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HipHop Partisan

ein interview mit chaoze one über hiphop und partisanen

HipHop ist ein Lebensgefühl. Sprache der Wut. Ausdruck einer Identität. Eine Kultur, die Rap, DJ-ing, Breakdance und Graffiti mit ein­schließt. Mit Bildern an den Wänden der Städte erobern die einen den visuellen Raum, mit Worten und Tönen die anderen die Ohren der Menschen. Entstanden ist HipHop auf den Block Parties der Jugendlichen aus den Armenvierteln New Yorks Mitte der 70er Jahre und wurde in Erster Generation in Europa vor allem von Jugendlichen immigrierter Eltern weiter getragen. Die globale Community mit HipHoppern verschiedenster kultureller Hinter­gründe verband oftmals das Gefühl der Diskriminierung. Häufige Themen sind daher Rassismus, Rechts­extremismus, Arbeits­losigkeit, Chancenlosigkeit, Ungerechtigkeit, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, sowie die Rolle der Medien und ihre Manipulationstechniken. Da sich heute immer mehr „sexistische, homophobe, faschistoide und nationalistische Tendenzen im kommer­ziel­l­en HipHop verbreiten, versuchen Netzwerke, wie HipHop-Partisan“ eine kritische Kraft aufzubauen, um eine neue, subversive Bewegung zu schaffen, die dem entgegenwirkt. (1) „Sobald du ein Mikro in der Hand hast und jemand dir zuhört, ist es ein politischer Akt“ meint Sat aus Marseille.

Das folgende Interview wurde von Turn It Down per e-mail mit Chaoze One, einem Aktivisten von HipHop-Partisan, Anfang diesen Jahres geführt. Es erschien bereits im Polit/Musik Magazin „Massenmörder Züchten Blumen“ #2, aus McPom (Mecklenburg Vorpommern) und auf www.turnitdown.de.

wanst

TID: Stell dich bitte kurz vor!

chaoze: Das ist immer so eine wunderbar offene Frage. Also gut – ich bin Chaoze One und mache seit ca. 2000 rapähnliche Music – meist mit per­sön­lichen oder politischen Tex­ten. Ich hab die klassische Laufbahn durchlaufen. Ver­suchte erst Punk zu sein, hörte „Deutsch­­punk“ und Hard­core, dann kam meine Zeit als (Möchtegern-) Sharp-Skin mit viel Ska und Reg­gae (den ich heute noch mag) und dann irgendwann wechselte der Musikge­schmack durch einen Antifa Soli-Sampler ziemlich abrupt rüber zu HipHop. ‚Schuld‘ daran waren Anarchist Academy, Kinderzimmer Pro­duc­tions und KRS-One die waren mit jeweils einem Track auf dem Tape vertreten. Ich hab dann viel Rap gehört und irgendwann ange­fangen zu schreiben – so entstand 2001 dann die Demo-CD ‚Neue Kreise‘ (u.a. mit ‚der Panther‘), die relativ viel Anklang fand und inzwischen mehrere hundertmal selbst­gebrannt verkauft wurde. Dann hab ich angefangen live zu spielen und die Sachen live auszuprobieren und mit der Erfahrung ist dann jetzt die zweite CD kurz vor der Veröffentlichung. ‚Rapression‘ ist mehr politisch als persönlich geworden und wird auf Twisted Chords – einem Indie Hard­core Punk Label aus Karlsruhe er­scheinen. Mit dabei sind Leute, die mich und meine Musik nachhaltig beeinflusst haben, sei es textlich oder musikalisch, z.B. Anarchist Academy, Microphone Mafia oder Irie Revoltes.

TID: Deine Texte sind politisch, warum?

chaoze: Schwer zu sagen. Ich hab nicht angefangen zu schreiben und mir dabei gesagt, „Ey Alter du schreibst aber nur politisch“. Ich habe über Themen ge­schrieben, die mich be­schäftigt haben – und da ich als Person linksradikal-politisch interessiert bin, haben mich eben Themen beschäftigt, die in diese Richtung gingen. Ich hab tat­säch­lich auch ver­sucht an­spruchs­volle Songs zu schreiben, die nicht so ernst sind. Aber das ist einfach nicht mein Ding. Hannes von Anarchist Academy hat mal kritisiert dass die „Neue Kreise“ mehr oder wenig­er zwanghaft versucht, alle Themen abzudecken (Sex­ismus, Rassismus, Gesell­schaftskritik, etc) – auf Konzerten höre ich manchmal aus dem Publikum „Der zieht ja alle Register“. Aber ich hab damals einfach geschrieben und danach geschaut was auf dem Blatt stand. Der Anti-Vergewaltigungstrack (‚Wir kriegen euch‘) resultiert aus drei Ge­schichten, die mir damals Freundinnen erzählt haben. Mir fällt es schwer so was un­kommentiert mit mir herum­zutragen. Ich hab dann den Text geschrieben und ihn von den Frauen lesen lassen – sie fanden ihn gut, fühlten sich repräsentiert bzw. fanden den Zustand gut verbalisiert, also hab ich den Track ge­macht. So wurde die Demo-CD ein ziemliches Aus­­kotz­album, struktur­los aber für mich wichtig. Noch was zu diesem „deine Texte sind politisch“ ding: unpolitisch gibt es nicht – auch ein Kool Savas ist politisch und viele seiner Texte traurige Realität. Sie sind Spiegel des sexistischen, homo­phoben Gesellschaftszustandes, auch wenn ich zugeben muss, dass gerade die HipHop Szene in weiten Teilen diese Formen von Diskriminierung verstärkt propagiert.

Jeder Text ist subjektiv geschrieben und zeigt ein Bild der Sozialisation des Verfassers oder der Verfasserin – somit ist es politisch.

TID: Wie kommt Politik in der Hip-Hop-Szene an? Bist du für die Leute der PC-Heini, oder werden dadurch Dis­kussions- und Denkprozesse angestoßen, wie z.B. HipHop-Partisan.net?

chaoze: Du sprichst da zwei Dinge an, einmal mein persönliches Projekt Chaoze One und dann den Zusammenschluss HipHop-Partisan. Es kommt auf den Blickwinkel an. Die Hip­Hop Heads sind schock­iert, wenn jemand solch radikale Texte kickt und dabei auf die üblichen Normen wie „Skills“ und „Flow“ scheißt – manchmal minutenlang nur die Musik laufen lässt ohne zu rappen und dabei die Gesichter im Publikum beobachtet. Mit Sicherheit krieg ich oft schiefe Blicke ab; der frisst kein Fleisch, trinkt keinen oder kaum Alk, und kifft nicht mit uns. Für die Hiphops bin ich schätzungsweise der Punk mit Baggys für die „linksradikalen“ bin ich erstmal der „Hiphopper“ und dadurch schon mal obligatorisch mit Kritik behaftet. Letzten Endes habe ich von beiden Seiten Kritik und Respekt einge­steckt. HipHop-Partisan ist ent­standen aus einer Diskussion im ‚Fear of a Kanak Planet‘ Forum (kanakplanet.de), der Homepage zum Buch von Hannes Loh und Murat Gün­­gör. Viele Leute, die auf den Vor­lesungen von den Zweien waren, trafen sich nachher dort und ir­gen­d­wann stellte sich die Frage „Was machen wir mit den neuen Eindrücken und der Notwen­dig­keit an nachhaltiger Kritik“. Dann entstand die Idee eines Netzwerks – um subversive Kräfte zu bündeln und eine Gegenseite zu den faschistoiden oder homphoben Tendenzen in der Szene aber auch in der Gesellschaft zu bilden. Die Aktiven aus diesem Netzwerk – inzwischen annähernd 200 Leute, beschränken sich weder im Background, noch im Wir­kungs­feld auf die Hiphopszene. Das Kind ist noch sehr jung und brab­belt grade mal die ersten Einwortsätze – bin gespannt was daraus wird, wenn es seinen ersten Text schreibt.

TID: Gibt es so etwas wie patriotische Tendenzen in der HipHop-Szene? Ich bin mir ziemlich sicher, das es keine Stiefelnazis gibt, aber wie sieht es mit rechten Ten­denzen aus?

chaoze: Bekannt sind mir die Tendenzen insofern als dass es in der rechts­radi­kalen Szene Dis­kussionen über die Über­nahme des Musik und Kleid­ungs­stils von Hip­Hop statt­finden – ins Rollen ge­bracht haben das Rap Crews, die faschistoide Rap-Me­taphern be­nutzten: „Affen wie Afrob in den Zoo“ oder „Skills en Masse ins Gas“ o. Ä.. Ich hab ein Snippet zugesendet be­kommen von einer extrem schlechten ‚Rap‘ Crew, die Freestyles kickt, die so tönen: „Ich hätt so gerne wieder 36 / mit nem eigenen KZ ich wär so fleißig“. Patriotische Tendenzen gab’s ja aber im Grunde genommen seid der Erfindung der Fanta 4, als die Boulevard Blätter die neue deutsche Reimkultur feierten, während Migranten-Rap-Crews, die seit Jahren Blut und Schweiß in ihre Vision steckten, eben nicht ins „deutsche Format passten“ – wie es die MC’s der Microphone Mafia ausdrücken. Mehr zu dem Thema Nazirap etc. findet ihr in ‚Fear of a Kanak Planet‘, einem Buch von Hannes Loh und Murat Güngör.

TID: Ist dieser gern gepflegte Lokal­patriotismus nicht auch eine Art von Patriotismus?

chaoze: Das ist schwierig zu beantworten, weil ich denke, dass Mensch hier die Posi­tion ­der Gruppe be­achten müsste. Rap als Möglichkeit der Über­­mittlung von Infor­­ma­tionen muss klar ma­chen aus wel­chem Um­feld diese Infor­ma­tio­nen stam­men. Denn das ist eine wichtige Infor­mation zum Ver­ständ­­nis eines Textes. Ob Mensch seine Reg­ion als die Beste propa­gieren soll­te, weiß ich nicht. Aller­­dings stößt sich auch nie­mand an dem neuen Be­ginner Track in dem sie – zu recht – Hamburg huldigen. Ich denke es ist wichtig, differenziert zu bleiben. Ich bin in einem kleinen Vorderpfälzer Provinz­städtchen aufgewachsen und natürlich liegt mir dieses am Herzen. Ich habe an jedem Eck, an dem mal ein Hund sein Revier markiert hat, irgendetwas erlebt. Trotzdem bleibt die Politik und eine Mehrheit der Bevölkerung in diesem Städtchen für mich kritikwürdig. Und zwar radikal.

(1) aus dem Manifest der HipHop-Partisanen
Versuch einer Legende:
Hannes Loh…Rapper und Texter von Anarchist
Academy
Murat Güngör…ehemaliger Rapper und Mitglied von Kanak Attak
Track…Lied
Tape…Kassette
Rap…reimender Sprech­gesang durch den MC (Master of Ceremony) vermittelt, von amerik. Slangausdruck to rap=quasseln
Homophobie…krankhafte Angst vor und Ab­neigung gegen Homosexualität
PC-Heini…politisch korrekter Heini
Baggys…weite Hosen
Rap Crews…Bands
Freestyles…improvisierte Einlagen
weitere Infos unter:
www.hiphop-partisan.net, www.kanakplanet.de

Soziale Bewegung

Revolution Girl-Style Now!

Ein Interview zum Leipziger Ladyfest

Dass Diskriminierungen aufgrund des biologischen Geschlechts (kurz: Sexismus) trotz gut 100 Jahren Frauenbewegung noch immer ein Problem darstellen – auch in Kreisen, die sonst einen emanzipatorischen oder gar revolutionären Anspruch haben – ist keine neue Erkenntnis. Ladyfeste stellen einen Versuch dar, gegen diesen Zustand anzugehen. Sie sind damit eine Fortsetzung der Riot-Grrrl-Bewegung Anfang der 90er, die sich aus der Punk /Hardcoreszene bildete und deren Ideen von Selbstermächtigung und Autonomie mit feministischer Kritik verband.

Ein Ladyfest ist ein Festival, bei dem unter feministischen Vorzeichen Konzerte, Parties, Workshops, Vorträge, Lesungen, Filme und Diskussionsveranstaltungen verbunden werden. Das erste Ladyfest fand 2000 in den USA statt, 2003 gab es auch in Deutschland die ersten Ladyfeste – neben Berlin und Hamburg auch in Leipzig.

