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BUKO goes Leipzig!

Der BUKO-Kongress ist der jährlich stattfindende Kongress der Bundes­koordination Internationalismus. Diese fokussiert eine emanzipatorische Politik, will eine radikale Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse schaffen und thematisiert internationalistische soziale Bewegungen. Mehr Infos zur BUKO findet ihr auf: www.buko.info.

Der BUKO-Kongress fand bisher in verschiedenen Städten statt und wird in Zusammenarbeit einer lokalen Vorbereitungsgruppe, dem BUKO-Büro und einem bundesweiten Vorbereitungsnetzwerk ausgetragen und von verschiedensten Gruppen und Personen thematisch gestaltet und besetzt.

Dieses Jahr wird der BUKO-Kongress vom 29. Mai bis 1. Juni in Leipzig stattfinden. Als lokale Vorbereitungsgruppe suchen wir gerade nach geeigneten und kostenminimal nutzbaren Räumen, bereiten die thematische Ausrichtung vor, finden Wege und Möglichkeiten der Finanzierung und Versorgung und treffen weitere infrastrukturelle Vorbereitungen.

Schwerpunktthemen sind die Kämpfe für ein Recht auf Stadt und umkämpfte Stadtentwicklung und das Thema Migration und Rassismus sowie deren sozio-ökologische Herausforderungen. Besonderer Fokus liegt dabei auf einer feministischen Perspektive, unter der die Themen erschlossen werden sollen. Die internationalistische Perspektive und internationale Beteiligung und Besetzung des Kongress ist uns nicht minder wichtig. Dies soll sich in den Themen der Inputs, Vorträge und Diskussionen und der Besetzung durch Redner*innen widerspiegeln. Außerdem wollen wir nicht nur theoretische Analysen der Themen anbieten, der Kongress soll vor allem eine aktionistische und praxisorientierte Perspektive schaffen.

Recht auf Stadt (RaS)

Anlass für die Schwerpunktsetzung ist die aktuelle globale Relevanz der Kämpfe um Stadt und Wohnraum – seien es Kämpfe gegen Zwangsräumungen in Spanien, gegen Verdrängungen in Rio oder gegen den neoliberalen Umbau von Istanbul. Daneben wollen wir einladen, sich über den Stand der RaS-Bewegung in Deutschland auszutauschen. Und last but not least wollen wir die Debatte in Leipzig voranbringen – einer Stadt, die auf der einen Seite gerade „das neue Berlin“ werden soll und zu „Hypezig” umgeschrieben wird, da sie tatsächlich noch zahlreiche Freiräume bietet, auf der anderen Seite aber zusammen mit Dortmund Armutshauptstadt der Republik ist. Wir wollen Anstoß liefern für lokale wie globale Vernetzung und eine kraftvolle Bewegung, die ein Recht auf Stadt einfordert.

Folgen der kapitalistischen Verwertung sind Verdrängung, Ausschluss und Zwangs­­­räumungen, die soziale Frage stellt sich vermehrt als Wohn- und Raumfrage.

Wie können wir die Vergesellschaftung von Wohnraum auf die Agenda setzen und den utopischen Überschuss eines Rechts auf die Stadt erkunden? Wie können Marginalisierte neben „weißen“ Mittelschichten in den Stadtinitiativen zu Wort kommen? Wie rücken wir die kapitalistische Verwer­tung der Städte statt die Zuziehenden bzw. die Kreativen und Künst­­ler*innen in den Fokus der Kritik?

Auch die Selbstorganisation von Geflüchteten gegen Isolierung und zentrale Unterbringung sind Kämpfe um ein Recht auf Stadt. In der Ethnisierung städtischer Räume oder Racial Profiling zeigt sich die rassistische Dimension der Stadtentwicklung und -kontrolle. Doch wie können Verbindungen in der politischen Praxis hergestellt werden? Kann die Brücke zu sozial-ökologischen Fragen über die Rekommunalisierung städtischer Energieversorgung geschlagen werden? Wie sieht eine feministische Perspektive auf Wohnen als Teil der Reproduktionssphäre oder den exklusiven Zugang zu städtischen Ressourcen und Infrastruktur aus?

Migration & Rassismus

Die Relevanz einer Diskussion und Analyse der Themen Migration und Rassismus erschließt sich für uns aus der derzeitigen Veränderung antirassistischer und migrantischer Kämpfe einerseits, sowie aus dem Wandel rassistischer Diskurse und Mobilisierungen in Politik und Öffentlichkeit als auch massiver repressiver Grenzpolitik andererseits. Wichtiger Ausgangspunkt ist für uns die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Positionierung, unseren Verstrickungen und Handlungsmöglichkeiten.

Nicht nur in der BRD gewinnen widerständige Proteste von Geflüchteten und Mi­grant*innen zunehmend an Präsenz und öffentlicher Wahrnehmung. All diese Kämp­fe und tägliche grenzüberschreitende Migration zeigen deutlich, dass das überholte Bild der „Festung Europa” und damit verbundene koloniale Kontinuitäten grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen.
Gleichzeitig rücken Asylpolitik und Geflüchtete in den Fokus rassistischer Diskurse in Öffentlichkeit und Medien. Mobilisierungen gegen und Angriffe auf Asyllager nehmen zu und zeigen die ge­fährlichen Auswirkungen eines rassistischen Normalzustands in der BRD.

Die staatliche Regulierung von Migration folgt einer kapitalistischen Logik, welche den öffentlichen und politischen Diskurs maßgeblich beeinflusst.

Wir fragen uns, wie antirassistische Kämpfe unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen aussehen können und welche Perspektiven es für sie gibt. Wie hängen die Proteste und Streiks gegen die schikanöse Behandlung Asylsuchender durch den UNHCR in Tunesien mit den Protesten Geflüchteter im Zentrum Europas zusammen? Wie können die Ursachen für Migration und Flucht mit postkolonialen und feministischen Perspektiven und vor dem Hintergrund einer kapitalistischen Krise analysiert werden? Welche Rolle spielt dabei der Zugriff auf Ressourcen für die Aufrechterhaltung eines Lebensstandards, den sich nicht alle leisten können? Wie sehen Grenzkämpfe und Strategien der Migration an den Grenzen Europas aus und wie können wir uns vernetzen, um diese zu unterstützen? Wie kann eine Unterstützung migrantischer Proteste durch „Weiße“ deutscher Staatsbürgerschaft aussehen?

