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Nix Neues im Leipziger Osten

Naziaktivitäten und Antifa in Reudnitz

Dass es naiv war zu glauben, mit dem Ende der Worch-Aufmärsche gäbe es in Leipzig kein Problem mehr mit Neonazis, konnte man schon am 22. Juni 2007 sehen. Einen Tag nachdem Christian Worch mit einem kleinen Fußvolk von ge­rade mal 34 Personen durch Leipzig mar­schiert war, führten die „Freien Kräfte Leipzig“ eine Spontandemo in Reudnitz durch, an der sich etwa 100 Kamer­adIn­nen beteiligten. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass mit der hiesigen Neonazi-Szene noch zu rechnen sei.

Vor allem in Reudnitz konnten sich die „Frei­en Kräfte“ im letzten Jahr etablieren. Nach dem Modell der „Autonomen Nationalisten“ legen sie auf Abgrenzung gegenüber der als zu wenig radikal empfun­de­nen NPD Wert, äußerlich orientiert man sich bei Kleidung und Gestaltung von Transparenten und Aufklebern an links­radikalen Gruppen. Hinzu kommt, dass man sich nicht auf Propaganda-Ak­tio­nen beschränkt, sondern auch vor ge­walt­tätigen Übergriffen auf reale oder vermeintliche politische Gegner nicht zu­rück­geschreckt wird. Dies demonstrierten die „Freien Kräfte“ u.a. am 27. September 2007, als sie im Verbund mit rechten Lok-Hools [gewaltverliebte Fußballfans] ver­suchten, eine im Rahmen der Proteste gegen den „Tønsberg“-Laden in der Leip­zi­ger Innenstadt stattfindende Kundgebung der Jusos zu attackieren – ein Vorhaben, dass an den zahlreich anwesenden An­tifas und dem Eingreifen der Polizei schei­terte. Vor al­lem wurde aber ein in der Reud­nitzer Hol­steinstraße gelegenes, zum Teil von Stu­den­tInnen bewohntes Haus in den letzten Mo­naten zum Ziel von An­grif­fen. So attac­kier­ten am 22.11.2007 rund 40 Personen das Haus, u.a. mit Leuchtraketen. Schon vor­her waren an der Hauswand neonazi­stische Schmierereien angebracht worden.

Dass es mittlerweile auch gute Kon­takte zu auswärtigen Neonazi-Gruppen gibt, zeig­ten die „Freien Kräfte“ mit einem Auf­marsch am 12. Januar 2008, an dem sich etwa 350 Nasen beteiligten (siehe auch FA! #28). Die Zwischenkundgebung fand da­bei – mit Genehmigung des Ordnungsamtes – direkt vor dem erwähnten Haus statt. Als die Bewohner ver­suchten, die Kund­­­gebung mit lauter Musik zu stören, stürmte die Polizei das Haus, schal­te­te den Strom ab (wobei der Sicherungs­kasten stark beschädigt wurde) und be­droh­te die Bewohner. Wegen der Genehmigung der Demonstration und insbesondere des Ortes für die Zwi­schenkundgebung geriet auch Ord­nungs­bür­ger­meister Heiko Rosenthal (Die Linke) in die Kritik – zuvor hatte sich dieser den Umstand, dass die Nazidemo rei­bungs­los über die Bühne gehen konnte, noch als Erfolg angerechnet. Wie berechtigt diese Kritik war, konnte man schon eine Woche später sehen: Am 19. Januar wur­de das Haus erneut attackiert, die An­grei­fer dran­gen dabei in das Innere des Hau­ses ein. Sie versuchten, sich Zugang zu einer Wohnung zu verschaffen, woran sie von den Be­woh­nerInnen nur mit großer Anstrengung ge­hindert werden konnten. Die Angreifer war­fen Feuerwerkskörper, eine Fenster­schei­be wurde eingeschlagen.

Diese Vorgänge rufen mittlerweile vermehrten Widerstand hervor. So fand Ende Februar eine Aktionswoche statt, bei der mit In­for­mationsveranstaltungen und Vorträgen versucht wurde, für das Problem zu sen­si­bilisieren. Den Schlusspunkt bildete am 1. März eine antifaschistische Demonstration durch Reudnitz. Der Tag begann mit Sturmböen, Hagel und Gewitter. Obwohl das Wetter weiterhin ungemütlich windig und nasskalt blieb, fanden sich am frühen Nachmittag an die 800 AntifaschistInnen, Vertreter der Linken und der Grünen ebenso wie Reudnitzer BürgerInnen am S-Bahnhof Stötteritz ein. Schon am Vortag hatte es eine Antifa-Spontandemo in Groß­zscho­cher gegeben, einem Stadtteil, wo ebenfalls ver­mehrt Nazi-Aktivitäten zu verzeichnen sind. Diese Demonstration wurde jedoch von der Polizei gewaltsam beendet, dabei gab es mehrere (zum Teil schwer) Verletzte.

Bei der Demo in Reudnitz hielten sich die Beamten dankenswerterweise zurück. Zwar waren auch hier mehrere Hundertschaften im Einsatz, im Vorfeld wurden – wie es bei Antifa-Demos mittlerweile zur Gewohnheit wird – die Personalien der Teil­neh­me­rInnen aufgenommen, um mut­maßliche „Gefährder“ ausfindig zu machen. Die De­monstration selbst verlief weitgehend ohne Zwischenfälle, wenn man davon ab­sieht, dass 6 De­mon­strantInnen verhaftet wurden.

In der Holsteinstraße wurde eine Zwi­schen­­kundgebung abgehalten, einer der Bewohner des angegriffenen Hauses schilderte in seiner Rede die Vorgänge der letzten Monate. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Platzes war der Fakt, dass Istvan Repaczki – der bei den „Freien Kräf­ten“ eine zentrale Rolle spielt und u.a. als Anmelder des Neonazi-Aufmarsches vom 12. Januar fungierte – gleich um die Ecke (in der Oststraße) wohnt. Auch diesem wurde ein Redebeitrag gewidmet und nahegelegt, sich doch einen anderen Ort zum Wohnen zu suchen. Von dieser Art Kraft­meierei, wie man sie von vielen An­tifa-Demos kennt, mag man halten, was man will. Es ist auch zweifelhaft, ob es sinn­voll ist, sich als AntifaschistIn darüber lustig zu machen, dass Herr Repaczki ja selbst kein „richtiger Deutscher“ sei.

Überhaupt entsprachen viele Ansagen und Redebeiträge nur zu sehr den Erwartungen. Man ist eben gegen Nazis, tieferge­hen­de Kritik kommt da oft zu kurz. „Das Problem heißt Deutsch­land“ war fast schon die tiefgründigste Aussage, zu der der Sprecher der Leipziger Antifa (LeA), der die meiste Zeit das Mikrofon in der Hand hatte, sich hinreißen ließ. Nervig war auch der arrogante Tonfall, der immer wieder aufkommt, wenn die lokale Antifa sich mal aus dem heimischen Kiez herauswagt – als würden in anderen Teilen Leipzigs sonstwas für hinterwäldlerische Zustände herrschen. Es fragt sich, ob Leute, die zufällig nicht in Connewitz wohnen und gerade darum in ihrem Alltag weit stärker mit Neonazis konfrontiert sind, von solchem elitären Gehabe nicht eher abgestoßen werden. Lobenswert immerhin, dass während der Demo zweimal ein vorproduziertes Statement gegen homophobe und sexistische Sprüchen und Verhaltensweisen bei Antifa-Demos abgespielt wurde. Ein wenig Selbstkritik hat noch keinem geschadet…

(justus)

Wächterhäuser – Ist Lindenau denn noch zu retten?

Stadtentwicklung im Leipziger Westen zwischen Abriss und Hauserhalt, zwischen Erbwerbslosigkeit und Armut

Ausflug gen Westen

Fernab des städteplanerischen Größenwahns der Stadtoberen; weit weg vom Knirschen und Schieben jenes Ungetüms namens „Leonie“ (1), dass sich da mitten durch das Leipziger Herz frisst und nicht mehr als vergoldete Immobilien und feiste Investoren hinterlässt; gleich hinter der Elster, wo vom Auenwald her zum Leutzscher Holz hin ein frischer Atem die Stadt auf­stöh­­nen lässt, dicht gekauert in den Leip­ziger We­sten, liegt Lindenau; abgekoppelt von der Stadt­entwicklung und amtlicher Hafen & Hei­mat für viele aus dem Er­werbs­lo­sen­heer der ARGE zu Leipzig.

Die Rittersippe von und zu Lindenau würde sicher stau­nen, hätte sie vor Augen, welche Spuren die Industrialisierung an ihrem einst so be­schaulichen Bauern­dorf hinterlassen hat. Ja … ja hätte nicht ein gewisser Karl Hei­ne Mit­­te des 19. Jahrhunderts all sein Bemühen daran gesetzt, aus dem kleinen Dörfchen eine Fabrikhölle des aufstrebenden deut­­schen Junkerregimes zu machen, viel­leicht gäbe es dann ja gar kein architektonisches Substanzproblem in den gäh­nend kah­len Schluchten der Arbeiterviertel, kein darbendes Gewerbe, keine soziale Notlage, keinen so hohen Drogen-&-Al­ko­hol-Konsum … sondern eine Perspektive, beschaulich zwar, aber immerhin.

Denn mit der gescheiterten Leip­ziger Olympia-Bewerbung sind auch unter den Optimisten die letzten Hoff­nungs­laternen ausgegangen, dass der fette Speck von selbst zum armen Mäuschen kriecht und der Stadtteil sich wie von „un­sicht­barer Hand“ aus seinen Struktur­prob­le­men pellt. Die Industrie ist lange weg und wo keine Brachen und Ruinen gammeln, da strahlen frisch geweißte Häuser­wän­de vom schie­fen Schein notdürftiger Sanierung und ver­höhnen die „Moder­ni­sie­rung“. Die meisten Quartiere sind auf die Normen der Be­darfs­gemeinschaften zugeschnitten, „an­ge­­harzt“ sozusagen. Es fehlt überall an rege­ne­ra­tiven Flächen, Nutzräu­men und tagtäglich rollt die Blechlawine über den Westen Richtung Schkeuditz/Autobahn oder Halle. Die meisten Leute haben kein Geld in der Tasche und dement­spre­chend schlecht geht‘s dem Gewerbe. „Blau nach Linde­nau“, wie die Leipziger Ver­kehrs­be­triebe wer­ben, d.h. fern der sozialen Stigma­ti­sie­rung vor allen Dingen eines: Perspektiv­lo­sigkeit. Über­­all in Lindenau ist sie spürbar, diese re­­signierte Unruhe eines desillusio­nier­ten Klein­bürgertums, das den Dienst­­lei­stungs­zug des dritten Marktes verpasst hat und nun in der deindustria­li­sier­ten Sack­gasse fest­sitzt. Weder Arbeit noch ein schönes Le­ben und schon gar nicht bei­des zusammen, wie es sich der korpo­rier­te Freimaurer und Groß­grundbesitzer Heine mit seiner Westend-Baugesellschaft wohl erträumt hatte; nichts von dem, was vor 150 Jahren einem phantasiereichen bürgerlichem Bewusstsein noch möglich schien: rauchende Schlote, mit Maschinendampf und Heizöl vermischten Schweiß und den Dreck der Gossen als „blü­hende Landschaft“ vorzuschwärmen; nichts davon ist heute wirklich. Wie es der obe­ren Einkommensklasse an Visionen fehlt, so der unteren an Hoffnung und Mut. Und wo beides abhanden kömmt, da mangelt es der bürgerlichen Re­vo­lution eben an dem Zunder, der sie der­einst noch vorwärts trieb.

Häuser halten!?

