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Aktionsnetzwerk sucht MitstreiterInnen

für kreative Aktionen, eine andere Lernkultur und gegen Zwangsschule

Es finden sich innerhalb einer großen politischen Bewegung immer wieder Leute zusammen, die aus unterschiedlichen Motivationen mitunter sehr verschiedene Wege gehen, um anderen Menschen von ihren Ideen, ihrer Kritik an bestehenden Umständen und ihren Wünschen und Alternativvorschlägen zu berichten. Meistens werden die Leute mit Diskussionen, Workshops, Konferenzen, Vorträgen und Filmen, welche meist ungewöhnliche Fragen aufwerfende Titel tragen, umworben.

Man hofft damit zumindest zu erreichen, dass wenigstens einige „schon mal was davon gehört“ haben; dass es beispielsweise auch Schulen ohne Zensuren gibt und sogar Leute, die behaupten, man würde sogar ohne eine Institution etwas lernen können. So wird ein Informationsminimum weitergetragen und es bleibt die Hoffnung, dass vielleicht einmal ein interessierter Mensch genauer recherchiert.

Doch im Idealfall entsteht durch den Impuls „Andersdenkender“ ein Dialog und aus diesem ganz alltäglichen kleinen Interesse wird wieder ein sehr großer Gedanke, welcher im Laufe der Zeit unter günstigen Umständen an vielen kleinen Orten großes bewirken kann. Dieser Gedanke ist wichtig, um sich nicht von scheinbaren „Misserfolgen“ (falls es sowas überhaupt gibt) entmutigen zu lassen.

Im alltäglichen Zusammenhang, „auf der Straße“ wollen einige Individuen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen anfangen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Sie möchten mit gut vorbereiteten, kreativen, provokanten, verwirrenden Aktionen die Leute ins Gespräch ziehen und eine kleine Auseinandersetzung mit bestimmten Themen anschubsen. Dazu gehört, niemanden persönlich bösartig anzufeinden, denn jeder hat das Recht auf seine Meinung, gerade deshalb muss eben mit Kritik gerechnet werden. Weil diese Kritik aber in der Realität kaum oder erschreckend indirekt – über Medien oder Filme – geschieht, wollen wir etwas Kritik direkt in den Alltag der Menschen impfen und eine Streitkultur entwickeln, die Leute statt zur Flucht oder Aggression zum sachlichen Nachdenken bringen kann. Um den Effekt „schon mal gehört“ zu erwirken, sind auch Informationen auf Papier (mit Adressen von Gruppen, Netzwerken, Vereinen, die sich mit dem Thema befassen) sehr praktisch, die man neugierig Schauenden in die Hand drücken kann. Ein weiteres Vorhaben ist, einen Aktionsreader in Papier und virtuell im Internet herauszubringen, der Tips und Tricks für eigene Aktionen zusammenfasst und von Jedem und Jeder erweitert werden kann.

Wir selber wollen ein offenes bundesweit agierendes Aktionsnetzwerk ohne Namen und feste Struktur bleiben. Theorien haben sich schon andere zu r Genüge ausgedacht und verbreiten sie. Eigene Büros sind ein wahnsinniger Kostenfaktor. Offizielle „Verantwortliche“ hemmen unserer Ansicht nach die Heterogenität (Vielfalt) und Horizontalität des nicht-hierarchischen Organisationsanspruches. Jede und Jeder ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Die einzelnen Menschen treffen sich, um ergebnisorientiert einzelne Aktionen bzw. Projekte vorzubereiten. Die ganze Sache setzt voraus, dass sich an diesen Aktionen Leute beteiligen, die schon ein gewisses Grundwissen über grundlegende Schulkritik und Alternativen, (auch über Montessouri) angesammelt haben und auch Wissen weitergeben können, wohin man sich mit welchen Fragen wenden kann. Was mensch noch nicht weiß, kann er und sie aber immernoch lernen.

Ein Aktionsnetzwerk besteht aus Menschen, die sich kennen, sich vertrauen und sich treffen, um zusammen einzelne Aktionen vorzubereiten. Wir wollen versuchen, so gut es geht, ohne großen Aufwand von finanziellen Mitteln auszukommen. Wir hoffen sehr auf Sachspenden, die uns Leute für Aktionen bereit stellen wollen. Geplant ist es, einen Reader mit einer Sammlung von schulkritischen Aktionsideen zu drucken und zu verbreiten, gerade dafür benötigen wir noch einiges an Sachmitteln.

Sabine

Wer im Text Informationen über Schulkritik vermisst, dem seien einige Internet-Links empfohlen:
www.raetzae.de
www.bvnl.de
www.leben-ohne-schule.de
www.free.de/schwarze-katze/doku/kinder.html

Bewegung

Grenzen und Weiten des G8-Protestes

Auftauchen zum Freistilschwimmen!

Seit über einem Jahr laufen nun schon Initiativen, Bündnis­bildungen und angestrengte Wochenend­en, um sich beim diesjährigen Treffen der acht selbst ernannten mächtigsten Länder der Welt im Ostsee­badeort Heiligendamm vom 6. bis 8. Juni globalisie­rungs­kritisch zu äußern. Gründe dafür gibt es wie Sand am Meer. Aber wo kann ich mich dann an Protest und Widerstand beteiligen? Grobe Schätzungen über die Zahl der Mitarbeiter­Innen am Gipfel, am Protest und an der polizeilichen Absicherung bewegen sich jeweils im 10 000er Bereich. Zunächst einmal muss also geklärt werden, wo ich nicht mitmachen will. Wenn z.B. die Rede von „gierigen Kapitalisten“ und „jüdischer Weltherrschaft“ ist oder nationa­listische Ar­gu­men­ta­tionen fallen. Die Glo­balisierungsgegnerInnen von NPD und „Kameradschaften“ wollen am Samstag vor dem Gipfel in Schwerin marschieren, während in Rostock eine Großdemonstration aller Globalisierungs­kritierInnen stattfindet. Aber auch bei anbiedernden Forderungen und Verbesser­ungs­vorschlägen durch einige NGO´s wird im Trüben gefischt, weil auf die Art „ganz friedlich und seriös“ zum Ansehen der nicht demo­kra­tisch legitimierten „Gruppe der Acht“ bei­ge­tra­gen wird, für die Pseudo-Schulden­erlässe und ähnliches Blendwerk inzwischen zum Programm gehören, wie das gemeinsame Abschlussphoto.

Initiativen und Aktionen

Empfehlenswert sind frühzeitig gebildete „Bezugsgruppen“, die gemeinsam campen und koordiniert an Entscheidungen und Aktionen teilnehmen können. Auch in Sachsen und Leipzig gibt es inzwischen eine breite Anti-G8-Vernetzung (g8-leipzig@gmx.de, siehe Termine). Für den notwendigen Widerstand wird es neben juristischen, medizinischen und psychologischen auch Anlauf­stellen für weit gereiste und rückzugs­bedürftige AktivistInnen in Form von Convergence-Centern in Rostock, Hamburg und Berlin (als ganze „Convergence-Zone“) sowie einen Grenzpunkt in Dresden geben.

Block G8 – Unter breiter Beteiligung, Respektierung individueller Grenzen und transparenten Entscheidungs­strukturen (dazu gibt es kontroverse Äußerungen) sollen Massenblockaden als kalkulierbare Situati­onen organisiert werden, die symbolisch und praktisch wirksam sind, indem sie etwa das Gipfelhotel infrastrukturell isolieren. Beteiligt an den Planungen sind bisher viele größere linke Gruppen, die ihrerseits viel Erfahrung aus Castor-Protesten, Nazi-Blockaden und Gipfelprotesten mitbringen. Außerdem ruft die P.A.U.L.A. „(überregionales Plenum – antiautoritär – unversöhnlich – libertär – autonom“) zu dezentralen Blockadeaktionen um die „Rote Zone“ auf. Zu den antimilitaristischen Aktivitäten siehe S.8. Gentechnik, Supermarktketten und anderes steht am Aktionstag Landwirtschaft (3.Juni) auf dem Programm. Von migrations­politischen und anderen Gruppen werden Karawanen vorbereitet, die (auch mit dem Fahrrad von Budapest und Brügge) an Asyl-Lagern und Atomkraft­werken Station machen werden, um spätestens am 2.Juni zur Großdemonstration in Rostock anzukommen Für die meisten MigrantInnen ist politische Betätigung schwer leistbar bzw. verboten, weswegen ein kraftvoller gemeinsamer Auftritt sehr wichtig ist. Ein migrationspolitischer Aktions­tag am 4. Juni wird weitere Interventionen ermöglichen. Auch kreative Protestformen wie z.B. die Clowns-Armee sind dabei, neben dem Grönemeyer-Konzert am 07.06. wird hoffentlich noch mehr künstlerische Ausdruck möglich sein.

Reclaim The Media

International verbundene freie Radios, Vi­­deoaktivistInnen und andere Me­dien­interessierte rufen zur alternativen G8-Berichterstattung auf: Un­kom­merziell und emanzipatorisch, also auch kritisch, soll im Vorfeld und während der Protestzeit möglichst vielsprachig produziert und gesendet werden, sowohl von einem geplanten un­ab­hängigen Medienzentrum in Rostock, als auch von mobilen Standorten aus. Trotz einiger Vorbehalte im Dissent-Spektrum gegenüber autorisierten PressesprecherInnen hat sich dort eine Arte Pressegruppe gebildet, die trans­pa­rent und offen arbeiten will, indem sie Infrastruktur und Hilfestellungen lie­fert. Das Sammeln, Strukturieren, Prüfen und Zugänglichmachen von In­for­mationen über laufende Aktionen wird ihrer Ansicht nach gerade not­wen­dig sein, wie auch die Teilnahme an Pressekonferenzen, um überhaupt wahr­genommen zu werden.

clara

Weitere Infos und Unter­stützungs­mög­lich­kei­ten gibt´s z.B. bei:
www.dissentnetzwerk.org.

Soziale Bewegung

Der lange Weg in die Autonomie

Ein kleiner Bissen zapatistischen Politikverständnisses

13 Jahre ist es nun her, dass die za­pa­tis­ti­sche Be­we­gung der Campesin@s (1) (Kleinbauern/Klein­bäuerinnen) mit ihrem Ruf nach An­er­ken­nung als Teil der mexi­ka­ni­schen Ge­sell­schaft in die Öffent­lichkeit trat. Die For­derung nach Auto­no­mie, die alle gesell­schaft­lich relevanten Bereiche, wie die kulturelle Ei­gen­ständigkeit, die Kontrolle über die Ressourcen, politische Selbstver­waltung und ein eigenes Rechts­system umfasst, existierte da­bei eigentlich schon lange bevor die Guerilla der Za­patistischen Armee der Natio­nalen Befreiung (EZLN) erschien und hat sich bis heute kaum verändert.

