Archiv der Kategorie: Feierabend! #28

„Und wer kontrolliert Ihr Leben?“

– zur Versorgungssituation von AsylbewerberInnen in Leipzig –

AsylbewerberInnen und „geduldeten“ (1) Flüchtlingen ist es in Leipzig bis dato nicht gestattet, Lebensmittel für ihren täglichen Bedarf einfach einzukaufen oder sich im nächsten Supermarkt spontan vom An­gebot der Regale inspirieren zu lassen. Stattdessen müssen sie schon eine Woche vorher wissen, was in der darauf Folgenden auf den Tisch kommen soll. Denn mit dem seit 1997 geltenden Asyl­bewerber­leistungs­gesetz (AsylbLG) wurde die Grund­versorgung von der verwaltungsmäßig einfacheren und auch kostengünstigeren Bargeldauszahlung auf Sachleistungen umgestellt.

AsylbewerberInnen, die weniger als 4 Jahre (2) hier leben, und MigrantInnen mit dem Status „Duldung“ erhalten kein Bargeld zur Deckung ihrer Grund­bedürfnisse. Sie müssen ihre Lebensmittel und Hygiene­artikel aus einen, im Angebot eher be­schränkten Katalog der Kühlhaus Wüsten­brand GmbH bestellen. Zweimal pro Woche werden die Pakete „frei Haus“ ins Heim geliefert. Ein Paket umfasst pro Person einen Warenwert von ca. 15 Euro.

Das heißt genau genommen, dass man vorher doch nie genau weiß, womit in der folgenden Woche tatsächlich gekocht wird. Denn aus der bestellten Dose Erbsen-Möhren wird schnell mal eine Dose Mais, das Duschbad hat irgendeine Duft­richtung, der Joghurt kommt mal als Erdbeer- oder Him­beerjoghurt, relativ unabhängig davon, was bestellt wurde. Da kann es auch schon mal passieren, dass die Kondome statt in normaler Größe als XXL oder XS an­kommen.

Insgesamt scheint es bei dem Versorgungs­unternehmen nicht so darauf anzu­kommen, was genau bestellt wurde, ein grob ähnliches Produkt wird es schon tun. Nicht so genau wird es auch mit dem Haltbarkeitsdatum der Lebensmittel genommen, wahrscheinlich nimmt man unterbewusst an, dass „Nichtdeutsche“ keine arabischen Zahlen und den gregor­ianischen Kalender deuten können. Also auch nicht merken, wenn die Lebens­mittel überlagert sind.

Einen Schritt vor und zwei zurück

Statt der bisherigen Paketversorgung für Asylsuchende, mit denen aus einem begrenzten Angebot zu festgesetzten Preisen Essen und Körperpflegemittel sieben Tage im Voraus bestellt wurden, ist ab diesem Jahr die Einführung von Chipkarten geplant. Bürgermeister Pro­fessor Dr. Thomas Fabian (Bei­geordneter für Jugend, Soziales, Ge­sundheit und Schule) preist dies als „erheblichen Zuwachs an Lebensqualität für die Asylbewerber“ an. (3)

Dabei müsste dem Bürgermeister klar sein, dass es letztlich im Sinne aller ist, einfach Bargeld auszuzahlen. Denn die Stadt Leipzig war bereits vor einigen Jahren viel weiter und bat die Landes­regierung in Dresden um die Ge­nehmi­gung, Bargeld an AsylbewerberInnen auszahlen zu dürfen. Dieser Vorstoß wurde aber damals abgeblockt.

Paradoxerweise war es nun aus­ge­rechnet die Stadt Dresden, die in Sachsen eine erzwungene Vorreiterrolle zugewiesen bekam. Bis 2007 gab es auch in Dresden Kataloggutscheine, seit Dezember letzten Jahres wird dort in einem zunächst befristeten Modellprojekt aber endlich Bargeld ausgezahlt. Aus­schlag­gebend dafür war die Kampagne „Und wer kontrolliert ihren Einkauf?“, die in Dresden, ähnlich wie die Umtausch­initiative in Leipzig, die Pakete der AsylbewerberInnen zu Bargeld tauschte. Daneben leisteten die Aktiven dieser Kampagne auch eine Menge Lobby­arbeit im Dresdner Stadtrat. Bei diesem Unter­fangen spielte ihnen in die Hände, dass dieser selbst im Oktober 2004 be­schlossen hatte, Chipkarten ein­zu­führen und den Oberbürgermeister beauftragte, sich gleichzeitig bei der Landes­regierung für die Bargeld­auszahlung einzusetzen. Dieser Be­schluss wurde jedoch nur widerwillig und sehr zögerlich umgesetzt. So konnte sich der politische Druck darauf kon­zentrieren, die Herren und Damen Abgeordneten an ihre eigenen Beschlüsse zu erinnern.

Anstatt dass die Stadt Leipzig, die sich sonst gern weltoffen und freiheitlich gibt, nun in die geschlagene Bresche springen und ebenfalls zur kostengünstigsten Variante ‚Bargeld’ greifen würde, soll hier nun das aufwendigere Chipkartensystem eingeführt werden.

„Selbst aus dem Angebot wählen“ (Prof. Dr. T. Fabian)

Das System „Chipkarten“ meint, dass von der Stadt ein Unternehmen angeworben wird, welches die AsylbewerberInnen mit Chipkarten ausstattet, die monatlich mit einem Guthaben von 48 Euro (4) auf­ge­laden werden. Mit diesen Karten sollen sie dann bei teil­nehm­en­den Händ­lern/Han­dels­ket­ten ein­kaufen kön­­­nen.

Allerdings müs­­­­sen vorher Ein­kaufs­märkte ge­funden wer­den, die bereit sind, die ent­spre­ch­en­de Ab­bu­ch­ungs­­­­­­elek­tronik zu in­stallieren. Auch ver­längert das Ab­rechnungs­­verfahren an der Kasse die War­te­­­zeiten für alle Kun­den, was ein nicht zu unter­schät­zendes Kriterium vor allem für kleinere Händler sein könnte.

Momentan hat sich zum Glück in ganz Sachsen noch kein Chip­karten­hersteller gefunden, der sich der Sache in Leipzig annehmen will. Firmen, die bereits in anderen Städten daran beteiligt sind, haben kein Interesse, weil es einfach unrentabel ist. Auch die Sparkasse, die bisher an der Auszahlung von Geldern an Asyl­bewerber­Innen beteiligt war, hat ihren Auftrag für 2008 gekündigt und steht auch nicht für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Chipkarten zur Verfügung. Deshalb wurde die Suche nach einem Chipkartenhersteller nun auf die ganze EU ausgeweitet.

Chipkarten & daraus folgende Probleme im Alltag

1. Entmündigung: AsylbewerberInnen mit Chipkarten dürfen zwar einkaufen, aber sie können nicht wählen, wo. Denn die Stadt muss die Partnerunternehmen aussuchen und anwerben (eine Firma, die die Chipkarten und Lesegeräte etc. herstellt; Banken, in denen die Asyl­suchenden ihr bares „Taschengeld“ von eigens dafür eingerichteten Konten abholen dürfen; Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Kleidungsmärkte etc.) Außerdem wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, selber zu entscheiden, was sie mit dem Betrag – welcher ohnehin schon unter der Hartz-IV-Grenze liegt und damit weit unter der relativen Armuts­grenze der BRD – kaufen: das Geld soll in drei Posten aufgeteilt werden, die unter­einander nicht verschiebbar sind – Essen, Kleidung, Sonstiges. So bleibt mit Chip­karten, wie zuvor mit den Katalogen nicht genügend Geld für öffentliche Ver­kehrsmittel, für das Asylverfahren drin­gend benötigte Anwälte, Schul­materialien, Telefon etc. Mal davon abgesehen, dass Tabak- und Alkohol­erwerb verboten sind bzw. bei anderen „Luxusgütern“ die VerkäuferInnen an der Kasse ad hoc entscheiden können, ob das Produkt für eine/n Asylsuchende/n angemessen ist. (5)

2. Diskriminierung: Wenn an der Kasse die VerkäuferIn umständlich die Chip­karte auf Guthaben und Gültigkeit prüft, ist dies entwürdigend und allen An­wesenden wird die angebliche „Anders­artigkeit“ des Ein­kaufen­den vor Augen geführt.

3. Kontrolle: Jeden Monat müssen die AsylbewerberInnen zum Aufladen ihrer Karte zum Sozialamt fahren. Unterstellt eine SachbearbeiterIn, die AsylbewerberIn könne nicht mit Geld umgehen, kann sogar ver­langt werden, den jeweiligen Betrag einmal pro Woche abzuholen. Außerdem wird ge­spei­chert, wann, wo und wie viel die Asyl­bewerberInnen einkaufen und von Mitar­beiterInnen des Sozialamtes kon­trolliert. Nicht genutzte Beträge verfallen und kön­nen nicht etwa angespart werden.

Dass die Stadt Leipzig trotz aller Nach­tei­­le für die Verwaltung – die Auszah­lung von Bargeld wäre kosten­günstiger und weni­ger aufwendig – und die hier lebenden „Nicht­­deut­schen“ auf dem Sach­leistungs­prin­­zip beharrt, ver­deutlicht, worum es ei­gent­lich geht: um die „gewollte Ein­schrän­kung in der freien Ge­stal­tung des Lebens“. (6)

Auch wenn der Ein­kauf per Chip­karte ten­denziell we­niger Iso­lierung und mehr (aber keine freie) Auswahl er­möglicht, geht es damit immer noch um eine ras­sistische Praxis, die sich fort­schreibt. Es handelt sich hierbei nur um einen von vielen struktur­ellen Rassismen, die sich in Regelungen wie z.B. der Residenzpflicht oder dem Arbeits­recht (siehe Kasten) wieder finden, mit Hilfe derer die per­sönliche Freiheit des Einzelnen – in diesem Fall die Entscheidung, was, wann und wo ein­zukaufen – massiv ein­ge­schränkt wird.

Morgen fängt heute an

Kaufen wir ein, damit andere einkaufen können! Bargeld für alle sofort! Tauschen wir mit den AsylbewerberInnen ihre Gutscheine gegen Bargeld, damit sie selbst entscheiden können, was sie be­nötigen! Für ein Ende der strukturellen Dis­krimi­nierung von AsylbewerberInnen und die Verbesserung ihrer Lebens­be­dingun­gen!

(Kampagne gegen Ausgrenzung)

www.anderseinkaufen.de.vu
(1) Die Duldung ist nach der Definition des deut­schen Aufenthaltsrechts eine „vorüber­gehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreise­pflichtigen Aus­ländern, und stellt damit keinen Aufenthaltstitel dar. Die Dul­dung dient aus­schließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass von einer Durch­setzung der bestehenden Ausreisepflicht für den ge­nann­ten Zeitraum aus verwaltungs­technischen oder politischen Gründen abgesehen wird.
(2) Erst kürzlich wurde die Zeit, in der Asyl­suchende mit ungeklärtem Status nur per Katalog kon­sumieren dürfen, von drei auf vier Jahre verlängert. Bisher konnte nach drei Jahren Bargeld ausgezahlt werden (das gibt es also schon in Leipzig), jedoch müssen Asylbewer­berInnen nach einem ab­geschlossenen Asylver­fahren, das mit dem Status „Duldung“ endet, wieder per Katalog bestellen.
(3) www.leipzig.de/de/buerger/news/09889.shtml.
(4) Derzeit kann für bis zu 30 Euro die Woche (je Paket 15 Euro) aus dem Lebensmittel­katalog bestellt werden. Zusätzlich stehen monatlich 18 Euro für die Bestellung von Hygienartikeln aus einer separaten Liste zur Verfügung. Diese Trennung würde beim Chipkartensystem wegfallen.
(5) Zwar wurde bestimmt, dass Asylbewer­berInnen keine Luxusgüter erwerben dürfen, allerdings wurde der Begriff nicht näher definiert. Dadurch liegt es letztlich in der Entscheidungsgewalt der jeweiligen KassiererIn zu entscheiden, ob die betreffende Ware ein Luxusgut ist oder nicht. Es gab schon Streitfälle bei denen einem Asylbewerber der Erwerb eines Pelzmantels im Winter mit eben dieser Begründung verweigert wurde.
(6) Reinhard Boos, seit Juni 2007 zum zweiten Mal Präsident des Sächsischen Landesamtes für Ver­fassungsschutz. Er hatte das Landesamt bereits von Juni 1999 bis Dezember 2002 geleitet und ersetzt den im Rahmen des „Sächsischen Korruptions­skandals“ abge­setzten Rainer Stock. Boos war zuletzt Leiter des Referats „Ausländer- und Asyl­angelegen­heiten“.