Nun könnte man fragen, warum bauen wir Lindenau nicht zum Dorf zurück? Offensichtlich war dies ja auch ein Hintergedanke der Olympia-Planer, als sie im Rah­men der Leipziger Bewerbung weite Tei­le Lindenaus für das olympische Dorf vorsahen und tausende von modernen Apartment-Wohnungen entstehen lassen wollten. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Es fehlt sowohl am Geld als auch am Bedarf und der Stadtteil schmachtet nun schon länger in der sogenannten „Ertragslücke“. Der nach ­wie vor hohe Leerstand in Leipzig drückt auf die Mietpreise und hält Immobilien-Spekulanten davon ab, hier in Wohn­­raum zu investieren. Andersherum sind die meisten Miet­parteien vordergründig nicht an einer qua­li­tativen Aufwertung ihrer Wohn­ver­hält­nis­se, sondern an möglichst nie­drigen Preisen interessiert, da die astronomisch gestie­ge­­nen Öl- und Gaspreise mittlerweile fast die Hälfte der fixen monatlichen Kosten bean­spru­chen. Von den schmalen Lohntüten, so­fern überhaupt vorhanden, der starken In­fla­tion und den gestiegenen Mobilitätskosten mal ganz abgesehen. Um quasi so­ vie­le Lücken in die Lin­de­nauer Ar­bei­tervier­tel zu reißen und diese zu renaturieren, dass man wieder von einem „Dorf“ reden könnte, steht weder genügend Geld noch Interesse interner wie externer Investoren zur Verfü­gung. Einzig blieben die hoch­verschuldeten staat­lichen Instanzen von Stadt, Land und Bund. Und die leisten sich wegen der akuten Schuldenlage eben nur prestigeträchtige Groß­projekte wie Autobahnen oder Flughäfen und den City-Tunnel bspw., bzw. finan­zieren ansonsten nur den lokalen und be­schränk­ten Abriss. Baugrundstücke sind ja auch was wert, wenn da nur die entspre­chen­de Nachfrage da wä­re. Es bleibt dabei: Auch unter staatlicher Ob­hut würde unser vor­ge­stell­tes Re-Design Lindenaus minde­stens auf hal­ber Strecke stagnieren und von dörflicher Be­schaulich­keit könnte man im Bild riesiger Betonflä­chen, dröger Werbeta­feln und ver­waister Ge­­wer­­be­viertel, kaum re­den.

Wenn also der sozialverträgliche Rückbau Lin­denaus ausfällt und eine Re-Industrialisierung sowieso unrealistisch ist, dann steht schließlich am Ende nur eine Pa­ro­le: Die Häuser halten! Für eine emanzipatorische Perspektive in Lindenau hieße das frei­lich vor allen Dingen: Häuser besetzen! Und sie der Spekulation entziehen, um Frei­räu­me aufzubauen, innerhalb derer sich der ‚ge­meine‘ Lindenauer in Solidarität und Zu­­sam­menarbeit, in antikapi­ta­listischen Prak­ti­­ken übt, die ihn letztlich be­fähigen, sich der na­tio­nalistischen Regression des Be­wusst­­seins und dem Stumpfsinn von Staat und Partei ent­gegen zu stellen. Und Freiräu­me sollen eben das ja sein: Orte, an denen das freie Denken von Alternativen und pro­gres­­sive soziale Experimente ihren Platz finden. Auf den Erfolg gibt es da­bei nie eine Ga­rantie, aber solche Entfaltungsräume sind schließ­lich die Bedingung der Möglich­keit emanzipatorischer Entwicklungen. Und das ganz im Sinne Rosa Luxemburgs etwa, die im Streik und der Gewerkschaft eben auch nur ein Mittel zur Sozialisation der Mas­sen sah, also die Freisetzung von der Arbeit und von der Isolation am Arbeitsplatz als Bedingung der Möglichkeit dafür annahm, eine emanzipatorische Entwicklung kollektiv voranzutreiben. Hier wie da geht es erstmal darum, gegenüber der kapi­ta­­li­stischen Konkurrenz und deren Lei­stungs­zwang einen Freiraum behaupten zu können, um über­haupt handlungsfähig zu werden.

Nun, zumindest der erste Teil dieser Bedingung ist ja in Lindenau erfüllt, die meisten EinwohnerInnen sind von der Arbeit „freigesetzt“. Doch leider fehlt es sowohl am nötigen Bewusstsein, bspw. über die gemeinsa­me soziale Lage, als auch an wirksamen Organisationen, um die freie Zeit durch die Eroberung von Freiräumen besser, und das heißt hier schon progressiv, zu nutzen. Die gesamte Leipziger Linke, über den palavernden Staats­sozialisten oder nationaltümelnden Gewerkschafter bis hin zum linksradika­len Krypto-Kom­munisten, alle sind da­bei, dieselben Fehler zu wiederholen, wie in Reud­­nitz und Schönefeld/Neu-Schönefeld, wo mittlerweile die Freien Kräfte und andere faschistische Kol­lek­tive die politische Rhyth­­mik der Viertel dominieren. Auch der Feierabend! selbst kann sich von dieser Kritik nicht ausnehmen, ist es doch in den letzten Jahren weder in Reud­nitz, noch in Neu-/Schönefeld, noch in Lindenau gelungen, wei­tere Verkaufsstel­len aufzubauen.

Nochmals muss also der Zoom der Lupe erhöht werden, um auf noch konkreterer Ebe­ne zu sehen, wo sich in Lindenau über­haupt ema­n­zipatorische Impulse und Freiräume bil­den. Und hier erst, wo nun schon wirklich kleine Brezeln gebacken und von ei­ner er­bau­lichen Perspektive wahrlich kaum noch ge­sprochen werden kann, rückt die Arbeit des HausHalten e.V. ins Zentrum der Be­trach­tung. Denn wer aufmerksam durch Lin­­de­nau und Plagwitz wandert, wird hier und da feststellen, dass an unsa­nierten Häusern ein großes gelbes Banner mit der Aufschrift prangt: Wächterhaus. Ganz der Paro­le vom „Häuser halten!“ verpflichtet, bemüht sich ein Verein von Architekten und Stadt­planern schon seit 2003/04 darum, vor al­len Dingen einige der stark gefährdeten Linde­nauer „Gründerhäuser“ vor dem Verfall zu retten.

Das Wächterhaus – zwischen bloßem Substanzschutz und wirklicher Stadtentwicklung

Propagierte dieser gemäßigte und bürgerlich-liberale Verein einzig den Substanzschutz im Viertel und hätte neben völlig ab­strusen musealen Vorstellungen keinen Blick für die soziale Lage, es wäre müßig, sich mit sei­ner Arbeit näher auseinander zu setzen. Da das „Wächterhaus-Konzept“ des Haus­Halten e.V. aber vor allen Dingen auf ei­gen­lei­stende NutzerInnen, die sogenannten „Wäch­ter“ setzt, tritt der Verein gegenteilig sehr offensiv mit dem Anspruch auf, Stadt­­entwicklung nicht nur im rein archi­tek­­­tonisch substanziellen Sinne, sondern vor allem im sozialen Sinne zu betreiben. Gün­sti­ger Nutzraum soll die Attraktivität der an­gren­zenden Quartiere erhöhen, Kün­stle­rInnen, Gruppen und Projekte ins Viertel zie­­hen, ihnen Entfaltungsraum geben und so das soziale Leben bereichern, nicht weniger haben sich die Mitglieder des Vereins auf die Fahnen geschrieben. Der/Die politisch versierte Leser/in wird sich sofort fra­gen: „Lebensbereicherung“, steckt hinter dieser Phrase wirklich eine konkrete so­zial­­po­li­tische Qualität? Wird hier nicht der blo­­ße Substanzschutz blumenreich ausgeschmückt? Und wie soll das gehen, Stadt­ent­­­wicklung im sozialen Sinne, ohne eine po­­li­­tis­che Perspektive, die den engen Zwing­­­­kreis von Arbeit und Geld letztlich sprengt? Der Ver­ein stellt ja Boden- und Im­mo­bilien-Spe­ku­lationen keineswegs in Frage. Im Gegenteil: Sein Programm zielt gera­de darauf ab, zu­rück­gebliebene Immobi­­lien wieder in den Markt einzugliedern. Die Skep­sis gegenüber dem Anspruch des Haus­Halten e.V. wirk­liche Stadtentwicklung mit dem „Wäch­terhaus-Konzept“ zu betreiben, hat al­so genügend Anlass laut ausgesprochen zu wer­den. Um allerdings vom Zweifel zur ernst­­haften Kritik fortzuschreiten, müssen wir den Gegenstand auch auf seine Sach­hal­­tig­keit hin prüfen. Denn es kann ja sein, dass sich trotz der mangelhaften Ausrichtung des Vereins, hinter der hohlen Phrase von der Bereicherung des sozialen Lebens, auf der in­­­direkten Ebene, über die Potentiale des Wäch­terhaus-Konzeptes selbst, Freiräume bil­den, die emanzipative Prozesse fördern. Das ist die Spur, der wir im weiteren folgen wol­len, wenn wir das Konzept der Wächterhäuser hier näher untersuchen, Fragen an die Mitglieder des HausHalten e.V. stellen (siehe hier) und in den folgenden Heften Exkursionen in die Le­bens­realitäten der „Wäch­ter“ starten.

Im ersten Schritt ist deshalb zu prüfen, ob die Nutzung der Häuser ausgerichtet auf eine soziale Entwicklung der angrenzenden Quar­tiere überhaupt genügend Berücksichtigung im Gesamtkonzept des Vereines findet. Denn schließlich sollen die nutzenden Wächter ja die Träger und Protagonisten sol­cher positiven Prozesse sein. Welche Par­ti­zipations­mög­lichkeiten haben sie? Welche Geltung wird ihren Interessen zugestanden?

Des weiteren gilt es zu untersuchen, inwieweit der Verein seine Nutzungs­vorstel­lun­gen, von denen er sich ja eben jene se­gens­reiche Wir­kung auf die Entwicklung der Viertel ver­spricht, überhaupt absichert. Gibt es Nu­t­zungs­kriterien und ihre Kon­trol­­le? Oder regiert am Ende die Beliebig­keit? Und wie will man verhindern, dass der entstehende Raum der­art genutzt wird, dass gegenteilig sozial missgünstige Entwicklungen befördert werden?

Abschließend muss dann die wirkliche Praxis, die Realitäten der Nutzung im Zentrum der Analyse stehen. Wie gehen die „Wächter“ mit den an sie herangetragenen Nut­zungs­­vorstellungen um? Welche eigenen ha­ben sie? Gibt es da Widersprüche? Einen kommunikativen Raum der Klärung? Wie schätzen die NutzerInnen das Engagement des Vereins dahingehend ein?

Danach, so ist zu hoffen, hat sich ein facet­ten­reiches Bild für eine nüchterne Einschätzung der konkreten Möglichkeiten emanzi­pa­­tiver Prozesse innerhalb und um die Wäch­­­­ter­häuser verdichtet. Und der eine oder die andere Leser/in hat genug Hinweis und Aufklärung gefunden, um sich richtig ent­­­scheiden zu können, ob nun für oder ge­gen die Nutzungsangebote des HausHal­ten e.V..

HausHalten – Die Idee vom runden Tisch der Interessen

Die Grundidee zur Rettung substanzgefähr­deter Häuser, die der Verein Haus­Halten e.V. entwickelt hat, ist oft gelobt wor­den. Mi­ni­ster haben sich die Klinke in die Hand gegeben. Sie beruht wesentlich darauf, dass sie zwei Königskinder zueinander bringt, die sonst teils aus Mangel an Interesse, teils aus Un­fähigkeit einfach nicht zusammenfinden. Das eine scheue Kindchen heißt da eigentümlich Eigenthymia, das andre schüch­­tern und bieder Stadtverwalterine. Die Problemlage hat ihre Wurzel in der Eigentumspolitik der BRD während der An­nexion der Gebiete der Ex-DDR. Die staatssozialistischen Reformen hatten dort das private Eigentum am Wohn­raum größ­tenteils abgeschafft und zentrale Mietkar­telle unter staatlicher Kontrolle dominierten den Markt. Neben den Besitz­in­te­ressen enteigneter Eigentümer ging es bei der „Wen­de“ also vor allen Dingen um eine Öff­nung dieses Marktes, um das Freisetzen der kapi­ta­listischen Konkurrenz. Es war deshalb nicht vorrangig aus moralischen Beweggründen erforderlich, die Rechtsgeschichte der DDR zu negieren, sondern in erster Li­nie aus ökonomischen Kalkülen. Die juristische Grund­lage hierfür lieferte die Restitu­tionsgesetzgebung, die allgemein gesprochen Rück­forderungsansprüche bei widerrechtlichen Aneignungen regelt. Nachdem also der Bund per treuhänderischer Verwaltung die bestehenden Kartelle übernommen und sich die besten Rosinen zum Wei­terver­scher­beln angeeignet hatte, legte er die Ver­wal­tung in die Hände der Kommunen & Stadt­verwaltungen und stellte es seinen Bür­gern ansonsten frei, in den alten Papieren zu blät­tern und wenn entspre­chen­de Rechts­titel noch vorhanden, die Immobilien zurück in private Hand zu fordern. Es gibt sicher heute noch hier und da vergreisten Spätadel, der ohne es zu wissen, Grund und Boden im Osten besitzen (könn­te). Frei­­lich machte auch nicht jeder von seinen Ansprüchen Gebrauch und Fälle von un­­geklärten Rechtsfolgen, verschollenen Er­­bengemeinschaften und verschwundenen Pa­pieren gab es genug. Hier half das Konzept der kommunalen Woh­nungsbau­gesell­schaften aus, das sich in der BRD schon beim Ausstieg der Zentralge­werk­schaf­ten aus dem sozialen Wohnungsbau und der Über­­nahme vieler gewerkschaftlicher Wohn­-Immobilien bewährt hatte (2). In die­­sen lokalen Kartellen, oftmals hundert­pro­zentige Tochterunternehmen der kom­munalen Stadtverwaltungen, sammelte sich der Restbestand der unveräußerlichen Immobilien. Teils als reine Kredit-Ab­siche­­rung, teils als Instrument sozialpolitischer Pro­gramme oder auch über bloße Ver­kaufs­ge­­­win­ne waren diese Wohnungsbauge­sell­­schaf­­ten in den 90ern die Spina dorsalis, das Rückgrat der lokalen Stadtent­wicklun­gen unter kommunaler Verwaltung. Aller­dings befanden sich in diesem ausgesiebten „Rest“ auch kaum noch viele verwertbare Rosinen, so­ dass der Kostendruck durch abrissge­fähr­dete Häu­ser und Investi­tions­­ruinen von An­fang an ziemlich hoch war und immer noch wächst.

