Archiv der Kategorie: Feierabend! #28

EinmalEins für „moderne“ Staatsbürger

Einige schlaue Köpfe haben einmal behauptet, das herausragendste Merkmal der Mo­der­­ne wäre das einer um sich greifenden Berechenbarkeit. Leider haben sie da­­bei über­sehen, dass zu einer richtigen Berechnung auch die jeweils passenden Rechen­mit­tel ge­hö­ren. So kommt es, dass eine anwachsende Menge von Interessenskalkülen in der mo­dernen Welt nicht zu Transparenz sondern zu „Unübersichtlichkeit“ und „Über­kom­plexität“ führt. Der Einfachheit halber könnte mensch auch von einer aus­ufern­den Orien­tierungs­lo­sigkeit sprechen. Das passende Umfeld also, um Eier als Hüh­ner zu verkaufen. Zugespitzt for­mu­liert: Die Moderne unterscheidet sich von allen bis­he­ri­gen Epochen gerade darin, dass sie es ermöglicht, nicht nur Einige oder Viele son­dern Al­le in Dummheit einzulullen.

So wundert es kaum, dass die „modernen“ Volksparteien aktuell versuchen, den gemei­nen Bür­ger für dumm zu verkaufen, indem sie so tun, als gäbe es plötzlich eine völlig neu­­­­ar­tige po­li­tische Debatte um Mindestlöhne und eine Verschärfung des Strafrechts für Mi­­gran­tIn­nen. Dabei reichen schon vier Finger, um das angebliche Neue als Wieder­kehr des ewig Glei­chen darzustellen. Das dritte Jahr der derzeitigen Bundesregierung ist an­ge­bro­chen und damit auch der Vorwahlkampf. Dementsprechend rechnen die gro­­­ßen Wahl­stra­tegen die dumpfesten Vorurteile ihrer Anhängerschaft fürs erste einfach hoch. Mo­bi­li­sie­rung der Stammwählerschaft heißt das dann. Da haben wir einerseits die Rechts­kon­ser­va­tiven, denen der Staat sowieso nie genug Gewalt anwenden kann und die, historisch gesehen, von der CDU bedient werden. Andererseits die Links­so­zia­listen, für die die staatliche Vorsorge selbst dann nicht weit genug geht, wenn der Stadt to­tal be­­stimmen würde, was überhaupt ‚da sein‘ kann bzw. Existenzrechte wie Vollstreckungs-Ti­tel zuspräche. Klassischerweise das Klientel der SPD.

Und ganz logischerweise würde in dieser Gemengelage jeder konkret politische Inhalt die ideologische Integrität der jeweiligen Lager nur ge­­fähr­den. Da darf dann auch ein gewisser Roland Koch (CDU), seit seiner Korruptions-Affäre bekannt als „Schweinchen Babe“, härtere Stra­­fen für „Ausländer“ fordern und dabei auf Schmusekurs zur NPD gehen. Denn wem die wohltätig verteilten Lebensmittelkarten nicht aus­­rei­chen, der wird sowieso nie begreifen, was man hierzulande unter ‚deutscher Leitkultur‘ versteht. Dass in einem „modernen“ Rechtsstaat ein­­zig die Richter am konkreten Fall über die Angemessenheit der Strafe entscheiden, solche Details interessieren im Kampf ums stumpfeste Res­­sen­timent von Rechts so wenig, wie die unliebsame Frage nach den Ursachen, welche eine Kriminalisierung bestimmter Be­völ­ke­rungs­schich­­ten notwendig bedingen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eiserne Roland nicht verrechnet hat und die Sicherheitsverwahrung von Mi­­grantInnen in Gefängnissen statt in Auffanglagern den Bürger nicht am Ende noch teurer kommt.

Ver­lässlicher ist da schon die SPD. Besser spät als nie hat man sich ausgerechnet, dass die eigenen Arbeitsmarktreformen der letzten Jah­re zu ei­nem massiven Lohndumping und zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten geführt und eine Unmenge von Ne­ben­wi­der­sprü­chen in der roten Ecke produziert haben. Peter Hartz, besser bekannt als „Mister VW“, ist ja mittlerweile auch anderweitig straf­rechtlich ver­urteilt. Nach diesen ganzen Pleiten versucht man deshalb jetzt, der völligen Desintegration des eigenen Lagers ent­ge­gen­zu­wirken, indem man der Wäh­lerschaft die Einführung flächendeckender Mindestlöhne suggeriert. Und wer will schon nicht mehr Lohn für Arbeit im Ka­pitalismus. Lei­der scheint man bei der SPD zu vergessen, dass diese Rückkehr zu „ursozialistischen“ Positionen nur dann wirklich wirk­sam wäre, wür­de man auch gleichzeitig zur staatlichen Preiskontrolle zurückkehren. Mal ganz abgesehen vom büro­kra­tischen Aufwand durch­greifender Kon­trollen und der faktischen Aushebelung der Tarifautonomie. Denn letztlich würde dieser Mindestlohn gleich­zeitig in vie­len Fällen der ma­ximale sein und gewerkschaftliche Kämpfe erheblich erschweren. Immerhin: Den Staatsfetisch des links­sozialistischen Klien­tels hat man da­mit punktgenau bedient und welcher ernsthaft engagierte Gewerkschafter wählt heutzutage schon noch SPD.

Was am Ende bleibt, ist die einfache Formel: Aktuelle Debatte minus heiße Luft istgleich Nichts-Neues bzw. zusammengekürzt: Die große Koa­li­tion entspricht dem nationalen Konsens. Dass dieser wiederum die beiden Lager fest umspannt und den Bürger in seinem heißen Traum vom starken Staat bestätigt, das sehen unsere Berufspolitiker zwar sehr genau, aber irgendwie muss man ja zu Wahlkampfzeiten Pro­fil entwickeln. Da­rum die beiden Debatten, fein säuberlich getrennt. Und das Ausweichen auf Anachronismen fällt ja angesichts der Bil­dungsregression gar nicht weiter auf. Gegen solchen Dummfang von CDU bis SPD hilft nur eines: politisches Bewusstsein und mehr Selbst­bestimmung, Widerstand und die Verwaltung der Bedürfnisse aus eig’ner Hand. Das sind die Rechenmittel, um die Manipulation von oben auszuhebeln. Die Volksparteien kön­nen sich derweil ruhig erneut zum Zentrum zusammenschließen, denn solange dieses nie­mand wählt, haben MigrantInnen auch hierzulande Zu­kunftschancen und die Arbeiterschaft die begründete Aussicht, an der eigenen Pro­duktion fair und gerecht beteiligt zu werden.

Lasst Euch also nicht bequatschen und gebt Euch die Mittel selber an die Hand! Post­moderne, you are welcome!