Sichtbar verändert hat sich dagegen, dass seit dem Aufstand der Zapatistas am 01. Januar 1994 die Autonomie in den auf­stän­dischen Gebieten nicht mehr nur gefordert, son­dern gegen den Willen der Regierung und mit der Unterstützung der EZLN in die Tat um­gesetzt wird. Dabei verstehen die Za­pa­tis­tas unter Autonomie ausdrücklich nicht die „Fragmentierung des Landes oder Se­pa­ra­tismus, sondern die Ausübung des Rechtes, uns selbst zu regieren, wie in Artikel 39 der po­litischen Verfassung [Mexikos] verankert“ (Sub­comandante Mar­cos). Ihr Politik­ver­ständ­nis und ihre Vor­stel­lungen vom re­vo­lu­tio­nären Kampf, für eine radikale Basis­de­mo­kra­tie, ihre Selbst­be­stim­mung und für die Wür­­de stellen da­bei nicht nur ab­strakte Zie­le dar, sondern sind in ihrem Alltag allgegen­wärtig.

Durch die großflächige Wiederaneignung und Besetzung von fruchtbarem Land wur­den seit 1994 nötige Freiräume ge­schaffen, in denen autonomes Denken und Handeln über­haupt erst möglich wurde. Bis heute hat sich somit ein alternatives Verwaltungssystem eta­bliert, in dem die einzelnen Comunidades (Ge­meinden) die oberste Entscheidungs­ebene darstellen. Die staatlich festgelegten Mu­nicipios (Land­kreise) wurden nach geo­graphischen und kulturellen Aspekten neu auf­geteilt und sind heute Orte der Planung kollektiver Landwirtschaft und Entwicklung so­wie der Streitschlichtung.

Überregional or­ga­nisieren sich die Za­pa­tis­tas über fünf zen­trale Ver­samm­lungssorte, sog. Caracoles (2), die unter­einan­der weit­gehend unabhängig sind und denen die je­weils umliegenden Muni­cipios zugeordnet wur­den. Die Caracoles fun­gieren in ers­ter Linie als Kom­muni­kations- und Logistik­zent­ren, in denen sich neben den großen Ver­samm­lungsstätten auch Läden, Werk­stätten, Kultur­ein­rich­tungen und ver­einzelt auch weiter­führende Schulen und Hos­pitäler be­­finden. Sie dienen als An­lauf­­stelle für jene, die Kontakt mit den Za­pa­tistas aufnehmen wollen. Hier finden auch die Treffen mit der na­tionalen und inter­nationalen Zi­vil­­ge­sellschaft (3) statt.

Das ent­schei­den­de Merk­mal der zapa­tis­­tischen Selbst­­ver­wal­tung ist der Grund­satz, dass die Ent­schei­dungsmacht über die Ge­stal­tung des Zusammen­lebens bei den Ge­mein­den liegt, die alle Belange in Voll­ver­sammlungen diskutieren und im Konsens be­schließen. Dies gilt ebenfalls für Entschei­dun­gen, die das militärische und politische Vor­­gehen der Guerilla betreffen. Die EZLN sieht sich ihrer Basis verpflichtet und handelt nicht, ohne vorher Absprachen mit ihr zu treffen.

Die gewählten Vertreter_Innen werden als Ver­antwortliche für die politischen Ämter in den Landkreisen und Caracoles ent­sandt, wo sie nach dem Grundprinzip des „gehorch­en­den Regierens“ jederzeit wieder von ihren Auf­­gaben enthoben werden können, sofern diese nicht nach den Beschlüssen ihrer Ge­meinde handeln. Ein weiteres ent­scheiden­des Merkmal ist die ständige Rotation der Ver­­ant­wort­lichen zwischen den einzelnen Äm­tern. Je nach Gebiet haben somit die je­weiligen Entsandten nur wenige Wochen ei­nen Aufgabenbereich inne. Dies soll zum ei­nen einen wirksamen Schutz gegen Korrup­tion und Amtsmissbrauch bieten, zum anderen aber auch möglichst vielen Men­schen die Möglichkeit geben, selbst an den Ver­waltungsaufgaben teil­zu­haben, die als Mul­tiplikatoren ihre Er­fahrungen in die Ge­meinden zurück tra­gen und somit ein breites Ver­ständnis für die An­for­der­ungen der Selbst­ver­waltung in der Be­völ­kerung er­zeugen.

Diese Art der Politikgestaltung ist natürlich sehr zeitintensiv und verlangt von den Za­pa­tistas sehr viel Geduld. Gerade dieser As­pekt spiegelt aber auch den Anspruch des za­patistischen Politik­ver­ständ­nises wieder, “im Tempo des Langsamsten zu gehen”, um auch alle, die es wollen, am Aufbau alter­na­tiver Formen des Zu­sammen­lebens zu be­tei­ligen. Gemäß dieses Prinzips und dem des Pre­gun­tando caminamos („fragend gehen wir voran“) probieren die Zapatistas ihre Vor­stellungen von Auto­no­mie immer wieder neu aus und modifizieren ihr Konzept nach auf­ge­tretenen Schwierig­keiten in der prak­tischen Um­setzung. Das hat auch zur Folge, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Ge­meinden zum Teil erheblich sind und ge­neralisierende Aussagen über das Leben dort kaum getroffen werden können. Jede Dorf­ge­meinschaft lebt die Au­tonomie auf ihre ei­gene Art, wobei die ver­schiedenen indi­ge­nen Traditionen eine ent­scheidende Rolle spie­len. Auch dieser Um­stand bildet einen grund­legenden Konsens im Auto­no­mie­kon­zept der Za­pa­­tis­tas. Das erklärte Ziel „eine Welt“ auf­zu­bauen, „in der viele Welten ihren Platz haben“, beinhaltet gerade eben den Ver­such, eine Vielzahl von möglichen Le­bens­for­men neben­einander existieren zu lassen, ohne sich gegenseitig aus­zu­schließen. Eben da­rin un­ter­scheidet sich der zapa­tis­­tische Auto­nomie­anspruch von dem homo­geni­sieren­den Kon­zept des mo­dernen ka­pi­ta­lis­tischen Staates, in dem das In­di­vi­duum unabhängig von seiner kul­turellen Iden­tität (bspw. als An­ge­hö­rige_R einer indigenen Kultur) als bloßes Wirt­­schafts­subjekt (bspw. als Klein­bauer/Klein­bäuerin) oder poten­zielle Wähler_In ver­standen wird. Darüber hinaus stößt dieser Anspruch in der Selbst­be­trach­tung aber gleichzeitig auch an eigene tra­di­tions­be­stimmte Ungleichgewichte sozialer Macht­­verhältnisse, die einer kritischen Re­flexion unterzogen werden. Das betrifft an dieser Stelle insbesondere das Rollen­ver­ständ­nis von Mann und Frau. So wurde be­­reits ein Jahr vor dem Aufstand der Za­pa­­tis­tas in den Gemeinden das als ‚Revolu­tion in der Revolution‘ bekannt gewor­dene „Re­vo­lu­tionäre Frauengesetz“(4) verabschiedet.

Leben im Süden Mexikos

Die meisten der zapatistischen Ge­mein­den wur­­den im Zuge der Land­besetzung nach 1994 gegründet und befinden sich auf Ge­bie­­­ten ehemaliger Groß­grund­be­sit­zer_­Innen, die teilweise vertrieben wurden oder freiwillig ihr Land aufgaben.

Ei­nige der Gemeindeländereien wurden mittlerweile durch den Kauf des Landes le­­ga­lisiert, was allerdings nur wenigen der za­­pa­tistischen Gemeinden möglich ist. Der Groß­teil lebt währenddessen nach wie vor mit einer kaum abschätzbaren Be­drohungs­lage der Landvertreibung. Im Rahmen des staatlichen Programms zur “Aufstands­be­kämpfung” zielt die Schaf­fung eines per­mantenten Zustandes der Angst und Un­sicher­heit in erster Linie auf die Zer­mürbung und Spaltung der zi­vilen Basis der EZLN und ist in vielen Fällen bereits auch ge­glückt. In Chiapas sind der­zeit ca. 60 000 Soldaten in 118 Camps (da­von 57 direkt auf Ge­meindeland der Indigenen und Bauern) (5) stationiert, so dass die Be­völkerung selbst in den ent­le­gensten Winkeln des Landes einer ständigen Re­pression durch die An­wesenheit des Militärs aus­ge­setzt ist.

Zur staatlichen Strategie des Krieges Niederer In­tensität (6) gehört zu­dem die Land­ver­gabe und An­­sied­lung re­gierungs­treuer Bauern (sog. Priistas – abgeleitet von ihrer Unter­stützung der Staats­partei PRI), die propor­tional über­durch­schnitt­liche staatliche Zu­wendungen erfahren und somit den sozialen und öko­no­mischen Druck auf die za­pa­tis­tischen Familien erhöhen. Gleich­zeitig stellen diese in vielen Fällen auch die Basis für para­mi­li­tä­rische Organisationen. Die Dul­dung und Unterstützung para­mili­tärischer Gruppen durch die politische und wirt­schaftliche Elite des Landes zielt vor allem auf die Ver­schleierung der staatlichen Ver­antwortung für Übergriffe auf zapa­tis­tische Gemeinden, indem der Konflikt in Chia­pas in der Öffentlichkeit als Problem zwischen unterschiedlichen indigenen Ge­meinden oder Gruppen dargestellt wird.

Trotz dieses Umstandes hat sich die Lage der zapatistischen Kleinbauern in den letzten 13 Jahren vielerorts sichtbar verbessert, vor allem im Hinblick auf die Nahrungs­mit­telversorgung, die neben der Selbst­ver­sor­gung durch die vielen unter­schiedlichen Ko­operativen für Kaffee, Kunsthandwerk und an­dere Agrar­pro­dukte erreicht wurde. Ein za­patistischer Dorfbewohner kommen­tierte dies mit Blick auf die dicken Bäuche der Män­­ner in seiner Gemeinde. Allgemein sollte das aber nicht darüber hinweg­täuschen, dass das Leben der Campesin@s nach wie vor von absoluter Armut geprägt ist. Noch heute sind die häufigsten Todes­ur­sachen leicht heilbare Krankheiten, zu einem Groß­teil hervorgerufen durch die meist fehlende Trinkwasser- und Abwasser­ver­sorgung sowie die Bereitstellung öffent­licher Ba­sis­dienste (7).

