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Bedrohungsszenario von links?

Ein 300 Personen starkes Polizeiaufgebot stürmt mit Rammbock, Waffen, Helikoptern und Sprengstoffspürhunden 21 Wohnungen und ein soziales Zentrum in drei Städten – Berlin, Magdeburg und Stuttgart. Sie beschlagnahmen alles an Computern, Telefonen und Papieren, was sie finden und führen erkennungsdienstliche Behandlungen durch.

Die Hoffnung – Beweismittel zu Struktur und Straftaten einer linksextremistischen Vereinigung mit dem Namen Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) und den neun Verdächtigen zu finden. Diese haben mutmaßlich in den vergangenen Jahren Sprengstoffanschläge auf ein Berliner Jobcenter und Amtsgericht, sowie auf das Haus der Wirtschaft und das Bundeshaus in Berlin verübt. Darüber hinaus wurden in 2011 von den RAZ Pistolenpatronen an den Bundesinnenminister versendet.

Die rechtliche Handhabe – Der so genannte „Schnüffelparagraph“ 129, der systematische Überwachung, Observation, Abhörung und Vorladung rechtfertigt, die einzig der Datenhortung, Einschüchterung und Spionage dient.

Die Frage – Wie so oft fällt in Verbindung mit diesem Paragraphen auf, dass nur äußerst fragwürdige Vermutungen die Durchsuchungen legitimieren. Beispiels­weise ist die Durchsuchung des Magde­burger Jugendtreffs „Infoladen“, der gleichzeitig ein linkes Wohnprojekt ist, darauf gestützt, dass ein Verdächtiger sich dort möglicherweise mal aufgehalten hat und darum auch hätte einen Schlüssel besitzen können. Ist es also gesellschaftliche Realität, dass Spekulationen diesen Charakters Überwachung im Vorfeld sowie eine Großrazzia und Personenfeststellungen rechtfertigen?

Die Ungewissheit – Noch äußert sich das BKA weder, ob die unverhältnismäßigen Interventionen tatsächlich wegen der Anschläge stattfanden, noch, ob die dürftigen Indizien, auf die sich die Durchsuchungsbefehle stützten, tatsächliche Beweise nach sich zogen. Das Schweigen bisher deutet aber eher darauf hin, dass der Eingriff nicht auf gestützten Erkenntnissen basierte, sondern auf so was wie einem Bauchgefühl des Verfassungsschutzes.

Das Rätsel – Wie konnte nun aber der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) ungesehen und über Jahrzehnte hinweg, neun Migrant_innen und eine Polizistin morden, aufgrund von zu wenig Personal und unzureichender Aktenlage – und das, wie sich im Nachhinein herausstellt, bei einer regelrechten Informationsflut durch Informant_innen? Und warum wird hier der Tatbestand Mord durch die Floskel der “behördlichen Pannenserie“ zu einer Gleichgültigkeit unter vielen verharmlost?

Was bleibt – Der fade Beigeschmack, mittels Spekulationen die linke Szene erneut zu kriminalisieren, um die momentan brisante Staatsblindheit bei dem NSU zu schmälern. Vielleicht ist es aber auch ein geeigneter Schachzug im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes, ein Bedrohungsszenario von Links aufzubauen? Na, vielleicht wird ja Blockupy dazu genutzt, die vermutlichen „Linksextremisten“ mal für den schlechten Sommer zur Verantwortung zu ziehen!

Mona D.

Lokales

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

10 Jahre Libelle: Zwischen Klassik, Romantik und Politik

Vor zehn Jahren, das war 2003, bestand der Innenhof der Universität Leipzig noch aus zerbrochenen Steinplatten, war dekoriert mit DDR-Blumenkübeln aus Beton und bot, so munkelten Mensa-ArbeiterInnen, ganzen Rattenkolonien eine Heimstatt.

Damals gab es noch Disketten, 56k-Modems, indymedia war der Knotenpunkt im Netz und Seattle und Genua waren noch frische Erinnerungen. Die großen Proteste gegen Studiengebühren waren vorbei, die gegen Stellenkürzungen der SHEK (Sächsische Hochschul-Entwicklungs-Kommission) sollten noch kommen (oder war es umgekehrt?), und die gegen die Bologna-Reform (Bachelor-Master) kamen nie richtig in Gang. Das Leben damals war angefüllt mit Dingen, die viele von uns vorher noch nie gemacht hatten: Demos, politisch aktiv sein, heftige, endlose Diskussionen – Idealismus pur und jung. Natürlich würden wir was bewegen!

Als verschworener Kreis namens „unbequem nachfragend initiativ“ engagierten wir uns bei allen Protesten, besetzten das Hörsaalgebäude, kurzzeitig auch das Rektorat, demonstrierten gegen und für… Zu dieser Zeit – 2001, 2002 –  hatten wir uns manchmal in der Uni getroffen und oft auch bei jemandem zu Hause. Manko: Die Uni wurde um 21 Uhr geschlossen. Dennoch, irgendwer meinte, es gäbe da auf dem Augustusplatzcampus, gleich gegenüber des kleinen Mensa-Ablegers, einen ungenutzten Raum, den man als selbstorganisiertes Café nutzen könnte! Im Nachgang der Hörsaalbesetzung brachten wir eine Kaffeemaschine, ausrangierte Stühle und sonstigen Kram dorthin. Aber wir hatten keinen Schlachtplan, kein Dekor, keine Öffentlichkeit. Kurze Zeit später waren die Sachen weg. Ein altgedienter Hausmeister meinte, wir wären schön blöd gewesen, hätten wir das nicht so ohne jegliche Absprache oder Anfrage gemacht, hätten wir den Raum wohl sogar bekommen. Ach ja, die Jugend.

