fremder Arbeit anzueignen. Wer kein Kapital besitzt, besitzt im Grunde gar nichts. Nun ja, fast nichts. Außer der Fähigkeit zu arbeiten. Diese Fähigkeit hat jeder Mensch, insofern er/sie überhaupt Mensch ist. Diese Fähigkeit läßt sich verkaufen.

Hier ist der Zeitpunkt auf eine Sache besonders hinzuweisen. Es gibt eine Reihe von Formulierungen wie „Arbeit muß her!“, „für Arbeit bezahlt werden“, „Arbeitsmarkt“ oder auch „tote Arbeit beherrscht lebendige Arbeit“. Manche dieser Formulierungen mögen für die eine Sache geeignet sein und für die andere nicht. Doch eines haben sie alle gemeinsam. Sie verdecken einen kleinen, aber feinen Unterschied, der letztlich für das Verständnis von dem was Kapital ist, unerläßlich ist. Und zwar den von der Ware Arbeitskraft und der von ihr produzierten Ware. Die Fähigkeit, einen Kuchen zu backen, ist natürlich etwas anderes als ein Kuchen. Die Arbeit selbst ist keine Ware und nicht handelbar. Die menschliche Arbeit schafft Waren.

Die Kapitalbesitzer kaufen die Fähigkeit zu arbeiten, lassen arbeiten und behalten das Produkt dieser Arbeit. Selbstverständlich. Es ist Produkt der von ihnen gekauften Arbeitskraft, die natürlich dadurch Eigentum der Kapitalbesitzer ist, produziert mit Maschinen und aus Rohstoffen die den Kapitalbesitzern gehören. Die Kapitalbesitzer kaufen die Arbeitskraft, um sie ausbeuten zu können. Daran ist nichts unrechtes. Ausbeuten darf hier keinesfalls moralisch verstanden werden. Der Vergleich mit der Ausbeutung einer Erzader ist sachlich durchaus gerechtfertigt. Der Verkauf und Kauf der Ware Arbeitskraft ist ein freier Handel zwischen freien Bürgern. Hoch lebe das Recht! Trotz aller Abweichungen, die vielleicht auch nicht immer konsequent geahndet werden, ist der Kapitalismus vom Prinzip her eine gerechte Gesellschaft. Wer etwas anderes behauptet, irrt sich oder ist ein übler Propagandist. Und: der Kapitalismus ist eine auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruhende Gesellschaft. Für die Kapitalbesitzer (!) ist die Ware Arbeitskraft selbst Kapital. Nicht jedoch für diejenigen, die Träger dieser Ware sind und sie verkaufen müssen. Die Maschinerie, die Gebäude, die Rohstoffe etc. sind nur Hilfsmittel, ohne die sich die Ausbeutung der Arbeitskraft nicht realisieren ließe. Sie tragen nichts zum Gewinn bei, sondern gehen in Gänze oder scheibchenweise auf die produzierte Ware über. Diese Form des Kapitals heißt in der Kritik der politischen Ökonomie deshalb auch konstantes Kapital. Die Quelle des Reichtums liegt in der Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese Form des Kapitals heißt deshalb in der Kritik der politischen Ökonomie variables Kapital. Hin und wieder wird es auch Humankapital genannt. Dies geschieht in zwar sachlich richtiger Weise, doch werden die Menschen und ihre Verhältnisse dabei nur noch als bloße Sache, als Ding betrachtet. In politischen, philosophischen oder ideologischen Betrachtungen, in denen eher die Menschen im Vordergrund stehen, wird das variable Kapital als Arbeiterklasse oder Proletariat bezeichnet. Doch diese Formulierungen sind dem freien Bürger von Welt eher peinlich, wirken überkommen und hausbacken.

Natürlich sagt kein Mensch „die Kapitalbesitzer kaufen Arbeitskraft“, daß heißt vielmehr: „Unternehmer oder Arbeitgeber schaffen Arbeitsplätze“; der Markt für Arbeitskräfte heißt „Arbeitsmarkt“ und diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen und sich ihres Produktes enteignen lassen, heißen „Arbeitnehmer“. Und Ausbeutung erfolgt nicht durch die Kapitalbesitzer sondern durch die Gewerkschaften (!), wie Stephan Detjen weiß:

Die Rhetorik der Funktionäre entlarvt den Arbeitskampf als verantwortungslosen Ausbeutungsfeldzug, in dem allein die Gewerkschaften selbst auf Beute hoffen dürfen. Ausgebeutet werden die antikapitalistischen und antiwestlichen Ressentiments in den Köpfen ostdeutscher Arbeitnehmer. Ausgebeutet werden die verbliebenen Überreste der antiindividualistischen Lebenseinstellung, die Rolf Henrich in den letzten Jahren der DDR als mentales Merkmal des von ihm so genannten «vormundschaftlichen Staates» ausmachte.“

Doch bevor ich einige Worte drüber verliere, wer hier welche „verquast-kollektivistische“ Rhetorik an den Tag legt, ein Blick zurück in die Vergangenheit.

Etwas Geschichte

Als ich eines schönes Tages spazieren ging, kam ich an einem DGB-Stand vorbei, der neben Werbung für die aktuelle DGB-Politik auch kostenlose Erfrischungsgetränke bot. Auf mein trockenes „Kapitalismus läßt sich nicht reformieren“ erhielt ich die Antwort: „Es geht nicht um Kapitalismus, sondern um die Sozialreform“. Wenn die „Arbeitergeber“ auf ein Streik mit Aussperrung reagieren wollen, klagt die Gewerkschaft, es sei ein Rückfall in den Klassenkampf. Ist heute tatsächlich alles anders als gestern? Sind die Gewerkschaften heute so anders als vor hundert Jahren? Lassen wir doch mal einen Arbeiter zu Wort kommen, der die Rolle der Gewerkschaften vor dem ersten Weltkrieg beurteilt. Richard Müller schreibt 1925 in seinem Buch „Vom Kaiserreich zur Republik“:

Die Entwicklung der Gewerkschaften zur Zeit des kapitalistischen Aufstieges hatte jede revolutionäre Regung erstickt. Ihr Streben war darauf gerichtet, den Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen. …

Der Charakter der Gewerkschaften wurde weiter beeinflußt durch das immer weiter ausgebaute Unterstützungswesen. Die Gewerkschaften halfen den Mitgliedern bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, in besonderen Notfällen usw. Durch diese Unterstützungen sollte die Fluktuation eingedämmt, die Mitglieder bei der Organisation gehalten werden. Zahlenmäßig war der Erfolg gut. Die Fluktuation ließ nach und die Kassen wurden gestärkt, aber der Kampfcharakter der Organisation trat in den Hintergrund. Für viele Mitglieder waren die Gewerkschaften Versicherungsanstalten, bestenfalls Organe zur Befriedigung bloßer Augenblicksinteressen.