Residenzpflicht – Einschränkung der Bewegungsfreiheit

Die Residenzpflicht ist eine ge­setzliche Regelung, die die Be­troffenen massiv in ihrer Be­wegungs­freiheit ein­schränkt. Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, dürfen nach § 56 Asyl­verfahrens­gesetz (AsylVfG) den Landkreis, in dem sie leben, nicht verlassen. Menschen mit dem Status „Duldung“ sind nach § 61 Aufent­haltsgesetz in ihrer Bewegungsfreiheit auf das Bundesland beschränkt, in dem sie leben.

Die zuständige Ausländerbehörde kann nach §§ 57 und 58 AsylVfG Ausnahmen von der Residenz­pflicht erlauben. Flüchtlinge erhalten auf Antrag eine Aus­nahme­genehmigung für Termine bei Rechts­anwält­Innen, Gerichten, ÄrztInnen und Be­ratungs­stellen.

Ebenfalls auf Antrag können Aus­nahme­ge­nehmi­gungen für Besuche bei Fa­milien­mitgliedern, Freund­Innen, Kirchen­gemeinden, kultur­ellen Veranstaltungen u.ä. erteilt werden. Diese liegen jedoch im Ermessen der Aus­länder­be­hör­den und werden je nach Land­kreis unter­schiedlich ge­hand­habt. Generelle Aus­nahme­regelungen von der Re­si­denz­­pflicht sind möglich, z.B. für Flüchtlinge, die in direkter Nähe zur näch­sten Stadt un­ter­ge­bracht sind, die jedoch im an­grenz­enden Land­kreis liegt.

Eine ähnliche Re­gelung gilt auch für deutsche Em­pfänger­Innen von ALG II: die Be­troffenen sind ver­pflichtet an jedem Werk­­tag bei der Ar­beit­s­agentur er­scheinen zu kön­nen. „Ur­laub“, Ab­wesenheit vom Wohn­ort ist auf 21 Tage im Jahr be­schränkt und muss be­­an­tragt wer­den.

Arbeitsverbot

Geduldete und AsylbewerberInnen unterliegen seit dem 1.1.2001 für die Dauer eines Jahres einem generellen Arbeitsverbot.

Arbeitsmarktzugang

Nach einem Jahr Aufenthalt in der BRD haben sie die abstrakte Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, jedoch nur mit einen „nachrangigen Zugang“ zum Arbeitsmarkt. Sie müssen dazu einen Arbeitgeber finden, der ihnen schriftlich bestätigt, sie anstellen zu wollen. Mit dieser Bestätigung müssen sie eine Arbeitserlaubnis beantragen. Doch in der Regel werden diese Jobs, die den Flüchtlingen zugesagt sind, von der Agentur für Arbeit an andere Arbeitssuchende vergeben.

„Nachrangigkeit“

§ 39 des Aufenthaltsgesetzes sieht vor, dass die Bundesagentur für Arbeit einer Beschäftigung nur unter folgenden Voraussetzungen zustimmen darf: Die Beschäftigung darf keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und es darf kein Deutscher bzw. EU-Ausländer mit bevorzugtem Arbeitsmarktzugang zur Verfügung stehen. Des weiteren dürfen die Arbeits­bedingungen nicht ungünstiger sein als bei Beschäftigung vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer. In der Praxis hat dies folgende Konsequenzen: Der Arbeitgeber hat den Nachweis zu erbringen, dass er über einen angemessen Zeitraum versucht hat, die Stelle mit einem be­vorrechtigtem Arbeitnehmer zu besetzen. Wesentlich ist hier vor allem ein Vermittlungsgesuch an das Arbeitsamt, welches auch überregional nach geeigneten Ar­beitnehmern zu suchen hat. Zudem soll geprüft werden, inwieweit die offene Stelle von Arbeitssuchenden mit abweichender Berufsqualifikation besetzbar ist. Die Dauer der Prüffrist wird auf mindestens vier Wochen festgelegt. Und selbst wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Arbeitnehmer keineswegs sicher sein, die Stelle dauerhaft zu behalten, da jede Ver­längerung der Arbeitserlaubnis, sogar beim selben Arbeitgeber, eine erneute Prüfung nach sich zieht.

In einigen Bundesländern existieren zudem sog. „Negativlisten“, welche die Erteilung einer Arbeits­erlaubnis für bestimmte Berufe generell untersagen. Bei diesen geht das Arbeitsamt davon aus, dass die Bewerberzahl der Deutschen bzw. bevorrechtigter Ausländer dauerhaft höher ist als die Zahl der offenen Stellen.

Vom Schafspelz zur Schlachtplatte

Militärflughafen Halle/Leipzig

Ostern 2007 in Leipzig. Einige dut­zend In­teressierte hatten sich bei einem Work­shop des Bundeskongresses Inter­na­tio­na­lis­­mus BUKO30 (1) versam­melt, als Conor C. Fotos von gewöhn­lichen Pas­sagier­­flug­zeu­gen an die Wand proji­zierte. „Is it a civil or military one?“(„Ist es ein Ziviles oder Mili­tä­risches?“) Wer die Frage des irischen Kriegs­­gegners richtig beant­worten konnte, be­kam einen Button mit schwar­zem Klee­blatt, dem Symbol der irischen Friedens­bewegung (2). Mit dem Quiz wurde eine bisherige Annahme umgestoßen. Denn genau so wenig, wie alle Soldaten sind, die Cargo-Hosen tragen, ist alles zivil, was in reinem Weiß erstrahlt. Egal, ob Bundes­wehr oder US-Armee, die Militärs möch­ten sparen und sich bequem in zivilem Anschein bewegen.

Im Rahmen der Zusammenarbeit von staatlichen Institu­tionen und privat­wirtschaftlichen Unter­neh­men (Public Private Part­ner­ships) beauftragen sie vermehrt private Flugli­nien, um Truppen und Waffen zu transpor­tieren. Das spüren seit der Mobilisierung zum Irak-Krieg unter anderem die Men­schen im west­irischen Shannon. Über diesen Flughafen sind zehntausende US-amerikanische Soldaten geschleust wor­den. Bürger durchschauten die Kriegs­unter­stützung, die durch ihr verfassungs­mäßig militärisch neutrales Land in augen­scheinlichen Zivilmaschinen getätigt wur­de. Wider­stand formierte sich und gipfelte darin, dass die Aktivisten in direkten Ak­tio­nen auf das Flug­hafen­gelände und in Hangars eindrangen, um dort Flugzeuge mit Farbe, Äxten und Steinen flugunfähig zu machen. Drei US-amerikanische Flug­ge­sell­schaf­ten, die für das Pentagon als Militär­dienstleister tätig waren, zogen sich darauf hin aus Shannon zurück.

Nicht ohne Grund kamen die irischen Kriegsgegner nach Leipzig. Die Aktions­gemeinschaft „Flughafen natofrei!“ hatte sie eingeladen, von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie versteht sich als offenes Netzwerk aus Einzelpersonen, Vereinen und Organisationen, das sich gegen die militärische Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle wendet. Denn auch hier, wo der ein oder andere in den Urlaub startet, ge­schieht, was anderen oft Leid und Tod bringt. „Der zum Kriegs­dreh­kreuz aus­gebaute Flug­hafen ist bereits jetzt das bedeutendste deutsche Logistikzentrum für Ge­walt­operationen der USA und der NATO“, resümiert das Nach­rich­ten­portal german-foreign-policy (3).

Doch was geschieht im Detail?

Der Flughafen wurde als ziviler Flughafen ausgebaut. Verwendet wurden dabei fast 1,3 Milliarden Euro öffentliche Förder­mittel, darunter auch Steuergelder der Bürger.

Seit März 2006 sind aber am Flughafen zwei Groß­raum­flugzeuge vom Typ Anto­nov 124-100 sta­tio­niert, sie wur­­den feierlich von Bun­­des­ver­tei­di­gungsminister Jung begrüßt. Im Sep­tember 2007 stehen be­reits 6 dieser Ma­schinen auf dem Flug­ha­fen­gelände. Diese „fliegenden Güter­züge“ wer­den vom Un­­ter­nehmen Ruslan SALIS GmbH angeboten, das der rus­sischen Volga-Dnepr-Gruppe angehört. Über den SALIS-Vertrag (4) zwischen der Flug­ge­sell­­schaft und der NATO-Agentur NAMSA (5) soll kosteneffektive Logistik­unterstützung ermöglicht werden. Ver­traglich sind die Transportflugzeuge für militärische und humanitäre Zwecke mietbar und fliegen anschließend zu den Verladeflughäfen oder werden in Leipzig/Halle beladen. Sie transportieren alles von Trinkwasser bis zu Panzern, Hub­schrau­bern und anderen schwersten Waffen – bis zu einer Ge­samtlast von 120t. Die BRD hat 2006 ihr jährliches Kontingent von 750 bezahlten Flugstunden ausgeschöpft. Allein durch die deutsche Nutzung spannt sich ein Netz von Zielländern über den halben Globus: Südafrika, Norwegen, Pakistan, Afghanis­tan, Tadschikistan, Gabun, Demokratische Republik Kongo, Kap Verde, Djibouti und Zypern. Über den SALIS-Vertrag im Rahmen der NATO hinaus können zudem bei multinationalen EU-Operationen bis zu vier Antonovs angefordert werden. Von Seiten der Militärdienstleister ist geplant, in den kommenden Jahren bis zu 10 weitere Antonovs neuen Typs in den Dienst der NATO zu stellen, die jeweils 165t tragen können. Mit diesem Ausblick wird sich die Rolle des Flughafens als militärisches Logistikdrehkreuz ver­festigen, denn hier wurde eigens eine Wartungshalle für die Großraumtransporter errichtet. Außerdem möchten EU und NATO zukünftig flink global einsatzfähig sein und bauen dazu „Schnelle Eingreiftruppen“ (battlegroups) auf, die wiederum auf „strategische Lufttransportkapazitäten für die Streit­kräfte“ angewiesen sind.

Neben dieser militärischen Nutzung auf privatrechtlicher Grundlage landen auch Truppen des US-Militärs zwischen. Nach Angaben der Flughafengesellschaft wurden im Jahr 2006 etwa 240.000 US-Soldaten in Kriegsgebiete und zurück transportiert. Die Tendenz ist steigend, denn allein im Zeitraum Juli 2006 bis einschließlich März 2007 sind von den amerikanischen Fluggesellschaften World Airways und North American Airways insgesamt 2050 Flugbewegungen auf dem Flughafen Leipzig/Halle durchgeführt worden. Das entspricht bei 400 Sitzplätzen in den üblichen MD-11-Maschinen bereits 820.000 Soldaten. Mit den lokalen Truppenschleusungen wird die BRD noch mehr zum Rückgrat der US-Kriegspolitik, als sie durch US-Militärbasen (Ramstein, Grafenwoehr, etc.) und andere Um­schlagplätze wie Frankfurt-Hahn schon ist. Auch wenn angeblich zivile Flugzeuge zum Einsatz kommen, die Deutsche Flug­sicherung geht von militärischen Flügen über Leipzig/Halle aus.

