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Jukss: Klappe die 14te

Eine neue Welt mit Geburtsschwierigkeiten

Da war es wieder soweit, zwischen dem 23.12. und dem 6.1. wechselte nicht nur wie üblich das Jahr, auch der Jugendumweltkongress oder auch „Jukss“ öffnete seine Pforten für an die 400 Jugendliche und Junggebliebene. Diesmal an einer Schule in ei­ner Plattenbausiedlung in Königs-Wusterhausen in Brandenburg.

Der Trend der letzten Jahre setzte sich fort: das Thema Umwelt muß sich die Plätze mit Selbstorganisation, Bildungskritik, Ge­schlechterrollen, Beziehungsweisen und eher praktischer Betätigung, wie Jonglierbälle bauen oder Yoga und Massagetechniken teilen. Dazu kommen Themen wie G8, gewaltfreie Kommunikation und Ve­ga­nis­mus/Antispeziesismus und Treffen der „Travelling School of Life“ und „Alternativ-Unis“. Auch die Aktion gegen die Verdrängung der Indi­genas in Französisch-Guyana soll nicht unerwähnt bleiben.

Die Organisationsform war ähnlich wie beim 13. Kongress in Bielefeld im Jahr davor: es gab kein tägliches Plenum, es gab eigentlich gar keine Vollversammlungen. Dahingehend kann der Jukss als praktisches Experimentierfeld für Selbstorganisation verstanden werden. Eine große Bedeutung fällt hier den Info- und Orgawänden zu und den Mitmachgruppen, die sich um bestimmte Auf­gaben­bereiche, wie Kochen und Empfang, kümmern. Und hier kommen die Haken: die Zettelwände waren recht unübersichtlich positioniert und erschlugen einen in ihrer Fülle als Neuankömmling geradezu. Mensch brauchte mindestens zwei Tage um sich da hineinzufinden. Und zweiter Haken: die Mitmachgruppen sind mangels Beteiligung zu Beginn, als noch recht wenige Leute da waren, gar nicht richtig ins Rollen gekommen. Ohne funktionierende Infogruppe konnten wiederum neue BesucherInnen nicht in die Struktur eingebunden werden. Alles hing nun am spontanen Engagement, an der Bereitschaft, bei Bedarf einzuspringen und dem Know How der Erfahreneren unter den „Jukssis“. Und zum dritten waren für Menschen, die nicht so gut mit großen Menschenmengen umgehen konnten, eher zu wenig Rückzugsräume vorhanden, zu wenig Entspannungsmöglichkeiten, zu viel deprimierendes Schulflair.

Wichtig war zudem die Frage: „Der Jukss ein Kuschelkongress?“ Nun, das entschieden schlußendlich die Teilnehmenden selbst, aber womöglich fehlte eine Reflektionsbasis für diesen offeneren Umgang mit körperlicher Nähe, der viele im Regen stehen ließ, die ihre Bedürfnisse nicht so gut kommunizieren konnten, sei es das „Nein – ich möchte jetzt nicht mit Dir kuscheln!“ oder das „Ja – magst Du mich in den Arm nehmen?“. Diese öffentliche Thematisierung mag für die Eine oder Andere befremdlich klingen, aber es handelt sich um grundlegende und tabuisierte zwischenmenschliche Fragen, die mit der traditionellen Paarbeziehung klar gelöst schienen, aber angesichts ihrer starren Form wieder aufgerollt werden.

Viele Probleme wurden während diverser reflektierender Workshops erkannt und es wurden Methoden entwickelt, wie mit ihnen umzugehen sei. So zum Beispiel die Einrichtung von Räumen für zwischenmenschliche Beziehungs- und Kommunikationsfragen, die Einrichtung von festen Orgaräumen für die Mitmachgruppen, eigene konkurrenzlose Zeiten für deren und ähnlich wichtige Treffen, oder eine Plattform für Leute, die auch nach dem Jukss nicht in den Alltag abtauchen wollen oder können. Damit sich die Selbstorganisation beim nächsten Mal noch besser zum Wohle inhaltlicher Debatten, praktischer Aktionen, sozialer Netze und des Befindens aller TeilnehmerInnen entfalten kann, braucht es denn nur noch genug Leute, die diese Ideen auch in die Tat umsetzen. Denn hat jemand behauptet, die Geburt einer neuen Welt würde schnell und ohne Schwierigkeiten ablaufen?

cignonero

(Mehr Infos auf www.jukss.de)

Uebrigens

Editorial FA! #25

Wer macht heutzutage überhaupt noch eine Zeitung? Wo es doch Blogs, Pod­cast, space nations, skype und irc/icq, thema­tische Internetportale und -foren und dergleichen mehr gibt. Und wer liest schon so ein Blättchen aus der hin­ters­ten Nische wie den Feierabend!, der in seiner unregel­mäßigen Erscheinung meist nur zu­fällig in die Hände fällt? – Nun offensichtlich gehörst du zu den Wenigen und hast sogar umgeblättert. Demnach hat dich wahrscheinlich unser rätselhaftes Titelbild neugierig gemacht und du fragst dich jetzt, „_ _ _ _ _ _ _ _ _ _? Wogegen denn?“.

Na z.B. gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Kontakte und Mög­lich­keiten zum andocken gibt es auf Seite 12. Protestvernetzung und vieles mehr wird Anfang April schon auf dem BUKO Thema sein. (Seite 9) Doch Bewegung und Vernetzung ist nicht alles. Das Wofür/Wogegen bleibt die wichtigste Frage. Zentral in der kri­tischen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System bleibt dabei Über­wachung (Seite 3), Ab­schiebe­praxis in Ma­rokko (Seite 20f) oder Militarismus welt­weit (Seite 7) sowie direkt vor der Haus­tür (Seite 8).

Vor unserer Haustür ist auch Horst (dem neuesten rattigen FA!-Helfer) unsre treue FA!-Begleiterin Resi ab­handen ge­kommen. Man munkelt ja sie sei in Ber­lin abgetaucht… ab­getaucht und auf­bewahrt wird der Feierabend! übrigens in 3 Archiven. Anstatt einer Ver­kaufs­stelle des Monats wollen wir denen dies­mal danken.

Eure Feierabend!-Redaktion

MAKING TROUBLE IN LEIPZIG

In Sachen Video­über­wachung hat Leip­­­zig eine Vor­reiterrolle. Im Ap­ril 1996 wur­­­­­­de hier die erste Po­li­zei­kamera zur dauer­­haf­­­ten Über­­­­wachung öffent­­licher Plät­­­ze in Betrieb ge­­nommen. Dass sich dieses Datum im letz­ten Jahr zum zehn­ten Mal jährte, hat sich die 2003 gegründete Gruppe Leipziger Kamera – Initiative gegen Über­wachung und Kon­­trolle zum Anlass für ihre Kampagne „10 Jah­re sind genug!“ ge­nommen. Eine gut be­suchte dreitägige Film- und Vortragsreihe un­ter dem Titel „[Del]+[Ctrl]“ Ende März letz­ten Jahres bildete den Auftakt der Kam­pagne. Seitdem hat die Leipziger Kamera mit The­­ater­performances im städtischen Raum nach dem Vorbild der New Yorker Sur­veillance Camera Players auf sich aufmerk­sam gemacht (siehe dazu FA! #24). Anfang De­zember letzten Jahres fand ein weiterer Ak­tionstag statt.