Die Gewerkschaftsführer lehnten es ab, den Kapitalismus als solchen zu bekämpfen. Sie fürchteten, damit auf das politische Gebiet zu treten, auf dem sie sich als Personen und Gewerkschaftsführer tummelten, aber das nach ihrer Meinung für eine Betätigung der Gewerkschaftsmitglieder nicht geeignet war. Politische Fragen durften in den Gewerkschaften nicht diskutiert werden. Die kaiserliche Polizei brauchte den politischen Generalstreik nicht zu verbieten. Das besorgten die Führer der Gewerkschaften. Eine Revolution stand für sie außerhalb des Bereiches der Möglichkeiten. Reformen innerhalb der kapitalistischen Welt waren ihr Programm. Wurde nach einem hartnäckigen Kampf das Unternehmertum an den Verhandlungstisch gezwungen, dann quoll das Herz des tapferen Gewerkschaftsführers über, wenn er seine Füße mit denen des Gegners unter einen Tisch setzen durfte. Karl Marx hatte zwar vor vielen Jahren einmal gesagt: die Gewerkschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie die Spitze ihres Kampfes nicht gegen die Lohnarbeit überhaupt richten. Aber das lag weit zurück und war durch die bewährte Praxis der Gewerkschaften widerlegt worden. …

Die innere und äußere Politik der Gewerkschaftsführer, das Ziel wie die Methoden ihres Kampfes mußten den Mitgliedern jedes revolutionäre Denken und Empfinden nehmen und den Willen zu entscheidenden Kämpfen brechen. Wo sich unter dem Einfluß politischer Propaganda ein radikaler Geist bemerkbar machte, wurde er niedergedrückt und wenn gar in dem ungeheuer großen Verwaltungsapparat ein Angestellter als räudiges Schaf entdeckt wurde, der die von oben gegebene politische Weisheit nicht widerspruchslos schlucken wollte, traf ihn der Bannstrahl des heiligen Stuhls. Es war eine ganz natürliche Entwicklung, wenn schließlich die Führer den Massen keinen revolutionären Willen zutrauten, weil sie selbst keinen besaßen. Die Führer betrachteten sich als das Hirn der Masse, mit dem Geldschrank und dem Verwaltungsapparat in der Hand.“

Holla, der Mann scheint nicht nur von Gestern zu sein, er ist es auch. Oder doch nicht? Wie um alles in der Welt konnte er meinen kleinen Dialog am DGB-Erfrischungsstand im Jahre 2003 vorhersehen? Hat er gar nicht. Nur die Gewerkschaften erfüllen immer noch eben jene Rolle, die sie schon vor dem Ersten Weltkrieg und vor dem Versuch einer sozialistischen Revolution im Jahre 1918 im kaiserlichen Deutschland erfüllt hatten. Und die Sozialdemokraten? Müller zitiert eine Aufruf des Parteivorstandes der SPD…

… Parteigenossen, wir fordern Euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewußten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster als irgend eine der letzten Jahrzehnte. Gefahr ist im Verzuge! Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“

… und einer Erklärung der Reichstagsfraktion der SPD: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. … Da machen wir wahr, was wir immer behauptet haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen! Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“

Zwischen den von mir gekürzten Zitaten liegt nicht viel. Bei Richard Müller nur eine Überschrift: „Eine weltgeschichtliche Katastrophe“; in der Geschichte die zehn Tage zwischen dem 25.6.1914 und dem 4.8. 1914. Dieser nationale Schwenk der deutschen Sozialdemokratie führte mit Volldampf in den ersten Weltkrieg, der weltweit Millionen Proletariern das Leben kostete. Zu guter Letzt die Reaktion eines Konservativen. Müller zitiert Prof. Hans Dellbrück (September 1914):

Wie weggeblasen war (von der deutschen Sozialdemokratie am 4. August) der ganze Schwulst der staatsfeindlichen Redensarten; der internationale Proletarier erwies sich als eine bloße Kampfesmaske; mit einem Ruck war sie heruntergerissen und es erschien das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten! Es genügt nicht, den Sozialdemokraten zu danken, daß sie ihr Parteiprogramm in die Ecke gestellt haben und unter der nationalen Fahne mit marschieren, sondern man muß sich auch klarmachen, welches Verdienst sie sich direkt durch ihre Organisationen erworben haben. Stellen wir uns vor, wir hätten diese großen Arbeitervereinigungen nicht, sondern diese Millionen ständen dem Staat nur als Individuen, gegenüber, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich sehr viele unter ihnen befinden würden, die nicht von der allgemeinen Bewegung ergriffen, der Einberufung zur Armee passiven oder auch aktiven Widerstand entgegengesetzt hätten.“

Ist es verwunderlich, daß der Kapitalismus nach jahrzehntelanger Propaganda von Gewerkschaftsführern, Sozialdemokraten und Konservativen als das Ende der Geschichte erscheint, als ein Hort der Glückseeligkeit?

Schlimmer geht’s immer!

Doch zurück zu Stephan Detjen: „Nach diesem Verhaltensmuster hat die IG-Metall aus dem Munde ihres Berlin-Brandenburgischen Landesvorsitzenden «mehr Lebensqualität» zum Streikziel in der ostdeutschen Metallindustrie erklärt. … Wir dürfen gespannt sein, wofür die IG-Metall ihre Mitglieder als nächstes zur Arbeitsniederlegung aufruft, wenn die nach dem Vernichtungskampf dieser Tage in den Trümmern der ostdeutschen Metallindustrie verbliebenen Arbeitnehmer nur 35 Stunden zu arbeiten brauchen. Sollten die Gewerkschaften dann zu der durchaus realistischen Einschätzung gelangen, dass sich die Lebensqualität ihrer Mitglieder noch weiter erhöhen ließe, können wir uns wahrscheinlich auf Streiks für besseres Wetter und dickere Grillwürste gefasst machen. …

Wie viel Lebensqualität ein Arbeitnehmer gewinnt, …, wird sich selbst mit einer verquast-kollektivistischen Gewerkschaftsrhetorik nicht erfassen lassen. Um so klarer bezifferbar aber werden die volkswirtschaftlichen Schäden sein, die dieser Streik in ganz Deutschland anrichtet. … In zynischer Offenheit lassen die Gewerkschaften keinen Zweifel daran zu, dass sich ihr Streik genau gegen das richtet, was die Menschen in den östlichen Ländern am bittersten benötigen: Es ist ein Kampf gegen die Arbeit und die damit verbundenen Chancen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Diese Lebensmöglichkeiten schmälern die Gewerkschaften im Augenblick vor allem für diejenigen, die überhaupt keine Arbeit haben.“

Detjen erweist sich als ein legitimer Nachfolger des von Müller zitierten Professor Dellbrück.

Wie Müller richtig bemerkt, liegt eine Funktion der Gewerkschaften darin, „Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen“. Wir leben in der Zeit von Hartz und Agenda 2010 und selbst Konservative wie die der Financial Times Deutschland stellen fest, das einige Maßnahmen des Staates nichts sind, als versteckte Lohnkürzungen. Die Zersplitterung der Lohnabhängigen ist blankes Geld für die Kapitalbesitzer, da die Arbeitskraft billiger zu haben ist. Die Angst vor der Konkurrenz in Osteuropa und Deutschland selbst, führt dazu, das immer mehr Arbeiter/innen und Angestellte dazu bereit sind, ihre Haut für immer weniger zu verkaufen. Es kommt noch schlimmer. Derzeit leidet des weltweite Kapital wieder unter einer Krise. Die produzierten Waren lassen sich nicht mehr absetzen. Immer weniger Arbeiter/innen produzieren immer mehr Waren. Das Verhältnis von „toter Arbeit“, also von Gebäuden, Maschinerie etc., die zur Ausbeutung der Arbeitkraft notwendig sind, zur „lebendigen Arbeit“, also zur Arbeitskraft, zum „Humankapital“ neigt sich immer mehr zur „toten Arbeit“. Damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann, ist es notwendig ein Teil des derzeit vorhanden Kapitals einzustampfen. Dies betrifft nicht nur das virtuelle Kapital, also die handelbaren Anrechtsscheine auf Ausbeutung, wie z.B. Aktien, sondern auch die Maschinerie und das „Humankapital“. Dies bedeutet schlicht, das die Anzahl der „erträglichen“ Arbeitsplätze und der Preis der Arbeitskraft – der Lohn – weiter sinken werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldmenge des Euro nicht mehr im Griff, wie der Deutschlandfunk in „Hintergrund Wirtschaft“ am 22.6.03 zu berichten wußte. Die Banken geben ein und dasselbe Geld vielfach heraus und schreiben es den Kontoinhabern gut. Doch gerade in der Krise ist nur Bares Wahres und es droht eine Bankenkrise, wenn die Banken auf die Forderung „Sehen!“ kein Geld vorweisen können. Deshalb holen sie sich immer mehr Geld von der EZB. Doch die zunehmende Geldausgabe verschlimmert das Problem nur und macht den ins Haus stehenden Crash, der zur notwendigen Kapitalvernichtung führt, nur um so härter.