Der Konstruktion eines regierungs­un­ab­hän­gigen Gesundheits- und Bildungs­systems kommt daher im Kampf um die Autonomie eine besondere Bedeutung zu. In fast jeder Ge­meinde wird über die Er­nennung von Pro­mo­toren (als eine Art Be­auf­tragte) für den Schul­bereich und die me­dizinische Ver­sor­gung eine schrittweise Ver­besserung der Le­bens­bedingungen an­ge­strebt. Zum einen bie­tet dies die Ge­legenheit, traditionelles und auf die Region abgestimmtes Wissen, das teil­weise bereits verlorengegangen schien, wieder zu beleben und auch weiterhin zu nutzen. Zum anderen dient gerade das staat­liche Gesundheits- und Bildungs­wesen im­mer wieder zur massiven Ein­fluss­nahme und rassistischen Unter­drückung der indi­ge­nen Bevölkerungs­schichten (so z.B. zur Zwangssterilisation indigener Frauen oder dem “Verloren­gehen” der Mayasprachen durch aus­schließlich in spanischer Sprache ge­führten Unterricht).

Widerständige Praxis zwischen Alltag und revolutionärer Utopie?

Auf dem Weg in die kulturelle Selbst­be­stimmung stehen die Zapatistas dabei auch wei­terhin erst am Beginn eines langen, aber not­wendigen Pro­zesses, was ihnen auch sehr be­wusst ist. Auto­nomie kann dabei in vielen Fällen aber gerade nicht mit Au­­tar­kie gleich­gesetzt werden. Nach wie vor sind ge­rade die Projekte zur grund­legenden Ver­besserung der allge­meinen Lebens­situation nicht ohne die Un­ter­stützung von außen realisierbar. Dies betrifft beispiels­weise die technische und finanzielle Abhängigkeit der za­pa­tis­tischen Campe­sin@s von soli­da­rischen Or­­ganisationen und Einzelpersonen aus dem In- und Ausland beim Aufbau einer un­­abhängigen Trink­wasser- und Strom­ver­­sor­gung, wie auch die Notwendigkeit einer weiterhin breiten, weltweiten Öffent­lich­keit, die durch alle aktiven Un­ter­stüt­zer_Innen, insbesondere aber durch die Men­schenrechtsbeobachtung er­reicht wird. Dass es trotz aller politischer Ab­wägungen da­bei auch zu Grenzfällen zwischen der guten Ab­sicht konkreter Unterstützung und fehlender Konflikt­sensibilität mit Blick auf die langfristigen Fol­gen einer nicht genügend re­flektierten Ein­wirkung von außen kommen kann, ist nicht auszuschließen. Gerade die Ar­beit als inter­natio­nale_R Unter­stützer_In ver­langt in die­ser Hin­sicht die Re­flexion des ei­genen kul­turel­len Selbst­ver­ständnisses und der Vielschichtigkeit des politischen Kampfes, der in den bestehenden Ver­hält­nissen und alltäglichen Mög­lich­keits­räumen zum Widerstand unterschiedlich gegeben ist, in Chiapas ebenso wie in allen anderen Teilen der Welt.

Dabei bleiben auch die zapatistischen Cam­pe­sin@s hinsichtlich ihres eigenen Emanzi­pa­tions­prozesses selbstkritisch im Bezug auf die Reflexion ihrer eigenen Tradition und Wer­te. Seit der Rebellion 1994 wurde vieles hin­sichtlich der Ver­wirklichung einer al­ter­na­tiven Lebens­praxis erreicht, dagegen in vie­len sozialen Teil­bereichen erst zögerliche Schritte begonnen. Daher wird es auch zu­künftig nötig sein, weiterhin das nötige Durch­haltevermögen bei­zu­behalten und den all­täglichen Wider­stand poco en poco um­zu­setzen.

LottenLise

(1) Als gendergerechte Schreibweise wird in der kastilen (allg. als Sp. bekannten) Sprache das „a“ für die weib­liche bzw. das „o“ für die männliche Form durch ein „@“ ersetzt & so im Artikel verwendet.
(2) Übersetzt „Schneckenhaus“. Dieses Symbol wurde bewusst gewählt, um den zapatistischen Ent­scheidungs­pro­zess zu veranschaulichen, in dem die vielen Stimmen am Ende der basisdemokratischen Entscheidungsfindung zu einem Konsens führen sollen.
(3) „Zivilgesellschaft“ wird im zapatistischen Diskurs in Abgrenzung zur europäischen Definition generalisierend als der Teil der Bevölkerung verstanden, der außerhalb der staatlichen Strukturen den Kampf um die Wiederaneignung seiner Lebensbedingungen aufgenommen hat.
(4) Eine deutsche Version der ersten Fassung von 1993 unter www.npla.de/poonal/p134.htm.
(5) Vgl. www.sipaz.org/data/chis_de_03.htm (Stand 2005).
(6) Der Krieg der Niederen Intensität zielt weniger auf eine direkte militärische Zerschlagung der Guerilla, son­dern ist vielmehr als eine psychologische Kriegsführung gegen die Basis, also den zivilen Teil der Bewegung, zu verstehen. Diese Strategie wurde bereits in den 40er Jahren an der in Panamá, durch US-amerikanisches Mi­li­tär, gegründeten School of the Americas (S.O.A.) entwickelt, wo die Mehrzahl lateinamerikanischen, militärischen Führungspersönlichkeiten ausgebildet wurde. Heut befindet sich die Schule unter dem Namen Western Hemisphere Institute for Security Cooperation (WHINSEC) in Fort Benning im US- Bundesstaat Wisconsin. Mehr unter: www.imi-online.de/download/AUSDRUCK-08-2004JP-Chiapas.pdf#search=%22Krieg%20niederer%20Intensitaet%22
(7) Vgl. sipaz.org/fini_deu.htm

Nachbarn

Menschenrechtsarbeit in Chiapas

Im Sommer des letzten Jahres war ich über vier Monate als Menschen­rechts­beo­­bach­terin in verschiedenen za­pa­tis­­tischen Gemeinden unterwegs. Vor­be­­reitet wurde ich auf die Ar­beit bereits in Deutschland über den ge­meinnützigen Verein CAREA e.V. in Berlin. Zu­sammen mit anderen inter­na­tionalen Beo­bach­ter_Innen ar­bei­tete ich für das Men­schen­rechts­zen­trum Fray Bartólome de las Casas in San Christobal, der zweit­größten Stadt in Chiapas. Von dort aus wurden wir je­weils für zwei Wochen in unter­schied­liche Dör­fer entsandt, um even­tuelle Men­schen­rechts­ver­letzungen und die der­zeitige Mi­li­tär­bewegung zu do­­ku­men­­tieren.

Die Arbeit als Menschenrechts­beo­bach­ter_In besteht vorwiegend darin, eine kritische Öffentlichkeit für die Ge­scheh­nis­se in Chiapas herzustellen, indem sowohl vor Ort als auch im Herkunftsland über die zapatistische Bewegung be­rich­tet wird und Men­schen­rechts­ver­letz­ungen angezeigt werden, um damit Druck auf die Politik der staatlichen Re­gierungen auszuüben. Beo­bach­ter_Innen werden dabei nur in Ge­mein­den ent­sandt, die sich im Vorfeld mit der Bitte um Un­terstützung an das Menschen­rechts­zentrum ge­wandt haben. Durch die Anwesenheit von Beo­bach­ter_­Innen sollen vor allem die be­reits be­steh­en­den Freiräume erhalten und auch neue geschaffen werden. Auf­grund der an­halten­den staatlichen und para­mi­li­tärischen Repression, wie die jüngsten Vorfälle der Räumung der chiapa­ne­kischen Gemeinden Chol de Tumbalá und Busiljá im Jahr 2006, bleibt dies leider auch weiterhin notwendig.

Die Menschenrechtsbeobachtung stößt allerdings auch an ihre Grenzen, wenn wie in Städten anderer mexi­kanischer Bundes­länder internationale Beo­­bach­ter_Innen als „ra­di­­kale“ Ak­ti­vist_Innen kriminalisiert werden und somit in den direkten Konflikt mit dem mexi­kanischen Staatsapparat ge­raten. In San Salvador Atenco waren Aus­länder_Innen eben­falls wie viele andere politische Gefangene der Folter und sexuellen Gewalt aus­ge­setzt. In Oaxaca kam es im Zuge der Vor­be­reitung einer Groß­demons­tration Ende des letzten Jahres ebenso zur ge­zielten Suche nach Aus­länder_Innen.

Für weitere Informationen zu den aktuellen Geschehnissen in Oaxaca siehe auch den Beitrag in diesem Heft… Mehr Informationen zur Menschen­rechts­­arbeit in Chiapas und wie du selbst aktiv werden kannst, erhältst du unter www.buko.info/carea

Nachbarn

Aufstand der Würde: ein Überblick

„La Otra va!“ – Die andere Kampagne

Im Juni 2005 veröffentlichte die EZLN die „Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“. Darin kündigte sie eine neue Phase ihres politischen Kampfes an: Die Zapatistas wollen in einem mehrjährigen Prozess eine landesweite außer­parlamen­tarische Linksallianz aufbauen, um schließlich eine neue, anti­ka­pi­talistische Verfassung für Mexiko zu erarbeiten und diese zum Wohle aller Marginalisierten des Landes durchzusetzen. In Ab­grenzung zu den politischen Parteien nennen die Zapatistas ihre Mo­bi­lisierung die „Andere Kampagne“. Den völligen Bruch mit den etablierten Parteien begründen sie damit, dass alle großen Par­teien das neoliberale Projekt weiterführten und nur zugunsten einer privilegierten Elite und transnationaler Konzerne regierten. Der Aufruf stieß auf große Resonanz und Anfang 2006 waren be­­reits über 1.000 Organisationen in den Prozess involviert: Ar­beiter­Innen- und BäuerInnen-organisationen, Indígena-Zu­sammenschlüsse, Frauenorganisationen, Umweltgruppen, Schwulen- und Lesbenorganisationen, Netzwerke von Sex­ar­bei­ter­Innen, SchülerInnen, StudentInnen, unabhängige Medien- und Kunst­kollektive, linke und anarchistische Vereinigungen. Die Andere Kampagne setzt im Gegensatz zu vielen Bewegungen ex­plizit nicht auf eine Übernahme der Staatsmacht, sondern auf eine gesellschaftliche Basisorganisierung. Um Grundfragen zu klären und der Anderen Kampagne ein Gesicht zu verleihen, läuft seit Dezember 2006 eine interne Befragung Darüber hinaus ver­netzen sich die AktivistInnen global um gemeinsam gegen die Mis­s­stände anzugehen…Über Silvester fand in der autonomen Ge­meinde Oventik ein internationales Treffen statt, um über die Fortschritte und Probleme der zapatistischen Selbstverwaltung zu informieren und sich unter Anderem zu den Themen Auto­no­mie, Gesundheit, Frauen, Bildung, Land und Kultur aus­zu­tauschen