Aber die Idee eines Cafés als offener Treffpunkt, als Infrastruktur für allerlei freiheitlich-politische Gruppen, als Anlaufstelle für Interessierte und noch Desinteressierte, blieb in einigen Köpfen hängen. Eines war immer noch sicher: Wir würden was bewegen! Der Masterplan war einfach, aber einleuchtend. „Zur Erneuerung der Gesellschaft brauchen wir: Gewerkschaft, Zeitung, Lokal.“ Gewerkschaft und Zeitung, FAU Leipzig und Feierabend!, hatten wir seit 2002 (oder glaubten das). Nun fehlte noch ein Ort, der Schaufenster und Hauptquartier zugleich sein sollte. Ganz bewusst versuchten wir, uns vom linken Szenebetrieb und seinem Distinktionsbedürfnis, das seinerzeit die extravagantesten diskursiven Volten schlug, abzugrenzen. Denn klar war und ist, ohne die „normalen Leute“ ist kein Staat zu stürzen. Das Lokal, oder salopp gesagt: „der Laden“, sollte ohne große Worte, sondern allein durch seine Existenz, Struktur und Außenwirkung den alten Spucki-Spruch belegen: „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

Nicht zuletzt wäre er die erste explizit anarchistische, oder verschämt gesagt: libertäre, Anlaufstelle in Leipzig. Im Laden war Platz für die Redaktion des Feierabend! sowie für die Treffen der FAU, der linken studentInnen gruppe (lsg) und vielerlei sonstige Initiativen. Legendär sollten die „Kulturabende“ der BÜHNE und später die Theatervorführungen der Gruppe tag werden. Er sollte auch einen repräsentativen Charakter haben: Die Bibliothek sollte beweisen, dass da mehr ist als nur das A im Kreis. Und der vordere Bereich sollte – damals noch ohne Sofas, sondern mit nagelneuer Gastro-Garnitur! – tatsächlich auch als Café (mit Bedienung!) auf Spendenbasis dienen und auf PassantInnen einladend wirken.

Connewitz und Plagwitz schieden also aus. So führte ein Weg zu einer alten Metzgerei auf der Georg-Schumann-Str. Der dafür angedachte Name war Kachelstan. Geklappt hat’s dann letztlich, wo die „Libelle“ – Libertärer Laden Leipzig – noch heute sitzt: im schönen, innenstadtnahen Kolonnadenviertel. Beim ersten „Plenum“ nach Unterzeichnung der Mietverträge waren bestimmt 30, 40 Leute da. Die Hoffnung war groß, die Ambitionen mannigfaltig. Sehr elanvoll gestaltete sich die mühselige Renovierung, und zur Eröffnung im Frühsommer kamen tatsächlich auch viele Leute aus der Nachbarschaft. Ein guter Auftakt. Wie steht’s doch im Faust und in anarchistischen Broschüren: „Im Anfang war die Tat!“

Gelöst hat sich die „Libelle“ nicht aus der linken Szene, vielmehr hat sie dem Anarchismus ein Standing verschafft und darf wohl auch als Impulsgeber einiger libertärer Initiativen etwa in Plagwitz oder in der PDS/LINKE gelten. Trotz einiger zarter Anwandlungen über die politische Jugendsubkultur hinaus ist der anarchistische Funke nicht übergesprungen. Und manchmal hat man den Eindruck, nicht zuletzt dank der Sofas, es handele sich, sympathisch genug, um einen gewöhnlichen Jugendclub. Das Besondere ist und bleibt jedoch, dass der ohne jegliche Subventionen auskommt und vollkommen selbstorganisiert ist – und das ist naturgemäß, trotz allen Wollens, ergebnisoffen. Von daher blieb und bleibt sich die „Libelle“ auch in der zweiten oder dritten Generation treu.

wanst & AE

Lokales

Ein Stolperstein für Paul Arthur Holke

Seit April 2006 erinnern in Leipzig so genannte „Stolpersteine“ an verschiedenen Orten an ehemalige Bewohner­_innen der Stadt, die vom Nazi-Regime verfolgt, deportiert und schließlich ermordet wurden. Mit neun Steinen wurde begonnen, seither sind knapp 80 hinzugekommen. Ähnliche Projekte werden bereits in mehr als 50 anderen europäischen Städten betreut. Jeder dieser Stolpersteine ist mit einer Messingplatte verankert, auf der der Name, der Jahrgang und das Schicksal der betreffenden Person eingestanzt sind. Diese werden meist in die Gehwege vor den ehemaligen Wohnhäusern der Deportierten eingelassen, um eine dauerhafte Erinnerung an die Personen zu schaffen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder politischen Gesinnung ihr Leben verloren haben. Zudem findet jedes Jahr am 9. November eine Mahnwache an den verschiedenen Stolpersteinen statt. An diesem Tag werden die Steine von verschiedenen Organisationen gereinigt und Kerzen im Gedenken an die Opfer des NS-Regimes entzündet.

Die FAU (1) Leipzig beteiligt sich seit langer Zeit an diesem Projekt und putzte unterschiedlichste Steine verschiedenster Personen. Wodurch den Mitgliedern der Gewerkschaft auffiel, dass die anarchistische Geschichte in diesem Zusammenhang lei­der keine Beachtung findet. Einige Leute machten es sich nun zur Aufgabe eine Person aus der anarchistischen Bewegung zu finden, die die Voraussetzungen für einen Stolperstein erfüllt. Dazu gehört neben oben erwähnten Daten auch der Fakt, dass die betreffende Person durch dass NS-Regime zu Tode gekommen ist (was man durchaus auch kritisch sehen kann, da auch Menschen ein würdiges Gedenken zusteht, die misshandelt wurden oder im Widerstand waren). Wer sich schon einmal mit anarchistischer Ge­schichts­recherche beschäftigt hat, weiß, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Quellen sind meistens rar gesät und sobald man hofft, auf ein Ergebnis gestoßen zu sein, ist der Inhalt häufig unbefriedigend knapp. So stellte sich das Unterfangen schwieriger dar als zunächst erwartet, aber wurde dann doch erfolgreich abgeschlossen. Arthur Holke, Mitglied der FAUD (2) Leipzig, entsprach dem Perso­nen­muster, welches zur Beantragung eines Stolpersteines nötig ist. Nach der Ausarbeitung einer Kurzbio­graphie wurden nun noch 130 € benötigt, um die Verlegung zu ermöglichen. Durch Spendenaufrufe der FAU und der Anarcho­syndika­lis­tischen Jugend Leipzig (ASJ) gelang es, das Geld innerhalb kurzer Zeit zusam­men­zubekommen. Dafür noch einmal herzlichen Dank an alle Spen­der_innen! Durch die Spendeneingänge konnte der Antrag vor Kurzem gestellt werden. Leider ist bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Antwort erfolgt, doch wird damit gerechnet, dass die Verlegung noch 2013 stattfindet.