In diese Lage, von jedem Interesse entkop­pel­ter Immobilien, stößt nun die „Einzelfall-Tak­tik“ des Vereins Haushalten (3). Ein­zelne, aus dem Markt herausgefallene Im­mobilien sollen „aufgefangen“ und auf­ge­wertet werden. Schlech­terdings wird die Sub­­stanz des Hauses erhalten und die Unterhaltskosten in pri­vate Hand verlegt, be­sten­falls gewinnt die Im­mobilie wieder an Wert und lässt sich an den Kreis der üblichen Marktspekulation rück­koppeln. Der Ver­ein tritt dabei wesentlich als Dienstleister auf, der die Opportuni­tätskosten beider Parteien, also den Aufwand der Stadtverwaltung und den Widerstand des eigentlichen Besitzers, senkt, um beide Seiten und ihre un­terschiedlichen Inte­­ressen, die beiden Kö­nigskinder, an einen Tisch zu bekommen. Ei­nerseits bedient er die Interessen der kom­munalen Stadtver­wal­tung, die Erhal­tungs­kosten unrentabler Wohn­­immobilien loszu­wer­den bei gleichzeitiger Aussicht auf Stadt­er­neue­rung und einen permanenten An­­sprech­part­ner in Sachen Besitzpflichten, an­de­rerseits ködert er den investitionsscheuen Eigentümer mit hausei­genen Bau­gut­achten, Schät­zung & Planung und Fremd­­leistun­gen, um dessen Interesse auf hö­here Rendite am Objekt zu fördern.

Den Schlüsselfaktor der Strategie bildet da­bei die eigentliche Nutzung. Denn ohne „Wäch­­ter“, die ein verfallsbedrohtes Haus re­­­vitalisieren, heizen, lüften etc. pp., ist ein sol­­­ches Objekt kaum ohne weitere Groß-In­­­ve­stition im Wert zu steigern. Und gerade die hohen Investitionskosten halten ja vie­­le Besitzer davon ab, ihre Immobilien auf­zu­­werten bzw. zu „halten“. Der Verein re­kru­tiert deshalb NutzerInnen, Künstler­grup­­­pen, Vereine etc., die bereit sind, un­kom­for­tab­le Ver­hältnisse und hohe Eigen­lei­stun­gen in Kauf zu nehmen, um kurzfri­stig (in der Regel fünf Jahre) günstigen bis miet­freien Nutz­­raum (i.d.R. kein Wohnraum) in den quasi vor­übergehend vom Ver­ein verwalteten Häu­sern zu erhalten. Der HausHal­ten e.V. schließt hierzu Nutzungs­ver­träge ab, so­ge­­­­­nann­te Gestattungsver­ein­ba­rungen „Raum“, die den Nutzraum, die Zeit und die Art und Weise der Nutzung fest­stellen, den Nutzern grundversorgende In­standhal­tungs­­maßnah­men wie Elektro- und Wasser­an­schlüsse, Dach­sicherung und sa­nitäre Anlagen zusichern und gewisse Ent­schädigungen für Eigenleistungen bei vor­fristigen Ver­­­trags­kün­digungen regeln. Die Nut­zungs­ver­träge sind alle binnen drei Mo­naten kündbar, was einem herkömmlichen Miet­verhältnis entspricht. Der Haus­Halten e.V. kann des­halb als quasi besitzender Vermieter auftreten, da er gleichzeitig mit dem derzeitigen Verwalter bzw. rechtmä­ßi­gen Eigentümer des entsprechenden Objektes ei­ne sogenannte Ge­stattungsverein­ba­rung „Haus“ abschließt, in welcher dem Ver­ein Ver­wal­tungs­rechte übertragen werden und die Be­reiterklärung erfolgt, grund­ver­­sor­gen­de In­standsetzun­gen und erste Be­sitzpflichten hin­sichtlich der Verkehrs­si­cher­heit und Haf­tung der Immo­bi­lie zu über­nehmen. Durch diese doppelte Ver­trags­­struk­tur zwischen NutzerIn und Verein und zwi­schen Ver­ein und Eigentümer/Ver­walter, al­so ei­nerseits durch die Zusicherung über die Nut­ze­rInnen, monatliche Be­triebs­­kosten­ab­schlä­ge zu zahlen und ande­re­rseits durch die Versicherung des Besitzers, eine dies­­­be­zügliche Abrechnung auch in Gang zu setzen, etabliert der Verein so et­was wie ei­ne Vor­­form eines gewöhnlichen Miet­ver­hält­­nisses. Und von daher versteht sich auch das Ziel des Vereins, die Wächterhäuser wie­der zu „entlassen“. Gemeint ist da­mit näm­lich in erster Linie der Rückzug der vermittelnden Vertragsstruktur bei gleich­­zeitiger Etab­lie­rung eines direkten Miet­­vertra­ges zwischen den Parteien. Was na­­türlich im weiteren bedeutet, dass der Ei­gen­tümer be­­ginnt, seine wertgesteigerte Im­­mobilie bes­­ser zu pflegen und weiter zu in­vestieren (Hurra, hurra, der Markt ist wie­­der da!) und die Stadt­verwaltung bzw. Kom­mune sich da­rüber freuen kann, ein miss­liebiges Objekt aus dem Bestand losgeworden zu sein und gleichzeitig nun ein Ansprechpartner für Besitzpflich­ten und Kostenumlagen existiert.

Brosamen von der Herren Tische

Also rundherum ein Tisch, an dem alle Interessen gleichberechtigt zur Geltung gelangen? Ein Ideal-Modell um verfallsbedrohte Häu­ser zu halten und die maroden Arbei­ter­vier­tel wieder zu vitalisieren, mit emanzi­pa­to­rischen Impulsen gar zu beleben? Nein, denn insbesondere die direkten Interessen der Nut­zerInnen werden in dieser Interes­sens­run­de vorrangig vom Verein repräsentiert. Und hier liegt auch der Hase im Pfeffer. Genau be­se­hen wird nämlich die runde Interessenstafel hauptsächlich durch die substanzerhaltenden Kal­küle gestiftet. Der Ei­­gentümer hofft auf mehr Rendite, die Ver­waltung auf sinkende Ko­sten und ein gutes Stadtbild und der Ver­ein auf die Rettung architektonisch wert­voller Ge­bäude. Die Nutzung scheint letztlich nur Mit­tel zum Zweck, zweitrangig und be­liebig zu sein. Von einem umfassenden sozialpolitischen Plan, einer langfristigen Perspektive so­zia­ler Stadtentwicklung finden sich also wenig Spuren. Der Verein be­hält sich zwar vor, am konkreten Nutzungskonzept zu entscheiden, ob die jeweilige Nut­zung sinnvoll und pas­send zu seinen aktuellen Stadtent­wick­lungs-Vorstellungen ist. Letztlich aber ist da­von auszugehen, dass jede x-beliebige Nutzung in Kauf genommen wird, um ein leerstehendes Haus, bei dem die Verhand­lun­gsten­den­zen mit den anderen Parteien bereits positiv sind, mit „Wäch­tern“ zu besetzen. Es sticht da­bei der Wider­spruch besonders heraus, dass der Verein zwar über die konkrete Nutzung so­ziale Stadtent­wick­lung betreiben will, dafür aber keinerlei eindeutige Kriterien anzugeben weiß, was den Schluss nahelegt, dass er gar kei­ne spezifischen Vorstellungen progressiver sozia­ler Stadtentwicklung ausgebildet hat. Stadtentwicklung gilt allein dann schon als er­folg­­­reich, wenn die Immobilien an die freie Spe­­kulat­ion des Marktes angekoppelt sind und von privaten Investoren wieder markt­kon­­form betrieben werden. Dass damit auch das schnelle Aus alternativer Nutzun­gen droht, wie im Beispiel der Lower East Side in New York (3), verschweigt der Verein tunlichst, denn auf langfristige Perspekti­ven hat er es gar nicht abgesehen. Das Wäch­ter­haus-Konzept begnügt sich mit einer Ni­schen­politik, bei der letztlich vor allem die Ka­­pi­tal-Interessen von Eigentümer und Stadt­­verwaltung be­dient werden. Zwar stellt er auch An­sprech­partner für die Nutze­rIn­nen ab, aber ob auf dieser Kommunikationsebene Fragen der hausübergreifenden sozialen Stadtent­wick­lung überhaupt verhandelt wer­den, bleibt äußerst fraglich. Man kann so­gar da­von ausgehen, dass der Verein durch die kurz­fristige Projektanlage und dem Ziel der Mark­trückbindung, schließlich durch die Inte­ressensvertretung von Stadt und Be­sit­zer, progressive Vorstellungen über Nutzung und Wirkung der Wächterhäuser un­ter­bindet, insofern diese bei den NutzerIn­nen über­haupt vorhanden sind bzw. angesammelt werden. Aufwertung der Quartiere, d.h. für die Stadtplaner des HausHalten e.V. auch nicht viel mehr als Wertsteigerung der Immobilien. Noch dazu verhindert der Ver­ein über die Re-Aktivierung des rechtmä­ßi­gen Besitzers und die Etablierung gewöhnlicher Mietverhältnisse, dass solche Häuser anderweitig und langfristiger „besetzt“ und genutzt werden.

Es bleibt also Alles in allem ein fades Bild zu­rück. Wenn die Wächterhäuser in Linde­nau und Plagwitz Freiräume eröffnen und em­an­­zipatorische Impulse in die angrenzenden Quartiere ausstrahlen, dann wohl haupt­­säch­lich durch die Eigeninitiative der dort an­ge­siedelten „Wächter“, sofern diese nicht vom Verein selbst ausgebremst werden. Das wird in den folgenden Heften noch genauer an den konkreten Projekten zu untersuchen sein. Und sicher, der entstandene Nutzraum und die, wenn auch kurze, Zeit der alternati­ven Nut­zung, befördern solche Möglichkeiten des sozialen Engagements. Den­noch sollte sich jedeR, der/die erwägt, in ein Wächterhaus zu ziehen, klar darüber sein, auf welcher Schmalspur der Verein HausHalten e.V. ei­gentlich plant. Die hohen Eigenleistungen wer­den zwar durch den günstigen Nutzungspreis ei­ni­germaßen ausgeglichen, aber lang­fri­stig ar­beitet mensch hier nur dem Besitzer in die Taschen. Und wenn diesem, der Stadt oder dem Verein die Nutzung nicht mehr passt, ja dann, flattert wohl ganz schnell die Kündigung ins Haus.