Infos: www.ezln.org.mx

Atenco resiste

Die Kleinstadt Atenco nahe Mexiko Stadt wurde am 4. Mai 2006 von 3.500 schwer bewaffneten Polizisten angegriffen. Die Be­gründung: engagierte Menschen hatten Tags zuvor in ent­schlossener Weise BlumenhändlerInnen der Nachbarstadt bei­ge­standen, die ihre Ware auf dem lokalen Markt verkaufen wollten und sich damit gegen die Pläne der Regierung wehrten, an dieser Stelle einen Supermarkt zu errichten. Die AktivistInnen aus Aten­co blockierten eine Hauptstraße, woraufhin die Polizei die gesamte Ort­schaft äußerst brutal angriff. Bei dem auch international kri­ti­sierten Vorgehen der Staatsgewalt starben zwei Menschen. 217 Per­sonen wurden willkürlich inhaftiert. Es kam zu Folterungen, sexuellen Misshandlungen bis zu Vergewaltigungen. Die rebellische Ge­meinde hatte sich bereits 2002 erfolgreich gegen den Bau eines neuen Großflughafens für Mexiko-Stadt gewehrt und sympathisiert mit den Zapatistas.

Die Kommune von Oaxaca

Im südlichen Bundesstaat Oaxaca gibt es seit Jahren Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen. Vor allem indigene Gemeinden, die nach mehr Mitbestimmung streben, wurden von staatlichen Or­ganen immer wieder brutal angegriffen. Eine Vielzahl sozialer Akti­vistInnen wurde kriminalisiert und verschwand im Ge­fängnis.

Am 22. Mai 2006 begannen LehrerInnengewerkschaften und Basisorganisationen eine Besetzung des historischen Zentrums der gleichnamigen Landeshauptstadt, um gegen diese Verhältnisse und für bessere Bedingungen im Bildungssektor zu demons­trieren. Nachdem gegen die DemonstrantInnen am 14. Juni äußerst brutal vorgegangen wurde – es gab rund 100 Verletzte -, wur­de Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz von einem Großteil der Be­völkerung für abgesetzt erklärt. Der Zuwachs an Dörfern, LehrerInnen, Indígenas, ArbeiterInnen und Linken, die nun in der Bewegung mitmachen, hat dazu geführt, dass die Versammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) von 350 Organisationen ge­gründet wurde. Seit Juli findet ein explizit friedlicher Aufstand statt, der sich zu einer regelrechten Revolution ausgeweitet hat. Die Bewegung ging von der bloßen Blockade zur Ausgestaltung basis­demokratischer Organisierungsformen über.

Doch die alte Regierung des Gouverneurs griff auf verdeckte, para­militärische Aktionen zurück und ließ AktivistInnen attackieren, foltern und ermorden. Die Bundesregierung Mexikos wur­de aufgefordert, den Gouverneur abzusetzen. Stattdessen ent­sandte sie die „Präventive Bundespolizei“ (PFP) – eine militärisch auf­gebaute Spezialeinheit -, die den Bundesstaat regelrecht ok­kupierte. AktivistInnen der APPO wurden während Verhand­lungen und bei Straßenkontrollen verhaftet, was die Protest­be­wegung zeitweise in den Untergrund zwang.

Infos: www.asambleapopulardeoaxaca.com

Das Ya-Basta-Netzwerk

Ya basta ist ein Netz von Menschen, von denen viele durch den Aufstand der Zapatistas zur Rebellion ermutigt wurden oder sich darin bestärkt sehen und in Solidarität mit den auf­stän­dischen Menschen in Chiapas leben. Es ist ein lernendes Netz, in dem die verschiedenen emanzipatorischen Kämpfe und Wi­der­standsformen nebeneinander bestehen können und auf­einander (kritisch) Bezug nehmen, ohne sich auszuschließen. Es soll ein Netz sein, in dem die Menschen sich gegenseitig in ihren lo­kalen Kämpfen unterstützen. Ein Netz, das Menschen er­mu­tigen will, sich zu engagieren und „Ya basta“ zu sagen.

Infos: www.ya-basta-netz.de.vu

Ein „Ya Basta!“ aus Leipzig…

Aus den Geschehnissen um Atenco, Oaxaca und die Andere Kam­pag­ne hat sich bundesweit das Interesse an den sozialen Kämpfen in Mexiko verstärkt. In Leipzig ist es dazu recht ruhig geblieben. Ne­ben einer Veranstaltungsreihe zu Chiapas und Zapatismus im November gab es am 20.1.07 eine kleine Solikundgebung bei der Eisenbahnstraße, die von Menschen der Montagsdemos und um den libertären Stadtteilladen Libelle herum getragen wurde. Hier haben sich auch Leute zusammengefunden, die weiter Solidaritätsaktionen für die zapatistische Selbstverwaltung organisieren und auch lokal auf der Basis zapatistischer Ideen wirken wollen. Wer mitmachen oder per Newsletter auf dem Laufenden bleiben möchte.

Kontakt: yabasta-leipzig@riseup.net

Nachbarn

Abschied von der Lohnarbeit

Recht auf Faulheit!

Die „Agenda 2010“, seit Anfang des Jahres in Kraft, ist gescheitert. Die Arbeits­losenzahlen sind unverändert hoch, und auch die Kosten der Maß­nah­me sind höher aus­ge­fallen als ge­plant, die Süd­­deut­­sche Zei­­­tung sprach von ca. 6,4 Mil­l­ia­r­­den Eu­­­ro. Ver­wun­dern kann die­ses Versagen nicht, geht die Agenda 2010 doch ohnehin weit am Kern des Problems vorbei. Zunächst ist ja weniger die Arbeitslosigkeit das Problem, als vielmehr die finanzielle Notlage, die daraus folgt. Und um zu erkennen, dass es nicht mal annähernd so viele freie Stellen wie Erwerbslose gibt, reicht das leidliche Beherrschen der Grund­rechen­arten aus. Dass das Problem nicht nur in der (unterstellten) indi­vi­duel­len Faulheit der Betroffenen begründet liegt, hätte der Regierung also durchaus klar sein müssen. Nur statt das zur Kenntnis zu nehmen, wurde weiter so getan, als müs­se man die Erwerbslosen bloß genug unter Druck set­zen, um sie alle in Lohn und Brot zu zwingen. Nützen tut das freilich nichts, vielmehr wird die ohnehin prekäre Lage weiter Bevöl­kerungsteile nur ver­schlim­mert.

Gürtel enger schnallen?

Angesichts des offenbaren Versagens der Agenda 2010 liegt es nahe, nach Alter­nativen zu suchen. Eine Idee, die derzeit wieder verstärkt diskutiert wird, ist das sogenannte „Existenzgeld“. Dieser For­der­ung hat sich z.B. das Netzwerk Grund­ein­kommen verschrieben, die 2004 ge­gründete deutsche Zweigstelle des Basic Income European Network, auch bei Attac setzt man sich dafür ein. Als weiteres Beispiel wäre der Berliner Kultursoziologe Wolfgang Engler zu nennen, der in seinem kürzlich erschienenen Buch „Bürger, ohne Arbeit“ ähnliche Ideen vertritt.

Die Grundidee ist die, dass prinzipiell jeder Mensch ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum hat (und das unabhängig von irgendwelchen vorher erbrachten Leistungen). Das würde nicht nur Unterstützung für Grund­be­dürfnisse wie Obdach, Kleidung und Nahrung umfassen, auch die Teilhabe am kulturellen Leben soll damit gesichert werden (also etwa Kino- und Museums­be­suche usw.). Das geforderte „Existenz­geld“ wäre demnach nicht identisch mit dem bloßen Existenzminimum. Ebenso sollen mit dem Erhalt dieses Existenzgeldes auch kein Arbeitszwang und keine Schi­kanen mehr verbunden sein. Wer Arbeit will, soll sich eben selbst darum kümmern – die Vermitt­lungs­erfolge der Arbeitsa­gen­tu­ren sind eh nicht allzu be­rau­schend.

Ein zunächst nicht un­sym­­pa­thischer Gedanke also. So ist es sicher richtig, ent­gegen der derzeit ge­übten Verzichts­rhetorik eben nicht den Gürtel enger zu schnal­len, sondern auf einem men­schen­würdigen Leben für alle zu bestehen. Trotz­dem ist die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen in sich nicht ganz schlüssig – vor allem, wenn man dieses, wie Attac und das Netzwerk Grundein­kommen das tun, als Mittel zur Über­windung des Kapitalismus versteht.

Markt, Kapital & Staat

Die Frage ist, warum man dabei aus­gerechnet vom Staat Unterstützung erwarten soll (schließlich wäre auch das „Existenzgeld“ immer noch eine staatliche Zuwendung). Im Gegensatz zur Meinung vieler heutiger „Globalisierungskritiker“, die den Nationalstaat als letztes Bollwerk gegen den weltweit grassierenden Neo­li­beralismus sehen, war dieser schon immer eng mit der Wirtschaft verbunden und eben keine neutrale Instanz. Deutlich wird das etwa in der Strafgesetzgebung, die sich in ihrer Gänze am Prinzip „Haben vor Sein“ ausrichtet. Angriffe auf das Eigen­tum werden härter geahndet als solche auf Leib und Leben; so liegt die Höchststrafe für Kindesmissbrauch bei 5 Jahren Gefängnis – bei 5 Jahren fängt das mögliche Strafmaß für Handtaschenraub erst an.