Die Kampagne soll dieses Jahr sogar noch erweitert werden. Radio Blau und die Initiativgruppe „Mahnwache und Stolpersteine putzen“ des Friedenszentrum e.V. in Leipzig starteten vor Kurzem das Projekt „Hörstolpersteine“. Im Rahmen des Projekts haben sich mehrere Freie Radios aus Deutschland und Österreich das Ziel gesetzt, den Stolpersteinen eine weitere Dimension hinzuzufügen: Stolpersteinbiografien werden vertont. In Form von kurzen Radiobeiträgen erinnern die Hörstolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus. Ähnlich den Stolpersteinen auf der Straße tauchen sie unerwartet im Programm von Radio Blau auf, um aufmerksam zu machen und die Namen und Geschichten der Opfer zu bewahren. Es werden bis zum 9. November 2013, dem 75. Gedenktag der Reichspogromnacht, zu möglichst allen Stolpersteinen in Leipzig Hörstolpersteine erstellt und gesendet. Obwohl die FAU Leipzig, „ihren“ Stein noch nicht verlegen konnte, wurde einer Vertonung seitens des Stolperstein-Projektes schon zugestimmt.

Nach langer Arbeit und Recherche scheint es so, dass das Projekt nun konkrete Formen annimmt und die FAU Leipzig ihrem Ziel, über ein Stück anarchistische Geschichte in Leipzig zu „stolpern“, sehr nahe ist. Hoffen wir, dass die Mühlen der Bürokratie es nicht zunichtemachen!

Klaus Canzely

Paul Arthur Holke wurde am 12.01.1883 in Leipzig-Eutritzsch geboren. Er arbeitete als Installateur und war Mitglied der FAUD, wo er als Obmann und Reichsdelegierter in der „Gilde der freiheitlichen Bücherfreunde Leipzig“ tätig war. Bis 1913 war Holke Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Anarchist“. Er war ein wichtiger Akteur des ASY-Verlages (3) und übernahm ab 1930 das FAUD-Reichsarchiv. Ab 1933 war er Beisitzer der illegalen FAUD-Geschäftskommission. Im selben Jahr jedoch wurde Holke von März bis Mai zu einer „Schutzhaftzeit“ verurteilt. Als er am 13. April 1937 wegen illegaler Tätigkeit erneut verhaftet wurde, wohnte Holke in der Zentralstraße 11. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde der Leipziger zwar zu einer ver­gleichsweise geringen Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, danach jedoch ins KZ Buchenwald eingeliefert, wo er 1940 den Tod fand.

(1) Freie Arbeiter_innen Union
(2) Freie Arbeiter-Union Deutschlands
(3) Anarchosyndikalistischer Verlag

Lokales

Versand versus Logistik – Schon mal eine Waschmaschine bei Hermes bestellt?

Zum ersten Mal in der Geschichte des US-Internethändlers Amazon, der seit 1998 auch in Deutschland operiert, wurde gestreikt. Doch statt für Tarifvertrag steht der Versand-Gigant weiterhin für Überwachung, Einschüchterung sowie Saison- und Leiharbeit.

An den bei­den Standorten Leipzig und Bad Hersfeld streikten am 14. Mai 2013 circa 1.700 Beschäftigte, hier vor Ort davon 300. Auslöser dafür war die Weigerung Amazons, die Löhne tariflich zu regeln, sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Zuschläge für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen und während der Nacht  zu zahlen. Daher hatten sich 97 Prozent der Gewerkschafts­­mitglieder für Streik ausgesprochen. Sie stellen rund ein Viertel der 1.200 Festangestellten sowie rund 800 befristet Beschäftigten am sächsischen Standort. Um sein auf Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gestütztes Betriebssystem aufrecht zu erhalten, vertritt das Unternehmen die Auffassung, kein Einzel- und Versandhändler zu sein, sondern ein Logistiker. Dementsprechend lässt sich nämlich argumentieren, dass in anderen Branchen, wie der Logistik, niedrigere Löhne gezahlt werden.

Nun bleibt abzuwarten, ob die Streiks andauern und es zukünftig tatsächlich schaffen, die Auslieferung und andere Betriebsabläufe erheblich zu behindern. Wahrscheinlich jedoch ist, dass Amazon sein getreues Motto Heute bestellt morgen geliefert mit der kurzfristigen Einstellung von neuen Leiharbeiter_innen aufrecht erhält – gerne auch mit Unterstützung der kommunalen Jobcenter.

Weiterhin wünschenswert ist, dass neben der Bezahlung die Arbeitsbedingungen stärker in den Fokus gerückt werden. Denn der Konsumgigant steht neben Lohn­drückerei auch bekanntermaßen für Arbeitsstress, totale Videoüberwachung, Leistungsdruck und Einschüchterung. (1)

Aber insgesamt ist uns allen ja klar, dass die Gewinne des Unternehmens trotz Streikerei wohl nicht für adäquate Beschäftigungskonditionen eingesetzt werden, sondern weiterhin um die Konkurrenz zu verdrängen und im Sinne von Wachstum auf aggressive Marktstrategien zu setzen.

Also, entweder nun endlich das Kund_innenkonto löschen oder weiter mit schlechtem Gewissen digitale Konsum-Orgien abhalten.

Mona D.

(1) Siehe z.B. den Fernsehbeitrag des ARD: „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“, in dem die Situation ausländischer Leiharbeiter_innen thematisiert wird.

Lokales

Mehr Platz für Plätze!

Wagenplätze erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Wohnen im Wagen spart Miete, entlastet so von monetären Zwängen, bietet aber auch ein geselliges und solidarisches Umfeld für viele Menschen. Aber der Raum auf den Leipziger Wagenplätzen reicht längst nicht mehr aus, und die Behörden stehen dieser Wohnform nicht immer offen gegenüber.