Anspruch & Beteiligungsmöglichkeiten

Wir wollen auf dem BUKO einen Raum für Austausch und Vernetzung unterschiedlicher Aktivist*innen und Interessierten schaffen. Dieser kann von einem inhaltlichen Austausch, Workshops und Diskussionen bis hin zu direkten Interventionen und Aktionen in der Stadt reichen. Wir wollen, dass der Kongress in der Stadt Leipzig Präsenz zeigt, und hier sowohl Spuren hinterlässt als auch Aufmerksamkeit schafft.

Um ein möglichst vielfältiges Programm sowie noch weitere Anregungen und Perspektiven in das Programm zu integrieren, würden wir uns über (inter­nationale) Beteiligung, Unter­stützung und Anregungen freuen!

Wenn ihr den BUKO 36 also mitgestalten und unterstützen wollt, meldet euch unter:
buko_leipzig@buko.info und kommt zu unseren Vorbereitungstreffen.

Die Leipziger Vorbereitungsgruppe für den BUKO 36

BUKO braucht Kohle
Natürlich braucht die BUKO auch finanzielle Unterstützung, um die Organisation des Kongresses zu stemmen. Neben Soli-Parties und Gelder von Stiftungen sind wir auch auf eure Spenden angewiesen.
Wir freuen uns daher über jede Spende an folgendes Konto:

Verein zur Förderung entwicklungspädagogischer Zusammenarbeit
Ev. Darlehnsgenossenschaft eG Kiel
BLZ 210 602 37
Knt.: 234 389
Gläubigeridentifaktionsnummer für SEPA-Lastschriften: DE25ZZZ00000022314
Bei Überweisungen aus dem Ausland:
IBAN DE 64 2106 0237 0000 2343 89
BIC bzw. SWIFT GENODEF1EDG

Spenden sind steuerlich absetzbar. Bis 100 EUR gilt der Einzahlungsbeleg als Quittung gegenüber dem Finanzamt.

Warnung, Warnung: Zweite Runde Compact-Konferenz

Offensichtlich ist nach der ersten überflüssigen Compact-Konferenz auch gleich vor dem nächsten Propaganda-Treffen. Nur diesmal hier vor Ort, in Leipzig. Unter dem debilen Titel „Werden Europas Völker abgeschafft? Familienfeindlichkeit, Geburtenabsturz und sexuelle Umerziehung“ treffen am 23. November diesen Jahres Thilo Sarrazin, die Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman und der Buchautor Peter Scholl-Latour aufeinander, um Wege aus der Misere zu finden, die Deutschlands und Europas desolate Familienpolitik hinterlassen. Bereits im Vorfeld wird aber deutlich, dass der Titel der Konferenz eine Mogelpackung ist und das illustere Beisammensein stattfindet, um sich in Hetztiraden gegen Homo-Ehen auszulassen und eine Deutschland-Untergangsstimmung zu generieren.

Perfekt dazu ins Bild passen auch die besonderen Gäste, die dem Treffen neben der agitatorischen Bereicherung auch einen internationalen Glanz geben. Zum einen Béatrice Bourges, eine der Kernfiguren gegen die „Ehe für Alle“ in Frankreich, die immer wieder betont, dass Homosexualität das gesellschaftliche Fundament auslösche. Und dann sind auch Vertretende der Staatsduma mit von der Partie, die per Gesetz den Hass auf Homosexuelle in Russland schüren. Also alle, die es sich nicht leisten können, aus Protest ein 400 Euro teures VIP-Ticket zu kaufen, um Thilo und Co backstage bloßzustellen, denen bleibt es, am 30. September um 20 Uhr in der Rosalinde mit Gleichgesinnten ein Bündnis ins Leben zu rufen, dass dem homophoben Menschenhass der selbsternannten Geburten- und Integrationsfachfrauen und -männer Protest entgegensetzen wird.

mona d.

Kommentar

Der gemeine Deutsche

Erfahrungsbericht: Versammlung zur Unterbringung von Asylbewerber_innen

Stellen Sie sich vor, Sie fliehen aus einem Land auf der Suche nach neuen Perspektiven, aber wo Sie ankommen, warten eine Sammelunterkunft, Arbeitsverbot, Kontrolle der Privatsphäre und ständige Angst vor der Abschiebung zurück in das, wovor Sie geflohen sind.“

Allein das ist, wenn man so darüber nachdenkt, schon mehr als unmenschlich. Doch was ich im Folgenden beschrieben werde, übersteigt sogar meine bisherige Vorstellungskraft. In Rackwitz, bei Leipzig, soll ein Asylbewerber_innenheim entstehen und eben das stand am 29.08.2013 auf der Tagesordnung einer Bürger_innenversammlung. Etwa 180 Asylbewerber_innen sollen im Landkreis Nordsachsen, genauer gesagt im ehemaligen Lehrlingswohnheim, welches schon seit Jahren leer steht, bis Ende des Jahres 2013 untergebracht werden, und das gefällt vielen Rackwitzer_innen so gar nicht.

Rackwitz – 29.08.2013. Zu viert kamen wir an. Wir befürchteten schon ein wenig, das Rathaus nicht zu finden, aber als wir von Ferne eine Menschentraube sahen, war uns klar, wo unsere Reise hinführt. Und der Schein betrog uns nicht. Das Rathaus war bereits voll – ab und an hörte man von draußen laute Rufe und Gejubel durch die offenen Fenster. Was waren das für Leute? Einige standen in ihren Arbeitssachen dort, die meisten sahen eher unscheinbar, bürgerlich aus. Die Leute unten waren eher angespannt und sichtlich unzufrieden, dass sie nicht mit rein konnten. Ein ganz Engagierter rief dann aus dem Fenster des Rathauses, dass die Sitzung in der größeren Sporthalle weitergeführt werde. Also hieß das auch für uns – hin da, mit all den guten Deutschen.

Das Gefühl, das mich bewegte, als wir so vor der Turnhalle standen, lässt sich schwer beschreiben. Unbehagen trifft es am ehesten, immerhin wurden wir schon mehrmals fotografiert und mit Misstrauen beobachtet, aber wir wussten auch, dass wir es uns nicht so anmerken lassen dürfen… „die merken das“, da wir irgendwie nicht in die allgemeine Stimmung „der Hetze“ passten.

Als sich die Sporthalle füllte, manifestierte sich in mir dieses schon beschriebene Unbehagen, da nun alle nicht draußen ausgebreitet dastanden, sondern fast Schulter an Schulter in einer Halle waren.

Michael Czupalla (CDU) beginnt zu sprechen – leichte Worte – nur Fakten. Selbst das ist schon zu viel. Der deutsche Mob brüllt aus Leibeskräften: „Das interessiert uns nicht!“, „Unsere Kinder!“ und ähnliches. Er versucht es weiterhin, aber die Leute scheint das nicht im geringsten zu interessieren. Sie verneinen alles. Schreien „Lüge! Lüge! Lüge!“ usw.