Die AG „Flughafen natofrei!“ konnte bei Flug­hafenwachen feststellen, dass ein Ab­fer­tigungsgebäude (Terminal A) aus­schließlich für die US-Soldaten ausgebaut und benutzt wird. Diese Beobachtung ver­dichtet die Kritik auf juristischer Ebene, denn Militärflüge und Ver­sorgungs­auf­enthalt der Truppen am Boden kommen einer Stationierung gleich. Doch durch den so genannten „2+4-Vertrag“ ist es verboten, auf dem Gebiet der neuen Bundesländer ausländische Truppen zu stationieren oder dorthin zu verlegen. In einer Bundes­tags­an­frage (Drucksache 16/4343) windet sich die Regierung mit dem Hinweis auf den Vertragstext heraus, „dass Fragen in Bezug auf die Anwendung des Wortes ‚verlegt’ […] von der Bundes­regierung in einer ‚vernünftigen und ver­ant­wor­tungs­be­wussten Weise’ ent­schieden werden“. Ohnehin, was stellen Truppen- und Waffentransporte anderes dar als Beihilfe zum Krieg? So rügte das Bundes­ver­waltungsgericht: „Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt“ (Irak-Krieg) sei „selber ein völkerrechtswidriges Delikt“.

Hände auf, Augen zu

Was sagt eigentlich Flughafen­ge­schäfts­führer Eric Malitzke zur Behauptung, der Flughafen würde militärisch genutzt? Das sei „völlig absurd“. Wenn bereits durch die vom Pentagon bezahlten Privatairlines ca. 11 Millionen Euro Einnahmen monatlich in die Kassen gespielt werden, verdrängt man gern unangenehme Aspekte. Nun erhält der mit 33 Jahren „jüngste Flug­hafenchef Deutschlands“ den ersten „Leipziger Völker-Schlacht-Preis“ des Vereins Friedensweg e.V. Aus der Be­gründung: „Herr Malitzke erhält den Preis, weil er sich im vergangenen Jahr mit großem Einsatz der Ermöglichung eines weltweiten Völker­schlachtens verschrieb. Über den Flughafen Leipzig/Halle werden amerikanische Soldaten und Kriegsgerät in den Irak und nach Afghanistan trans­portiert. Diese Maßnahme dient nicht nur der Ver­besserung der Geschäftsbilanz, sondern auch der Erhöhung der offiziellen Flug­gast­zahlen des Flughafens. Herr Malitzke be­weist damit eindrucksvoll, wie sich Wirt­schafts­aufschwung in Deutsch­land und das Lei­den ausländischer und deut­scher Kriegsopfer gewinnträchtig verbin­den lassen. Der Völker-Schlacht-Preis wird in Form einer Schlachteplatte verliehen und besteht aus durchweg sym­bol­träch­tigen Begleiterscheinungen kriegerischer Auseinandersetzungen: Hack­fleisch, Blutwurst und Gekröse.“

Symbolträchtiges Flughafenfest 2007

Inzwischen zeigt nämlich der Flughafen ganz offen und scheinbar selbstverständlich seine zunehmend militärische Aus­rich­tung. So konnten am 7./8. Juli Eltern und Kin­der Tornado-Kampfjet und AWACS-Auf­klärungsflieger technikbegeistert be­staunen – bis sich der Tornado blutrot färb­te [siehe Foto]. Indem sie Ket­chup auf das Kriegs­gerät spritzten, wollten die Akti­visten der AG „Flughafen natofrei!“ darauf auf­merksam machen, dass mit Hilfe der­ar­tiger Maschinen Menschen getötet wer­den.

Hinter dem konkret verursachten Leid steht die Logik des Militärischen – die Logik des Sieges und des Besiegens. „In dieser Logik erklären die Mächtigen der Welt andere Menschen zu Feinden. Sie nehmen die Tötung anderer Men­schen für ihre Interessen billigend in Kauf. Mili­tä­rische Logik ist die Logik des Über­wältigens und des Todes.“ So steht es in der Schkeuditzer Erklärung (6), die zum diesjährigen Ostermarsch am Flughafen verlesen wurde. Gegenübergestellt ist die Logik des Friedens, sie „ist die Logik zivilgesellschaftlicher Lösungen. Die Logik des Friedens ist lebensbejahend und lässt neues Leben entstehen, sie geht Kon­flik­te mit aller Kraft und allem Mut an.“

Ein Schritt vom Militärischen weg wird mit so genannten Konversions-Projekten gegangen. Hierbei werden mi­li­tärisch ge­bun­dene Ressourcen zi­vil um­genutzt. Pers­pek­tive für die lo­kale Ent­wick­lung könn­­te es in die­sem Sinne sein, ein hu­ma­ni­täres Zentrum auf­­zu­bauen und dazu kon­kret das ehemalige Mi­li­tär­kran­kenhaus Wie­­deritzsch zur Be­hand­lung von zivilen Kriegs­opfern zu nutzen.

Dies ist sicherlich nur ein Ansatz, der aller­dings verdeutlichen kann: Da wo Men­schen den Blick unter das Schafs­­fell wagen und das System Militär mit seiner hierar­chischen Struktur, gedankenloser Befehls­aus­übung, De­individualisierung und destruktiver Logik ablehnen, muss nicht Hilflosigkeit Raum einnehmen. Die Kritik kann Nährboden sein, auf dem lebens­bejahende Alter­na­tiven sprießen.

(horst-wilfried)

 

Unter www.flughafen-natofrei.de/ gibt es Informationen und Fotos zu den Aktionen der AG „Flughafen natofrei!“.

 

(1) Bundeskongress Internationalismus im Internet unter www.buko.info/

(2) Die Black-Shamrock-Kampagne unter blackshamrock.org/

(3) www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56912

(4) SALIS steht für „Strategic Air Lift Interim Solution“

(5) NAMSA („NATO Maintenance and Supply Agency“) ist eine logistische Dienst­leistungsorganisation

(6) Erklärung der AG „Flughafen natofrei!“ und von Besuchern des BUKO30 www.flughafen-natofrei.de/Dokumente/SchkeuditzerErklaerung.pdf

Die neue Autonomie nach Humboldt

Über das Ende der Demokratie an Sachsens Hochschulen

Der Begriff der Autonomie war und ist seit der Aufklärung konstitutiv für die Univer­sität. Für Lehre und Forschung der Alma Mater, dieser altehr­würdigen „nährenden Mutter“, bedeu­tete Autonomie in ihrer Ziel- und Zweck­setzung immer Unabhän­gig­keit von staat­licher und gesellschaft­licher Vereinahmung. So genoss die Uni­versität durch die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hindurch in ganz Europa immer besondere Privilegien in Bezug auf Rechtsstatus und Verwaltung. Dies sollte jedoch nicht nur nach Außen sondern auch nach Innen greifen. Eine freie, also auf Unabhängigkeit gegründete, Lehre und Forschung besagte gleichzeitig sowohl die freie Wahl der Formen und Methoden als auch der Inhalte für die Akteure im Uni­ver­sitäts­betrieb. Die Frage was, wozu und wie gelernt und geforscht wurde, sollte einzig und allein von den daran Beteiligten beantwortet werden. Diese Autonomie ging einher mit einem bestimmten Begriff von Bildung.

Erkenntnisgewinnung beispielsweise rich­tete sich nicht nur primär auf tech­nische An­wendbarkeit oder wie auch immer ge­artete Verwertbarkeit, sie stand für sich, war autonom. Universitäre Bildung im Sinne der Auf­klärung hieß auch den Men­schen aufzufordern, sich aus Unmündig­keit durch selbstbestimmte Wissensan­eig­nung heraus­zu­führen. Was dieser sich an Wissen aneig­ne­te, also auf welche An­wend­bar­keit sein Er­kenntnis­drän­gen zielte, sollte so weit als möglich von ihm selbst au­sgehen und keineswegs gänz­lich vorge­geben sein. Damit verbunden war auch immer ein selbständiges, unabhängiges Gewichten und Prüfen der jeweiligen Wis­sensformen und ihrer Inhalte. Inwie­weit dies noch mög­lich ist in Zeiten von Modu­la­risierung, Anwesenheitslisten und stren­gen Ein­schrei­beverfahren bleibt fraglich.

Während im 19. und Anfang des 20. Jahr­hunderts die universitäre Selbstverwal­tung noch sehr aristokratisch funktio­nierte, d.h. wesentliche Entscheidungen der Univer­si­tätspolitik nur von Professoren (den so ge­­nann­ten Ordinarien) gefällt werden durf­­ten, kam es in der BRD im Zuge der 68er Revolte zu einer starken Kritik an diesem Modell.

Dabei wurde jedoch nicht die Selbstver­wal­tung an und für sich kritisiert, sondern ihre Verwirklichung durch wahrhaft demo­kratische Mitbestimmung gefordert. Eine wesentliche Forderung bestand darin, alle Mitgliedergruppen einer Universität an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Die Ordinarienuniversität reformierte sich, hin zur so genannten Gruppenuniversität. Der Muff der Talare lüftete sich. In dem neuen Modell bekamen alle Mitglie­der­gruppen der Universität mehr Mitbestim­mung zugesprochen. Diese Mitglieder bildeten die ordentlichen Hoch­schullehrer (Professoren, sowie Do­zen­ten), die As­sisten­zen und akademische Aus­hilfs­kräfte, die nicht-akademischen Mitar­bei­ter und letztlich die Studenten. Diese neue Form der Selbstverwaltung war nun eine paritä­tische, was jedoch nicht bedeutete, dass damit das Stimmverhältnis der ver­schie­denen Gruppen gleich­ge­stellt war. Nach diesem Mo­dell funktioniert die Universität bis heute.

Der Abgesang auf die Selbstverwaltung

Sachsens Koalition von SPD und CDU plant nun im Landtag ein neues Hoch­schul­gesetz. Dieses läuft Gefahr das bis­herige Modell wenn nicht abzuschaf­fen, so doch substanziell zu un­ter­wandern. Das Gesetz, das Anfang des Jah­res 2008 dem Landtag zur Abstim­mung vorgelegt wird, markiert das vorläu­fige Ende einer langen Auseinandersetzung in der Koalition um die Details der No­vellierung der aktuellen Gesetzeslage. In Einem war man sich allerdings von Anfang an einig: Eine größe­re Autonomie der Hochschulen muss her! So weit, so gut, könnte man meinen, das Gesetz stehe also in der guten, aufkläre­rischen Tradition der Universität. Bei ge­naue­rem Hinsehen muss mensch jedoch schwer schlucken, denn in Sachsen scheinen die Parteipolitiker Auto­nomie vor allen Dingen mit dem Ausbau der Lei­tungs­ebene und dem Abbau paritä­tischer Mit­be­stimmungsstrukturen der Selbst­ver­wal­tung gleichzusetzen.

Im Vorfeld der Abstimmungsprozedur im Landtag kam es deshalb wiedermal zu Pro­tes­ten seitens der Studentenschaft, deren Interessen von den Dresdner Parlamenta­riern seit Jahren erfolgreich ignoriert wer­den. Das erneute Aufflammen der Proteste mündete in eine Großdemonstration am 13.12.07, an der über 10000 Menschen teil­nahmen. Der Demonstrationszug streif­­­te den Rand der Dresdner Altstadt auf dem Weg zum Landtag. Dabei kam es zu kei­nen größeren Vorkommnissen, da die Stu­dentInnen den tief greifenden Verände­run­gen in ihren Bildungsinstitutionen in erster Linie mit Trillerpfeifen und Kundge­bungen begegneten. Diese richteten sich vor allem gegen eben diesen Abbau von Mit­bestim­mung an der Universität und für ein gebüh­renfreies Studium. Es sprachen ne­ben Stu­dentenverbänden wie der KSS (Konfe­renz sächsischer Studierender) auch die sächsische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, die sich noch einmal aus­drücklich hinter die Koali­tionspläne und das neue Gesetz stellte, und den Studieren­den Unkenntnis des eigent­lichen Vorhabens vorwarf. Ebenfalls ein altbekannter Gestus vor dem Dresdner Land­tag. Der Akt der Recht­fertigung schien der SPD-Politi­kerin dann auch über­­flüssig, da man sich in der Koa­lition ja sicher sein kann, das Gesetz im kom­­men­den „Winter of Resistance“ durch­zu­­bringen. Und welcher studen­tische Pro­test der letzten Jahre konnte schon die mini­sterialen Pläne durch­kreu­zen?