Auf dieser Grundlage sind die Wächterhäu­ser ganz sicher nicht der neue Rettungsanker Lindenaus, nicht mal ein Tropfen in die trockene Kehle. Denn solange die Priorität al­lein auf den Substanzschutz und die spe­ku­lative Verwertbarkeit der Häuser gelegt wird, solange fehlt eben eine handfeste und lang­fristig nachhaltige Per­spektive für die positive soziale Stadtent­wicklung in den Vierteln. Und um diese vor­an zu treiben, soll­te man in Zukunft nicht die Häuser „halten“, um sie dem Besitzer at­trak­tiv zu machen, son­dern jene enteignen, die ja offensichtlich kein Interesse mehr an ih­rem Besitz aufbringen, und die Häuser eben „besetzen“ und kol­lektivieren. Als neue Ba­stionen des sozialen Zusammenlebens könn­ten diese dann bspw. selbstverwaltete Ar­beitsbörsen, auto­no­me Mie­ter­kol­lek­tive oder Büros von unab­hängigen Stadt­teil­räten, Gewerk­schafts­syn­di­katen und anderen sozial aktiven Gruppen beherbergen, schließ­lich Raum für Fahr­ge­mein­schaften bis hin zur gemeinsamen Kin­­derbetreuung bieten; etwas an­de­res frei­lich als erlebnisorientierte Künst­lerInnen und kreative Individuen des verarmten Bil­dungs­bürgertums. Eine solche Perspektive blie­be sicher nicht im Kleinen stehen und nö­­tigt dem Standpunkt einiges an Idealismus ab. Aber ohne den, zumindest ohne den Mut und die Hoffnung der unteren Schichten, werden in Lindenau auch in Zukunft nur kleine Brezeln gebacken, Brosamen von der Herren Tische, die den Hunger und die Trostlosigkeit kaum stillen.

(clov)

 

(1) Der Leipziger City-Tunnel-Bohrer, den man extra für die unterirdischen Baumaßnahmen entwickelt hat, wurde auf den wenig phantasiereichen Namen „Leonie“ getauft. Das ganze Bauprojekt dürfte durch die anhaltenden Verzögerungen (3 Jahre +) mittlerweile schon ca. 1,5 Milliarden Eu­ro verschlungen haben. Allein der Eigenanteil von Stadt und Land ist im letzten Jahr von 500 Mil­lionen auf weit über 800 Millionen geklettert.

(2) Siehe hierzu auch FA!#25 „Neue Häuser“

(3) Freilich ist die Strategie nicht ganz neu. Schon in den 1980ern wurde bspw. genau mit die­sem Mo­dell (5-Jahres-Verträge mit kreativen Köp­fen, In­tellektuellen etc. pp.) die Lower East Side in New York entwickelt bzw. „gentrifiziert“. Mit der Fol­­ge, dass die meisten der Angeworbenen nach Ab­lauf der Verträge durch das teilweise bis auf über 500% gestiegene Mietniveau wieder ver­drängt wurden. Siehe hierzu auch das interes­san­te Interview in der aktuellen Direkten Aktion mit Prof. Dr. Neil Smith aus New York, der dort schon seit langem zu Gentrifizierungsfragen forscht: DA, Nr. 186, „Kapitaler Abschaum“, S. 6

Das kleine Spontandemo-ABC

In den letzten Monaten kam es bundes­­­weit immer wieder zu zahl­reichen „Spontandemos“. In Leipzig demonstrierten Menschen aus verschiedenen Spektren u.a. ge­gen Nazi­über­­­grif­fe, die Räu­­m­ung des Kopen­­hagen­er „Ungdoms­huset“ und die Re­­pres­­sions­­­flut ge­gen ver­meintliche „ge­­walttätige Glo­bali­sierungs­­kri­tikerInnen“ sowie jegliche Form der Repression.

Bei diesen Demos ging die Initiative spontan von losen Zusammen­hängen und Einzel­personen aus. Es gab keine Vor­bereitung sowie keine planen­den und koordinierenden Gruppen. Es lohnt also, sich mal ein wenig Zeit zu nehmen und sich mit den Besonder­heiten von „Spontandemos“ aus­einander­zusetzen, denn auch spontane Demos sind „richtige“ Demos, weisen aber ein paar nicht un­wichtige Besonder­heiten auf, die es zu beachten gilt, um unsere Sache auch spontan auf der Strasse vertreten zu können. Dies soll keine Ab­schreckung sein, sondern Euch vielmehr er­mutigen, auch spontan Eure Meinung, Eure Wut oder auch mal Eure Freude auf die Strasse zu tragen. Ihr solltet Euch nur im Vor­feld fragen, ob ihr in der Lage seid, die Situation zu überblicken und vielleicht den einen oder anderen Punkt dieses Textes berücksichtigen.

Juristisch gibt es die Unterscheidung in „normale“ Demonstra­tionen, Eil­demos und Spontan­demos. Generell besteht immer die Pflicht bis spätes­tens 48 Stunden vor Ver­öffent­lichung der Aufrufe (und nicht erst vor Beginn der Demo) eine Demo an­zumelden.

Bei Eildemos kann diese Frist der 48 Stunden nicht ein­ge­halten werden. Trotz­dem müssen Eil­demos beim Ordnungs­amt (z.B. auch tele­fon­isch) an­ge­meldet werden.

Der Unter­schied zwischen „normaler“ und Eil­demo einer­seits und Spontan­demo anderer­seits ist nun, dass letztere sich wegen des aktuellen An­­lasses sofort bildet, keinen ver­­antwort­lichen Ver­­an­stalter und -jeden­­falls erstmal- auch keineN (ver­ant­wort­­­­licheN) Lei­ter­­­In be­nötigt. Spon­tan­demo heißt also, dass die Demo wegen des aktuellen Anlasses so dringend ist, dass keine Zeit für eine An­meldung bleibt bzw. das Ordnungs­amt schon geschlossen hat.

Wichtig ist es noch zu be­achten, wer der Polizei eigentlich als Ver­anstalterIn einer Demo gilt: Sobald eine Gruppe oder eine Person im Vor­feld er­kenn­bar die Ver­antwortung für eine Demo übernimmt („deutlich hervorgehobene vorbereitende organisatorische Funktion“), gilt sie als Ver­anstalterIn und ist damit prinzipiell anmelde­pflichtig. EinE feststell­bareR Ver­anstalterIn macht sich durch Unter­lassen der An­meldung grund­sätzlich straf­bar.

Eine Demo, die trotz mehr­stündiger Mobilisier­ung nicht an­gemeldet wurde, kann – muß aber nicht – von der Polizei auf­ge­löst werden. Gegen diese Auf­lösung kann natürlich sofort eine Spontan­demo durchgesetzt / versucht werden…

Bei Nicht­auflösung kann die Polizei gegen­über der Menge oder Delegierten oder ei­ner spontan gewählten, leitenden Person Auf­­lagen bestim­men bezüg­lich Route, Dauer, Transpis usw. Da hier­gegen schnell ge­nug kein Rechts­schutz mög­lich ist, kommt es dabei ausschließ­lich auf die Verhand­lungen vor Ort und v.a. eine realis­tische Ein­schätzung der Kräfte­ver­hältnisse an. Es ist also wichtig für euch ein­zu­schätzen, welche Forderung­en Sinn machen und diese gegen­über den Bullen auch zu ver­treten. Dafür können die Teil­nehmer­Innen einer Spontan­demo einE Lei­terIn „wählen“, die dann als Ver­ant­wort­­licheR mit der Polizei, z.B. über die Route usw. ver­handelt. Wichtig ist, dass dieseR LeiterIn die Demo nicht als Ver­an­stalterIn an­melden/sich ver­ant­wort­­­lich er­­klären muss, da es bei einer Spon­tan­demo ja gerade keineN Ver­anstalter­In gibt. Ebenso spontan können sich auch Ordner­Innen finden.

Es kann also unter be­stimmten Um­ständen sinnvoll sein, einE Lei­ter­In der Demo zu wählen um die Ver­handlung­en mit den Bullen zu ver­ein­fachen. Lasst euch aber nicht ver­un­­sichern und lehnt jede Ver­­ant­­wor­t­ung als Ver­an­stalterIn ge­gen­­­über den Bul­len ab. So kann die Ver­ant­wort­ung, die sich aus dem Ver­samm­lungs­gesetz für die ein­zelne Person er­geben würde, ab­ge­wendet werden und es er­scheint niemand nament­lich als Ver­anstalter­In bei den Bullen.

Außer­dem gibt es noch ein paar Sachen, die mensch be­achten sollte, um den Bullen die Auf­lösung der Ver­anstaltung nicht zu ein­fach zu machen. Eine spontane Demo ohne Ver­anstalter liegt näm­lich definitiv nicht vor, wenn z.B.

– aufwendig neu gemalte Transpis,

– Aufrufe mit ViSdP (Verantwortlich im Sinne des Presserechtes),

– lange und des­halb nachweis­bar vor­ge­fertigte Rede­beiträge usw. vor­handen sind.

Nicht gegen eine spontan durch­geführte Demo sprechen da­gegen alle Dinge, die ent­weder schon vor­handen sind (Megaphone, alte Transpis, Fahnen, evtl. auch ein Lauti) oder die sehr schnell her­gestellt werden kön­nen (z.B. Hand­zettel, nicht ab­ge­lesene Rede­beiträge usw.).

Ent­scheidend für die Durch­führung einer Spontan­demo ist die Dauer der Mobi­lisier­ung. Wenn Ihr z.B. ein Posting auf Indy­media stellt und das Stun­den bevor es eigent­lich los­gehen soll, könnt Ihr ziemlich sicher sein, dass die Polizei das mittler­weile auch weiß und unter diesem Argument die Demo unter Um­ständen auf­lö­sen kann. Weniger sicher weiß die Polizei bei SMS-Ketten im Vor­feld Be­scheid und möglicher­weise keinen blassen Dunst hat sie bei der alten Taktik der Mund-zu-Mund-Propaganda.

Nicht zuletzt weiß mensch nie ge­nau, was auf dem wei­ter­­en Ver­­lauf der Demo so pas­sier­en wird, des­halb gilt auch und be­son­ders bei Spon­tan­demos das kleine Demo-­­Einmaleins! (1)

Eine ganze Menge also, was man im Kopf be­hal­ten soll­te für die nächste Spontandemo! Und zu alle­dem be­sonders eins: Lasst euch nicht ein­schüch­tern von den Tricks der Polizei!

(EA Leipzig)

(1) ein beständiger Link zum Demo-1×1: xttp://www.nadir.­org/­nadir/­archiv/PolitischeStroemungen­/antirepression/rechtshilfe/hilfe2.htm oder in jedem „WasTunWennsBrennt“

„Vom Rand her schrumpfen“

Fritjof Mothes im Interview

Fritjof Mothes, geboren 1970, innerhalb des Vereins für Nutzerbetreuung und Eigentümerberatung zuständig, ist Stadt- und Regionalplaner, Mitherausgeber der „Leipziger Blätter“ und einer der Initiativgeber zur Gründung von HausHalten e.V. sowie Vorstandsmitglied.

FA!: Sie sind von Beruf Stadt- und Regionalplaner, wie kam es zur Idee, zum Verein HausHalten und wann?

Fritjof Mothes: Als Stadtplaner produziert man ja viel Papier, nur an der Umsetzung ha­­pert es meistens. Wir wollten 2003 mal pro­­bieren, ob man das Konzept der Stadt­teilplanung für den Leipziger Westen auch in die Tat umsetzen kann. Damals haben wir uns pro Haus nur eine Person vorgestellt, die dort lebt und arbeitet. Letzt­end­lich hat sich ein Team aus Beteiligten, welche sich aus diesen Zusammen­hängen kannte, zusammengefunden mit dem Ziel, ein praktisches Beispiel zu schaffen und zu sehen, ob das tragfähig ist.

FA!: In knapp 4 Jahren von einer lokalen Initiative zu einem staatlich gefördertem Kompetenzzentrum. Sind sie zufrieden mit den Fortschritten des Vereins? Werden ihnen Steine in den Weg gelegt?

FM: Wir sind von der Resonanz, vor allem von der Nachfrage, was Interessenten für die Nutzung der Gebäude betrifft, über­­rascht. Wir hatten schon Zweifel, ins­be­­­­­­­­son­­­dere als wir im letzten Jahr den Schritt in den Osten getan haben, wo wir mit der Ludwigstraße und der Eisenbahn­stra­­ße zwei Häuser haben, die sehr groß sind. Aber auch dort hatten wir nach we­nig­­­­­en Besichtigungen das Haus quasi voll. Nur manch­mal hatten wir Schwierigkeiten, die Eigentümer zu überzeugen, weil die sich unter dem Konzept nichts vor­stel­­l­­­­en konnten. Generell können wir uns über mangelnde Unterstützung nicht be­schwe­­r­­en. Problematisch ist eher, dass wir als kleiner Verein mit rund zehn Mitgliedern mit den Kapazitäten an die Grenzen stoßen.

FA!: Das Wächterhaus-Konzept ist eigentlich unabhängig vom Interesse der Stadt, be­vor­­zugt die Substanz an vorhandenen Grün­der­häusern zu erhalten. Warum also stehen ge­rade diese Häuser im Zentrum der Aktivi­tä­ten des Vereins und können Sie sich vorstellen, dass etwa auch Plattenbauten bspw. in Grünau als „Wächterhäuser“ fungieren?

