für kreative Aktionen, eine andere Lernkultur und gegen Zwangsschule
Es finden sich innerhalb einer großen politischen Bewegung immer wieder Leute zusammen, die aus unterschiedlichen Motivationen mitunter sehr verschiedene Wege gehen, um anderen Menschen von ihren Ideen, ihrer Kritik an bestehenden Umständen und ihren Wünschen und Alternativvorschlägen zu berichten. Meistens werden die Leute mit Diskussionen, Workshops, Konferenzen, Vorträgen und Filmen, welche meist ungewöhnliche Fragen aufwerfende Titel tragen, umworben.
Man hofft damit zumindest zu erreichen, dass wenigstens einige „schon mal was davon gehört“ haben; dass es beispielsweise auch Schulen ohne Zensuren gibt und sogar Leute, die behaupten, man würde sogar ohne eine Institution etwas lernen können. So wird ein Informationsminimum weitergetragen und es bleibt die Hoffnung, dass vielleicht einmal ein interessierter Mensch genauer recherchiert.
Doch im Idealfall entsteht durch den Impuls „Andersdenkender“ ein Dialog und aus diesem ganz alltäglichen kleinen Interesse wird wieder ein sehr großer Gedanke, welcher im Laufe der Zeit unter günstigen Umständen an vielen kleinen Orten großes bewirken kann. Dieser Gedanke ist wichtig, um sich nicht von scheinbaren „Misserfolgen“ (falls es sowas überhaupt gibt) entmutigen zu lassen.
Im alltäglichen Zusammenhang, „auf der Straße“ wollen einige Individuen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen anfangen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Sie möchten mit gut vorbereiteten, kreativen, provokanten, verwirrenden Aktionen die Leute ins Gespräch ziehen und eine kleine Auseinandersetzung mit bestimmten Themen anschubsen. Dazu gehört, niemanden persönlich bösartig anzufeinden, denn jeder hat das Recht auf seine Meinung, gerade deshalb muss eben mit Kritik gerechnet werden. Weil diese Kritik aber in der Realität kaum oder erschreckend indirekt – über Medien oder Filme – geschieht, wollen wir etwas Kritik direkt in den Alltag der Menschen impfen und eine Streitkultur entwickeln, die Leute statt zur Flucht oder Aggression zum sachlichen Nachdenken bringen kann. Um den Effekt „schon mal gehört“ zu erwirken, sind auch Informationen auf Papier (mit Adressen von Gruppen, Netzwerken, Vereinen, die sich mit dem Thema befassen) sehr praktisch, die man neugierig Schauenden in die Hand drücken kann. Ein weiteres Vorhaben ist, einen Aktionsreader in Papier und virtuell im Internet herauszubringen, der Tips und Tricks für eigene Aktionen zusammenfasst und von Jedem und Jeder erweitert werden kann.
Wir selber wollen ein offenes bundesweit agierendes Aktionsnetzwerk ohne Namen und feste Struktur bleiben. Theorien haben sich schon andere zu r Genüge ausgedacht und verbreiten sie. Eigene Büros sind ein wahnsinniger Kostenfaktor. Offizielle „Verantwortliche“ hemmen unserer Ansicht nach die Heterogenität (Vielfalt) und Horizontalität des nicht-hierarchischen Organisationsanspruches. Jede und Jeder ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Die einzelnen Menschen treffen sich, um ergebnisorientiert einzelne Aktionen bzw. Projekte vorzubereiten. Die ganze Sache setzt voraus, dass sich an diesen Aktionen Leute beteiligen, die schon ein gewisses Grundwissen über grundlegende Schulkritik und Alternativen, (auch über Montessouri) angesammelt haben und auch Wissen weitergeben können, wohin man sich mit welchen Fragen wenden kann. Was mensch noch nicht weiß, kann er und sie aber immernoch lernen.
Ein Aktionsnetzwerk besteht aus Menschen, die sich kennen, sich vertrauen und sich treffen, um zusammen einzelne Aktionen vorzubereiten. Wir wollen versuchen, so gut es geht, ohne großen Aufwand von finanziellen Mitteln auszukommen. Wir hoffen sehr auf Sachspenden, die uns Leute für Aktionen bereit stellen wollen. Geplant ist es, einen Reader mit einer Sammlung von schulkritischen Aktionsideen zu drucken und zu verbreiten, gerade dafür benötigen wir noch einiges an Sachmitteln.
Sabine
Wer im Text Informationen über Schulkritik vermisst, dem seien einige Internet-Links empfohlen:
Seit über einem Jahr laufen nun schon Initiativen, Bündnisbildungen und angestrengte Wochenenden, um sich beim diesjährigen Treffen der acht selbst ernannten mächtigsten Länder der Welt im Ostseebadeort Heiligendamm vom 6. bis 8. Juni globalisierungskritisch zu äußern. Gründe dafür gibt es wie Sand am Meer. Aber wo kann ich mich dann an Protest und Widerstand beteiligen? Grobe Schätzungen über die Zahl der MitarbeiterInnen am Gipfel, am Protest und an der polizeilichen Absicherung bewegen sich jeweils im 10 000er Bereich. Zunächst einmal muss also geklärt werden, wo ich nicht mitmachen will. Wenn z.B. die Rede von „gierigen Kapitalisten“ und „jüdischer Weltherrschaft“ ist oder nationalistische Argumentationen fallen. Die GlobalisierungsgegnerInnen von NPD und „Kameradschaften“ wollen am Samstag vor dem Gipfel in Schwerin marschieren, während in Rostock eine Großdemonstration aller GlobalisierungskritierInnen stattfindet. Aber auch bei anbiedernden Forderungen und Verbesserungsvorschlägen durch einige NGO´s wird im Trüben gefischt, weil auf die Art „ganz friedlich und seriös“ zum Ansehen der nicht demokratisch legitimierten „Gruppe der Acht“ beigetragen wird, für die Pseudo-Schuldenerlässe und ähnliches Blendwerk inzwischen zum Programm gehören, wie das gemeinsame Abschlussphoto.
Initiativen und Aktionen
Empfehlenswert sind frühzeitig gebildete „Bezugsgruppen“, die gemeinsam campen und koordiniert an Entscheidungen und Aktionen teilnehmen können. Auch in Sachsen und Leipzig gibt es inzwischen eine breite Anti-G8-Vernetzung (g8-leipzig@gmx.de, siehe Termine). Für den notwendigen Widerstand wird es neben juristischen, medizinischen und psychologischen auch Anlaufstellen für weit gereiste und rückzugsbedürftige AktivistInnen in Form von Convergence-Centern in Rostock, Hamburg und Berlin (als ganze „Convergence-Zone“) sowie einen Grenzpunkt in Dresden geben.
Block G8 – Unter breiter Beteiligung, Respektierung individueller Grenzen und transparenten Entscheidungsstrukturen (dazu gibt es kontroverse Äußerungen) sollen Massenblockaden als kalkulierbare Situationen organisiert werden, die symbolisch und praktisch wirksam sind, indem sie etwa das Gipfelhotel infrastrukturell isolieren. Beteiligt an den Planungen sind bisher viele größere linke Gruppen, die ihrerseits viel Erfahrung aus Castor-Protesten, Nazi-Blockaden und Gipfelprotesten mitbringen. Außerdem ruft die P.A.U.L.A. „(überregionales Plenum – antiautoritär – unversöhnlich – libertär – autonom“) zu dezentralen Blockadeaktionen um die „Rote Zone“ auf. Zu den antimilitaristischen Aktivitäten siehe S.8. Gentechnik, Supermarktketten und anderes steht am Aktionstag Landwirtschaft (3.Juni) auf dem Programm. Von migrationspolitischen und anderen Gruppen werden Karawanen vorbereitet, die (auch mit dem Fahrrad von Budapest und Brügge) an Asyl-Lagern und Atomkraftwerken Station machen werden, um spätestens am 2.Juni zur Großdemonstration in Rostock anzukommen Für die meisten MigrantInnen ist politische Betätigung schwer leistbar bzw. verboten, weswegen ein kraftvoller gemeinsamer Auftritt sehr wichtig ist. Ein migrationspolitischer Aktionstag am 4. Juni wird weitere Interventionen ermöglichen. Auch kreative Protestformen wie z.B. die Clowns-Armee sind dabei, neben dem Grönemeyer-Konzert am 07.06. wird hoffentlich noch mehr künstlerische Ausdruck möglich sein.
Reclaim The Media
International verbundene freie Radios, VideoaktivistInnen und andere Medieninteressierte rufen zur alternativen G8-Berichterstattung auf: Unkommerziell und emanzipatorisch, also auch kritisch, soll im Vorfeld und während der Protestzeit möglichst vielsprachig produziert und gesendet werden, sowohl von einem geplanten unabhängigen Medienzentrum in Rostock, als auch von mobilen Standorten aus. Trotz einiger Vorbehalte im Dissent-Spektrum gegenüber autorisierten PressesprecherInnen hat sich dort eine Arte Pressegruppe gebildet, die transparent und offen arbeiten will, indem sie Infrastruktur und Hilfestellungen liefert. Das Sammeln, Strukturieren, Prüfen und Zugänglichmachen von Informationen über laufende Aktionen wird ihrer Ansicht nach gerade notwendig sein, wie auch die Teilnahme an Pressekonferenzen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
clara
Weitere Infos und Unterstützungsmöglichkeiten gibt´s z.B. bei:
Ein kleiner Bissen zapatistischen Politikverständnisses
13 Jahre ist es nun her, dass die zapatistische Bewegung der Campesin@s (1) (Kleinbauern/Kleinbäuerinnen) mit ihrem Ruf nach Anerkennung als Teil der mexikanischen Gesellschaft in die Öffentlichkeit trat. Die Forderung nach Autonomie, die alle gesellschaftlich relevanten Bereiche, wie die kulturelle Eigenständigkeit, die Kontrolle über die Ressourcen, politische Selbstverwaltung und ein eigenes Rechtssystem umfasst, existierte dabei eigentlich schon lange bevor die Guerilla der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) erschien und hat sich bis heute kaum verändert.