Auch das Leipziger Ladyfest 2007, welches vom 23. bis zum 26.8. stattfand, hatte ein weit gefächertes Programm. Den Auftakt bildete ein Filmabend auf dem Wagenplatz Fockestraße. Aber es gab auch Workshops, u.a. über Selbstverteidigung, Anleitungen zum Schweißen oder zum Schablonensprühen, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen etwa zur derzeitigen Situation in Polen, wo die Rechte von Frauen, Homosexuellen und sonstigen Minderheiten von einer rechtskonservativen Regierung in den letzten Jahren immer mehr beschnitten wurden. Die meisten Leute kamen natürlich zu den Konzertabenden im Zoro. Die musikalische Spannbreite reichte dabei von Electro-Punk (Suicidal Birds aus den Niederlanden), über Ska (Bella Fica, Tschechien) und Heavy Metal (Killset aus Polen) bis hin zu HipHop (Aufs Maul, Österreich) und Electropop (Scream Club, USA).

FA!: Zunächst einmal, wie lang gibt es das Ladyfest, die Ladyfest-Gruppe schon in Leipzig? Was war die Motivation oder die Initialzündung, um zu sagen: Wir machen das jetzt!?

Claudia: Das erste Ladyfest war 2003, dann gab es 2004 noch eins und 2007 jetzt das Dritte. Es waren immer sehr unterschiedliche Frauen, die sich bei jedem Ladyfest zusammengefunden haben, deswegen kann ich jetzt schlecht für die Gruppe sprechen. Ich bin eher durch Zufall dazu gekommen. Das lief über einige Frauen, die in verschiedenen Projekten oder Gruppen tätig waren, im AFBL (Antifaschistischer Frauenblock Leipzig)- oder Propellas/Homoelektrik-Umfeld. Bei mir lief das über ein Fanzine, das ich zu der Zeit gemacht habe. Ich habe ein Exemplar davon nach Amerika geschickt, von da aus wurde das irgendwie auf eine österreichische Webseite gestellt, wo es dann eine Frau aus Leipzig gelesen hat. So kam der Kontakt zu der Gruppe zustande. Mir ging’s erstmal darum, Bands, die ich mag, nach Leipzig zu holen. Ich hatte Kontakt zu diesem Emancypunx-Label – auch über das Fanzine – und kannte da eine Band aus Polen, HISTERIA. So eine Anarcha-Frauenpunkband mit sehr politischen Texten, sehr Riot-Grrrl-mäßig angehaucht. Die einzuladen war für mich ein Grund, aber auch diese Netzwerkfunktion, dass Frauen, die einen feministischen Anspruch haben, zusammengebracht werden und gezeigt wird: Ja, es gibt auch Musikerinnen, es gibt auch Bands mit Frauen, die Punk oder Hardcore machen, Frauen, die kreativ sind, aber sonst entweder gar nicht zu sehen sind oder nur bei besonderen Events.

Nicole: Bei mir war es so, dass ich die beiden vorherigen Ladyfeste besucht habe, von wegen: Ok, da gibt’s was, was feministisch ist und auch in einer bestimmten Subkultur stattfindet, die mir gefällt. Dann gibt’s ja nicht nur die Ladyfeste, sondern auch die Motto-Parties, Queer-Parties oder Cross-dich-schick-Parties. Auch da fand ich die Atmosphäre immer sehr schön, und dieses Jahr hab ich eben gedacht, dass ich da einfach mitmachen möchte. Wir sind ja nur Frauen in der Gruppe, und der Anspruch ist da auch, sich selber zu zwingen, Sachen zu machen, die man sonst eben nicht macht, Pressearbeit oder so. Selber aktiv zu werden und auch ein Umfeld zu haben, in dem das geht, auch wenn man’s noch nicht kann.

FA!: Was die Erfahrungen angeht, die ihr mit den bisherigen Ladyfesten gemacht habt: Kriegt ihr da mit, dass es mittlerweile mehr Interesse gibt für feministische Inhalte, dass es in eurem näheren, ich sag mal, dem politisch-subkulturellen Umfeld oder auch darüber hinaus Anstöße gegeben hat, dass Leute sich mehr damit beschäftigen?

C: Seit dem ersten Ladyfest 2003 hat sich auf jeden Fall einiges geändert. Wir waren danach selbst überrascht, wie gut das geklappt hat, weil wir alle vorher noch nie sowas organisiert hatten. Und danach kamen viele Leute (meist Frauen), die davon gehört hatten, das spannend fanden, und sich so der Kreis derer, die das Ladyfest gut finden, immer mehr erweitert hat. In der Gieszerstrasse gab’s vor einer Weile auch die Madonna-Party als Benefiz für das Queerfilm-Fest, die Frauen aus unserer Gruppe organisiert haben. Im Gegenzug hat uns die Queerfilm-Gruppe bei einer Party unterstützt, ebenso die Homoelektrik-Gruppe. Während es 2003 noch eher so war, dass gesagt wurde: Naja, wir versuchen mal, das Wort „Feminismus“ wegzulassen, weil sonst viele Leute die Schotten dichtmachen. Das hat sich schon geändert, es gibt eine breitere Akzeptanz, man muss auch nicht mehr so groß erklären, was das Ladyfest ist.

N: Es ist auch so, dass es in dem Raum, also z.B. im Zoro, wo die Parties stattfinden, schon das Problembewusstsein gestärkt hat. Sei es jetzt zu Themen wie Sexismus bei Veranstaltungen, zu Gewaltverhältnissen, Machtverhältnissen auch in der linken Szene, bis hin zu der Frage: „Wieviele Frauen sind bei uns im Schnitt auf der Bühne?“. Ich denke, dass wir da auch zu einem kritischeren Bewusstsein beitragen konnten. Wir sind ein Alibi für diese Clubs, was ein Problem ist, aber ich denke auch, dass das helfen kann, dass das Klima offener wird, auch für andere Veranstaltungen. In diesen Räumen wird sich wohl schon was ändern.

FA!: Das Ladyfest ist ja auch eine zweiseitige Sache, es gibt zum einen die Konzerte am Abend, andererseits Vorträge, Filme, Workshops. Oft ist das eher getrennt, dass es die Politmenschen gibt, die Vorträge halten und Flugblätter verfassen, und anderseits die Subkultur-Leute, die vielleicht politisch interessiert sind, sich aber mehr um kulturelle Dinge kümmern, Konzerte veranstalten usw. Wie seht ihr dieses Verhältnis zwischen „Kultur“-Arbeit und „politischer“ Arbeit, steht das für euch gleichwertig nebeneinander, oder gewichtet ihr das unterschiedlich?

N: Ich würde sagen, dass man den Politikbegriff auch weiter fassen kann. Wie wir Dinge tun… Es ist ein Do-it-yourself-Festival, ein nicht-kommerzielles Festival, zu dem jede/r, der oder die kommen möchte, kommen kann. Wir schaffen Strukturen und wir machen die Raumpolitik an dem Abend. Das würde ich auch schon als ziemlich politisch sehen. Andererseits: Klar sind das auch erst mal Parties, wo inhaltlich vielleicht nicht sooo viel läuft, außer dass vielleicht Interesse geweckt wird für die Themen, also Genderthemen, Machtverhältnisse, Frauenpräsenz in bestimmten Räumen. Dass wir Frauen auf die Bühne holen, sehe ich im weitesten Sinne auch als politisch.

C: Das sehe ich auch so. Aber es ist auch eine Realität in der Gruppe… Wir sind recht viele, haben auch relativ viele UnterstützerInnen, aber es sind im Schnitt so zehn bis zwölf Frauen. Und wenn so viele Menschen zusammentreffen, ist klar, dass es nicht immer konfliktfrei läuft. Das liegt auch an der unterschiedlichen Richtung, dass es manchen wirklich eher um theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema geht. Wir haben die Gruppe deshalb jetzt in unterschiedliche Arbeitsgruppen geteilt, eine Textgruppe, eine Bandgruppe und eine Workshopgruppe. Und obwohl es auch ein Politikum ist, eine Frauenband auf die Bühne zu stellen, ist es auch wichtig, einen theoretischen Hintergrund dazu zu liefern. Und auch das Praktische in Workshops, was auch eine politische Aussage ist – die Workshops sind auch alle nur für Frauen und Transgender-Menschen. Bei einigen der letzten Parties, stand die Party sehr im Vordergrund, während das Theoretische eher zu kurz kam. Was einige Frauen aus der Gruppe gestört hat, aber insgesamt ist das Verhältnis ziemlich ausgeglichen. Das Zusammenkommen ist wichtig für beide Seiten, da ist das Ladyfest eine sehr gute Möglichkeit.

N: Wie es sich so schön trifft, ist ein Schwerpunkt, den wir haben, Osteuropa. Wir haben Bands eingeladen aus Osteuropa, und dabei festgestellt, dass es mittlerweile gar nicht mehr so leicht ist, Bands mit Musikerinnen zu finden. Das lief gerade über dieses Emancypunx-Label, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einerseits Frauen speziell zu fördern und sich andererseits mit Themen wie Homophobie oder der Einschränkung von Frauenrechten, was Abtreibungsparagraphen und so angeht, auseinanderzusetzen. Da trifft das beides auch ziemlich gut zusammen.

C: Das ist auch das Besondere am Ladyfest Leipzig im Vergleich zu anderen Ladyfesten, dass wir immer auch darauf geachtet haben, den Blick nach Osteuropa zu wenden, weil dort ja die Zustände teilweise noch sehr schlimm sind – wenn man jetzt z.B. an Polen denkt. Was dabei auffällt, ist dass bei den Frauen dort, eben in Polen oder Tschechien, die Trennung zwischen Theorie und Praxis gar nicht so stark ist, dass die Bands eigentlich immer politisch sind. Wenn sie als Frauen auf die Bühne gehen, ist das schon eine Aussage. Das ist auch meist sehr eng mit den Texten verbunden – dass der Antrieb, eine Band zu gründen auch sehr stark die politischen Umstände sind, was ja eigentlich die Urform von Punk ist.

FA!: Vielleicht mal eine theoretischere Frage… Einerseits geht es bei dem was ihr macht, ja sehr stark darum, Identitäten, Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen, andererseits kommt man aber auch nicht darum herum, Identitätspolitik zu betreiben, schon wenn man sich Ladyfest als Titel nimmt. Widerstand fängt ja auch erst damit an, dass man sagt: Wir haben alle dasselbe Problem. Gibt’s da Diskussionen in der Gruppe, wie geht ihr damit um, mit diesem Zwiespalt von „Identitäten hinterfragen“ und „sich auf eine gemeinsame Identität beziehen“?

C: Für die Gruppe kann ich erst mal sagen, dass es dieses Problem nicht gibt, da herrscht glaube ich Einigkeit. Wir hatten ja kurzzeitig die Diskussion, ein reines Frauen-Ladyfest zu machen. Auch ein bisschen als Provokation, dass dann versucht wurde, das mal auf ein Plenum zu tragen und zu fragen, wie’s damit aussieht. Was uns deutlich gemacht hat, wie tief Sexismus eigentlich noch drinsteckt bei den Leuten, weil das gar nicht ging, uns da Sexismus vorgeworfen wurde, Seperatismus und was weiss ich… Gerade durch die Rollenzuschreibungen – „Frau = passiv, Mann = aktiv“ – ist es denke ich kein Widerspruch zu sagen: „Frauen, traut euch!“ Eine wichtige Funktion vom Ladyfest ist ja, jetzt nicht nur Musikerinnen auf der Bühne zu zeigen, sondern auch Vorbilder. Jungen Frauen zu zeigen: „He, das ist cool, wenn eine Frau auf der Bühne steht!“ Im Eiskeller war letztens eine Diskussionsrunde mit einer HipHopperin aus der Schweiz, Ladyfizz. Und die hat erzählt, dass ihr am Anfang auf der Bühne immer gesagt wurde, sie solle doch „weiblicher“ sein, sie sei so männlich. Und sie hat gesagt: „Ich hab mich nicht als männlich gesehen, ich wollte einfach mein Ding machen.“ Das sind dann so Sexismen, die tief drinstecken und denen am besten beizukommen ist, indem sich eine Gemeinschaft bildet von Menschen, die sagen: „Natürlich ist es cool, wenn eine Frau auf der Bühne steht und aggressiv singt oder virtuos Gitarre oder Schlagzeug spielt, und nicht nur im Softpop-Bereich mit dem Arsch wackelt, sondern auch in einer Metalband spielt.“ Und dass sie dafür nicht diskriminiert oder beleidigt wird. Die Botschaft ist, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben muss, alles zu machen, was er machen kann ohne dabei anderen zu schaden. Ich sehe da keinen Widerspruch – kein Ladyfest zu machen würde ja die Probleme nicht lösen.