Es folgt ein Hitlergruß.

Weder Polizei (gerade mal ein Polizist ist vor Ort) noch anwesende Politiker_innen sagen etwas dagegen. Stattdessen die Bitte des Politikers einmal ausreden zu dürfen. Das Zuhören fällt immer schwerer. Der Kreis um ihn verdichtet sich.

„Du Ochse“, ist aus dem Publikum zu hören.

„Dann brennen eben 200!“

Czupalla wird ein NPD Plakat überreicht. Greller Jubel – die Halle bebt. Ich fühle mich irgendwo zwischen Unverständniss, Ekel, Angst,…

„Demokraten raus!“, erklingt es aus der jubelnden Meute und erntet noch mehr Applaus.

Es folgt eine Rede von Christoph Wieland (NPD), wobei ich interessant finde, dass die NPD nicht einmal direkt erwähnt wird. Das schwimmt immer zwischen den Zeilen. Wieland wird fröhlich aufgenommen, und als er meint, dass angeblich bereits 1.232 Unterschriften gegen das Heim gesammelt wurden, freut sich der deutsche Mob wieder.

Dann ist es soweit – es musste ja so kommen. Der beliebte Spruch „Wir sind das Volk“, hallt durch die Halle. „Menschenrechte?“, und direkt danach „Wir haben auch Rechte!“ So war die Antwort, als Czupalla versuchte zu erklären, warum Flüchtende ein Recht auf Asyl haben.

Ob den Leuten bewusst war, welche Ironie in dieser Aussage steckt? Ich weiß es nicht, bezweifle es aber. Just in dem Moment fällt mir die starke Bedrängung Czupallas auf. Wo er anfangs noch ausreichend Platz hatte und eine Wand hinter sich, war er nun komplett von bürgerlichen Rassisten umringt. Die aufgebrachte Stimmung wird immer mehr zum Bedrohungszenario.

Der Mob tobt.

Es ist die Rede davon, die Montagsdemo wieder einzuführen.

Das Letzte, was wir dann noch klar verstehen können, ist – „Na ihr wisst ja, was ihr zu wählen habt.“

Dann verkommt es zu einem dauerhaften Gebrabbel mit vereinzeltem Applaus. So verlassen wir dann mit bitterem Nachgeschmack diese Turnhalle.

R!

Lokales

Unter dem Deckmantel des Friedens

Das Doppeljubiläum zu Völkerschlacht und Denkmal

„Der Oktober 2013 steht in Leipzig und der Region ganz im Zeichen des Gedenkens, Feierns und Erlebens.“ (1) Ein sogenanntes Doppeljubiläum. 200 Jahre Völkerschlacht. 100 Jahre Völkerschlachtdenkmal. Die Frage, was es denn in diesem Kontext genau zu feiern gäbe, beantwortet der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums und Leiter der Organisation des Doppeljubiläums, Dr. Volker Rodekamp, unterschiedlich. Bei einem Gesprächsabend in der evangelischen Thomasgemeinde sagte er: „Da gibt es eigentlich gar nichts zu feiern, aber es gibt viel zu erinnern, was uns nachdenklich stimmen sollte“ (2). Auf dem offiziellen Jubiläums-Internetauftritt spricht er dann aber doch wieder vom Anspruch, „ein großes europäisches Fest zu feiern“ (3).

Also feiern ja, aber doch auch Gedenken, Krieg ja, aber doch auch Versöhnung und Frieden, deutscher Nationalismus ja, aber doch auch europäische Geschichte. Wie das zusammengeht, bleibt unklar. Wie genau spannt man denn den Bogen von der bis dahin größten kriegerischen Auseinandersetzung mit 110.000 Toten in vier Tagen im Jahr 1813 über das Völkerschlachtdenkmal als „volkserzieherisches“ Nationaldenkmal zur Einschwörung auf die „vorbehaltlose Unterstützung deutscher Weltmachtpolitik“ (4) im Vorjahr des Ersten Weltkriegs 1913 zum Doppeljubiläum 2013 mit dem Motto „1813-1913-2013: Eine europäische Geschichte“?

Was sofort ins Auge sticht, ist das markentaugliche Branding, welches dem Völkerschlachtdenkmal widerfahren ist. Bunte Farben, klare Formen. Auch zum Ausmalen für Kinder, „wenn die Sonne mal nicht scheint“ – der „Kreativität freien Lauf lassen“(5). Das Denkmal wird zum „Völki“, zum Touristenmagnet Leipzigs. Mehr als 5.000 Besucher haben sich aus der ganzen Welt angemeldet, um die Völkerschlacht nachzustellen. Reenactment – um Geschichte erlebbar zu machen. Aber warum Kriege erlebbar machen? Um das Ausmaß von Kriegen zu zeigen, muss man nur täglich Nachrichten lesen oder schauen. Um den Opfern von 1813 zu gedenken, muss man nicht deren Todesumstände nachstellen. Um Freundschaften zu schließen, muss man nicht mit Uniform und Waffen aufeinander losgehen.

Das Kriegs-Reenactment als „Völkerverständigung“ zu definieren, ist ebenso verzerrend, wie das Völkerschlachtdenkmal als „Mahnmal des Friedens“ zu deuten oder das Doppeljubiläum als „Friedensfeuer 2013“ zu bezeichnen. Das meinen wohl im Grunde auch die Veranstalter. Im offiziellen Rahmenprogramm ist jedenfalls wenig zum Thema Frieden zu finden. Waffen, Steine, Helden, Gefechtsorte und Kriegsalltag stehen eindeutig im Vordergrund. Es gibt die Friedensgebete der Kirchen, europäische Friedensmusik, die Friedensbäume an Orten der Erinnerung zur Völkerschlacht und die Gedenkmedaille aus dem originalen Waffenschrott der Völkerschlacht. Diese mahnt uns zu „Frieden und Freiheit“, geziert mit dem Schriftzug: „Aus Eisen des Schlachtfeldes von Leipzig – das rechteckige Liebhaberstück”(6).