Zur Unterstützung und als Ideengeber hatte die Leipziger Kamera sich die Space Hijackers aus London eingeladen. Das Anliegen dieser 1999 gegründeten Gruppe von „Anar­chitekten“, Aktions­künst­lerInnen und Polit­aktivistInnen ist nach eigener Aussage, „die Hie­rarchie zwischen Besitzern und Nutzern des öffentlichen Raumes in Frage zu stellen“. Die­sem folgen sie mit Aktionen wie dem sog. „guerilla benching“. Auf einen Beschluss der Londoner Stadtverwaltung, Sitzbänke zu demontieren, da sonst damit nur Ob­dachlose und andere Randgruppen zum „He­rumlungern“ ermutigt würden, reagier­ten die Space Hijackers indem sie selbst Bänke in der Londoner Innenstadt auf­stellten.

Die Auftaktveranstaltung zu den Aktions­tagen fand am 1. Dezember in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) statt. Es standen zwei Vorträge der beiden Space Hi­jack­ers Sam und Robin auf dem Programm, wo­von einer sich mit Protest und Über­wachung im öffentlichen Raum befass­te, wäh­rend der andere speziell auf die Aktivi­täten der Space Hijackers einging. Mit etwa 60 Leuten war die Veranstaltung gut besucht, in­so­fern schien dem Gelingen des folgenden Ak­tionstages nichts im Weg zu stehen.

Am darauffolgenden Tag versammelten sich ca. 50 Leute vor der GfZK. Nachdem alle die mitgebrachten Papier-Mülltüten mit Hil­fe von Schere und Filzstiften zu prak­ti­schen „Überwachungskamera-Schutzhel­men“ umfunktioniert und sich über den Kopf ge­stülpt hatten, ging es im Pulk in Richtung In­nenstadt und Haupt­bahn­­hof. Auf dem Weg dahin wurden über­­wachte und nicht überwachte Be­reiche mit kleinen Pappkärt­chen markiert, um den BürgerInnen anzuzeigen, wo sie sich – dank Videoüberwachung – sicher be­wegen könn­ten und wo nicht. Viele Orte, an de­nen man sich unsicher fühlen müsste, gab es in der flächendeckend überwachten Leip­­ziger Innenstadt freilich nicht. Die Re­ak­tionen der PassantInnen auf das Schau­spiel reichten von ver­ständ­nis­losem Kopf­schüt­teln und offener Ab­lehnung bis hin zu Er­heiterung, Sym­pathie und glatter Be­geis­­terung.

Vor dem Hauptbahnhof sollte dann eine, von den Space Hijackers kryptisch „Love vs. Hate – Let the eye in the sky decide this age old battle“ betitelte Aktion statt­fin­den (zu deutsch: „Liebe gegen Hass – Lasst das Auge im Himmel diese jahr­tau­sen­de­alte Schlacht entscheiden“). Dafür teilten sich die An­wesenden in zwei Grup­pen, von denen eine den „Hass“, die an­dere die „Liebe“ repräsen­tierte. Durch ent­sprechen­des Verhalten – Pöbeln, Schubsen und simulierte Prügeleien auf der einen, Umarmen und sonstige lie­bevolle Gesten auf der anderen Seite – wurde nun ver­sucht, die Aufmerk­samkeit der über dem Ein­gang zur Westhalle des Bahnhofs hän­gen­den Polizeikamera auf sich zu ziehen. Trotz des großen Einsatzes aller Beteiligten schei­­terte dies jedoch, da die Ka­me­ra ge­rade im Automa­tikbetrieb lief und es wohl kein Po­­li­zeibeamter für nötig hielt, das teil­weise tu­multartige Geschehen auf dem Bahn­hofs­vorplatz näher ins Auge zu fassen. Immerhin, auch das ist ein Ergebnis: Falls man tat­sächlich einmal im Blickfeld einer Po­lizei­kamera zusammengeschlagen wür­de, könnte man vermutlich nicht mit schneller Hilfe der Po­­li­zei rechnen. So wur­de die Aktion nach zehn Minuten ab­ge­brochen, die restlichen „Über­wachungs­ka­mera-Schutzhelme“ und Flug­blätter an die Passanten verteilt und anschließend noch das Innere des Haupt­bahn­hofs be­sichtigt.

Abends fand man sich wieder in der GfZK zu­­sammen. Diesmal war neben einem wei­teren Vortrag von Space Hijacker Carl noch ei­­ne Performance der New York Surveil­lance Ca­mera Players angekündigt, die diese zur Un­terstützung der Kampagne vor einer Webcam am New Yorker Times Square aufführen woll­ten. Diese begann auch pünktlich, innerhalb von zwanzig Mi­nuten führten die New Yorker ei­nige ihrer camera plays auf – kleine Theater­stücke mit Hilfe großer beschrifteter Papp­tafeln. Das alles konnte in der GfzK via In­­ter­net live verfolgt werden. Mit dem Vor­­trag von Carl, der sich dem Thema Video­­überwachung und Privat­sphäre u.a. von des­sen Auswirkungen auf die moderne Kunst her annäherte, endete der Abend.

justus

leipzigerkamera.twoday.net
www.spacehijackers.co.uk
P.S.: Nicht nur in Leipzig gibt es Probleme mit Überwachung. Auch in der Dresdner Neus­tadt sollen jetzt aufgrund der öfters dort stattfindenden „Riots“ Über­wach­ungs­­kameras der Polizei installiert werden. Dagegen hat sich mittlerweile ein Bündnis von linken Gruppen gebildet. Näheres zum Stand der Dinge, Aktionen usw. gibt es unter neustadtwiki.sytes.net.

Lokales

Mit der Säge am eigenen Stuhl

VolkshausVerkauf

„Gewerkschaftsarbeit braucht keine lokal aktive Basis“, scheint die Erkenntnis des DGB zu sein. Anders ließe es sich nicht erklären, dass neun Gewerkschaftshäuser, vorwiegend aus dem Osten, im Dezember 2006 vom DGB-Vorstand verkauft wurden. Ver­kauft an Cerberus, einem US-ameri­ka­­nischen Finanz­fond­unter­nehmen, dem es aus­schließlich um den profi­tab­­len Weiter­verkauf der Immo­bilie geht. Verkauft an den ka­pitalistischen Feind, der dann ein guter Freund ist, wenn nicht gerade Rede schwingend gegen ihn ge­­wettert wird, weil man ja offiziell noch auf der anderen Seite des Interessen­ge­gen­satzes steht. Dass zu­mindest einige Ar­beit­nehmerInnen sich nun von ihrer Spitze ver­­­raten und ver­kauft füh­len und in Leip­zig dagegen Sturm liefen, spricht für die Ak­ti­vistInnen. Dass es nichts ver­hindert hat, weil es nur wenige Idealisten unter den GewerkschafterInnen gibt, spricht wiederum für eine lange, basis­entfremdete Tra­dition im DGB, die mit dem Volkshaus-Verkauf diese Tendenz noch verstärkt.