Anfang November 2012 besetzten darum einige Menschen mit Wägen den Radweg hinter der Gieszer 16 in Plagwitz, um ihrer Forderung nach einem neuen Platz Nachdruck zu verleihen. Dort mussten sie bald wieder weichen, die aufgenommenen Verhandlungen stockten. Ende Januar 2013 richteten sich die Aktivist_innen darum mit einem offenen Brief an die Stadtverwaltung und erklärten: „Seit dem 09.11.2012 stehen wir jetzt auf dem schmalen Streifen zwischen Jahrtausendfeld und Karl-Heine-Kanal. Diese Fläche wurde uns von Ihnen als Übergangslösung für die Zeit der Verhandlungen um eine Fläche für einen Wagenplatz zugewiesen. Diese versprochenen Verhandlungen fanden in den letzten Wochen aber nicht statt. Zuerst verwiesen Ihre Mitarbeiter auf überfüllte Terminkalender der zuständigen Bürger­meis­ter_innen, nun ist die Position unserer Wägen das Problem. Mehrmals versuchten wir unsere Wägen neu auszurichten. Die nicht gekennzeichnete Grundstückgrenze zum Jahrtausendfeld wird jetzt nur noch von zwei Wägen um jeweils nicht mehr als 4m überschritten“, aber dennoch fand sich die Stadtverwaltung nicht zur Wiederaufnahme der Verhandlungen bereit.

Dabei ist am Rande des Jahrtausendfelds, einer 30.000 qm großen, seit Jahren brachliegenden Fläche in Lindenau, eigentlich Platz genug. Eine Bebauung des Felds ist auch für die nächsten Monate nicht geplant. Und die Bewohner_innen wollen ohnehin nicht bleiben. Sie forderten die Stadt auf, die Verhandlungen um „eine Wagenplatz-Fläche mit Zukunft“ (nutzbar für mindestens zehn Jahre, groß genug und möglichst nicht am äußersten Stadtrand gelegen) wieder aufzunehmen und riefen für den 9. Februar zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz auf. Früh um 10 Uhr ging es mit einer Wagen- und Fahrrad-Kolonne Richtung Innenstadt. Etwa 50 Unter­stützer_innen sammelten sich trotz des zeitweilig dichten Schneefalls vor dem Alten Rathaus. Mit Musik (u.a. von einer solidarisch aufspielenden Brassband), Redebeiträgen und Transparenten wurde das eigene Ansinnen der Öffentlichkeit nahegebracht: „Jetze Wagenplätze!“ Hoffen wir mal, dass die städtische Bürokratie nun endlich in Schwung kommt.

justus

Lokales

Von Wölfen im Schafspelz und Schafen im Wolfspelz

Auch in Leipzig gab es am Tag X eine Demonstration gegen den offiziellen Beginn des dritten Golfkrieges. Abgesehen davon, dass zum Thema Frieden grundsätzlich unterschiedliche Meinungen existieren, die auch auf dieser Demo sichtbar waren, gibt es auch Menschen, die sich offen für einen Angriff auf den Irak aussprechen.

In der Nähe des Generalkonsulates der USA angekommen, wurde die Menschenmenge von einem riesigen Transparent mit der Aufschrift „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“ und klein darunter: „Die antiamerikanisch-antizionistische Internationale angreifen“ begrüßt.

Irritiert von dem Vorwurf, Mörder zu sein, kam es auch von Seiten der „FriedensfreundInnen“ zu Provokationen. Es war schon ein seltsames Bild: Für Frieden demonstrierende Menschen gehen physisch aggressiv gegen Menschen vor, die für den Krieg demonstrieren und sich nicht einmal wehren.

Initiiert wurde das ganze von der AKG (Antideutsch-Kommunistische Gruppe), die davon ausgeht, dass die verstärkten Angriffe der USA und ihrer Verbündeten der einzige gangbaren Weg seien, um das Terrorregime der Baath-Partei, das von der Friedensbewegung eindeutig zu wenig thematisiert wird, zu beseitigen. Auch ist der Schutz des Staates Israels – das schon im zweiten Golfkrieg Opfer irakischer Raketenangriffe wurde – ein Grundanliegen der selbsternannten „Antideutschen“. Er wäre einzig sichere Heimstatt der durch völkische Ideologien und einem latenten Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden.

Weder seitens AKG und Co. noch von Seiten der Friedensdemo gab es Willen, ihre jeweiligen Positionen, die sich wie gesagt auch innerhalb der Friedensdemo radikal voneinander unterschieden, zu erklären und sich mit der anderen Seite auseinander zu setzen. Der Dogmatismus der verschiedenen Haltungen muss hier einer ernstgemeinten Gesprächsbereitschaft weichen. Insbesondere der „innerlinke“ Streit erreicht mit derartigen Ereignissen neue Dimensionen, da er jetzt u.a. auch in aller Öffentlichkeit geführt wird.

dawn

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Opfermythos & Widerstand von unten

Frauenproteste in der Berliner Rosenstraße

Im aktuellen Geschichtsrevisionismusdiskurs – getragen u.a. vom Spiegel sowie von Günther Grass, Martin Walser und Jörg Friedrich – werden die Deutschen als doppelte Opfer konstruiert. Als Opfer sowohl von „alliierten Bombenterror“, der Roten Armee (Stalingrad) und von Vertreibungen als auch eines „totalitären Regimes“, gegen welches so gut wie keinerlei Widerstand möglich gewesen wäre. In einer solchen Stimmung muss es nicht wundern, wenn das 60-jährige Jubiläum der Frauenproteste in der Berliner Rosenstraße weitest gehend totgeschwiegen wird. Zeigen die Proteste doch, dass Widerstand zwar sehr gefährlich, aber durchaus möglich war. Dass dieser dennoch ausblieb, ist Indiz, dass die meisten Deutschen eben ziemlich wenig als unschuldige „Opfer“ taug(t)en. Daher sollen wenigstens an dieser Stelle einige Worte über die vom 27.02. bis 07.03.1943 Tag und Nacht durchgängigen Proteste in der Rosenstraße verloren werden. (1)

Die Proteste entzündeten sich anlässlich der geplanten Deportation von Juden (d.h. hier und im gesamten Text als solchen definierten Menschen) aus sog. „einfachen Mischehen“ (2) am 27.02.1943. Diese war Teil eines Plans des damaligen Berliner GAU-Leiters Goebbels, Berlin „judenfrei“ zu machen. Dazu wurden in einer als „Fabrikaktion“ bezeichneten Großaktion von verschiedenen Organen Razzien an den Arbeitsplätzen jüdischer ZwangsarbeiterInnen durchgeführt, die sich, da sie in kriegswichtigen Industrien arbeiten mussten, sicher wähnten. Aber es wurde auch nach Wohnungslisten vorgegangen. Da die Aktion im Vorfeld durchgesickert war, konnten ca. 4000 Jüdinnen und Juden in den Untergrund flüchten leider wurden ca. 2000 von ihnen während der nächsten Tage wieder aufgespürt.