Auch der Sozialstaat lässt sich als Ausdruck die­ser Symbiose von Kapi­talismus und Na­tio­nalstaat sehen. Zum einen dient das so­zialstaatliche Umver­teilungs­sys­tem dazu, die sich aus der markt­wirtschaftlichen Wirt­schafts­­weise ergebenden Härten für die Be­völkerung abzufedern und halb­wegs erträglich zu gestalten. Zum andern geht es darum, eben dieses Wirtschaftssystem, das fort­während neue „Sozialfälle“ produziert, zu stabilisieren und am Leben zu halten. Denn es ist keineswegs so, dass das freie Wirken des „Marktes“ Wohlstand für alle bringt. Weit entfernt davon führt die Konkurrenz am Markt zu einer stetigen Polarisierung in arm und reich. Wer viel Kapital besitzt, hat eben bessere Mög­lichkeiten, noch mehr daraus zu machen, als jemand, dessen Einkommen grad zum Überleben reicht. Die Funktion des Sozialstaates ist es, die sich daraus ergebenden Konflikte soweit abzumildern, dass sie nicht zur Gefahr für die be­stehenden Verhältnisse werden. Zum andern dient das Sozial­system auch dazu, die Arbeitskraft der Erwerbslosen zu bewahren, d.h. sie vor der völligen Verelendung zu bewahren, damit sie weiter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Unterstützung wird also nur unter der Maßgabe gewährt, dass die grad erst von den Zwängen der Lohnarbeit „frei­gesetzten“ Individuen möglichst bald in diese zurückkehren.

Nicht umsonst wurden die Grund­lagen des heutigen Sozialsystems von Otto von Bis­marck gelegt, um der sozia­li­stischen Be­we­gung den Boden zu ent­ziehen. Auch der nach 1945 in Deutsch­land ent­standene mo­derne Sozial­staat war ein Mo­dell, das da­zu diente, soziale Ungleich­hei­ten soweit aus­zubalancieren, dass diese die Sta­­bilität des Gesellschafts­systems nicht ernsthaft ge­fährden. Wäh­rend des Booms der 50er und 60er Jah­­­re funk­­tio­­nier­­te das auch ei­ni­ger­ma­­ßen, nicht zu­letzt, weil sich die Arbeitslosigkeit in Grenzen hielt (schließlich hatte der 2. Weltkrieg ja auch Millionen Opfer ge­fordert). Spätestens mit der Krise von 1974/75 wurde Massenarbeitslosigkeit aber auch in der BRD wieder zum Pro­blem. Nach der Wie­­der­­ver­eini­gung wur­de das so­­zial­staat­liche Um­ver­teil­ungsmodell wieder verstärkt in Frage gestellt – dieses sei „nicht mehr fi­nan­zier­bar“. Ganz falsch war das nicht, aber auch nur eine Sicht unter vielen.

„Sachzwänge“

Schließlich wird das soziale System vor allem von den Erwerbstätigen finanziert, über Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Und obwohl die Lohnarbeit immer knapper wird, sind immer noch ca. 90% der Bevölkerung von dieser abhängig. Schließlich sind die Unternehmen ge­zwungen, Gewinne zu machen und diese möglichst rasch zu steigern. Das kann geschehen, indem man sich nach außen erweitert, z.B. durch Entwicklung neuer Produkte oder durch neue Absatzmärkte. Wenn das nicht geht, müssen die Pro­duk­tionskosten gesenkt werden, um sich durch niedrigere Preise einen Vorteil ge­genüber der Konkurrenz zu sichern. Und das einfachste Mittel zur Kostensenkung ist es eben, Leute zu entlassen. Da es zum einen immer schwieriger wird, neue Märkte zu erschließen, zum anderen in den letzten Jahrzehnten die Arbeits­pro­duktivität stark gestiegen ist – d.h. dank Mechanisierung der Arbeitsvorgänge, Computertechnik usw. immer mehr in kürzerer Zeit produziert werden kann – ist klar, dass auch die Arbeitslosenzahlen stetig steigen. Es gibt also immer mehr Erwerbslose, während gleichzeitig weniger Leute da sind, um den Sozialstaat zu finanzieren. Folgerichtig bröckelt es an allen Ecken.

Trotzdem, ganz so zwingend sind die „Sachzwänge“ für den Sozialabbau nicht. Schließlich kann der Staat Steuern erlassen und so selbst bestimmen, wie hoch seine Einnahmen sind. Nur hätte das gehießen, die Unternehmen stärker zu belasten – und dazu fehlte hier entweder der Wille oder die politische Entscheidungsmacht.

Auch der Sozialstaat ist also nur Ergänzung und Fortsetzung des Ka­pitalismus mit anderen Mitteln. Nur logisch, wenn es nun heißt: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“. Ebenso, wenn Gerhard Schröder erklärt, es gäbe „kein Recht auf Faulheit“, denn das darf es im Ka­pitalismus tatsächlich nicht geben. Schließlich beruht dieser wesentlich auf der Ausbeutung mensch­licher Arbeitskraft – und wo käme man hin, wenn die Leute sich frei entscheiden könnten, ob sie nun ihre Arbeitskraft und Lebenszeit verkaufen wollen, oder eben nicht? Der Arbeitszwang ist integraler Bestandteil der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft, und der Sozial­staat ein Instrument zur Verwaltung der Armut, nicht zu deren Abschaffung. Die Über­windung des Kapitalismus ist also Vor­raussetzung für die Überwindung des Arbeitszwangs – und nicht umgekehrt. Und selbst wenn etwas wie das Grund­einkommen für alle in den gegebenen Verhältnissen möglich wäre, wäre es doch immer noch ein staatliches Almosen. Die Nutznießer desselben wären also immer auf das Wohlwollen des Staates angewiesen – so bedingungslos, wie die Vertreter der Idee das wünschen, wäre das be­dingungs­lose Grundeinkommen sicher nicht. Die Forderung an sich mag darum nicht falsch sein und emanzipatorischer als der Ruf nach „Arbeit für alle“ ist sie allemal. Nur zeigt sich hier auch ein grundlegender Mangel an fundierter Staatskritik und Analyse des Verhältnisses von Na­tio­nalstaats und Kapitalismus.

justus

Jukss: Klappe die 14te

Eine neue Welt mit Geburtsschwierigkeiten

Da war es wieder soweit, zwischen dem 23.12. und dem 6.1. wechselte nicht nur wie üblich das Jahr, auch der Jugendumweltkongress oder auch „Jukss“ öffnete seine Pforten für an die 400 Jugendliche und Junggebliebene. Diesmal an einer Schule in ei­ner Plattenbausiedlung in Königs-Wusterhausen in Brandenburg.

Der Trend der letzten Jahre setzte sich fort: das Thema Umwelt muß sich die Plätze mit Selbstorganisation, Bildungskritik, Ge­schlechterrollen, Beziehungsweisen und eher praktischer Betätigung, wie Jonglierbälle bauen oder Yoga und Massagetechniken teilen. Dazu kommen Themen wie G8, gewaltfreie Kommunikation und Ve­ga­nis­mus/Antispeziesismus und Treffen der „Travelling School of Life“ und „Alternativ-Unis“. Auch die Aktion gegen die Verdrängung der Indi­genas in Französisch-Guyana soll nicht unerwähnt bleiben.

Die Organisationsform war ähnlich wie beim 13. Kongress in Bielefeld im Jahr davor: es gab kein tägliches Plenum, es gab eigentlich gar keine Vollversammlungen. Dahingehend kann der Jukss als praktisches Experimentierfeld für Selbstorganisation verstanden werden. Eine große Bedeutung fällt hier den Info- und Orgawänden zu und den Mitmachgruppen, die sich um bestimmte Auf­gaben­bereiche, wie Kochen und Empfang, kümmern. Und hier kommen die Haken: die Zettelwände waren recht unübersichtlich positioniert und erschlugen einen in ihrer Fülle als Neuankömmling geradezu. Mensch brauchte mindestens zwei Tage um sich da hineinzufinden. Und zweiter Haken: die Mitmachgruppen sind mangels Beteiligung zu Beginn, als noch recht wenige Leute da waren, gar nicht richtig ins Rollen gekommen. Ohne funktionierende Infogruppe konnten wiederum neue BesucherInnen nicht in die Struktur eingebunden werden. Alles hing nun am spontanen Engagement, an der Bereitschaft, bei Bedarf einzuspringen und dem Know How der Erfahreneren unter den „Jukssis“. Und zum dritten waren für Menschen, die nicht so gut mit großen Menschenmengen umgehen konnten, eher zu wenig Rückzugsräume vorhanden, zu wenig Entspannungsmöglichkeiten, zu viel deprimierendes Schulflair.

Wichtig war zudem die Frage: „Der Jukss ein Kuschelkongress?“ Nun, das entschieden schlußendlich die Teilnehmenden selbst, aber womöglich fehlte eine Reflektionsbasis für diesen offeneren Umgang mit körperlicher Nähe, der viele im Regen stehen ließ, die ihre Bedürfnisse nicht so gut kommunizieren konnten, sei es das „Nein – ich möchte jetzt nicht mit Dir kuscheln!“ oder das „Ja – magst Du mich in den Arm nehmen?“. Diese öffentliche Thematisierung mag für die Eine oder Andere befremdlich klingen, aber es handelt sich um grundlegende und tabuisierte zwischenmenschliche Fragen, die mit der traditionellen Paarbeziehung klar gelöst schienen, aber angesichts ihrer starren Form wieder aufgerollt werden.

Viele Probleme wurden während diverser reflektierender Workshops erkannt und es wurden Methoden entwickelt, wie mit ihnen umzugehen sei. So zum Beispiel die Einrichtung von Räumen für zwischenmenschliche Beziehungs- und Kommunikationsfragen, die Einrichtung von festen Orgaräumen für die Mitmachgruppen, eigene konkurrenzlose Zeiten für deren und ähnlich wichtige Treffen, oder eine Plattform für Leute, die auch nach dem Jukss nicht in den Alltag abtauchen wollen oder können. Damit sich die Selbstorganisation beim nächsten Mal noch besser zum Wohle inhaltlicher Debatten, praktischer Aktionen, sozialer Netze und des Befindens aller TeilnehmerInnen entfalten kann, braucht es denn nur noch genug Leute, die diese Ideen auch in die Tat umsetzen. Denn hat jemand behauptet, die Geburt einer neuen Welt würde schnell und ohne Schwierigkeiten ablaufen?

cignonero

(Mehr Infos auf www.jukss.de)

Uebrigens

Dicke Fische

Vom 6. – 8. Juni 2007 wird sich die politische Elite der wirtschaftlich und militärisch stärksten Staaten zum alljährlichen „Weltwirtschaftsgipfel“ in Heiligendamm treffen, um ihre Sicherheits- und Wirtschaftspolitik aufeinander abzustimmen. Diese Gruppe der Acht (G8) ist ein selbsternanntes Machtzentrum im Netz der transnationaler Institutionen wie WTO, IWF und Weltbank, auf die sie mit ihrer einseitigen Interessenspolitik Druck ausüben. Viele Menschen haben keine Lust mehr, sich von diesen Verwaltern globaler Probleme bevormunden zu lassen und immer lauter wird der Ruf nach Aufklärungsarbeit, Netzwerken, alternativen Inhalten und Infrastrukturen.