Friedens- und Erinnerungsarbeit auf Kriegsgräbern ist nicht neu. Eine konstruktive und kritische Auseinandersetzung mit der gewaltvollen Vergangenheit, aber auch mit den aktuellen Kriegen, in die europäische Staaten involviert sind, sieht jedoch anders aus. Was macht denn das Denkmal zum Symbol des Friedens? Weil einige Akteure es so sehen wollen? Weil Menschen aus ganz Europa für das Jubiläum zusammenkommen? Weil es als Negativbeispiel der Geschichte positive Impulse für eine friedliche Zukunft sendet? Weil Europa, damals im Krieg, heute friedlich ist? Ist es das? Der Vorrang von militärischen vor zivilen Konfliktinterventionen zeichnet ein anderes Bild. Den Bogen „1813-1913-2013“ als „eine europäische Geschichte“ zu spannen, als eine Geschichte vom Krieg zum Frieden, bleibt ohne die inhaltliche Auseinandersetzung leer. Das ist keine Erinnerungskultur im Zeichen des Friedens, sondern unter dem Deckmantel des Friedens.

tung

(1) www.voelkerschlacht-jubilaeum.de/jubilaeum-17/items/intro-jubilaeum.html
(2) www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2013/01/Leipziger-Voelkerschlacht-Doppeljubilaeum-2013-45886.html
(3) www.voelkerschlacht-jubilaeum.de/jubilaeum-17/items/wir-wollen-ein-grosses-europaeisches-fest-feiern-dr-volker-rodekamp-im-gespraech-ueber-das-doppeljubilaeum-im-oktober-2013.html
(4) strassedermonumente.de/voelkerschlachtdenkmal.html
(5) www.voelkerschlacht-jubilaeum.de/denkmal-20/items/test.html
(6) www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2012/04/Voelkerschlacht-Waffenschrott-wird-zu-Medaillen-41044.html

Lokales

Die Redaktion demonstriert…

…gegen Pro Deutschland in Connewitz

Die rechte „Bürgerbewegung“ Pro Deutschland will groß rauskommen. Zum diesjährigen Wahlkampf startete sie deshalb eine große Tour durch diverse deutsche Städte und gastierte am 16. September mit ihrem Bürgerbewegungs-Bus auch in Leipzig, um dort u.a. in der Nähe des Conne Island eine zweistündige Kundgebung abzuhalten.

Momentan ist die Bürgerbewegung aber noch klein. Gerade mal fünf Leute schienen da zu stehen, obwohl auch das nur gemutmaßt werden konnte. Die Polizei war mit gut zwanzig Mannschaftswagen vor Ort, und von diesen wurde die Kundgebung nun derart fachmännisch umstellt und zugeparkt, dass sie gar nicht mehr zu sehen war. Nur eine einzelne Deutschlandfahne war zu erkennen, die einer da gelegentlich hinter den Polizeifahrzeugen schwenkte. Etwa fünfzig Linke hatten sich eingefunden und beobachteten das klägliche Treiben. Die Redebeiträge waren selbst von der gegenüberliegenden Straßenseite nur schwer bis gar nicht zu verstehen – die kleine Bewegung konnte sich vermutlich keine großen Lautsprecher leisten. Aber vielleicht hat sich ja der eine oder die andere der umstehenden Polizist_innen von diesem Auftritt überzeugen lassen.

Sonst noch was? Ja, am Ende der Veranstaltung nutzte ein unbekannter Chaot noch fix die Gelegenheit, eine Silvesterrakete in Richtung der Kundgebung abzuschießen – die alten Böller müssen ja auch irgendwann weg… Aber auch dieser Versuch, der lahmen Aktion ein wenig Glamour zu verleihen, verpuffte wirkungslos auf halber Strecke. Vielleicht ein kleiner Tipp zum Schluss: Beim nächsten Mal das Spritgeld sparen und dafür bessere Lautsprecher kaufen.

justus

…im Protestcamp mit den Flüchtlingen in Bitterfeld

Die Unterkünfte Friedersdorf und Marke im Landkreis Anhalt-Bitterfeld/Sachsen-Anhalt sind, wie so viele andere Sammelunterkünfte auch, isoliert von Aktivitäts- und Kontaktmöglichkeiten und ohne Privatsphäre. Die Kritik der Zustände bestand schon seit längerem, jedoch ohne, dass von Seiten des Landkreises was passierte. Daraufhin schlossen sich am 1. August hier mehrere Flüchtlinge zusammen, errichteten auf dem Bitterfelder Marktplatz ein Protestcamp und traten in einen Hungerstreik – insbesondere, um sich für verbesserte Unterbringungsbedingungen und das Recht auf Arbeit einzusetzen. Der Streik endete nach 16 Tagen, als die Landesintegrationsbeauftragte vor Ort ins Gespräch kam und einen Runden Tisch mit den zuständigen Behörden und handelnden Personen einberief.

Nun bleibt abzuwarten, ob sich für die Menschen tatsächlich etwas ändern wird. Im Rahmen der Möglichkeiten von kommunalen Ausländerbehörden bzw. Sozialämtern der Landkreise liegen immerhin Aspekte wie Sozial­leistungen, medizinische Versorgung d.h. Überweisung zum Facharzt und Therapien, Arbeitserlaubnisse, Erteilung der Verlassenserlaubnis zur Reise in andere Bundesländer sowie Abschiebungs­anordnungen. Hoffentlich bald nicht mehr zu Ungunsten der Betroffenen. Für ein Recht auf Rechte!

mona d.

… bei einer Fahrraddemo gegen die ­staatlichen Repressionen in Russland

Der unmittelbare Anlass war der gewaltsame Übergriff der russischen Spezialeinheit Omon auf das transnationale Austauschtreffen Vostok Forum bei Murmansk. Das Forum war von der deutschen Netzwerk AG Russland mitorganisiert worden. Dieser Angriff reiht sich ein in eine Kette repressiver Aktivitäten gegen regimekritische Menschen in Russland. Am bekanntesten dürfte die Verurteilung der Punkband Pussy Riot wegen Blasphemie sein. Dort hört es jedoch nicht auf. Seit 2012 müssen sich russische Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, um Geld aus dem Ausland erhalten und politisch tätig sein zu können. Und die Kriminalisierung geht weiter. Das neue „Homo-Propaganda-Gesetz“ verbietet es, in Anwesenheit von Minderjährigen oder in öffentlichen Medien positiv über gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sprechen.

All dies war Grund genug, am 13. August 2013 in Leipzig von der Blechbüchse zum russischen Generalkonsulat in Gohlis zu ziehen. Der bunte Haufen wurde eifrig vom Konsulatsmitarbeiter abfotografiert. Ob nur für die Pressemappe oder um beim nächsten Visaantrag seine Kritiker zu erkennen, wird sich zeigen. Solidarität mit den Betroffenen staatlicher Repressionen in Russland! Informiert Euch und andere!

wanst

www.ag-russland.de

… beim ­­diesjährigen Leipziger Christopher Street Day, Motto: „L(i)eben und L(i)eben lassen“

Meinen ersten Eindruck vom CSD prägten neben dem mit Ständen gefüllten Marktplatz und der sich vor dem sich Rathaus formierenden Demonstrationszug vor allem drei Junggesell(inn)­enabschiede, die dem Ganzen einen gewissen realistischen Rahmen boten. Die Frauengruppe in schwarz-pink war gar nicht weiter erwähnenswert. Die sieben Männer hingegen, die betrunken gröhlend ihren im rosa Tütü gekleideten Jungesellen anfeuerten und CSD-Besucher_innen von ihrem Party-Tandem zuwinkten, ernteten wenig verwunderte oder gar ablehnende Blicke. Im Gegenteil – die Leute vom Marktplatz winkten teilweise freundlich zurück. Für mich eine fast surreale Situation.