FM: Grundsätzlich orientieren wir uns da­nach, dass wir bewusst nicht in Stadtteile wie Südvorstadt oder Connewitz gehen, die es auf dem Immobilienmarkt leich­ter ha­ben. Wir glauben, dass sich da auch nor­male Investoren zur Genüge finden. Wir ge­hen ganz bewusst in die Stadtteile, wo wir Probleme sehen, wie bei­spiels­­­weise im Leip­ziger Osten und Westen. Man kon­nte vor einigen Jahren nicht sagen, dass Lin­denau jetzt der hippeste Stadt­teil ist. Wir hatten Anfangs in einem Haus in der Dem­meringstraße auch durch­aus eine hohe Fluktuation, weil Bewohn­er wieder zu­­rück nach Connewitz ge­zogen sind, da ihnen der Stadtteil nicht kre­ativ und hip ge­­nug war, das hat sich mitt­ler­weile geän­dert. Wir glauben, dass das durchaus ein Bau­stein ist, dass Wächter­häuser sich in­zwi­schen dort auch konzentrieren. Mitt­ler­­weile gibt es dort meh­re­re, die sich gegen­­seitig befruchten und Ge­gen­den, die vor­her eben nicht so ange­sagt waren, mit in den Fokus rücken. Zur Aus­wahl der Ge­bäu­de kann ich nur sagen: Unser Hauptziel ist es, die his­torisch­en, das Stadtbild prä­­gen­den Gebäude zu hal­ten und für Leip­­zig über die Zeit zu ret­ten. Wir gehen ganz bewusst nicht nach Grün­au, weil wir der Überzeugung sind, dass wir es dort mit einem erheblichen Leer­stand zu tun ha­ben und natürlich auch sehen, dass es Ge­­biete und Wohnungs­­­­überhänge geben wird, die abgebaut wer­den müssen. Und da sagen wir: den his­torischen, urbanen Kern zu behalten ist wich­tig. Das heißt auch, dass wenn man schon schrumpft, man vom Rand her schrumpft.

FA!: Es ist aber vorstellbar, dass der Verein etwa in Reudnitz oder Neustadt/Schönefeld Häuser übernimmt?

FM: Wir sind da dran und wenn sich Partner finden, sowohl auf Eigentümerseite als auch bei den Nutzern, dann werden wir das auch angehen. Uns ist es allerdings wichtig, besonders die den Stadtteil prägenden Gebäude anzugehen und das sind vor allem die Eckgebäude an den Haupt­ver­kehrsstraßen. Ich glaube, das kann man ja an der allgemeinen Sanierungsent­wick­lung sehen, dass sich die ruhigen Seitenstraßen oft von ganz alleine entwickeln, aber sich an den Hauptverkehrsstraßen, die das Bild der Stadt ganz besonders prägen, die Probleme konzentrieren. Das ist unser Hauptbetätigungsfeld. Da befinden wir uns übrigens vollkommen im Einklang mit den Stadtentwicklungszielen der Stadt Leipzig. Da arbeiten wir eigentlich Hand in Hand und haben auch keine gegen­sätzlichen Auffassungen.

FA!: Der Verein bildet ja einen runden Tisch der Interessen. Neben denen des Eigentümers und der Stadt sollen auch die NutzerInnen-Interessen eine Rolle spielen. Wie deckt sich die Arbeit im Verein mit ihren Idealvorstel­lungen von Stadtentwicklung insbesondere in Bezug auf die soziale Entwicklung von Quartier und Milieu?

FM: Unser Ansatz verfolgt mehrere As­pek­­­te, das ist zum Ersten der bereits er­wähn­­­te Substanzerhalt. Der Zweite ist, dass dort Stadtteile belebt werden sollen. Aber wir wollen auch ganz bewusst jene un­­ter­stützen, die es auf dem klassischen Markt schwer haben. Das bedeutet ei­ner­seits, Räumlichkeiten zu bieten für Kreative, Künstler, für soziale Initiativen, die oft auch am Anfang stehen. Manche haben vor ihrem Einzug nur auf dem Papier ex­­istiert, weil sie sagten: „Wir können nicht arbeiten, wenn wir keine Räume haben.“ Wir bieten zu sehr günstigen Kon­­­ditionen die Räume, aber auch Zeit – aufgrund dessen weil es nicht so teuer ist – zu probieren und sich zu entwickeln. Das Andere, was uns auch sehr wichtig ist, ist für Existenzgründer Möglichkeiten zu bieten. Wir haben mehrere kleine Büros, zum Beispiel ein Grafikbüro, oder eine Sei­fen­siederei, die es sich überhaupt nicht hät­ten erlauben können, sich eine klassische Einheit irgendwo auf dem regulären Markt zu mieten, aber sich jetzt ausprobie­ren können und vielleicht irgendwann so­weit entwickeln, dass sie damit auch Geld verdienen können und sich in den normalen Wirtschaftskreislauf einbringen.

FA!: Wenn sich nun viele soziale Vereine für ein leerstehendes Ladenlokal bewerben würden, wie würden sie entscheiden, wem sie den Vorzug geben?

FM: Wir machen mehrere Besichtigungen und meistens fügt es sich dann, dass sich im Prinzip so ein oder zwei be­son­ders sinnvolle für den Laden zusamm­en­finden. Dann sehen wir, was uns auch im Zusammenspiel mit den anderen Nut­zern am sinnvollsten erscheint und dann ver­suchen wir auch relativ schnell, die Nut­­zer im Haus gemeinsam entscheiden zu lassen, was dort sinnvoll ist. Weil die Nut­­z­ungen sich ja auch vertragen müssen, also wenn auch mal wo länger Musik ge­spielt wird, passt das nicht, wenn da­run­­ter etwa ein Yogakurs gemacht wird. Das ist immer ein sehr diffiziler, spannender und einzelfallbezogener Prozess.

FA!: Inwieweit hilft und berät der Verein bei der Planung und Finanzierung der NutzerInnen-Interessen?

FM: Im Grundsatz sind die Leute für ihr Kon­zept selbst zuständig, wir hoffen – und das hat bisher auch immer geklappt – dass es innerhalb des Hauses eine Mischung gibt und die sich gegenseitig helfen können. Zum Beispiel funktioniert in­zwi­sch­en auch die Kommunikation zwischen den Wäch­terhäusern ganz gut. Das betrifft nicht nur Nutzerkonzepte, sondern auch bau­liche Sachen, weil am Anfang der Ausbau dominiert – die Häuser sind ja teil­weise in nicht gerade berauschendem Zustand. Wir sehen es aber nicht so sehr als unsere Aufgabe an, dort inhaltliche Unter­stützung zu geben, das ist in anderen Städten ganz anders. Wie jetzt in Halle oder auch in Chemnitz, wo ein Verein die Wäch­terhäuser etablieren will. Dort will der Verein die Kreativen auch in den in­halt­lichen Konzepten unterstützen, das ist hier in Leipzig nicht so sehr das Thema.

FA!: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Inte­gration der Nutzungsinitiativen der „Wäch­ter“ mit ihrer nach­bar­schaft­lichen Um­gebung/ihrem Milieu?

FM: Unterschiedlich. Ich habe den Eindruck im Gespräch mit den Nutzern, dass die Akzeptanz steigt und man sich auch damit auseinandersetzt, was hier im Stadtteil passiert. Ich glaube, dass es wichtig ist, für eine gewisse Offenheit einzustehen, das ist der positive Aspekt. Auf der an­deren Seite ist es aber auch so – und da­für gibt es auch ein, zwei Beispiele – dass wenn Abends mal Party ist und das nicht unbedingt Konzept des Ladens war, dass sich Leute gestört fühlen, wenn da Leute auf der Straße stehen mit ’ner Bierflasche und drinnen Musik kommt. Da gibt’s dann auch mal Nachbar­schaftskon­flikte, wo wir dann wieder dran sind und gucken müssen, das im Zaum zu halten, zu vermitteln und die Nutzer aufzufordern, sich an die Regeln zu halten. Man kann eben nicht bis 24 Uhr Techno spielen, wenn ein anderes Konzept eigentlich vereinbart war.

FA!: Ziel des Vereins ist es ja, irgendwann aus der Betreuung der Wächterhäuser auszu­stei­gen, sie sozusagen in die „Selbstbestimmung“ zu entlassen. Bisher ist das nur mit dem Wäch­terhaus in der Kuhturmstraße gelung­en. Was waren hier die besonderen Umstände, die dies er­mög­lichten? Und werden bald weitere „Wächterhäuser“ diesem Beispiel folgen?

FM: Grundsätzlich ist es so, dass wir eine Art Durchlauferhitzer sind. Unser Ziel ist es, eben nicht unendlich viele Wächterhäu­ser zu haben, sondern es geht darum, die Nut­zergemeinschaften so zu bilden, dass sie irgendwann in die Selbständigkeit ent­lassen werden können. Dass das bei der Kuh­turm­straße gut funktioniert hat, liegt da­ran, dass es in diesem Haus nur wenige Nut­zer gibt, so drei oder vier an der Zahl, die sich unter­einander sehr gut kennen, und auf der anderen Seite haben wir eine Ei­gen­tümerin, die selbst Leipzigerin ist, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten und eng verbunden sind, also eine Ver­trau­ensbasis da ist. Bei den anderen Häusern ist es grundsätzlich ein bisschen kompli­­­zierter, weil es einfach sehr viel mehr Nutzer gibt und das Verfah­ren ja so ist, dass wir als Verein mit dem Haus­ei­gen­­tümer eine ‚Gestattungsverein­ba­rung Haus’ auf der einen Seite treffen und auf der anderen mehrere ‚Ge­stat­tungs­­ver­ein­ba­r­ungen Raum’ mit den Nut­zern. Wenn nun die Nutzer eines Hauses sich zu einer Ge­mein­schaft zusammen­schlie­ßen und statt mehrerer nur noch einen Vertrag mit uns haben als Zwischenstufe und dann die­ser eine Vertrag mit dem Eigentümer di­rekt zusammengeführt wird, da können wir uns dann herausziehen. Und das ist na­tür­lich in einem Haus, wo es zehn verschie­dene Nutzer gibt, sehr viel kom­pli­zierter als in einem kleinen Haus wie in der Kuhturmstraße. Wir haben jetzt auch zwei Häuser, wo wir uns vor­stellen können, dass das sehr bald der Fall sein wird. Man darf aber auch nicht ver­gessen, dass die Eigentümer auch froh sind, einen seriösen „Puffer“ zwischen den Nutzern und sich selbst zu haben.

FA!: Hoffen sie denn, dass sich der Verein durch positive Entwicklung eines Tages selber überflüssig machen könnte?

FM: Ja, wir sehen das Projekt ‚Wächterhäuser’ bewusst als temporär. Wir glauben oder erhoffen, dass wenn man sich die Sanierungsentwicklung in Leipzig anschaut und auch die weniger wertvollen Häuser, die diese extremen Probleme haben, dass man uns in zehn Jahren nicht mehr braucht, weil dann dieses Problem der geflickten Häuser hoffentlich weitgehend befriedigt ist. Wir sind gerade dabei – das wird unser Schwerpunkt in nächster Zeit sein – dieses Modell in andere Städte zu exportieren; der andere Schwerpunkt ist es, das Modell weiter zu entwickeln, uns zu überlegen, ob es nicht auch andere Varianten des Hauserhaltes gibt. Da werden wir schauen, ob es gerade für Kleinstädte, wo die Probleme ja noch viel, viel größer sind als in Leipzig, noch weitere Modelle gibt und uns dann darauf konzentrieren in Zukunft.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

bonz

EinmalEins für „moderne“ Staatsbürger

Einige schlaue Köpfe haben einmal behauptet, das herausragendste Merkmal der Mo­der­­ne wäre das einer um sich greifenden Berechenbarkeit. Leider haben sie da­­bei über­sehen, dass zu einer richtigen Berechnung auch die jeweils passenden Rechen­mit­tel ge­hö­ren. So kommt es, dass eine anwachsende Menge von Interessenskalkülen in der mo­dernen Welt nicht zu Transparenz sondern zu „Unübersichtlichkeit“ und „Über­kom­plexität“ führt. Der Einfachheit halber könnte mensch auch von einer aus­ufern­den Orien­tierungs­lo­sigkeit sprechen. Das passende Umfeld also, um Eier als Hüh­ner zu verkaufen. Zugespitzt for­mu­liert: Die Moderne unterscheidet sich von allen bis­he­ri­gen Epochen gerade darin, dass sie es ermöglicht, nicht nur Einige oder Viele son­dern Al­le in Dummheit einzulullen.