Sichtbar verändert hat sich dagegen, dass seit dem Aufstand der Zapatistas am 01. Januar 1994 die Autonomie in den aufständischen Gebieten nicht mehr nur gefordert, sondern gegen den Willen der Regierung und mit der Unterstützung der EZLN in die Tat umgesetzt wird. Dabei verstehen die Zapatistas unter Autonomie ausdrücklich nicht die „Fragmentierung des Landes oder Separatismus, sondern die Ausübung des Rechtes, uns selbst zu regieren, wie in Artikel 39 der politischen Verfassung [Mexikos] verankert“ (Subcomandante Marcos). Ihr Politikverständnis und ihre Vorstellungen vom revolutionären Kampf, für eine radikale Basisdemokratie, ihre Selbstbestimmung und für die Würde stellen dabei nicht nur abstrakte Ziele dar, sondern sind in ihrem Alltag allgegenwärtig.
Durch die großflächige Wiederaneignung und Besetzung von fruchtbarem Land wurden seit 1994 nötige Freiräume geschaffen, in denen autonomes Denken und Handeln überhaupt erst möglich wurde. Bis heute hat sich somit ein alternatives Verwaltungssystem etabliert, in dem die einzelnen Comunidades (Gemeinden) die oberste Entscheidungsebene darstellen. Die staatlich festgelegten Municipios (Landkreise) wurden nach geographischen und kulturellen Aspekten neu aufgeteilt und sind heute Orte der Planung kollektiver Landwirtschaft und Entwicklung sowie der Streitschlichtung.
Überregional organisieren sich die Zapatistas über fünf zentrale Versammlungssorte, sog. Caracoles (2), die untereinander weitgehend unabhängig sind und denen die jeweils umliegenden Municipios zugeordnet wurden. Die Caracoles fungieren in erster Linie als Kommunikations- und Logistikzentren, in denen sich neben den großen Versammlungsstätten auch Läden, Werkstätten, Kultureinrichtungen und vereinzelt auch weiterführende Schulen und Hospitäler befinden. Sie dienen als Anlaufstelle für jene, die Kontakt mit den Zapatistas aufnehmen wollen. Hier finden auch die Treffen mit der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft (3) statt.
Das entscheidende Merkmal der zapatistischen Selbstverwaltung ist der Grundsatz, dass die Entscheidungsmacht über die Gestaltung des Zusammenlebens bei den Gemeinden liegt, die alle Belange in Vollversammlungen diskutieren und im Konsens beschließen. Dies gilt ebenfalls für Entscheidungen, die das militärische und politische Vorgehen der Guerilla betreffen. Die EZLN sieht sich ihrer Basis verpflichtet und handelt nicht, ohne vorher Absprachen mit ihr zu treffen.
Die gewählten Vertreter_Innen werden als Verantwortliche für die politischen Ämter in den Landkreisen und Caracoles entsandt, wo sie nach dem Grundprinzip des „gehorchenden Regierens“ jederzeit wieder von ihren Aufgaben enthoben werden können, sofern diese nicht nach den Beschlüssen ihrer Gemeinde handeln. Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist die ständige Rotation der Verantwortlichen zwischen den einzelnen Ämtern. Je nach Gebiet haben somit die jeweiligen Entsandten nur wenige Wochen einen Aufgabenbereich inne. Dies soll zum einen einen wirksamen Schutz gegen Korruption und Amtsmissbrauch bieten, zum anderen aber auch möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, selbst an den Verwaltungsaufgaben teilzuhaben, die als Multiplikatoren ihre Erfahrungen in die Gemeinden zurück tragen und somit ein breites Verständnis für die Anforderungen der Selbstverwaltung in der Bevölkerung erzeugen.
Diese Art der Politikgestaltung ist natürlich sehr zeitintensiv und verlangt von den Zapatistas sehr viel Geduld. Gerade dieser Aspekt spiegelt aber auch den Anspruch des zapatistischen Politikverständnises wieder, “im Tempo des Langsamsten zu gehen”, um auch alle, die es wollen, am Aufbau alternativer Formen des Zusammenlebens zu beteiligen. Gemäß dieses Prinzips und dem des Preguntando caminamos („fragend gehen wir voran“) probieren die Zapatistas ihre Vorstellungen von Autonomie immer wieder neu aus und modifizieren ihr Konzept nach aufgetretenen Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung. Das hat auch zur Folge, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden zum Teil erheblich sind und generalisierende Aussagen über das Leben dort kaum getroffen werden können. Jede Dorfgemeinschaft lebt die Autonomie auf ihre eigene Art, wobei die verschiedenen indigenen Traditionen eine entscheidende Rolle spielen. Auch dieser Umstand bildet einen grundlegenden Konsens im Autonomiekonzept der Zapatistas. Das erklärte Ziel „eine Welt“ aufzubauen, „in der viele Welten ihren Platz haben“, beinhaltet gerade eben den Versuch, eine Vielzahl von möglichen Lebensformen nebeneinander existieren zu lassen, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Eben darin unterscheidet sich der zapatistische Autonomieanspruch von dem homogenisierenden Konzept des modernen kapitalistischen Staates, in dem das Individuum unabhängig von seiner kulturellen Identität (bspw. als Angehörige_R einer indigenen Kultur) als bloßes Wirtschaftssubjekt (bspw. als Kleinbauer/Kleinbäuerin) oder potenzielle Wähler_In verstanden wird. Darüber hinaus stößt dieser Anspruch in der Selbstbetrachtung aber gleichzeitig auch an eigene traditionsbestimmte Ungleichgewichte sozialer Machtverhältnisse, die einer kritischen Reflexion unterzogen werden. Das betrifft an dieser Stelle insbesondere das Rollenverständnis von Mann und Frau. So wurde bereits ein Jahr vor dem Aufstand der Zapatistas in den Gemeinden das als ‚Revolution in der Revolution‘ bekannt gewordene „Revolutionäre Frauengesetz“(4) verabschiedet.
Leben im Süden Mexikos
Die meisten der zapatistischen Gemeinden wurden im Zuge der Landbesetzung nach 1994 gegründet und befinden sich auf Gebieten ehemaliger Großgrundbesitzer_Innen, die teilweise vertrieben wurden oder freiwillig ihr Land aufgaben.
Einige der Gemeindeländereien wurden mittlerweile durch den Kauf des Landes legalisiert, was allerdings nur wenigen der zapatistischen Gemeinden möglich ist. Der Großteil lebt währenddessen nach wie vor mit einer kaum abschätzbaren Bedrohungslage der Landvertreibung. Im Rahmen des staatlichen Programms zur “Aufstandsbekämpfung” zielt die Schaffung eines permantenten Zustandes der Angst und Unsicherheit in erster Linie auf die Zermürbung und Spaltung der zivilen Basis der EZLN und ist in vielen Fällen bereits auch geglückt. In Chiapas sind derzeit ca. 60 000 Soldaten in 118 Camps (davon 57 direkt auf Gemeindeland der Indigenen und Bauern) (5) stationiert, so dass die Bevölkerung selbst in den entlegensten Winkeln des Landes einer ständigen Repression durch die Anwesenheit des Militärs ausgesetzt ist.
Zur staatlichen Strategie des Krieges Niederer Intensität (6) gehört zudem die Landvergabe und Ansiedlung regierungstreuer Bauern (sog. Priistas – abgeleitet von ihrer Unterstützung der Staatspartei PRI), die proportional überdurchschnittliche staatliche Zuwendungen erfahren und somit den sozialen und ökonomischen Druck auf die zapatistischen Familien erhöhen. Gleichzeitig stellen diese in vielen Fällen auch die Basis für paramilitärische Organisationen. Die Duldung und Unterstützung paramilitärischer Gruppen durch die politische und wirtschaftliche Elite des Landes zielt vor allem auf die Verschleierung der staatlichen Verantwortung für Übergriffe auf zapatistische Gemeinden, indem der Konflikt in Chiapas in der Öffentlichkeit als Problem zwischen unterschiedlichen indigenen Gemeinden oder Gruppen dargestellt wird.
Trotz dieses Umstandes hat sich die Lage der zapatistischen Kleinbauern in den letzten 13 Jahren vielerorts sichtbar verbessert, vor allem im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung, die neben der Selbstversorgung durch die vielen unterschiedlichen Kooperativen für Kaffee, Kunsthandwerk und andere Agrarprodukte erreicht wurde. Ein zapatistischer Dorfbewohner kommentierte dies mit Blick auf die dicken Bäuche der Männer in seiner Gemeinde. Allgemein sollte das aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben der Campesin@s nach wie vor von absoluter Armut geprägt ist. Noch heute sind die häufigsten Todesursachen leicht heilbare Krankheiten, zu einem Großteil hervorgerufen durch die meist fehlende Trinkwasser- und Abwasserversorgung sowie die Bereitstellung öffentlicher Basisdienste (7).
Der Konstruktion eines regierungsunabhängigen Gesundheits- und Bildungssystems kommt daher im Kampf um die Autonomie eine besondere Bedeutung zu. In fast jeder Gemeinde wird über die Ernennung von Promotoren (als eine Art Beauftragte) für den Schulbereich und die medizinische Versorgung eine schrittweise Verbesserung der Lebensbedingungen angestrebt. Zum einen bietet dies die Gelegenheit, traditionelles und auf die Region abgestimmtes Wissen, das teilweise bereits verlorengegangen schien, wieder zu beleben und auch weiterhin zu nutzen. Zum anderen dient gerade das staatliche Gesundheits- und Bildungswesen immer wieder zur massiven Einflussnahme und rassistischen Unterdrückung der indigenen Bevölkerungsschichten (so z.B. zur Zwangssterilisation indigener Frauen oder dem “Verlorengehen” der Mayasprachen durch ausschließlich in spanischer Sprache geführten Unterricht).