So wunderte ich mich dann aber nicht mehr über einen Stand der Jungen Union, freute mich hingegen über einen der Queeramnesty Leipzig. Den ersten Redebeitrag der Demo verfolgte ich mit Interesse, hatte ich doch das Glück, hinter dem Wagen der Redner_innen zu sein, während auf dem zweiten Wagen munter die Partymusik weiterlief. Besonders der Redebeitrag der diesjährigen Schirmherrin Lucie Veith (Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V.) war hörenswert. Sie erklärte, dass zum ersten Mal nicht nur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans), sondern explizit auch Intersexuelle mit angesprochen und sich mit ihnen (v.a. im Kontext von Genitalverstümmelungen) solidarisiert werden sollte. Es war diesmal also ein CSD von und für “LGBT(I)”, was sich auch im Motto widerspiegelte. Und für Heten war auch Platz. 😉

shy

Die Häuser denen, die in ihnen wohnen!

Mietkampf in der Kochstraße

In vielen Teilen der Städte werden Menschen durch Modernisierung oder sogenannte Viertelaufwertung aus ihren Wohnungen verdrängt. Mit welchen Mitteln die Modernisierer dabei vorgehen und dass man auch etwas dagegen tun kann, zeigt das Beispiel der Kochstraße 114 in Leipzig.

FA!: Wie ist eure derzeitige Situation?

Es wohnen noch drei Mietparteien von zwölf in der Kochstraße 114. Alle drei sind auf Räumung und Herausgabe verklagt, zwei Prozesse sind in erster Instanz zu unseren Gunsten entschieden worden, der dritte läuft noch. Der Vermieter hat in den beiden für ihn verlorenen Prozessen Berufung eingelegt, die Termine dafür stehen noch nicht fest. Am Haus und in den Wohnungen wird nichts gemacht.

FA!: Könnt ihr uns eine kurze Chronologie der Ereignisse geben?

2008 hat die Stadtbau AG dieses und das Nachbarhaus gekauft. Erst mal gab es keine Änderungen, außer einem auffälligen Geiz bei Reparaturen und Wartungen. Es folgte eine erste Mo­dernisierungsankündigung: Balkons, abwaschbare Fensterbänke, neue Fenster (obwohl das Haus teilsaniert ist und neue Fenster hat) und die Heizung sollten die Miete verdoppeln. Das war Anlass für die anderen neun Mietparteien freiwillig auszuziehen. Es wurde nichts modernisiert. 2010 wurden dann Selbstnutzer im Haus rumgeführt, eine bewohnte Wohnung wurde als frei im Internet angepriesen. Mit uns wurde erst geredet, als wir beim Amt für Stadtentwicklung nachfragten, was eigentlich los ist.

Von der Stadtbau AG wurde uns gegenüber nun der Wunsch geäußert: wir mögen doch ausziehen („erst mal ohne Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung“), den Umzug würde ja das Amt bezahlen. Welches Amt sie meinten, sagten sie nicht. Sie gingen aber wohl davon aus, dass wir alle Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (sog. Hartz IV) sind. Wir sagten, dass wir nicht ausziehen wollen. Nach einer Weile ließ der Besucherstrom der Selbstnutzer nach, wir wussten nicht warum.

Wir erhielten eine zweite Modernisierungsankündigung, die im Wesentlichen eine Kopie der alten mit nach oben angepassten Mietpreisen war. Es wurde nichts modernisiert. Ein Schlüsseldienst überraschte eines Morgens damit, die Wohnungsschlösser austauschen zu wollen, also auch der noch vermieteten Wohnungen, zum Glück waren wir zu Hause. Der Dachboden musste beräumt werden, das Betreten des Hofes wurde verboten. Im Treppenhaus wurde nach alten Malereien gesucht, um in den Genuss von Denkmalpflegeabschreibungen zu kommen, da das Haus bisher keinen Denkmalstatus hatte. Es wurde sehr intensiv teilweise auch Unterputz gesucht und der anfallende Schutt einfach liegengelassen und auch auf Aufforderung nicht weggeräumt. Die Beseitigung mussten wir dann übernehmen. An einem Samstag wurden dann die Öfen der leeren Wohnungen abgerissen und einfach aus dem Fenster auf den Hof geschmissen, was Leute aus den Nachbarhäusern durch die Polizei beenden ließen.

Am 2.12.2011 erfolgte eine Kündigung, da die Wohnungen zu klein wären und einer wirtschaftlichen Verwertung entgegenstünden (die kleinste ist 53m²). Es folgten die Klagen auf Räumung Mitte 2012 und ihre Abweisung. Das Betreten des Hofes wurde dann erneut verboten, da ein Risiko bestünde, obwohl der Anwalt der Stadtbau AG/ Rubin24 gesagt hatte, dass keine Bauarbeiten stattfinden. Nun soll ein kleiner alter baufälliger Schuppen dafür herhalten, dass wir den gesamten Hof nicht mehr nutzen dürfen. Am Ende wurde die Hoftür zugemauert. Das dient nur dazu uns zu zermürben, aber damit werden sie keinen Erfolg haben.

FA!: Wie wehrt ihr euch dagegen?

Juristisch natürlich, wir haben einen sehr engagierten Anwalt, alle denselben, so dass es schwieriger wird uns gegeneinander auszuspielen. Keine und keiner sollte unterschätzen, wie anstrengend es werden kann. Wir wehren uns nun schon seit fünf Jahren gegen unsere Vertreibung aus dem Haus und versuchen, die Vorgänge öffentlich zu machen. Kann ja nicht sein, dass dieselbe Stadtbau AG so prestigeträchtige Projekte wie die Leipziger Markthalle realisiert und das Geld dafür aus ihren Mieter­Innen herauspresst oder Geschäfte auf deren Rücken macht!

FA!: Beratet ihr euer Vorgehen gemeinsam? Wie seid ihr organisiert?