Die einzige Chance, die die Arbeiter/innen haben, ist die proletarische Kooperation. Sei es die Chance auf ein erträgliches Leben innerhalb des Kapitalismus, die durch dessen krisenhafte Entwicklung letztlich begrenzt ist, oder eine Chance auf die Überwindung der Ausbeutung überhaupt. Diese Kooperation muß weiter reichen, als bis zu dem Betrieb, in den man gerade arbeitet, über die „eigene“ Branche hinaus und über die Grenzen des Landes hinaus, in den man gerade Steuern zahlt. Gerade dagegen wendet sich Detjen. Eine weitere Vereinzelung und Individualisierung der Lohnabhängigen ist nichts, als eine Einladung an die Kapitalbesitzer die Löhne weiter zu kürzen und den Arbeitsdruck weiter zu erhöhen. Eines der Resultate dieses Streiks ist, daß die Gewerkschaft zunehmend ihre Fähigkeit verliert, für die Arbeiter/innen erträgliche Bedingungen zu schaffen. Der faktische Wegfall der Flächentarifverträge begünstigt in dieser Situation weitere Lohnkürzungen.

Eines werden die Konservativen den „Ossis“ nie verzeihen. So beschissen und staatskapitalistisch die DDR auch war, sie bleibt Deutschlands Schande und die ostdeutschen Proleten werden dafür bezahlen. Mit längeren Arbeitszeiten und weniger Entgeld. Und jeder Ungeist im Osten, der sich eventuell noch gegen den deutschen Kapitalismus richtet, soll ausgetrieben werden.

Für «pursuit of happiness»

Doch es zeigt sich, daß Detjens keineswegs ein uneingeschränkter Gegner von „verquast- kollektivistischer“ Rhetorik ist und keineswegs ein grenzenloser Freund der «pursuit of happiness», des Strebens oder der Jagd nach dem Glück. Ihm ist nur die proletarische Solidarität zuwider, das Glück, das nicht nach Arbeit strebt. Ihm geht es um das „verquast-kollektivistische“ Deutschland. Jenes Deutschland das im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege vom Zaum gebrochen hat, Millionen von Menschen mit bürokratischer Sorgfalt ermordet hat und über dem sich derzeit ein übler antiamerikanischer Mief erhebt. Das ist das Kollektiv das Detjen für die ostdeutschen Metaller/innen für geeignet hält. Er will es sehen, „das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten!“ Die deutsche Volkswirtschaft ist seine Sorge, keineswegs das individuelle Glück der Arbeiter/innen.

Wenn Detjen in übertriebener Weise die ostdeutsche Metallindustrie in Trümmern sieht, so gibt er dem ollen Marx ungewollt und unbewußt recht, wenn dieser der „heiligen Familie“, einigen seiner Zeitgenossen, entgegenhält:

Die kritische Kritik schafft Nichts, der Arbeiter schafft Alles, ja so sehr Alles, daß er die ganze Kritik auch in seinen geistigen Schöpfungen beschämt; die englischen und französischen Arbeiter können davon Zeugnis ablegen. Der Arbeiter schafft sogar den Menschen; der Kritiker wird stets ein Unmensch bleiben, wofür er freilich die Genugtuung hat, kritischer Kritiker zu sein.“ *)

In einen Punkt irrt Detjens leider: Die IG Metall kämpft nicht gegen, sondern für mehr Arbeit. In einem anderen Punkt irrt er sich ganz gezielt: die ostdeutschen Metallarbeiter/innen und alle Lohnabhängigen weltweit brauchen nicht am dringendsten Arbeit, sondern besseres Wetter und dickere Grillwürste oder was auch immer ihr Geschmack begehrt. Wo kommen wir denn da hin, wenn die Proleten weltweit massenhaft für ihr individuelles Glück auf die Straße gehen? Vielleicht zu einer Gesellschaft ohne Ausbeutung? Weg von den verquast-kollektivistischen Nationen. Weg von Kommentatoren, die das Glück für Andere nur in der Arbeit erblicken können. Das Glück der Arbeiter/innen liegt auf der Straße, ihre «pursuit of hapiness» führt sie weg von der Arbeit in den Fabriken, Büros, Geschäften etc. Sie schaffen alles, doch nichts für sich, nicht mal den Menschen. Statt dessen schaffen sie ihr eigenes Joch, daß die Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, nur noch als Arbeit, als Möglichkeit des Verkaufs der eigenen Arbeitskraft erscheinen läßt. Also heraus auf die Straße. Für besseres Wetter und dickere Grillwürstchen! Und Senf und Ketchup nicht vergessen!

v.sc.d

*) K.Marx, F.Engels „Die heilige Familie oder die Kritik der kritischen Kritik“

35 Stunden

Klammheimliche Eröffnung

Das Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit ist nun auch endlich in Leipzig vorrätig!

Am 22. April, drei Wochen nach Inkraftsetzung des zweiten Gesetzespakets zum Arbeitsmarkt, wurden in Gestalt der beiden Unternehmen Manpower und Ziel Leipzig die ersten Personal Service Agenturen (PSA) etabliert. (1) Diese Leiharbeitsfirmen werden nun direkt vom Arbeitsamt mit Menschen beliefert. Von dieser Zwangsmaßnahme können potentiell alle Erwerbslosen betroffen sein. Wer sich weigert, zu Dumpinglöhnen anschaffen zu gehen, wird mit Sperre der Unterstützung bedroht.

Eben gegen die Zwangsverpflichtung, wo keine Verhandlungsfreiheit besteht, richten sich die Taten und Reden der FAU und verschiedener Anti-Hartz-Bündnisse in der Republik. Die Freudenbotschaft der Eröffnung erreichte die Öffentlichkeit in Kleinparis allerdings erst gut zwei Wochen später – vielleicht, weil die Stadtoberen die olympische Harmonie nicht durch Proteste gestört sehen wollten.

Ob mit, oder ohne Protest … am Heilsversprechen PSA kann getrost gezweifelt werden. Von den 74.141 Erwerbslosen im Stadtgebiet (Mai 2003; Quote: 19%) werden 200 zur Lohndrückerei verpflichtet – ein Tropfen auf den heißen Stein ist das, mehr nicht, zum Glück. Und auch die zweite politische Wunderwaffel gegen die Arbeitslosigkeit, das vielgepriesene Job-Center ist nur laut Arbeitsamtsdirektor Meyer „erfolgreich“: im Januar und Februar 2003, in zwei Monaten, konnte man sage und schreibe dreizehn Menschen in „Arbeit vermitteln“.

Angesichts dieser Zahlen ist es kaum anzunehmen, dass jemand ernsthaft an die Versprechungen, oder Drohungen, aus Regierungskreisen glaubt. Das Tamtam der Arbeitsmarktreform zielt nicht auf eine Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr der Lohnkosten. Arbeit und Arbeitslosigkeit sind zwei Seiten einer Medaille: Pest & Cholera!