(clov)

Editorial FA! #28

Beim heiligen Gustav, diese digitale Revolution! Vor 4-5 Jahren reich­te uns ein PC und in maximal 24h stand das ganze Heft. Da­mals bot uns sogar noch der Infoladen des Conne Island oder das Linxxnet Asyl. Alles kam fertig rein, Deckel drauf und raus da­­mit. Heute dagegen, kaum 28 Hefte später, meint mensch ge­ra­dezu, der Kommunismus wäre ausgebrochen. Und der kann ganz schön anstrengend sein. Da drängt sich ein Redak­tions­kol­lek­tiv in 12qm um einen stationären Layout-Rechner mit an­ge­schlos­se­nem Drucker und Scanner, die Laptops klappen auf, USB-Sticks wech­seln die Ports wie Heuschrecken die Pflanzen, Fla­schen klir­ren, der Kühlschrank platzt, ebenso der digitale Post­ka­sten. Und wer nicht den legendären 7-Tage-plus-Dauer-Lay­out-Kritik-Frie­mel-Marathon übersteht, muss vor der nächsten Aus­gabe dringend zu­sätzliche Trainingsschichten einschieben. Viel­leicht liegt es auch da­ran, dass wir es seit längerem nicht mehr schaffen, dem selbst­ge­steckten Anspruch, alle 1-1/2 Monate zu erscheinen, gerecht zu wer­den, sondern eher ein 2-1/2 Monats­heft sind. wir driften also eher Richtung Magazin als Richtung Ta­ges­zeitung ab. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir trotz der vielen eingereichten Bei­­träge – Dank an all die lieben Supporter – trotz alle dem ein­fach zu wenig Anstöße von Außen be­kom­men. Deshalb hier noch­mal der Aufruf an Euch: Schreibt uns! Nicht nur Leserbriefe, son­dern was auch immer Ihr meint, dass es ver­öf­fent­licht wer­­den sollte.

Um unseren Praxiswert steigern, findet Ihr in der aktuellen Aus­ga­be neben vielen Linxz zu Gruppen, Veranstaltungen und Pro­jek­­ten auch einen beigelegten Aushang der Roten Hilfe für die Haus­­tür, falls der Schutzmann wieder klingelt. Außerdem auf S. 29 einen lustigen Kreuzchentest, der am Ende gar nicht so lustig ist. Aber das könnt Ihr ja selber rausfinden. Auch eine neue Rubrik soll uns von nun an begleiten. Die Nebenwidersprüche lauern halt überall dort, wo Handlungsbedarf besteht. Bei uns auf S. 14/15. Die Frage nach der Privatisierung der Leipziger Stadtwerke ( S.1/3/4) ist aber auch ein heißes Thema in Bezug auf den er­zwun­genen Bürgerentscheid am 27.01.. Da könnte mensch glatt ver­gessen, welcher militaristische Alltag auf dem Flughafen vor der Stadt eingezogen ist ( S.8/9). Ganz froh sind wir auch darüber, dass es uns doch noch gelungen ist, die Anarchisten aus Israel zu in­ter­viewen, die im Dezember einen Vortrag in Leipzig über ihre po­li­tische Arbeit hielten. Denn bei aller konkreten Widersprüch­lich­keit: Mauerbau war noch nie eine progressive Lösung ( S.27/28). Ähnlich verbohrte Ansichten finden sich höchstens bei den Na­tional-Revolutionären ( S.16ff). Soviel Zement in der Birne muss ja Kopfschmerzen bereiten. Da hilft letztlich nur kräftig RÜCKEN­WIND. Apropos: Unsere neue Verkaufsstelle. Fahr­rad­schrauben und Lesen sind also keine unüberwindlichen Wider­sprüche. In diesem Sinne: Der Frühling kommt, also raus an die Luft!

Eure Feierabend!-Redax

tatort fussball

Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht jeder Lokfan ist ein Neonazi. Und nicht jeder akzeptiert die rechte Gesinnung von so manchem An­hän­ger. Es gibt, gerade in den Diskursen innerhalb der Ultraszene bei Lok, Entwicklungen, die durchaus Anlass zu Hoffnung geben. Was nicht heißen soll, dass alles gut ist.

Der 1. FC Lokomotive hat ein ernsthaftes Problem. Weit schwer­wie­gender als die finanzielle und sportliche Misere der letzten Jahre ist die enge Verknüpfung von Leipzigs Neonaziszene und der Hooli­gan­szene beim Traditionsverein aus Probstheida. Dies zeigt ein alarmierendes Beispiel aus dem letzten Jahr.

Anfang Dezember, genauer gesagt am 8.12. 2007, fand im Clubhaus des FC Sachsen die Weihnachtsfeier der in Fankreisen als links an­ge­sehenen Ultragruppierung „Diablos“ ein jähes Ende, als etwa 70 Ver­mummte die Räume stürmten. Da diese mit Baseballschlägern, Mes­sern, Rauchgranaten und einer Gaspistole bewaffnet waren, kann die­ser Vorfall nicht als „normale“ Schlägerei unter Fußballfans ange­se­hen werden. Nachforschungen in Kreisen von Lok haben außerdem er­geben, dass viele ältere Schläger nicht dabei waren und diese Aktion auch nicht gut heißen. Einige waren sofort zu Spenden für den „Wie­deraufbau“ bereit. Woher kommt also diese Masse an Leuten?

Fakt ist, dass am Abend des Überfalls etwa 15 Leute der berüchtigten rech­ten Hallen­ser Fangruppe „Saalefront“ ihre eigene Weihnachtsfeier mit unbestimmtem Ziel verließen. Fakt ist auch, dass die Polizei mitt­ler­weile recht genau weiß, wer an je­nem Abend mit von der Par­tie war, da einige der Angreifer schwere Verletzungen von den Stüh­len und Tischen, die auf ihnen zerschlagen wurden, davon­ge­tra­gen haben. So was lässt sich dann doch nicht so leicht verbergen.

Und auch aus dem Umfeld von Lok kamen Hinweise zu mög­lichen Tätern. Gerüchteweise ist zu hören, dass Ricardo Sturm, einer der führenden Köpfe der Leipziger Neonaziszene, an der Or­ga­ni­sa­tion des Angriffs beteiligt gewesen sein soll. Außerdem ist immer wie­der von den „Blue Caps“ die Rede, einer Gruppierung von Lokfans, die im Februar 2006 ein menschliches Ha­ken­kreuz im Stadion for­mierte.

Ein Gutes hat dieser Vor­fall den­noch: In Leipzig rutschte Lok ins Kreuz­feuer der Kritik und die Dis­kussio­nen in der Fanszene dürf­ten für die rech­te Szene un­gün­stig sein. Die Zu­kunft wird zei­gen, ob es hier­durch zu Selbst­­rei­ni­gungs­­prozessen kommt.

(tim)

Leipzig und der Stadtwerke-Verkauf

– schon zwei Mal gescheitert – Bürgerentscheid am 27.1.2008 –

Wer ist noch nicht über sie gestolpert, die Plakate der Bürgerinitiative APRIL (Anti­PRivatisierungsInitiative-Leipzig), die zum JA-Sagen am 27. Januar beim Bürger­entscheid auffor­dern? Opti­mistische Aller­welt­s­­gesichter grinsen da auf einen herunter und ver­kün­den: „Wir sagen Ja! – Stim­me abgeben und Ein­fluss be­­hal­ten“.

Wozu eigentlich? Ja dazu, dass die Stadt­verwaltung sieben kom­munale Betriebe in den nächsten drei Jahren nicht verkaufen darf, weder ganz noch anteilig.

Machen am 27. Januar 103000 von den rund 400 000 Stimmberechtigten (ent­spricht 25 Prozent) ihr Kreuz bei Ja (kein Ver­kauf), dürfen die betroffe­nen Unter­nehmen bis 2011 keine neuen Eigentümer bekommen.