Das 1905 entstandene Leipziger Volkshaus ist ein Meilenstein in der Geschichte der Ar­­beiterbewegung. Zwei mal erbauten es die Ar­beiterInnen mit ihrem so genannten „Ar­­bei­tergroschen“ neu, nachdem es 1920 beim Kapp-Putsch (1) und 1945 von einer Bom­be zer­stört wurde. Bis 1990 vom FDGB (2) ge­nutzt, fiel die Immobilie nach der Wiedervereinigung der Treuhand zu und wur­de 1993 zusammen mit acht an­deren ost­deut­schen Gewerk­schafts­häu­sern von der Ge­sell­schaft für Gewerbe­immo­bilien (GGI) ge­kauft, welche bis De­zem­ber noch eine Im­mo­biliensparte der BGAG (3) war und jetzt im Paket mit ins­ge­samt 46 Objekten der In­vest­ment­ge­sell­schaft Cerberus gehört. Der jüng­ste Ver­kauf ist dabei lediglich die Spitze des Eis­ber­ges in der Geschichte des ver­kauf­ten Tafel­silbers der Gewerkschaften (siehe näx­ten Artikel).

Konsequenzen

Das Volkshaus wird heute, neben der gleich­­namigen Kneipe und zahlreicher Büros vor allem als Veranstaltungsort so­wohl von Ge­werk­schaftsaktivistInnen, als auch von an­deren politischen Gruppen ge­nutzt, um In­for­mationsveranstaltungen, Se­mi­nare und Plena durchzuführen. Ins­be­­sondere bei Naziaufmärschen ist das Volks­­haus ein be­liebter Sammelplatz um Rou­ten der Nazis Rich­tung Connewitz zu blockieren. Dies kann sich nun (zumin­dest rechtlich gesehen) schwieriger ge­stal­ten, und auch andere po­li­tische Aktivi­täten, selbst Transpis an den Haus­wänden könnten vom neuen Besitzer unter­bunden wer­den. Auch wenn heute die Nutzungs­mög­lichkeiten von Haus und Hof durch Basis­aktivistInnen nicht ausgeschöpft wer­den, so ist der Verkauf des zentral ge­le­gen­en Ortes ein Tritt in den Arsch all jener, die seit Jahren versuchen für die In­ter­essen der Ausgebeuteten lokal ein­zu­stehen und Gewerkschaftsarbeit von un­ten zu organi­sieren. Doch für die DGB-Spitze scheinbar kein großer Verlust im Ver­gleich zum fi­nan­ziel­len Gewinn, der offi­ziell das durch Mit­gliederrückgang ent­standene Haushaltsloch aus­gleicht. Selbst vor Kündigungs­droh­ungen schrec­kte diese nicht zurück, wenn ge­­werk­schaft­liche Funktionäre sich öffent­lich den Ent­scheidungen des DGBs wider­setzten und gegen die Veräußerung mobil mach­ten. Und auch jene AktivistInnen, die me­dien­wirksam gegen Pri­va­ti­sier­ungen mobi­lisieren, machen sich zu­künf­tig wohl lächerlich wenn sie hinter der Gewerk­schafts­fahne laufen, wo doch selbst das ge­werk­schaftseigene Haus in­zwischen keines mehr ist.

Proteste

Obgleich der Verkauf erst am 18.12.2006 schriftlich besiegelt wurde, war er bereits im September beschlossene Sache, wurde von den Verantwortlichen aber weder kommuniziert, noch mit den Betroffenen in irgendeiner Weise abgestimmt. Die Empör­ung darüber war bei der Leipziger Basis dementsprechend groß, zumal diese über die Leipziger Volkszeitung erst am 21.9. vom geplanten Verkauf erfuhr. Ausgehend von der Gewerkschaftsbasis formierte sich daraufhin zeitnah die Initiative Stoppt den Verkauf der Gewerk­schafts­häuser und rief zu einer symbo­lischen Besetzung des Volkshauses auf. Viele AktivistInnen verbrachten am 26.10. die Nacht in und vor dem Volkshaus und versuchten mit Unter­schriften­sammlungen auf den unhaltbaren Be­schluss aufmerksam zu machen und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, zumal von allen anderen betrof­fenen Städten kein Zeichen des Wider­standes ausging. In einer außer­ordentlichen Delegierten­ver­sammlung und Protest­kundgebung am 15.11. sollten die ver­antwort­lichen Vorstandsmitglieder des DGB und der BGAG Stellung dazu nehmen, allerdings hielten diese es nicht einmal für nötig, überhaupt zu erscheinen. Frei nach dem Motto „kommt ihr nicht zu uns, steigen wir euch aufs Dach“ fuhr daraufhin ein Bus mit rund 50 Gewerkschafts­aktiv­istInnen am 22.11. in die DGB-Zentrale nach Berlin, um ein Gespräch mit dem dafür zuständigen Bundes­vor­stands­mit­glied zu führen. Dieser versuchte die auf­ge­brachten LeipzigerInnen mit dem Ver­sprechen, das Problem im Bundes­vorstand noch einmal zur Sprache zu bringen, zu be­sänf­tigen. Die scheinbar aus Angst extra en­ga­gierte Security begleitete die ‚Reise­gruppe Berlin‘ nach zweistündiger Audienz schluss­end­lich unverrichteter Dinge aus dem Haus. Am 6.12. wurde daraufhin zu einem offenem runden Tisch in Leipzig eingeladen, um wei­tere Aktionen gegen den Verkauf des Leip­ziger Hauses zu planen, wie zum Beispiel die Mahn­wache am 19.12. Dort konnte nur noch traurig Bilanz gezogen werden, denn be­reits am Tag zuvor ging der Besitz an Cer­berus, dem Höllenhund in der griechischen Mythologie, über.