Bereits vom 4. bis 13. August diesen Jahres trafen sich ca. 1.000 AktivistInnen auf dem Camp-Inski in der mecklenburgischen Pampa ca. 20 km Luftlinie von Heiligendamm entfernt. Sie sind Teil der globalisierungskritischen Bewegung, die sich bereits in diesem Jahr auf das Gipfeltreffen 2007 verstärkt vorbereitet, in der Hoffnung durch ihren Protest medienwirksam auf die Widersprüche der G8 hinzuweisen und gleichzeitig dauerhafte emanzipatorische Strukturen aufzubauen. Damit stellen sie sich in eine 20jährige Tradition des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung „von oben“.

Schon 1984 fand der erste Gegengipfel „The Other Economic Summit“ in London statt und ein Jahr später dann auch die ersten Protestaktionen auf den Straßen von Bonn. In den 90ern wurden die Demonstrationen gegen die G8-Gipfel und transnationale Organisationen kontinuierlich größer. Einen wichtigen Höhepunkt erlebten die Proteste dann 1999 in Seattle, US-Staat Washington, als es gelang, dass WTO-Treffen massiv zu stören. Zwei Jahre später in Genua demonstrierten dann bereits Hunderttausende. Überschattet vom Tod Carlo Guiliani‘s ist es der Erfolg der Protestbewegung, dass die G8 seitdem aus den Großstädten verdrängt und sich in abgelegene Gebiete geschützt von einem massiven Hochsicherheitsaufgebot von Polizei und Militär zurückzieht.

Auch 2007 werden Marine und Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei, s. FA! #23) zum „Schutz“ des G8-Gipfels eingesetzt, zusätzlich wurde bereits beschlossen, dass im Januar mit dem Bau eines 13 km langen und 2,5 m hohen massiven „Antiterroristischen Schutzwalls“ um das 270-Seelen-Dorf Heiligendamm begonnen wird. Wieviel muss mensch sich noch gefallen lassen? Die „Festung Heiligendamm“ wird das Fass zum überlaufen bringen, denn auch heute ist schon klar, dass die G8 keine Probleme lösen kann, sondern selbst Teil des Problems ist.

Was ist die G8?

Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (1), die erste große Ölkrise und der Beginn der wirtschaftlichen Globali­sierung Anfang der 70er waren die Vorboten. Regierungsvertreter der USA, F, GB, I, D und Japan sahen es für notwendig an, ein internes Forum zu bilden, in dem sie ihre Wirtschaftspolitiken auf­einander abstimmen können. Somit entstand 1975 die „Gruppe der Sechs“, welche bereits ein Jahr später zur G7 (Kanada) erweitert wurde. Obwohl das 8. Mitglied, Russland, erst seit diesem Jahr gleichberechtigt ist, nimmt es schon seit 1994 an den Gipfeltreffen teil. Die EU gilt sogar inoffiziell als 9. Mitglied (2). Die jährlich hinter verschlossenen Türen stattfindenden Gipfelgespräche, die sich bereits den 80ern auch um außenpolitische Fragen drehen, dauern drei Tagen, und die Entscheidungen zu den diversen Themen werden in Abschlusserklärungen veröffentlicht, die sehr vage gehalten und mit einer Rhetorik der Armutsbekämpfung, Nachhaltigkeit und Menschenrechte versehen sind. Diese verdeutlichen immer mehr die Widersprüchlichkeit der G8 bezüglich Anspruch und Wirklichkeit. Ihre Entscheidungen sind offiziell nicht bindend, doch zeichnen sie bereits zu­künftige Debatten über globale Probleme und wie diese innerhalb transna­tionaler Institutionen wie u.a. IWF, WTO, EU etc. zu lösen sind, vor. Die Definitionsmacht der G8 kann nicht unbeantwortet bleiben. Sie definiert globale Probleme in Bereichen wie: Sicherheit, Migration, Finanzmärkte, Patentrecht, „Krieg gegen den Terror“ etc., wobei die katastrophalen sozialen Folgen ihrer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik kaum Beachtung finden. So werden zwar „Entwicklungsländer“ thematisiert, jedoch nicht die Machtverteilung zwischen Nord und Süd, oder sie sprechen über Energiesicherung, nicht aber über die Rücksichtslosigkeit dieser Ressourcenkämpfe. (3)

Eine globalisierungskritische Bewegung

Die Suche nach Alternativen, wenn auch nicht einheitlich und widerspruchslos, hat schon längst begonnen. Auch die Mobilisierung zum Gipfeltreffen 2007 in Heiligendamm umfasst viele unterschiedliche politische Spektren wie Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen, autonome Antifas, antirassistische Initiativen, UmweltaktivistInnen, NGOs, Anti-AKW-Bewegung u.a. So unterschiedlich ihre Organisations- und Diskussionsform, politischen Positionierung, Selbstverständnis, so schwer ist es auch, den gemeinsamen Protest praktisch und inhaltlich zu koordinieren. Die Heterogenität dieser Bewegung ist gleichzeitig auch ihre Stärke: Sie spiegelt die Diversität menschlicher Be­ziehung­en wider, macht transnationale Diskussion, Vernetzung und Austausch möglich, zeigt Konti­­nuitäten von Netzwerken und Bünd­nissen auf! (4)

Hiermit sei auch die weit verbreitete Annahme korrigiert, Globalisierungs­kritiker­Innen stünden in Gegnerschaft zur Globalisierung. Vielmehr wird eine „Globali­sierung von unten“ angestrebt. Sie sprechen sich nicht für eine globale Bewegungsfreiheit des Kapitals, sondern für die Bewegungsfreiheit von Menschen aus, und für einen überlegten Umgang mit der Natur. Damit sprechen sie vernachlässigte bzw. einseitig dargestellte Themen an, wie die Öko­no­mi­sierung immer weiterer Lebensbereiche, die Lage von Frauen und Kindern speziell in südlichen Ländern, die Folgen weltweiter Finanzströme, Antisemitismus uvm.

Momentan wird explizit ein spektren­übergreifender Nenner gesucht, um gemeinsame Forderungen herauszukristallisieren und Alternativen Gehör zu verschaffen. Bisherige Vorschläge eines gemeinsamen Mottos der G8-Proteste, die sich bewusst einer Negativforderung (z.B. „G8 Abschaffen“) verweigern, sind: „Globale Rechte aneignen“ oder „Globalisierung von unten. Aneignung – Migration – Prekarisierung“. (5) Direkte Einblicke in diese Diskussion sowie allgemein zur Mobilisierung der G8-Proteste bekommt mensch vom 10. – 12. November bei der zweiten Internationalen Aktionskonferenz in Rostock. (6)

Die Durchführung des Gipfels 2007 soll durch kreative Aktionen gestört und globalisierungskritische Positionen stärker in die Öffentlichkeit getragen werden. Ebenso sollen die Möglichkeiten spektrenübergreifender Zusammenarbeit und Lebens-Alternativen aufgezeigt werden. Dabei bleibt es notwendig, sich explizit von rechten Strukturen und Neonazis ab­zu­grenzen, die auch die G8 auf­grund fehlender Legitimität angreifen und wegen ihres nationalen Heimatwahns schon eher als Globalisierunsgegner zu bezeichnen sind.

Das Camp-Inski – Konkreter Widerstand

Das 10tägige Camp (7) war anfangs direkt an der Ostsee geplant. In der Hochsaison einen Campingplatz für mehrere hundert Menschen zu finden, war jedoch unmöglich. Zusätzlich erteilten einige umliegende Gemeinden keine Genehmigung für ein Camp und so wurden ca. 20km von der Ostsee entfernt die Zelte aufgeschlagen. Da für nächstes Jahr in der Gegend um Heiligendamm ein Gegengipfel, Aktionstage, ein oder mehrere Camp(s) und mindestens eine Großdemo geplant sind, war dies schon mal der erste organisatorische Prüfstein. Zusätzlich muss weiterhin an der Außenwirkung der Proteste gearbeitet werden, und das gerade in Meck-Pomm, wo es an politischen alternativen linken Strukturen mangelt.

Leider fand nur eine Anwohnerin den Weg auf ein Podium, wo sie ihren Unmut an der Bewegung äußerte. Sie traf den Nagel auf den Kopf, als sie sich als „Außenstehende“ und das Camp als ein eingeschworenes „Geklüngel“ bezeichnete, welches nicht das Anliegen habe, ernsthaft nach außen zu wirken. Es zeigte sich, dass inhaltliche Debatten nicht nur innerhalb der Protestbewegung ablaufen dürfen, sondern auch darüber hinaus vermittelt werden müssen. Damit wären auch die Medien gezwungen, mehr über Inhalte der Proteste zu berichten als nur spektakuläre Bilder zu zeigen.

Auf dem internationalen Mobilisierungscamp-Inski sollte der „symbolische und praktische Bruch mit dem Machtanspruch der G8“ geprobt werden. Unterschiedliche kreative Aktionsformen (Clownerie (8), Samba-Band, Stelzenlauf, Door Knocking) wurden auf dem Camp geplant und u.a. in Wismar, Rostock, Bad Doberan und Heiligendamm demonstriert.

Im Gegensatz zu der öffentlichkeitswirksamen, kraftvollen Demonstration gegen Abschiebung in Rostock, erwies sich die Badespass-Aktion in Heiligendamm als weniger amüsant. An diesem Tag hatte sich fast das ganze Camp auf den Weg nach Heiligendamm gemacht: zum Besichtigen des Nobelhotels Kempinski, wo die G8 2007 untergebracht sein wird, sowie für kleinere Aktionen rund um den Gipfel. Die „Molli“, ein privater, traditioneller Zug und Touristenattraktion, war die einzige Möglichkeit von Bad Doberan nach Heiligendamm zu gelangen, wenn man keine 7 km laufen wollte oder keinen Platz in einem Auto bekommen hatte. Ca. 100 CamperInnen legte den Molli-Verkehr kurzzeitig lahm, als sie sich weigerten zu zahlen. Kurz vor Heiligendamm wurde die Molli dann von mehreren Polizei- und SEK-Einheiten gestoppt und umstellt. Die CamperInnen wurden des Schwarzfahrens bezichtigte und aufgefordert auszusteigen, damit Personalien aufgenommen und Strafverfahren eröffnet werden können. Als der Schaffner daran erinnert wurde, den Camper­Innen erlaubt zu haben, kostenlos mitzufahren, griff die Staatsgewalt zum Erpressungsversuch: entweder Anzeige oder Ticket lösen.