Worum geht’s? Ende letzten Jahres kamen Ober­bür­ger­meister Burk­hard Jung und eine knappe Mehrheit im Stadtrat – be­stehend aus Ver­tretern der CDU, SPD, FDP – auf den Gedanken, den Schul­den­berg der Stadt Leip­­zig von knapp 900 Mio. Euro ab­zu­bauen, in­dem 49,9 Pro­zent der Stadt­wer­ke Leipzig (SWL) an einen Pri­vat­­investor ver­kauft wer­den. Der fran­zö­sische Kon­zern Gaz de France S.A. (1) ist bereit 520 Millionen Eu­­ro da­für hinzu­blät­tern und hat damit das Rennen ge­macht. Mit die­sem Geld hat die Stadt viel vor. So sollen die Schulden abgebaut werden, Schu­len, Kinder­gärten und Straßen saniert und durch Aufträge an mittelständische Unter­nehmen Arbeits­plätze geschaffen wer­den. Soweit die Wunschträume der Befürworter des Ver­kaufs.

Die Anti­PRivatisierungs­Initiative­Leipzig, die ein Spektrum von Attac, über zahl­reiche Bürgervereine, Stadträte, der IG Metall, den Grünen, der Linken bis zu Pfarrer Führer umfasst, sieht dies natürlich völlig anders: Um diesen Anteilsverkauf und vorsorglich auch den der anderen städtischen Unternehmen zu verhindern, startete sie im September 2007 ein Bürger­begehren, um einen Bürger­entscheid zu erzwingen.

Innerhalb von zwei Monaten sammelte die Ini­tiative – vorrangig bestehend aus den Grup­pen und Vereinen, die auch die Mon­tags­­demon­strationen getragen haben – Un­ter­schriften von 10 Prozent der Leipziger Wahl­­berechtigten. (2)

Da man befürchtet, dass es letztlich nicht nur um die SWL geht, sondern prinzipiell al­le großen kom­munalen Unter­nehmen un­ter dem Dach der Hol­ding Leip­ziger Ver­sor­gungs- und Ver­kehrsbetriebe (LVV) (3) „pri­va­tisierungs­gefährdet“ sind, ist die Fra­ge­stellung entsprechend weit gefasst:

Sind Sie dafür, dass die kommunalen Un­ter­nehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum ver­bleiben?“

Der Grund für diese Befürchtung liegt da­rin, dass die zahlreichen städtischen Unter­neh­men sich gegenseitig quer sub­ven­tio­nie­ren und so die Daseinsvorsorge (4) für die Stadt kostenneutral gewährleisten. Die jähr­lichen Gewinne der Wasser-, sowie der Stadt­werke (5) werden zum Ausgleich der De­fi­zite bei den Verkehrsbetrieben heran­ge­zo­gen und ermöglichen sowohl das ge­gen­wärtige Preisniveau als auch den Be­trieb und Erhalt des Verkehrsnetzes.

Hier setzt das Hauptargument der Gegner des Verkaufs an: Indem ein Mit-Eigner ins Boot geholt wird, werden die Handlungs­spiel­räume der Stadt und ihr Einfluss auf die Preisgestaltung, Auf­trags­vergabe, Ent­schei­dungen auf Investitions- und Förder­tä­tig­keiten langfristig entspre­chend ver­rin­gert. Kurz: Man verkauft das Huhn und wun­dert sich dann, keine Eier mehr zum Früh­­stück zu haben.

Die SWL spielen nicht nur als Strom­ver­sor­­ger, sondern auch als Sponsor des kultu­rel­­len und sportlichen Lebens der Stadt ei­ne bedeutsame Rolle und ermöglichen so Vie­­len die Teilnahme an Veranstaltungen, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Eben­­so fördern die Stadtwerke durch ihre Auf­­tragspolitik bereits regionale mittel­stän­di­ge Unternehmen, da anfallende Aufträge von der LVV zu 67 Prozent an eben solche Be­­triebe vergeben werden und es fraglich er­scheint, ob ein privater Investor ein ähnlich star­kes regionales Engagement entwickeln wür­­de.

Dass die Sorge um weitere (Teil)­Privatisie­run­­gen nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ver­­deutlicht die Episode des „Opernballkom­pro­­misses“. So soll Ober­bürgermeister Jung im November 2006 am Rande des alljähr­lichen Opernballs – einer High-Society-Ver­an­­staltung bei dem sich alles trifft, was Rang, dicke Konten und Namen hat – mit der CDU-Fraktion im Stadtrat einen politischen Kom­­promiss ausgehandelt haben.

Der Deal: Die CDU-Fraktion stimmt dem an­teiligen Verkauf der Stadtwerke zu. Im Ge­gen­zug versprach der OB die spätere Priva­ti­sierung weiterer Unternehmen unter dem Dach der LVV. Entsprechend brachte die CDU im November letzten Jahres den Vor­schlag ein, auch die LVB teilweise zu privati­sieren. Dieses Hick-Hack ist derzeit zwar von geringerer Bedeutung, wird aber in dem Mo­ment interessant, in dem der Bürger­ent­scheid nicht genügend Ja-Stim­men erhält und diese Entscheidung an den Stadtrat zu­rück delegiert wird.

Zurück zum aktuellen Verkaufs­vor­haben, den Stadtwerken Leipzig. Hier springen vor allem zwei Ungereimtheiten ins Auge: Er­stens sind die SWL weit davon entfernt, ein marodes Unternehmen zu sein und zweitens wurde das Unternehmen schon zwei Mal in Tei­len verkauft und wieder zurück gekauft.

Nicht nur, dass die Stadtwerke zu einem nicht unerheblichen Teil den Nahverkehr, sportliche und kulturelle Ereignisse sub­ven­tionieren, sie sind außerdem klar auf Ex­pan­sionskurs. Die Bilanz für 2006 wies ei­nen Gewinn von 54 Mio. Euro auf, für 2007 wird mit einem ähnlichen Ergebnis gerech­net, was 2008 noch übertroffen werden soll. Abgesehen davon halten die Stadtwerke seit 2003 75 Prozent der Anteile des Danziger Fern­­wärmeunternehmens Gdanskie Prze­dsie­biorstwo Energetiky Cieplnej (GPEC), sowie An­teile von Fern­wärme­versorgern in Tczew und Staro­gard Gdanski. Sie sind ebenfalls an Unter­nehmen in Bulgarien (KES AG So­fia), Litauen (Klaipedos Energija) und Tsche­chien (Teplarny Jablonec a. s.) beteiligt.

Und: In Leipzig sammelte man bereits zwei­mal Erfahrungen mit Privatisierungen und deren Rückgängigmachung. Sowohl 1992 als auch 1998 wurden je 40 Prozent der Stadt­werke verkauft und die Verträge wenige Jah­re später rückgängig gemacht. Im Jahr 1992, als die Stadtwerke gegründet wurden, hielt RWE (Rheinisch-West­fälisches Elektrizitätswerk AG) einen Anteil von 40 Prozent. Drei Jahre später stellte man fest, dass die Partnerschaft nicht die gewünschten Er­folge brachte und die Stadt kaufte die An­teile zurück. Der zweite Versuch erfolgte 1998 – erneut wurden 40 Prozent veräußert und zwar an die MEAG (Mitteldeutsche Energie­Ver­sorgung AG). Diese Aktiengesell­schaft wurde später von RWE aufgekauft, die ihren Anteil an ihre Tochter EnviaM über­gab. Damit hielt einmal mehr der RWE-Kon­zern 40 Prozent der Leipziger Stadt­werke und über­raschen­der­weise hatten Stadt und Konzern sich 2003 über die Strategie der SWL so sehr zerstritten, dass man ver­kün­dete: „dass die strategische Ausrich­tung von EnviaM und den Stadt­werken Leipzig in spezifischen Markt­segmenten nicht kom­patibel sind“(6) und trennte sich erneut. Das heißt, die Stadt nahm Kredite auf und kaufte erneut die Anteile zurück und zwar mit einem Verlust von 16 Millio­nen Euro. Un­ter anderem dieser finanzielle Ver­lust soll nun durch einen dritten An­teils­verkauf wie­der aus­geglichen wer­den… manche lernen eben nie aus…