Auch wenn die Chancen auf einen Rückkauf des Volkshauses schlecht stehen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn in diesem Jahr finden die Gewerkschaftstage4 der ver.di und der IG Metall in Leipzig statt. Eine brei­te innergewerkschaftliche Dis­kussion um ei­gene politische Ausrichtung ist notwendig, denn einmal mehr hat sich gezeigt, was sich hin­ter dem rhetorischen Schleier der selbsternannten Kampf­organisation verbirgt. Dass der Ausverkauf von 100 Jahren Arbeitergeschichte und der damit ver­bun­dene Verrat an der eigenen Klasse insgesamt auf so wenig Widerstand stößt, liegt vielleicht aber auch daran, dass außer ein paar Leipzigern kaum jemand mehr so idealistisch ist zu glauben, der DGB agiere gegen das Kapital.

momo

(1) Der von Teilen der Reichswehr durchgeführte Putsch in der Zeit der Weimarer Republik richtete sich insbesondere gegen die politischen Parteien, welche den Versailler Vertrag durchzusetzen versuchten und im Rahmen dessen den Abbau der bewaffneten Kräfte forcierten.
(2) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, zentraler Gewerkschaftsbund der DDR
(3) Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG, Immobilientochterfirma des DBG
(4) Der Gewerkschaftstag ist das höchste beschluss­fassende Gremium der Mitglieds­gewerkschaften und tagt aller 4 Jahre. In der Bundes­jugend­kon­ferenz der IG Metall Jugend (7% der Ge­samt­mit­glieder) wurde bereits im Januar beschlossen, das Volkshaus zurück zu kaufen und dement­sprechend einen Antrag an den Gewerkschaftstag einzureichen.

Lokales

Der Auskauf der „Neuen Heimat“

Dass der aktuelle Verkauf der Gewerkschaftshäuser das bittere Ende einer über 20jährigen Ausverkaufs-Strategie des DGB an Staat und Kapital darstellt, wird deutlich, wenn mensch einen Blick in die Gewerkschafts-Geschichte wirft.

„Wohnungsbaugesellschaften“ sind heute ein Synonym für den Filz von Staat und Privatwirtschaft im kommunalen Bereich und somit Verfalls­pro­dukte des Genossenschafts-Prinzips der sozialistischen Bewegungen. Als liberal inspirierte, eher kleinbürgerliche Idee des 19. Jahrhunderts erreichten sie ihre größte Blüte und dezentrale Vielfalt auf dem deutschen Staatsterritorium zur Zeit der Weimarer Republik zwischen 1918 und 1933. Verantwortlich dafür ist das durch die SPD-Agitation verstärkte Engagement der Gewerkschaften (Zentralisierung im ADGB [Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund]) an den kommunalen Wohnungs-Märkten (Stichwort: „Gemeinwirtschaftlicher Wohnungsbau“). Die Gründung der Gemeinnützigen Klein­woh­nungs­baugesellschaft Groß-Hamburg (GKB) 1926 ist in diesem Prozeß schon eine zentralistische Regression. Den weiteren Entwicklungen machte die faschistische Machtübernahme 1933 ein jähes Ende. Alle Gewerkschaftsunternehmen wurden verstaatlicht bzw. der Deutschen Arbeiterfront (DAF) unterstellt oder verboten, und 1939 landesweit in „Neue Heimat“ (NH) umbenannt. Bittere Ironie des Schicksals: Die von den Faschisten vereinnahmten Wohnungsbaugesell­schaften der Gewerkschaften wurden nach dem Krieg unter die Treuhand gestellt, weil sie in NS-Be­sitz waren und konnten im anschließenden Rechtsstreit nur teilweise zurückgewonnen werden.

Die Köpfe wechselten, der Name blieb. Die ehemalige GKB hieß nun Neue Heimat Hamburg und wurde bereits in den frühen 50er Jahren zum Ausgangspunkt und Motor einer enormen wirtschaftlichen Expansion des DGB, insbesondere auf dem Bau-, Wohnungs- und Finanzmarkt. 1954 beschlossen die obersten Gre­mien die Fusion aller eigenen, lokalen Wohnungsbaugesellschaften in die Neue Heimat mit Sitz in Hamburg. Die Bedeutung für das „Wirschaftswunder BRD“ und die „soziale Marktwirtschaft“ des so zusammen geschweißten Großkonzern stieg stän­dig, Wiederaufbau und Sied­lungsbau weiteten sich bis zum Bau von Universitäten (Göttingen), Krankenhäu­sern, Altenheimen, Kongreßzentren (ICC Berlin), Schwimm­hallen, Schulen und ganzen Altstadtsanierungen (u.a. Hameln) aus. Insbe­sondere die NH-Siedlungen der 60er Jahre sind in vielerlei Hinsicht mit den Neubau- oder Plattenbau-Siedlungen in der ehemaligen DDR vergleichbar.

Entscheidender aber für den weiteren Weg der Neuen Heimat und letztendlich Hauptursache für ihren späteren Niedergang war die Gründung von kommerziellen, nicht gemeinnützigen Tochtergesellschaften: 1962 wurde die Neue Heimat International gegründet, 1964 folgte die Neue Heimat Kommunal. 1969 kam noch die Neue Heimat Städtebau hinzu. Der Gesamtkonzern Neue Heimat erreichte so in den 70er Jahren eine kaum noch durchschaubare, komplizierte Struktur. Die Auslandsbeteiligungen der Neuen Heimat International reichten von Frankreich bis nach Kanada und Mexiko. Wie sich später herausstellte, führten gerade einige dieser Beteiligungen zu den finanziellen Schwierigkeiten, in die der Konzern gegen Ende des Jahrzehnts geriet.

Der Skandal von 1982 wird heute von vielen Historikern als Schlüsselmoment für den einsetzenden wirtschaftlichen Niedergang der zentralen Gewerkschaften in Deutsch­land bewertet. Jahrelange systematische Korruption und persönliche Bereicherung noch am einfachen Mieter und Mitglied fliegen auf. Erschreckend sind vor allen Dingen die internen Verflechtungen von der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) bis zur DGB-Spitze selbst. Der bereits 1982 anlaufende Unternehmensverlust von 700 Millionen D-Mark wächst in den folgenden vier Jahren auf 16 Milliarden D-Mark an. Der kopflose DGB kann diese finan­ziellen Verbindlichkeiten noch nur durch den Ausverkauf der NH decken. Nachdem 1986 der Versuch scheitert, die ganze NH 1 D-Mark (!!!) an den Berliner Bäckerei-Unternehmer Schiesser zu verkaufen, übernimmt die BGAG (Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG) als Holding die stück­weise Abwicklung der Rest­bestände der NH. Ihre Hinterlassenschaft ist gewaltig. Kein anderes deutsches Un­terneh­men hat­te je so viele Wohnungen gebaut wie die Neue Heimat. Ein Großteil der Wohnungsbestände wird, teilweise mit erheblichem Verlust (BGAG-Vorstandsvorsitzender Hans Matthöfer (SPD) spricht bereits 1987 von 3-4 Milliarden D-Mark), an die Wohnungs­bau­ge­sellschaften der Bundesländer verkauft, vieles andere in pri­vat­wirt­schaftliche Hände (teil­weise so­gar per symbolischem Preis) übergeben.

Die Neue Heimat gibt es heute nicht mehr. Jahrelang gab es noch die NH-AG (später HVB-AG). Am 1998 wurde sie mit ihrer Muttergesellschaft BGAG verschmolzen. In Hamburg residiert aktuell noch die Neue Heimat Vermögensverwaltungs- und Betreu­ungs­ge­sell­schaft mbH. Aufgabe des Unternehmens ist die Betreuung der Pensionsansprüche von etwa 2000 ehemaligen Mitarbeitern der Neuen Heimat. Dem ehemaligen Großkonzern ist somit noch ein Grundstück in Bremen-Vegesack verblieben.