Die Debatte um das Hochschulgesetz, die schon seit 2005 geführt wird, ist in der Koa­lition ein für allemal geklärt. Während die CDU seit damals sowieso eine klare Linie in der Gestaltung zukünftiger Hoch­schulen vertritt, die durch Milbradts Wor­te: „De­mo­kra­tie gilt nicht für die Hoch­schu­len!“ auf den Punkt gebracht wird, sieht die SPD, in ihrem Selbstbild von der Hüterin der Stu­dentInnenrechte verfan­gen, gerade mit dem aktuellen Neuentwurf einen de­mo­kra­tischen Punkt verwirklicht: Autono­mie. Stan­ge betonte noch einmal, in der No­vel­lierung eine „Stärkung der Eigenver­ant­wortung der Hochschulen durch Verla­ge­rung der Entscheidungskom­pe­tenzen des Staates […] auf die Hoch­schule“ erreicht zu haben. Auch sonst be­stehe kein Grund zur Panik, denn beim ewigen Thema ‚Stu­dien­gebühren‘, wofür sich die CDU immer klar ausgesprochen habe, hätte das neue Ge­setz einen entschei­denden Schritt gemacht: „Das neue säch­sische Hochschulgesetz sichert die Stu­dien­­gebührenfreiheit“, so Stange.

Dieses ohnehin fragwürdige „Geschenk“ der Ministerin kann jedoch nicht da­rüber hinweg­täu­schen, dass die Verhältnisse im Universitätsalltag nach oben hin zuspitzt wer­den sollen und die Entscheidungs­mög­lichkeiten und Partizipation insbesondere der Studentenschaft weiter schwindet. Denn bei allem Entgegenkommen wurden die monierten Punkte in Bezug auf die stu­dentische Selbst­verwaltung nicht einmal zur Kennt­nis genom­men sondern einfach übergan­gen. Stattdessen wird an der sich selbst verwaltenden Universität weiter kräftig gesägt.

Nach oben buckeln…

Die wesentlichen Veränderungen durch das neuen Gesetz zielen auf die obere Ver­wal­tungsstruktur der Hochschulen in Sach­sen. Hier­bei wird der Versuch unter­nom­men, in den Hochschulen eine relativ über­sicht­liche und flexible Entscheidungs­ebene auf­zubauen. Eherne Pfeiler des Mo­dells der Grup­­penuniversität, die sich dem zumin­dest partiellen Mitbestim­mungs­recht all ih­rer Mitglieder verpflich­tet hatte, geraten dadurch aber erheblich ins Wan­ken. Denn die Anzahl der Stimm­be­rech­tigten aller Gruppen wird drastisch ge­senkt. Der we­sent­lichste Einschnitt ist hier die Abschaf­fung des Konzils, welches mit bis zu 400 Mitgliedern bisher alle Gruppen an der Uni­versität umfasste. Das Konzil entschied seiner Funktion entspre­chend über die uni­versitäre Grund­ordnung und die personelle Besetzung und Auftei­lung des Rektorats, und stellte somit eine Art “Uni-Parlament“ dar. Grundle­gen­de Kom­pe­tenzen dieses „demokratischen“ Gre­miums sollen jetzt auf ein kleineres über­gehen: den Senat, dem seinerseits wiede­rum Kompe­ten­zen entzogen werden zu­gunsten des Rektorats.

Der Senat stellte bisher das zentrale Ent­schei­dungsgremium an der Universität dar. Er setzte sich aus gewählten Vertretern des Konzils zusammen, die alle Gruppen der Universität repräsentierten, sowie aus dem Rektor und den Dekanen aller Fakultäten, was ihn vergleichbar mit dem Bundesrat macht. In seiner Funktion als zentrales Ent­­scheidungsgremium soll er dem neuen Gesetz nach nun drastisch beschnitten wer­den. So wird, trotz Wegfall des Konzils, seine Mitgliederzahl nicht aufgestockt, son­dern verringert. Von maximal 40 Mit­gliedern bisher auf maximal 17 Mitglieder. Unter diesen 17 Mitgliedern entfällt der Hauptteil auf die Hochschul­lehrerInnen, während sich die anderen Gruppen die verbleibenden Plätze teilen müssen. Die genaue Verteilung der Sitze unter allen anderen Mitgliedsgruppen be­stimmt die je­weilige Grund­ord­nung. Durch diese Re­duzierung kön­nen nicht mehr alle Fakul­tä­ten durch ihre Dekane vertreten sein. Aber auch grundle­gende Entscheide, wie jene über die universitäre Grund­ordnung selbst, die Wahl des Rekto­rats sowie diverse Vermittlungsfunktionen – ursprüng­lich Auf­­­gabe des Konzils – fal­len also einem ver­kleinerten Senat zu. Doch wird der Se­nat durch diese Ver­schie­bung vom aufgelö­sten Konzil her keines­wegs zu einer Art Su­per-Gremium, im Ge­gen­teil wird ihm in erster Linie nur eine beratende Funktionen zu­erkannt, und zwar in Bezug auf das Rek­torat, dessen Ent­scheidungsmacht dra­stisch ausgebaut werden soll.

Im Kern stellte das Rektorat bisher das oberste Exekutivorgan der Universität dar. Beschlüsse, die Konzil oder Senat bisher fassten, wurden vom Rektorat umgesetzt. Es verfügte deshalb auch über die Ge­schäfts­­­füh­rung sowie über die Mittel- und Stellenzuweisungen. Nun kommen jedoch weit­reichende Kompe­ten­zen hinzu. Das neue Gesetz sieht vor, dem Rektorat fortan auch die Ausgestaltung der universitären Grund­ordnung vorzubehalten, welches der verkleinerte Senat dann lediglich be­schlie­ßen oder ablehnen kann. Darüber hinaus wä­re das Rektorat nach dem neuen Gesetz in der Lage, in eigener Regie und ohne Kon­trolle und Einspruch, neue Ge­bühren­ord­nungen einzurichten oder gar ganze Stu­­dien­gänge einfach abzuschaffen. Eben­so soll der Rektor gegenüber den De­kanen der Fakultäten weisungs­be­rechtigt werden, so­wie die Möglichkeit besitzen, Entschei­dun­gen über die Einrich­tung oder Aufhe­bung von ganzen Fakultäten zu treffen. Und auch die rektorale Formu­lierung des Gesamt-Wirt­schaftsplanes muss dann nur noch von einem neuen Gremium, dem so ge­nannten Hoch­schul­rat, genehmigt wer­den. Dieser Hochschul­rat tritt an die Stelle des Konzils und stellt die eigentliche Neue­rung der Ge­setzes­vorlage dar. Er ersetzt auch das Kura­to­­rium, welches das ur­sprüng­liche externe Kontrollgremium dar­stellte und mit akti­ven und passiven Inter­ventions­mög­lich­keiten verknüpft war.

Im maßgeblichen Entwurf des Hochschul­ge­setzes vom Mai 2007 heißt es, dass der neue Rat „die Profilbildung und Erhöhung der Leistungs- und Wettbe­werbs­fähigkeit der Hochschule“ zu ge­währ­leisten habe. Der Hochschulrat soll da­hin­­gehend eng mit dem Rektorat zusammenarbeiten. Mit höch­­stens 11 Mitgliedern soll er zu drei Vier­­teln aus vom Land bestimmten Vertre­tern und zu einem Viertel aus vom Senat aus­gewählten Vertretern bestehen. Der Hoch­­­schulrat muss zudem zum überwie­gen­den Teil aus hochschulexternen Vertre­tern aus verschiedenen gesellschaftlichen Be­reichen gebildet werden. Diese Regelung bietet vor allem die Scharnierstelle zur Wirt­­schaft, die als Drittmittelvergeber ganz besonders im Fadenkreuz der Reform steht. Der neue Hochschulrat ist zwar kein Ent­schei­dungsgremium sondern ein Kon­troll­gremium, jedoch geht seine Kom­pe­tenz über reine passive Kontrolle hinaus. Aktiv soll der Hochschulrat sich in allen Be­­­rei­chen durch Beratung, Einbringung von Vorschlägen in Sachen Finanzen, Ver­wal­tungs­aufbau und durch das Vor­schlags­recht zur Rektoratswahl engagieren. Über wirt­schaftliche Fragen bezüglich des Haus­halts oder anderer Struktur- und Entwick­lungs­fragen trifft nach dem Gesetz der Hoch­schul­rat die letzte Entscheidung, da er die Vor­schläge des Rektorats absegnen muss, was zuvor Aufgabe des Senats war.

Das enge Zusammenarbeiten von Rektorat und Hochschulrat nimmt so­mit alle Rich­tungs­ent­scheidungen be­züglich der Ent­wick­lung von Lehre und For­schung an den sächsischen Universi­tä­ten aus den Händen der betroffenen Grup­pen, die ein margina­lisierter Senat kaum noch wirklich reprä­sen­tiert. Konzil und Kura­­torium werden ganz eingestampft. Alle Entscheidungs­kom­petenzen verteilen sich auf zwei kleine Gre­mien an der Spitze, in welchen den ge­bün­delten Leitungs­posi­tionen umfang­rei­che­re Befugnisse als je zuvor zuge­ordnet wer­den. Gruppen aus dem Mittel- und Un­ter­bau der Universität werden dabei weitest­gehend aus großen Entscheidungen heraus­ge­halten.

…nach unten treten

Aber nicht nur die Mitbestimmung unter­liegt starken Veränderungen, auch bedeu­tet der Ausbau der Entscheidungs­befug­nisse der Leitungsebenen eine Ver­schär­fung der Arbeitsbedingungen von fast allen Ange­stell­ten der Universität. So fallen mit dem neuen Hochschulrahmengesetz auch die ge­setzlichen Flächentarifbestimmun­gen vom Land Sachsen weg. Diese galten für Ange­stell­te in der Universität, weil sie damit den Sta­tus des öffentlichen Dienstes inne hat­ten, der nun wegfallen soll. Das gilt aller­dings nicht für Professoren, für die nach wie vor gesetzliche Soldbestimmun­gen be­stehen bleiben. Alle Anderen kön­nen tarif­liche Mindeststandards in Zu­kunft nicht mehr einfach erwarten. Die un­­ter dem Stich­wort „Personalautonomie“ ge­­führte Richtlinie bedeutet letztlich nichts anderes, als dass die Geschäftsebene der Universität mit Inkrafttreten des Ge­setzes bis auf weite­res an keine tarif­lichen Bestimmungen mehr gebunden ist.

Setzt man zudem freie Gelder nur noch zur Förderung von Elite- und Spitzen­for­schung ein, bedeutet dies bei einem kon­stanten Etat nichts anderes als andere Stel­len wegbrechen zu lassen oder unter­finan­zieren zu müssen. Neben dem erhöh­ten Druck auf Assistenzen und außeraka­de­mische Angestellte steht damit aber auch die Qualität der Lehre unter Beschuss, die nun mal nur mit genü­gend Personal ge­währ­­leistet werden kann.

Die Studierenden will die Landesre­gie­rung angesichts dieser katastrophalen Ent­­wick­­lung der Mitbestimmungsrechte und der substanziellen Verschlechterung der Lehre in Watte lullen, indem sie ver­spricht, dass die Studiengebühren für den ersten be­rufs­qualifizierenden Abschluss in Sach­sen ausfallen sollen. Diese Regelung schützt jedoch nicht davor, dass Gebühren auf ein Aufbau- und Weiterbildungs­stu­dium so­wie auf Zweitstudiengänge erho­ben wer­den. Darunter fällt dann in einem zwei­glie­dri­gen Abschlusssystem zwischen Bache­lor und Master auch ein Großteil der Masterstudiengänge. D.h. de facto, dass nur noch ein Schnupperkurs an der Uni­versität gebührenfrei bleibt. Ein um­fassendes, tiefer gehendes Studium von 4-5 Jahren und ein daran angeschlos­sener Ab­schluss, der auch zum Arbeits­markt wirk­lich be­fähigt, kann so nicht ohne Ge­büh­ren ge­währleistet werden. Das Ende vom Lied lautet: Das neue Hoch­schul­rah­mengesetz hat nichts zu bieten außer jenes faule „Geschenk“ der Bil­dungs­mi­nisterin, welches nichts als eine Mogel­packung ist. Wahre Bildung wird unter diesen Bedin­gun­gen zu einem Privileg be­stimmter Leistungs- und Ein­kommens­elite gegen­über einer Armee von mehr oder weniger gut ausgebil­deten Fach­kräften.