Widerständige Praxis zwischen Alltag und revolutionärer Utopie?
Auf dem Weg in die kulturelle Selbstbestimmung stehen die Zapatistas dabei auch weiterhin erst am Beginn eines langen, aber notwendigen Prozesses, was ihnen auch sehr bewusst ist. Autonomie kann dabei in vielen Fällen aber gerade nicht mit Autarkie gleichgesetzt werden. Nach wie vor sind gerade die Projekte zur grundlegenden Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation nicht ohne die Unterstützung von außen realisierbar. Dies betrifft beispielsweise die technische und finanzielle Abhängigkeit der zapatistischen Campesin@s von solidarischen Organisationen und Einzelpersonen aus dem In- und Ausland beim Aufbau einer unabhängigen Trinkwasser- und Stromversorgung, wie auch die Notwendigkeit einer weiterhin breiten, weltweiten Öffentlichkeit, die durch alle aktiven Unterstützer_Innen, insbesondere aber durch die Menschenrechtsbeobachtung erreicht wird. Dass es trotz aller politischer Abwägungen dabei auch zu Grenzfällen zwischen der guten Absicht konkreter Unterstützung und fehlender Konfliktsensibilität mit Blick auf die langfristigen Folgen einer nicht genügend reflektierten Einwirkung von außen kommen kann, ist nicht auszuschließen. Gerade die Arbeit als internationale_R Unterstützer_In verlangt in dieser Hinsicht die Reflexion des eigenen kulturellen Selbstverständnisses und der Vielschichtigkeit des politischen Kampfes, der in den bestehenden Verhältnissen und alltäglichen Möglichkeitsräumen zum Widerstand unterschiedlich gegeben ist, in Chiapas ebenso wie in allen anderen Teilen der Welt.
Dabei bleiben auch die zapatistischen Campesin@s hinsichtlich ihres eigenen Emanzipationsprozesses selbstkritisch im Bezug auf die Reflexion ihrer eigenen Tradition und Werte. Seit der Rebellion 1994 wurde vieles hinsichtlich der Verwirklichung einer alternativen Lebenspraxis erreicht, dagegen in vielen sozialen Teilbereichen erst zögerliche Schritte begonnen. Daher wird es auch zukünftig nötig sein, weiterhin das nötige Durchhaltevermögen beizubehalten und den alltäglichen Widerstand poco en poco umzusetzen.
LottenLise
(1) Als gendergerechte Schreibweise wird in der kastilen (allg. als Sp. bekannten) Sprache das „a“ für die weibliche bzw. das „o“ für die männliche Form durch ein „@“ ersetzt & so im Artikel verwendet.
(2) Übersetzt „Schneckenhaus“. Dieses Symbol wurde bewusst gewählt, um den zapatistischen Entscheidungsprozess zu veranschaulichen, in dem die vielen Stimmen am Ende der basisdemokratischen Entscheidungsfindung zu einem Konsens führen sollen.
(3) „Zivilgesellschaft“ wird im zapatistischen Diskurs in Abgrenzung zur europäischen Definition generalisierend als der Teil der Bevölkerung verstanden, der außerhalb der staatlichen Strukturen den Kampf um die Wiederaneignung seiner Lebensbedingungen aufgenommen hat.
(4) Eine deutsche Version der ersten Fassung von 1993 unter www.npla.de/poonal/p134.htm.
(5) Vgl. www.sipaz.org/data/chis_de_03.htm (Stand 2005).
(6) Der Krieg der Niederen Intensität zielt weniger auf eine direkte militärische Zerschlagung der Guerilla, sondern ist vielmehr als eine psychologische Kriegsführung gegen die Basis, also den zivilen Teil der Bewegung, zu verstehen. Diese Strategie wurde bereits in den 40er Jahren an der in Panamá, durch US-amerikanisches Militär, gegründeten School of the Americas (S.O.A.) entwickelt, wo die Mehrzahl lateinamerikanischen, militärischen Führungspersönlichkeiten ausgebildet wurde. Heut befindet sich die Schule unter dem Namen Western Hemisphere Institute for Security Cooperation (WHINSEC) in Fort Benning im US- Bundesstaat Wisconsin. Mehr unter: www.imi-online.de/download/AUSDRUCK-08-2004JP-Chiapas.pdf#search=%22Krieg%20niederer%20Intensitaet%22
Im Sommer des letzten Jahres war ich über vier Monate als Menschenrechtsbeobachterin in verschiedenen zapatistischen Gemeinden unterwegs. Vorbereitet wurde ich auf die Arbeit bereits in Deutschland über den gemeinnützigen Verein CAREA e.V. in Berlin. Zusammen mit anderen internationalen Beobachter_Innen arbeitete ich für das Menschenrechtszentrum Fray Bartólome de las Casas in San Christobal, der zweitgrößten Stadt in Chiapas. Von dort aus wurden wir jeweils für zwei Wochen in unterschiedliche Dörfer entsandt, um eventuelle Menschenrechtsverletzungen und die derzeitige Militärbewegung zu dokumentieren.
Die Arbeit als Menschenrechtsbeobachter_In besteht vorwiegend darin, eine kritische Öffentlichkeit für die Geschehnisse in Chiapas herzustellen, indem sowohl vor Ort als auch im Herkunftsland über die zapatistische Bewegung berichtet wird und Menschenrechtsverletzungen angezeigt werden, um damit Druck auf die Politik der staatlichen Regierungen auszuüben. Beobachter_Innen werden dabei nur in Gemeinden entsandt, die sich im Vorfeld mit der Bitte um Unterstützung an das Menschenrechtszentrum gewandt haben. Durch die Anwesenheit von Beobachter_Innen sollen vor allem die bereits bestehenden Freiräume erhalten und auch neue geschaffen werden. Aufgrund der anhaltenden staatlichen und paramilitärischen Repression, wie die jüngsten Vorfälle der Räumung der chiapanekischen Gemeinden Chol de Tumbalá und Busiljá im Jahr 2006, bleibt dies leider auch weiterhin notwendig.
Die Menschenrechtsbeobachtung stößt allerdings auch an ihre Grenzen, wenn wie in Städten anderer mexikanischer Bundesländer internationale Beobachter_Innen als „radikale“ Aktivist_Innen kriminalisiert werden und somit in den direkten Konflikt mit dem mexikanischen Staatsapparat geraten. In San Salvador Atenco waren Ausländer_Innen ebenfalls wie viele andere politische Gefangene der Folter und sexuellen Gewalt ausgesetzt. In Oaxaca kam es im Zuge der Vorbereitung einer Großdemonstration Ende des letzten Jahres ebenso zur gezielten Suche nach Ausländer_Innen.
Für weitere Informationen zu den aktuellen Geschehnissen in Oaxaca siehe auch den Beitrag in diesem Heft… Mehr Informationen zur Menschenrechtsarbeit in Chiapas und wie du selbst aktiv werden kannst, erhältst du unter www.buko.info/carea
Im Juni 2005 veröffentlichte die EZLN die „Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“. Darin kündigte sie eine neue Phase ihres politischen Kampfes an: Die Zapatistas wollen in einem mehrjährigen Prozess eine landesweite außerparlamentarische Linksallianz aufbauen, um schließlich eine neue, antikapitalistische Verfassung für Mexiko zu erarbeiten und diese zum Wohle aller Marginalisierten des Landes durchzusetzen. In Abgrenzung zu den politischen Parteien nennen die Zapatistas ihre Mobilisierung die „Andere Kampagne“. Den völligen Bruch mit den etablierten Parteien begründen sie damit, dass alle großen Parteien das neoliberale Projekt weiterführten und nur zugunsten einer privilegierten Elite und transnationaler Konzerne regierten. Der Aufruf stieß auf große Resonanz und Anfang 2006 waren bereits über 1.000 Organisationen in den Prozess involviert: ArbeiterInnen- und BäuerInnen-organisationen, Indígena-Zusammenschlüsse, Frauenorganisationen, Umweltgruppen, Schwulen- und Lesbenorganisationen, Netzwerke von SexarbeiterInnen, SchülerInnen, StudentInnen, unabhängige Medien- und Kunstkollektive, linke und anarchistische Vereinigungen. Die Andere Kampagne setzt im Gegensatz zu vielen Bewegungen explizit nicht auf eine Übernahme der Staatsmacht, sondern auf eine gesellschaftliche Basisorganisierung. Um Grundfragen zu klären und der Anderen Kampagne ein Gesicht zu verleihen, läuft seit Dezember 2006 eine interne Befragung Darüber hinaus vernetzen sich die AktivistInnen global um gemeinsam gegen die Missstände anzugehen…Über Silvester fand in der autonomen Gemeinde Oventik ein internationales Treffen statt, um über die Fortschritte und Probleme der zapatistischen Selbstverwaltung zu informieren und sich unter Anderem zu den Themen Autonomie, Gesundheit, Frauen, Bildung, Land und Kultur auszutauschen
Infos: www.ezln.org.mx
Atenco resiste
Die Kleinstadt Atenco nahe Mexiko Stadt wurde am 4. Mai 2006 von 3.500 schwer bewaffneten Polizisten angegriffen. Die Begründung: engagierte Menschen hatten Tags zuvor in entschlossener Weise BlumenhändlerInnen der Nachbarstadt beigestanden, die ihre Ware auf dem lokalen Markt verkaufen wollten und sich damit gegen die Pläne der Regierung wehrten, an dieser Stelle einen Supermarkt zu errichten. Die AktivistInnen aus Atenco blockierten eine Hauptstraße, woraufhin die Polizei die gesamte Ortschaft äußerst brutal angriff. Bei dem auch international kritisierten Vorgehen der Staatsgewalt starben zwei Menschen. 217 Personen wurden willkürlich inhaftiert. Es kam zu Folterungen, sexuellen Misshandlungen bis zu Vergewaltigungen. Die rebellische Gemeinde hatte sich bereits 2002 erfolgreich gegen den Bau eines neuen Großflughafens für Mexiko-Stadt gewehrt und sympathisiert mit den Zapatistas.