In der Rosenstraße 2-4, einem ehemaligen jüdischen Sozialheim, wurden ca. 1500 zu Deportierende einquartiert. Darunter befanden sich 90-95% Männer aus Mischehen, aber auch vereinzelt Frauen und Kinder. Ungefähr 100-150 Frauen, die per „Mundfunk“ oder per Nachfrage bei der Gestapo davon erfahren hatten, kamen dort spontan zusammen. Sie gaben an, noch Gegenstände von ihren Männern zu benötigen. Als ihnen diese ausgehändigt wurden, hatten sie die Gewissheit, dass diese dort gefangen gehalten wurden; mitunter gelang es auch (z.B. auf ausgehändigten Lebensmittelkarten) kleine Botschaften nach außen zu schmuggeln.

Aus diesem spontanen Zusammentreffen entwickelte sich eine Nonstop-Demonstration, die um so bemerkenswerter ist, wenn mensch bedenkt, dass die meisten der Beteiligten große Teile des Tages arbeiten mussten. Dieser schlossen sich auch Verwandte der Frauen an – so kam es, dass selbst vereinzelte Wehrmachtssoldaten auf Heimaturlaub sich daran beteiligten. Auch wenn sich der Frauenwiderstand spontan entzündete, so bleibt doch festzuhalten, dass der Einsatz für ihre Männer schon weit eher begonnen hatte. Schließlich brachte eine solche Ehe viel Diskriminierung mit sich. Es gab also durchaus Erfahrungen mit einem selbstbewussten Agieren aus einer minoritären Position.

Die Dauerproteste sahen in etwa so aus, dass sich v.a. Frauen vor den Eingang der Rosenstraße 2-4 versammelten, auseinander getrieben wurden und sich wieder neu versammelten. Am 04.03. kam es dann zur Eskalation: es wurden SS-Männer mit Maschinengewehren hinzugezogen, die eine Schussdrohung abgaben Während ein Teil der Protestierenden zurück wich, drängte ein anderer mit dem Mut der Verzweiflung nach vorne Daraufhin wurde die SS wieder abgezogen. Am Tag darauf wurden 25 Männer nach Auschwitz abtransportiert, am 06.03. begannen dann die Entlassungen, welche sich bis zum 16.03. hinzogen. Auch die 25 bereits Deportierten blieben nicht in Auschwitz, sondern. wurden nach weiteren Protesten bis Kriegsende in einem Spezialgefängnis verwahrt. Nach ihrer Entlassung tauchten die meisten Juden in den spätestens von da an maßgeblich von ihren Frauen organisierten Untergrund ab. Von den insgesamt ca. 15.000 Jüdinnen und Juden, die damals nach Auschwitz deportiert werden sollten, kamen dort „nur“ ca. 8000 an; der Rest konnte wohl untertauchen.

Was aber hatte die Nazis bewogen, dem Protest nachzugeben? Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich vielleicht, auf die von Nathan Stoltzfus analysierten Machttheorie Hitlers (3) einzugehen, welche auch von Goebbels geteilt wurde. Diese basierte eben nicht ausschließlich auf staatlicher Gewalt, sondern auch auf Zustimmung innerhalb der „arischen“ Bevölkerung. Hinzu kam noch, dass Hitler durch den von ihm als solchen empfundenen „Dolchstoß“ der Novemberrevolution, welche ihren Ausgang nicht zuletzt in Frauenprotesten hatte, traumatisiert war und eine Wiederholung fürchtete. Protestierende Frauen, das Misslingen, Frauen im. geplanten Maß zur kriegsstützenden Arbeit heran zu ziehen und der Umschlag des anfänglichen Kriegsenthusiasmus der Deutschen nach Stalingrad und „moral bombing“ in einen dumpfen Durchhaltewillen, war der Nazi-Führungsriege wohl Grund genug, die geplante Deportation der Jüdinnen und Juden als für diesen Zeitpunkt „zu kritisch“ (Goebbels) zu empfinden.

M.

Fußnoten:
(1) Quellen hierfür:Referat von Lou Marin am 22.03.03 im LinXXnet, sowie die Artikel von William Wright in GWR 277 „Um die Erinnerung kämpfen“ (http://www.graswurzel.net/277/index.html) und „Wunder und Wahrheit über die Rosenstraße (GWR 277, S. 10); in letzterem auch eine Auseinandersetzung mit einem Spiegel-Artikel, der den Widerstand „überflüssig“ wähnte.
(2) Damit bezeichneten die Nazis Ehen, bei denen eine deutsche Frau in eine jüdische Familie einheiratete. In diesem Fall galten ihnen nicht nur der Ehemann, sondern auch die Kinder als „jüdisch“. Das Gegenstück (jüdische Frau heiratet in deutsche Familie ein) stellte die „privilegierte Mischehe“ dar. Während letztere nach den Nürnberger Rassegesetzen seitens der deutschen Ehemänner meist aufgelöst wurden, blieben die „einfachen Mischehen“ auch danach meist zusammen.
(3) s. hierzu z.B. G. Hogweed: „Hätten die Nazis gestürzt werden können?“ (http://www.graswurzel.net/251/rosen.shtml)

Widerstand

Leben in der Bude

Wagenplatz-Demonstration. Zwischenkundgebung Höhe Thomaskirche, Samstag, den 15.03.03: „Deshalb fordern wir endlich ein dauerhaftes und akzeptables Platzangebot von der Stadt Leipzig.“