Autonomie ohne Autono­mie

Von größerer Autonomie kann folglich nur in zweierlei Hinsicht gesprochen wer­den: Unabhängigkeit kleinerer Entschei­dungs­­eliten gegenüber demokratischer Kon­­­trol­le und Mitbestimmung sowie Auto­­­nomie gegenüber dem staatlichen Ein­griff im Rahmen finanzieller Erwägun­gen. Der Freistaat gibt tatsächlich Ent­schei­dungs­kompetenzen ab, jedoch nicht an die Universität und ihre Mitglieder, sondern an deren Funktionseliten. Das ist in­sofern kein Fortschritt, sondern tendiert eher zu einem Ordinarienmodell zurück, nur mit dem gro­ßen Unterschied, dass die säch­sischen Universitäten der Zukunft stärker fremden und externen Interessen unter­wor­fen sind, als sie das jemals waren.

Dieses Vorgehen verfolgt gerade nicht das Ziel Selbstverwaltung zu stärken, sondern vor­anschreitender Ökonomisierung struk­tur­­gerecht zuzuarbeiten. Autonomie in der Ge­staltung von Lehre und Forschung reiht sich so ein in immer denselben Reigen von Flexibilisierung und Effizienz.

Entbürokratisierung, als zweiter großer Pfei­­ler der Reform, heißt immer nur Macht­­­kon­zentrierung. Die ganze, als ver­schlankt ange­kün­digte, Selbstverwal­tung, bezieht sich im Kern nicht auf die aus­ge­wogene Partizipa­tion aller Mitglieder, son­dern auf eine Markt­mobilisierung von Leh­re und For­schung. Die vom Gesetzes­ent­wurf angestreb­te Struktur kleinerer Einhei­ten mit größerer Entscheidungs­ge­walt äh­nelt dabei eher einem straffen Ma­na­ge­ment­system als einer Institution der öffent­lichen Bildungs­inte­res­sen. Die ge­strafften Ent­scheidungsebenen sind zwar in der La­ge, schnell und ohne gro­ße Wider­stände seitens der betroffenen Mit­glieder grundle­gende Entscheidungen zu treffen und in einem System um Gelder kon­kurrie­render Lehre und Forschung effizienter zu arbei­ten. Diese sind dann aber nicht mehr als au­tonom zu begreifen, denn ihre For­men und Inhalte müssen sich fortan nach den Maßstäben und Verwertungskriterien des ökonomischen und d.h. neoliberalen Leit­bil­des richten: schnell (re)produzierbar, ver­wertbar und konkurrenzfähig zu sein. Wo eine scheinbare Unabhängigkeit vom Staat ein­tritt, übernimmt das Uni-Ranking die Rich­tungsentscheidung.

Für die Einsicht, dass die Rede von der neuen Auto­nomie der Universität ein Etikettenschwindel ist, bedarf es also keines Studiums. Echte Autonomie dagegen, also gelebte Demokratie und Mitbestimmung, fördert Einsichten, die eine Universität ohne Mitbestimmung nicht bieten kann. In diesem Sinne heißt es bald nicht nur in Sachsen: Gute Nacht der freiheitlichen Bildung.

(karotte)

Derby am Kreuz endet unentschieden

Protokoll eines Unbeteiligten

Guten Abend, meine Damen und Herren. Auch dieses Silvester sind wir beim allseits beliebten Jahresendmatch am Connewitzer Kreuz live dabei. Und wie im­mer beobach­ten auch zahlreiche Fans ge­bannt das Spiel. Denn wie soll man es später vor den En­keln rechtfertigen, nicht dabei ge­we­sen zu sein? Ja, was soll ich sagen? Ton­nen von Te­sto­steron prallen hier wieder auf­einan­der!

Und da sehen wir schon Team Grün, mit mehreren Hundertschaften das Feld betre­ten, bestens aufgestellt und tief gestaffelt in den bewährten Abwehrketten. Wie immer stechen die hochgerüsteten Trikots hervor. Und da ist auch Team Schwarz! Taktisch eher weniger positionstreu setzt der Gastge­ber in gestreuter Stellung auf die Spontanität und Kreativität seiner Klein­gruppen. Denn auch Team Schwarz hat mehrere hundert Mann mobilisieren kön­nen und kann mit einigen hoffnungsvollen Nachwuchs­talen­ten aufwarten.

Da, der Anpfiff! Mit einem fulminanten Feuerwerk um Mitternacht beginnt das Topspiel des Jahres! Leichtes Geplänkel, noch halten sich die Mannschaften zurück. Doch was ist das?! Atze, Stürmer bei Team Schwarz, ein Zauberer vor dem Herrn, prescht vor, um die gegnerische Mann­schaft mit Knallkörpern zu bewerfen! Jetzt kommt Dynamik ins Spiel! Wie wird Team Grün darauf re­agieren? Da! Atze wird von drei Abwehr­spie­lern eingekreist und mit einer Blutgrät­sche zu Fall gebracht! Das riecht doch be­denk­lich nach Foul.

Moment… Team Schwarz wagt einen neuen Vorstoß. In Windeseile stapeln die Spieler Gegenstände auf der Straße und zünden sie an. Sensationell! Team Grün re­agiert sofort. Einer der mitgebrachten Was­ser­werfer wird in Stellung gebracht. Man fordert die gegnerische Mannschaft auf, den Strafraum zu verlassen! Ganz gro­ßer Sport! Aber so einfach will Team Schwarz sei­nen Heimvorteil nicht aufge­ben, es ant­wor­tet mit höhnischen Rufen und Wurfge­schossen. Was ist das? Team Grün stürmt vor, rennt in die gegnerische Verteidigungs­kette hinein, und… Abseits! Wo ist der Schiri?! Doch die Heimmannschaft lässt sich dieses Jahr nicht so einfach vom Platz fegen. In der Halbzeit sammelt sich Team Schwarz erneut. Da! Einer der Spieler stürmt vor! Ich glaube, es ist Ratte, der Dribbelkönig mit dem härtesten Schuss in ganz Conne­witz! Mit einem Gewaltschuss verbeult er ein einzeln herumstehendes Fahrzeug von Team Grün. Traumhaft!

Doch schon setzt sich der Sturm von Team Grün erneut in Bewegung! Kick and Rush! Aber… Der Sturm läuft sich schnell fest, Kopf­ballgefecht im Mittelfeld! Team Grün spielt jetzt hart am Mann und deeska­liert gnadenlos. Was muss ich da sehen? Die Spielfeld­gren­ze ist offen­bar un­klar. Spieler von Team Grün greifen am Rande des Spielfelds stehende Fans an! Ein grobes Foul! Wo ist der Schiedsrichter, ver­dammt?!

Aber auch einige Stür­mer von Team Schwarz haben im Eifer des Ge­fechts den Kopf verloren. Sie versuchen, einen Ge­mü­semarkt am Rande des Spiel­felds in Brand zu setzen! Da ist wohl Doping im Spiel. In einer Seitenstraße werden unter­dessen Barrikaden gebaut und angezündet. Glanzparade! Das sichert Team Schwarz auf jeden Fall gute Haltungsnoten! Jetzt heißt es Ruhe ins Spiel bringen!

Doch unmöglich, denn da kommt schon Team Grün, und… Ja, ja, ja, sie haben Was­ser­werfer und Räumpanzer dabei! Jetzt wird gestürmt, gezieltes Pressing nach vor­ne auf die Barrikade! Jetzt heißt es Lauf­wege dicht­machen und immer schön mitver­schie­­ben! Die Abwehr von Team Schwarz wackelt und… Eiskalt verwandelt! Fast schaut es so aus, als hätte Team Grün das Spielfeld jetzt endgültig im Griff. Das ist die letzte Chance für Team Schwarz. Da! Pogo stürmt vor, Flan­ke quer übers Feld, direkt auf den Fuß, er geht, vorbei an der aufgerückten Abwehr, herrlicher Hacken­trick, noch eine Drehung, Schuss und Tooor! Die Bierdose landet mitten zwi­schen den Einsatzwagen. Und das zeit­gleich mit dem Abpfiff! Aber der Treffer dürfte noch gezählt haben.

Was sagt die Endauswertung? Insgesamt konnten die Stürmer von Team Schwarz mit 46 getroffenen Spielern von Team Grün sichtlich punkten. Team Grün erziel­te dagegen im Laufe des Abends immerhin 34 Festnahmen und eine hohe Dunkel­ziffer an Verletzten. Keine klare Angele­gen­heit. Beide Seiten haben engagiert mitgespielt. Das Spiel endet deshalb mit einem verdienten Unent­schieden. Auch die Fans sind zufrieden. Bleibt zu hoffen, dass es nächstes Jahr zur Silvesterzeit für alle wieder heißt: Sport frei, Derbytime!

(karotte & justus)

Pro & Contra: Brauchen wir hierzulande Volksentscheide?

Am 27.01.2008  dürfen in Leipzig alle allgemein Wahlberechtigten über eine Bürgerinitiative abstimmen und damit möglicherweise den erneuten Verkaufsversuch der Leipziger Stadtwerke durch die Stadtverwaltung Leipzig verhindern. Doch selbst wenn am Wahltag genug Stimmen gesammelt werden können, um die vom Stadtrat geplante Privatisierung der Stadtwerke zu stoppen, was wurde damit wirklich erreicht? Sind Bürgerbegehren und erzwungene Volksentscheide ein Schritt vorwärts und hinaus über die parlamentarisch verfasste Parteienherrschaft? Bedeuten solche „plebiszitären Elemente“ einen Fortschritt an politischer Kultur und ein Mehr an politischer Mitbestimmung? Zwei kontroverse Meinungen seien kurz skizziert.

PRO:

Bürgerentscheide sind ein Schritt in die richtige Richtung, da sie sich weg von der Repräsentantenwahl und hin zur Basisde­mo­kra­tie be­wegen.

Hierzulande entscheiden Wenige über die In­teressen der Mehrheit und sind durch un­ser scheinbar demokratisches System noch dazu legi­timiert. Parteien verteilen vor der Wahl Hochglanzbroschüren an die Haus­halte; die glänzenden Positionen sollen Wählerstimmen brin­gen und ver­schwinden danach, bis zur näch­sten Wahl im Ak­ten­schrank. Die Stimme gilt fortan dem Parteirepräsentanten, der da­mit frei vom Wählergedanken agieren und anderen Interessen frö­nen kann. In­haltliche Entscheidungen werden weniger auf­grund ei­ner Auseinander­setzung mit der Sachlage im Interesse der Wähler/in­nen getroffen, sondern vielmehr von an­deren Faktoren abhängig ge­macht: Partei­druck, Lobbyismus, finanzielle Verstric­kun­gen oder inter­ne Verspre­chungen, wie dem „Opernballkom­pro­miss“ (siehe S.1/3f) sind hierbei Gang und Gäbe. Wer Macht hat, hat eben auch Ein­fluss. Enttäuschte Wäh­ler/innen können dies zwar monie­ren, än­dern können sie es hingegen nicht. So ver­wun­dert es kaum, dass viele nicht wäh­len, die Positionen als heiße Luft enttar­nen, über Politiker und ihre Entscheidun­gen am Stammtisch schimpfen oder sich generell von politischen Themen abwen­den.