Auffällig: Die BGAG-Holding scheint schon seit den 80ern mit dem Verkauf der gewerkschaftlichen Vermögen beschäftigt. Neben der vollständigen Auflösung der Neuen Heimat 1998 ist sie verantwortlich für den Verkauf der BfG (1986/2000), für den gewerkschaftlichen Rückzug aus der Volksfürsorge, für die Anteilsaufgabe an der Direktbank (DiBa) 1998, wie auch für den Verkauf der Allgemeine Wohnungsver­mögens AG (ALLWO) 1996 an den AMB Generali Konzern. Derzeit hat die BGAG-H kaum noch Silber in der Schublade. Neben der BGAG Immobilien Ost GmbH (BIO), deren Tätigkeiten auf Restitutions-Ansprüche hinsichtlich der Enteignungen 1933 bzw. 1990 beschränkt sind, dem Bund Verlag und der ISA Consult verfügt sie aktuell lediglich über eine handvoll Finanzspeku­lationen und kurzfristige Inves­ti­tionsprojekte.

Angesichts dessen erscheint der jüngste Verkauf der Gewerkschaftshäuser durch die BGAG-H noch perfider: Als hätte jemand den ohnehin leeren Besteckkasten noch einmal mit Gewalt aus der Schublade der Geschichte gerissen, um dabei einen letzten, kleinen Silberlöffel zu entdecken. Und anstatt ihn zu putzen, zu pflegen, vielleicht als Andenken, vielleicht als neuen Anfang zu verwahren, hatten die Verantwortlichen des DGB nichts besseres zu tun, als schnellstens zu einem ihrer nächsten Pfandleiher zu laufen, um den kleinen Schatz möglichst unauffällig flüssig zu machen. Fragt sich bloß wofür. Eventuell droht ihnen ja in der eigenen Pensions-Kasse ein kleines Loch, das sich nicht mehr ausreichend durch die Mitgliedsbeiträge der verbliebenen GewerkschafterInnen stopfen lässt!

clov

Viele weitere Informationen über die Geschichte der NH unter:
www.architekturarchiv-web.de/nhkap1.htm
Noch mehr in:
„Die Akte Neue Heimat – Krise und Abwicklung des größten Wohnungsbaukonzerns Europas 1982 – 1998“, hrsg. von Andreas Kunz, Campus, Frankfurt (M.), 2002

Lokales

Einblicke ins Lagerleben

Interview mit Betty Pabst

FA!: Wie kamst Du auf die Idee, die Flücht­lings­­­­heime in Leipzig zu fotografieren?

Betty Pabst: Ich hatte schon zu meiner Zeit in Offenbach zwei verwandte Pro­jek­te: ein­­mal habe ich den Alltag in einem Frau­en­haus fotografiert, und als Vor­diplom­­ar­beit die Situation von blinden und seh­be­hin­der­ten Migranten. Ich hatte den Wunsch, mich mit diesem Thema ex­pli­zit aus­einan­der zu­setzen und habe mich erstmal auf die Suche nach Organisa­tio­nen begeben, die sich mit dem Thema be­schäftigen. Später ha­be ich be­­griffen, dass Aus­schluss, und so­mit auch La­ger als sol­che, unserem Ge­sell­schafts­­sys­tem imma­nent ist, und kein „Aus­rutscher“ oder bloße Reaktion auf eine Not­si­tuation.

FA!: Wie verlief die Kontakt­aufnahme?

BP: Über den Flüchtlingsrat in Leipzig ha­be ich die Sozialarbeiterin in der Rasch­witzer Straße kennen gelernt. Sie hat mir Kon­takt zu Flüchtlingen vermittelt und mich einigen vor­­gestellt. Ich habe erst alles Mög­liche foto­gra­­fiert, später, als ich schon in­tensiveren Kon­­takt zu einzelnen Per­so­nen hatte, durfte ich auch Porträt­auf­nahmen machen. Wir ha­ben auch viel ge­re­det und ich habe zu Fragen des Asyl­rechts in der EU, Lagersysteme und Ab­­schiebe­regelungen gelesen.

FA!: Wie hast Du die Probleme der Migrant­Innen wahrgenommen?

BP: Ein zentrales Problem, in das sie ge­zwungen werden, ist die Isolation. Das, was von ihnen lautstark verlangt wird, die In­te­­gra­tion, wird verhindert, weil ihnen der Kon­takt zu Menschen außerhalb des La­gers so er­schwert wird. Über das Leben der Flücht­linge wird vom Staat verfügt, ein­fache Dinge des Lebens, wie z.B. die Be­wegungsfreiheit und die eigene Ver­sor­gung wird in den Lagern or­ganisiert. So gibt es z.B. die Residenz­pflicht, die besagt, dass Asylsuchende nur nach vorheriger amt­licher Erlaubnis den Ort ihrer Resi­denz­pflicht verlassen dürfen. Der An­trag da­für kostet hierzulande 10 €, bei 40 € Bar­geld im Monat extrem viel. An­trägen, zu Familienmitgliedern ziehen zu dür­fen, wird oft nicht stattgegeben. Die psycho­lo­­gische Belastung der Menschen im Lager schien mir enorm zu sein.

FA!: Die Fotos, welche Du im Kuhturm aus­ge­stellt hast, vermitteln ja vor allem Eindrücke von den geräumten Flüchtlings­heimen. War das von Anfang an so geplant?

BP: Eine Idee war, die Leute an Orten ihrer Zu­­kunftswünsche zu fotografieren. Das wa­ren oft erträumte Arbeitsstellen. Ich woll­te kei­ne falschen Schlüsse zu­lassen, daher ha­be ich diese Idee ver­wor­fen. Auch die Porträts allein schienen mir wenig aus­sage­kräf­tig. Ein wic­h­tiger Teil meiner foto­grafischen Arbeit sind jedoch auch Bilder von Fotos an den Zimmer­wän­den. Diese Por­traits habe ich von den Men­schen ge­macht und einige ha­ben sie sich an die Wand ge­hängt. Diese Or­te ha­be ich fotografiert. Das schien mir eine gute Metapher für den Zwischen­zustand, in den die Leute ge­zwungen werden und der ja oft Jahre an­dauert. Überhaupt habe ich lange gebraucht, um die Situation wir­klich zu begreifen, um sie zu foto­gra­fieren, und ich arbeite weiter daran.

FA!: Was soll dann der Betrachter für Im­pressionen erhalten, wenn er nur die leeren Räume abgelichtet sieht?

BP: Ich möchte keinen Schockeffekt er­zielen, sondern wollte den Zustand des War­­tens, ausharren Müssens festhalten. Ich fand es interessanter, die begrenzten privaten Räume zu zeigen, das Pro­vi­so­rium, in dem kein persönlicher Bezug vor­han­den ist. Die Frage finde ich schwierig, weil die Betrachter ja nicht nur die leeren Räume sehen, son­dern auch die ver­mittel­ten Portraits.