Bleibt die Frage, ob unsere Stadtober­häup­ter schlicht äußerst vergesslich und dilet­tan­­tisch sind, oder ob doch mehr dahinter steckt? Denn nicht nur die Stadt Leipzig pri­va­­tisiert kom­munale Un­te­rnehmen. Schon im let­zten Jahr­hun­dert, Ende der 90er Jahre, ver­kauften mehrere deut­sche Kom­munen und Ge­meinden die jewei­li­gen Ei­gen­be­trie­be und er­hielten so eine re­la­tiv große Sum­me auf einen Streich. (7) Damit ist späte­stens jetzt die EU-Privati­sie­rungspolitik, die sich in Abkommen wie dem GATS (Gene­ral Agreement on Trades and Services) nie­der­­schlägt, auch hier vor Ort an­gekommen. Zum Wohle des freien Marktes und dessen un­sichtbarer Hand, die es letztlich richten soll, werden Städte und Gemeinden dazu an­ge­halten, sich durch Privatisierungen mög­lichst komplett zu entschulden.

Wer dabei auf der Strecke bleibt, sind die Kon­­sumenten, die finanziell nicht in der La­ge sind, Preiserhöhungen für Wasser, Strom und andere grundlegende Ressour­cen mit zu tragen. Diese politische Ent­wick­lung ist also nicht neu, nun kommt der Neo­li­be­ralismus langsam aber sicher auch in der so­genannten Ersten Welt auf der kom­mu­nalen Ebene und damit bei je­dem Einzelnen und seinem Portemonnaie an.

Was hier geschieht, kann mensch seit Jahr­zehn­ten in politikwissenschaftlichen Lehr­bü­chern nachschlagen: weg vom Sozialstaat, der seine Bürger mit dem Nötigen versorgt, (wie eben Infrastruktur, Grundversorgung zu erschwinglichen Preisen, Kranken-und Ren­ten­­ver­sicherungs­systemen) hin zu ei­nem Nacht­wächterstaat, der nur noch in nach­gewiesenen Not­situationen einspringt. Mensch könnte sich für den Fall der Stadt­werke das Szenario vorstellen, dass diejeni­gen, die den Markt­preis für Strom nicht zah­len können und dies bei der Stadt­ver­wal­tung nachgewiesen haben, von der Stadt ge­kaufte Strom­kontingente zugewiesen be­kom­men kön­nten. Oder um in der Realität zu bleiben: Arbeitslose, die eine 120-pro­zen­tige Kürzung erhalten haben, dann eben Le­bens­mittelgutscheine (8) erhalten.

So gesehen schrumpft das auf den ersten Blick ritterliche Ansinnen der Bürger­ini­tia­tive zum konservativen Ruf nach Papa So­zial­staat. Mensch wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die entsprechenden Ent­wick­lungen, aber leider erst dann, wenn die Angst um das ganz persönliche Porte­mon­naie um sich greift. So löblich es auch ist, dass mindestens 10 Prozent der Leipziger Be­völkerung dafür sind, über diese Frage di­rekt zu entscheiden – es kostet ja auch nur eine Unterschrift und die hat mensch oft genug geübt – umso bedauerlicher ist es, dass selbst dieses bürgerschaftliche En­ga­gement nur auf drei Jahre hin seine Wir­kung entfalten soll und letztlich mit 25 Pro­zent Ja-Stimmen noch immer eine ziemlich gro­ße Hürde zu nehmen ist. Kann mensch tat­sächlich von demokratischer Mitgestal­tung sprechen, wenn die Ent­scheidung bei ei­ner hoch komplexen Frage wie dieser, stumpf auf ein Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“ re­du­ziert wird? Das eine Auge lacht, ob der sich scheinbar bietenden Partizipations­mög­lichkeit, das andere weint, ob des Gefühls, in­nerhalb des Politiktheaters einmal mehr ver­höhnt zu werden.

(hannah)

 

(1) Gaz de France ist mit ca. 50.000 Mit­arbei­tern, 13,8 Mio. Kunden und einer Börsenkapi­ta­lisierung von ca. 34 Milliarden Euro einer der größ­ten Energieversorger Europas. Die Ge­schäfts­aktivitäten umfassen die Erzeugung, Ver­tei­lung und den Verkauf von Energie (insbe­son­de­re Erdgas, aber auch Strom sowie Energie­dienst­leistung in mehr als 30 Ländern). Seit 1976 ist Gaz de France über die Gaz de France Deutsch­land GmbH mit inzwischen 700 Mit­ar­bei­terInnen auf dem deutschen Markt vertreten und u. a. an der GASAG in Berlin beteiligt.

 

(2) Nach der Gesetzeslage wären auch 5 Prozent aus­reichend gewesen, um einen Bürgerentscheid her­bei zu führen. Damit wurde die Entschei­dung über den Anteilsverkauf aus den Händen des Stadtrates genommen und den Wahlberech­tig­ten in Leipzig als Sachentscheidung vorgelegt.

 

(3) Die Holding LVV umfasst: die Stadtwerke Leipzig GmbH, die Leipziger Wohnungs- und Bau­gesellschaft mbH, das Klinikum St. Georg GmbH, die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, die Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH und den Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig.

 

(4) Daseinsvorsorge: Nach dem Zweite Welt­krieg in Westeuropa vom Staat übernommene Auf­­gabe zur Bereitstellung der notwendigen Grund­versorgung, die letztlich das Funk­tio­nie­ren der Menschen im kapitalistischen System ge­­währ­leistet. Dazu zählt die Bereitstellung von öf­­fent­lichen Einrichtungen für die All­ge­mein­heit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser-, und Elek­trizitätsversorgung, Müll­abfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Fried­höfe usw. Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kom­munal­wirt­schaftlichen Betrieben wahrgenommen werden.

 

(5) Nach Angaben der APRIL erwirtschaften die Wasserwerke jährlich ca. 22 Mio. Euro und die Stadtwerke ca. 50 Mio. Euro.

 

(6) www.rwe.com/generator.aspx/presse/language=de/id=178406?pmid=4000344.

 

(7) 1998 verkaufte Potsdam seine Wasserwerke zu 49 Prozent an Eurowasser und kaufte diese nach 1,5 Jahren zurück – Hamburg veräußerte 1999 die kommunalen Elektrizitätswerke an den Vatten­fallkonzern – die Stadt Dresden sämtliche 48000 kommunale Wohnungen für 1,7 Milliar­den Euro an die US-Investorengruppe Fortress.

 

(8) Gutscheine erhalten neben erwähnten Lang­zeitarbeitslosen vor allem AsylbewerberInnen, siehe Seite 5ff.