Bei Bürgerentscheiden sieht das jedoch an­ders aus: Hier werden alle Betroffenen be­fragt und eine breite Basis kann ihre inhalt­li­che Po­si­tion (sofern sie sich in Frage und Ant­wort wiederfindet), geltend ma­chen. Nicht die Partei oder der Politi­ker, sondern ein konkretes in­halt­liches Problem ist Ge­gen­stand der Entschei­dung, an deren Er­­geb­­nis die Politik auch gebunden ist. Hier wird nicht mehr über heiße Luft verhan­delt, die dann zu­gun­sten anderer In­te­ressen ge­trost ver­gessen werden kann – nein, die Ein­zel­nen treffen ihre Ent­­­­­­­scheidung im In­­te­r­esse des eige­nen Wohles. Dies mag an man­­­cher Stel­le zu kurz ge­dacht sein, wird aber im Ganzen zu einer wünschenswerte­ren Politik, da die Menschen unabhängig ihres Status´ oder Geldbeutels selbst Ent­­schei­dungen über ihr Zusammenleben tref­fen können. Für ein ver­nunftgeleitetes Er­geb­nis ist es allerdings auch notwendig, dass mit dem Entscheid Aufklärungs- und In­­for­mations­po­li­tik einhergeht. Doch auch da hebt sich ein Bürgerentscheid po­si­tiv von der Stell­ver­treterwahl ab: Denn die konkrete Sachfrage animiert mehr Men­schen sich mit politischen Fragen in­halt­­­lich auseinan­der­zu­set­zen, In­formatio­nen zum Thema einzuholen und mit Freun­den, Bekann­ten oder der Familie da­rü­ber zu diskutieren. Die­se verstärkt prak­ti­zier­te aktive Mei­nungs­­bil­dung fördert das Po­li­tikbewusst­sein weitaus mehr, als die De­batten der Politikrepräsen­tan­ten, die aus gutem Grun­de von den sog. „Politik­ver­dros­se­nen“ angezweifelt und abge­lehnt wer­den. Zudem wird politisches Engage­ment gefördert – im Fal­le der Stadtwerke ist es dem Engagement und der Zusam­men­ar­­beit verschiedener lokaler Gruppen zu verdanken, dass die Leipziger über­haupt die Möglichkeit bekommen, über das Pri­va­tisierungs­vor­haben abstim­men zu kön­nen.

Parti­zipation bedeutet na­tür­lich mehr als ein Kreuz zu machen. Ein Bürgerentscheid widerspricht auch nicht dem deut­schen Parlamentarismus mit sei­ner scheinbaren Demokratie und er trägt aus anarchistischer Perspektive auch sicher nicht zur Über­win­dung der ge­sell­schaftlichen Verhältnisse bei. Trotz­dem ist diese Mög­lichkeit ein Fortschritt und ein Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr basisorientierter Teilhabe an politi­schen Entscheidun­gen. Er bringt die Men­schen wieder mehr dazu sich mit Inhalten statt Partei-Theater auseinander zu setzen und in diesem Fall auf lo­ka­ler Eb­ene als un­ter­einander Glei­che bin­dend mitzustim­men. Ein Schritt in eine zu fördern­de Rich­tung ist es auch des­halb, weil ei­ne wün­schens­wer­te Gesellschaft auch jeden in Ent­­­scheidungen ein­be­ziehen wür­de und Po­li­tik nicht in die Hän­de anderer verlegt wä­re, über die man sich dann am Stamm­­tisch beschwert.

(momo)

CONTRA:

Nimmt mensch die Frage nach dem Für und Wi­der plebiszitärer Ele­mente innerhalb der par­lamentarischen Demokratie nur ab­­strakt, scheint die Antwort völlig klar: Dem na­tio­na­len Volk als Sou­verän steht jedes Moment di­rekter Wahlentscheidungen gut an, da so der ohnehin aufklaffende Spalt zwi­schen Sou­verän und re­­präsen­ta­ti­ver Ver­treterschaft durch die parteigebundenen Wahl­män­ner und -frauen zumindest ein stück­weit abge­mil­dert wird. Es macht den Ein­­druck, als hät­te der Bürger per Volksent­scheid ein zu­­­sätz­liches Kon­trollmoment ge­gen­über den ge­wähl­ten Parla­men­ta­riern in der Hand. Was soll also so falsch daran sein? Ganz einfach: Die­­se Kon­trol­­le ist eine Illu­sion, die jene nur weiter fortschreibt, dass der Bür­ger mit sei­nen alljährlichen Wahl­entscheidungen Rich­tung und Inhalt der Politik mitbestim­men könnte. Das dem nicht so ist, kann mensch schon an dem Ge­ze­ter abmessen, wel­ches immer dann über die Republik her­ein­bricht, wenn aus Wahl­versprechen und -pa­rolen regelmäßig kon­krete Regierungspo­li­tik gemacht wird. Mo­der­­ne Staatsführung hat eben wenig gemein mit der griechischen Stadt­­staatverwaltung in der Antike. Unter den Voraussetzungen der Par­teienherrschaft kön­nen Volksent­schei­de gar nicht viel mehr be­wir­ken, als die Bürger zu berauschen am Funk­tionieren des Systems und damit die Ver­häl­tnisse fort­schreiben. Sie sind Opium fürs Volk, Poli­tik im Zeitalter einer Gesell­schaft des Events. Mit echter Partizi­pa­tion hat das alles sehr we­nig zu tun. Bestes Bei­spiel hierfür gibt das aktuelle Bürgerent­scheids-Verfahren in Leip­­zig (siehe S.1/3f). Denn die feder­füh­ren­de Bürgerinitiative wirbt ja nicht FÜR eine kon­krete Alterna­tive sondern lediglich GEGEN die Pläne der Stadt. Da kann die Links­partei noch so­viel ideologische Ima­ge­pflege betrei­ben: Das JA! am 27.01. ist fak­tisch nur ein NEIN! Die politische Aus­ge­stal­tung einer Alterna­ti­ve ist wiederum nur an die regierende Frak­­tion delegiert. Und dementsprechend kurz­atmig ist auch die poli­tische Kultur, die durch das ganze Ver­fahren ins Leben geru­fen wird. Inhalt­lich wirklich aufgeklärt sind, wenn über­haupt, dann nur die wenigen Pro­ta­gonisten der Initiative, das Engagement der meis­ten JA!- und Amensager dagegen ist auf ein­ge­übtes Unter­schriften-Ab­geben und das ob­li­gatorische Kreuzchen am Wahl­tag be­schränkt. Letzt­lich funktioniert die Mo­bi­li­­sation der notwendigen Massen wie üb­­lich über das Bedienen der ohnehin vor­han­­­denen Ressenti­ments. Privatisierung ist ja auch Scheiße! Alles klar?

Letzt­­lich täuschen Volksentscheide nur da­rü­­­ber hinweg, dass im der­zeitigen poli­tischen System eine Teilhabe der Betroffe­nen weder reali­siert noch gewünscht ist. Und diese Teilhabe bekäme auch nur dann eman­zi­pa­to­­rischen Gehalt, wäre sie die Folge einer po­li­tischen Kul­tur, die tatsächlich die Bedürfnisse der In­­vol­vierten zum Gegen­stand hät­­­te. Dem ist aber mitnichten so. Einzig be­­frie­digt werden da­bei doch die Geltungs­be­dürf­nis­se einer außer/parlamentarischen Bür­ger­frak­tion, die den nationalen Kon­sens der Par­teien ja gerade teilt, sonst wür­­de sie nicht zur system-bejahenden An­alpha­­beten­wahl auf­rufen, son­dern bspw. den Widerstand in den Betrieben konkret organi­sie­ren. Fak­tisch wird es aber nieman­dem besser oder schlech­ter ge­hen, egal wie sol­che Entscheide aus­gehen. Entweder-Oder-Wahlen sind eben kein Gestaltungs­mit­tel. Lediglich die Rechts­­ab­teilungen der Par­teien bekommen so mehr Ar­beit. An den grund­sätzlichen Plä­nen und In­te­ressen än­dert sich dabei nichts, sie müs­sen einzig „um­­pro­grammiert“ werden. Der Bür­ger geht der­weil stolz ge­schwell­ter Brust nach Haus und versöhnt sich durch den Schein rich­ti­gen Handelns mit den falschen Ver­hält­nis­sen.

Al­ler­dings ist Ignoranz dem gegenüber auch keine politische Hal­tung. Und eine sol­che sollte mensch schon aufbieten, unabhängig da­von wie sich Herr­­­schaft akut formiert. Dazu gehört zu­min­­dest die kritische Aus­einander­set­zung mit dem, was sich politisch gerade be­wegt. Wenn nö­tig heißt das auch: Gegenbewe­gung. Be­trachtet mensch den kon­ser­vativen und teil­weise reaktionären Kern der mei­sten Volks­ent­scheid-Initiativen, so bräuch­te es derzeit und hierzu­lan­de gerade ver­­nünftige Kam­pagnen GEGEN die Illu­sion der Mit­be­­stimmung, die jene suggerie­ren. Dem auf­ge­klärten, politischen Be­wusstsein bleibt des­halb nach wie vor nur eine Wahl: Den eige­nen Stimm­zettel un­gültig zu machen und ei­ne an­dere po­li­tische Kul­tur ech­ter Parti­zi­pa­tion vor­an­zu­trei­ben. Und das heißt schluss­­­end­lich: Den Hemm­­­schuh ‚Volks­­­ent­scheid’ schnell­stens ab­zu­streifen.

(clov)

Verquere Fronten

Zur Kritik der nationalrevolutionären Ideologie

Dass Neonazis sich immer öfter einer „linken“ Symbolik bedienen, ist längst nichts Neues. „Autonome Nationa­listen“ bilden auf Demonstrationen „Schwarze Blöcke“, Palitücher und Che-Guevara-T-Shirts gehören fast schon zum guten Ton. Und auch bei Freien Kamerad­schaften und NPD wird eifrig „Kapita­lismuskri­tik“ betrieben und der „nationale Sozialis­mus“ gefordert.

Das müsste kein Grund zur Beun­ruhigung sein – trotz aller scheinbaren Neuerungen hat sich das Weltbild der Neonazis nicht geändert. Dennoch haben Linke oft Probleme, auf diese äußer­liche Annähe­rung angemessen zu rea­gieren, auch weil sich die eigenen Forderungen von denen der Neonazis mitunter nur schwer unter­schei­­den lassen – schließlich ist auch nicht alles, was irgendwie „links“ ist, gleich beson­ders menschenfreundlich oder emanzipa­torisch.

Um zu einer Klärung der Fronten beizutra­gen, sollen hier deswegen die zentralen Punkte der faschistischen – oder besser: „nationalrevolutionären“ – Ideo­logie und deren Herkunft näher beleuch­tet werden. Der Begriff „national­revolutionär“ scheint mir hier ange­messener, da er weiter gefasst und gleichzeitig präziser ist als das im politisch-diskursiven Handgemenge recht inflationär gebrauchte Wörtchen „fa­schistisch“. So hat die­ser Begriff den Vorteil, dass er auch gewöhn­lich als „links“ defi­nierte Denkweisen und Bewegungen ein­schließt und zugleich Inhalt und Form des Faschismus näher bestimmt. Denn dieser war immer eine auf den National­staat hin ausge­richtete Bewegung, dabei aber nicht nur konser­vativ auf eine Rückkehr zu einem früheren Zustand aus. Der Faschismus war inso­fern „revolutio­när“, als er auf eine weitgehende (auch gewaltsame) Neu­ordnung der Gesellschaft abzielte.

„Multikultur von rechts“

Die liebste fixe Idee aller National­revo­lutionäre ist das „Volk“, das nicht als vom Menschen geschaffene, staatlich umhegte, son­dern quasi naturwüchsige Einheit gedacht wird. Der letzte Aufguss dieser Idee ist der sog. „Ethnopluralismus“.