Die Kommune von Oaxaca
Im südlichen Bundesstaat Oaxaca gibt es seit Jahren Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen. Vor allem indigene Gemeinden, die nach mehr Mitbestimmung streben, wurden von staatlichen Organen immer wieder brutal angegriffen. Eine Vielzahl sozialer AktivistInnen wurde kriminalisiert und verschwand im Gefängnis.
Am 22. Mai 2006 begannen LehrerInnengewerkschaften und Basisorganisationen eine Besetzung des historischen Zentrums der gleichnamigen Landeshauptstadt, um gegen diese Verhältnisse und für bessere Bedingungen im Bildungssektor zu demonstrieren. Nachdem gegen die DemonstrantInnen am 14. Juni äußerst brutal vorgegangen wurde – es gab rund 100 Verletzte -, wurde Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz von einem Großteil der Bevölkerung für abgesetzt erklärt. Der Zuwachs an Dörfern, LehrerInnen, Indígenas, ArbeiterInnen und Linken, die nun in der Bewegung mitmachen, hat dazu geführt, dass die Versammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) von 350 Organisationen gegründet wurde. Seit Juli findet ein explizit friedlicher Aufstand statt, der sich zu einer regelrechten Revolution ausgeweitet hat. Die Bewegung ging von der bloßen Blockade zur Ausgestaltung basisdemokratischer Organisierungsformen über.
Doch die alte Regierung des Gouverneurs griff auf verdeckte, paramilitärische Aktionen zurück und ließ AktivistInnen attackieren, foltern und ermorden. Die Bundesregierung Mexikos wurde aufgefordert, den Gouverneur abzusetzen. Stattdessen entsandte sie die „Präventive Bundespolizei“ (PFP) – eine militärisch aufgebaute Spezialeinheit -, die den Bundesstaat regelrecht okkupierte. AktivistInnen der APPO wurden während Verhandlungen und bei Straßenkontrollen verhaftet, was die Protestbewegung zeitweise in den Untergrund zwang.
Infos: www.asambleapopulardeoaxaca.com
Das Ya-Basta-Netzwerk
Ya basta ist ein Netz von Menschen, von denen viele durch den Aufstand der Zapatistas zur Rebellion ermutigt wurden oder sich darin bestärkt sehen und in Solidarität mit den aufständischen Menschen in Chiapas leben. Es ist ein lernendes Netz, in dem die verschiedenen emanzipatorischen Kämpfe und Widerstandsformen nebeneinander bestehen können und aufeinander (kritisch) Bezug nehmen, ohne sich auszuschließen. Es soll ein Netz sein, in dem die Menschen sich gegenseitig in ihren lokalen Kämpfen unterstützen. Ein Netz, das Menschen ermutigen will, sich zu engagieren und „Ya basta“ zu sagen.
Infos: www.ya-basta-netz.de.vu
Ein „Ya Basta!“ aus Leipzig…
Aus den Geschehnissen um Atenco, Oaxaca und die Andere Kampagne hat sich bundesweit das Interesse an den sozialen Kämpfen in Mexiko verstärkt. In Leipzig ist es dazu recht ruhig geblieben. Neben einer Veranstaltungsreihe zu Chiapas und Zapatismus im November gab es am 20.1.07 eine kleine Solikundgebung bei der Eisenbahnstraße, die von Menschen der Montagsdemos und um den libertären Stadtteilladen Libelle herum getragen wurde. Hier haben sich auch Leute zusammengefunden, die weiter Solidaritätsaktionen für die zapatistische Selbstverwaltung organisieren und auch lokal auf der Basis zapatistischer Ideen wirken wollen. Wer mitmachen oder per Newsletter auf dem Laufenden bleiben möchte.
Die „Agenda 2010“, seit Anfang des Jahres in Kraft, ist gescheitert. Die Arbeitslosenzahlen sind unverändert hoch, und auch die Kosten der Maßnahme sind höher ausgefallen als geplant, die Süddeutsche Zeitung sprach von ca. 6,4 Milliarden Euro. Verwundern kann dieses Versagen nicht, geht die Agenda 2010 doch ohnehin weit am Kern des Problems vorbei. Zunächst ist ja weniger die Arbeitslosigkeit das Problem, als vielmehr die finanzielle Notlage, die daraus folgt. Und um zu erkennen, dass es nicht mal annähernd so viele freie Stellen wie Erwerbslose gibt, reicht das leidliche Beherrschen der Grundrechenarten aus. Dass das Problem nicht nur in der (unterstellten) individuellen Faulheit der Betroffenen begründet liegt, hätte der Regierung also durchaus klar sein müssen. Nur statt das zur Kenntnis zu nehmen, wurde weiter so getan, als müsse man die Erwerbslosen bloß genug unter Druck setzen, um sie alle in Lohn und Brot zu zwingen. Nützen tut das freilich nichts, vielmehr wird die ohnehin prekäre Lage weiter Bevölkerungsteile nur verschlimmert.
Gürtel enger schnallen?
Angesichts des offenbaren Versagens der Agenda 2010 liegt es nahe, nach Alternativen zu suchen. Eine Idee, die derzeit wieder verstärkt diskutiert wird, ist das sogenannte „Existenzgeld“. Dieser Forderung hat sich z.B. das Netzwerk Grundeinkommen verschrieben, die 2004 gegründete deutsche Zweigstelle des Basic Income European Network, auch bei Attac setzt man sich dafür ein. Als weiteres Beispiel wäre der Berliner Kultursoziologe Wolfgang Engler zu nennen, der in seinem kürzlich erschienenen Buch „Bürger, ohne Arbeit“ ähnliche Ideen vertritt.
Die Grundidee ist die, dass prinzipiell jeder Mensch ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum hat (und das unabhängig von irgendwelchen vorher erbrachten Leistungen). Das würde nicht nur Unterstützung für Grundbedürfnisse wie Obdach, Kleidung und Nahrung umfassen, auch die Teilhabe am kulturellen Leben soll damit gesichert werden (also etwa Kino- und Museumsbesuche usw.). Das geforderte „Existenzgeld“ wäre demnach nicht identisch mit dem bloßen Existenzminimum. Ebenso sollen mit dem Erhalt dieses Existenzgeldes auch kein Arbeitszwang und keine Schikanen mehr verbunden sein. Wer Arbeit will, soll sich eben selbst darum kümmern – die Vermittlungserfolge der Arbeitsagenturen sind eh nicht allzu berauschend.
Ein zunächst nicht unsympathischer Gedanke also. So ist es sicher richtig, entgegen der derzeit geübten Verzichtsrhetorik eben nicht den Gürtel enger zu schnallen, sondern auf einem menschenwürdigen Leben für alle zu bestehen. Trotzdem ist die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen in sich nicht ganz schlüssig – vor allem, wenn man dieses, wie Attac und das Netzwerk Grundeinkommen das tun, als Mittel zur Überwindung des Kapitalismus versteht.
Markt, Kapital & Staat
Die Frage ist, warum man dabei ausgerechnet vom Staat Unterstützung erwarten soll (schließlich wäre auch das „Existenzgeld“ immer noch eine staatliche Zuwendung). Im Gegensatz zur Meinung vieler heutiger „Globalisierungskritiker“, die den Nationalstaat als letztes Bollwerk gegen den weltweit grassierenden Neoliberalismus sehen, war dieser schon immer eng mit der Wirtschaft verbunden und eben keine neutrale Instanz. Deutlich wird das etwa in der Strafgesetzgebung, die sich in ihrer Gänze am Prinzip „Haben vor Sein“ ausrichtet. Angriffe auf das Eigentum werden härter geahndet als solche auf Leib und Leben; so liegt die Höchststrafe für Kindesmissbrauch bei 5 Jahren Gefängnis – bei 5 Jahren fängt das mögliche Strafmaß für Handtaschenraub erst an.
Auch der Sozialstaat lässt sich als Ausdruck dieser Symbiose von Kapitalismus und Nationalstaat sehen. Zum einen dient das sozialstaatliche Umverteilungssystem dazu, die sich aus der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsweise ergebenden Härten für die Bevölkerung abzufedern und halbwegs erträglich zu gestalten. Zum andern geht es darum, eben dieses Wirtschaftssystem, das fortwährend neue „Sozialfälle“ produziert, zu stabilisieren und am Leben zu halten. Denn es ist keineswegs so, dass das freie Wirken des „Marktes“ Wohlstand für alle bringt. Weit entfernt davon führt die Konkurrenz am Markt zu einer stetigen Polarisierung in arm und reich. Wer viel Kapital besitzt, hat eben bessere Möglichkeiten, noch mehr daraus zu machen, als jemand, dessen Einkommen grad zum Überleben reicht. Die Funktion des Sozialstaates ist es, die sich daraus ergebenden Konflikte soweit abzumildern, dass sie nicht zur Gefahr für die bestehenden Verhältnisse werden. Zum andern dient das Sozialsystem auch dazu, die Arbeitskraft der Erwerbslosen zu bewahren, d.h. sie vor der völligen Verelendung zu bewahren, damit sie weiter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Unterstützung wird also nur unter der Maßgabe gewährt, dass die grad erst von den Zwängen der Lohnarbeit „freigesetzten“ Individuen möglichst bald in diese zurückkehren.