So oder ähnlich lautet die Kernforderung des kleinen Grüppchens, das bis jetzt noch auf dem ungenutzten Gelände der Fockestraße eine provisorische Bleibe hat. Die Stadt ist nur bedingt gesprächsbereit – die Antwort bereits gefunden: Umzug in die Raschwitzer Straße – unter Hoch- und Umspannung, zwischen Schiene und Bundesstraße. Schöne neue Welt. Diese Lösung ist unakzeptabel. Darüber sind sich die bunt gemischten Demonstranten einig. Deshalb ist seit Mittwochabend reger Verkehr auf dem Gelände der Fockestraße 80 zu beobachten. Aus Solidarität treffen Menschen ein. Kochen, singen, spielen, bereiten Workshops, Demo und Party vor. Mancher Wagen, der da durchs Tor rollt, kommt von weit her. Leben auf Rädern. Kein Vermieter, kein alltäglicher Straßenlärm. Mobil und selbständig. Die Wagenplätze sind die sozialen Knotenpunkte dieser Lebensform, das fällt bei diesen Wagentagen auf. Und schon allein deshalb gehören sie geschützt und verteidigt.

Als dann der lange Schwanz rollender Wohnräume langsam auf den Augustusplatz einbiegt, sich zur runden Burg formiert, ein Seil zum Tanzen gespannt wird, die Küche Suppe verteilt, die Pink-Silver-Tanzgruppe einen letzten flotten Schritt wagt, die fürchterlich gepanzerten Demoordner den letzten Demonstranten symbolisch verhaften, die Bühne endlich lärmt, zwei überdimensionale Puppen über den Platz toben, wagen sich auch einzelne Passanten in den inneren Kreis der Wagen… …und staunen nicht schlecht über dieses bunt schrill lebensfrohe Häuflein Menschen, das da für ein Stückchen Lebensglück demonstriert. Und wer wollte ihnen das verwehren?!

clov

P.S.: Die Party war trotz der „außergewöhnlichen“ Musikwahl ein echter Fetz!

Lokales

Der Clara-Zetkin-Park

Ein kleines Stück Leipziger Kolonialgeschichte.

Wenn Leipziger den Namen Clara Zetkin hören, verbinden sie damit meistens zwei Dinge: ein kleines Stück historische Revolution und einen wunderschönen Park. Was die meisten nicht wissen ist, dass die imposanten Bäume nicht nur im Herbst schön aussehen und Schatten spenden, sondern wachsende Produkte einer dunkel-deutschen Kolonial-Geschichte sind. Tatsächlich wurde „unser Clara-Park“ für eine Garten-Ausstellung entworfen, dessen zentraler Teil eine großzügig angelegte Menschenschau war. Informationen darüber zu bekommen, ist noch immer nur über alternative Quellen (1) möglich. Beispielhaft dafür liest sich der Text zur Geschichte des Clara Zetkin-Park auf der Homepage der Stadt Leipzig:

Wer sich mit den genannten Parkanlagen etwas näher beschäftigt, begibt sich auf einen interessanten Streifzug durch die Leipziger Geschichte der Gartenkunst von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.“ (2)

Die Frage, weshalb die Leipziger Geschichte der Gartenkunst für die Besucher_innen/Bürger_innen von Interesse sein sollte, aber nicht die Kolonialgeschichte, bleibt so unbeantwortet wie die Frage, weshalb der Bundestag das Thema deutsche Kolonien in seinen Diskursen gekonnt ignoriert. Grund genug weiter zu forschen und Informationen zu teilen.

Als Clara Zetkin (1857-1933) in Leipzig eine Ausbildung zur Volks­schullehrerin machte, knüpfte sie Kontakte mit der revolutionären, antimilitaristischen Arbeiter_innen- und Frauenbewegung. Sie gehörte bis 1917 der marxistischen Fraktion der SPD an, die sich später in den Spartakus-Bund (USPD) abspaltete. Wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht übte Zetkin massive Kritik an der Deutschen Kolonialpolitik. Mit dieser Position machte sich die Frauenrechtlerin in der Mehr­heitsbevölkerung nicht beliebt. Das wurde spätestens durch die so genannten „Hottentottenwahlen“ 1907 deutlich. Dort verlor die SPD ein Drittel ihrer Reichstag-Sitze, weil sie sich nach dem Genozid an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwest“ (heutiges Namibia) gegen die Gewährung weiterer Gelder für die Kolonialtruppen entschieden hatte.

10 Jahre zuvor eröffnete die Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung im heutigen Clara-Zetkin-Park unter der Leitung von Leutnant Blümcke, der zuvor unter Gouverneur Hermann von Wissmann in der „Schutztruppe“ in Deutsch-Ostafrika diente. Sie war Teil der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe-Ausstellung und eine von vielen Ausstellungen, die zu Beginn des Deutschen Kolonialismus auch das Fußvolk für die „Koloniale Idee“ begeistern sollte. Und das Fußvolk kam in Scharen. Denn die als Sensationen angepriesenen Kolonialausstellungen erfreuten sich zu einer Zeit, zu der es noch kein Fernsehen oder Billigflüge gab, großer Popularität.

Ziel der Ausstellung, zu der insgesamt rund 635.000 Gäste pilgerten, sollte es sein „…neben die hoch entwickelte moderne europäische Kultur die eigenartig gestaltete afrikanische, welche die ersten Stufen unseres Kulturlebens etwa erst zu erreichen bestrebt ist, zum Vergleich zu setzen.“ (3).

Auch Fabrikanten und Unternehmer sollten durch die Ausstellung angeregt und auf die neuen deutsch-kolonialen Absatzmärkte aufmerksam gemacht werden. Gesponsert wurde der massentauglich verbreitete Sozialdarwinismus von Leipziger Unternehmern, dem Stadtrat und dem Staat. Um sich mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie zu brüsten wurden keine Kosten und Mühen gescheut. So sollte das „Schutzgebiet“ möglichst originalgetreu nachgebaut werden. Dazu zählten zwei Kolonialstationen (Usungula und Mquapua), ein militärisches Expeditionslager, eine evangelische Missionsstation und die Haupthandels-Straße Barra-Rasta in Dar es Salaam, die in der Ausstellung als Souvenir- und Cafémeile diente.