N: Dekonstruktion von Geschlechterrollen ist schön und gut. Aber das Argument, das oft kam und das auch von uns stark gemacht wird, ist, dass der Feminismus davon nicht abgelöst werden darf. Ich glaube auch, dass beides zusammengehen kann und auch muss. Ich würde aber nicht sagen, dass wir Identitätspolitik machen. Zunächst mal kann jeder zu den Konzerten kommen, wir machen da keine Einlassschranke. Es gibt auch nicht DIE Frau, an die wir uns wenden. Es gibt die Frauen, die auf der Bühne spielen wollen, es gibt die Frauen, die Technik machen wollen, es gibt die Frauen, die sich über Migration Gedanken machen, es gibt Frauen aus allen Klassen oder Schichten. Deshalb denke ich nicht, dass man das auf Identitätsdenken reduzieren muss.

FA!: Auf eurem Plakat zu der Veranstaltung, die ihr vor ein oder zwei Wochen gemacht habt, gab es auch diesen Slogan: „No boys, no girls, no government“. Das „no government“ habe ich für mich so interpretiert, dass ihr nicht nur sexistische Diskriminierung thematisieren wollt, sondern das als Baustein in einer Reihe von anderen Unterdrückungsmechanismen oder Herrschaft allgemein seht. Inwieweit sind bei euch auch andere Formen von Unterdrückung im Verhältnis zu Sexismus ein Thema?

C: Ich weiß nicht, ob das nur Sexismus ist… Geschlechterzuschreibungen werden natürlich gemacht, um Machtverhältnisse zu legitimieren und zu verfestigen. Die Grundaussage ist für mich, dass es generell nicht tragbar ist, Menschen zu unterdrücken, Macht über andere Menschen auszuüben.

FA!: Ich meinte das auch eher konkret. Ein bisschen davon kam ja schon, Migration oder die Abtreibungsgesetzgebung in Polen oder anderswo, Klassenverhältnisse, Arbeitsverhältnisse, inwiefern ihr damit befasst seid.

N: Ich kann auch nur auf die Praxis verweisen. Natürlich kritisieren wir allgemein kapitalistische Herrschaftsverhältnisse. Wir sind auch eine nichtkommerzielle Veranstaltung. Es war in unserer Gruppe auch schon ein Thema, dass wir z.B. keine Frauen mit Migrationshintergrund bei uns haben und auch keine Frauen, die in dem Punkt aktiv sind. Ich würde es nicht unbedingt als Problem sehen, aber es gibt da schon eine Grenze von dem, was ein Ladyfest leisten kann. Uns ist klar, dass wir nicht alles abdecken können. Dafür gibt’s ja auch noch andere Gruppen, in denen die Frauen neben dem Ladyfest aktiv sind. Es gibt ja auch nicht so viele andere Veranstaltungen, die feministische Inhalte verbreiten. Das istvielleicht auch ein Anstoß, um neue Kontakte zu knüpfen zu neuen Leuten, die davon hören, dass sich da was entwickelt. Das war eigentlich bei jedem Ladyfest so, dass es erstmal ein Anstoß war, für neue Netzwerke und Zusammenarbeiten.

justus

Mehr Infos unter: ladyfest.leipzigerinnen.de

Lokales

„… sie zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.“

Interview mit einem Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums

Feierabend!: Das Europäische Wirtschaftsforum und sein Gegengipfel sind jetzt vorbei. Vielleicht willst Du, bevor wir darauf kommen, etwas über Dich und Deine Intention erzählen bei der Vorbereitung des Alternativen Wirtschaftsforum mitzuwirken.

Jakub: Okay. Mein Name ist Jakub und ich bin Mitglied der Anarchistischen Föderation. Ich bin Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums. Damit wollen wir die Idee weiterverbreiten, dass es verschiedene Wege gibt, sich gesellschaftlich zu organisieren, und dass es zum Neoliberalismus ökonomische Alternativen gibt.

FA!: Für viele Globalisierungsgegner ist die Alternative ein starker Staat, der die Wirtschaft kontrolliert. Ist das auch Deine Vorstellung?

J: Natürlich nicht. Wir sind gegen den Staat und alle Lösungen, die auf Hierarchien basieren. Wir unterstützen selbstorganisierte Kollektive von Arbeitern. Das bedeutet, daß alle an der Entschei­dungsfindung teilhaben.

FA!: Was meinst Du, wenn Du von Arbeitern sprichst?

J: Ich meine den aktiven Teil der Gesellschaft, der sinnvolle Arbeit für diese leistet. Speziell meine ich die Leute, die keine Manager sind, die nicht entscheiden können, was sie tun, die die vorgesetzten Pläne erfüllen müssen.

FA!: Was ist die Rolle der Manager? Haben sie nicht ihre eigenen Zwänge?

J: Ja, es ist wahr, daß Manager auch Opfer des Systems sind und ihre Handlungen durch das System determiniert sind. Sehr oft fangen Manager von kleineren Unternehmen an, ihre Angestellten auszubeuten, weil sie schwierige Konkurrenz­bedin­gungen durch multinationale Unternehmen haben. In Ländern wie Polen begegnest Du oft dem Phänomen, dass die Eliten kleiner werden und Menschen der Mittel- oder Managerklasse dazu gezwungen werden für jemand anders zu arbeiten.

FA!: Ausgebeutet zu werden ist etwas anderes, als für jemanden zu arbeiten?

J: Das kapitalistische System basiert immer auf Ausbeutung. Aber natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Familienwirtschaft und Unternehmenswirtschaft. Das Unternehmenssystem übernimmt Bereiche der Familienwirtschaft, wie kleine Geschäfte, und das steigert die Ausbeutung.

FA!: Zu unserem konkreten Thema: dem Wirtschaftsforum. Wie reagierten Regierung und Medien nachdem das libertäre Milieu begann, Gegenaktivitäten vorzubereiten?

J: Sie reagierten mit Hysterie und versuchten Panik zu verbreiten. Sie wollten keine Argumente hören. Stattdessen zeigten sie Bilder von Straßenschlachten. Damit verweigerten sich die Medien einer Debatte über wichtige ökonomische Themen und zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.

FA!: Und während des Gipfels?

J: Während des Gipfels berichteten die Zeitungen ein wenig über die Demonstra­tion. Aber dies ist nicht vergleichbar mit dem Platz, den sie dafür verwendeten, Artikel über Alterglobalisierer zu schreiben, die die Stadt zerstören würden. Am Tag nach der Demonstration fand eine Pressekonferenz statt und nur fünf Journalisten kamen. Weil es nicht zu Straßenschlachten kam, hatten sie auch kein Interesse am Hintergrund der Demonstration. Sie brachten ein paar Bilder und einige schrieben, dass es ein Skandal wäre, dass die Polizei soviel Geld ausgegeben hat.

FA!: Wieviel Polizei war denn da?

J: Die Polizei zog in Warschau Einsatzkräfte aus ganz Polen zusammen, 15.000 Polizis­t­Innen für vielleicht 4000 Demonstran­­tInnen plus nochmal 4000 PassantInnen, die zufällig vorbeikamen.

FA!: Du hast Dich sicherer gefühlt, von so viel Polizei beschützt zu werden?

J. (lacht): Nein, nein! Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie habe ich mich nicht so sicher gefühlt.

FA!: Du hast von Alterglobalisierern (1) gesprochen, nicht von Globalisierungsgegnern. Was ist der Grund? In Deutschland gibt es einen solchen Begriff meines Wissens nicht.

J: Ich denke es gibt ihn nicht nur in Polen. Aber wir verwenden diesen Namen, weil wir damit unterstreichen wollen, dass wir nicht gegen jede Globalisierung sind. Zum Beispiel haben wir nichts gegen kulturelle Globalisierung. Wir sind gegen die Globalisierung des Kapitals. Wir ziehen Alterglobalisierung der Antigloba­lisierung auch vor, weil oft nationalistische Gruppen sich selbst Globalisierungsgegner nennen und wir mit denen nichts gemein haben.

FA!: In anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien werden die großen Events der Antiglobali­sierungs­bewegung von reformistischen Parteien und Organisationen organisiert bzw. dominiert, wie attac, Rifondazione Comu­nis­ta oder hierarchischen NGO’s. Hier in Warschau wurden die Gegenaktivitäten vom „libertären Milieu“ organisiert. Was ist besonders in Polen?

J: Es gibt einen Unterschied zwischen Ost- und West­europa. Das sind historische Gründe. Die radikale Bewegung in Polen hat eine anti­stalinis­tische Tra­­dition, weil Stalinismus offensichtlich eine Form von Herrschaft war, die das Leben der Leute kontrolliert hat. Deshalb vertrauen viele Menschen keiner Bewegung mehr, die von einem Staat spricht, der kommen wird um die Probleme der Menschen zu lösen und ihnen Gerechtigkeit zu bringen.

FA!: Haben linke Parteien oder andere reformistische Organisationen an der Demonstration teilgenommen. Und wer hat noch mitgewirkt?

J: Es nahm eine Partei namens „Neue Linke“ teil, die aus der Polnischen Sozialistischen Partei kommt, dazu die Grüne Partei, die hier etwas Neues ist, und die trotzkistische Organisation „Arbeiterdemokratie“, die von der englischen Socialist Workers Party finanziert wird. Aber keine der mehr oder weniger radikalen Protestbewegungen hat eine große soziale Basis.

Aber es waren einige Farmer da und Bergarbeiter aus Walbrzych (²), die nicht Teil der reformistischen Gewerkschaft sind, sondern ihre eigene Organisation haben. Da waren Leute von der OKP, einem Netzwerk von Arbeiter­protest­komi­tees aus Fabriken in ganz Polen, die umstrukturiert werden sollen: von Oza­row, Cegielski in Poznan, von UnionTex in Lodz.

FA!: Gab es Probleme zwischen AnarchistInnen und diesen Parteien?

J: Natürlich gab es Probleme. Wir wollten verhindern, dass sie aus unserer Arbeit eine Wahlkampagne machen. Zum Beispiel versuchte die „Neue Linke“ den Eindruck zu erwecken, dass sie Mitorganisatoren des Alternativen Wirt­schafts­forums wären.

FA!: Denkst Du, daß diese selbstorganisierten Arbeiterkomitees in Zukunft eine größere Rolle spielen werden?

J: Ich hoffe es! Sie haben gezeigt, dass Menschen aus verschiedenen Fabriken mit ähnlichen Bedingungen zusammenarbeiten können. Aber da sind einige Minuspunkte: oft gehen die Unterstützungs- und Solidaritätsaktionen nicht über Worte und Erklärungen hinaus. Ein richtiger Durchbruch kann kommen, wenn die Leute die Bedeutung des Solidaritätsstreiks wieder entdecken.

FA!: Zurück zum Alternativen Forum. Denkst Du, dass es ein Erfolg war?

J: Es kommt auf die Perspektive an. Eine friedliche Demonstration zu machen, war gut um die Ansässigen, die ängstlich waren, auf unsere Seite zu bringen. Und als sie die Demonstration mit Picknick-Atmosphäre sahen, haben sie sich uns angeschlossen und nach unserer Meinung gefragt. Aber auf der anderen Seite ist eine friedliche Demonstration kein gutes Argument den Ort des European Economic Forum zu wechseln. Eines unserer Ziele war es, zu verhindern, dass das Forum nächstes Jahr wieder in Warschau organisiert wird. Aus dem lokalen Blickwinkel war es ein Erfolg, aus der allgemeinen Perspektive nicht notwendigerweise. Aber für die meisten ist die lokale Betrachtung wichtiger.

FA!: Du sagtest, es gab eine positive Reak­tion der Einwohner. Was wird sich an Deiner alltäglichen politischen Arbeit ändern? Was ist Deine Perspektive?

J: Einige Leute sind jetzt stärker an den Themen interessiert, über die wir reden. Es ist für sie jetzt weniger abstrakt. Aber natürlich braucht es nun eine Menge Arbeit um anhaltende Ergebnisse zu erzielen.

FA!: Ich habe jetzt keine Fragen mehr, aber vielleicht möchtest Du noch etwas sagen, sozusagen die berühmten „letzten Worte“!

J: Das Alternativforum zu organisieren, war sehr interessant, brachte viele Leute zusammen und wir sind sehr froh neue Kontakte zu haben. Aber die wahre Veränderung kommt von der täglichen Arbeit und nicht von einmaligen Großereignissen.

FA!: Danke schön!