Nicht umsonst wurden die Grundlagen des heutigen Sozialsystems von Otto von Bismarck gelegt, um der sozialistischen Bewegung den Boden zu entziehen. Auch der nach 1945 in Deutschland entstandene moderne Sozialstaat war ein Modell, das dazu diente, soziale Ungleichheiten soweit auszubalancieren, dass diese die Stabilität des Gesellschaftssystems nicht ernsthaft gefährden. Während des Booms der 50er und 60er Jahre funktionierte das auch einigermaßen, nicht zuletzt, weil sich die Arbeitslosigkeit in Grenzen hielt (schließlich hatte der 2. Weltkrieg ja auch Millionen Opfer gefordert). Spätestens mit der Krise von 1974/75 wurde Massenarbeitslosigkeit aber auch in der BRD wieder zum Problem. Nach der Wiedervereinigung wurde das sozialstaatliche Umverteilungsmodell wieder verstärkt in Frage gestellt – dieses sei „nicht mehr finanzierbar“. Ganz falsch war das nicht, aber auch nur eine Sicht unter vielen.
„Sachzwänge“
Schließlich wird das soziale System vor allem von den Erwerbstätigen finanziert, über Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Und obwohl die Lohnarbeit immer knapper wird, sind immer noch ca. 90% der Bevölkerung von dieser abhängig. Schließlich sind die Unternehmen gezwungen, Gewinne zu machen und diese möglichst rasch zu steigern. Das kann geschehen, indem man sich nach außen erweitert, z.B. durch Entwicklung neuer Produkte oder durch neue Absatzmärkte. Wenn das nicht geht, müssen die Produktionskosten gesenkt werden, um sich durch niedrigere Preise einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu sichern. Und das einfachste Mittel zur Kostensenkung ist es eben, Leute zu entlassen. Da es zum einen immer schwieriger wird, neue Märkte zu erschließen, zum anderen in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsproduktivität stark gestiegen ist – d.h. dank Mechanisierung der Arbeitsvorgänge, Computertechnik usw. immer mehr in kürzerer Zeit produziert werden kann – ist klar, dass auch die Arbeitslosenzahlen stetig steigen. Es gibt also immer mehr Erwerbslose, während gleichzeitig weniger Leute da sind, um den Sozialstaat zu finanzieren. Folgerichtig bröckelt es an allen Ecken.
Trotzdem, ganz so zwingend sind die „Sachzwänge“ für den Sozialabbau nicht. Schließlich kann der Staat Steuern erlassen und so selbst bestimmen, wie hoch seine Einnahmen sind. Nur hätte das gehießen, die Unternehmen stärker zu belasten – und dazu fehlte hier entweder der Wille oder die politische Entscheidungsmacht.
Auch der Sozialstaat ist also nur Ergänzung und Fortsetzung des Kapitalismus mit anderen Mitteln. Nur logisch, wenn es nun heißt: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“. Ebenso, wenn Gerhard Schröder erklärt, es gäbe „kein Recht auf Faulheit“, denn das darf es im Kapitalismus tatsächlich nicht geben. Schließlich beruht dieser wesentlich auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft – und wo käme man hin, wenn die Leute sich frei entscheiden könnten, ob sie nun ihre Arbeitskraft und Lebenszeit verkaufen wollen, oder eben nicht? Der Arbeitszwang ist integraler Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft, und der Sozialstaat ein Instrument zur Verwaltung der Armut, nicht zu deren Abschaffung. Die Überwindung des Kapitalismus ist also Vorraussetzung für die Überwindung des Arbeitszwangs – und nicht umgekehrt. Und selbst wenn etwas wie das Grundeinkommen für alle in den gegebenen Verhältnissen möglich wäre, wäre es doch immer noch ein staatliches Almosen. Die Nutznießer desselben wären also immer auf das Wohlwollen des Staates angewiesen – so bedingungslos, wie die Vertreter der Idee das wünschen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen sicher nicht. Die Forderung an sich mag darum nicht falsch sein und emanzipatorischer als der Ruf nach „Arbeit für alle“ ist sie allemal. Nur zeigt sich hier auch ein grundlegender Mangel an fundierter Staatskritik und Analyse des Verhältnisses von Nationalstaats und Kapitalismus.
Da war es wieder soweit, zwischen dem 23.12. und dem 6.1. wechselte nicht nur wie üblich das Jahr, auch der Jugendumweltkongress oder auch „Jukss“ öffnete seine Pforten für an die 400 Jugendliche und Junggebliebene. Diesmal an einer Schule in einer Plattenbausiedlung in Königs-Wusterhausen in Brandenburg.
Der Trend der letzten Jahre setzte sich fort: das Thema Umwelt muß sich die Plätze mit Selbstorganisation, Bildungskritik, Geschlechterrollen, Beziehungsweisen und eher praktischer Betätigung, wie Jonglierbälle bauen oder Yoga und Massagetechniken teilen. Dazu kommen Themen wie G8, gewaltfreie Kommunikation und Veganismus/Antispeziesismus und Treffen der „Travelling School of Life“ und „Alternativ-Unis“. Auch die Aktion gegen die Verdrängung der Indigenas in Französisch-Guyana soll nicht unerwähnt bleiben.
Die Organisationsform war ähnlich wie beim 13. Kongress in Bielefeld im Jahr davor: es gab kein tägliches Plenum, es gab eigentlich gar keine Vollversammlungen. Dahingehend kann der Jukss als praktisches Experimentierfeld für Selbstorganisation verstanden werden. Eine große Bedeutung fällt hier den Info- und Orgawänden zu und den Mitmachgruppen, die sich um bestimmte Aufgabenbereiche, wie Kochen und Empfang, kümmern. Und hier kommen die Haken: die Zettelwände waren recht unübersichtlich positioniert und erschlugen einen in ihrer Fülle als Neuankömmling geradezu. Mensch brauchte mindestens zwei Tage um sich da hineinzufinden. Und zweiter Haken: die Mitmachgruppen sind mangels Beteiligung zu Beginn, als noch recht wenige Leute da waren, gar nicht richtig ins Rollen gekommen. Ohne funktionierende Infogruppe konnten wiederum neue BesucherInnen nicht in die Struktur eingebunden werden. Alles hing nun am spontanen Engagement, an der Bereitschaft, bei Bedarf einzuspringen und dem Know How der Erfahreneren unter den „Jukssis“. Und zum dritten waren für Menschen, die nicht so gut mit großen Menschenmengen umgehen konnten, eher zu wenig Rückzugsräume vorhanden, zu wenig Entspannungsmöglichkeiten, zu viel deprimierendes Schulflair.
Wichtig war zudem die Frage: „Der Jukss ein Kuschelkongress?“ Nun, das entschieden schlußendlich die Teilnehmenden selbst, aber womöglich fehlte eine Reflektionsbasis für diesen offeneren Umgang mit körperlicher Nähe, der viele im Regen stehen ließ, die ihre Bedürfnisse nicht so gut kommunizieren konnten, sei es das „Nein – ich möchte jetzt nicht mit Dir kuscheln!“ oder das „Ja – magst Du mich in den Arm nehmen?“. Diese öffentliche Thematisierung mag für die Eine oder Andere befremdlich klingen, aber es handelt sich um grundlegende und tabuisierte zwischenmenschliche Fragen, die mit der traditionellen Paarbeziehung klar gelöst schienen, aber angesichts ihrer starren Form wieder aufgerollt werden.
Viele Probleme wurden während diverser reflektierender Workshops erkannt und es wurden Methoden entwickelt, wie mit ihnen umzugehen sei. So zum Beispiel die Einrichtung von Räumen für zwischenmenschliche Beziehungs- und Kommunikationsfragen, die Einrichtung von festen Orgaräumen für die Mitmachgruppen, eigene konkurrenzlose Zeiten für deren und ähnlich wichtige Treffen, oder eine Plattform für Leute, die auch nach dem Jukss nicht in den Alltag abtauchen wollen oder können. Damit sich die Selbstorganisation beim nächsten Mal noch besser zum Wohle inhaltlicher Debatten, praktischer Aktionen, sozialer Netze und des Befindens aller TeilnehmerInnen entfalten kann, braucht es denn nur noch genug Leute, die diese Ideen auch in die Tat umsetzen. Denn hat jemand behauptet, die Geburt einer neuen Welt würde schnell und ohne Schwierigkeiten ablaufen?
Vom 6. – 8. Juni 2007 wird sich die politische Elite der wirtschaftlich und militärisch stärksten Staaten zum alljährlichen „Weltwirtschaftsgipfel“ in Heiligendamm treffen, um ihre Sicherheits- und Wirtschaftspolitik aufeinander abzustimmen. Diese Gruppe der Acht (G8) ist ein selbsternanntes Machtzentrum im Netz der transnationaler Institutionen wie WTO, IWF und Weltbank, auf die sie mit ihrer einseitigen Interessenspolitik Druck ausüben. Viele Menschen haben keine Lust mehr, sich von diesen Verwaltern globaler Probleme bevormunden zu lassen und immer lauter wird der Ruf nach Aufklärungsarbeit, Netzwerken, alternativen Inhalten und Infrastrukturen.
Bereits vom 4. bis 13. August diesen Jahres trafen sich ca. 1.000 AktivistInnen auf dem Camp-Inski in der mecklenburgischen Pampa ca. 20 km Luftlinie von Heiligendamm entfernt. Sie sind Teil der globalisierungskritischen Bewegung, die sich bereits in diesem Jahr auf das Gipfeltreffen 2007 verstärkt vorbereitet, in der Hoffnung durch ihren Protest medienwirksam auf die Widersprüche der G8 hinzuweisen und gleichzeitig dauerhafte emanzipatorische Strukturen aufzubauen. Damit stellen sie sich in eine 20jährige Tradition des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung „von oben“.