A.E.

(1) Gesetzliche Grundlage: § 37c SGBIII
Adressen in Leipzig:
Manpower PSA, Markt 7;
Ziel Leipzig, Angerstr. 17;
Job-Center, Große Fleischergasse 12.

Lokales

„Wir woll‘n Olympia!“

Der 18. November in Leipzig – 2000 bis 3000 BürgerInnen laufen bei der Montagsdemo „Leipzig 2012 – Wir wollen Olympia“ mit.

Mit lauten Sprechchöre wird der Begeisterung über das „nationale Großprojekt“ Ausdruck verliehen. Nach den vielen schweigsamen Friedensdemonstrationen und auch den weitestgehend durch „enthusiastische JungaktivistInnen für ein selbstorganisiertes Leben ohne Kapitalismus“ Stimmung eingehauchten Anti-Sozialabbau-Demos, ein Wunder.

Unterstützer Pfarrer Führer hält eine Rede mit chauvinistischem Ton, vermutet eine Verschwörung der „hohen Herren in Frankfurt und Bern gegen die Leipziger Bürger“ und der „Presse, die gegen Leipzig hetzt und zufällig aus Hamburg kommt“, vermischt internationalistische Rhetorik von „Völkerfreundschaft“ mit plattem Lokalpatriotismus („nicht in Stuttgart und auch nicht in Hamburg – nein! In Leipzig“).

30 bis 50 Leute sind allerdings mit anderem Anspruch gekommen: Bei der Abschlusskundgebung auf dem Augustusplatz findet die bisher größte (!) antiolympische Aktion statt. „NoLympia!“ ertönt es von der Opernhaus-Treppe, gegenüber der Demo. Provokante Transparente tauchen auf, darunter auch eins von ominösen „Linken Chaoten für Olympia“. Ironische Sprüche wie „Führer lass uns nicht allein, Olympia in Leipzig das muss sein!“ oder „Olé, olé – Tiefensee“ werden von der Demo aber teilweise ernst genommen. Nach Übergriffen von Olympiafans auf GegendemonstrantInnen und einigen Rangeleien mit der Bereitschaftspolizei beruhigt sich die Situation, Christian Führer kann mit leichten Störungen seine nationalistische Rede halten, und die Presse muss auch mal (ganz am Rande) über antiolympische Proteste berichten, wie mit einem Nebensatz in der Tagesschau.

Es begann 17 Uhr mit dem traditionellen Friedensgebet Pfarrer Führers unter dem Motto „Teufelskreise verlassen“. Die anschließende Demo wurde vom proolympischen Bürgerverein organisiert. Dabei blieb ihm die Unterstützung des „Aktionskreises Frieden“ (nennt sich jetzt „Leipziger Sozialforum“ (1), der die bisherigen Montagsdemonstrationen organisierte, versagt. Dieser wird Demos für Olympia auch weiterhin nicht unterstützen. Da es nicht ihr Problem ist, ob Olympia kommt oder nicht, sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen, und es sich dabei doch wohl eher um Kommerz handelt. Pfarrer Führer handelte sich auch Kritik aus kirchlichen Kreisen ein. Nach dem Motto: Was wäre wenn in New York auch für Olympia gebetet werden würde? Für wen sollte sich Gott dann entscheiden? Einer anderen Kritik, dem Missbrauch der Montagsdemonstrationen, gegenüber wehrte er sich mit der Argumentation, 1989 wären sie bereits für ihr Land auf die Straße gegangen und mit Olympia wäre das das selbe. Nationaltheologe Führer stellt sich damit selbst ein Armutszeugnis aus. Wer für sein Land oder die Nation auf die Straße geht, anstatt für ein besseres und schöneres Leben der Menschen, dem ist wohl die Ideologie zu Kopf gestiegen. Armes „Volk“, wem bist du da hinterhergerannt?

Interessant jedenfalls das Zahlenverhältnis der Montagsdemonstrationen untereinander: Dreimal mehr Olympiafans als KritikerInnen des Sozialabbaus auf einer Montagsdemo und nur zwei Prozent davon protestieren dagegen. Ernsthafte, durchaus mehrheitstaugliche Anti-Olympia-Positionen, jenseits von Sprechchören und Spaßguerilla sind ungünstigerweise kaum in der Öffentlichkeit präsent – angesichts der Jubelstimmung liegt es allerdings auch nahe, beim Protest eine rein provokative Position einzunehmen. Immerhin gab es zumindest eine kritische Stimme innerhalb der Demo, so wurden bei einer Liveschaltung von mdr-info mehrere Leute interviewt. Von denen eine dachte, sie müsse ihren Bürgermeister den Rücken stärken, der andere unbedingt die Spiele sehen wollte, und einer schließlich nur zufällig da war und meinte, dem Pfarrer müsse wegen Missbrauch das Amt entzogen werden. Dem ist nur zuzustimmen, doch sollte Franz Häuser, Rektor der Uni, gleich mit rausfliegen, hatte er doch seine Mitarbeiter und Studenten ebenfalls aufgerufen, an der Demonstration teilzunehmen. Positiv gewendet, waren es gar nicht so viele Teilnehmer, Gerüchte besagen sogar, dass Busse aus Dresden rangekarrt werden mussten, und auch, dass im Grunde viel mehr DemonstrantInnen erwartet wurden. Wenn das bundesweite mediale Echo nicht so einseitig positiv ausgefallen wäre („Leipzig nimmt Montagsdemonstrationen wieder auf – diesmal für Olympia“, Financial Times Deutschland), könnte man auch sagen, es war ein Flop. Schließlich sind 2500 Leute zu wenig für eine schlagkräftige Leipziger Nationallokalpatriotische Front. Deutlich wurde die tendenziöse Berichterstattung der Presse. Der LVZ liegen nationale Großprojekte scheinbar sehr am Herzen, wie sonst wäre zu erklären, dass die Olympia-Demo ganz groß aufgezogen wurde, für die Sozialabbau-Demos, wenn überhaupt nur ne Kurzmitteilung zur Verfügung stand?

Gekippt ist der bewusstlose olympische Taumel bzw. die Illusion, Olympia würde was Gutes bringen durch die offensichtliche Korruption und Geldabzweigung noch lange nicht. Vielleicht beim nächsten Skandal? Dieser könnte schon bald ins Haus stehen: so ist der gefeierte neue Leipzig-Held Lothar Späth zufälligerweise auch ehemaliger Ministerpräsident von Baden- Württemberg und damals durch Korruptionsskandale aus dem Amt geflogen.

Angesichts soviel offensichtlichen Betrugs, geht sogar dem „Spiegel“ ein Licht auf: „Sind die Deutschen zu blöd, um olympische Spiele zu organisieren?“ – Die Frage drängt sich auf. Genau wie die nach dem Geisteszustand der Leipziger: Eine Pro-Olympia-Demo wie diesen Montag hat es weltweit bisher noch nie gegeben…

soja & kater

zur weiteren Meinungsbildung:
www.olympia-jetzt.de
www.nein-zu-olympia.de
(1) Es müsste diskutiert werden, ob die Umbenennung in ein „Sozialforum Leipzig“ angemessen ist oder ob damit der Idee nicht eher geschadet wird.