Auf dem Rückweg zum Camp lief es nicht so glimpflich ab. Als sich ca. 80 Camper­Innen in einer Regionalbahn drängten, tauchte Polizei und SEK wieder auf, diesmal weniger diskussionsbereit. Ohne Warnung oder Begründung versuchten sie mittels Schlagstöcken und Pfefferspray in den Zug zu gelangen. Dabei wurde ein Camper verhaftet und mehrere Panikanfälle ausgelöst.

Mit Konfrontationen mit der Staatsgewalt, sowie allgemein mit „Demokultur“ wurde sich dann auch während des Camps auseinandergesetzt. In einem Workshop tauschten ca. 60 AktivistInnen ihre Erfahrungen aus. Schon so früh wie möglich sollten Gruppen entstehen und sich über persönliche Stärken, Schwächen, Durchhaltevermögen, Angstgrenze etc. auszutauschen, damit Vertrauen und Zuverlässigkeit entstehen kann. Solidarität im Kleinen eben.

Dies war nur eine der ca. 150 Veranstaltungen und Workshops auf dem Camp-Inski. Inhaltliche Auseinandersetzungen fanden zu Themen wie Befreiungskämpfen in Lateinamerika, Gentechnik und Landwirtschaft, Hierarchien, Sexismus, Globale Rechte uvm. statt. Speziell eine Debatte erhitzte die Gemüter des gesamten Camps: die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Eine sich als anti-imperialistisch verstehende Gruppe stieß mit der Forderung: „Stoppt den mörderischen Angriffskrieg Israels gegen den Libanon. Gerechtigkeit für Palästina“ auf viel Empörung. Nachdem ihr Transpi eines Nachts im Dixi gelandet war, brach die große Aufregung aus. Die besagte Gruppe verurteilte das gesamte Camp und erwartete Entschuldigungen. Die Tat an sich („fremdes“ Transpi ohne Worte abnehmen und wegschmeissen) sollte daraufhin getrennt vom Inhalt des Transpis diskutiert werden. Ein Tag später hing ein neues Transpi mit oben genanntem Inhalt, aber diesmal begleitet von einem Weiteren mit der Aufschrift „Stoppt den antisemitischen Irrsinn von Hamas, Hisbollah. Existenzrecht für Israel“. Auch wenn später noch diverse Workshops u.a. zum Libanon und „Antisemitismus in der Linken“ stattfanden, wurde es offensichtlich, dass zum Thema Naher Osten noch viele Debatten innerhalb der globali­sierungs­kritischen Bewegung nötig sind.

Insgesamt gesehen war das Camp-Inski aber ein riesiger Erfolg. Der Ausblick auf eine realistische Möglichkeit, die G8-Proteste nächstes Jahr öffentlichkeitswirksam, mit reflektierten Inhalten und hunderttausendfacher Beteiligung durchzuführen, war überwältigend. Der G8-Gipfel 2007 bietet nur eine Möglichkeit gegen einen Globalisierungsprozess zu demonstrieren, welcher ein ignorantes Herrschaftssystem repräsentiert, das im Namen vom profitorientierten Wirtschaftswachstum, den Wohlstand und das Glück dieser Welt nur für die „1.Klasse“ reservieren will. Auch wenn in den westlichen Nationen im Gegensatz zu südlichen Ländern, die alltägliche Gewalt nicht unmittelbar erfahren wird, sind auch die Menschen z.B. in der EU oder USA von den fatalen Folgen eines kapitalistischen und politisch globalen Systems tagtäglich betroffen. Es gilt kritisch zu denken, Konti­nuitäten aufzubauen, sich solidarisch zu verhalten und laut NEIN zu sagen zu einer Politik der Angst und arroganten Machtinszenierung.

droff

(1) Ein Währungssystem mit festen Wechselkursen auf Dollarbasis, das1973 zusammenbrach. Es wurde auf der Bretton-Woods-Konferenz 1944 beschlossen, wo auch Weltbank und IWF gegründet wurden.
(2) Heute treffen sich einmal im Jahr die politischen Eliten (Regierungsvertreter und Minister) der heute acht wirtschaftlich stärksten Nationalstaaten, sowie der Präsident der Europäischen Kommission und der Präsident des Europäischen Rates zu den Gipfeltreffen.
(3) weiterhin: „G8-Gipfel: so what?!“, Broschüre zum Diskussionsforum G8 beim Buko-29-Kongress, Mai 2006 in Berlin: www.buko.info
(4) Infogruppe: www.gipfelsoli.org, Interventionistische Linke: www.g8-2007.de, dissent! Gruppe: dissentnetzwerk.org. Siehe auch FA! #7: „Proteste gegen den G8-Gipfel“, FA! #23: „29. Buko-Kongress und G8“.
(5) weiterführend: „Einblicke in das Innenleben einer Mobilisierung“: www.gipfelsoli.org/Heiligendamm.html
(6) www.heiligendamm2007.de
(7) www.camp06.org
(8) www.clownarmy.org

BUKO30: macht#netze?

Fragen zum Internationalismus-Kongress

Der 30. „Bundeskongress Inter­natio­nalismus“ (der BUKO) findet in diesem Jahr vom 6. bis 9. April in Leipzig statt. Um die 130 entwicklungspolitische Organisationen, Solidaritätsgruppen, internationalistische Initiativen, 1-Welt-Gruppen und -Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte vernetzen sich im unabhängigen Dach­verband und bilden die „Bundeskoordi­nation Internatio­nalismus“ (die BUKO) – als einen „Ort linker, herrschaftskritischer Debatten“. Diese Leute finden sich mit vielen Anderen jährlich zusammen, um zu reden, zu hören, zu streiten und vieles mehr. Eine Mitorganisatorin aus der Leipziger Vorberei­tungs­­gruppe gibt Einblick in den Entwick­lungs­prozess und in bereits gesetzte Schwer­punkte.

FA!: Wer bereitet den Kongress vor und wie habt ihr euch gefunden?

Das ist jetzt natürlich bloß meine Sicht der Dinge: Im Herbst letzten Jahres gab es mehrere Treffen im linxxnet und irgendwann hat die handvoll Interessierter – im Beisein der beiden Leute von der in Hamburg eingerichteten Geschäftsstelle – sich für einen BUKO in Leipzig ent­schieden. Wegen der mangelhaften „Rückbindung in die linken Gruppen“ war unsere Unsicherheit groß. Zusammen sitzen nun u.a. Leute von StuRa, attac, der Kamera-Initiative, aber auch „Ungebun­dene“ – viele von den „üblichen Verdäch­tigen“ haben aber entweder keine Lust auf Orga-Kram oder politische Vorbehalte. Die auch politisch heterogene Vorberei­tungs­gruppe versteht sich wie auch der und die BUKO insgesamt als undog­matisch und versucht, einen emanzi­patorischen Anspruch zu verwirklichen. Die meisten haben noch nie beim BUKO oder einem vergleichbaren Großprojekt mitgemacht und profitieren von den sammelbaren Erfahrungen.

FA!: Kannst du mir ein Bild vom aktuellen Stand geben?

Bis jetzt gab es ca. fünf bundesweite Vorbereitungstreffen in Leipzig, bei denen die inhaltliche Ausrichtung entwickelt und die Arbeitsgruppen gefunden bzw. vorgestellt wurden. Auch dazwischen gab es über eine Mailingliste viele Diskussions­prozesse z.B. zum Selbstverständnis und zur Kongresszeitung, die nun überall ausliegt. Dabei gab es auch Konflikte bezüg­lich Hierarchiebildung und Um­gangs­weisen untereinander, die leider auch Einzelne zum Ausstieg bewegt hat.

Wöchentlich trifft sich im linxxnet die lokale Gruppe, um infrastrukturelle und Leipzig-bezogene Organisationsfragen zu klären bzw. zu koordinieren. Seit kurzem gibt es außerdem ein Büro, indem jetzt die konkreten Anfragen, der zeitliche Ablauf, die Raumvergabe usw. bearbeitet werden. Der Ort steht übrigens noch nicht fest, wird aber wahrscheinlich Räumlichkeiten der Uni betreffen.

FA!: Was habt ihr inhaltlich vor?

Von den Teilnehmenden an der Vorberei­tungsgruppe werden unter fol­genden Knotenpunkten Ver­an­stal­tungen vorbe­reitet: Mi­gration, An­ti­mi­li­ta­ris­mus, Ge­schlecht, Ener­gie, Pri­va­ti­­sierung, Wi­der­­stand, Or­ga­ni­sierung und „un­­ge­woll­te An­schlüsse“.

Zu Migration ar­bei­ten Leu­te in Berlin bzw. Bran­­denburg (felS und FIB) und LeipzigerInnen (u.a. von der Umtausch­ini­tiative). Die Ini­tia­ti­ve Flughafen natofrei bereitet Ver­an­staltungen zum Thema Krieg und eine Großaktion am Ostersonntag vor. Leute aus Frankfurt planen zahlreiche Work­shops zu „Macht-Geschlecht-Po­li­tik“; die AG Energie arbeitet diesmal zur Energie­politik der G8-Staaten. Aus Bremen und Hamburg wird Privatisierung am Beispiel Bertels­mann intensiv beleuchtet. Wider­ständige Praxis und Organisierungsfragen sind ein weiteres Arbeitsfeld. Verschiedene Einzel­personen und Gruppen, bisher z.B. der Frankfurter Macht-Geschlecht-Politik-AG und der engagierten Wissen­schaft der Uni Leipzig wollen Anti­semitismus, Rassismus und andere Ver­schwörungs­theorien thematisieren.

Wer interessiert ist, kann sich in der Kongresszeitung und bald auch auf der Homepage genauere Informationen holen, das endgültige Programmheft wird er­fahrungsgemäß erst kurz vor Beginn fertig sein.

FA!: Wie und warum seid ihr auf das Motto gekommen und wo findet es sich wieder?

Sowohl Herrschaftsverhältnisse wie Ka­pitalismus, Rassismus und Sexismus, als auch die anderen genannten Themen­felder können nicht losgelöst von­einander betrachtet werden. Die Cross-Over-Konferenz 2002 stand Pate für das doppel­sinnige ‚macht#netze´. Für Wider­stand und Emanzipation ist dann sowohl ei­ne we­ni­ger pla­ka­tive An­a­ly­se nötig, als auch kollektive Er­mäch­tigung, z.B. in Form von verbindlicher Zusammenarbeit verschiedener „Ein-Punkt-Be­we­gungen“ und über Heiligendamm hinaus.