Wir wohnen im selben Haus:-) Ja, wir versuchen alle anliegenden Probleme gemeinsam zu besprechen und auch zu lösen. Das ist manchmal nicht einfach, aber wir lernen dabei eine ganze Menge, was uns auch anderweitig nutzen kann.

FA!: Habt ihr Unterstützung? Von wem, in welcher Form?

Unser Anwalt ist eine große Hilfe, auch die Linkspartei in der Gegend kennt das Problem und hilft uns, Öffentlichkeit zu haben. Teilweise bekommen wir auch Unterstützung vom Mieterverein, der ist zwar nicht optimal, aber besser als gar nichts. Und jetzt hoffentlich auch von anderen MieterInnen, die von Verdrängung betroffen sind.

FA!: Gibt es eine Betroffenen-Vernetzung (über euer Haus hinaus)? Was versprecht ihr euch davon?

Wir fangen gerade damit an, Treffen einiger betroffener Häuser aus Leipzig zu organisieren, die regelmäßig stattfinden sollen. Da es bisher nur ein Treffen gab, kann man dazu wenig sagen, außer dass es ein Interesse gibt und der Austausch allein schon für das Gefühl wichtig ist, nicht allein zu sein. Im Moment sind ca. zehn Wohnhäuser und eine ganze Reihe von EinzelmieterInnen dabei.

FA!: Was wünscht ihr euch?

Dass wir in „unserem“ Haus zu vernünftigen Mieten weiter wohnen können. Wäre schön, wenn es eine Heizung gäbe, auch wenn wir dann etwas mehr bezahlen müssten. Und weiter, dass sich die Menschen in der Stadt nicht mehr so einfach vertreiben lassen, wie das z.B. mit unseren ehemaligen Nachbarn der Fall war. Und alle sollten darüber nachdenken, ob sie die Häuser, in denen sie wohnen, nicht selber erwerben und so dem Wohnungsmarkt entziehen. Dazu gäbe es eine Menge zu sagen. Und das ist gar nicht so schwer wie es scheint.

FA!: Wie kann man euch unterstützen?

Wir werden demnächst Veranstaltungen organisieren, da könnt ihr hinkommen und euch beteiligen. Sicher gibt es in absehbarer Zeit auch Aktionen in der Öffentlichkeit. Viele der Handlungen der VermieterInnen geschehen ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wir wollen das etwas ändern.

FA!: Was ratet ihr Leuten in ähnlichen Situationen?

Wichtig ist, sich sehr zeitig zu kümmern und nicht zu warten bis die Kündigung auf dem Tisch liegt. Dazu gibt es zum Beispiel in Leipzig die Initiative „Stadt für Alle“. Die können dann weitere Hilfe vermitteln oder selbst helfen. Oder an den Mieterverein Leipzig wenden. Oder an uns und wir helfen Euch weiter.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

Kontakt zu „Stadt für Alle“:
leipzig@fueralle.org

Lokales

Erster Schritt zur Privatisierungsbremse

Na, schon das Bürgerbegehren für eine Privatisierungsbremse unterschrieben? – Ach, noch nicht mal davon gehört …

Die Initiative hat sich die Aufgabe gestellt, ein Bürgerbegehren in den Stadtrat einzubringen. Das Thema: die Privatisierung kommunalen Eigentums der Stadt Leipzig. Unternehmen, Einrichtungen und Immobilien der Stadt Leipzig, die dem Gemeinwohl dienen (z.B. Verkehrsbetriebe, Wasser- und Energieversorgung), sollen nicht an private Investoren verkauft werden dürfen. Als Reaktion auf Privatisierungsdesaster in aller Welt entsteht eine Bewegung, die sich die Sicherung kommunalen „Tafelsilbers“ auf die Fahnen geschrieben hat. In Leipzig ist der erste Schritt mit über 25.000 gesammelten Unterschriften getan. Nun wird das Begehren formal geprüft und schließlich muss der Stadtrat über die Annahme oder Ablehnung entscheiden.

Bremen hat Ende August 2013 die sog. „Privatisierungsbremse“ als erstes Bundesland in die Verfassung aufgenommen. Öffentliche Unternehmen dürfen dort künftig nur nach einem Volksentscheid verkauft werden. So werden die Unternehmen und Einrichtungen noch am ehesten den Zweck erfüllen, zu denen v.a. die Versorgungsdienstleistungen ursprünglich angedacht waren – der Sicherung der Grundversorgung der ansässigen Menschen.

Nötig wird die Privatisierungsbremse in Leipzig auch, weil der Bürgerentscheid vom Januar 2008, bei dem ein Großteil der Wähler_innen auf die Frage:

„Sind Sie dafür, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum verbleiben?“

mit Ja antworteten, nicht bindend für den Stadtrat ist. Die meisten Stadtratsmitglieder haben zwar aus den schlechten Erfahrungen der Privatisierungen der letzten Jahre gelernt. Doch sind solche Einsichten nicht viel wert in einer Gesellschaft von Schmiergeldern und Lobbyismus. Und so kann der „Ausverkauf der Stadt“ derzeit lediglich über eine gesetzlich festgeschriebene Privatisierungsbremse im Zaum gehalten werden. Revolution ist ja grad irgendwie nicht in Sicht.

shy

Die Unterschriftensammlung geht weiter, denn noch ist das Bürgerbegehren nicht in Sack und Tüten. Informationen: privatisierungsbremse.wordpress.com/

Lokales

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

10 Jahre Libelle: Zwischen Klassik, Romantik und Politik

Vor zehn Jahren, das war 2003, bestand der Innenhof der Universität Leipzig noch aus zerbrochenen Steinplatten, war dekoriert mit DDR-Blumenkübeln aus Beton und bot, so munkelten Mensa-ArbeiterInnen, ganzen Rattenkolonien eine Heimstatt.

Damals gab es noch Disketten, 56k-Modems, indymedia war der Knotenpunkt im Netz und Seattle und Genua waren noch frische Erinnerungen. Die großen Proteste gegen Studiengebühren waren vorbei, die gegen Stellenkürzungen der SHEK (Sächsische Hochschul-Entwicklungs-Kommission) sollten noch kommen (oder war es umgekehrt?), und die gegen die Bologna-Reform (Bachelor-Master) kamen nie richtig in Gang. Das Leben damals war angefüllt mit Dingen, die viele von uns vorher noch nie gemacht hatten: Demos, politisch aktiv sein, heftige, endlose Diskussionen – Idealismus pur und jung. Natürlich würden wir was bewegen!