Lokales

Editorial FA! #10

Feierabend! Endlich fertig, am „Tag für die Abschaffung der Sklaverei“ … ob die UNO damit auch auf die Lohnsklaverei abzielt? Wir jedenfalls können uns Darwin Dante nur anschließen, der schon Anfang der 1990er errechnete, dass fünf Stunden Arbeit pro Woche genügen. Die Thesen mögen umstritten sein, damit aber legt der Autor den Finger auf die Wunde der Problematik Arbeit und Arbeitslosigkeit. Deshalb wird der Programmierer nun von seinem Arbeitgeber, der Dresdner Bank, abgemahnt und zwangsversetzt. Aber es gibt auch Lichtblicke: die Gefangenen aus Magdeburg (#9) und Thessaloniki (siehe S. 20) auf freiem Fuß! Es lohnt also, aktiv zu werden, die Angst vor der Obrigkeit abschütteln, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen und für ein schönes Leben für sich (und andere) zu kämpfen – zum Beispiel auf dem Forum gegen Sozial- und Bildungsabbau (siehe S.1), oder in der Libelle, unserer Verkaufsstelle des Monats.

Dennoch versuchen wir eine ganz ganz ganz besonders qualitätsvolle Ausgabe zu zaubern. Ob uns das gelungen ist, werden Eure Leserbriefe zeigen. Die bisherigen zwei waren ja allesamt positiv. Und wir lieben unsere LeserInnen wie die LeserInnen uns. Da aber Liebe zwar sexy ist und psychische wie physische Befriedigung verschaffen kann, manchmal aber schon ein kritisch mahnendes Wort über manche Berge hülft, und auch die zwanzigste Ausgabe in erreichbare Nähe rücken lässt, bitten wir erwartungsvoll um euren Beitrag in Wort und Bild. Bis dahin sehen wir uns hoffentlich auf den Sonntagsdemos im Dezember (immer 15:00 Uhr vor der NaTo, Südplatz), um für den Erhalt von Jugendzentren wie dem conne island Druck zu machen. Wenn es einigen auch nur ums Geld gehen mag … was wir wollen, wissen wir jedenfalls: Unser Leben selbst organisieren! Peace und freie Liebe!

Eure Feierabend!-Flippies

P.S.: unsere restlichen 327 Forderungen sind hoffentlich bald auf unserer Internet-Baustelle www.feierabend.net.tc zu lesen.

Häuser räumen! Rektoren kürzen!

Franz Häuser bleibt also weiterhin Rektor der Universität Leipzig. Nachdem er die Stelle des zurückgetretenen Volker Bigl einnahm, wurde er nun regulär gewählt. Im Universitätsjournal vom November verspricht er uns eine neoliberale und anpaßlerische Bildungspolitik: die Angleichung der Studierendenzahlen an die immer wieder gekürzten Lehrkapazitäten, was eine Verschärfung des Numerus Clausus und der Selektion bedeutet. Weiter steht er für die schnelle Umsetzung der Bologna-Beschlüsse (siehe auch FA! 8 & 9), und damit Bachelor und Master in allen Studiengängen. Und schließlich will er die Einwerbung von Drittmitteln steigern und damit die Abhängigkeit wissenschaftlicher Forschung von Wirtschaftsunternehmen befördern. Da fragt mensch sich, wozu braucht es eigentlich Kanzler und Rektoren? Für Bildung, wahrscheinlich genauso wenig wie Staat und Markt.

kater

Bildung

„Wo ist die Streikzentrale?“

Streiken, Demonstrieren, Protestieren und kreative Aktionen. Die Studierenden haben ihr tradiertes Handwerkszeug seit 68 nicht verlernt. Die Inhalte bleiben dabei bisher leider auf der Strecke. Der Versuch eines Kaleidoskops mit Spektralanalyse.

Da schießen sie aus dem Boden, die AK’s und AG’s, Plena werden abgehalten, Vollversammlungen und Demos organisiert. Beeindruckend viele Protestseiten gibt es im Netz, wie zum Beispiel die www.streikzentrale.de.vu der Freien Universität Berlin. Bis heute fanden in Berlin eine Vielzahl von Protesten und Demonstrationen statt, wie am 27.11. in Berlin mit 20.000 Teilnehmern und anschließenden Straßenblockaden in der Innenstadt.

Seit dem 6.11. streiken die Studierenden der Technischen Universität, am 19.11. setzte der Streik an der Humboldt-Universität ein, auf der Vollversammlung vom 26.11. wurden Streikforderungen beschlossen. (1) Die Freie Universität macht seit dem 20.11. mit, als 3500 Studis auf einer Vollversammlung (VV) den Streik beschlossen. Gleichzeitig wurden alle Studierenden aufgerufen, am 24.11. an der Informationsveranstaltung des Präsidenten teilzunehmen, während der alle Lehrveranstaltung ausfielen, ein Privileg das der anschließenden VV nicht zugestanden wurde.

Das Band zwischen Studierenden und Hochschulleitung scheint oft gar zu eng, in Erlangen lädt man sich zur Demo anlässlich des bayernweiten Protesttages gegen Kürzungen, den Rektor und Gebührenvertreter Gürske als Hauptredner. Wie passend, dass nach Willen der Demoleitung nicht gegen Unileitung und Studiengebühren demonstriert werden sollte, schließlich heißt der Semesterbeitrag ja schon Studiengebühr.

Auch in München, wo zwischen 20.000 (Tagesschau) und 40.000 (Veranstalter) auf die Straße gingen, war zwecks Bündnisfähigkeit der Protest gegen „das kontrovers diskutierte Thema“ Studiengebühren und Sozialabbau nicht gern gesehen (2). Obwohl Bayern zusammen mit anderen CDU-geführten Bundesländern Klage vor‘m Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot allgemeiner Studiengebühren eingereicht hat und der neue Wissenschaftsminister Goppel im Wintersemester 2004/05 zwischen 400 und 600 Euro Studiengebühren einführen will.

Ebenso wie in Hessen, wo Roland Koch mit seinem radikalen Sparprogramm „Operation Sichere Zukunft“ den Sozialabbau forciert und mit dem Studienguthabengesetz (StuGuG) ab nächstem Semester (!) Verwaltungsgebühren (50 Euro), Langzeit- (zwischen 500 Euro im 12.Semester und 900 Euro ab dem 14.Semester) und Zweitstudiengebühren (1500 Euro) einführen will. Damit hat er sich nicht nur eine Demonstration gegen Sozialabbau am 18.11. mit „antikapitalistischem Block“, sondern auch einen Studistreik eingehandelt. Dieser nahm am 4.11. in Frankfurt seinen Anfang und hat inzwischen Marburg, Kassel und Gießen erreicht. Auf der Frankfurter Vollversammlung wurde Roland Koch ein Hausverbot erteilt. Der Ministerpräsident schien dieses demokratische Votum allerdings nicht akzeptieren zu können und brach das Hausverbot, indem er im benachbarten Senckenbergmuseum anlässlich dessen Wiedereröffnung eine Rede hielt. An die 3000 Studierende besetzen Ein- und Ausgänge und bevölkerten die umliegenden Straßen. (3) Allein durch Gewalteinsatz der Polizei konnte er das Museum nach dreistündiger Belagerung verlassen, musste seine Limousine zurücklassen und mit einem Einsatzfahrzeug der Polizei „in Sicherheit“ gebracht werden. Dabei wurden mehrere Studenten durch Schlagstöcke der Polizei leicht verletzt.