Schon 1984 fand der erste Gegengipfel „The Other Economic Summit“ in London statt und ein Jahr später dann auch die ersten Protestaktionen auf den Straßen von Bonn. In den 90ern wurden die Demonstrationen gegen die G8-Gipfel und transnationale Organisationen kontinuierlich größer. Einen wichtigen Höhepunkt erlebten die Proteste dann 1999 in Seattle, US-Staat Washington, als es gelang, dass WTO-Treffen massiv zu stören. Zwei Jahre später in Genua demonstrierten dann bereits Hunderttausende. Überschattet vom Tod Carlo Guiliani‘s ist es der Erfolg der Protestbewegung, dass die G8 seitdem aus den Großstädten verdrängt und sich in abgelegene Gebiete geschützt von einem massiven Hochsicherheitsaufgebot von Polizei und Militär zurückzieht.
Auch 2007 werden Marine und Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei, s. FA! #23) zum „Schutz“ des G8-Gipfels eingesetzt, zusätzlich wurde bereits beschlossen, dass im Januar mit dem Bau eines 13 km langen und 2,5 m hohen massiven „Antiterroristischen Schutzwalls“ um das 270-Seelen-Dorf Heiligendamm begonnen wird. Wieviel muss mensch sich noch gefallen lassen? Die „Festung Heiligendamm“ wird das Fass zum überlaufen bringen, denn auch heute ist schon klar, dass die G8 keine Probleme lösen kann, sondern selbst Teil des Problems ist.
Was ist die G8?
Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (1), die erste große Ölkrise und der Beginn der wirtschaftlichen Globalisierung Anfang der 70er waren die Vorboten. Regierungsvertreter der USA, F, GB, I, D und Japan sahen es für notwendig an, ein internes Forum zu bilden, in dem sie ihre Wirtschaftspolitiken aufeinander abstimmen können. Somit entstand 1975 die „Gruppe der Sechs“, welche bereits ein Jahr später zur G7 (Kanada) erweitert wurde. Obwohl das 8. Mitglied, Russland, erst seit diesem Jahr gleichberechtigt ist, nimmt es schon seit 1994 an den Gipfeltreffen teil. Die EU gilt sogar inoffiziell als 9. Mitglied (2). Die jährlich hinter verschlossenen Türen stattfindenden Gipfelgespräche, die sich bereits den 80ern auch um außenpolitische Fragen drehen, dauern drei Tagen, und die Entscheidungen zu den diversen Themen werden in Abschlusserklärungen veröffentlicht, die sehr vage gehalten und mit einer Rhetorik der Armutsbekämpfung, Nachhaltigkeit und Menschenrechte versehen sind. Diese verdeutlichen immer mehr die Widersprüchlichkeit der G8 bezüglich Anspruch und Wirklichkeit. Ihre Entscheidungen sind offiziell nicht bindend, doch zeichnen sie bereits zukünftige Debatten über globale Probleme und wie diese innerhalb transnationaler Institutionen wie u.a. IWF, WTO, EU etc. zu lösen sind, vor. Die Definitionsmacht der G8 kann nicht unbeantwortet bleiben. Sie definiert globale Probleme in Bereichen wie: Sicherheit, Migration, Finanzmärkte, Patentrecht, „Krieg gegen den Terror“ etc., wobei die katastrophalen sozialen Folgen ihrer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik kaum Beachtung finden. So werden zwar „Entwicklungsländer“ thematisiert, jedoch nicht die Machtverteilung zwischen Nord und Süd, oder sie sprechen über Energiesicherung, nicht aber über die Rücksichtslosigkeit dieser Ressourcenkämpfe. (3)
Eine globalisierungskritische Bewegung
Die Suche nach Alternativen, wenn auch nicht einheitlich und widerspruchslos, hat schon längst begonnen. Auch die Mobilisierung zum Gipfeltreffen 2007 in Heiligendamm umfasst viele unterschiedliche politische Spektren wie Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen, autonome Antifas, antirassistische Initiativen, UmweltaktivistInnen, NGOs, Anti-AKW-Bewegung u.a. So unterschiedlich ihre Organisations- und Diskussionsform, politischen Positionierung, Selbstverständnis, so schwer ist es auch, den gemeinsamen Protest praktisch und inhaltlich zu koordinieren. Die Heterogenität dieser Bewegung ist gleichzeitig auch ihre Stärke: Sie spiegelt die Diversität menschlicher Beziehungen wider, macht transnationale Diskussion, Vernetzung und Austausch möglich, zeigt Kontinuitäten von Netzwerken und Bündnissen auf! (4)
Hiermit sei auch die weit verbreitete Annahme korrigiert, GlobalisierungskritikerInnen stünden in Gegnerschaft zur Globalisierung. Vielmehr wird eine „Globalisierung von unten“ angestrebt. Sie sprechen sich nicht für eine globale Bewegungsfreiheit des Kapitals, sondern für die Bewegungsfreiheit von Menschen aus, und für einen überlegten Umgang mit der Natur. Damit sprechen sie vernachlässigte bzw. einseitig dargestellte Themen an, wie die Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche, die Lage von Frauen und Kindern speziell in südlichen Ländern, die Folgen weltweiter Finanzströme, Antisemitismus uvm.
Momentan wird explizit ein spektrenübergreifender Nenner gesucht, um gemeinsame Forderungen herauszukristallisieren und Alternativen Gehör zu verschaffen. Bisherige Vorschläge eines gemeinsamen Mottos der G8-Proteste, die sich bewusst einer Negativforderung (z.B. „G8 Abschaffen“) verweigern, sind: „Globale Rechte aneignen“ oder „Globalisierung von unten. Aneignung – Migration – Prekarisierung“. (5) Direkte Einblicke in diese Diskussion sowie allgemein zur Mobilisierung der G8-Proteste bekommt mensch vom 10. – 12. November bei der zweiten Internationalen Aktionskonferenz in Rostock. (6)
Die Durchführung des Gipfels 2007 soll durch kreative Aktionen gestört und globalisierungskritische Positionen stärker in die Öffentlichkeit getragen werden. Ebenso sollen die Möglichkeiten spektrenübergreifender Zusammenarbeit und Lebens-Alternativen aufgezeigt werden. Dabei bleibt es notwendig, sich explizit von rechten Strukturen und Neonazis abzugrenzen, die auch die G8 aufgrund fehlender Legitimität angreifen und wegen ihres nationalen Heimatwahns schon eher als Globalisierunsgegner zu bezeichnen sind.
Das Camp-Inski – Konkreter Widerstand
Das 10tägige Camp (7) war anfangs direkt an der Ostsee geplant. In der Hochsaison einen Campingplatz für mehrere hundert Menschen zu finden, war jedoch unmöglich. Zusätzlich erteilten einige umliegende Gemeinden keine Genehmigung für ein Camp und so wurden ca. 20km von der Ostsee entfernt die Zelte aufgeschlagen. Da für nächstes Jahr in der Gegend um Heiligendamm ein Gegengipfel, Aktionstage, ein oder mehrere Camp(s) und mindestens eine Großdemo geplant sind, war dies schon mal der erste organisatorische Prüfstein. Zusätzlich muss weiterhin an der Außenwirkung der Proteste gearbeitet werden, und das gerade in Meck-Pomm, wo es an politischen alternativen linken Strukturen mangelt.
Leider fand nur eine Anwohnerin den Weg auf ein Podium, wo sie ihren Unmut an der Bewegung äußerte. Sie traf den Nagel auf den Kopf, als sie sich als „Außenstehende“ und das Camp als ein eingeschworenes „Geklüngel“ bezeichnete, welches nicht das Anliegen habe, ernsthaft nach außen zu wirken. Es zeigte sich, dass inhaltliche Debatten nicht nur innerhalb der Protestbewegung ablaufen dürfen, sondern auch darüber hinaus vermittelt werden müssen. Damit wären auch die Medien gezwungen, mehr über Inhalte der Proteste zu berichten als nur spektakuläre Bilder zu zeigen.
Auf dem internationalen Mobilisierungscamp-Inski sollte der „symbolische und praktische Bruch mit dem Machtanspruch der G8“ geprobt werden. Unterschiedliche kreative Aktionsformen (Clownerie (8), Samba-Band, Stelzenlauf, Door Knocking) wurden auf dem Camp geplant und u.a. in Wismar, Rostock, Bad Doberan und Heiligendamm demonstriert.
Im Gegensatz zu der öffentlichkeitswirksamen, kraftvollen Demonstration gegen Abschiebung in Rostock, erwies sich die Badespass-Aktion in Heiligendamm als weniger amüsant. An diesem Tag hatte sich fast das ganze Camp auf den Weg nach Heiligendamm gemacht: zum Besichtigen des Nobelhotels Kempinski, wo die G8 2007 untergebracht sein wird, sowie für kleinere Aktionen rund um den Gipfel. Die „Molli“, ein privater, traditioneller Zug und Touristenattraktion, war die einzige Möglichkeit von Bad Doberan nach Heiligendamm zu gelangen, wenn man keine 7 km laufen wollte oder keinen Platz in einem Auto bekommen hatte. Ca. 100 CamperInnen legte den Molli-Verkehr kurzzeitig lahm, als sie sich weigerten zu zahlen. Kurz vor Heiligendamm wurde die Molli dann von mehreren Polizei- und SEK-Einheiten gestoppt und umstellt. Die CamperInnen wurden des Schwarzfahrens bezichtigte und aufgefordert auszusteigen, damit Personalien aufgenommen und Strafverfahren eröffnet werden können. Als der Schaffner daran erinnert wurde, den CamperInnen erlaubt zu haben, kostenlos mitzufahren, griff die Staatsgewalt zum Erpressungsversuch: entweder Anzeige oder Ticket lösen.