Der Begriff entstammt dem Umfeld der En­de der 60er Jahre entstandenen „Neuen Rech­ten“ (1), die damit den Rassismus der „al­ten“ Rechten ansprechender ver­packen woll­te. Der Kern des Konzepts ist die Be­hauptung eines „Rechts auf Diffe­renz“ zwi­schen den als natürliche Einhei­ten gedach­ten „Volksgemeinschaften“ (Eth­nien). Wer­de dieses Recht durch Ver­mischung der einzelnen „Ethnien“ verletzt, drohe also die Einwanderung von Angehö­rigen einer fremden „Ethnie“ die Kultur der Alt­eingesessenen zu zerstören, führe das auto­matisch zu Rassismus. Wenn Rassisten also Mi­gran­tInnen zusammen­schlagen oder tö­ten, ist das in dieser Sichtweise nur eine na­türliche Abwehr­reaktion des „Volks­kör­pers“ gegen Über­frem­dung – also müsse man sich für eine säuber­liche Trennung der Volks­gruppen ein­setzen.

Die biologistische Argumentation des herkömmlichen Rassismus´ wird durch die stärkere Betonung des Kulturellen bei der Unterscheidung „naturwüchsiger“ Volks­gruppen freilich nur übertüncht. Der Hauptunterschied ist, dass nicht mehr die Überlegenheit einer bestimmten (natürlich der eigenen) „Ethnie“ oder „Rasse“ behauptet wird, sondern diese als prin­zipiell gleichwertig, wenn auch grund­verschieden, gelten. Der intellek­tuelle Kopf der „neuen Rechten“, Alain de Benoist, formuliert es so: „Der wahre Reichtum der Welt liegt vor allem in der Vielfalt ihrer Kulturen und ihrer Völker.“ (2) Die Völker seien „nämlich keine bloße Addition individueller Atome, sondern Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit (…)“. (3) Es ließe sich fragen, ob es ohne diesen Zwang zur Unter- und Einordnung in homogene „Volksgemeinschaften“ nicht noch weit mehr Vielfalt gäbe.

Ohnehin sind diese „naturwüchsigen“ Gemeinschaften reine Fiktion. Denn nicht die Völker schaffen sich ihren Natio­nalstaat, sondern die Nationalstaaten (bzw. die gesellschaftlichen Eliten) produzieren „ihre“ Völker. „Volkszu­gehörigkeit“ ist nur die Folge willkürlicher staatlicher Einsor­tierung von Menschen. (4) Zuerst ist der Staat da, der ein bestimmtes Gebiet kontrolliert, die gemeinsame „Kultur“ der in diesem Gebiet lebenden Menschen ist nur eine Folge davon. Die Entstehung einer gemeinsamen Landes­sprache z.B. wäre ohne die staatlichen Institutionen von Armee und Schulwesen oft kaum denkbar gewesen. So wurde die italienische Sprache zum Zeitpunkt der Entstehung des italienischen National­staats (1860) nur von einer verschwin­dend kleinen Minder­heit im Alltag benutzt – ganze 2,5% der Bevölkerung. (5)

Während die Sprache zumindest noch praktische Bedeutung hat, sind „rassische“ Merkmale, die als vermeintlich „objektiv“, weil „natürlich“ gelten, komplett willkür­lich gewählt. Denn warum soll gerade eine andere Hautfarbe oder die Form der Nase der wesentliche Unterschied sein? Wenn es um biologische Merkmale geht, könnte man Menschen mindestens genau­so gut nach ihrer Blutgruppe oder ihrer Schuh­größe sortieren.

Die organische Nation

Die „ethnopluralistische“ Idee ist keines­wegs neu, sondern nur eine Neuauflage des völkischen Nationalismus´. Dieser ent­stand nicht ohne Grund zur gleichen Zeit wie der moderne bürgerliche Natio­nal­staat, Anfang des 19. Jahrhunderts. Die bürgerliche Klasse hatte sich damals dank ihrer ökonomischen Macht zu einem wichtigen Faktor im gesell­schaft­lichen Gefüge entwickelt. Dem ge­gen­über verlor der Adel, dessen Machtbasis Agrarwirt­schaft und Leibeigenschaft waren, an Bedeutung. Die politischen Verhältnisse entsprachen der neuen Realität aber nicht. Die Leibeigenschaft, die die Bauern an die adeligen Groß­grund­besitzer band, wider­sprach z.B. dem Bedürfnis des Bürgertums nach Arbeits­kräften, die absolutistische Monarchie dem Bedürfnis nach Mitbe­stimmung. Theoretisch schlug sich dieser Konflikt in der Philosophie der Aufklärung nieder. Die Legitimation der Feudalherr­schaft – die Idee des Gottesgnadentums – wurde angezweifelt, der Religion Rationa­lismus und Naturwissenschaft entgegen­gestellt. Die Monarchie sollte durch ein „vernünf­tiges“ Staatsmodell ersetzt wer­den, die königliche Willkür durch eine Verfassung und eine parlamentarische „Volksver­tretung“ beschränkt oder gleich ganz dadurch ersetzt werden. Der Staat wurde als großes, nach rationalen Maßstä­ben konstruiertes Uhrwerk gedacht.

Diese Ideen wurden vom deutschen Bürgertum nur zum Teil übernommen. Das Erklärungsmodell, dass man zur Begründung des Strebens nach einem eigenen Nationalstaat wählte, unterschied sich deutlich von dem der englischen und französischen Aufklärung. Statt als von Menschenhand konstruierte Maschine wurde der Staat als natürlicher Organis­mus betrachtet, als institutioneller Körper der ewigen „Volksseele“. Zwei Gründe gab es dafür: Einerseits war der Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft zwi­schen 1806 und 1813 der Startpunkt der Entstehung der deutschen National­bewegung. Ein Rückgriff auf die Ideen der französischen Aufklärung war darum nur schwer möglich. Zudem war das Gebiet des künftigen deutschen Nationalstaats in viele Fürstentümer zersplittert – im Gegensatz z.B. zu Frankreich musste ein einheitliches Staatsgebiet erst hergestellt werden. Um diese erstrebte Einheit zu begründen, berief man sich auf ein ewiges, unwandelbares Wesen der Deutschen.

Während die Burschenschaften, die aus den im Kampf gegen die Franzosen gebildeten Freikorps entstanden waren, eher die aktivistische Seite des Strebens nach nationaler Einheit repräsentierten, wandten sich die Romantiker auf der Suche nach dem „deutschen Wesen“ der Vergangenheit zu – die Märchensamm­lungen der Brüder Grimm gehören z.B. in diesen Kontext. Die „deutsche Volks­seele“ wurde so freilich nicht gefunden, sondern eher erfunden.

Die völkische Idee wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts von vielen Nationalisten übernommen und ist bis heute nicht ausgestorben. In Deutschland prägt sie z.B. immer noch die Einwan­de­rungs­politik – während sich z.B. in Frank­reich die Staatsbürgerschaft am Geburts­recht orientiert (wer in Frankreich geboren ist, gilt als Franzose), gilt in Deutschland noch immer das Abstam­mungs­recht: „Deutsch ist nur, wer deutsche Eltern hat.“ Darauf können sich Nazis und CDU-Politiker wie Wolfgang Schäuble problemlos einigen – die Zugehörigkeit zum deutschen Staats­­­­volk leitet sich aus einer my­ste­riösen Qua­lität des „deut­schen Blu­­tes“ ab.

Aus der weiten Verbreitung völ­kischer Ideen er­klärt sich auch, warum auch man­che Linke Pro­bleme haben, der ethno­pluralistischen „Multikultur von rechts“ inhaltlich etwas entgegenzusetzen oder sogar Positionen vertreten, die dieser auf´s Haar gleichen. Die bloße Forderung nach Toleranz „Fremden“ gegenüber greift zu kurz, wenn diese dabei in ihrem „Fremd­sein“ festgeschrieben werden, also z.B. MigrantInnen unveränderlich nur als Repäsentanten ihres jeweiligen „Kultur­kreises“ gesehen werden. Ein wirksamer Antirassismus kann nicht ohne die Kritik am Nationalstaat auskommen. Die nationalstaatliche Logik ist immer struk­tur­ell rassistisch (unabhängig davon, wie sie begründet wird), da sie stets zwischen „uns“ und dem Rest der Welt trennt.

Der nationale Sozialismus

Der Fiktion der „Volks­­­­­­­ge­­­mein­schaft“ stand in der bürgerlichen Gesell­schaft frei­lich stets die Re­a­­lität des Klas­­­­sen­­­­kampfs ent­ge­gen. Dies sa­hen auch viele Nationa­lis­ten, die sich der Not­wendigkeit be­­wusst waren, auch die Ar­beiter­klasse in ihre Pläne ein­zu­­bezie­hen. Ande­rer­seits war auch ein Groß­teil der sozia­lis­­ti­schen und kom­­­mu­­nis­ti­schen Theo­retiker und Funk­­tionäre fest in na­tio­nalis­tischen Denk­weisen verfan­gen. Aus der Verbin­dung beider Seiten entstand das Kon­zept des „natio­nalen So­zialis­mus“. Der I. Weltkrieg mar­kierte dabei den ent­schei­­denden Punkt. Die wich­tigste Neuerung des Krie­ges war, dass sich nicht mehr nur Armeen gegen­über­standen, sondern das Ausmaß des Konfliktes eine weitgehende Mobilisierung der Gesamt­bevölkerung nötig machte. Die Notwen­digkeiten der Kriegsführung zwan­gen die beteiligten Regierungen auch zu einer verstärkten Kontrolle der Wirtschaft, um die ökono­mischen Ressourcen best­möglich nutzen zu können. Das war vor allem eine pragmatische Antwort auf die Sach­zwänge des modernen Krieges mit seinen riesigen Materialschlachten und den damit verbun­de­nen logistischen Anfor­derungen. Doch sahen das nicht alle so – die deutschen Sozialdemokraten z.B. be­trachteten diesen „Kriegssozialismus“ als Vor­zeichen einer künftigen Überwin­dung des „anarchi­schen“ Konkurrenz­kapitalis­mus. Hatten sie noch 1914 nur widerwillig den Kriegskrediten zuge­stimmt, so fanden sie sich bald nicht nur mit dem Krieg ab. Manche von ihnen überhöhten den Konflikt gar zum „Welt­re­vo­lutionskrieg“, bei dem Deutschland die Seite des Fort­schritts, die Entente (6) mit Großbri­tan­nien an der Spitze die „Weltreaktion“ verkörperte.

Der preußische Obrigkeitsstaat erschien in den Augen dieser Sozialdemokraten nicht mehr nur als Relikt der Vergan­gen­heit, sondern als Vorform einer höheren Stufe der Organisation der Produktivkräfte, d.h. des Fortschritts der Geschichte auf ihr vorbestimmtes Ziel zu. Diese Ein­schät­zung wurzelte in einem seit den Tagen des Gründervater Ferdinand Lassalles (7) in der SPD vorherrschenden Staatsfetischismus „Sozialismus“ wurde gleichgesetzt mit staatlicher Organi­sation der Wirtschaft und der Gesamt­gesellschaft. Der Krieg ebnete diesem Fortschritt den Weg. Er erzwang nicht nur eine verstärkte staatliche Kontrolle der Wirtschaft (freilich unter Bewahrung des Privateigentums an den Produktions­mitteln), er machte auch eine zeitweilige Befriedung der Klassenkonflikte und die stärkere Einbindung der Arbeiter­schaft in die „Volksgemeinschaft“ mittels sozial­staat­licher Maßnahmen nötig – und lieferte so das Modell für den „nationalen Sozia­lismus“.

Nach dem I. Weltkrieg war diese Idee weit verbreitet und wurde mit gewissen Varia­tionen von Vertretern fast des gesamten politischen Spektrums geteilt. Walther Rathenau (der gemeinhin als Liberaler galt) wäre hier ebenso zu nennen wie etwa die „Nationalbolschewisten“ innerhalb KAPD (8). In der Rechten nahm die NSDAP die Idee in ihr Programm, den Begriff in ihren Namen auf.

Von einer ganz anderen Seite näherten sich auch die italienischen Syndikalisten einer ähnlichen Position. Während die deutsche Sozialdemokraten auf Reformen und den gesetzmäßigen Gang der Geschichte setzten, war für sie nur der Wille zum Umsturz entscheidend. Prägend waren dabei vor allem die Ideen George Sorels (1847-1922).