In den Gebäuden selbst fanden die Besucher_innen unzählige ethnographische Gegenstände, landestypische Produkte und Bilder. Darunter auch

einige sehr interessante Stücke aus der Sammlung des Herrn Gouverneur v. Wissmann, von ihm (…) in den Gefechten gegen die Wawamba erbeutet.“ (4).

Um den Besuchern ein „wahrhaftiges“ Antlitz der „schützenswerten“ Zone zu verleihen, wurden auch Menschen aus Fleisch und Blut ausgestellt. Für dieses „authentische“ Erlebnis reiste der Beamte Karl Kaufmann am 27. Dezember 1896 mit Erlaubnis der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes und des Gouverneurs DOAs nach Dar es Salaam. Sein Auftrag: Anwerbung von „Eingeborenen“. Vier Monate später erreichte Kaufmann mit 47 Bewohner_innen DOAs Leipzig. Bei der Auswahl der „Eingeborenen“ achtete Kaufmann darauf, dass sie vorher mög­lichst wenig Kontakt mit Europäern hatten. Schließlich ging es laut seinem Auftrag darum

„…Vertreter der innerafrikanischen Stämme zu gewinnen, da die Suaheli als etwas Bekanntes – wie viele Suaheli-Karawanen gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu sehen! – niemals die Anziehungskraft ausüben konnten, wie Repräsentanten anderer Stämme.“ (5).

Das gesteigerte Interesse wurde durch Kannibalen-Gerüchte angeheizt. Die Ausstellungs-Zeitung verkündete am 12.April 1897:

…dass bei besonderen Festlichkeiten dort Menschen verspeist wurden, und dass auch drei Matrosen von Sr. Majestät Schiff ‚Leipzig‘, die sich im Jahre 1888 zur Zeit des Buschiri-Aufstandes vom Schiffe entfernten, von ihnen verspeist sein sollen. Herrn Kaufmann gaben die Leute auf sein Befragen die Erklärung ab, dass sie früher Menschen gegessen hätten, der drei Matrosen könnten sie sich aber nicht entsinnen…“.

Auf diese und ähnliche Weise konstruierte mensch die „Anderen“ entlang einer Differenz, die sich bis heute durch Dualismen auszeichnet: „Primitive“ vs. hochentwickelte Kulturen. „Naturkinder“, „Ungläubige“, „schwarze Teufelsanbeter“, die vor noch mehr Unheil geschützt werden müssen – durch eine als hochentwickelt geglaubte westliche Zivilisation. Ein „Schutz“, der heute auch gerne von so genannten Nicht-Regierungsorganisationen als Entwick­lungszusammenarbeit verkauft wird. Aber das nur am Rande.

Die in ihren nachgestellten Behausungen eingesperrten „Primitiven“ durften ihre „gut beheizten Räume“ nur einmal für einen Rundgang mit ihrem Fänger verlassen, wo dieser sie in Tänze, Kämpfe und traditionelles Handwerk einführte.

Trotz der „guten Beheizung“ und der medizinischen Betreuung starb ein junger Angehöriger der Wassukuma kurz nach der Eröffnung der Ausstellung an einer Lungenentzündung. Er wurde auf dem Leip­ziger Südfriedhof bestattet. Er war nicht das einzige Todesopfer. Viele der „Ausgestellten“ starben. Dokumente von ihnen gibt es nur sehr wenige. Eines davon stammt von Abraham. Er wurde in der „Eskimo-Völkerschau“ ausgestellt und starb wie alle anderen Ausgestellten dieser Schau an Pocken. In seinem Tagebuch vermerkte er:

…Donnerstag, 7 November. Hatten wir wieder betrübtes gehabt. Unser Gefährte, der led. Tobias wurde von unserem Herrn Jakobsen mit der Hundepeitsche gehauen…“ (6).

Herr Jakobsen und sein Bruder waren auch von Interesse für das Leipziger Völker­kundemuseum. Das kaufte nämlich 1885 deren ethnographische Sammlung aus Nordwestamerika. Wie die ausgestellten Gegenstände erworben wurden, wird dem Besucher_innen damals wie heute nicht verraten. Zum Völkerkundemuseum gäbe es noch viel zu sagen, doch dazu ein anderes Mal. Nur so viel: An der Fassade der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz, das damals als Völkerkundemuseum erbaut und genutzt wurde, prangt noch heute die Amazone aus der Armee der Dahomey (heutiges Benin), das zu jener Zeit gerade von Frankreich besiegt worden war.

Koloniale Spuren in Leipzig gibt es viele. Sie führen unter anderem zu akademischen Elite-Institutionen wie dem Institut für Ethnologie, dem Institut für Geographie, sie führen aber auch zu öffentlichen Orten wie dem Grassi-Museum, dem Ring-Messehaus, zum Krystallpalast-Varité, zur Nikolaikirche, zum Völkerschlacht-Denkmal, aber vor allem zum Leipziger Zoo, dem Ort, der früher Menschenschauen bewarb wie heute neue Tiergeburten. Im Leipziger Zoo werden die kolonialen Spuren zwar geleugnet, aber weiterhin „authentisch“ reproduziert:

Abendveranstaltung ‚Hakuna Matata‘ in der Kiwara-Lodge. Erleben Sie eine spannende Tour mit den Zoolotsen durch den abendlichen Zoo, ein spannendes Programm mit afrikanischen Tänzern und Trommlern und ein Buffet im exotischen Ambiente der Kiwara-Savanne. Tickets und weitere Infos im Safari-Büro.“

Clara Fall

(1) www.engagiertewissenschaft.de
(2) www.leipzig.de/de/buerger/freizeit/leipzig/parks/clara/allg/
(3) Ausstellungs-Zeitung vom 29.4.1897
(4) D.K. Blümcke 1897, S.23
(5) Ausstellungs-Zeitung vom 29.5.1897
(6) Tagebuch von Abraham, übersetzt von Bruder Kretschmer 7.11.1880 nach Thode-Arora 1989, S. 125
Wer sich stärker für das Thema interessiert, dem sei die Homepage www.leipzig-postkolonial.de empfohlen, auf der in Kürze Texte zu postkolonialen Orten in Leipzig erscheinen. Die Seite wird von der Arbeitsgruppe Postkolonial/Engagierte Wissenschaft e.V. betrieben, die regelmäßig auch „postkoloniale“ Stadtrundgänge in Leipzig anbieten.