Da diese Aktionsidee so gut war, belagerten am 21.11. in Berlin 200 Leute, darunter an die 100 Studierende der Humboldt-Universität, Wowereit in einem Restaurant, bis sie von der Polizei weggetragen wurden. Wenn das nicht zur Anarchie führt…

Am 25.11. wurde in Berlin für mehr als 24 Stunden das Büro des Wissenschaftssenators Flierl (PDS) und darauf die PDS-Bundesgeschäftsstelle besetzt. Die Studiosi bringen die PDS damit ganz schön ins Schwitzen. Wie soll sie ihre dialektische Herangehensweise an das Problem erklären? Sowohl Sozialabbau bekämpfen wollen und selbst Kürzungen durchführen, letztendlich werden sie sich schizophrenerweise selbst bekämpfen müssen. Nicht nur in Berlin, wo am 28.11. noch das Büro von Finanzsenator Sarrazin besetzt wurde, auch in Niedersachsen wurde einem Regierungsmitglied der Respekt verweigert: Studierende verwandelten die Rundreise des Wissenschaftsministers Stratmann an verschiedenen Universitäten in ein Debakel.

Nicht nur Aktionsideen, auch Slogans gehen um die Welt. Der Leitspruch der Umsonstkampagnen (siehe Feierabend! #9) „Alles für alle und zwar umsonst!“ wurde zu „Bildung für alle und zwar umsonst!“ und tauchte auch am 12.11. in Hannover zur Demonstration „Rettet die Bildung – Bildet die Rettung“ (22.000 TeilnehmerInnen) gegen das Hochschuloptimierungskonzept und die Kürzungspläne der niedersächsischen Landesregierung auf. Das war auch das Radikalste, zumindest auf der Internetseite www.bildet-die-rettung.de, auf der beteuert wurde, dass mensch ja mit umstrukturieren will, aber anders, und mehrmals beschworen wurde, dass man friedlich demonstrieren wolle. Man hätte auch gleich das Fronttranspi mit „Bitte, bitte, nehmt uns nicht ernst!“ beschriften können

Allein in Göttingen steht ein Sparvolumen von zwölf Millionen Euro im Raum und damit die Schließung von Studiengängen und ein massiver Stellenabbau bevor. Dagegen organisierte auch der bürgerliche AstA (RCDS, ADF) und sein „Bündnis für ein starkes Göttingen“ zwei Demonstrationen mit 2000 bzw. 8000 Teilnehmern und versprüht den eiskalten Charme der Standort-Rhetorik: die Universität Göttingen müsse verschont bleiben und dafür beispielsweise die Uni Vechta geschlossen werden.

Dagegen gründete sich das „Bündnis gegen Bildungsklau“ (www.bildungsklau.de um den „Widerstand von unten“ zu organisieren. Es gab Vollversammlungen an vielen Fakultäten, auf der Demo einen Lautsprecherwagen mit offenem Mikro (unter der AstA-Bedingung, von dort nicht kritisiert zu werden) und eine offene Mailingliste. Sie wollen Widerstand in Solidarität mit anderen „Standorten“ leisten und den Zusammenhang zwischen Bildungsabbau und Sozialabbau herstellen. Der Zwiespalt scheint inzwischen (wie auch immer) gelöst zu sein: in Göttingen wurde inzwischen ein Streik beschlossen, in der entsprechenden Pressemitteilung stehen beide Gruppierungen einträchtig nebeneinander

Die Standortrhetorik ist allgemein ein großes Übel bei StudentInnenprotesten, wenn sich der Blick der Protestierenden auf das eigene Lokale und die eigenen Interessen fixiert und ignoriert was anderen sozialen Schichten und an anderen Orten passiert, wenn mensch sich für den Standort Deutschland stark macht , weil man selbst ja das beste Kapital dafür wäre. Das ist Selbstzurichtung par excellence. Auch der Leipziger StuRa meint in seiner Solidaritätserklärung er müsse sich Sorgen um den Standort Deutschland machen. Den Zacken aus der Krone haut da aber die selbstentmündigende Äußerung „Bildung ist die Aufgabe des Staates“. Hat schon jemand ´nen Staat neben sich im Hörsaal gesehen? Eben!

Zurück nach Göttingen: Bei der ersten inoffiziellen VV soll die inhaltliche Basis noch recht dünn gewesen sein, so wurde sowohl jemandem applaudiert, der die Zusammenarbeit mit der Hochschulleitung forderte, wie auch jemandem, der diese kategorisch ausschloß, weil sie für Studiengebühren wäre. Allgemein sind die Hochschulleitungen schlicht der Verwalter des Unternehmens Hochschule und somit um dessen Wohlergehen und nicht das der Studierenden besorgt. So werden sie folgende Fragen meist mit Ja beantworten: Studiengebühren, wenn es der Uni zu Gute kommt? NC und frühzeitige Selektion, wenn dadurch die Uni profiliert wird? Weg mit den LangzeitstudentInnen, damit die Statistik besser aussieht?

Einem Streik oder Protest, der sich selbst an die Zustimmung oder das Wohlwollen der Hochschulleitung kettet, sind von vorneherein die Zähne gezogen um Druck auszuüben. Mit kreativen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen (wie die Bildung zum xten Mal zu Grabe zu tragen oder baden gehen zu lassen) alleine, wird keine gesellschaftliche Auseinandersetzung gewonnen. In Halle gab es am 18.11. eine Vollversammlung mit 500 Leuten, die eine Resolution (4) zum geplanten neuen Hochschulgesetz und Hochschulstrukturgesetz verabschiedeten und für den 20.11. einen Warnstreik beschlossen. Dies alles geschah im Rahmen eines sachsen-anhaltinischen Protesttags gegen die Landeshochschulpolitik. Für den 8. bis 12.12. wurden Warnstreiks beschlossen. Auch in Hannover soll in dem Zeitraum eine Aktionswoche veranstalten. Ob in Leipzig ein nennenswerter und ernstzunehmender lokaler Protest in Gang kommt, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Ein solcher entsteht natürlich nicht aus dem Nichts und auch nicht durch Abschieben der Verantwortung an die Studierendenvertretung, sondern durch aktive Teilnahme möglichst vieler Studierender. Gründe gibt es jedenfalls genug, seien es die Kürzungen der Zuschüsse für die Studentenwerke und damit die Erhöhung der Mensapreise bzw. des „Semesterbeitrags“, die Teilnahme Sachsens an der Klage für allgemeine Studiengebühren oder die Zwangsexmatrikulation nach dem 13. Semester. Und es ließen sich sicherlich noch weitere Gründe finden.

Viel Zeit zur Vorbereitung ist nicht mehr. Auf einem Koordinierungstreffen Ende November wurden nämlich für den 13.12. ein europaweiter (5) dezentraler Aktionstag und drei Demonstrationen beschlossen, zu denen bundesweit mobilisiert wird: in Frankfurt, Berlin und Leipzig. Stand: 30.11.

kater

(1) www.refrat.hu-berlin.de/sowi/alle/allenews/vvbeschluss.html
(2) www.denkstop.de; zudem kreuchten auf bayrischen Demos Burschenschafter, eine Deutschlandfahne, Transparente mit Slogans wie „Wir sind Deutschlands bestes Kapital“; siehe auch www.jungle-world.com/seiten/2003/48/2107.php.
(3) eine andere Version spricht vom Blockieren seiner Limousine
(4) Resolution VV Halle www.stura.uni-halle.de
(5) Es waren auch AktivistInnen aus anderen europäischen Ländern anwesend.