(1) alter, lat.: der/die/das Andere
(2) Social Committee in Defence of the Biedaszyby

Nachbarn

Libertäres Afrika

Südafrika gehört (neben Nigeria) zu den industrialisiertesten Ländern Afrikas. Das Interview mit  J. Black, ZACF, wurde im Ende 2004 von der Agência de Notícias Anarquistas (Brasilien) geführt und wirft uns ein Licht, wo sonst nur Dunkel ist.

Wie steht es heute um die anarchistische Bewegung in Südafrika?

Es gibt eine kleine anarchistische Bewegung in Südafrika seit etwa Beginn der 1990er. Sie findet sich aber noch in den Kinderschuhen, obwohl libertäre Ideen in den sozialen Bewegungen der letzten fünf Jahre immer populärer geworden sind. Es gibt auch marxistisch dominierte Jugendorganisationen in Swaziland, wo sich einige Mitglieder für Anarchismus interessieren.

Wie setzt sich die Bewegung zusammen?

Die wichtigste Vereinigung des organisier­ten Anarchismus in Südafrika ist die Zabalaza Anarchist Communist Fede­ration (ZACF), die dieses Jahr ihren ersten offiziellen Kongress in Johannesburg abhielt. Die Aktivitäten der ZACF – die gebildet wird von der Black Action Group, dem Bikisha Media Collective, den Zabalaza Books, dem Anarchist Black Cross und der nun aufgelösten Zabalaza Action Group – umfassen Propaganda und Bildung, indem wir anarchistische Lite­ratur schreiben, veröffentlichen und verbreiten, und indem wir politische Bil­dungs­­foren ausrichten und an sozialen Bewegungen und Gemeinschaften ebenso teilnehmen wie an Organisationsver­suchen in Gefängnissen.

Wo liegt derzeit euer Schwerpunkt?

Zur Zeit versuchen wir, die demoralisierten und enttäuschten ArbeiterInnen zu organi­sieren, die an der WITS-Universität ausgegliedert wurden. Außerdem nehmen wir an sozialen Bewegungen teil, die sich gegen die Privatisierung der Wasser- und Stromversorung und gegen Zwangs­räumungen richten. Schließlich versuchen wir, Gefangene zu organisieren.

Bringt ihr viele Bücher und Publikationen heraus?

Die ZACF gibt „Zabalaza: A Journal of Southern African Revolutionary Anarchism“ heraus und, wenn auch nur sporadisch, den „Black Alert: Paper of the Anarchist Black Cross – Anti-Repression Network“. Wir schreiben und produzieren auch verschiedene anarchistische Flug­blätter und Kritiken, die den aktuellen Klassenkampf in Südafrika und seine Geschichte berühren, wie zum Beispiel „Class Struggles in South Africa: From Apartheid to Neoliberalism“. Außerdem reproduzieren wir viele zeitgenössische und klassische anarchistische theoretische und praktische Texte. Zabalaza Books begann jüngst auch mit der Herausgabe des Buches „African Anar­chism“ der nigeria­nischen Anarchisten Sam Mbah und I.E. Igariwey von der Aware­ness League, wie auch von „Hungary ’56“ von Andy Anderson.

Gibt es auch anarchistische Lokalitäten, oder Kulturzentren?

Es gibt ein sehr kleines Gemeindezentrum im Motsoaledi-Town­ship von Soweto, das von Anar­chisten betrieben wird. Das ist ein kleiner Lese­­raum und eine Bibliothek, die anar­chis­­tische Literatur beherbergt. Es werden dort aber auch politische und unterhaltsame Video­s gezeigt. Die Aktivisten betreuen auch einen kleinen Gemüsegarten und bieten in jüngster Zeit eine Tagesbe­treuung für kleine Kinder an. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Gemeinde­zen­­tren, die von der Basis betrieben werden, aber nicht spezifisch anarchistisch sind – immerhin findet man auch dort anarchistische Literatur und Einflüsse unserer Ideen. Eines der wichtigsten Ziele der ZACF für die nähere Zukunft ist der Aufbau eines anarchistisch betriebenen Gemein­de­­zentrums oder Infoladens, wo wir unsere Materialien verteilen, Workshops etc. machen können.

Gibt es in Südafrika eine anarchistische Tradition?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine relativ große anarchistische Bewegung in Gestalt der anti-parlamen­tarischen Communist Party of South Africa (nicht zu verwechseln mit der reformis­tischen Communist Party of South Africa – Communist International!), des Socialist Club, der International Socialist League, der Industrial Workers of Africa, der Industrial Workers of the World South Africa und der Industrial Socialist League – sie alle wurden zwischen 1900 und 1920 in Südafrika gegründet. Außerdem gab es in Mozam­bique die Revolutionary League und anarcho-syndikalistische Gewerk­schaften, die mit der portugiesischen CGT verbunden waren und die mozambi­quanische ArbeiterIn­nen­bewegung der 1920er dominierte. Diese Traditionen im südlichen Afrika wurde durch die beiden Weltkriege und das nationalistische Regime leider ausgelöscht; ein Wieder-Anknüpfen war erst möglich, seit das Apartheid-Regime niederging und das „Gesetz zur Unterdrückung des Kommu­nismus“ aufgehoben wurde. […]

Gibt es ein anarchistisches Projekt, das du hervorheben möchtest?

Im Moment gibt es ein Projekt, dem ich mich leiden­schaftlich verbunden fühle, und zwar eine Unterstützungskampagne für inhaftierte Anti-Apartheid-Kämpfer und politische Gefangene, die noch immer in den Kerkern Südafrikas vegetieren. Die Kampagne soll dem Los dieser Gefangenen Aufmerksam­keit verschaffen, in der Hoffnung, dass wir ausreichend öffentliche Unterstützung erzeugen können, damit diese Leute amnestiert werden. Einige dieser Gefan­genen interessieren sich sehr für Anarchis­mus und wir hoffen, dass wir durch sie, über die Gefängnisorgani­sation hinaus, in die sie involviert sind, auch ihre Familien und Gemeinden erreichen können, die die repressive Rolle des Staates direkt erfahren haben.

Wird die anarchistische Bewegung in erster Linie von Schwarzen gebildet?

Das Proletariat in Südafrika ist mehrheitlich schwarz, aber aufgrund der Geschichte – mit dem mangelnden Zugang zu Informa­tionen für die unterprivilegierten Klassen und speziell die „Nicht-Weißen“ während der Apartheid – war die Mehrheit der bewussten Anarchisten tatsächlich weiß. Bis auf wenige Ausnahmen, gelang es uns erst im Zuge der Mobilisierung gegen den UN-Gipfel über Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002, Kontakte zu schwarzen Anarchisten aus den Townships aufzubauen. Sie sind erst vor kurzem mit anarchistischen Ideen in Berührung gekommen, was vor allem auf unsere Propaganda in sozialen Bewegungen zurückzuführen ist. In letzter Zeit zeigen auch einige politische Gefangene zuneh­men­des Interesse am Anarchismus, oder bezeichnen sich jetzt selbst als Anarchisten.

Was ist heute das größte Problem des Anarchismus in Südafrika?

Das größte Problem der anarchistischen Bewegung in Südafrika ist, wie vielleicht aus dem Gesagten schon hervorgeht, dass es keine anarchistische oder libertäre Massen­bewegung gibt, gleichwohl wir Kontakte haben zu sozialen Bewegungen und Gras­wurzelaktivisten in den Gemeinden. Da die Massenbewegungen von Reformisten und autoritären Sozialisten dominiert werden, haben wir es aufgrund unserer geringen Anzahl und der Begrenztheit unseres Einflusses und Budgets sehr schwer, eine praktische Alternative zum autoritären Sozialismus herauszustellen.

Wie sehen die Perspektiven aus?

Die ANC-Regierung trägt viel dazu bei, die Leute über die Rolle der Politik zu desillusio­nieren, was die Verbesserung der allgemei­nen Lebensbedingungen angeht. Und die trotzkistisch geprägte Führung des Anti-Privatisierungsforums (APF), das als soziale Bewegung aus der ArbeiterIn­nen­klasse entstanden ist1, will das APF nun als „Arbeitermassenpartei“ registrieren und zu Wahlen antreten – ein Gedanke, der heiß debattiert wurde, wobei sich in der sozialen Bewegung zwei oppositionelle Gruppen ergaben: eine libertäre und autonome, und eine autoritär-hierarchische. Diese Situa­tion könnte eine gute Gelegenheit für Anarchisten bieten, all jene Aktivisten in einer Volksfront der unterdrückten Klassen zu versammeln – orientiert an den Prinzi­pien der direkten Aktion, der Gleichheit, etc. –, die der parlamentarischen Politik ablehnend gegenüber stehen. Außerdem scheint mir die Einrichtung eines anarchis­tischen sozialen und kulturellen Zentrums äußerst wichtig, das für die ArbeiterInnen­klasse leicht zugänglich ist, damit unsere Materialien mehr Leute erreichen.

In welchen anderen Ländern des Konti­nents gibt es noch anarchistische Strömun­gen?

In Nigeria existiert bereits seit einigen, etwa zehn Jahren die anarcho-syndikalis­tische Awareness League, die zur Zeit etwa 1.000 Mitglieder hat, obwohl die Zahl in letzter Zeit wohl gesunken ist. Im Jahr 2000 oder 2002 hatten sie eine eigene Radiostation eröffnet, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie noch auf Sendung ist. Die Awareness League schloss sich im Dezember 1996 der anarchistischen Internationale IAA an. In Kenia gibt es die Anti-Capitalist Conver­gence of Kenya, die meines Wissens wie die Washington DC Anti-Capitalist Conver­gence aufgebaut ist und von libertären Kommunisten, Mar­xisten und anderen Sozialisten ins Leben gerufen wurde, um „die allgemeine Öffentlichkeit mit revolutionären Ideen, Propaganda und Aktionen zu erreichen“. Außerdem hat wohl die französische Sektion der IAA, die CNT, einige Kontakte zu Anarchosyndikalisten in Algerien. Außerdem scheinen einige Gruppen in den Gewerkschaften Marokkos aktiv zu sein. Die australische Zeitschrift „Organise“ berichtete, dass auf dem XXI. IAA-Kongress im Dezember 2000 von einer Organisation in Zaire­/Kongo die Rede war. Gerüchteweise gibt es auch in Uganda, Sierra Leone und Ägypten einige, mög­licher­weise sehr wenige aktive AnarchistIn­nen. Zudem haben wir Kontakt zu marxistisch beeinflussten Revolutionären vom Swaziland Youth Congress (SWAY OCO) und der Students Union of Swazi­land, die reges Interesse am Anarchismus äußerten. Sie sehen darin ein Kampfmittel gegen das monarchistische Tinkundla-Regime, und wir hoffen, die Beziehungen weiter ausbauen zu können.

Fühlt ihr euch in die weltweite anarchis­tische Bewegung integriert?

Im allgemei­nen leistete die internationale anarchis­tische Gemeinschaft sehr viel Unter­stützung und wir stehen regelmäßig in Kontakt mit zahlreichen AnarchistInnen und Organisationen aus der ganzen Welt. Wir hatten auch Gelegenheit gehabt, einige AnarchistInnen aus Ländern wie Schwe­den, Amerika, Irak, England, der Schweiz etc. zu treffen als sie Südafrika besuchten. Die ZACF ist auch Mitglied des anarchis­tischen Netzwerks International Liber­tarian Solidarity (ILS), in dem wir regel­mäßigen Austausch pflegen. Außerdem wenden sich viele AnarchistInnen aus dem Ausland an Zabalaza Books. Ich sehe vielmehr eine Isolation in Hinblick auf die anarchistische Bewegung im Rest des afrikanischen Kontinents, wie im globalen Süden allgemein. Dort ist meines Erach­tens die Kommunikation schwieriger als im Norden.

Welche Erwartungen verbindest Du mit dem Besuch in Brasilien?

Ich will beginnen, Brüc­ken zu bauen über die Kommu­ni­ka­tions­­gräben, die zwischen den anar­chistischen Bewegungen des Südens bestehen. Ich will Netzwerke aufbauen zwischen den verschiedenen Plätzen in Brasilien und in Südafrika, die ich kennengelernt habe. Ich glaube auch, dass die Lebensbedingungen in Brasilien denen in Südafrika nicht ganz unähnlich sind, und ich möchte erfahren, wie sich brasi­lianische Anarchisten in die sozialen Bewegungen – etwa zu Wohnrecht und Bildung – einmischen. Ich möchte auch berichten über die Bedingungen in Südafrika, nach zehn Jahren von „Freiheit“ und „Demokratie“, berichten über wach­sende Ungleichheit, Neo-Liberalismus etc. Nicht zuletzt will ich Solidarität organisie­ren für unsere Kampagne für die politi­schen Gefangenen des Apartheid-Regimes.