So wundert es kaum, dass die „modernen“ Volksparteien aktuell versuchen, den gemei­nen Bür­ger für dumm zu verkaufen, indem sie so tun, als gäbe es plötzlich eine völlig neu­­­­ar­tige po­li­tische Debatte um Mindestlöhne und eine Verschärfung des Strafrechts für Mi­­gran­tIn­nen. Dabei reichen schon vier Finger, um das angebliche Neue als Wieder­kehr des ewig Glei­chen darzustellen. Das dritte Jahr der derzeitigen Bundesregierung ist an­ge­bro­chen und damit auch der Vorwahlkampf. Dementsprechend rechnen die gro­­­ßen Wahl­stra­tegen die dumpfesten Vorurteile ihrer Anhängerschaft fürs erste einfach hoch. Mo­bi­li­sie­rung der Stammwählerschaft heißt das dann. Da haben wir einerseits die Rechts­kon­ser­va­tiven, denen der Staat sowieso nie genug Gewalt anwenden kann und die, historisch gesehen, von der CDU bedient werden. Andererseits die Links­so­zia­listen, für die die staatliche Vorsorge selbst dann nicht weit genug geht, wenn der Stadt to­tal be­­stimmen würde, was überhaupt ‚da sein‘ kann bzw. Existenzrechte wie Vollstreckungs-Ti­tel zuspräche. Klassischerweise das Klientel der SPD.

Und ganz logischerweise würde in dieser Gemengelage jeder konkret politische Inhalt die ideologische Integrität der jeweiligen Lager nur ge­­fähr­den. Da darf dann auch ein gewisser Roland Koch (CDU), seit seiner Korruptions-Affäre bekannt als „Schweinchen Babe“, härtere Stra­­fen für „Ausländer“ fordern und dabei auf Schmusekurs zur NPD gehen. Denn wem die wohltätig verteilten Lebensmittelkarten nicht aus­­rei­chen, der wird sowieso nie begreifen, was man hierzulande unter ‚deutscher Leitkultur‘ versteht. Dass in einem „modernen“ Rechtsstaat ein­­zig die Richter am konkreten Fall über die Angemessenheit der Strafe entscheiden, solche Details interessieren im Kampf ums stumpfeste Res­­sen­timent von Rechts so wenig, wie die unliebsame Frage nach den Ursachen, welche eine Kriminalisierung bestimmter Be­völ­ke­rungs­schich­­ten notwendig bedingen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eiserne Roland nicht verrechnet hat und die Sicherheitsverwahrung von Mi­­grantInnen in Gefängnissen statt in Auffanglagern den Bürger nicht am Ende noch teurer kommt.

Ver­lässlicher ist da schon die SPD. Besser spät als nie hat man sich ausgerechnet, dass die eigenen Arbeitsmarktreformen der letzten Jah­re zu ei­nem massiven Lohndumping und zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten geführt und eine Unmenge von Ne­ben­wi­der­sprü­chen in der roten Ecke produziert haben. Peter Hartz, besser bekannt als „Mister VW“, ist ja mittlerweile auch anderweitig straf­rechtlich ver­urteilt. Nach diesen ganzen Pleiten versucht man deshalb jetzt, der völligen Desintegration des eigenen Lagers ent­ge­gen­zu­wirken, indem man der Wäh­lerschaft die Einführung flächendeckender Mindestlöhne suggeriert. Und wer will schon nicht mehr Lohn für Arbeit im Ka­pitalismus. Lei­der scheint man bei der SPD zu vergessen, dass diese Rückkehr zu „ursozialistischen“ Positionen nur dann wirklich wirk­sam wäre, wür­de man auch gleichzeitig zur staatlichen Preiskontrolle zurückkehren. Mal ganz abgesehen vom büro­kra­tischen Aufwand durch­greifender Kon­trollen und der faktischen Aushebelung der Tarifautonomie. Denn letztlich würde dieser Mindestlohn gleich­zeitig in vie­len Fällen der ma­ximale sein und gewerkschaftliche Kämpfe erheblich erschweren. Immerhin: Den Staatsfetisch des links­sozialistischen Klien­tels hat man da­mit punktgenau bedient und welcher ernsthaft engagierte Gewerkschafter wählt heutzutage schon noch SPD.

Was am Ende bleibt, ist die einfache Formel: Aktuelle Debatte minus heiße Luft istgleich Nichts-Neues bzw. zusammengekürzt: Die große Koa­li­tion entspricht dem nationalen Konsens. Dass dieser wiederum die beiden Lager fest umspannt und den Bürger in seinem heißen Traum vom starken Staat bestätigt, das sehen unsere Berufspolitiker zwar sehr genau, aber irgendwie muss man ja zu Wahlkampfzeiten Pro­fil entwickeln. Da­rum die beiden Debatten, fein säuberlich getrennt. Und das Ausweichen auf Anachronismen fällt ja angesichts der Bil­dungsregression gar nicht weiter auf. Gegen solchen Dummfang von CDU bis SPD hilft nur eines: politisches Bewusstsein und mehr Selbst­bestimmung, Widerstand und die Verwaltung der Bedürfnisse aus eig’ner Hand. Das sind die Rechenmittel, um die Manipulation von oben auszuhebeln. Die Volksparteien kön­nen sich derweil ruhig erneut zum Zentrum zusammenschließen, denn solange dieses nie­mand wählt, haben MigrantInnen auch hierzulande Zu­kunftschancen und die Arbeiterschaft die begründete Aussicht, an der eigenen Pro­duktion fair und gerecht beteiligt zu werden.

Lasst Euch also nicht bequatschen und gebt Euch die Mittel selber an die Hand! Post­moderne, you are welcome!

(clov)

Hoch die…! Nieder mit…!

Bei Nazis sind sich Alle einig: Raus! Raus! Raus! Doch ruhiges Hinterland gibt es auch bei der Antifa nicht, wie es sich während der Mobilisierung gegen den Demo-Versuch der freien Kräfte am 15.März zeigte.

All cops are bastards, zitterte es noch in den Knochen einiger sonst so alerter Antifascistas, die aus Angst vor prognostizierter Polizeigewalt lieber ausschlafen wollten.

Die Karli musste letztlich eh nicht Stein für Stein zurückgegeben werden, da die angekündigte Demo von NPD und freien Kräfte kurz vor knapp verboten wurde. „Na watt denn“, dachte sich das Ladenschlußbündnis und demonstrierte trotz fehlenden Nazis einfach unter dem Motto „gegen Rassismus von LVZ bis deutsche Stimme“, mit immerhin 150 Bewegten.

Selbst dem armen Häuflein Festent­schlossener wollte es nicht so richtig gelingen ein furioses Auftreten durch markige Parolen zu demonstrieren. Dabei bleibt bei fehlender Masse nicht viel Übrig außer guten Absichten verpackt in gute Sprüche.

Nicht dass aufgrund des schwindenden Mobilisierungspotenzials bald Deutschland brüllt: „nie, nie, nie wieder soziale Bewegung“. Da gilt es, nach Außen die Stärke wenigstens zu simulieren. Oft ist die Parole nicht nur Stütze, sondern gar der letzte Anker um wenigstens nicht ganz und gar belächelt zu werden. Gerade wenn die Demogrüppchen nicht mehr die Straße erschüttern, sondern eher wie mobile Phrasendreschmaschinen daherkommen. Es gruselt sich halt niemand mehr vor „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“,

So eine gute Demoparole ist aber auch schwer. Muss sie doch konsensfähig sein, provokativ und humorvoll zu gleich, so sind das gleich drei Sachen auf einmal. Soll der glotzende Bürger sich obendrein noch einreihen, erschöpft sich wohl die Kraft jeder Parole.

Die Guten lassen sich dann nur vermuten, muss DemonstantIn resignativ zu Kenntnis nehmen. Politische Kritik ist eben kein Fußballjubelverein, der Erfolg einer direkten Aktion nicht nach 90 Minuten im Videotext nachzulesen. Der Slogan als Mittel zur Meinungsäußerung unterscheidet sich nur von der gebrüllten Parteinahme zu seinem Fussballverein, solange er Inhalte auch diskursiv entfaltet. Dies ist spätestens dann unmöglich, wenn von Seiten der Beamten – frei nach dem Motto „dumm brutal und national“ – das Verteilen von Flyern oder Infomaterial verboten wird, wie es sich die Polizei für den 15.März in Leipzig ausdachte. Je mehr das Demoerlebnis – ob Ost, ob West – vordergründig in Blessuren und Haftstrafen statt Erfolg endet, desto mehr gerinnen Forderungen wie „no nation, no border – fight law and order“ zu puren Phrasen. So in die Ecke gedrängt muss mensch Slogans schon wie Gedichte vortragen, um ihnen wenigstens ein Stück Gehalt zuzuführen. Wem dann einfällt, dass sich Agitprop nur schwer in ein Goethedrama verpacken lässt, der sollte sich komplett vom Sinn verabschieden und einfach Agitpop machen. Dieser ließe dann Sloganeering zu, die auf Adressaten und Meinung von vornherein verzichten und einfach nur noch die Bewegung inszenieren: Freiheit für Grönland, nieder mit dem Packeis. Gebrüllt wird einfach was mensch will und die bierernste Parole kann getrost der Bild-Zeitung überlassen werden. Die erreicht den gemeine Bürger sowieso viel eher, als jede durchdachte Parole der anspruchsvollsten Antifa.

bonz & karotte

Editorial FA! #28

Beim heiligen Gustav, diese digitale Revolution! Vor 4-5 Jahren reich­te uns ein PC und in maximal 24h stand das ganze Heft. Da­mals bot uns sogar noch der Infoladen des Conne Island oder das Linxxnet Asyl. Alles kam fertig rein, Deckel drauf und raus da­­mit. Heute dagegen, kaum 28 Hefte später, meint mensch ge­ra­dezu, der Kommunismus wäre ausgebrochen. Und der kann ganz schön anstrengend sein. Da drängt sich ein Redak­tions­kol­lek­tiv in 12qm um einen stationären Layout-Rechner mit an­ge­schlos­se­nem Drucker und Scanner, die Laptops klappen auf, USB-Sticks wech­seln die Ports wie Heuschrecken die Pflanzen, Fla­schen klir­ren, der Kühlschrank platzt, ebenso der digitale Post­ka­sten. Und wer nicht den legendären 7-Tage-plus-Dauer-Lay­out-Kritik-Frie­mel-Marathon übersteht, muss vor der nächsten Aus­gabe dringend zu­sätzliche Trainingsschichten einschieben. Viel­leicht liegt es auch da­ran, dass wir es seit längerem nicht mehr schaffen, dem selbst­ge­steckten Anspruch, alle 1-1/2 Monate zu erscheinen, gerecht zu wer­den, sondern eher ein 2-1/2 Monats­heft sind. wir driften also eher Richtung Magazin als Richtung Ta­ges­zeitung ab. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir trotz der vielen eingereichten Bei­­träge – Dank an all die lieben Supporter – trotz alle dem ein­fach zu wenig Anstöße von Außen be­kom­men. Deshalb hier noch­mal der Aufruf an Euch: Schreibt uns! Nicht nur Leserbriefe, son­dern was auch immer Ihr meint, dass es ver­öf­fent­licht wer­­den sollte.

Um unseren Praxiswert steigern, findet Ihr in der aktuellen Aus­ga­be neben vielen Linxz zu Gruppen, Veranstaltungen und Pro­jek­­ten auch einen beigelegten Aushang der Roten Hilfe für die Haus­­tür, falls der Schutzmann wieder klingelt. Außerdem auf S. 29 einen lustigen Kreuzchentest, der am Ende gar nicht so lustig ist. Aber das könnt Ihr ja selber rausfinden. Auch eine neue Rubrik soll uns von nun an begleiten. Die Nebenwidersprüche lauern halt überall dort, wo Handlungsbedarf besteht. Bei uns auf S. 14/15. Die Frage nach der Privatisierung der Leipziger Stadtwerke ( S.1/3/4) ist aber auch ein heißes Thema in Bezug auf den er­zwun­genen Bürgerentscheid am 27.01.. Da könnte mensch glatt ver­gessen, welcher militaristische Alltag auf dem Flughafen vor der Stadt eingezogen ist ( S.8/9). Ganz froh sind wir auch darüber, dass es uns doch noch gelungen ist, die Anarchisten aus Israel zu in­ter­viewen, die im Dezember einen Vortrag in Leipzig über ihre po­li­tische Arbeit hielten. Denn bei aller konkreten Widersprüch­lich­keit: Mauerbau war noch nie eine progressive Lösung ( S.27/28). Ähnlich verbohrte Ansichten finden sich höchstens bei den Na­tional-Revolutionären ( S.16ff). Soviel Zement in der Birne muss ja Kopfschmerzen bereiten. Da hilft letztlich nur kräftig RÜCKEN­WIND. Apropos: Unsere neue Verkaufsstelle. Fahr­rad­schrauben und Lesen sind also keine unüberwindlichen Wider­sprüche. In diesem Sinne: Der Frühling kommt, also raus an die Luft!