Kasten:

Deutschland begann mit der Kolonisierung verstärkt „erst“ Ende des 19. Jahrhunderts. Die größte Kolonie war Deutsch-Südwestafrika, auf dem Gebiet des heutigen Namibia, das von 1884 bis 1915 kolonisiert wurde. Ab 1904 kämpften deutsche Truppen gegen die Herero, die erbitterten Widerstand leisteten. Später schlossen sich auch die Nama, die im Süden des Landes lebten und von den Deutschen „Hottentotten“ genannt wurden, dem Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht an. Die meisten Historiker_innen bezeichnen den Krieg gegen die Herero und Nama als Genozid, da die Ziele nicht nur Sieg und Unterwerfung mit einschlossen, sondern vor allem Vertreibung und Vernichtung.

Schätzungen gehen davon aus, dass damals 50 bis 70 Prozent der bis zu 100.000 Herero und die Hälfte der damals rund 20.000 zählenden Nama, ums Leben kamen. Tausende von ihnen starben in Konzentrationslagern. Zu den verfolgten Völkern gehörten auch die Damara und San. Der Krieg wurde offiziell am 31. März 1907 für beendet erklärt. Erst 1908 wurden die letzten Konzentrationslager aufgelöst. Am 22.3.2012, einen Tag nach dem 22. namibischen Unabhängigkeitstag und dem internationalen UN-Tag gegen Rassismus, lehnte der Bundestag einen Antrag der Linksfraktion vom 29.2.2012 ab, in dem diese forderte, das Parlament möge den Krieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika als Völkermord anerkennen.

Lokales

Wawa for Mayor

Der Leipziger Polizeichef Horst, oder kurz „Wawa“, wie er sich seit Bekanntgabe seiner OBM-Kandidatur nennen lässt, findet keine Ruhe. Kurz bevor er seinen strafversetzten Nachfolger Bernd Merbitz – brutaler Haudrauf, versierter Nebelkerzenwerfer und CDU-Amigo wie er selbst – einlernt, lässt Hotte noch mal den Knüppel aus dem Sack, um sich mit großem Knall in den Wahlkampf zu verabschieden.

Freitag Nachmittag lässt er mit mehreren Hun­dertschaften eine Hälfte der Stockart­straße, unsereins auch als Stö bekannt, über Stunden abriegeln. „Drogenlabor“ lau­tet der Schluss der „monatelangen Ermittlungen“. Woher die Polizei das weiß? „Ver­dächtige Kabel und Schächte“ auf dem Dach wurden „durch die Auswertung von Luft­bildern“ ausgemacht. Das euphorisch gefeierte Ergebnis der fünfstündigen Suchaktion: ein paar Kilo Gras und Hasch im Wert von etwa 60.000 Euro (die genaue Ki­lo­menge variiert ständig in den Stellungnahmen) sowie „mehrere Stich- und Schuss­waffen“. Die dann aber so gefährlich nicht sein konnten, schließlich sind sie inzwischen nicht mehr der Erwähnung wert.

Aber zwei 36-Jährige Schwerverbrecher sind dingfest gemacht, Leipzig atmet auf!. Für ein Wochenende ist Hotte der Held und Retter in der Not, die reflexhaften Krawalle in Connewitz werden als Schuldeingeständnis der „Linksautonomen“ eingestuft, ein paar Scherben vor der Plag­witzer Wache als „Molotowcocktails, die aber nicht zün­den wollten“ deklariert.

So weit, so schmierig, möchte mensch meinen, doch schon am Montag wendet sich das Blatt. Denn der MDR berichtet, dass einige Dutzend Kleinkinder in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stö gelegenen Kita Bieder­mannstraße die Stürmung ihres Spielplatzes gar nicht so doll fanden. Erst dann geben auch die örtlichen Medien ihr anfängliches Jubelgeschrei auf. Die beiden Polizeichefs sehen sich zerknirscht gezwungen, aus eigener Tasche ein paar Plastikbälle zu kaufen und diese persönlich in der Kita zu übergeben. Dazu gibt´s noch eine kleine Spende, womöglich damit sich die Erzie­her_innen in Traumatherapie begeben können.

Tags darauf ist Hotte aber wieder ganz der Alte. In seiner neunten Komplexkontrolle stellt sich heraus, was wir schon immer ahnten: Leipzigs eigentliches Problem sind die vielen Radfahrer_innen. Hunderte Cops stehen sich einen halben Tag lang die Beine in den Bauch, genießen die frische Luft und stellen dabei Dutzende Delinquent_innen mit technischen Mängeln am Rad oder bei-Rot-über-die-Ampel-Fahrer_innen. Da kann wenigstens niemand sagen, die Polizei würde wegschauen, wenn das Gesetz missachtet wird.

Und falls doch, verteidigt sich Wawa eben mit Erinnerungslücken. Wie an seinem letzten Arbeitstag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags. Mehr als 20 Mal versagte ihm, der von 2000 bis 2004 Polizeichef in Chem­nitz war, das Gedächtnis. Über die Arbeit seines Mobilen Einsatzkommandos hatte er keine Kenntnis, auch die Videoüber­wachung der Chemnitzer Wohnung des Trios durch seine eigenen Leute war ihm unbekannt. Vermutlich hat der gute Gendarm einfach die vorab zugeschickten Fragen der Parlamen­tarier_innen nicht richtig verstanden, denn diese waren, so verteidigte er sich, „sehr umfangreich und schwer verständlich formuliert“. Wie können sie nur?! Der Horst ist eben einer aus dem Volk, der weiß schon, was die Bürger_innen wollen. Zum Beispiel einen debilen bayrischen Rentner als Leipziger OBM, der in Naumburg wohnt.

bonz

Lokales