FA!: Ist das Thema nicht viel zu komplex? Kann man das mit einem guten Dutzend Still­leben ausdrücken?

BP: Das ist na­tür­lich schwierig. Worum es mir geht ist, ei­nen Einstieg zu schaffen, um sich eventuell wei­ter mit dem Thema zu be­schäf­tigen. Fo­tos können meiner Meinung nach auf einer sensitiven Ebene ansprechen, Ge­fühle und Irri­ta­tionen auslösen, die im bes­­ten Fall dazu führen, über ein Thema mehr wissen zu wollen. Wie gesagt, arbeite ich wei­ter da­ran und will in Zukunft auch mehr Text ein­fließen lassen, denn Fotos können nicht viel von den Zu­sammen­hängen er­klären. Und ich finde jetzt wich­tig, ganz kon­­­kret zu werden.

FA!: Wer­den den Flüchtlingen grundsätzliche Rech­te ab­ge­sprochen?

BP: Natürlich! Es ist entwürdigend, über­haupt an diesem Ort festgehalten zu wer­den, das Essen eine Woche im Voraus be­stellen zu müssen, videoüberwacht zu wer­den, jede Be­wegung über die Stadt­gren­zen hinaus be­an­tragen zu müssen, keine Ver­fügungsgewalt über die Räum­lich­keiten zu ha­ben. Zum Bei­spiel sind da­durch auch Po­li­zeirazzien ohne Durch­suchungsbefehl mög­lich. In Aus­reise­zen­tren wie etwa Hal­berstadt bleiben den Flücht­lingen noch we­niger Rechte, und um­so mehr wird Druck auf die Menschen aus­­ge­übt, Deutsch­land zu verlassen.

FA!: Hast Du denn ein zufrieden stellendes Feed­­back erhalten?

BP: Einerseits haben sich innerhalb der Aus­­stellung gute Gespräche entwickelt. Je nach­­dem, ob Leute schon vorher mit dem Thema in Berührung gekommen sind, oder so­gar selbst in einem Asyl­be­werberlager waren oder dort gelebt haben, konnten sie in den Fotos mehr sehen, als nur das, was ich ab­ge­bildet habe. Anderer­seits habe ich fest­­ge­stellt, dass ein Raum, der erstmal „Kunst“ ver­spricht, durchaus für viele Leute Hemm­­schwellen bereithält, ihn überhaupt zu be­tre­ten. Es wäre also sinn­voller, dieses Thema im öffentlichen Raum zu platzieren. Ich suche nach Orten, die zwar öffentlich sind, aber eben auch ge­nug Ruhe und Raum bie­ten, um sich auf Bilder und Text einzulassen, nach­zu­denken und zu dis­ku­tieren.

FA!: Wie wird es weitergehen?

BP: Wir, d.h. Eva Winckler, ich [und hoffent­lich noch weitere Autor/innen] ar­bei­ten daran, eine Auswahl an Fotografien und Texten als Buch zu veröffentlichen. Auch um der Komplexität des Themas mehr ge­recht werden zu können. Außer­dem arbeite ich weiter an einem Aus­stellungs­konzept, dass wie schon erwähnt, eher im öffentlichen Raum seinen Platz finden wird.

bonz

Betty Pabst ist 30 Jahre alt, durchlief von 1996 bis 1998 eine Ausbildung zur Fotografin, absolvierte anschließend das Grundstudium in visueller Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und seit Oktober 2004 ihr Hauptstudium in Fotografie an der HGB Leipzig. Von November bis Dezember 2006 stellte sie Fotografien aus den Leipziger Flüchtlingsheimen unter dem Titel „Wartezimmer“ in der Kuhturm-Gallerie aus. www.bettypabst.de

Lokales

Den Finger am Abzug

Kriegsstrategen auf der NATO-Sicherheitskonferenz

Vom 9.-11. Februar 2007 trafen sich Re­gierungs- und WirtschaftsvertreterInnen, hoch­­rang­ige Militärs, vorwiegend aus NATO- (North Atlantic Treaty Organiza­tion) und EU-Mitgliedsländern zur 43. Münch­ner Sicherheitskonferenz (SiKo) (1), um die Sicherheitslage der Welt zu be­sprechen und globale Strategien, z.B. für den Kampf ge­gen den transnationalen Terroris­mus, auszu­han­deln und zu koor­di­nieren. Die Ex­klusi­vi­tät dieser Ver­an­stal­tung wird in der Ein­la­dungs­politik deut­lich: Der Bundes­tags­frak­tion DIE LINKE. wurde trotz mehrmaliger An­frage eine Einladung ver­weigert.

Diese Praxis kor­res­pondiert auch mit dem re­pressiven Vor­gehen der Polizei gegen die Geg­nerInnen der Kriegs­politik. Der seit 1999 verpflichtete Veranstalter Horst Telt­schik (2), for­mulierte das in einem Radio­in­ter­view so: „Es ist die Tragik jeder Demo­kratie, dass bei uns jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf […]. In Dik­taturen würde so etwas nicht pas­sieren“. 2002 wurden solche fast „dik­ta­to­rischen“ Zu­stände tatsächlich her­ge­stellt, indem das Kreis­ver­wal­tungs­referat auf Bitte der Polizei über die gan­ze Stadt ein totales De­mons­trations- und Ver­sammlungsverbot ver­hängt hatte.

Die 43. Konferenz wurde von der Bundes­re­­gierung mit 323.000 Euro un­ter­stützt und durch 3500 Polizeibe­amt­Innen aus Bayern, Baden-Württem­berg und Hessen, die Bundespolizei, sowie einige hundert An­­ge­hör­ige der Bun­des­wehr abgesichert. Die Kos­ten der Bun­des­wehr für diesen Ein­satz be­tru­gen über eine halbe Million Eu­ro. Mutet es nicht absurd an, dass der Ein­satz von Mi­litär im Landesinnern nötig ist, um ab­zu­sichern, dass die ca. 250 Teil­nehmen­den sich als ‚Ret­ter der Welt‘ Me­daillen für Frieden durch Dia­log ver­leihen können.

Die Agenda der SiKo liest sich wie die Schreckensnachrichten von morgen. 1999 wur­­den hier die Weichen für den Krieg gegen Ju­gos­lawien gestellt, in den die BRD erstmals seit 1945 wieder mit Waffe und Soldat im Aus­­land verwickelt war. Seit 2002 wird die glo­­bale strategische Gemeinschaft der Koalition der Wil­ligen für den Krieg gegen den Terror mo­­bi­lisiert, der ein Jahr später trotz fehl­en­den Man­dats des UN-Sicherheitsrats als Prä­ventivkrieg (3) auf den Irak geführt wurde.