Eure Feierabend!-Redax

DreiFarbenGold – SchnippSchnapp, Fahne ab

Wie schon 2006 zur Fußball-WM startete auch dieses Jahr pünkt­lich zum Auftaktspiel der EM 2008 die Aktion DreiFarbenGold. Gegen den Natio­nalismus und die politische Ver­­ein­nahmung des Sportes soll­ten mög­lichst viele der geflaggten Deut­sch­land­­fahnen ihres golde­nen Strei­fens be­raubt werden. Und die Viertel sich der­art ver­wandeln, dass sie anstelle deut­­schen Schimmer­schum­­­mel­scheins in den schwarzroten Farben des Anar­chis­mus leuch­ten. Dabei lieferten sich die ein­zel­nen Aktivisten einen heißen Wett­kampf um die be­gehr­ten Platz­ie­run­gen. Am Ende setzte sich der amtie­ren­de Titelverteidiger erneut gegen alle Ver­­folger durch und gewann knapp in der Kategorie „Meiste Schnipsel“ mit 137 sachgemäß ent­fern­ten Gold­strei­fen. Alle Rekorde in der Kategorie „Groß­­schnipsel“ wurden da­gegen von ei­­nem Neuling ge­brochen. Der Ge­win­­nerschnipsel maß sage und schrei­be 1x5m. Trotz der geringer ausgefalle­nen Gesamt-Aus­beute, die dem Um­stand geschuldet war, dass für die mei­sten deutsch­tümelnden Bürger­In­nen of­fensichtlich doch ein Un­ter­schied da­rin bestand, dass das große Fuß­ballturnier diesmal nicht in Deutsch­land sondern in Österreich/Schweiz statt­fand, waren hinterher alle zu­frie­den: Die Aktion hatte wieder sehr viel Spasz gemacht und dem Frust über die wehenden Fah­nenmeere gut ent­gegen­gewirkt.

Der Kritik, dass die ganze Aktion kei­ner­lei politische Wirkung entfalte, hielt der Titelverteidiger der „Meisten Schnip­sel“ entgegen: „Viel weniger als um politische Auswirkung, geht es bei der Aktion doch um eine selbst­be­wuss­te Gegenkultur, die einer­seits Spasz ma­chen soll und anderer­seits pro­vo­ziert. Wer sich über den ganzen Deutsch­­landtaumel ärgert und dabei die Hände in den Schoss legt, dem kann ich nur dringend em­pfehlen, es mit der Aktion mal als Therapie-An­satz zu versuchen.“ Bleibt schließlich zu hoffen, dass zum einen die Fuß­ball-EM 2012 in Polen/Ukraine stattfinden kann und nicht doch interims­weise in Deutschland veranstaltet werden muss; und zum anderen dass die Aktion DreiFarbenGold auch in Zukunft an­lässlich der großen inter/nationalen Fußball-Turniere initiiert wird. Haltet die Augen auf und die Scheren bereit!

Kein Krieg, kein Gott, kein Vaterland! Gegen einen „ganz normalen“ Natio­nalismus in Deutschland!

(clov)

Die Campusmaut – Schrecken der Pisa-Generation

Wohin mit den Studiengebühren?

Aus die Maut?

Studienge­büh­ren – das Un­wort der studentischen Gegen­warts­ge­schich­te geht in eine neue Phase. Die tönernen Füße, auf denen das Modell der Campusmaut steht, bröckeln langsam und in Hamburg und Hessen sieht es ganz danach aus, als stünden die Gebühren vor dem Aus.

In Hamburg soll es ab dem Wintersemester 2008/09 keine Studiengebühren geben, das ließ die schwarz-grüne Regierung der Hansestadt während ihrer Koalitionsverhandlungen Anfang April verlauten, nachdem bereits an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg (HfBK) rund die Hälfte der Studierenden offiziell exmatrikuliert wurde, nachdem sie sich weigerten, die Gebühren zu zahlen. Doch das Entgegenkommen der Hamburger Koalition ist mehr ein Kompromiss, als eine tatsächliche Abschaffung der Campusmaut, denn die Gebühren werden nicht während, sondern nach dem Studium bezahlt. Das heißt, die Absolventen müssen später ab einem Einkommen von 30 000 Euro pro Jahr für jedes studierte Semester, eine Gebühr, oder vielmehr eine Bildungssteuer von 375 Euro zahlen. Damit würden nicht nur die Gebühren sinken, sondern auch Bürokratie abgebaut werden, so die Koalitionspartner. Wie dieses Modell jedoch konkret aussehen soll, wurde noch nicht erläutert. Fragwürdig an dem Kompromiss ist zunächst einmal, weshalb ausschließlich Aka­demi­kerInnen von diesen Rückzahlungen betroffen sein sollen. Handwerksmeister mit demselben Einkommen müssen schließ­lich auch nicht Teile ihres Einkommens an die staatliche Ausbildungsunterstützung zurückzahlen.

Auch in Hessen bilden seit den letzten Landtagswahlen die Gebührengegner bei SPD, Grünen und Linkspartei die Mehrheit im Parlament. Erst unlängst fassten sie dort einen überraschenden Beschluss: sie wollen ihr Wahlversprechen einlösen und die Campusmaut abschaffen. Das verärgert vor allem den aus dem Amt scheidenden, aber noch geschäftsführenden hessischen Ministerpräsidenten Ro­land Koch, der in der Abschaffung der Campusmaut einen Schaden für Studierende und Universitäten prophezeit. Mit dieser Auffassung steht er in Hessen ziemlich alleine da. Dem hessischen Staatsgerichtshof liegen zwei Klagen gegen die Campusmaut vor. Die eine Klage hatten SPD und Grüne eingereicht, die zweite stammt von insgesamt 71.510 hessischen Bürger­Innen. Die KlägerInnen verweisen auf die hessische Verfassung, die eine Erhebung von Gebühren an staatlichen Hochschulen untersagt.

Die Situation in Sachsen

In Sachsen wird es ein gebührenfreies Erststudium zwar bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2009 noch geben, für ein Zweitstudium fallen aber bereits, im Sinne des angloamerikanischen Bil­dungs­­modells, Zahlungen zwischen 300 Euro bis 450 Euro pro Semester an. Während auch für Prüfungen in diesem Rahmen Gebühren erhoben werden, ist das Nutzen der Bibliothek und des Rechenzentrums bislang noch kostenlos möglich. Die Frage ist nur wie lange noch, wobei die Antwort vor allen Dingen von einer Sache abhängt: der Partizipation und dem Engagement der Studierenden. Hier gilt es, seinen Unmut gegenüber einem fragwürdigen Regierungskurs zu äußern, der in erster Linie durch den sächsischen Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) vertreten wird und einzugreifen, bevor mensch davon betroffen ist.

Milbradt ist für Studiengebühren und brachte unter anderem rückzahlbare Darlehen ins Gespräch. Seiner Ansicht nach verschärfen Studiengebühren die soziale Selektion nicht, da, mensch lese jetzt sehr aufmerksam: Entscheidungen über spätere Bildungschancen bereits im Vorschulalter fallen würden und nicht erst an der Hochschule. Das ist harter Tobak, doch ist dieser Einwand tatsächlich berechtigt oder fallen heutzutage Entscheidungen, die die Bildungschancen betreffen zumindest teilweise nicht bereits bei der Geburt? Mit Sicherheit kann mensch jedenfalls davon ausgehen, dass Entscheidungen über Bildungschancen in Länderparlamenten fallen, die, wie im Fall von Sachsen von Teilen dieser Länderparlamente bewusst blockiert werden.

Während sich die CDU hartnäckig gegen soziale Gerechtigkeit an Hochschulen ausspricht, ist die sächsische SPD weiterhin auf Anti-Gebühren-Kurs. Momentan können sich die Sozialdemokraten damit noch behaupten, nicht zuletzt gibt es in Ostdeutschland gute Argumente, in Form von Wettbewerbsvorteilen, Abiturienten aus dem Westen auch in den nächsten Jahren mit offenen Armen aufzunehmen, anstatt sie abzuschrecken. Das größte Abschreckungspotenzial besteht dabei vor allem für die StudentInnen, die auf Studienkredite oder BaföG angewiesen sind. Robert Benjamin Biskop, Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierenden­schaften (KSS), wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass schon jetzt 40% der Hochschüler BaföG-EmpfängerInnen seien. Stu­dien­gebühren stellten für sie eine erhebliche Zusatzbelastung dar.

Wie sehen es denn die Studierenden selbst? Die Forscher um das Hannoveraner Hochschulinformationssystem (HIS) haben die Nutzung von Studienkrediten untersucht und sind zu einem recht widersprüchlichen Ergebnis gekommen: Über die Hälfte der Studierenden ist demnach der Meinung, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, sich an der Finanzierung des Studiums zu beteiligen und auch später dafür Geld zu bezahlen. Gleichzeitig finden fast zwei Drittel, dass Bildung eine öffentliche Aufgabe ist und Papa Staat sie vor finanziellen Einbußen zu bewahren habe. Hm naja, Bildung macht auch nicht immer schlauer.

Privilegierte Bildungshaie?

Acht von zehn Studierenden kommen aus der Schicht der Schönen und Reichen, zwei von zehn sind Arbeiterkinder. Eine aussterbende Spezies? Es ist zumindest zu erwarten, dass sich diese Zahl in den nächsten Jahren verringern wird. Denn, wer nicht genug Geld in der Tasche hat, kann sich tendenziell eine höhere Bildung schenken, oder aber sollte in Kürze das Grundeinkommen nicht eingeführt werden: malochen gehen, um zu studieren.

Eine unmittelbare Existenzsicherung würde über kurz oder lang die Studienverlaufsplanung der Studierenden ersetzen. Damit würde sich das Studium nicht verkürzen, sondern eher verlängern, denn die modularisierten Studiengänge setzen den Besuch bestimmter Veranstaltungen voraus. Wer keine Zeit hat, hat Pech gehabt und muss im nächsten oder übernächsten Semester wiederkommen. Das vor­her­seh­bare Ergebnis: Studienabbruch.

Aber es gibt auch eine positive Prognose: Die Zeit zum Arbeiten wird fehlen. Denn wer heute einen Bachelor-Abschluss anstrebt, kann ein Lied davon singen, wie viele Job-Möglichkeiten sich in dem durchgestylten Stundenplan überhaupt noch offenbaren. Der Leistungsdruck, der sich durch Anwesenheitslisten aufbaut und bis zu dem Ziel führt, zum besten Drittel der Fachschaft zu gehören, um einen aufbauenden Master-Studiengang überhaupt in Erwägung zu ziehen, ist für viele nicht mehr zu schultern.

Das zeigt beispielsweise eine aktuelle Studie der FU Berlin. Die Einführung des Bachelorstudiengangs, durch den Studienabbrüche und Langzeitstudierende eigentlich der Vergangenheit angehören sollten, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: „Studierende geben in einem größeren Umfang als bisher ihr Studium auf“, heißt es da. Zudem habe sich die Zahl der BewerberInnen für ein höheres Fachsemester verringert. Als Gründe werden Desinteresse und das Unvermögen genannt, entsprechende Leis­tungs­nachweise zu erbringen.

Vielleicht aber sind manche auch nur mit der Gesamtsituation überfordert. Das könnte sowohl auf das universitäre Personal, dass sich mit den neuen Reformen und dem erhöhten Verwaltungsaufwand auseinander setzen muss, als auch auf die Studierendenschaft zutreffen, die sich den Leistungsvorgaben nicht mehr gewachsen fühlt. Kein Wunder: die Studierenden sollen mehr leisten ohne mehr dafür zu bekommen, ein klares Verlustgeschäft für die Studis.