„Und wer kontrolliert Ihr Leben?“

– zur Versorgungssituation von AsylbewerberInnen in Leipzig –

AsylbewerberInnen und „geduldeten“ (1) Flüchtlingen ist es in Leipzig bis dato nicht gestattet, Lebensmittel für ihren täglichen Bedarf einfach einzukaufen oder sich im nächsten Supermarkt spontan vom An­gebot der Regale inspirieren zu lassen. Stattdessen müssen sie schon eine Woche vorher wissen, was in der darauf Folgenden auf den Tisch kommen soll. Denn mit dem seit 1997 geltenden Asyl­bewerber­leistungs­gesetz (AsylbLG) wurde die Grund­versorgung von der verwaltungsmäßig einfacheren und auch kostengünstigeren Bargeldauszahlung auf Sachleistungen umgestellt.

AsylbewerberInnen, die weniger als 4 Jahre (2) hier leben, und MigrantInnen mit dem Status „Duldung“ erhalten kein Bargeld zur Deckung ihrer Grund­bedürfnisse. Sie müssen ihre Lebensmittel und Hygiene­artikel aus einen, im Angebot eher be­schränkten Katalog der Kühlhaus Wüsten­brand GmbH bestellen. Zweimal pro Woche werden die Pakete „frei Haus“ ins Heim geliefert. Ein Paket umfasst pro Person einen Warenwert von ca. 15 Euro.

Das heißt genau genommen, dass man vorher doch nie genau weiß, womit in der folgenden Woche tatsächlich gekocht wird. Denn aus der bestellten Dose Erbsen-Möhren wird schnell mal eine Dose Mais, das Duschbad hat irgendeine Duft­richtung, der Joghurt kommt mal als Erdbeer- oder Him­beerjoghurt, relativ unabhängig davon, was bestellt wurde. Da kann es auch schon mal passieren, dass die Kondome statt in normaler Größe als XXL oder XS an­kommen.

Insgesamt scheint es bei dem Versorgungs­unternehmen nicht so darauf anzu­kommen, was genau bestellt wurde, ein grob ähnliches Produkt wird es schon tun. Nicht so genau wird es auch mit dem Haltbarkeitsdatum der Lebensmittel genommen, wahrscheinlich nimmt man unterbewusst an, dass „Nichtdeutsche“ keine arabischen Zahlen und den gregor­ianischen Kalender deuten können. Also auch nicht merken, wenn die Lebens­mittel überlagert sind.

Einen Schritt vor und zwei zurück

Statt der bisherigen Paketversorgung für Asylsuchende, mit denen aus einem begrenzten Angebot zu festgesetzten Preisen Essen und Körperpflegemittel sieben Tage im Voraus bestellt wurden, ist ab diesem Jahr die Einführung von Chipkarten geplant. Bürgermeister Pro­fessor Dr. Thomas Fabian (Bei­geordneter für Jugend, Soziales, Ge­sundheit und Schule) preist dies als „erheblichen Zuwachs an Lebensqualität für die Asylbewerber“ an. (3)

Dabei müsste dem Bürgermeister klar sein, dass es letztlich im Sinne aller ist, einfach Bargeld auszuzahlen. Denn die Stadt Leipzig war bereits vor einigen Jahren viel weiter und bat die Landes­regierung in Dresden um die Ge­nehmi­gung, Bargeld an AsylbewerberInnen auszahlen zu dürfen. Dieser Vorstoß wurde aber damals abgeblockt.

Paradoxerweise war es nun aus­ge­rechnet die Stadt Dresden, die in Sachsen eine erzwungene Vorreiterrolle zugewiesen bekam. Bis 2007 gab es auch in Dresden Kataloggutscheine, seit Dezember letzten Jahres wird dort in einem zunächst befristeten Modellprojekt aber endlich Bargeld ausgezahlt. Aus­schlag­gebend dafür war die Kampagne „Und wer kontrolliert ihren Einkauf?“, die in Dresden, ähnlich wie die Umtausch­initiative in Leipzig, die Pakete der AsylbewerberInnen zu Bargeld tauschte. Daneben leisteten die Aktiven dieser Kampagne auch eine Menge Lobby­arbeit im Dresdner Stadtrat. Bei diesem Unter­fangen spielte ihnen in die Hände, dass dieser selbst im Oktober 2004 be­schlossen hatte, Chipkarten ein­zu­führen und den Oberbürgermeister beauftragte, sich gleichzeitig bei der Landes­regierung für die Bargeld­auszahlung einzusetzen. Dieser Be­schluss wurde jedoch nur widerwillig und sehr zögerlich umgesetzt. So konnte sich der politische Druck darauf kon­zentrieren, die Herren und Damen Abgeordneten an ihre eigenen Beschlüsse zu erinnern.

Anstatt dass die Stadt Leipzig, die sich sonst gern weltoffen und freiheitlich gibt, nun in die geschlagene Bresche springen und ebenfalls zur kostengünstigsten Variante ‚Bargeld’ greifen würde, soll hier nun das aufwendigere Chipkartensystem eingeführt werden.

„Selbst aus dem Angebot wählen“ (Prof. Dr. T. Fabian)

Das System „Chipkarten“ meint, dass von der Stadt ein Unternehmen angeworben wird, welches die AsylbewerberInnen mit Chipkarten ausstattet, die monatlich mit einem Guthaben von 48 Euro (4) auf­ge­laden werden. Mit diesen Karten sollen sie dann bei teil­nehm­en­den Händ­lern/Han­dels­ket­ten ein­kaufen kön­­­nen.

Allerdings müs­­­­sen vorher Ein­kaufs­märkte ge­funden wer­den, die bereit sind, die ent­spre­ch­en­de Ab­bu­ch­ungs­­­­­­elek­tronik zu in­stallieren. Auch ver­längert das Ab­rechnungs­­verfahren an der Kasse die War­te­­­zeiten für alle Kun­den, was ein nicht zu unter­schät­zendes Kriterium vor allem für kleinere Händler sein könnte.

Momentan hat sich zum Glück in ganz Sachsen noch kein Chip­karten­hersteller gefunden, der sich der Sache in Leipzig annehmen will. Firmen, die bereits in anderen Städten daran beteiligt sind, haben kein Interesse, weil es einfach unrentabel ist. Auch die Sparkasse, die bisher an der Auszahlung von Geldern an Asyl­bewerber­Innen beteiligt war, hat ihren Auftrag für 2008 gekündigt und steht auch nicht für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Chipkarten zur Verfügung. Deshalb wurde die Suche nach einem Chipkartenhersteller nun auf die ganze EU ausgeweitet.

Chipkarten & daraus folgende Probleme im Alltag

1. Entmündigung: AsylbewerberInnen mit Chipkarten dürfen zwar einkaufen, aber sie können nicht wählen, wo. Denn die Stadt muss die Partnerunternehmen aussuchen und anwerben (eine Firma, die die Chipkarten und Lesegeräte etc. herstellt; Banken, in denen die Asyl­suchenden ihr bares „Taschengeld“ von eigens dafür eingerichteten Konten abholen dürfen; Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Kleidungsmärkte etc.) Außerdem wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, selber zu entscheiden, was sie mit dem Betrag – welcher ohnehin schon unter der Hartz-IV-Grenze liegt und damit weit unter der relativen Armuts­grenze der BRD – kaufen: das Geld soll in drei Posten aufgeteilt werden, die unter­einander nicht verschiebbar sind – Essen, Kleidung, Sonstiges. So bleibt mit Chip­karten, wie zuvor mit den Katalogen nicht genügend Geld für öffentliche Ver­kehrsmittel, für das Asylverfahren drin­gend benötigte Anwälte, Schul­materialien, Telefon etc. Mal davon abgesehen, dass Tabak- und Alkohol­erwerb verboten sind bzw. bei anderen „Luxusgütern“ die VerkäuferInnen an der Kasse ad hoc entscheiden können, ob das Produkt für eine/n Asylsuchende/n angemessen ist. (5)

2. Diskriminierung: Wenn an der Kasse die VerkäuferIn umständlich die Chip­karte auf Guthaben und Gültigkeit prüft, ist dies entwürdigend und allen An­wesenden wird die angebliche „Anders­artigkeit“ des Ein­kaufen­den vor Augen geführt.