Auf dem Rückweg zum Camp lief es nicht so glimpflich ab. Als sich ca. 80 CamperInnen in einer Regionalbahn drängten, tauchte Polizei und SEK wieder auf, diesmal weniger diskussionsbereit. Ohne Warnung oder Begründung versuchten sie mittels Schlagstöcken und Pfefferspray in den Zug zu gelangen. Dabei wurde ein Camper verhaftet und mehrere Panikanfälle ausgelöst.
Mit Konfrontationen mit der Staatsgewalt, sowie allgemein mit „Demokultur“ wurde sich dann auch während des Camps auseinandergesetzt. In einem Workshop tauschten ca. 60 AktivistInnen ihre Erfahrungen aus. Schon so früh wie möglich sollten Gruppen entstehen und sich über persönliche Stärken, Schwächen, Durchhaltevermögen, Angstgrenze etc. auszutauschen, damit Vertrauen und Zuverlässigkeit entstehen kann. Solidarität im Kleinen eben.
Dies war nur eine der ca. 150 Veranstaltungen und Workshops auf dem Camp-Inski. Inhaltliche Auseinandersetzungen fanden zu Themen wie Befreiungskämpfen in Lateinamerika, Gentechnik und Landwirtschaft, Hierarchien, Sexismus, Globale Rechte uvm. statt. Speziell eine Debatte erhitzte die Gemüter des gesamten Camps: die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Eine sich als anti-imperialistisch verstehende Gruppe stieß mit der Forderung: „Stoppt den mörderischen Angriffskrieg Israels gegen den Libanon. Gerechtigkeit für Palästina“ auf viel Empörung. Nachdem ihr Transpi eines Nachts im Dixi gelandet war, brach die große Aufregung aus. Die besagte Gruppe verurteilte das gesamte Camp und erwartete Entschuldigungen. Die Tat an sich („fremdes“ Transpi ohne Worte abnehmen und wegschmeissen) sollte daraufhin getrennt vom Inhalt des Transpis diskutiert werden. Ein Tag später hing ein neues Transpi mit oben genanntem Inhalt, aber diesmal begleitet von einem Weiteren mit der Aufschrift „Stoppt den antisemitischen Irrsinn von Hamas, Hisbollah. Existenzrecht für Israel“. Auch wenn später noch diverse Workshops u.a. zum Libanon und „Antisemitismus in der Linken“ stattfanden, wurde es offensichtlich, dass zum Thema Naher Osten noch viele Debatten innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung nötig sind.
Insgesamt gesehen war das Camp-Inski aber ein riesiger Erfolg. Der Ausblick auf eine realistische Möglichkeit, die G8-Proteste nächstes Jahr öffentlichkeitswirksam, mit reflektierten Inhalten und hunderttausendfacher Beteiligung durchzuführen, war überwältigend. Der G8-Gipfel 2007 bietet nur eine Möglichkeit gegen einen Globalisierungsprozess zu demonstrieren, welcher ein ignorantes Herrschaftssystem repräsentiert, das im Namen vom profitorientierten Wirtschaftswachstum, den Wohlstand und das Glück dieser Welt nur für die „1.Klasse“ reservieren will. Auch wenn in den westlichen Nationen im Gegensatz zu südlichen Ländern, die alltägliche Gewalt nicht unmittelbar erfahren wird, sind auch die Menschen z.B. in der EU oder USA von den fatalen Folgen eines kapitalistischen und politisch globalen Systems tagtäglich betroffen. Es gilt kritisch zu denken, Kontinuitäten aufzubauen, sich solidarisch zu verhalten und laut NEIN zu sagen zu einer Politik der Angst und arroganten Machtinszenierung.
droff
(1) Ein Währungssystem mit festen Wechselkursen auf Dollarbasis, das1973 zusammenbrach. Es wurde auf der Bretton-Woods-Konferenz 1944 beschlossen, wo auch Weltbank und IWF gegründet wurden.
(2) Heute treffen sich einmal im Jahr die politischen Eliten (Regierungsvertreter und Minister) der heute acht wirtschaftlich stärksten Nationalstaaten, sowie der Präsident der Europäischen Kommission und der Präsident des Europäischen Rates zu den Gipfeltreffen.
(3) weiterhin: „G8-Gipfel: so what?!“, Broschüre zum Diskussionsforum G8 beim Buko-29-Kongress, Mai 2006 in Berlin: www.buko.info
(4) Infogruppe: www.gipfelsoli.org, Interventionistische Linke: www.g8-2007.de, dissent! Gruppe: dissentnetzwerk.org. Siehe auch FA! #7: „Proteste gegen den G8-Gipfel“, FA! #23: „29. Buko-Kongress und G8“.
(5) weiterführend: „Einblicke in das Innenleben einer Mobilisierung“: www.gipfelsoli.org/Heiligendamm.html
Der 30. „Bundeskongress Internationalismus“ (der BUKO) findet in diesem Jahr vom 6. bis 9. April in Leipzig statt. Um die 130 entwicklungspolitische Organisationen, Solidaritätsgruppen, internationalistische Initiativen, 1-Welt-Gruppen und -Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte vernetzen sich im unabhängigen Dachverband und bilden die „Bundeskoordination Internationalismus“ (die BUKO) – als einen „Ort linker, herrschaftskritischer Debatten“. Diese Leute finden sich mit vielen Anderen jährlich zusammen, um zu reden, zu hören, zu streiten und vieles mehr. Eine Mitorganisatorin aus der Leipziger Vorbereitungsgruppe gibt Einblick in den Entwicklungsprozess und in bereits gesetzte Schwerpunkte.
FA!:Wer bereitet den Kongress vor und wie habt ihr euch gefunden?
Das ist jetzt natürlich bloß meine Sicht der Dinge: Im Herbst letzten Jahres gab es mehrere Treffen im linxxnet und irgendwann hat die handvoll Interessierter – im Beisein der beiden Leute von der in Hamburg eingerichteten Geschäftsstelle – sich für einen BUKO in Leipzig entschieden. Wegen der mangelhaften „Rückbindung in die linken Gruppen“ war unsere Unsicherheit groß. Zusammen sitzen nun u.a. Leute von StuRa, attac, der Kamera-Initiative, aber auch „Ungebundene“ – viele von den „üblichen Verdächtigen“ haben aber entweder keine Lust auf Orga-Kram oder politische Vorbehalte. Die auch politisch heterogene Vorbereitungsgruppe versteht sich wie auch der und die BUKO insgesamt als undogmatisch und versucht, einen emanzipatorischen Anspruch zu verwirklichen. Die meisten haben noch nie beim BUKO oder einem vergleichbaren Großprojekt mitgemacht und profitieren von den sammelbaren Erfahrungen.
FA!:Kannst du mir ein Bild vom aktuellen Stand geben?
Bis jetzt gab es ca. fünf bundesweite Vorbereitungstreffen in Leipzig, bei denen die inhaltliche Ausrichtung entwickelt und die Arbeitsgruppen gefunden bzw. vorgestellt wurden. Auch dazwischen gab es über eine Mailingliste viele Diskussionsprozesse z.B. zum Selbstverständnis und zur Kongresszeitung, die nun überall ausliegt. Dabei gab es auch Konflikte bezüglich Hierarchiebildung und Umgangsweisen untereinander, die leider auch Einzelne zum Ausstieg bewegt hat.
Wöchentlich trifft sich im linxxnet die lokale Gruppe, um infrastrukturelle und Leipzig-bezogene Organisationsfragen zu klären bzw. zu koordinieren. Seit kurzem gibt es außerdem ein Büro, indem jetzt die konkreten Anfragen, der zeitliche Ablauf, die Raumvergabe usw. bearbeitet werden. Der Ort steht übrigens noch nicht fest, wird aber wahrscheinlich Räumlichkeiten der Uni betreffen.
FA!:Was habt ihr inhaltlich vor?
Von den Teilnehmenden an der Vorbereitungsgruppe werden unter folgenden Knotenpunkten Veranstaltungen vorbereitet: Migration, Antimilitarismus, Geschlecht, Energie, Privatisierung, Widerstand, Organisierung und „ungewollte Anschlüsse“.
Zu Migration arbeiten Leute in Berlin bzw. Brandenburg (felS und FIB) und LeipzigerInnen (u.a. von der Umtauschinitiative). Die Initiative Flughafen natofrei bereitet Veranstaltungen zum Thema Krieg und eine Großaktion am Ostersonntag vor. Leute aus Frankfurt planen zahlreiche Workshops zu „Macht-Geschlecht-Politik“; die AG Energie arbeitet diesmal zur Energiepolitik der G8-Staaten. Aus Bremen und Hamburg wird Privatisierung am Beispiel Bertelsmann intensiv beleuchtet. Widerständige Praxis und Organisierungsfragen sind ein weiteres Arbeitsfeld. Verschiedene Einzelpersonen und Gruppen, bisher z.B. der Frankfurter Macht-Geschlecht-Politik-AG und der engagierten Wissenschaft der Uni Leipzig wollen Antisemitismus, Rassismus und andere Verschwörungstheorien thematisieren.
Wer interessiert ist, kann sich in der Kongresszeitung und bald auch auf der Homepage genauere Informationen holen, das endgültige Programmheft wird erfahrungsgemäß erst kurz vor Beginn fertig sein.
FA!:Wie und warum seid ihr auf das Motto gekommen und wo findet es sich wieder?
Sowohl Herrschaftsverhältnisse wie Kapitalismus, Rassismus und Sexismus, als auch die anderen genannten Themenfelder können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Die Cross-Over-Konferenz 2002 stand Pate für das doppelsinnige ‚macht#netze´. Für Widerstand und Emanzipation ist dann sowohl eine weniger plakative Analyse nötig, als auch kollektive Ermächtigung, z.B. in Form von verbindlicher Zusammenarbeit verschiedener „Ein-Punkt-Bewegungen“ und über Heiligendamm hinaus.