Bildung

„Für Zahnersatz, Lenin und wider den Krieg“

Ignorant – aber auch interessiert: Wie die Presse auf die Demonstration der 100.000 in Berlin reagierte

Der unerwartete Erfolg der Großdemonstration unter dem Motto „Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“ erwischte die bürgerlichen Medien im Land ähnlich indisponiert wie Mitte der siebziger Jahre das plötzliche Entstehen der Anti-Atom-Bewegung. Deshalb sind die Sprachregelungen noch nicht standardisiert, und der Leser kann sich vorübergehend eines gewissen Pluralismus erfreuen. Ein Zeichen für die Konfusion auch in der kapitalfreundlichen Presse ist, daß in keinem einzigen Blatt der ansonsten gängige Trick versucht wurde, die Teilnehmerzahl der linken Demonstration herunterzuschwindeln. Der Berliner Tagesspiegel versuchte allerdings nachzutreten: Die Hunderttausend seien „erheblich weniger, als sich die Veranstalter erhofft hatten“, wurde wahrheitswidrig behauptet.

Mit Wegducken versuchte es die Frankfurter Allgemeine, die sowohl in ihrer Sonntagszeitung wie in der Montagsausgabe nur in wenigen Zeilen über die demonstrierende „Randgruppe“ berichtete. Nicht viel besser die Süddeutsche Zeitung, die neben einem Foto auf der Titelseite gerade 30 Zeilen auf Seite fünf zustande brachte. Chefkommentator Heribert Prantl belehrte im weiteren die Demonstranten: „Wenn Sozialetats schrumpfen, nimmt die Gerechtigkeit nicht automatisch ab.“ Auch die Berliner Zeitung mag den Unzufriedenen gerade mal „Gefühlte Gerechtigkeit“ zubilligen – so der Titel ihres Kommentars. Der Bericht vom Sonnabend wurde in den Lokalteil verbannt, wo auch ein ATTAC-Sprecher im Interview einen Gegenakzent setzen durfte. Auf der Titelseite dominierte dagegen Boris Becker mit seiner neuen Autobiographie und die Schlagzeile „Experten loben Merz“.

Ganz anders dagegen die Frankfurter Rundschau, die dem Geschehen den großformatigen Aufmacher und zwei weitere freundliche Beiträge widmete. Auch die Springer-Zeitung Die Welt war positiv verunsichert: „Wieso schafft ein bunter Haufen von diffus linken Sozialinitiativen und Globalisierungsgegnern, was ganz anderen im Frühsommer noch kläglich mißriet – nämlich die gutbürgerliche Mitte gegen Schröder in Bewegung zu setzen?“ Das Blatt verweist auf die gebrochenen Versprechen von SPD und Grünen, gibt aber zu, daß die Unionsparteien bei den Demonstranten auch nicht beliebter sind. „So wächst – an den als ewigen Bremsern diskreditierten Gewerkschaften vorbei – die Bereitschaft, außerparlamentarischen Kräften zu folgen. Das dürfte noch spannend werden.“

Wie stark die traditionellen politischen Lager in Auflösung sind, beweist der Vergleich zwischen der in den achtziger Jahren noch gewerkschaftsfreundlichen taz und der Financial Times Deutschland (FTD). „Überraschend viele zeigen ihre Empörung über die geplanten Sozialkürzungen, aber auch ihre Ratlosigkeit“, beschied das Zentralorgan der grünen Besserverdiener. Und weiter: „Wohin der politische Weg geht, scheint nicht ganz klar. Zu viele Gruppen, zu viele unterschiedliche Menschen haben sich hier getroffen.“ Die Tazisten trösten sich immerhin damit, daß „die Stalinisten“ bei der Demonstrationen keine Chance gehabt hätten. So hätten Gruppen wie Linksruck und MLPD „die Idee der Anti-Kahlschlag-Demonstration vom Samstag propagiert. Bei einem Vorbereitungstreffen in Hannover versuchte die MLPD, alles unter ihrer roten Fahne ablaufen zu lassen. Vergebens: ATTAC und die Berliner Bezirke der Gewerkschaften ver.di und BAU machten eine eigene Organisationsgruppe auf, in der Marx und Lenin keine Rolle mehr spielen.“ Die FTD hingegen sah die Klassiker im Kommen: „Für Zahnersatz, Lenin und wider den Krieg“ – so fasste sie ihren Eindruck in der Überschrift zusammen.

Sozialreformen

Navinki lebt im Untergrund!

Navinki, die anarchistische Satirezeitung aus Weißrußland, ist nun offiziell verboten. Seit Anfang des Jahres unterlag das unabhängige Blatt verstärkter Repression durch die Regierung Lukaschenko. Bereits im Mai wurde der Herausgeber wegen Präsidentenbeleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. In kurzer Abfolge erhielt das Magazin daraufhin zwei Verwarnungen. Die eine wegen Verstoßes gegen das Presserecht. Die andere aufgrund der Beeinträchtigung der „Moral des Volkes…”. Zwei solche Verwarnungen sind in Weißrußland ausreichend für das Verbot einer Zeitung.

Aber nach dem Verbot ist Navinki in den Untergrund gegangen und arbeitet nun an der ersten neuen Ausgabe. Die Illegalität macht den Druck und Vertrieb zwar wesentlich schwieriger. Aber Nichtsdestotrotz. Der Kampf geht weiter!

wanst

Nachbarn

Fünf Flaschen sind genug!

Protest gegen Burschenschaften in der Universität

Mittwoch, 29.10.2003. Es ist früher Nachmittag als ein Trupp von 20-30 PolizistInnen in Kampfmontur auf den Innenhof der Universität Leipzig stürmt. Es kommt zu einer Rangelei, in deren Zuge die PolizistInnen tat- und schlagkräftig zwei Personen abführen. Gerechtfertigt wird dieser Einsatz mit der Verpflichtung, jede angezeigte Straftat verfolgen zu müssen. Aber was ist da eigentlich passiert?

Wie jedes Semester präsentierten sich auch an diesem Tag wieder studentische Gruppen und Initiativen auf der vom StudentInnenrat (gewählte Vertretung der Studierenden in Ostdeutschland) initiierten „Vorstellungsstraße“. Darunter sind seit einigen Jahren auch korporierte Studentenverbindungen.

Hintergrund

So warb z.B. die Leipziger Burschenschaft Arminia, die zum rechtsextremen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) gehört, für neue Mitglieder. Die Gedanken, die vor allem von einigen Verbindungen der DB propagiert werden, sind u.a. ein „volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff“ (1), der die Volkszugehörigkeit biologisch begründet. Nach diesem völkisch-nationalistischen Politikverständnis „betrachtet die DB die deutschen Bewohner Österreichs und Südtirols als Teil des deutschen Volkes“ (2) und die ehemalige DDR wird meist als „Mitteldeutschland“ bezeichnet. Die großdeutsche Idee verdeutlicht ein Geschichtsbewusstsein, bei dem es nicht verwundert, dass die Aachener Burschenschaft Libertas Brünn fordert, „der wiederholt in der Öffentlichkeit aufgestellten These von der Alleinschuld Deutschlands am 2. Weltkrieg entgegenzutreten.“. Die großdeutsche Variante verwirklichte der DB organisationsintern schon Anfang der siebziger Jahre, indem österreichische Burschenschaften integriert wurden. So konnte auch Jörg Haider (östereichischer Rechtspopulist, ehemaliger Ministerpräsident von Kärnten), seines Zeichens Mitglied der Silvania Wien, gleichzeitig Mitglied der DB werden.