3. Kontrolle: Jeden Monat müssen die AsylbewerberInnen zum Aufladen ihrer Karte zum Sozialamt fahren. Unterstellt eine SachbearbeiterIn, die AsylbewerberIn könne nicht mit Geld umgehen, kann sogar ver­langt werden, den jeweiligen Betrag einmal pro Woche abzuholen. Außerdem wird ge­spei­chert, wann, wo und wie viel die Asyl­bewerberInnen einkaufen und von Mitar­beiterInnen des Sozialamtes kon­trolliert. Nicht genutzte Beträge verfallen und kön­nen nicht etwa angespart werden.

Dass die Stadt Leipzig trotz aller Nach­tei­­le für die Verwaltung – die Auszah­lung von Bargeld wäre kosten­günstiger und weni­ger aufwendig – und die hier lebenden „Nicht­­deut­schen“ auf dem Sach­leistungs­prin­­zip beharrt, ver­deutlicht, worum es ei­gent­lich geht: um die „gewollte Ein­schrän­kung in der freien Ge­stal­tung des Lebens“. (6)

Auch wenn der Ein­kauf per Chip­karte ten­denziell we­niger Iso­lierung und mehr (aber keine freie) Auswahl er­möglicht, geht es damit immer noch um eine ras­sistische Praxis, die sich fort­schreibt. Es handelt sich hierbei nur um einen von vielen struktur­ellen Rassismen, die sich in Regelungen wie z.B. der Residenzpflicht oder dem Arbeits­recht (siehe Kasten) wieder finden, mit Hilfe derer die per­sönliche Freiheit des Einzelnen – in diesem Fall die Entscheidung, was, wann und wo ein­zukaufen – massiv ein­ge­schränkt wird.

Morgen fängt heute an

Kaufen wir ein, damit andere einkaufen können! Bargeld für alle sofort! Tauschen wir mit den AsylbewerberInnen ihre Gutscheine gegen Bargeld, damit sie selbst entscheiden können, was sie be­nötigen! Für ein Ende der strukturellen Dis­krimi­nierung von AsylbewerberInnen und die Verbesserung ihrer Lebens­be­dingun­gen!

(Kampagne gegen Ausgrenzung)

www.anderseinkaufen.de.vu
(1) Die Duldung ist nach der Definition des deut­schen Aufenthaltsrechts eine „vorüber­gehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreise­pflichtigen Aus­ländern, und stellt damit keinen Aufenthaltstitel dar. Die Dul­dung dient aus­schließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass von einer Durch­setzung der bestehenden Ausreisepflicht für den ge­nann­ten Zeitraum aus verwaltungs­technischen oder politischen Gründen abgesehen wird.
(2) Erst kürzlich wurde die Zeit, in der Asyl­suchende mit ungeklärtem Status nur per Katalog kon­sumieren dürfen, von drei auf vier Jahre verlängert. Bisher konnte nach drei Jahren Bargeld ausgezahlt werden (das gibt es also schon in Leipzig), jedoch müssen Asylbewer­berInnen nach einem ab­geschlossenen Asylver­fahren, das mit dem Status „Duldung“ endet, wieder per Katalog bestellen.
(3) www.leipzig.de/de/buerger/news/09889.shtml.
(4) Derzeit kann für bis zu 30 Euro die Woche (je Paket 15 Euro) aus dem Lebensmittel­katalog bestellt werden. Zusätzlich stehen monatlich 18 Euro für die Bestellung von Hygienartikeln aus einer separaten Liste zur Verfügung. Diese Trennung würde beim Chipkartensystem wegfallen.
(5) Zwar wurde bestimmt, dass Asylbewer­berInnen keine Luxusgüter erwerben dürfen, allerdings wurde der Begriff nicht näher definiert. Dadurch liegt es letztlich in der Entscheidungsgewalt der jeweiligen KassiererIn zu entscheiden, ob die betreffende Ware ein Luxusgut ist oder nicht. Es gab schon Streitfälle bei denen einem Asylbewerber der Erwerb eines Pelzmantels im Winter mit eben dieser Begründung verweigert wurde.
(6) Reinhard Boos, seit Juni 2007 zum zweiten Mal Präsident des Sächsischen Landesamtes für Ver­fassungsschutz. Er hatte das Landesamt bereits von Juni 1999 bis Dezember 2002 geleitet und ersetzt den im Rahmen des „Sächsischen Korruptions­skandals“ abge­setzten Rainer Stock. Boos war zuletzt Leiter des Referats „Ausländer- und Asyl­angelegen­heiten“.

Residenzpflicht – Einschränkung der Bewegungsfreiheit

Die Residenzpflicht ist eine ge­setzliche Regelung, die die Be­troffenen massiv in ihrer Be­wegungs­freiheit ein­schränkt. Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, dürfen nach § 56 Asyl­verfahrens­gesetz (AsylVfG) den Landkreis, in dem sie leben, nicht verlassen. Menschen mit dem Status „Duldung“ sind nach § 61 Aufent­haltsgesetz in ihrer Bewegungsfreiheit auf das Bundesland beschränkt, in dem sie leben.

Die zuständige Ausländerbehörde kann nach §§ 57 und 58 AsylVfG Ausnahmen von der Residenz­pflicht erlauben. Flüchtlinge erhalten auf Antrag eine Aus­nahme­genehmigung für Termine bei Rechts­anwält­Innen, Gerichten, ÄrztInnen und Be­ratungs­stellen.

Ebenfalls auf Antrag können Aus­nahme­ge­nehmi­gungen für Besuche bei Fa­milien­mitgliedern, Freund­Innen, Kirchen­gemeinden, kultur­ellen Veranstaltungen u.ä. erteilt werden. Diese liegen jedoch im Ermessen der Aus­länder­be­hör­den und werden je nach Land­kreis unter­schiedlich ge­hand­habt. Generelle Aus­nahme­regelungen von der Re­si­denz­­pflicht sind möglich, z.B. für Flüchtlinge, die in direkter Nähe zur näch­sten Stadt un­ter­ge­bracht sind, die jedoch im an­grenz­enden Land­kreis liegt.

Eine ähnliche Re­gelung gilt auch für deutsche Em­pfänger­Innen von ALG II: die Be­troffenen sind ver­pflichtet an jedem Werk­­tag bei der Ar­beit­s­agentur er­scheinen zu kön­nen. „Ur­laub“, Ab­wesenheit vom Wohn­ort ist auf 21 Tage im Jahr be­schränkt und muss be­­an­tragt wer­den.

Arbeitsverbot

Geduldete und AsylbewerberInnen unterliegen seit dem 1.1.2001 für die Dauer eines Jahres einem generellen Arbeitsverbot.