Danke für das Interview. Ein letztes Wort?

Danke für die Gelegenheit, ein bißchen über die kleine, aber wachsende anar­chistische Bewegung in Südafrika zu erzählen. Lasst uns den Druck erhöhen!

Übersetzung ins Deutsche: A.E.

www.zabalaza.net
(1) vgl. Feierabend! #13

Nachbarn

„Hey, wir sind da“

Interview mit dem Leipziger Bündnis gegen die Integrationsdebatte

Im März diesen Jahres drängelten sich ca. 200 Menschen aus verschiedenen politischen Spektren in das RangFoyer des Centraltheaters, um einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Integration=Ausgrenzung?“ beizuwohnen. Für die Ver­an­stalter_innen, das Bündnis gegen die Integrationsdebatte [BgId], war es der erste Aufschlag, um die durch die Sarrazin-Veröffentlichung aufgeflammte Debatte mal ganz anders und breit zu diskutieren. Feierabend! sprach mit dem neuen Leipziger Bündnis über die Veranstaltung, ihren inhaltlichen Ansatz und zukünftige Pläne.

FA!: Ihr habt Euch ja im letzten Jahr im Zuge der durch Sarrazin angestoßenen Integ­ra­tionsdebatte gegründet. Was kritisiert Ihr denn an dieser Debatte?

BgId: Wir kritisieren v.a. wie sich die Debatte entwickelt hat, dass Sarrazin breiten Zuspruch in der Öffentlichkeit bekommen hat bzw. dass immer gesagt wurde: „Naja, das mit den Genen übertreibt er ja ein wenig, aber sonst hat er ja recht. Das sind Probleme über die man sprechen muss und die von Menschen, die integriert werden sollen, verursacht sind.“ Da stellt sich schon die Frage, in was sollen die Menschen integriert werden? Warum können die nicht so leben, wie sie sind? An was sollen die sich anpassen – steckt da nicht wieder so ein Leitkultur-Gedanke da­hinter? Und auch die linksliberalen Medien haben die Sarrazinschen Thesen verharmlost und gesagt: „Wir brauchen Deutschkurse, wir brauchen mehr Integration“ und abwertende Nütz­lich­keits­lo­gi­ken befördert. Die Menschen sind so ein­ge­ordnet worden in „super integriert“ und „nicht integriert“ und „nützlich“ und „unnütz“.

FA!: Was würdet Ihr alternativ statt der Integration fordern und umgesetzt sehen wollen?

BgId: Es gibt einen ganz guten Aufruf vom Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet) mit dem Namen „Demokratie statt Integration“, den auch die meisten von uns unterstützen würden. Der Aufruf fordert die Gleichberechtigung aller Menschen, die hier leben, also keine unterschiedlichen Rechte und Privilegien von Menschen mit oder ohne deutsche Staats­bürgerschaft. Gleiche Rechte und Mitbestimmung für alle, gleiche Chancen und nicht eine Ka­te­go­risierung nach „ethnisch deutsch“ oder diese Einordnung in „integriert“ und „nicht integriert“. Wir möchten uns lieber für die Gleichberechtigung der Rechte einsetzen, statt den Inte­gra­tions­begriff zu befördern. Das macht auch eine demokratische Gesellschaft aus, dass es universelle Rechte gibt, die für alle gleich­er­maßen da sind und nicht ein Unterschied oder eine Zäsur gemacht wird zwischen Inländern und Ausländern.

FA!: Wie wollt Ihr diesem Ziel näher kommen und was wollt Ihr konkret erreichen? Wo verortet Ihr Euer Handlungsfeld im Spannungsfeld von Theorie und Praxis?

BgId: In erster Linie haben wir eine Notwendigkeit ausgemacht, dass dieses Thema – was ganz groß war als wir uns gegründet haben – anders angesprochen werden muss. Dass man statt von Inte­gra­tions­problemen von rassistischer Aus­grenzung reden muss, letztendlich den Spieß umdrehen muss, also nicht sagen, „es gibt Probleme, weil Leute sich verweigern“, sondern „es gibt Probleme weil Leute systematisch aus dem Bildungsweg und Arbeitszusammenhang ausgegrenzt werden“. Und es hat auch eine Verschiebung in der Sprache stattgefunden, die krass war und uns wütend gemacht hat. Also auch Leute, die man vielleicht als Bündnispartner verstehen kann, denen muss man von links Druck machen, weil sie permanent die gleiche Sprache gesprochen haben wie Sarrazin. Ihnen muss man Begriffe in die Hand geben und entgegensetzen, dass das ganze Konzept bullshit ist und dass man eigentlich über was ganz anderes reden muss.

Zudem haben wir von Anfang an beschlossen, dass wir eine Öffentlichkeit schaffen müssen, sei es durch Texte oder Veranstaltungen. Klar, wir werden nicht ganz Deutschland erreichen aber wir wollen zumindest in Leipzig eine Gegenöffentlichkeit schaffen, die kritisch darüber diskutiert und den Leuten, die sich mit der Integrationsdebatte unwohl fühlen und merken, dass das scheiße ist, dazu verhelfen sich dagegen zu positionieren, sich mit uns zu verbünden und eine kritische Betrachtung dessen zu schaffen.

FA!: Wie gestaltet sich eigentlich Eure Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Bündnissen in Leipzig? Gibt es da irgendeine Vernetzung oder Zusammenarbeit?

BgId: Wir haben bis jetzt noch mit keinem Bündnis wirklich kooperiert, aber wir sind als Einzelne auch noch in anderen Strukturen verortet und kommen aus unterschiedlichen Gruppen. Das Problem ist leider nur – wie in so vielen linken Strukturen – dass man viel vor hat, aber wenig Leute Zeit haben. Und dadurch, dass wir selbst auch in anderen Gruppen sind, haben wir auch nicht so viel Zeit für diese.

Zu Beginn des Bündnisses haben wir sehr offen im gesamten Leipziger Spektrum eingeladen und das Thema gesetzt. Da sind ein paar Gruppen gekommen, ein paar sind später wieder gegangen. Am Anfang konnten wir ja noch nicht sagen: wir haben zu spezifischen Themen eine klare Position. Wir können aber sagen, dass wir offen sind und natürlich auch gerne kooperieren.

FA!: Zu Eurer Veranstaltung, die ja ziemlich erfolgreich in der Mobilisierung war: Was wolltet Ihr mit dieser eigentlich erreichen? Und warum habt Ihr sie als Podiumsdiskussion organisiert?

BgId: Das erste Ziel war, uns als Bündnis bekannt zu machen, sozusagen in die Leipziger Öffentlichkeit und Szene einzutreten und zu sagen „Hey, wir sind da und haben den und den Standpunkt“. Natürlich war es eine Podiumsdiskussion, d.h. wir konnten nicht genuin unseren Standpunkt rüberbringen, sondern es sind verschiedene Positionen aufgetreten und jeder der dort hingekommen ist, hat am Ende was anderes mitgenommen. Die Podiumsdiskussion haben wir deshalb gemacht, weil wir dachten, wir können dadurch Leute präsentieren, die sich positiv zum Integrationsbegriff positionieren, aber auch Leute, die sich negativ darauf beziehen und dadurch verschiedene Seiten und Perspektiven auf Integration beleuchten. Und natürlich haben wir auch Menschen ausgewählt, wo wir wissen, dass sie einen kritischen Blick darauf haben, wie Rex Osa, der selbst aus einer Flüchtlingsinitiative kommt und sagt, „das hat nichts mit Integration zu tun, das ist Rassismus und ich muss damit jeden Tag kämpfen“. Das ist natürlich eine Position, die einigen Leuten, die da im Publikum gesessen haben, nicht so bewusst ist. Die aber wollten wir darstellen, dem auch ein Podium bieten.

FA!: Ihr habt ja auch ein inhaltlich sehr breites Spektrum an Referent_innen ausgewählt. Ging es Euch da eher um die Darstellung der Positionen-Bandbreite oder um ein großes, breites Publikum?

BgId: Ja, das hatte ein bestimmtes Ziel, nämlich nicht in dieser linken Szene zu bleiben, wo natürlich sowieso die meisten Menschen sagen, dass die Integrationsdebatte doof ist und wo sich alle relativ einig sind. Sondern eben auch die Menschen zu erreichen, die bspw. linksliberale Zeitungen wie die Zeit lesen. Und deshalb haben wir auch Leute wie Daniela Kolbe von der SPD eingeladen. Wir haben vermutet, dass wir mit ihr z.B. SPD-Wähler erreichen können, die sagen „Sarrazin hat ja teilweise recht“ und fördern, dass die einen kritischen Blick darauf bekommen. Also raus aus dieser jungen linken Szene und mehr in das bürgerliche Publikum rein.

Es ging uns auch darum auszuloten, was mit den potentiellen Bündnispartnern möglich ist, die sich mehr in der „Mitte“ verorten und zum Teil krasse Positionen vertreten. Wie verläuft so eine Debatte mit den Leuten? Das war auch ganz interessant und auch gar nicht so schlecht zu sehen, wie z.B. auch Daniela Kolbe argumentiert hat. Und klar macht die es sich ein bisschen einfach, denn wenn sie auf die SPD angesprochen wird, sagt sie „ich bin ja nicht die SPD, ich bin Daniela Kolbe“ und das gleiche mit Gugutschkow, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Leip­zig, der sagt „ich kann keine Bundes­po­­­­li­­tik ändern, nur lokal was machen“. Da ver­stecken sie sich eben auch gerne mal. Es bringt aber durchaus etwas diese Leute mit einer anderen Sprache zu konfrontieren und die Thematik umzudrehen, also zu sagen, es gibt ganz andere Probleme, wie rassistische Ausgrenzung und soziale Pro­bleme, die zu Ausländerproblemen gemacht werden und nicht das Problem der Aus­länder, die kein Deutsch lernen wollen.

FA!: Was ist denn Euer Resümee aus der Veranstaltung?

BgId: Wir haben natürlich hinterher gemerkt, dass nicht eine klare Position herausgekommen ist, wie wir uns das so vorgestellt haben. Wir waren aber trotzdem sehr positiv überrascht, dass es eben so voll war und so unterschiedliche Menschen angezogen hat. Wir finden sie auch insofern erfolgreich, weil wir sagen können „Jetzt kann es losgehen und weitergehen, die Men­­schen haben schon was von uns gehört und wenn sie unseren Namen auf dem Flyer lesen, dann kommen sie vielleicht wieder, weil es auch schon eine spannende Diskussion war“. Inhaltlich haben wir uns gesagt, dass wir auch gerne noch eine Veranstaltung zu Fragen machen würden, die in der Podiumsdiskussion offen geblieben sind und nicht beantwortet werden konnten.

FA!: Was wären so offene Fragen, die Ihr gerne in weiteren Veranstaltungen thematisieren würdet?

BgId: Die ganze Integrationsdebatte ist ja so riesig und spricht ja viele Themen an, wie z.B. die so genannte soziale Frage oder auch Leitkultur-Geschichten. Es ging in der Veranstaltung aber v.a. um wesentliche Positionen, wie den Begriff der Integration und die derzeitige Debatte und viel mehr kann man auch nicht von einer Podiumsdiskussion erwarten. Man kann in so eine schwammige Diskussion in diesem Rahmen auch nicht intervenieren und sagen, dass man da auch eine grundsätzliche Kritik hat, auch an den zugrundeliegenden Politikvorstellungen und -modellen und dem zugrundeliegenden Rassismus als politische Realität. Deshalb muss man einzelne Themen noch mal aufgreifen. Und da ist es uns auch noch mal ganz wichtig, zu sagen, dass die deutschen und europäischen „Probleme“ v.a. soziale Probleme sind, die kul­turalisiert werden.

FA!: Würdet Ihr auch zukünftig an der Podiumsdiskussion als Medium festhalten, oder auch mal andere Formen wählen?

BgId: Es ist ganz gut als Anfangsver­an­staltung gewesen, weil man dadurch auch ausloten konnte, wie die Leute, die auch auf dem Podium vertreten waren, und die wir tendenziell ansprechen wollen mit unserer Kritik, reagieren. Zu gucken, wie funktioniert denn so eine Debatte, also was sind die Argumente, die dann letztendlich hängen bleiben. Und auch um eine Öffentlichkeit anzusprechen, die nicht kommen würde, wenn nur Rex Osa kommt.