Nicht zuletzt wegen der Agenda-Setzung G8-kritischer Bewegungen gab es den Wunsch nach einem Zusammendenken der politischen Felder. Ebenso wie danach, dass das Streben nach einer freien Gesellschaft methodisch umgesetzt wird: mehr Austausch von Erfahrungswissen, weniger Frontalsituationen, Abbau von Dominanzverhalten, Theorien für Bewegung …
Die Verknüpfung der Themen soll durch spezielle Veranstaltungen geschehen, die aber trotzdem von thematisch festgelegten Arbeitszusammenhängen vorbereitet werden. Zeit zum untereinander Vernetzen wird es außerdem geben. In der Eröffnungs-, Abend- und auch in der Abschlussveranstaltung soll das Netz-Prinzip ebenso verwirklicht werden, wahrscheinlich durch Rückblicke auf 30 Jahre Widerstand und über Gespräche anhand des Kongressmottos und der gelaufenen Workshops.
FA!:Wie wird das dann konkret ablaufen?
Das werden die Teilnehmenden zum Glück zum größeren Teil selbst in der Hand bzw. im Kopf haben, auch und gerade, wenn sich ein sehr umfangreiches Angebot an Veranstaltungen abzeichnet. Es wird auch immer Raum für selbstorganisierte Workshops geben. Freitag gibt es inhaltliche Einführungsangebote und den großen Auftakt; Samstag laufen Workshops und eine öffentliche Abendveranstaltung (noch offen). Am Oster-(marsch-)sonntag ist nach der „Phase des Zusammendenkens“ Zeit, aktiv zu werden (z.B. am Flughafen) und Netze zu machen, abends dann die Abschlussparty und Montag die inhaltliche Abschlussveranstaltung.
Ansonsten sind wir für jede Hilfe vor und während des Kongresses sehr dankbar: Schlafplätze, Gemüse, Notfallhilfe und so weiter für 500-1500 zu Erwartende wollen auch gestemmt werden. Das Büro und das montägliche Treffen halb Acht im linxxnet freuen sich auf Besuch und Mithilfe.
Vom 20.-25. Januar 2007 trafen sich in Nairobi, Kenia, circa 50.000 (1) GlobalisierungskritikerInnen und GraswurzelaktivistInnen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Hilfswerke, kirchliche Vereinigungen und Stiftungen aus allen Kontinenten unter dem Motto: „Eine gerechtere Welt ist möglich“ zum siebten Weltsozialforum (WSF). Der Gipfel sollte vor allem den sozialen Bewegungen Afrikas die Gelegenheit bieten, auf ihre Kämpfe aufmerksam zu machen. Auf über 1.200 Workshops, Seminaren und Kundgebungen wurden Themen wie Hunger, Aids, die Schuldenproblematik der Entwicklungsländer und gewaltsame Konflikte behandelt.
Eröffnet wurde das Forum von mehreren bunten Demonstrationen, die zur Auftaktveranstaltung zogen. Eine startete am Rande des Mega-Slums Kibera, ein weiterer ökumenischer Zug vereinte verschiedene kirchliche Organisationen und Hilfswerke. Es sprachen AktivistInnen sozialer Bewegungen aus dem Nahen Osten, aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa sowie der ehemalige Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, die mehrmals an die UnabhängigkeitskämpferInnen gegen 500 Jahre (Neu)-Kolonialismus erinnerten.
Viel Raum nahmen Themen wie EPAs („bilaterale wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen“), Landverteilung, der Kampf gegen die Obdachlosigkeit und Migration ein.
Das Weltsozialforum entstand 2001 als Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, welches den Triumph des neoliberalen Kapitalismus festschreiben will. Das WSF steht in der Nachfolge der Proteste in Seattle 1999 gegen das Treffen der Welthandelsorganisation (WTO), das daraufhin abgebrochen werden musste. Die Konzeption des WSF als „Anti-Davos“ sollte dafür sorgen, den KritikerInnen der Zumutungen der ökonomischen Weltordnung eine deutlich vernehmbare Stimme zu verleihen. Der Umfang des Treffens hat seit 2001 beständig zugenommen. Anders als reine Protestveranstaltungen sind diese Treffen auf konstruktiven Protest, Selbstermächtigung und die solidarische Vernetzung der Kämpfe der Armen ausgerichtet.
Doch solche Erwartungen wurden dieses Jahr im Kasarani Moi International Sports Centre, einem großen Fußballstadion, das für das WSF gemietet worden war, enttäuscht: Die größten Schlagzeilen machte der Protest der Armen aus dem nahe gelegenen (Mega-Slum) Kibera, die die Umzäunung des Stadions durchbrachen und niedrigere Eintritts- und Verpflegungspreise forderten.
Aus Protest gegen die Kommerzialisierung (die Handy-Firma Celtel trat überall sichtbar als Hauptsponsor auf und übernahm die Registrierung der TeilnehmerInnen) und die hohen Kosten, die den TeilnehmerInnen entstanden und für viele unbezahlbar waren, bildete sich in einem Park in der Nähe des Stadtzentrums ein Peoples’ Parliament. Hier diskutierten SlumbewohnerInnen, Studierende, Erwerbslose, und Beschäftigte verschiedenster Herkunft miteinander. Auf einer der Versammlungen wurde eine Delegation gewählt, die mit der Organisationsleitung des WSF die strittigen Punkte verhandeln sollte. Da jene sich aber uneinsichtig zeigte, wurden am nächsten Morgen die Einlässe kurzzeitig gestürmt, wodurch etwa 200 Personen kostenlos Zutritt erhielten. Ein erneutes Treffen mit dem Organisationsleiter, Professor Oyugi endete ergebnislos und am anderen Tag wurde die nochmalige Besetzung der Einlässe durch Polizei- und Armeeeinheiten vereitelt. In Reaktion darauf blockierten Einige die Hauptzufahrtsstraße, bis die Tore nach rund 30 Minuten wieder geöffnet wurden. Ein Protestzug begab sich anschließend zum Organisationskomitee, um eine dauerhafte Lösung, kostenloses Wasser und günstigeres Essen durchzusetzen. Dies gelang teilweise, nachdem eine Pressekonferenz gestürmt worden war und die KenianerInnen freien Zugang zu den Diskussionen und Workshops erhielten. Als dann eine bekannte Tageszeitung meldete, dass dem unbeliebten kenianischen Minister für innere Sicherheit das teuerste Restaurant der Stadt gehört (noch dazu das einzig zentral gelegene auf dem WSF), wurde erneut eine Demonstration organisiert. Die Protestierenden besetzten anschließend das Hotel und verteilten reihenweise kostenloses Essen an Kinder.
Bemängelt wurden neben der Kommerzialisierung auch die mangelnde Thematisierung des Klimawandels und des rasanten Wirtschaftswachstums von Staaten wie China, Indien und der Türkei.
An der Frage, ob Frauen ausreichend Raum auf dem Treffen in Nairobi eingeräumt wurde, schieden sich die Geister: So sprechen (z.B. Organisationen wie WEED und attac) von einem sehr erfolgreichen Treffen und sind der Ansicht, dass die Fraueninitiativen besonders erfolgreich dabei gewesen seien „Gender-Themen mit den übrigen Schwerpunkten des Treffens in Nairobi zu verbinden und hierfür Gehör zu finden.“ (2) Andere sahen eine massive Unterrepräsentanz von Frauen, sowohl unter den TeilnehmerInnen als auch unter den Vorbereitenden. Der Prozess der Konferenz wird als männlich dominiert und zentralisiert beschrieben, was die Bevölkerungsstruktur in Kenia widerspiegele. Insgesamt seien Frauenbelange innerhalb der Tagung, wie auch in Ostafrika allgemein am Rande geblieben.
Hoffnung in der „Frauenfrage“ weckt das zunehmende Bewußtsein der TeilnehmerInnen der Veranstaltung bezüglich dieser Problematik. In den vergangenen Jahren bildeten sich vor allem dank emanzipierter Frauen Sozialforen in Uganda, Tansania, Kenia, Äthiopien und Somalia. Auch innerhalb des diesjährigen Treffens musste mann sich hin und wieder Fragen gefallen lassen, wobei es durchaus Männer gibt, die die Notwendigkeit des gemeinsamen gleichberechtigten Kampfes erkennen. (3)
Positiv hervorgehoben wurde von mehreren TeilnehmerInnen trotz aller Kritik vor allem die Funktion des WSF als „Marktplatz“ für Erfahrungsaustausch und Vernetzung. Wer wollte, konnte seine Kontakte international erweitern und ausbauen. Dies gelang insbesondere den Netzwerken gegen Wasserprivatisierung, Krieg und Militärbasen.
Die künftige Herausforderung für das Weltsozialforum wird es sein, seinen Platz in der Realität zu finden, sich klar zur Klasse der Armen und Arbeitenden zu positionieren und dabei die chaotische Verschiedenheit der Debatten zu bündeln und zu koordinieren.
In kompakter Form liest sich dies in der Charta des WSF so: „Das Weltsozialforum ist ein Prozess, der seine Teilnehmerorganisationen und -bewegungen anregt, ihre Tätigkeiten in die Zusammenhänge von lokalen bis nationalen Ebenen hinein zu stellen, und aktive Teilnahme im internationalen Kontext zu suchen, als Anliegen einer planetarischen Staatsbürgerschaft, und in die globale Agenda ihre Veränderung hervorbringenden Praktiken, mit denen sie experimentieren, eine neue Welt in Solidarität aufzubauen, einzubringen.“ (4)
hana
* „The World Social Forum is about three things (…) about protesting, networking and ptroposing“. www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.163/
(1) Die Quellen nennen Teilnehmerzahlen zwischen 20 -50.000.
(2) Frank Kürschner-Pelkmann, WEED, www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.197/