In diesem Jahr lag der Fokus auf der mi­li­tä­rischen Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens. Der Konflikt um das iranische Atomprogramm, von dem eine Ge­fahr für die gesamte westliche Welt aus­gehen soll, liefert schon jetzt Argumente, die später viel­leicht auch einen Präventiv­schlag gegen den Iran rechtfertigen könnten. Da die SiKo nicht ohne Grund von ihren GegnerInnen NATO-Sicher­heitskonferenz genannt wird, ist ein großes Thema die künftige Rolle der NATO und der einzelnen Mit­glieds­staaten. Die bis­her geführten Präventiv­kriege oder auch hu­manitären Interventionen zeigen, „dass sich die NATO im Laufe der 90er von einer Verteidigungsarmee in eine global agieren­de Kriegstruppe ver­wandelte, […] und nun immer stärker in Richtung einer welt­weiten Besatzungstruppe um­struk­turiert wird.“ (4)

Protest und Repression

Seit etwa 5 Jahren wird durch die Frie­dens­­be­­wegung und globalisierungs­kri­tische Grup­pen Protest gegen diese Konferenz und ihre militärische Aus­richtung organi­siert. Am Freitagabend gab es eine Kundgebung mit circa 300 Teil­nehmer­Innen und einen et­wa 200 RadlerInnen umfassenden Fahrradkorso durch die Innenstadt. Zur Groß­demons­tra­tion „Ge­gen die NATO-Kriegstagung – Gegen Folter, Krieg und Besatzung – Gegen Rassismus und NAZI-Propaganda“ ka­men am Samstag mehr­ere tausend Men­schen auf den Marien­platz. In Berichten von Teil­­nehmer­Innen wird die Stimmung als friedlich bezeichnet, trotz vermehrter Polizeischikane auf der De­mons­tration und im Vorfeld. So musste mensch z.B. durch eine Sperrgitterschleuse und sich abfilmen lassen, um auf den Platz zu gelangen. Der bayrische Landesverband der Piratenpartei reagierte darauf seinerseits mit einer Über­wachung des Staates: Polizisten wurden fotografiert und die Sicht der Polizeikameras blockiert.

Schon im Vorfeld gab es Ein­schüchterungs­ver­suche und Schikanen durch die Polizist­Innen. Bereits am 17. Januar führten Polizei und Staatsschutz in 8 Münchner Objekten Haus­durchsuchungen durch. Der Bus des Ber­liner Anti G8 Bündnisses wurde ebenso wie­ der Bus aus Tübingen noch vor München auf der Autobahn raus gezogen, um Leibes­vi­si­tationen und Identitäts­fest­stellungen durch­zuführen. Dabei wurden je­weils eine Handvoll Leute festgenommen aus Grün­den, wie der Mitführung einer Waffe (Ves­per­messer in einer Brotbüchse der Lan­­des­sprecherin der Linkspartei in Baden-Würt­temberg Elke Lison) oder Pas­siv­be­waff­nung (eine Armbandage). Die Be­troffenen wurden dabei weit über die zu­lässige Zeit in der Zelle behalten und so da­ran gehindert, an der Demonstration teil­zu­­nehmen.

Die Proteste stehen in einem breiteren Kon­text. Wer gegen Kriegstreiberei auf die Straße geht, spricht sich auch gegen die öko­no­mischen Be­ding­ungen dieser Kriege aus. Fol­ter, Entrechtung, So­zial­abbau, Land­ver­trei­bung und Krimi­nalisierung Anders­denken­der sind dabei nur Symptome einer per­fiden, auf Macht- und Kapitalgewinn aus­ge­richteten Politik. München steht damit in untrennbarem Zusammenhang mit Davos, dem Ver­an­staltungsort des WEF (Welt­wirtschafts­forum), wogegen jedes Jahr wie­der Proteste organisiert werden und nicht zu vergessen mit dem G8 Gipfel­treffen, vom 6. – 8. Juni in Heiligen­damm (siehe S. 12).

wanst

(1) Seit Ende des Kalten Krieges so, von GegnerInnenn auch Nato-Sicherheitskonferenz oder Kriegskonferenz genannt, ist sie die Fortsetzung der 1962 gegründeten Wehrkundetagung.
(2) Horst Teltschik – ehemaliger außen- & sicherheitspolitischer Berater Helmut Kohls, Vorstandsvorsitzender der Herbert-Quandt-Stiftung von BMW und Präsident der deutschen Niederlassung des US-Rüstungskonzern Boeing.
(3) „Der Präventivkrieg ist ein Krieg, den der die erste Kriegshandlung vornehmende Staat unter Berufung darauf eröffnet, daß er dem Kriegsbeginn durch den gegen ihn rüstenden Gegner zuvorkommen müsse, bevor dieser ein Übergewicht erlangt habe. Der Präventivkrieg ist, wenn er nicht einem unmittelbar drohenden Angriff als Verteidigung begegnet, ein verbotener Angriffskrieg.“ (Brockhaus)
(4) Jürgen Wagner, IMI-Analyse 2007/003, www.imi-online.de/download/JW-SiKo2.pdf).

Antimilitarismus

Und der Goldfisch, der hat Zähne

Von Räumung und Abriss bedroht, denkt im Projekt Gieszer 16 momentan keine/r viel ans Feiern des 9. Jubiläumsfestival Ende April. Die Stadt Leipzig und speziell das Liegenschaftsamt halten ein selbstor­ga­ni­siert, unkommerziell und ohne Fördermittel auszukommenden gemeinnützigen Verein nicht gerade für unterstützenswert. Denn be­­reits letztes Jahr wurde der G16 das Vor­verkaufsrecht entzogen und in anbe­tracht zusätzlicher Jahreskosten, der Tendenz des verstärkten Ausverkaufs von Grund­stücken und Häusern – nicht nur in Plagwitz – sowie der fehlenden Gesprächsbereitschaft der Behörden wird die Situation bedrohlich.

Als beliebter Treffpunkt, Projekt- und Veranstaltungsort ist die G16 überlokal bekannt, zieht jährlich tausende Besucher­Innen an und lässt Nazis keinen Raum. Klar, dass nach Investitionen im Vorfeld zur WM, Sicherheit durch Überwachung und Image­projekt Citytunnel die Kassen leer sind.

Die Rechnung ist ohne den Wirt gemacht. Um einen Verkauf auf dem freien Markt zu verhindern, haben sich mehrere Gruppen gebildet, um den Fortbestand der G16 und die damit verbunden alternativen und kreativen Projekte des Vereins zu sichern. Durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit soll eine breite Unterstützung mobilisiert werden, um auch laut genug für städtische Ohren klar zustellen, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann.

droff

Kommentar

“FREIe HEIDe“ gegen Kriegsspiele

Im nahe Wittstock gelegenen „Bombo­drom“ in der Kyritz-Ruppiner Heide will die Bundeswehr Luft- und Boden­kriege, das Fernsteuern von Raketen und Tor­nado­flüge trainieren. Dagegen or­ganisiert die FREIeHEIDe seit 1992 breiten gewaltfreien Widerstand in der Region. Da die Möglichkeiten der juristischen Verhinderung schnell erschöpft sind, wurde die Kampagne „Bomben nein – wir gehen rein!“ als Teil des „Zivilen Un­gehorsams“ entwickelt. Mit Beginn der Inbetriebnahme soll durch eine permanente Präsenz von Aktions­gruppen auf dem Gelände der Betrieb nachhaltig gestört werden.