Nicht zuletzt wegen der Agenda-Setzung G8-kritischer Bewegungen gab es den Wunsch nach einem Zusammendenken der politischen Felder. Ebenso wie danach, dass das Streben nach einer freien Gesell­schaft methodisch umgesetzt wird: mehr Austausch von Erfahrungswissen, weniger Frontalsituationen, Abbau von Domi­nanz­­verhalten, Theorien für Bewegung …

Die Verknüpfung der Themen soll durch spezielle Veranstaltungen geschehen, die aber trotzdem von thematisch festgelegten Arbeitszusammenhängen vorbereitet werden. Zeit zum untereinander Ver­netzen wird es außerdem geben. In der Eröff­nungs-, Abend- und auch in der Abschluss­veranstaltung soll das Netz-Prinzip ebenso verwirklicht werden, wahrscheinlich durch Rückblicke auf 30 Jahre Widerstand und über Gespräche anhand des Kongress­mottos und der gelaufenen Workshops.

FA!: Wie wird das dann konkret ablaufen?

Das werden die Teilnehmenden zum Glück zum größeren Teil selbst in der Hand bzw. im Kopf haben, auch und ge­rade, wenn sich ein sehr umfangreiches An­gebot an Veranstaltungen abzeichnet. Es wird auch immer Raum für selbst­or­ga­nisierte Work­shops geben. Freitag gibt es inhaltliche Einführungsangebote und den großen Auftakt; Samstag laufen Workshops und eine öffentliche Abend­ver­an­staltung (noch offen). Am Oster-(marsch-)sonntag ist nach der „Phase des Zu­sammendenkens“ Zeit, aktiv zu werden (z.B. am Flughafen) und Netze zu machen, abends dann die Abschlussparty und Montag die inhaltliche Ab­schluss­veranstaltung.

Ansonsten sind wir für jede Hilfe vor und während des Kongresses sehr dankbar: Schlafplätze, Gemüse, Notfallhilfe und so weiter für 500-1500 zu Erwartende wollen auch gestemmt werden. Das Büro und das montägliche Treffen halb Acht im linxxnet freuen sich auf Besuch und Mithilfe.

Soziale Bewegung

WSF: Protestieren, vernetzen, agieren*

Vom 20.-25. Januar 2007 trafen sich in Nairobi, Kenia, circa 50.000 (1) GlobalisierungskritikerInnen und Gras­wurzel­aktivist­Innen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Hilfs­werke, kirchliche Vereinigungen und Stiftungen aus allen Kontinenten unter dem Motto: „Eine gerechtere Welt ist möglich“ zum siebten Weltsozialforum (WSF). Der Gipfel sollte vor allem den sozialen Bewegungen Afrikas die Gelegenheit bieten, auf ihre Kämpfe aufmerksam zu machen. Auf über 1.200 Workshops, Seminaren und Kundgebungen wurden Themen wie Hunger, Aids, die Schul­d­en­­problematik der Entwicklungsländer und gewaltsame Konflikte behandelt.

Eröffnet wurde das Forum von mehreren bunten Demonstrationen, die zur Auftakt­veranstaltung zogen. Eine startete am Rande des Mega-Slums Kibera, ein weiterer ökumenischer Zug vereinte verschiedene kirchliche Organisationen und Hilfswerke. Es sprachen Aktivist­Innen sozialer Be­wegungen aus dem Nahen Osten, aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa sowie der ehemalige Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, die mehrmals an die Unabhängig­keitskämpferInnen gegen 500 Jahre (Neu)-­Kolonialismus erinnerten.

Viel Raum nahmen Themen wie EPAs („bilaterale wirtschaftliche Partner­schafts­abkommen“), Landverteilung, der Kampf gegen die Obdachlosigkeit und Migration ein.

Das Weltsozialforum entstand 2001 als Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, welches den Triumph des neoliberalen Kapitalismus fest­schreiben will. Das WSF steht in der Nachfolge der Proteste in Seattle 1999 gegen das Treffen der Welt­handels­organisation (WTO), das daraufhin abgebrochen werden musste. Die Kon­zeption des WSF als „Anti-Davos“ sollte dafür sorgen, den KritikerInnen der Zu­mutungen der ökonomischen Welt­ordnung eine deutlich vernehmbare Stimme zu verleihen. Der Umfang des Treffens hat seit 2001 beständig zu­genommen. Anders als reine Protest­veranstaltungen sind diese Treffen auf konstruktiven Protest, Selbst­er­mächt­igung und die solidarische Ver­netzung der Kämpfe der Armen ausgerichtet.

Doch solche Erwartungen wurden dieses Jahr im Kasarani Moi International Sports Centre, einem großen Fußball­stadion, das für das WSF gemietet worden war, ent­täuscht: Die größten Schlagzeilen machte der Protest der Armen aus dem nahe gelegenen (Mega-Slum) Kibera, die die Umzäunung des Stadions durch­brachen und niedrigere Eintritts- und Verpflegungspreise forderten.

Aus Protest gegen die Kom­merz­iali­sierung (die Handy-Firma Celtel trat überall sichtbar als Hauptsponsor auf und über­nahm die Registrierung der Teil­nehmer­Innen) und die hohen Kosten, die den TeilnehmerInnen entstanden und für viele unbezahlbar waren, bildete sich in einem Park in der Nähe des Stadtzentrums ein Peoples’ Parliament. Hier diskutierten SlumbewohnerInnen, Stu­dierende, Er­werbs­­lose, und Beschäftigte ver­schieden­ster Herkunft miteinander. Auf einer der Versammlungen wurde eine Delegation gewählt, die mit der Orga­nisations­leitung des WSF die strittigen Punkte verhandeln sollte. Da jene sich aber uneinsichtig zeigte, wurden am nächsten Morgen die Einlässe kurzzeitig gestürmt, wodurch etwa 200 Personen kostenlos Zutritt erhielten. Ein erneutes Treffen mit dem Organisationsleiter, Profes­sor Oyugi endete ergebnislos und am anderen Tag wurde die nochmalige Besetzung der Einlässe durch Polizei- und Armee­einheiten vereitelt. In Reaktion darauf blockierten Einige die Haupt­zu­fahrts­straße, bis die Tore nach rund 30 Minuten wieder geöffnet wurden. Ein Protestzug begab sich anschließend zum Or­gani­sations­­komitee, um eine dauer­hafte Lösung, kostenloses Wasser und gün­stigeres Essen durchzusetzen. Dies gelang teilweise, nachdem eine Presse­konferenz gestürmt worden war und die Kenianer­Innen freien Zugang zu den Diskussionen und Work­shops erhielten. Als dann eine bekannte Tageszeitung meldete, dass dem unbeliebten kenianischen Minister für innere Sicherheit das teuerste Restaurant der Stadt gehört (noch dazu das einzig zentral gelegene auf dem WSF), wurde erneut eine Demon­stration organisiert. Die Protestierenden besetzten an­schlie­ßend das Hotel und verteilten reihen­weise kostenloses Essen an Kinder.

Bemängelt wurden neben der Kom­merz­ialisierung auch die mangelnde Thema­tisierung des Klima­wandels und des rasanten Wirtschafts­wachstums von Staaten wie China, Indien und der Türkei.

An der Frage, ob Frauen ausreichend Raum auf dem Treffen in Nairobi ein­geräumt wurde, schieden sich die Geister: So sprechen (z.B. Organisationen wie WEED und attac) von einem sehr erfolgreichen Treffen und sind der Ansicht, dass die Frauen­initiativen be­sonders erfolgreich dabei gewesen seien „Gen­der-Themen mit den übrigen Schwer­­­­­­­punkten des Treffens in Nairobi zu verbinden und hierfür Gehör zu finden.“ (2) Andere sahen eine massive Unter­repräsentanz von Frauen, sowohl unter den TeilnehmerInnen als auch unter den Vorbereitenden. Der Prozess der Kon­ferenz wird als männlich dominiert und zentralisiert beschrieben, was die Be­völkerungs­struktur in Kenia wider­spiegele. Insgesamt seien Frauenbelange inner­halb der Tagung, wie auch in Ostafrika allgemein am Rande geblieben.

Hoffnung in der „Frauen­frage“ weckt das zunehmende Bewußtsein der Teil­nehmer­Innen der Veranstaltung be­züglich dieser Problematik. In den vergangenen Jahren bildeten sich vor allem dank emanzipierter Frauen Sozial­foren in Uganda, Tansania, Kenia, Äthiopien und Somalia. Auch innerhalb des diesjährigen Treffens musste mann sich hin und wieder Fragen gefallen lassen, wobei es durchaus Männer gibt, die die Notwendigkeit des ge­mein­samen gleich­berechtigten Kampfes erkennen. (3)

Positiv hervorgehoben wurde von mehr­eren TeilnehmerInnen trotz aller Kritik vor allem die Funktion des WSF als „Markt­platz“ für Erfahrungsaustausch und Vernetzung. Wer wollte, konnte seine Kontakte international erweitern und ausbauen. Dies gelang insbesondere den Netzwerken gegen Wasser­privat­isierung, Krieg und Militärbasen.

Die künftige Herausforderung für das Weltsozialforum wird es sein, seinen Platz in der Realität zu finden, sich klar zur Klasse der Armen und Arbeitenden zu positionieren und dabei die chaotische Verschiedenheit der Debatten zu bündeln und zu ko­ordinieren.

In kompakter Form liest sich dies in der Charta des WSF so: „Das Welt­sozial­forum ist ein Prozess, der seine Teil­nehmer­organisationen und -bewegungen anregt, ihre Tätigkeiten in die Zu­sammenhänge von lokalen bis nationalen Ebenen hinein zu stellen, und aktive Teilnahme im inter­nationalen Kontext zu suchen, als An­liegen einer planetarischen Staats­bürger­schaft, und in die globale Agenda ihre Veränderung her­vorbringenden Prak­tiken, mit denen sie experimentieren, eine neue Welt in Soli­darität auf­zubauen, einzubringen.“ (4)

hana

* „The World Social Forum is about three things (…) about protesting, networking and ptroposing“. www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.163/
(1) Die Quellen nennen Teilnehmerzahlen zwischen 20 -50.000.
(2) Frank Kürschner-Pelkmann, WEED, www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.197/
(3) www.germany.indymedia.org/2007/01/166550.shtml
(4) www.weltsozialforum.org/prinzipien/index.html
Quellen:
www.taz.de/pt/2007/01/20/a0191.1/text, www.germany.indymedia.org/2007/01/166550.shtml
www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/index.html?Partition=1

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