Also als Anfang gut, aber um eine genauere Analyse vorzustellen, ist es vielleicht nicht die richtige Form. Unsere nächste Veranstaltung wird auch ein Vortrag sein und wir werden dann schauen, mit welcher Form wir unser Ziel erreichen können. Zum Beispiel auch mal einen Text schreiben, um eine politische Fundierung darunter zu legen.

FA!: Wollt Ihr Euch in Zukunft eigentlich thematisch auf die Integrationsdebatte begrenzen, so wie das auch Euer Name suggeriert? Oder wie würdet Ihr Euer gestecktes Themenfeld eingrenzen?

BgId: An dem Themenfeld möchten wir schon dranbleiben. Es ist fraglich ob der Name irgendwann hinfällig ist, weil er veraltet ist, denn die Integrationsdebatte ist abgeflaut, auch wenn die Themen noch aktuell sind und verhandelt werden, nur eben nicht mehr unter dem Stichwort. Aber Rassismus ist in unserer Gesellschaft die ganze Zeit vorhanden und wird auch nicht in ein paar Wochen weg sein. Und deshalb bleiben wir in diesen und ähnlichen Themenfeldern haften. Wir würden auch gerne noch mehr machen, haben aber leider nicht so große personelle Kapazitäten gerade. [nächste Veranstaltung: siehe Anzeige S. 5]

FA!: Gutes Stichwort: Ihr wollt also gerne mehr werden, um mehr zu machen. Wie kann man denn bei Euch mitmachen?

BgId: Wir treffen uns im Moment alle zwei Wochen, Dienstags 20 Uhr im Linxxnet. Alle Leute, die Bock haben, können uns mailen und zu uns kommen und schauen, ob das was für sie ist. Ohne Beschränkungen. [integration.blogsport.de]

Danke für das Interview!

momo

Lokales

Hacia La Esparanza

Richtung Hoffnung

Am 28. Mai veranstaltete die Gruppe L.U.S.T. in der Gießerstrasse einen Chiapas-So­li-Abend, an dem u.a. ein Vortrag der Gruppe B.A.S.T.A. aus Münster über die dortige Situation informierte. Die eingenommen Spenden von ca. 200 Euro gehen an Bür­ger­kriegs­flücht­linge im autonomen zapatistischen Landkreis Polhó, die nicht mehr vom Roten Kreuz­ versorgt werden, aber auch nicht auf ihre Felder zurück können. Das In­terview wurde im Anschluss per E-mail geführt und gibt die persönlichen Antworten ei­nes B.A.S.T.A.-Aktivisten wieder.

FA!: 10 Jahre Gruppe B.A.S.T.A. – Wo seid ihr heute sicher und wo nicht?

Luz: Wir sind uns bei vielen Dingen über­haupt nicht sicher – wir haben mehr Fragen als Antworten… Wo es so etwas wie „Sich­er­­heiten“ gibt, das sind die Sachen, die wir ab­lehnen. Das umfasst alle Formen von Aus­beutung, Ausgrenzung, Bevor­mun­dung und Unterdrückung. Leicht ge­sagt, aber wir maßen uns nicht an, für an­dere zu sprechen und ihnen sagen zu kön­nen, was gut für sie ist. (..) Als wir uns vor 10 Jah­ren gegründet haben, um gemein­sam ein Hinter­grund­wissen zum Aufstand der Za­patistas in Chiapas/Mexiko zu er­ar­beiten, kamen wir alle schon aus außer­par­­lamentarischen linken Kreisen: Auto­no­­me, Punks, PazifistInnen und Umwelt­be­­wegte. Wir hatten von Anfang an einen pro-feministischen und libertären An­spruch, der uns viel bedeutet – ob wir das er­­reichen, ist natürlich fraglich(..) Unsere Ar­beit in den 10 Jahren besteht aus zwei Säu­len: einerseits die konkrete Unter­stüt­z­ung der zapatistischen Rebellion in Chia­pas gegen Ausbeutung, Marginali­sierung und Gewalt. Viel wichtiger ist uns da­bei aller­dings die Tatsache, dass die Com­pa­ñe­ras und Compañeros für etwas kämp­fen: für eine Welt, in der viele Welten Platz ha­­ben, wie sie es sagen. (..)

In der Praxis fahren wir u.a. als Menschen­rechts­­beobachterInnen nach Chiapas. Dies war 1997 eine Idee der von Mili­tari­sie­rung und Aufstandsbekämpfung betrof­fen­en Gemeinden, keine Initiative von „wohl­tä­tigen“ Menschen aus der ersten Welt. (..) Außerdem schreiben wir Be­richte, sam­meln Spenden und organisieren Pro­test­ak­tionen, die z.B. auf unserer Home­page doku­mentiert werden. Die zwei­­te Säule um­fasst Wider­standsaktionen hier. Denn schon 1994 äußerte die EZLN, dass die best­mögliche Solidarität der Kampf gegen jede Unter­drückung im eigenen Umfeld sei. Das Kon­zept, das die EZLN sicher nicht er­funden, sondern vielleicht aus­ge­weitet hat, be­deutet also, dass es keine Hier­­archi­sierung zwischen den verschie­den­en emanzi­patorischen Kämpfen gibt: der Gueril­lero im Dritt­welt­land ist also nicht „coo­ler“ als die Haus­frau, die sich ge­gen ihre Scheiß­situation wehrt, oder als der Schwule, der kei­nen Bock mehr auf Dis­kriminierung hat. (..)

FA!: Wie wird in Mexiko versucht, neoli­beralen Interessen und Projekten, wie dem Plan Puebla Panamá (PPP), ent­ge­gen zu wirken?

Luz: Der Widerstand basiert auf regionalen (und einem supranationalen) Netzwerken ver­­­schiedener Gruppen, die ganz klar gegen die neoliberalen Zumutungen sind und sich zum Teil auf einem hohen organisa­to­­­rischen Niveau bewegen, d.h. sie richten sich im Alltag dagegen. Zunächst einmal ver­­­suchen diejenigen, die Zugang zu Infor­ma­­tionen und Medien haben, eine kri­tische Gegen­öffentlichkeit aufzubauen. Das übernehmen oft linke Organisationen, bei ­denen auch Studierte teilnehmen. (..)

Doch oft müssen gerade die Menschen in den ländlichen Gemeinden die alltägliche Si­­tuation ertragen. Sie organisieren Bloc­kaden, verweigern „Hilfslieferungen“ und „Ent­­wicklungsprojekte“, sie besetzen Län­der­eien, sie demonstrieren, sie machen Fie­stas. Von krassen Sabotage-Aktionen muss­­ten sie bisher keinen Gebrauch mach­en. (..) Was es durchaus gab, war die Lahm­le­gung oder das Zurückbringen von Bag­gern und anderen Baumaschinen, die Zer­stör­ung bedeuten. Parallel dazu wird eine mas­si­ve Öffent­lichkeitsarbeit nach „auß­en“ betrieben, auch international. (..) Die EZLN selbst hat gesagt, dass die Reali­sie­rung des PPP in ihren Einflusszonen für die Herrschenden einem „Gang durch die Höl­­le“ gleichkommen würde. Bisher ha­ben sie meist Wort ge­halten…

Nichts­destotrotz wird der PPP weiter vor­an­­getrieben, teilweise agieren die Regie­rungen sehr geschickt und verschleiern die ein­­zelnen Teilprojekte, wie z.B. Elektri­fi­zie­rung und Straßenbau als lokale, gut ge­mei­nte Hilfsmaßnahmen. Insgesamt geht es beim PPP aber darum, Südmexiko und Zen­tral­amerika weiter für einen radi­kalen Kapi­ta­lismus zu erschließen und die Re­gionen aus­beutbar zu machen, die bisher nur schwer zu­gänglich waren. Es wird Stau­däm­me, Billig­lohnfabriken, kos­ten­pflichtige Privat­straßen, industrielle Gar­ne­lenzucht und Mo­no­kulturen geben, was zu massiver Um­welt­zer­störung und zu Auf­­lösungs­er­schei­nungen in den indigenen und länd­lichen Gemeinden führen wird. Die Bevöl­kerungsmehrheit wird haupt­­säch­lich Nach­teile erfahren, daher geht ihr Wi­­derstand weiter.

FA!: Was kannst du zu den Na­tiona­lis­mus-, bzw. Militarismus-Vorwürfen ge­gen die Zapatistas sagen?

Luz: Beim Hören des Namens „Zapa­ti­s­ti­sche Armee zur nationalen Befreiung“ wer­­den wir in Europa, besonders in Deut­sch­land, zu Recht hellhörig. Allerdings kann mensch den Begriff „national“ nicht ein­­fach von „hier“ nach „dort“ übersetzen. Die europäischen Staaten haben eine im­peria­listische Ge­schichte, Mexiko und viele an­­dere eine kolonialistische. (..) Das Land hat meist Territorium verloren und im mi­li­­tärischen Sinne keinen aggressiv-expan­siven Na­tionalismus ausgeübt. Der mexi­kanische Staat hat aber stets ein natio­na­listisches „Gebräu“ benutzt, um eine schein­­bare „Einheit“ aller MexikanerInnen zwi­schen allen Klassen und „inneren“ Gren­­zen zu manifestieren, obwohl er gleich­zeitig die Armen, Indígenas, Frauen, Homo­sexuellen und „Anderen“ ausge­schlos­sen hat. (..)

Die Zapa­tistas als größte antirassistische Be­­wegung Mexikos haben mit ihrem „Na­­tionalismus“ zunächst einmal auf eine In­k­lusion beharrt. „Wir“ kennen Na­tio­nalismus immer nur als ausschließend. Die za­patistische Bewegung besteht zu über 90 Pro­zent aus Indígenas ver­schie­dener Sprach­gruppen. Sie waren immer die Al­ler­­letzten auf der Agenda des Staates und ver­­langen nun eine Einbeziehung unter Res­­pektierung ihrer Unterschiede. Sie for­dern übrigens die Respektierung aller Mar­gi­­nalisierten!

Sie schlagen die Selbstorganisation der Men­­schen in allen Bereichen vor: Fami­lien, Straßenzüge, Stadtteile, Betriebe, Fab­ri­ken, Schulen, Universitäten, Land­wirt­schaft etc. Dies würde im europäisch ver­steh­­baren Sinne eine Art Räterepublik er­ge­­ben – ein totaler Gegensatz zu einem her­köm­­­mlichen Nationalstaat. Das meinen sie ernst. Aber vor allem sagen sie: „wir ge­h­en erst los, wir wissen noch nicht ge­nau, was kommt, lasst uns gemeinsam se­hen!“ Für linke Euro­päerInnen ist der Be­zug der EZLN auf die Nation eine harte Nuss. Für uns auch! Aber im Vorschlag der EZLN würde die „Ver­teidigung der Na­­tion“ vor allem einige staatliche Kon­trol­lmöglichkeiten gegenüber dem globali­sier­­ten Markt bedeuten. Inner­halb des Staa­­tes würden wir, wenn es denn jemals so­­weit käme, eine nie gekannte Dezentrali­sie­r­ung und Demokratisierung – eben ein Rä­­te­system – vorfinden. Hier finden sich die inneren Widersprüche zwischen in­di­ge­nen Traditionen, anarchis­tisch-sozia­lis­ti­schen Konzepten und dem Be­zug auf den Staat. Von Anfang an haben die Za­pa­­tistas außer­dem global gedacht und schlagen eine „Internationale der Hof­f­nung“ vor, ein Netzwerk von autonomen Be­­wegungen, die sich global gleichbe­rechtigt und ohne Zentrale zusammen­schlie­ß­en, ohne ihre Eigenständigkeit zu ver­lieren. 1996 gab es ein Treffen mit über 3.000 Menschen aus rund 40 Staaten im Auf­standsgebiet. Darauf­hin entstanden vie­­le Bewegungen, viele zerstrittene linke Sek­ten haben danach erstmals wieder mit­ein­­ander geredet und sich z.T. neu or­ga­ni­siert. Zusammengefasst: im europäischen Sin­­ne ist die EZLN nicht nationalistisch.

Ei­­ne Anmerkung noch: der Begriff „pue­blo“, der hier mit „Volk“ übersetzt wird, be­­deutet dort eben nicht eine völkische Ein­­heit, die bei über 50 Sprach- und Kul­turgruppen eh absurd wäre, sondern be­zeichnet das ge­sell­schaf­t­liche Unten.