Als verschworener Kreis namens „unbequem nachfragend initiativ“ engagierten wir uns bei allen Protesten, besetzten das Hörsaalgebäude, kurzzeitig auch das Rektorat, demonstrierten gegen und für… Zu dieser Zeit – 2001, 2002 –  hatten wir uns manchmal in der Uni getroffen und oft auch bei jemandem zu Hause. Manko: Die Uni wurde um 21 Uhr geschlossen. Dennoch, irgendwer meinte, es gäbe da auf dem Augustusplatzcampus, gleich gegenüber des kleinen Mensa-Ablegers, einen ungenutzten Raum, den man als selbstorganisiertes Café nutzen könnte! Im Nachgang der Hörsaalbesetzung brachten wir eine Kaffeemaschine, ausrangierte Stühle und sonstigen Kram dorthin. Aber wir hatten keinen Schlachtplan, kein Dekor, keine Öffentlichkeit. Kurze Zeit später waren die Sachen weg. Ein altgedienter Hausmeister meinte, wir wären schön blöd gewesen, hätten wir das nicht so ohne jegliche Absprache oder Anfrage gemacht, hätten wir den Raum wohl sogar bekommen. Ach ja, die Jugend.

Aber die Idee eines Cafés als offener Treffpunkt, als Infrastruktur für allerlei freiheitlich-politische Gruppen, als Anlaufstelle für Interessierte und noch Desinteressierte, blieb in einigen Köpfen hängen. Eines war immer noch sicher: Wir würden was bewegen! Der Masterplan war einfach, aber einleuchtend. „Zur Erneuerung der Gesellschaft brauchen wir: Gewerkschaft, Zeitung, Lokal.“ Gewerkschaft und Zeitung, FAU Leipzig und Feierabend!, hatten wir seit 2002 (oder glaubten das). Nun fehlte noch ein Ort, der Schaufenster und Hauptquartier zugleich sein sollte. Ganz bewusst versuchten wir, uns vom linken Szenebetrieb und seinem Distinktionsbedürfnis, das seinerzeit die extravagantesten diskursiven Volten schlug, abzugrenzen. Denn klar war und ist, ohne die „normalen Leute“ ist kein Staat zu stürzen. Das Lokal, oder salopp gesagt: „der Laden“, sollte ohne große Worte, sondern allein durch seine Existenz, Struktur und Außenwirkung den alten Spucki-Spruch belegen: „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

Nicht zuletzt wäre er die erste explizit anarchistische, oder verschämt gesagt: libertäre, Anlaufstelle in Leipzig. Im Laden war Platz für die Redaktion des Feierabend! sowie für die Treffen der FAU, der linken studentInnen gruppe (lsg) und vielerlei sonstige Initiativen. Legendär sollten die „Kulturabende“ der BÜHNE und später die Theatervorführungen der Gruppe tag werden. Er sollte auch einen repräsentativen Charakter haben: Die Bibliothek sollte beweisen, dass da mehr ist als nur das A im Kreis. Und der vordere Bereich sollte – damals noch ohne Sofas, sondern mit nagelneuer Gastro-Garnitur! – tatsächlich auch als Café (mit Bedienung!) auf Spendenbasis dienen und auf PassantInnen einladend wirken.

Connewitz und Plagwitz schieden also aus. So führte ein Weg zu einer alten Metzgerei auf der Georg-Schumann-Str. Der dafür angedachte Name war Kachelstan. Geklappt hat’s dann letztlich, wo die „Libelle“ – Libertärer Laden Leipzig – noch heute sitzt: im schönen, innenstadtnahen Kolonnadenviertel. Beim ersten „Plenum“ nach Unterzeichnung der Mietverträge waren bestimmt 30, 40 Leute da. Die Hoffnung war groß, die Ambitionen mannigfaltig. Sehr elanvoll gestaltete sich die mühselige Renovierung, und zur Eröffnung im Frühsommer kamen tatsächlich auch viele Leute aus der Nachbarschaft. Ein guter Auftakt. Wie steht’s doch im Faust und in anarchistischen Broschüren: „Im Anfang war die Tat!“

Gelöst hat sich die „Libelle“ nicht aus der linken Szene, vielmehr hat sie dem Anarchismus ein Standing verschafft und darf wohl auch als Impulsgeber einiger libertärer Initiativen etwa in Plagwitz oder in der PDS/LINKE gelten. Trotz einiger zarter Anwandlungen über die politische Jugendsubkultur hinaus ist der anarchistische Funke nicht übergesprungen. Und manchmal hat man den Eindruck, nicht zuletzt dank der Sofas, es handele sich, sympathisch genug, um einen gewöhnlichen Jugendclub. Das Besondere ist und bleibt jedoch, dass der ohne jegliche Subventionen auskommt und vollkommen selbstorganisiert ist – und das ist naturgemäß, trotz allen Wollens, ergebnisoffen. Von daher blieb und bleibt sich die „Libelle“ auch in der zweiten oder dritten Generation treu.

wanst & AE

Lokales

Ein Stolperstein für Paul Arthur Holke

Seit April 2006 erinnern in Leipzig so genannte „Stolpersteine“ an verschiedenen Orten an ehemalige Bewohner­_innen der Stadt, die vom Nazi-Regime verfolgt, deportiert und schließlich ermordet wurden. Mit neun Steinen wurde begonnen, seither sind knapp 80 hinzugekommen. Ähnliche Projekte werden bereits in mehr als 50 anderen europäischen Städten betreut. Jeder dieser Stolpersteine ist mit einer Messingplatte verankert, auf der der Name, der Jahrgang und das Schicksal der betreffenden Person eingestanzt sind. Diese werden meist in die Gehwege vor den ehemaligen Wohnhäusern der Deportierten eingelassen, um eine dauerhafte Erinnerung an die Personen zu schaffen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder politischen Gesinnung ihr Leben verloren haben. Zudem findet jedes Jahr am 9. November eine Mahnwache an den verschiedenen Stolpersteinen statt. An diesem Tag werden die Steine von verschiedenen Organisationen gereinigt und Kerzen im Gedenken an die Opfer des NS-Regimes entzündet.