An 200 Tagen im Jahr ist hier das Üben von Bombenabwürfen geplant. „Bomben nein – wir gehen rein!“ bedeutet, den eigenen Körper als Mittel des Wider­stands gegen die Tötungs­ma­schinerie millitärischer Politik ein­zusetzen. Bereits über 1500 Menschen haben Selbst­ver­pflicht­ungen abgegeben, sich an dieser Kam­pagne zu beteiligen.

Am 1. Juni 2007 wird es einen Bombo­drom-Aktionstag im Rahmen der Anti-G8-Aktionen geben. Eine vorläufige Be­siedelung dieses Kriegsübungsplatzes ist geplant und schon am 31.5. sollen Karawanen und Euromärsche in der Kyritz-Wittstock-Ruppiner Heide eintreffen, um einen deutlich wahrnehmbaren Auftakt der Proteste gegen die Politik der G8 zu gestalten.

Im Anschluss an die „Probebesetzung“ finden am 5. Juni Blockadeaktionen am Flugplatz Rostock-Laage statt, auf dem die G8-GipfelteilnehmerInnen an­kom­men werden. Die AG gegen Mi­litarismus und Krieg (www.g8andwar.de): „Auch wir werden an diesem Tag massenhaft vor Ort sein, denn mit ihrer Kriegspolitik können sie bei uns nicht landen!“

Auf dem recht unscheinbaren Flugplatz entsteht eine bedeutende militärische Drehscheibe: hier stehen Tarn­kap­pen­bomber und Euro­fighter, aus­gestattet mit der Mittel­streckenrakete namens AM­RAAM, die Ziele in mehr als 130 km Entfernung identifizieren und treffen kann. Rostock-Laage ist derzeit der einzige deutsche Flughafen, der Euro­fighter-PilotInnen ausbildet. Seit der Übergabe eines mobilen Gefechtsstands im August 2006, dem „DCRC“ (De­ployable Control & Re­porting Centre) für die militärische Überwachung des Luft­raums und zur „taktischen Führung von Luftstreit­kräften“ ist die Luftwaffe erstmals in der Lage, außerhalb deutscher Grenzen eigene Luft­kampfeinheiten zu unterstützen und zu führen. Damit hat Rostock-Laage eine zentrale Bedeutung für die Kriegs­planungen von Bundeswehr und NATO.

Infos zum Bombodromwiderstand: www.freieheide.de,www.sichelschmiede.org,
Kampagne „Bomben nein – wir gehen rein“: www.resistnow.freieheide-nb.de,
www.freieheide-nb.de/heideneu/200grup­-pen.html
www.imi-online.de/download/g8readerWEB.pdf

Antimilitarismus

Antifaschistische Notizen

Nazi-Opfer!

Die Opferberatungsvereine in Sachsen (www.RAA-sachsen.de und www.AMAL-sachsen.de) erhielten im letzten Jahr Kennt­nis von 208 Übergriffen (2005: 168) – sicher nur ein Bruchteil der gewaltvollen Reali­tät individueller und struktureller Dis­kriminierungen. RAA/AMAL: „wöch­ent­­lich ereigneten sich in Sachsen etwa vier rechtsextrem moti­vierte Übergriffe. Das ist die höchste Anzahl an rechts­ex­tremen Gewalttaten, von der wir in uns­erer bisherigen Arbeit je Kenntnis er­hiel­ten.“ In Leipzig sind die Hälfte der Op­fer Mi­grantInnen: „Wobei hier auf­fällig ist, dass die Täter nicht nur dem rechts­ex­tremen Rand, sondern in einer sehr hohen Zahl auch der Mitte der Ge­sellschaft zu­zu­ordnen sind“, so die Mit­ar­bei­terin Diana Eichhorn (0341/2618647).

Vor sieben Jahren war z.B. ein gebürtiger Iraner vor einer Leipziger Diskothek von der „Black-Rainbow“-Security derart am Zutritt gehindert worden, dass er nach OP und Reha bis heute Schmerzen hat. Die Ver­antwortlichen wurden kürzlich freige­sprochen und die vierstelligen Gerichts­kos­ten muss das Opfer tragen. Sein Konto wur­de gepfändet und ein Pflichtlohnteil sei­nes Arbeitgebers wird nicht ausgezahlt!

Am 05.02.07 wurden im Cineding vom Bür­gerverein Plagwitz/Lindenau diverse TV-Reportagen zur rechtsextremen Szene im Leipziger Westen gezeigt. Während dessen und danach gab es vor dem Pro­grammkino handfeste Auseinander­setzungen, provoziert von einem ca. 20-köp­figem Nazimob, der gekommen war, um zu drohen und zu stören; es gab mehr­ere Verletzte. Außer dem bürger­lichen En­ga­gement gibt es daher in­zwi­schen u.a. ei­ne Sammeladresse für Vorfälle ähn­­licher Art: zeitzumkennenlernen@web.de.

Übrigens hat sich in Leipzig vor kurzem auch eine Antifa-Jugendgruppe gegründet (ajl-leipzig@gmx.net).

Opfer-Nazis?

Mit einem Flugblatt wurde auf die der­zeitige Ausstellung „Flucht, Vertrei­bung, Inte­gration“ im Zeit­ge­schicht­lichen Forum reagiert: „Sie ist ein Teil der neuen deutschen Erinnerungspolitik, die als zentrales Element die Selbstpräsen­tation der Deutschen als Opfer der Geschichte enthält… Mit einer ausführ­lichen Kritik dieser Ausstellung, des geschichts­po­li­tischen Diskurses in der BRD und der Rolle der sog. Vertriebenen­verbände“ werden sich von Ende März bis April durch Leipziger AntifaschistInnen (Lea) geladene Refe­rent­Innen beschäfti­gen (www.left-action.de).

Geschichtsrevisionismus in Reinform konnte am 13. Februar in Potsdam, Borna, Aulendorf, Krefeld, München und natürlich Dresden von zwischen 50 und 1500 Nazis (Dresden) auf so genan­nten Gedenk-Aufmärschen wegen der Bombardierung Dresdens zum Ende des NS vertreten werden – mit tatkräftigen antifaschistischen „Behinderungen“.

Mobilisiert wird nun zu einer „von NPD und parteifreien Kräften gemeinsam geplanten mitteldeutschen 1.-Mai-De­mon­s­tra­­tion“ (C. Worch) in Erfurt. „Globalismus“-feindliche, antisemitische und rassistische Positionen sind dort erwartbar, ist doch am Samstag vorm G8-Gipfel ein weiterer Nazi-Auflauf in Schwerin angemeldet. … am Ball bleiben!

rabe

Lokales