Sorel hatte es als Theoretiker (vor allem mit der Schrift Über die Gewalt (9)) zu einigem Einfluss in der französischen Abeiterbewegung gebracht. Anfangs dem orthodoxen Marxismus verpflichtet, unterzog er diesen bald einer weitgehenden Neuinterpretation, die außer der Idee des Klassenkampfs kaum etwas übrigließ. Dabei ging es Sorel nicht um eine Über­win­dung des Kapitalismus. Was er kriti­sierte, war die „Dekadenz“ der bürger­lichen Gesellschaft, Rationalismus und Demokratie. Das Proletariat sollte gegen das Bürgertum in Stellung gebracht werden und so die moralische Erneuerung, die Rückkehr des „Heroischen“ einläuten. Das Mittel, um die Arbeiter zu mobili­sieren, sollte dabei nicht die Vernunft, son­dern der „Mythos“ sein. Diesen Mythos, der die Kampf­­be­reitschaft des Prole­tariats ent­fachen sollte, glau­bte So­rel im Ge­neral­streik ge­fun­den zu haben.

Die Hoff­nun­gen, die er in das Pro­leta­riat setzte, er­füllten sich frei­­lich nicht. Ent­täuscht wand­­­­­­­ten Sorel und seine Anhän­ger sich 1912 der natio­nalistischen Ac­tion Francaise zu. Ein Teil der italie­ni­schen Syn­di­­kalisten bewegte sich derweil in eine ähnliche Rich­tung. Nachdem die ver­schie­denen Anläufe zum Umsturz miss­lungen waren, kamen die­se Syndika­listen zu dem Schluss, dass Proletariat sei nicht der geeignete Träger einer Revolution und er­setz­ten es durch die Nation.

Diese Haltung ging nahtlos in den Fa­schismus über. Am 1. Oktober 1914 wurde in Mailand der Fascio rivoluzionario d´azio­ne internazionalista (Revolutionäres Bünd­nis internationaler Aktion) gegrün­det. Im Gründungsmanifest hieß es: „Wir (…) sind überzeugt, dass es unmöglich ist, nationale Revolutionen ins Ausland zu tragen, ohne zuvor das Stadium der eigenen nationalen Revolution durchlau­fen zu haben. (…) Wo ein Volk nicht im Rahmen seiner natürlichen Grenzen lebt, die durch Sprache und Rasse gezogen werden, wo die nationale Frage nicht gelöst ist, kann es das zur normalen Entwicklung der Klassenbewegung notwendige Klima nicht geben.“ (10) Vor der „sozialen“ galt es also die „nationale Frage“ zu lösen – dazu musste nach Ansicht der National­syndikalisten der Krieg gewonnen und so Italien ein angemessener Platz unter den europäischen Nationen gesichert werden.

Benito Mussolini, der bis dahin in der Sozialistischen Partei Italiens (SPI) Karriere gemacht hatte, schloss sich bald dem Bündnis an und übernahm schließ­lich die Führung. Die Revolution, die Mussolini nun forderte, war nationa­listisch, antiliberal und anti­marxistisch. 1917 schrieb er: „Aber das Vaterland darf nicht verleugnet werden (…), besonders wenn es in einen Überlebens­kampf verwickelt ist. Wer Vater­land sagt, sagt Dis­ziplin; wer Disziplin sagt, an­er­­kennt eine Hierar­chie der Autori­tät, der Funk­tionen, der In­tel­ligenzen. Und wo die­se Disziplin nicht frei­willig akzeptiert wird, (…) muss sie aufge­zwungen wer­den (…).“

Und an anderer Stelle: „Die Wörter Republik, Demokratie, Radikalis­mus, Liberalismus haben genau­so wenig Sinn wie das Wort Sozialismus. Morgen wird es einen haben, aber das wird jener sein, den ihm die Millionen Front­heim­kehrer geben. Dieser Sinn kann ein ganz anderer sein, zum Beispiel ein anti­marxistischer, nationaler Sozialismus. Die Millionen Arbeiter, die zu den Furchen der Äcker zurückkehren, nachdem sie in den Furchen der Schützengräben gelebt haben, werden die Synthese der Antithese Klasse und Nation bewerkstelligen.“ (11)

Der unverstandene Kapitalismus

Der Kapitalismus war für die National­syndikalisten ein rein moralisch-psycho­logisches Problem. Der materielle Kern der kapitalistischen Produktionsweise, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die darauf basierende Wertschöpfung durch Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, wurde so verkannt. Diese Wendung hin zur Psychologie lässt sich z.B. bei Arturo Labriola (12) erkennen, wenn er schreibt: „Das Organisations­prinzip des Kapitalismus lässt ihn [den Kapitalisten] als Chef erscheinen (…). Dies ist der Hauptgrund, der die Arbeiter gegen die Kapitalisten aufbringt.“ (13)

Der Teufel steckt hier im Detail: Das Problem ist für Labriola nicht, dass der Fabrikbesitzer wirklich der Chef ist, der über die Arbeitskraft der Proletarier verfügt und diese gewinnbringend nutzen will –das Problem ist nur, dass der Kapitalist den Arbeitern als Chef erscheint.

Aus solcher Kapitalismuskritik folgt logisch ein Verständnis von Sozialismus, dass es gar nicht mehr für nötig hält, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Lohnarbeit anzutasten. Nur die geistige Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen musste geschlossen werden. Die Trennlinie zwischen Proletariat und Bourgeoisie wurde durch die zwischen „Produktiven“ und „Parasiten“ ersetzt. So forderten die italienischen Faschisten am Ende des I. Weltkrieges eine „partielle Enteignung“ des „parasitären“ Finanz­kapitals. Die „produktiven“ Teile der Gesellschaft (was Fabrikbesitzer, Ge­schäfts­leute usw. einschloss) sollten in nach Wirtschaftszweigen getrennten Korpora­tiven zusammengefasst werden, die in Zusammenarbeit mit dem Staat das organische Ganze der Nation bilden sollten – ein Programm, das nach der Macht­übernahme auch umgesetzt wurde.

In der Ideologie der NSDAP verband sich die Unterscheidung von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital mit der antisemi­tischen Rassenlehre, die das mittelalter­liche Stereotyp vom wuchernden „Geld­juden“ aufgriff. Die abstrakte Qualität kapitalistischer Herrschaft – die nicht mehr an Personen gebunden ist, sondern an den Besitz – wurde so völlig verkannt, der unsichtbare Zwang des Marktes im „Juden“ personifiziert. Im Rückgriff auf antisemitische Verschwörungstheorien, wie sie u.a. in den „Protokollen der Weisen von Zion“ (14) formuliert worden waren, halluzinierte man sich diesen als teuflische Macht hinter den Kulissen. Der „Jude“ war zum einen Inbegriff des raffgierigen Spekulanten, er trat aber auch in Gestalt des Bolschewismus auf. Zudem bedrohte er die „arische Art“, indem er als parasitäres Anhängsel des „Volkskörpers“ dessen „rassische Reinheit“ untergrub. Die Folgen dieser paranoiden Ideen sind bekannt – sie führten zur Ermordung unzähliger Men­schen in den KZs. (15)

Selbst ohne gleich die Antisemitismus-Keule auszupacken, kann man feststellen, dass auch bei vielen linken „Kapitalismus­kritikern“ dieser Mechanismus der Perso­ni­fizierung wirkt. Dass der Kapitalismus als System, als besondere Form der Organisation, das Problem ist und nicht das moralische Ungenügen einiger Unter­nehmer, geht vielen nicht in den Kopf. Kapitalist ist man nicht dadurch, dass man besonders gierig ist, sondern dadurch, dass man Kapital besitzt und so Produk­tionsmittel und Arbeitskräfte kaufen kann – und auch dann ist man den Zwängen des Marktes unterworfen.

Auch der Arbeitsfetisch, der die „produk­tive“ Seite der kapitalistischen Wirtschaft von jeder Kritik ausnimmt, ist in der heutigen Linken weit verbreitet, sei es bei Attac, der Linken oder der SPD, die, wenn sie überhaupt Kritik am Kapitalismus üben, meist nur das Finanzkapital meinen. Erinnert sei hier an die „Heuschrecken“-Rede von Franz Müntefering, in der er sagte: „Manche Finanzinvestoren ver­schwen­den keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernich­ten. (…) Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschrecken­schwär­me über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Indem das Problem einer bestimmten Personengruppe (Juden, Amerikaner, Spekulanten) zugeschrieben wird, wird die eigene Mitverantwortung verdrängt. Für Müntefering dürfte daraus nur business as usual folgen – noch schlimmer ist es, wenn man meint, zur Lösung des Problems diese Leute ausrotten zu müssen. Emanzipation kann auf dieser Grundlage nicht funktionieren.

Fazit

Diese ideologischen Überschneidungen zwischen „links“ und „rechts“ bedeuten freilich nicht, dass beide letztlich dasselbe seien, wie gängige Extremismus­theorien behaupten. Diese Gemeinsam­keiten kommen nur dadurch zustande, dass die Linke den gesellschaftlichen Normal­zustand von Kapitalismus, Lohn­ar­beit, Nationalstaat usw. als natur­gegeben akzeptiert, wie es die Nazis ohnehin die ganze Zeit tun. Der Kern des Problems liegt in der „poli­titischen Mitte“, in dem Be­streben, die bürgerliche Herrschaft in all ihren Erscheinungsformen als natürli­che Ordnung der Dinge zu le­gi­ti­mieren.

Was es bräuchte, wäre also eine Radi­kalisierung linker Kritik. Volk, Nation, Kapitalismus usw. sind nichts Ewiges, sondern von Menschen geschaffen, lassen sich also auch verändern und gegebe­nenfalls abschaffen. Die Forderung nach einer Gesellschaft­s­ordnung, die es allen Menschen ermög­licht, ihr Leben gemäß ihren Bedürfnissen zu organisieren, ist bis heute nicht erfüllt. Genau das wäre ein Ziel für eine Revolu­tion, die diesen Namen wirklich verdient – eine Umwälzung, die die Ausbeutung der menschlichen Arbeits­kraft ebenso wie die nationalstaatliche Einsortierung von Menschen beendet.

(justus)

 

(1) Deren wichtigstes Publikationsorgan in Deutschland die Zeitschrift Junge Freiheit ist

(2) Zitat aus de Benoist, „Aufstand der Kulturen“, 1999, S. 36

(3) Ebenda, S. 41

(4) Siehe auch FA! #24, „Ihre Papiere bitte!“

(5) Angabe nach Eric J. Hobsbawm, „Nationen und Nationalismus“, 1991, S. 75

(6) Das gegnerische Bündnis von Frankreich, England, Italien, Russland und später den USA

(7) Ferdinand Lasalle war 1863 Mit­be­gründer des Allgemeinen Deut­schen Arbeitervereins (ADAV), aus dem 1869 die Sozialdemo­kratische Abeiterpartei Deutschlands her­vor­ging, deren Führung Lasalle übernahm. Zu Lasalles Staatsbegriff siehe Willy Huhn, „Der Etatismus der Sozialdemokratie“, 2003.

(8) Kommunistische Arbeiterpartei Deutsch­lands, eine rätekommunistisch orien­tierte Abspaltung der KPD

(9) Erschienen erstmals 1906

(10) Zitat nach Zeev Sternhell, „Die Ent­stehung der faschistischen Ideologie“, 1999, S. 259

(11) Ebenda, S. 277

(12) Italienischer Sozialist, 1843-1904, gründete 1902 die Zeitschrift Avanguardia Socialista,an der ab 1903 auch Mussolini mitarbeitete.

(13) Zitat nach Sternhell, 1999, S. 133

(14) Eine Ende des 19. Jahrhunderts vom russischen Geheimdienst fabrizierte Fälschung

(15) Rassistische Ideen spielten aber in allen faschistischen Bewegungen eine wichtige Rolle. So errichteten die italienischen Faschisten z.B. Internierungslager für „Zigeuner“.