Die FAU (1) Leipzig beteiligt sich seit langer Zeit an diesem Projekt und putzte unterschiedlichste Steine verschiedenster Personen. Wodurch den Mitgliedern der Gewerkschaft auffiel, dass die anarchistische Geschichte in diesem Zusammenhang lei­der keine Beachtung findet. Einige Leute machten es sich nun zur Aufgabe eine Person aus der anarchistischen Bewegung zu finden, die die Voraussetzungen für einen Stolperstein erfüllt. Dazu gehört neben oben erwähnten Daten auch der Fakt, dass die betreffende Person durch dass NS-Regime zu Tode gekommen ist (was man durchaus auch kritisch sehen kann, da auch Menschen ein würdiges Gedenken zusteht, die misshandelt wurden oder im Widerstand waren). Wer sich schon einmal mit anarchistischer Ge­schichts­recherche beschäftigt hat, weiß, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Quellen sind meistens rar gesät und sobald man hofft, auf ein Ergebnis gestoßen zu sein, ist der Inhalt häufig unbefriedigend knapp. So stellte sich das Unterfangen schwieriger dar als zunächst erwartet, aber wurde dann doch erfolgreich abgeschlossen. Arthur Holke, Mitglied der FAUD (2) Leipzig, entsprach dem Perso­nen­muster, welches zur Beantragung eines Stolpersteines nötig ist. Nach der Ausarbeitung einer Kurzbio­graphie wurden nun noch 130 € benötigt, um die Verlegung zu ermöglichen. Durch Spendenaufrufe der FAU und der Anarcho­syndika­lis­tischen Jugend Leipzig (ASJ) gelang es, das Geld innerhalb kurzer Zeit zusam­men­zubekommen. Dafür noch einmal herzlichen Dank an alle Spen­der_innen! Durch die Spendeneingänge konnte der Antrag vor Kurzem gestellt werden. Leider ist bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Antwort erfolgt, doch wird damit gerechnet, dass die Verlegung noch 2013 stattfindet.

Die Kampagne soll dieses Jahr sogar noch erweitert werden. Radio Blau und die Initiativgruppe „Mahnwache und Stolpersteine putzen“ des Friedenszentrum e.V. in Leipzig starteten vor Kurzem das Projekt „Hörstolpersteine“. Im Rahmen des Projekts haben sich mehrere Freie Radios aus Deutschland und Österreich das Ziel gesetzt, den Stolpersteinen eine weitere Dimension hinzuzufügen: Stolpersteinbiografien werden vertont. In Form von kurzen Radiobeiträgen erinnern die Hörstolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus. Ähnlich den Stolpersteinen auf der Straße tauchen sie unerwartet im Programm von Radio Blau auf, um aufmerksam zu machen und die Namen und Geschichten der Opfer zu bewahren. Es werden bis zum 9. November 2013, dem 75. Gedenktag der Reichspogromnacht, zu möglichst allen Stolpersteinen in Leipzig Hörstolpersteine erstellt und gesendet. Obwohl die FAU Leipzig, „ihren“ Stein noch nicht verlegen konnte, wurde einer Vertonung seitens des Stolperstein-Projektes schon zugestimmt.

Nach langer Arbeit und Recherche scheint es so, dass das Projekt nun konkrete Formen annimmt und die FAU Leipzig ihrem Ziel, über ein Stück anarchistische Geschichte in Leipzig zu „stolpern“, sehr nahe ist. Hoffen wir, dass die Mühlen der Bürokratie es nicht zunichtemachen!

Klaus Canzely

Paul Arthur Holke wurde am 12.01.1883 in Leipzig-Eutritzsch geboren. Er arbeitete als Installateur und war Mitglied der FAUD, wo er als Obmann und Reichsdelegierter in der „Gilde der freiheitlichen Bücherfreunde Leipzig“ tätig war. Bis 1913 war Holke Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Anarchist“. Er war ein wichtiger Akteur des ASY-Verlages (3) und übernahm ab 1930 das FAUD-Reichsarchiv. Ab 1933 war er Beisitzer der illegalen FAUD-Geschäftskommission. Im selben Jahr jedoch wurde Holke von März bis Mai zu einer „Schutzhaftzeit“ verurteilt. Als er am 13. April 1937 wegen illegaler Tätigkeit erneut verhaftet wurde, wohnte Holke in der Zentralstraße 11. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde der Leipziger zwar zu einer ver­gleichsweise geringen Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, danach jedoch ins KZ Buchenwald eingeliefert, wo er 1940 den Tod fand.

(1) Freie Arbeiter_innen Union
(2) Freie Arbeiter-Union Deutschlands
(3) Anarchosyndikalistischer Verlag

Lokales

Versand versus Logistik – Schon mal eine Waschmaschine bei Hermes bestellt?

Zum ersten Mal in der Geschichte des US-Internethändlers Amazon, der seit 1998 auch in Deutschland operiert, wurde gestreikt. Doch statt für Tarifvertrag steht der Versand-Gigant weiterhin für Überwachung, Einschüchterung sowie Saison- und Leiharbeit.

An den bei­den Standorten Leipzig und Bad Hersfeld streikten am 14. Mai 2013 circa 1.700 Beschäftigte, hier vor Ort davon 300. Auslöser dafür war die Weigerung Amazons, die Löhne tariflich zu regeln, sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Zuschläge für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen und während der Nacht  zu zahlen. Daher hatten sich 97 Prozent der Gewerkschafts­­mitglieder für Streik ausgesprochen. Sie stellen rund ein Viertel der 1.200 Festangestellten sowie rund 800 befristet Beschäftigten am sächsischen Standort. Um sein auf Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gestütztes Betriebssystem aufrecht zu erhalten, vertritt das Unternehmen die Auffassung, kein Einzel- und Versandhändler zu sein, sondern ein Logistiker. Dementsprechend lässt sich nämlich argumentieren, dass in anderen Branchen, wie der Logistik, niedrigere Löhne gezahlt werden.

Nun bleibt abzuwarten, ob die Streiks andauern und es zukünftig tatsächlich schaffen, die Auslieferung und andere Betriebsabläufe erheblich zu behindern. Wahrscheinlich jedoch ist, dass Amazon sein getreues Motto Heute bestellt morgen geliefert mit der kurzfristigen Einstellung von neuen Leiharbeiter_innen aufrecht erhält – gerne auch mit Unterstützung der kommunalen Jobcenter.

Weiterhin wünschenswert ist, dass neben der Bezahlung die Arbeitsbedingungen stärker in den Fokus gerückt werden. Denn der Konsumgigant steht neben Lohn­drückerei auch bekanntermaßen für Arbeitsstress, totale Videoüberwachung, Leistungsdruck und Einschüchterung. (1)

Aber insgesamt ist uns allen ja klar, dass die Gewinne des Unternehmens trotz Streikerei wohl nicht für adäquate Beschäftigungskonditionen eingesetzt werden, sondern weiterhin um die Konkurrenz zu verdrängen und im Sinne von Wachstum auf aggressive Marktstrategien zu setzen.

Also, entweder nun endlich das Kund_innenkonto löschen oder weiter mit schlechtem Gewissen digitale Konsum-Orgien abhalten.

Mona D.

(1) Siehe z.B. den Fernsehbeitrag des ARD: „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“, in dem die Situation ausländischer Leiharbeiter_innen thematisiert wird.

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