Arbeitsmarktzugang

Nach einem Jahr Aufenthalt in der BRD haben sie die abstrakte Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, jedoch nur mit einen „nachrangigen Zugang“ zum Arbeitsmarkt. Sie müssen dazu einen Arbeitgeber finden, der ihnen schriftlich bestätigt, sie anstellen zu wollen. Mit dieser Bestätigung müssen sie eine Arbeitserlaubnis beantragen. Doch in der Regel werden diese Jobs, die den Flüchtlingen zugesagt sind, von der Agentur für Arbeit an andere Arbeitssuchende vergeben.

„Nachrangigkeit“

§ 39 des Aufenthaltsgesetzes sieht vor, dass die Bundesagentur für Arbeit einer Beschäftigung nur unter folgenden Voraussetzungen zustimmen darf: Die Beschäftigung darf keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und es darf kein Deutscher bzw. EU-Ausländer mit bevorzugtem Arbeitsmarktzugang zur Verfügung stehen. Des weiteren dürfen die Arbeits­bedingungen nicht ungünstiger sein als bei Beschäftigung vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer. In der Praxis hat dies folgende Konsequenzen: Der Arbeitgeber hat den Nachweis zu erbringen, dass er über einen angemessen Zeitraum versucht hat, die Stelle mit einem be­vorrechtigtem Arbeitnehmer zu besetzen. Wesentlich ist hier vor allem ein Vermittlungsgesuch an das Arbeitsamt, welches auch überregional nach geeigneten Ar­beitnehmern zu suchen hat. Zudem soll geprüft werden, inwieweit die offene Stelle von Arbeitssuchenden mit abweichender Berufsqualifikation besetzbar ist. Die Dauer der Prüffrist wird auf mindestens vier Wochen festgelegt. Und selbst wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Arbeitnehmer keineswegs sicher sein, die Stelle dauerhaft zu behalten, da jede Ver­längerung der Arbeitserlaubnis, sogar beim selben Arbeitgeber, eine erneute Prüfung nach sich zieht.

In einigen Bundesländern existieren zudem sog. „Negativlisten“, welche die Erteilung einer Arbeits­erlaubnis für bestimmte Berufe generell untersagen. Bei diesen geht das Arbeitsamt davon aus, dass die Bewerberzahl der Deutschen bzw. bevorrechtigter Ausländer dauerhaft höher ist als die Zahl der offenen Stellen.

Vom Schafspelz zur Schlachtplatte

Militärflughafen Halle/Leipzig

Ostern 2007 in Leipzig. Einige dut­zend In­teressierte hatten sich bei einem Work­shop des Bundeskongresses Inter­na­tio­na­lis­­mus BUKO30 (1) versam­melt, als Conor C. Fotos von gewöhn­lichen Pas­sagier­­flug­zeu­gen an die Wand proji­zierte. „Is it a civil or military one?“(„Ist es ein Ziviles oder Mili­tä­risches?“) Wer die Frage des irischen Kriegs­­gegners richtig beant­worten konnte, be­kam einen Button mit schwar­zem Klee­blatt, dem Symbol der irischen Friedens­bewegung (2). Mit dem Quiz wurde eine bisherige Annahme umgestoßen. Denn genau so wenig, wie alle Soldaten sind, die Cargo-Hosen tragen, ist alles zivil, was in reinem Weiß erstrahlt. Egal, ob Bundes­wehr oder US-Armee, die Militärs möch­ten sparen und sich bequem in zivilem Anschein bewegen.

Im Rahmen der Zusammenarbeit von staatlichen Institu­tionen und privat­wirtschaftlichen Unter­neh­men (Public Private Part­ner­ships) beauftragen sie vermehrt private Flugli­nien, um Truppen und Waffen zu transpor­tieren. Das spüren seit der Mobilisierung zum Irak-Krieg unter anderem die Men­schen im west­irischen Shannon. Über diesen Flughafen sind zehntausende US-amerikanische Soldaten geschleust wor­den. Bürger durchschauten die Kriegs­unter­stützung, die durch ihr verfassungs­mäßig militärisch neutrales Land in augen­scheinlichen Zivilmaschinen getätigt wur­de. Wider­stand formierte sich und gipfelte darin, dass die Aktivisten in direkten Ak­tio­nen auf das Flug­hafen­gelände und in Hangars eindrangen, um dort Flugzeuge mit Farbe, Äxten und Steinen flugunfähig zu machen. Drei US-amerikanische Flug­ge­sell­schaf­ten, die für das Pentagon als Militär­dienstleister tätig waren, zogen sich darauf hin aus Shannon zurück.

Nicht ohne Grund kamen die irischen Kriegsgegner nach Leipzig. Die Aktions­gemeinschaft „Flughafen natofrei!“ hatte sie eingeladen, von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie versteht sich als offenes Netzwerk aus Einzelpersonen, Vereinen und Organisationen, das sich gegen die militärische Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle wendet. Denn auch hier, wo der ein oder andere in den Urlaub startet, ge­schieht, was anderen oft Leid und Tod bringt. „Der zum Kriegs­dreh­kreuz aus­gebaute Flug­hafen ist bereits jetzt das bedeutendste deutsche Logistikzentrum für Ge­walt­operationen der USA und der NATO“, resümiert das Nach­rich­ten­portal german-foreign-policy (3).

Doch was geschieht im Detail?

Der Flughafen wurde als ziviler Flughafen ausgebaut. Verwendet wurden dabei fast 1,3 Milliarden Euro öffentliche Förder­mittel, darunter auch Steuergelder der Bürger.

Seit März 2006 sind aber am Flughafen zwei Groß­raum­flugzeuge vom Typ Anto­nov 124-100 sta­tio­niert, sie wur­­den feierlich von Bun­­des­ver­tei­di­gungsminister Jung begrüßt. Im Sep­tember 2007 stehen be­reits 6 dieser Ma­schinen auf dem Flug­ha­fen­gelände. Diese „fliegenden Güter­züge“ wer­den vom Un­­ter­nehmen Ruslan SALIS GmbH angeboten, das der rus­sischen Volga-Dnepr-Gruppe angehört. Über den SALIS-Vertrag (4) zwischen der Flug­ge­sell­­schaft und der NATO-Agentur NAMSA (5) soll kosteneffektive Logistik­unterstützung ermöglicht werden. Ver­traglich sind die Transportflugzeuge für militärische und humanitäre Zwecke mietbar und fliegen anschließend zu den Verladeflughäfen oder werden in Leipzig/Halle beladen. Sie transportieren alles von Trinkwasser bis zu Panzern, Hub­schrau­bern und anderen schwersten Waffen – bis zu einer Ge­samtlast von 120t. Die BRD hat 2006 ihr jährliches Kontingent von 750 bezahlten Flugstunden ausgeschöpft. Allein durch die deutsche Nutzung spannt sich ein Netz von Zielländern über den halben Globus: Südafrika, Norwegen, Pakistan, Afghanis­tan, Tadschikistan, Gabun, Demokratische Republik Kongo, Kap Verde, Djibouti und Zypern. Über den SALIS-Vertrag im Rahmen der NATO hinaus können zudem bei multinationalen EU-Operationen bis zu vier Antonovs angefordert werden. Von Seiten der Militärdienstleister ist geplant, in den kommenden Jahren bis zu 10 weitere Antonovs neuen Typs in den Dienst der NATO zu stellen, die jeweils 165t tragen können. Mit diesem Ausblick wird sich die Rolle des Flughafens als militärisches Logistikdrehkreuz ver­festigen, denn hier wurde eigens eine Wartungshalle für die Großraumtransporter errichtet. Außerdem möchten EU und NATO zukünftig flink global einsatzfähig sein und bauen dazu „Schnelle Eingreiftruppen“ (battlegroups) auf, die wiederum auf „strategische Lufttransportkapazitäten für die Streit­kräfte“ angewiesen sind.