Zu Militarismus kann ich sagen, dass die EZLN auf Wunsch der Unter­stüt­z­ung­s­basen existiert, die seit Jahrzehnten unter ex­­tremer Gewalt leiden. Es gibt keinen Rechtsstaat, alle friedfertigen Aktivitäten wur­­den mit Mord und Folter beantwortet. Aus dem winzigen Kern städtischer Guerilla-Kader entstand dann in einem zehn­­jährigen Prozess diese besondere Or­ga­­nisation einer basis­demokratisch organi­sier­ten Guerilla. Inner­halb der Guerilla geht es natürlich militärisch zu. Es ist be­stim­mt kein „Spaß“, in der Truppe in­vo­l­viert zu sein, es gibt einen gewissen Drill wie in militärischen Orga­nisationen und das Leben in den Bergen ist hart und un­ge­­sund. Aber die Leute wollen es. Sie er­hal­­ten dort viel Bildung und der Grad an Gleichberechtigung zwischen Frauen und Män­­­nern ist dort höher als in den Dörfern. Die EZLN hat übrigens kaum Vorwürfe we­­gen Men­schen­rechts­ver­let­zungen er­hal­ten, nur im Januar 94, als Menschen vor ihr flüchteten. Die EZLN baut keine Dro­gen an und führt auch keine Zwangs­rekru­tier­­ungen durch. Im Mom­ent machen sie vor allem Radio, was sehr gut bei der Be­völ­­kerung, auch bei Nichtzapatistas, an­kommt. Natürlich sind militärische Ver­bände trotzdem immer äußerst kritisch zu be­­­obachten. Sie sagen jedoch: „Wir sind Sol­­daten, damit es eines Tages nicht mehr nö­­­tig ist, dass es Soldaten gibt“.

FA!: Inwiefern kann die zapatistische Be­we­gung auch als libertäre gesehen werden?

Luz: Libertäre Aspekte sind vor allem in der Organisation der Gemeinden zu fin­den: Wichtige Entscheidungen werden auf Voll­­versammlungen getroffen. Wer dort ei­ne Funktion innehat, kann jederzeit ab­ge­­setzt werden, wenn er oder sie die Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Betroffenen macht. D.h., dass Funktionen vor allem eine Last, ein Dienst an der Allgemeinheit sind und außer Respekt keine materiellen Pri­­vilegien mit sich bringen. Die zapatisti­schen Ge­meinden praktizieren über die Ge­­mein­deräte, die autonomen Landkreise und die fünf politisch-organisatorischen Zen­­­tren, die „caracoles“ (Schnecken­häu­ser), in denen die „Juntas (Räte) der Guten Re­­gier­ung“ arbeiten, eine reale Selbstver­wal­t­ung. Vor allem im Bereich der Bildung und der Gesundheitsversorgung haben sie be­­achtliche Fortschritte gemacht. Ein zweiter Punkt ist, dass sie die Macht nicht do­minieren wollen. Sie kämpfen für ei­ne ba­sisdemokratische Gesellschaft, in der sie nur Teil, aber nicht Avantgarde sind. Ein drit­ter Aspekt ist das Motto „pregun­tando cami­namos“, „fragend gehen wir vo­ran“.

Dies bedeutet, dass sie nicht sagen, „wir-ha­­ben-hier-eine-Bibel-von-unserem-Ober­guru, wenn-alle-die-lesen-und-befolgen-wird-die-Menschheit-glückselig-werden“, (..) d.h. die Praxis bestimmt die Theorie.

An­­dererseits gibt es viele Dinge, die nicht an­­archistisch sind: der Bezug auf die öko­no­mischen Regulationsaufgaben des Staates z.B. Selbstverständlich ist ihre Gue­ril­la, die seit Mitte Januar 1994 nicht mehr gekämpft hat, aber noch existiert, in­­tern keineswegs libertär. (..) Sie steht im Hin­­tergrund bereit, um die Gemeinden im Extremfall zu verteidigen und sie hat bis­­her immer die politischen Entschei­dun­gen der Dörfer respektiert. Auf Gemeinde­eb­ene halten wir die Frage der Gleich­be­rech­tigung von Frauen und Män­nern noch für unbedingt verbesser­ungs­würdig. Al­ler­dings sollte gesagt werden, dass die EZLN das ­selbst öffent­lich an­ge­prangert hat und stark an einer Ver­besserung arbeitet.

FA!: Was hast du aus deinen Erfahrungen in Mexiko für Widerstand und Emanzi­pa­tion hier gelernt?

Luz: Beeindruckend ist die Offenheit der Be­­wegungen und die Bereitschaft zur Zu­sammenarbeit mit der Bevölkerung. Wenn sie Flugblätter schreiben, sind sie viel besser ver­­ständlich als hier, vielmehr am Alltag der Menschen orientiert. (..) Vor allem die in­­digenen Organisationen sind stark ver­ankert. Vielleicht können wir von dort ler­nen, dass der Kampf um Emanzipation un­ser ganzes Leben dauert, wahrscheinlich mehr­ere Generationen. (..) Viele Leute, die in Europa die obercoolen Autonomen sind, sind nach fünf Jahren wieder weg und füh­ren ein völlig angepasstes Leben. (..)

Den­­noch finden wir längst nicht alles, was die Zapatistas machen oder sagen „super“, wir begleiten sie kritisch-solidarisch! Wir kön­­nen ihr Projekt nicht einfach nach hier über­­tragen, das wäre absurd.

clara

www.gruppe-basta.de
www.chiapas.ch
www.cafe-libertad.de

Nachbarn

Einblicke ins Lagerleben

Interview mit Betty Pabst

FA!: Wie kamst Du auf die Idee, die Flücht­lings­­­­heime in Leipzig zu fotografieren?

Betty Pabst: Ich hatte schon zu meiner Zeit in Offenbach zwei verwandte Pro­jek­te: ein­­mal habe ich den Alltag in einem Frau­en­haus fotografiert, und als Vor­diplom­­ar­beit die Situation von blinden und seh­be­hin­der­ten Migranten. Ich hatte den Wunsch, mich mit diesem Thema ex­pli­zit aus­einan­der zu­setzen und habe mich erstmal auf die Suche nach Organisa­tio­nen begeben, die sich mit dem Thema be­schäftigen. Später ha­be ich be­­griffen, dass Aus­schluss, und so­mit auch La­ger als sol­che, unserem Ge­sell­schafts­­sys­tem imma­nent ist, und kein „Aus­rutscher“ oder bloße Reaktion auf eine Not­si­tuation.

FA!: Wie verlief die Kontakt­aufnahme?

BP: Über den Flüchtlingsrat in Leipzig ha­be ich die Sozialarbeiterin in der Rasch­witzer Straße kennen gelernt. Sie hat mir Kon­takt zu Flüchtlingen vermittelt und mich einigen vor­­gestellt. Ich habe erst alles Mög­liche foto­gra­­fiert, später, als ich schon in­tensiveren Kon­­takt zu einzelnen Per­so­nen hatte, durfte ich auch Porträt­auf­nahmen machen. Wir ha­ben auch viel ge­re­det und ich habe zu Fragen des Asyl­rechts in der EU, Lagersysteme und Ab­­schiebe­regelungen gelesen.

FA!: Wie hast Du die Probleme der Migrant­Innen wahrgenommen?

BP: Ein zentrales Problem, in das sie ge­zwungen werden, ist die Isolation. Das, was von ihnen lautstark verlangt wird, die In­te­­gra­tion, wird verhindert, weil ihnen der Kon­takt zu Menschen außerhalb des La­gers so er­schwert wird. Über das Leben der Flücht­linge wird vom Staat verfügt, ein­fache Dinge des Lebens, wie z.B. die Be­wegungsfreiheit und die eigene Ver­sor­gung wird in den Lagern or­ganisiert. So gibt es z.B. die Residenz­pflicht, die besagt, dass Asylsuchende nur nach vorheriger amt­licher Erlaubnis den Ort ihrer Resi­denz­pflicht verlassen dürfen. Der An­trag da­für kostet hierzulande 10 €, bei 40 € Bar­geld im Monat extrem viel. An­trägen, zu Familienmitgliedern ziehen zu dür­fen, wird oft nicht stattgegeben. Die psycho­lo­­gische Belastung der Menschen im Lager schien mir enorm zu sein.

FA!: Die Fotos, welche Du im Kuhturm aus­ge­stellt hast, vermitteln ja vor allem Eindrücke von den geräumten Flüchtlings­heimen. War das von Anfang an so geplant?

BP: Eine Idee war, die Leute an Orten ihrer Zu­­kunftswünsche zu fotografieren. Das wa­ren oft erträumte Arbeitsstellen. Ich woll­te kei­ne falschen Schlüsse zu­lassen, daher ha­be ich diese Idee ver­wor­fen. Auch die Porträts allein schienen mir wenig aus­sage­kräf­tig. Ein wic­h­tiger Teil meiner foto­grafischen Arbeit sind jedoch auch Bilder von Fotos an den Zimmer­wän­den. Diese Por­traits habe ich von den Men­schen ge­macht und einige ha­ben sie sich an die Wand ge­hängt. Diese Or­te ha­be ich fotografiert. Das schien mir eine gute Metapher für den Zwischen­zustand, in den die Leute ge­zwungen werden und der ja oft Jahre an­dauert. Überhaupt habe ich lange gebraucht, um die Situation wir­klich zu begreifen, um sie zu foto­gra­fieren, und ich arbeite weiter daran.

FA!: Was soll dann der Betrachter für Im­pressionen erhalten, wenn er nur die leeren Räume abgelichtet sieht?

BP: Ich möchte keinen Schockeffekt er­zielen, sondern wollte den Zustand des War­­tens, ausharren Müssens festhalten. Ich fand es interessanter, die begrenzten privaten Räume zu zeigen, das Pro­vi­so­rium, in dem kein persönlicher Bezug vor­han­den ist. Die Frage finde ich schwierig, weil die Betrachter ja nicht nur die leeren Räume sehen, son­dern auch die ver­mittel­ten Portraits.

FA!: Ist das Thema nicht viel zu komplex? Kann man das mit einem guten Dutzend Still­leben ausdrücken?

BP: Das ist na­tür­lich schwierig. Worum es mir geht ist, ei­nen Einstieg zu schaffen, um sich eventuell wei­ter mit dem Thema zu be­schäf­tigen. Fo­tos können meiner Meinung nach auf einer sensitiven Ebene ansprechen, Ge­fühle und Irri­ta­tionen auslösen, die im bes­­ten Fall dazu führen, über ein Thema mehr wissen zu wollen. Wie gesagt, arbeite ich wei­ter da­ran und will in Zukunft auch mehr Text ein­fließen lassen, denn Fotos können nicht viel von den Zu­sammen­hängen er­klären. Und ich finde jetzt wich­tig, ganz kon­­­kret zu werden.

FA!: Wer­den den Flüchtlingen grundsätzliche Rech­te ab­ge­sprochen?

BP: Natürlich! Es ist entwürdigend, über­haupt an diesem Ort festgehalten zu wer­den, das Essen eine Woche im Voraus be­stellen zu müssen, videoüberwacht zu wer­den, jede Be­wegung über die Stadt­gren­zen hinaus be­an­tragen zu müssen, keine Ver­fügungsgewalt über die Räum­lich­keiten zu ha­ben. Zum Bei­spiel sind da­durch auch Po­li­zeirazzien ohne Durch­suchungsbefehl mög­lich. In Aus­reise­zen­tren wie etwa Hal­berstadt bleiben den Flücht­lingen noch we­niger Rechte, und um­so mehr wird Druck auf die Menschen aus­­ge­übt, Deutsch­land zu verlassen.

FA!: Hast Du denn ein zufrieden stellendes Feed­­back erhalten?

BP: Einerseits haben sich innerhalb der Aus­­stellung gute Gespräche entwickelt. Je nach­­dem, ob Leute schon vorher mit dem Thema in Berührung gekommen sind, oder so­gar selbst in einem Asyl­be­werberlager waren oder dort gelebt haben, konnten sie in den Fotos mehr sehen, als nur das, was ich ab­ge­bildet habe. Anderer­seits habe ich fest­­ge­stellt, dass ein Raum, der erstmal „Kunst“ ver­spricht, durchaus für viele Leute Hemm­­schwellen bereithält, ihn überhaupt zu be­tre­ten. Es wäre also sinn­voller, dieses Thema im öffentlichen Raum zu platzieren. Ich suche nach Orten, die zwar öffentlich sind, aber eben auch ge­nug Ruhe und Raum bie­ten, um sich auf Bilder und Text einzulassen, nach­zu­denken und zu dis­ku­tieren.

FA!: Wie wird es weitergehen?