Außerdem beziehen sich die Burschen positiv auf den starken Staat, der die „nationale Einheit“ nach Innen, gegen Andersdenkende, und nach Außen, gegen „Unterwanderung seines Volkskörpers durch Ausländer“ (3 ) zu schützen hat. Immanent ist diesem Weltbild die Sympathie für Militärisches und Soldatisches. So ist der ideale Mann wehrhaft, mutig, kameradschaftlich und patriotisch im Gegensatz zur schwachen und friedfertigen Frau. Die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern war daher auch Grund genug, die „Arminia Marburg“ aus dem DB auszuschließen. In den „Burschenschaftlichen Blättern“ (57/1980) findet sich zudem die Behauptung, „die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet“. Die Burschen sehen sich als die „Elite der Nation“, die allein befähigt ist, „eine Ordnung in Freiheit und Recht zu gewährleisten“. Nach ihrer Argumentation ist die „Masse nicht besonders klug…Gewöhnlichkeit oder Geringwertigkeit ist [ihr] wahrscheinlicher Zustand“. (4) Nicht alle Burschenschaften vertreten derart extreme Standpunkte. Die gemäßigteren Verbindungen traten 1996 wegen des anhaltenden ‚Rechtsrucks’ aus dem DB aus, und gründeten die „Neue Deutsche Burschenschaft“ (NDB).

Außer der Burschenschaft Arminia, präsentierten sich auf der Vorstellungsstraße des StuRa Leipzig noch das „Corps Thuringia“, das „Jagdcorps Hubertio“, die „Katholische Deutsche Studentenverbindung Germania Leipzig“ und „Wingolf“. Letztere bezeichnen sich als unpolitisch, sind aber doch einem nationalkonservativen Weltbild verhaftet. Die Ausgrenzung oder Herabwürdigung von Frauen ist ebenso Programm, wie eine straffe Hierarchie, in der nur vorankommen kann, wer sich unterordnet. Die Gefahr aber, die von allen Verbindungen, im Besonderen von den Burschenschaften des DB, ausgeht darf nicht unterschätzt werden. Sie tragen unter der Mütze des rechtschaffenen, deutschen Akademikers, stolz die Gedanken weiter, die Vernetzungen mit der NPD (Nationaldemokratischee Partei Deutschland) und der rechtsradikalen Szene sehr wahrscheinlich machen. Der elitäre Drang, überall Spitzenpositionen zu besetzen, ist nicht nur eine verklärte Theorie. Vielmehr zeigen Namen wie Franz Josef Strauß (Tuskonia München) und Jörg Haider (Silvania Wien), dass der politische Einfluss der Burschen real ist und daher auch real bekämpft werden muss.

Aktion

Das war auch der Ansatz einiger Leute, die einen kreativen Protest auf der Vorstellungstraße veranstalteten. Sie wollten die Anwesenheit rechter Gedanken an der Universität nicht einfach hinnehmen. Mit einer Tanz- und Theateraktion vor den betreffenden Ständen sollten die Männerbünde thematisiert und offener Protest bekundet werden. Etwa fünfzehn AktivistInnen, deutlich an ihrer pinken Kleidung und den silbernen Puscheln zu erkennen, sprangen, hüpften und sangen gegen Hierarchie und für die Anarchie. Die verwendete Aktionsform „Pink & Silver“ stammt aus dem globalisierungskritischen Kontext und wurde zum Beispiel in Prag beim WTO-Gipfel 2000 angewandt. Die Ursprünge liegen jedoch schon in den 1960er Jahren beim „Radical Cheerleading“. Anders als der „schwarze Block“, setzt „Pink & Silver“ auf positive Außenwirkung und Deeskalation. Nach diesem Prinzip wurde auch mit der Aktion vor den Ständen das Ziel verfolgt, die korporierten Männer lächerlich zu machen. Trotz der einheitlichen Taktik blieb noch genug Raum für die Beteiligten, dem ein oder anderen individuellen Reflex nachzugehen.

Die Stimmung auf dem Innenhof der Universität zur Mittagszeit war ausgelassen. Es gab bunte Tische mit Kaffee, Kuchen und mehr. Vor den Ständen der kooperierten Verbindungen protestierten bereits einige Leute mit Transparenten und gelegentlich wurden ein paar Knallfrösche ihrer Bestimmung zugeführt. Zu den Transparentträgern gesellte sich bald auch der pinke Haufen, der mit silbernen Puscheln choreographierte Anti-Burschenschaftstexte zu Gehör brachte. Es waren Liedzeilen wie: „Lieber ein Geschwür am After, als ein doitscher Burschenschafter“ zur Melodie von „99 Luftballons“ und anderes zu vernehmen. Zahlreiche SympathisantInnen und Umstehende applaudierten der Darbietung und fingen gar selbst mit an zu puscheln. Inmitten dieses lauten, bunten Treibens begannen einzelne Protestierende etwas übermütig zu werden und es wurden Stände von Propagandamaterial abgeräumt. Von Seite der Männerbünde wurde daraufhin eine Anzeige wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und tätlichem Angriff bei der Polizei erstattet, die einige Streifenpolizisten zur Personalienfeststellung auf den Innenhof der Universität schickte. Der Fokus der Gesetzeshüter richtete sich sofort und ausschließlich auf die pinken Tänzer- Innen, die größtenteils versuchten sich dem Zugriff zu entziehen. Das verursachte hitzige Debatten und auch kleinere Schubsereien zwischen Grün und Pink. Die „Pink & Silver“ Aktion war damit jedoch beendet und die Beteiligten verließen auf Umwegen die Vorstellungsstraße.

Eine zweite Anzeige wurde von einem der Verbindungsstände aus erstattet, nachdem fünf Flaschen Alkoholika von unbekannt entwendet worden waren. Weitere Vorwürfe waren ein Kerzenwachsattentat auf eine wehrlose Hose und die Entführung eines Tisches vom RCDS Stand (Ring Christlich Demokratischer Studenten), der später unversehrt auf der Herrentoilette aufgefunden wurde. Die Reihenfolge und Vollständigkeit der 7-8 laufenden Anzeigen war bei der Polizei bis zum Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen, da mittlerweile der Staatsschutz ermittelt, der keine Auskünfte erteilt.

Es war bereits wieder Ruhe auf dem Hof eingekehrt, als ein Verbindungsstudent vermeintliche Täter wiedererkannt zu haben glaubte. Damit war der Manöverübungsplatz ausreichend abgesteckt und die „Straßenkämpfe“ konnten beginnen. Vier PolizistInnen scheiterten zunächst beim Versuch die Personalien der Verdächtigten zu ermitteln und wurden von einem Menschenauflauf umringt, der lauthals bekundete, dass die Polizei nichts auf dem Gelände der Universität zu suchen habe. Von der Situation überfordert wurde Verstärkung gerufen, die sich in Form von 20-30 behelmten BereitschaftspolizistInnen im Laufschritt dem Geschehen näherte. Nach dem Austausch verbaler und physischer Tätlichkeiten wurden zwei Menschen unter Anwendung von Gewalt abgeführt.

Das Fazit des Einsatzes waren, zwei Ingewahrsamnahmen, inklusive aufgeschrammten Händen und einer zerrissenen Hose. Außerdem die Anzeigen durch die Verbindungen und einer Anzeige der Polizei wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Und zu guter Letzt eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Polizisten und eine Feststellungsklage durch den StudentInnenrat zur Klärung der Frage, was die Universität für ein Raum ist und wieweit dort die Befugnisse der Polizei reichen. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß das bedauerliche Verschwinden einer Burschenschaftsmütze, dem einen kalte Ohren und dem anderen eine rote Nase beschert haben dürfte.

wanst

(1) Begriff vom DB 1971 eingeführt
(2) Antrag der Aachener Burschenschaft Libertas Brünn auf dem Berliner Burschentag 1965
(3) Wiener Burschenschaft Olympia, Burschentage 1991
(4) Hettlage. in: Academia, Zeitschrift des Cartell-Verbandes, 1966

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