Neben dieser militärischen Nutzung auf privatrechtlicher Grundlage landen auch Truppen des US-Militärs zwischen. Nach Angaben der Flughafengesellschaft wurden im Jahr 2006 etwa 240.000 US-Soldaten in Kriegsgebiete und zurück transportiert. Die Tendenz ist steigend, denn allein im Zeitraum Juli 2006 bis einschließlich März 2007 sind von den amerikanischen Fluggesellschaften World Airways und North American Airways insgesamt 2050 Flugbewegungen auf dem Flughafen Leipzig/Halle durchgeführt worden. Das entspricht bei 400 Sitzplätzen in den üblichen MD-11-Maschinen bereits 820.000 Soldaten. Mit den lokalen Truppenschleusungen wird die BRD noch mehr zum Rückgrat der US-Kriegspolitik, als sie durch US-Militärbasen (Ramstein, Grafenwoehr, etc.) und andere Um­schlagplätze wie Frankfurt-Hahn schon ist. Auch wenn angeblich zivile Flugzeuge zum Einsatz kommen, die Deutsche Flug­sicherung geht von militärischen Flügen über Leipzig/Halle aus.

Die AG „Flughafen natofrei!“ konnte bei Flug­hafenwachen feststellen, dass ein Ab­fer­tigungsgebäude (Terminal A) aus­schließlich für die US-Soldaten ausgebaut und benutzt wird. Diese Beobachtung ver­dichtet die Kritik auf juristischer Ebene, denn Militärflüge und Ver­sorgungs­auf­enthalt der Truppen am Boden kommen einer Stationierung gleich. Doch durch den so genannten „2+4-Vertrag“ ist es verboten, auf dem Gebiet der neuen Bundesländer ausländische Truppen zu stationieren oder dorthin zu verlegen. In einer Bundes­tags­an­frage (Drucksache 16/4343) windet sich die Regierung mit dem Hinweis auf den Vertragstext heraus, „dass Fragen in Bezug auf die Anwendung des Wortes ‚verlegt’ […] von der Bundes­regierung in einer ‚vernünftigen und ver­ant­wor­tungs­be­wussten Weise’ ent­schieden werden“. Ohnehin, was stellen Truppen- und Waffentransporte anderes dar als Beihilfe zum Krieg? So rügte das Bundes­ver­waltungsgericht: „Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt“ (Irak-Krieg) sei „selber ein völkerrechtswidriges Delikt“.

Hände auf, Augen zu

Was sagt eigentlich Flughafen­ge­schäfts­führer Eric Malitzke zur Behauptung, der Flughafen würde militärisch genutzt? Das sei „völlig absurd“. Wenn bereits durch die vom Pentagon bezahlten Privatairlines ca. 11 Millionen Euro Einnahmen monatlich in die Kassen gespielt werden, verdrängt man gern unangenehme Aspekte. Nun erhält der mit 33 Jahren „jüngste Flug­hafenchef Deutschlands“ den ersten „Leipziger Völker-Schlacht-Preis“ des Vereins Friedensweg e.V. Aus der Be­gründung: „Herr Malitzke erhält den Preis, weil er sich im vergangenen Jahr mit großem Einsatz der Ermöglichung eines weltweiten Völker­schlachtens verschrieb. Über den Flughafen Leipzig/Halle werden amerikanische Soldaten und Kriegsgerät in den Irak und nach Afghanistan trans­portiert. Diese Maßnahme dient nicht nur der Ver­besserung der Geschäftsbilanz, sondern auch der Erhöhung der offiziellen Flug­gast­zahlen des Flughafens. Herr Malitzke be­weist damit eindrucksvoll, wie sich Wirt­schafts­aufschwung in Deutsch­land und das Lei­den ausländischer und deut­scher Kriegsopfer gewinnträchtig verbin­den lassen. Der Völker-Schlacht-Preis wird in Form einer Schlachteplatte verliehen und besteht aus durchweg sym­bol­träch­tigen Begleiterscheinungen kriegerischer Auseinandersetzungen: Hack­fleisch, Blutwurst und Gekröse.“

Symbolträchtiges Flughafenfest 2007

Inzwischen zeigt nämlich der Flughafen ganz offen und scheinbar selbstverständlich seine zunehmend militärische Aus­rich­tung. So konnten am 7./8. Juli Eltern und Kin­der Tornado-Kampfjet und AWACS-Auf­klärungsflieger technikbegeistert be­staunen – bis sich der Tornado blutrot färb­te [siehe Foto]. Indem sie Ket­chup auf das Kriegs­gerät spritzten, wollten die Akti­visten der AG „Flughafen natofrei!“ darauf auf­merksam machen, dass mit Hilfe der­ar­tiger Maschinen Menschen getötet wer­den.

Hinter dem konkret verursachten Leid steht die Logik des Militärischen – die Logik des Sieges und des Besiegens. „In dieser Logik erklären die Mächtigen der Welt andere Menschen zu Feinden. Sie nehmen die Tötung anderer Men­schen für ihre Interessen billigend in Kauf. Mili­tä­rische Logik ist die Logik des Über­wältigens und des Todes.“ So steht es in der Schkeuditzer Erklärung (6), die zum diesjährigen Ostermarsch am Flughafen verlesen wurde. Gegenübergestellt ist die Logik des Friedens, sie „ist die Logik zivilgesellschaftlicher Lösungen. Die Logik des Friedens ist lebensbejahend und lässt neues Leben entstehen, sie geht Kon­flik­te mit aller Kraft und allem Mut an.“

Ein Schritt vom Militärischen weg wird mit so genannten Konversions-Projekten gegangen. Hierbei werden mi­li­tärisch ge­bun­dene Ressourcen zi­vil um­genutzt. Pers­pek­tive für die lo­kale Ent­wick­lung könn­­te es in die­sem Sinne sein, ein hu­ma­ni­täres Zentrum auf­­zu­bauen und dazu kon­kret das ehemalige Mi­li­tär­kran­kenhaus Wie­­deritzsch zur Be­hand­lung von zivilen Kriegs­opfern zu nutzen.

Dies ist sicherlich nur ein Ansatz, der aller­dings verdeutlichen kann: Da wo Men­schen den Blick unter das Schafs­­fell wagen und das System Militär mit seiner hierar­chischen Struktur, gedankenloser Befehls­aus­übung, De­individualisierung und destruktiver Logik ablehnen, muss nicht Hilflosigkeit Raum einnehmen. Die Kritik kann Nährboden sein, auf dem lebens­bejahende Alter­na­tiven sprießen.

(horst-wilfried)

 

Unter www.flughafen-natofrei.de/ gibt es Informationen und Fotos zu den Aktionen der AG „Flughafen natofrei!“.

 

(1) Bundeskongress Internationalismus im Internet unter www.buko.info/

(2) Die Black-Shamrock-Kampagne unter blackshamrock.org/

(3) www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56912

(4) SALIS steht für „Strategic Air Lift Interim Solution“

(5) NAMSA („NATO Maintenance and Supply Agency“) ist eine logistische Dienst­leistungsorganisation

(6) Erklärung der AG „Flughafen natofrei!“ und von Besuchern des BUKO30 www.flughafen-natofrei.de/Dokumente/SchkeuditzerErklaerung.pdf