Von einer Verkürzung der Langzeitstudiendauer kann laut Untersuchung ebenfalls keine Rede sein: Nur von 30% der Studierenden wird demnach ein Abschluss innerhalb der vorgegeben Regelstudienzeit erwartet. In Baden-Würt­tem­berg, dem Vorreiter der Studiengebühren, könnte das die Bildungshungrigen teuer zu stehen kommen, denn pro Halbjahr werden hier bereits 510 Euro verlangt. Aber denken wir konstruktiv und schauen wir nicht nur voller Argwohn in die Zukunft: Der demographische Wandel ist unaufhaltsam. Wenn im Jahr 2050 jeder zweite über 50 und jeder dritte über 70 ist, könnten die Langzeitstudierenden zu den Auserwählten gehören, die dann die reifen Früchte einer herbstlichen Republik ernten können, indem sie keine überfüllten Seminare mehr erleben müssen, eine Eins-zu-Eins Betreuung bekommen, die Bibliotheken als Ruhe-Oasen besucht werden und die Absolventen nach dem Abschluss auf­grund ihres reichen Er­fahrungs­schatzes gleich übernommen werden. Wozu also Eliteunis schaffen? Der demografische Wandel schafft sie von selbst.

Die Mär vom besseren Studium

BefürworterInnen von Studiengebühren halten die Studis grundsätzlich für finanziell belastbarer, da sie einer privilegierten Elite angehören und tatsächlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass lediglich 37% eines Jahrgangs ein Studium beginnen. Doch der Begriff der Elite kann hier eigentlich nur relativ und nicht absolut gesehen werden, denn von großen Reichtümern sind die meisten Studierenden weit entfernt. Wie die neueste Erhebung des deutschen Studentenwerks zeigt, haben Studenten im Durchschnitt über 770 Euro monatlich zur Verfügung. Ein Drittel allerdings hat weniger als 640 Euro zum Leben.

Die soziale Lage der Studierenden ist den Maut-Verfechtern nicht unbekannt. Sie argumentieren dann in der Regel damit, dass AkademikerInnen im Anschluss an ihr Studium mit fühlbar höheren Gehältern rechnen können. Entsprechende Rendite-Tabellen einzelner Studiengänge sind bereits im Umlauf. Danach sollte mensch keinesfalls Sozialarbeit studieren, denn hier seien die Gehälter so niedrig, dass die Studienkosten ein Leben lang nicht wieder erwirtschaftet werden können. Ebenfalls wenig ertragreich seien Kunst, Agrar- und Geisteswissenschaften. Nur Jura, BWL und Medizin seien demnach, wer hätte es vermutet, lukrativ. Studis werden so angehalten, ihre unternehmerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und ihre Bildung als rentable Investition zu betrachten, indem sie Studienkredite aufnehmen. Würde diese Logik konsequent weiter gedacht werden, würde sie zwangsläufig dazu führen, die Maut zu staffeln und so StudentInnen der Wirtschaft mehr zahlen zu lassen als KunststudentInnen – als eine Art vorgezogene Vermögenssteuer. Doch schließlich gibt es auch arbeitslose Betriebswirtschaftler und im Grunde genommen macht es vor allem dann Sinn AkademikerInnen an den Studienkosten zu beteiligen, sobald sie durch ihr Studium gegenwärtig materiell profitieren. Dafür gibt es bereits ein einfaches Regelwerk: die Einkommenssteuer, die für die Bevorteilten um 1-3 % heraufgesetzt werden könnte. In diesem Sinn kann der Schritt, den die Hamburger gegangen sind, zumindest als ein Schritt in die richtige Richtung gesehen werden.

Studiengebühren, so ein weiteres gängiges Argument, das von seinen Befür­wor­ter­­Innen eingesetzt wird, führen zu nachhal­tigen Qualitätsverbesserungen. Dass es sich bei diesen Verbesserungen leider um keine handelt, die die Studierenden selbst betreffen, wie etwa ein verstärktes Mitspracherecht der Studis, zeigt sich an der aktuellen Hochschulreform. Das Mit­sprache­recht der Studis wird auf ein Minimum zusammengeschrumpft und Professoren, Politiker und Vertreter aus der Wirt­schaft, die in Zukunft verstärkt in den obersten und entscheidenden Gremien der Hochschulen das Zepter schwingen werden, entscheiden, welche internen Haushaltslöcher mit den Gebühren gestopft werden. Denn durch die Gebühren werden die Studis nicht, wie mensch zu­nächst etwa annehmen könnte Anteilseigner, sondern vielmehr Bildungssteuerzahler, die das System sanieren sollen.

Dass sich angebliche Qualitätsver­bes­serungen vermutlich auch nicht in einer verbesserten Lehre niederschlagen werden, belegt ein interner Verwendungsbericht, den jüngst die Kölner Uni erstellt hat. Dort wurden in diesem Jahr lediglich 25% der Studiengebühren (500 Euro pro Semester) gezielt zur Verbesserung der Lehre verwendet. Im Jahr 2006 wurden so 17 Mio. Euro in die Kassen der Hochschule gespült. Allein drei Millionen Euro flossen in den obligatorischen Ausfallsicherungsfonds, der die Studenten-Darlehen absichert. Von dem verbliebenen Geld ging eine Million Euro für die Verwaltung der Beiträge drauf. Bleiben summa summarum 4,1 Mio. Euro, die laut Bericht für zusätzliches Personal oder Material ausgegeben wurden und damit also den Studierenden zugute kommen. Der Rest sind Rückstellungen oder Überträge ins nächste Jahr. Und Studiengebühren finanzieren auch den Kampf gegen sie: Die Uni legte einen Teil des Geldes aus dem Studiengebühren-Topf für die erwarteten gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Studierenden wegen der Beiträge zurück.

Hier könnte mensch sich dazu veranlasst sehen, von einer „Zweckentfremdung“ der Gebühren zu sprechen. Erhärtet wird diese Annahme durch den geplanten Verbleib der Gebühren an anderen Hochschulen. Malte Dürr beispielsweise, seines Zeichens stellvertretender AStA-Vorsitzender an der Uni Bochum, erzählt von Plänen der Uni für ein 250.000 Euro teures elektronisches Leitsystem. Auf Monitoren könnten die Studierenden jederzeit erkennen, wo welche Vorlesung stattfindet. Wenn das mal keine qualitative Errungenschaft ist! Für manch einen äußert sich ja Qualität durchaus nicht im Inhalt, sondern in der Form.

Eine andere Problematik, die die angepriesene qualitative Verbesserung an Hochschulen mit sich bringen kann, kennt die AStA-Vorsitzende der Uni Bielefeld, Mira Schneider: „Vor allem die geisteswissenschaftlichen Fakultäten wissen oft mit den Gebühren nichts anzufangen“. Als Mitglied der Studienbeitragskommission ist ihr bekannt, dass sich die Fakultäten Geschichte, Philosophie und Theologie schwer getan haben, Verwendung für das Geld zu finden. Am Ende werde zwar Tutorium über Tutorium angeboten, eine echte Verbesserung der Lehre gebe es aber nicht.

Anhand der wenigen bereits veröffentlichten Studien zur Campusmaut wird deutlich, wie relevant es ist die Berechtigung von Studiengebühren und deren Auswirkungen auf Lehre, Forschung und Studier­verhalten zu überprüfen und zu hinterfragen. Bildung ist ein Menschenrecht, wie der Schutz vor Folter oder Meinungsfreiheit und darf keine Handelsware sein. Durch eine Campusmaut werden potentielle AkademikerInnen, vor allem aus den unteren Schichten, von einem Studium ausgeschlossen. Bereits die Einführung von Langzeitstudiengebühren hat gezeigt, dass Gebühren dazu führen, dass das soziale Ungleichgewicht und die Selektion an den Hochschulen eher zu-, als abnehmen. Bildung ist ein Gut, dass mit gesamtgesellschaftlichen Interessen verbundenen ist und den marktwirt­schaftlichen nicht weichen darf. Bildung ist ein öffentliches Gut und muss dementsprechend für alle zugänglich sein. So weit so unzureichend.

Apropos für alle zugänglich: Bei der ganzen Gebühren-Kakophonie sollte aber eine Sache nicht außer Acht gelassen werden, nämlich, dass es in unserem Land auch Menschen gibt, die praktisch kein formelles Recht auf Bildung haben. Einige Bundesländer beispielsweise hindern Flüchtlinge von den Menschen ohne irgendeinen Aufenthaltsstatus ganz zu schweigen daran, Schulen zu besuchen. Insgesamt benachteiligt sind Kinder von Zuwanderern, die nur in wenigen Fällen das Abitur schaffen und dafür in Haupt- und Sonderschulen überproportional vertreten sind. Die Soziologin Heike Diefen­bach spricht in diesem Kontext gar schon von „ethnischer Segmentierung“ an Schulen in Deutschland. Doch es sind nicht nur Zuwander-Kinder, die in Sonderschulen ihr Dasein fristen. Insgesamt sind knapp eine halbe Million so genannter Lernbehinderter auf Förderschulen untergebracht, die ihrem Namen leider nicht immer gerecht werden. Manche Forscher nennen sie deshalb auch Orte der „kognitiven Friedhofsruhe“.

Protestiert wird, wenn mensch sich existentiell bedroht fühlt, wenn es an seine eigenen Reserven, sein ethisches und finanzielles Vermögen geht und selbst dann nicht immer. Generation Pisa findet sich gerne auch mit den gegebenen Zuständen eines internationalen Mittelmaßes ab. Bildung wird als Gottesgeschenk oder zumindest als eine obligatorische Bereitstellung von Seiten des Staates wahrgenommen. Bildung ist aber nicht zuletzt auch ein Instrument, das sobald es einmal erworben wurde, dazu eingesetzt werden kann, den eigenen Verstand auch auf praktischer Ebene einzusetzen: Alternativen finden, Ideen spinnen, das Bildungssystem hinterfragen, sich seiner eigenen Verantwortung bewusst werden, denn sich auf den Staat zu verlassen, war noch nie der sicherste Weg. Wer will, muss anfangen zu handeln. Was die Campusmaut betrifft, scheint dafür gerade jetzt ein optimaler Zeitpunkt zu sein.

(clara fall)

tatort fussball

Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht jeder Lokfan ist ein Neonazi. Und nicht jeder akzeptiert die rechte Gesinnung von so manchem An­hän­ger. Es gibt, gerade in den Diskursen innerhalb der Ultraszene bei Lok, Entwicklungen, die durchaus Anlass zu Hoffnung geben. Was nicht heißen soll, dass alles gut ist.

Der 1. FC Lokomotive hat ein ernsthaftes Problem. Weit schwer­wie­gender als die finanzielle und sportliche Misere der letzten Jahre ist die enge Verknüpfung von Leipzigs Neonaziszene und der Hooli­gan­szene beim Traditionsverein aus Probstheida. Dies zeigt ein alarmierendes Beispiel aus dem letzten Jahr.

Anfang Dezember, genauer gesagt am 8.12. 2007, fand im Clubhaus des FC Sachsen die Weihnachtsfeier der in Fankreisen als links an­ge­sehenen Ultragruppierung „Diablos“ ein jähes Ende, als etwa 70 Ver­mummte die Räume stürmten. Da diese mit Baseballschlägern, Mes­sern, Rauchgranaten und einer Gaspistole bewaffnet waren, kann die­ser Vorfall nicht als „normale“ Schlägerei unter Fußballfans ange­se­hen werden. Nachforschungen in Kreisen von Lok haben außerdem er­geben, dass viele ältere Schläger nicht dabei waren und diese Aktion auch nicht gut heißen. Einige waren sofort zu Spenden für den „Wie­deraufbau“ bereit. Woher kommt also diese Masse an Leuten?

Fakt ist, dass am Abend des Überfalls etwa 15 Leute der berüchtigten rech­ten Hallen­ser Fangruppe „Saalefront“ ihre eigene Weihnachtsfeier mit unbestimmtem Ziel verließen. Fakt ist auch, dass die Polizei mitt­ler­weile recht genau weiß, wer an je­nem Abend mit von der Par­tie war, da einige der Angreifer schwere Verletzungen von den Stüh­len und Tischen, die auf ihnen zerschlagen wurden, davon­ge­tra­gen haben. So was lässt sich dann doch nicht so leicht verbergen.

Und auch aus dem Umfeld von Lok kamen Hinweise zu mög­lichen Tätern. Gerüchteweise ist zu hören, dass Ricardo Sturm, einer der führenden Köpfe der Leipziger Neonaziszene, an der Or­ga­ni­sa­tion des Angriffs beteiligt gewesen sein soll. Außerdem ist immer wie­der von den „Blue Caps“ die Rede, einer Gruppierung von Lokfans, die im Februar 2006 ein menschliches Ha­ken­kreuz im Stadion for­mierte.

Ein Gutes hat dieser Vor­fall den­noch: In Leipzig rutschte Lok ins Kreuz­feuer der Kritik und die Dis­kussio­nen in der Fanszene dürf­ten für die rech­te Szene un­gün­stig sein. Die Zu­kunft wird zei­gen, ob es hier­durch zu Selbst­­rei­ni­gungs­­prozessen kommt.

(tim)