BP: Wir, d.h. Eva Winckler, ich [und hoffent­lich noch weitere Autor/innen] ar­bei­ten daran, eine Auswahl an Fotografien und Texten als Buch zu veröffentlichen. Auch um der Komplexität des Themas mehr ge­recht werden zu können. Außer­dem arbeite ich weiter an einem Aus­stellungs­konzept, dass wie schon erwähnt, eher im öffentlichen Raum seinen Platz finden wird.

bonz

Betty Pabst ist 30 Jahre alt, durchlief von 1996 bis 1998 eine Ausbildung zur Fotografin, absolvierte anschließend das Grundstudium in visueller Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und seit Oktober 2004 ihr Hauptstudium in Fotografie an der HGB Leipzig. Von November bis Dezember 2006 stellte sie Fotografien aus den Leipziger Flüchtlingsheimen unter dem Titel „Wartezimmer“ in der Kuhturm-Gallerie aus. www.bettypabst.de

Lokales

BUKO30: macht#netze?

Fragen zum Internationalismus-Kongress

Der 30. „Bundeskongress Inter­natio­nalismus“ (der BUKO) findet in diesem Jahr vom 6. bis 9. April in Leipzig statt. Um die 130 entwicklungspolitische Organisationen, Solidaritätsgruppen, internationalistische Initiativen, 1-Welt-Gruppen und -Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte vernetzen sich im unabhängigen Dach­verband und bilden die „Bundeskoordi­nation Internatio­nalismus“ (die BUKO) – als einen „Ort linker, herrschaftskritischer Debatten“. Diese Leute finden sich mit vielen Anderen jährlich zusammen, um zu reden, zu hören, zu streiten und vieles mehr. Eine Mitorganisatorin aus der Leipziger Vorberei­tungs­­gruppe gibt Einblick in den Entwick­lungs­prozess und in bereits gesetzte Schwer­punkte.

FA!: Wer bereitet den Kongress vor und wie habt ihr euch gefunden?

Das ist jetzt natürlich bloß meine Sicht der Dinge: Im Herbst letzten Jahres gab es mehrere Treffen im linxxnet und irgendwann hat die handvoll Interessierter – im Beisein der beiden Leute von der in Hamburg eingerichteten Geschäftsstelle – sich für einen BUKO in Leipzig ent­schieden. Wegen der mangelhaften „Rückbindung in die linken Gruppen“ war unsere Unsicherheit groß. Zusammen sitzen nun u.a. Leute von StuRa, attac, der Kamera-Initiative, aber auch „Ungebun­dene“ – viele von den „üblichen Verdäch­tigen“ haben aber entweder keine Lust auf Orga-Kram oder politische Vorbehalte. Die auch politisch heterogene Vorberei­tungs­gruppe versteht sich wie auch der und die BUKO insgesamt als undog­matisch und versucht, einen emanzi­patorischen Anspruch zu verwirklichen. Die meisten haben noch nie beim BUKO oder einem vergleichbaren Großprojekt mitgemacht und profitieren von den sammelbaren Erfahrungen.

FA!: Kannst du mir ein Bild vom aktuellen Stand geben?

Bis jetzt gab es ca. fünf bundesweite Vorbereitungstreffen in Leipzig, bei denen die inhaltliche Ausrichtung entwickelt und die Arbeitsgruppen gefunden bzw. vorgestellt wurden. Auch dazwischen gab es über eine Mailingliste viele Diskussions­prozesse z.B. zum Selbstverständnis und zur Kongresszeitung, die nun überall ausliegt. Dabei gab es auch Konflikte bezüg­lich Hierarchiebildung und Um­gangs­weisen untereinander, die leider auch Einzelne zum Ausstieg bewegt hat.

Wöchentlich trifft sich im linxxnet die lokale Gruppe, um infrastrukturelle und Leipzig-bezogene Organisationsfragen zu klären bzw. zu koordinieren. Seit kurzem gibt es außerdem ein Büro, indem jetzt die konkreten Anfragen, der zeitliche Ablauf, die Raumvergabe usw. bearbeitet werden. Der Ort steht übrigens noch nicht fest, wird aber wahrscheinlich Räumlichkeiten der Uni betreffen.

FA!: Was habt ihr inhaltlich vor?

Von den Teilnehmenden an der Vorberei­tungsgruppe werden unter fol­genden Knotenpunkten Ver­an­stal­tungen vorbe­reitet: Mi­gration, An­ti­mi­li­ta­ris­mus, Ge­schlecht, Ener­gie, Pri­va­ti­­sierung, Wi­der­­stand, Or­ga­ni­sierung und „un­­ge­woll­te An­schlüsse“.

Zu Migration ar­bei­ten Leu­te in Berlin bzw. Bran­­denburg (felS und FIB) und LeipzigerInnen (u.a. von der Umtausch­ini­tiative). Die Ini­tia­ti­ve Flughafen natofrei bereitet Ver­an­staltungen zum Thema Krieg und eine Großaktion am Ostersonntag vor. Leute aus Frankfurt planen zahlreiche Work­shops zu „Macht-Geschlecht-Po­li­tik“; die AG Energie arbeitet diesmal zur Energie­politik der G8-Staaten. Aus Bremen und Hamburg wird Privatisierung am Beispiel Bertels­mann intensiv beleuchtet. Wider­ständige Praxis und Organisierungsfragen sind ein weiteres Arbeitsfeld. Verschiedene Einzel­personen und Gruppen, bisher z.B. der Frankfurter Macht-Geschlecht-Politik-AG und der engagierten Wissen­schaft der Uni Leipzig wollen Anti­semitismus, Rassismus und andere Ver­schwörungs­theorien thematisieren.

Wer interessiert ist, kann sich in der Kongresszeitung und bald auch auf der Homepage genauere Informationen holen, das endgültige Programmheft wird er­fahrungsgemäß erst kurz vor Beginn fertig sein.

FA!: Wie und warum seid ihr auf das Motto gekommen und wo findet es sich wieder?

Sowohl Herrschaftsverhältnisse wie Ka­pitalismus, Rassismus und Sexismus, als auch die anderen genannten Themen­felder können nicht losgelöst von­einander betrachtet werden. Die Cross-Over-Konferenz 2002 stand Pate für das doppel­sinnige ‚macht#netze´. Für Wider­stand und Emanzipation ist dann sowohl ei­ne we­ni­ger pla­ka­tive An­a­ly­se nötig, als auch kollektive Er­mäch­tigung, z.B. in Form von verbindlicher Zusammenarbeit verschiedener „Ein-Punkt-Be­we­gungen“ und über Heiligendamm hinaus.

Nicht zuletzt wegen der Agenda-Setzung G8-kritischer Bewegungen gab es den Wunsch nach einem Zusammendenken der politischen Felder. Ebenso wie danach, dass das Streben nach einer freien Gesell­schaft methodisch umgesetzt wird: mehr Austausch von Erfahrungswissen, weniger Frontalsituationen, Abbau von Domi­nanz­­verhalten, Theorien für Bewegung …

Die Verknüpfung der Themen soll durch spezielle Veranstaltungen geschehen, die aber trotzdem von thematisch festgelegten Arbeitszusammenhängen vorbereitet werden. Zeit zum untereinander Ver­netzen wird es außerdem geben. In der Eröff­nungs-, Abend- und auch in der Abschluss­veranstaltung soll das Netz-Prinzip ebenso verwirklicht werden, wahrscheinlich durch Rückblicke auf 30 Jahre Widerstand und über Gespräche anhand des Kongress­mottos und der gelaufenen Workshops.

FA!: Wie wird das dann konkret ablaufen?

Das werden die Teilnehmenden zum Glück zum größeren Teil selbst in der Hand bzw. im Kopf haben, auch und ge­rade, wenn sich ein sehr umfangreiches An­gebot an Veranstaltungen abzeichnet. Es wird auch immer Raum für selbst­or­ga­nisierte Work­shops geben. Freitag gibt es inhaltliche Einführungsangebote und den großen Auftakt; Samstag laufen Workshops und eine öffentliche Abend­ver­an­staltung (noch offen). Am Oster-(marsch-)sonntag ist nach der „Phase des Zu­sammendenkens“ Zeit, aktiv zu werden (z.B. am Flughafen) und Netze zu machen, abends dann die Abschlussparty und Montag die inhaltliche Ab­schluss­veranstaltung.

Ansonsten sind wir für jede Hilfe vor und während des Kongresses sehr dankbar: Schlafplätze, Gemüse, Notfallhilfe und so weiter für 500-1500 zu Erwartende wollen auch gestemmt werden. Das Büro und das montägliche Treffen halb Acht im linxxnet freuen sich auf Besuch und Mithilfe.

Soziale Bewegung

Arbeitsgruppe AntiKa

Im Interview

FA!: Ihr habt im letzten Semester eine Kampagne gegen die Überwachungs­pläne der Universität im Rahmen des Neubaus gestartet. Mit welchen For­derungen seid ihr angetreten?

VdAK: Unsere weitreichendste Forderung ist, die Uni zu einem überwachungsfreien Raum zu machen. Diesem Ziel wollten wir im Rahmen unserer Mittel möglichst nahe kommen.

FA! Wie nah seid ihr denn diesem Ziel gekommen?

VdAK: Naja, der größte Skandal war für uns, dass auch die Hörsäle überwacht werden sollten, daher haben wir das als Auf­­­hänger für die Kampagne „SMASH SURVEIL­LANCE“ genutzt. Und in diesem Punkt haben wir tatsächlich Erfolg gehabt.

FA!: Die Pläne der Unileitung waren ja nun schon ausgemachte Sache. Wie habt ihr es geschafft, sie davon abzubringen?

VdAK: Erst einmal haben wir Öffentlichkeits­arbeit in Form von Infoständen, einer Podiumsdiskussion, Unterschrif­ten sammeln und Pressemit­­teilung­en gemacht. So wichtig das auch war, hat den Ausschlag für die Änderung der Pläne ein Rechtsgutachten von Prof. Degenhardt gegeben (der ironischerweise auch maß­geb­­lich an der Klage gegen die Studien­gebührenfreiheit beteiligt war), das ohne die studentische Initiative wohl aber nicht zu Stande gekommen wäre. Fakt ist, dass Hörsaalkameras dem Grundrecht von Freiheit der Lehre und Forschung derart widersprechen, dass sie juristisch im Prinzip nicht durchsetzbar sind.

FA!: Wie hat die Unileitung auf eure Aktionen reagiert?

VdAK: Zunächst hat sich die Uni­leitung in Person von Kanz­ler Frank Nolden auf unserer Podiumsveranstaltung am 24.04.06 in der Mo­ritz­bastei für die Hörsaalkameras ausgespro­chen, mit den großartigen Argumenten, man müsse Diebstähle verhindern und kontrollieren können, ob das Licht aus sei. Das kam sowohl bei den Anwesenden als auch in der Presse eher schlecht an. Auch der Datenschutz­beauftragte Thomas Braatz, der uns anfänglich nicht einmal In­formationen zu den Plänen geben wollte, hat uns schließ­lich ernst genommen und mit uns zusammen gearbeitet. Mitte des Semesters hat das Studentenwerk die Webcam-Pläne für die Mensen auf unseren Druck hin zurückgenommen. Schließlich erhielt die Unileitung das besagte Rechtsgutachten, hatte an­scheinend wenig Lust auf weitere Aus­einander­setzungen und hat in der Frage der Hörsaalkameras eingelenkt. Das Rektorat sprach dann von einem „Kommunikationsproblem“, was so nicht stimmt, da die Installationspläne zu Beginn der Kampagne „SMASH SURVEIL­LANCE“ bereits beschlossene Sache waren.

FA!: Wie haben die Studierenden darauf reagiert, wieviel Unterstützung habt ihr da erfahren?

VdAK: Es gab erst mal viel Sympathie und Interesse, wir haben einige hundert Unterschriften gesammelt. Konkrete Unterstützung gab es dagegen nur von einer handvoll Studierender. Für eine Kampagne dieser Art reichen ein paar motivierte Leute aber auch aus, man muss eben taktisch arbeiten. Insgesamt hat sich gezeigt, dass erfolg­reiche Basisorganisation nötig und möglich ist, um Vorhaben, die unseren Interessen entgegenstehen, zu verhindern. Nebenbei hat es auch allen sehr viel Spaß gemacht, inklusive der großartigen „Victory Party“ auf dem Baustellencampus.

FA!: Wie soll es denn im nächsten Semester weitergehen. Habt ihr schon Ideen?

VdAK: Solange es Kameras gibt,braucht es eine AntiKa! Wer also Interesse hat mit­zu­machen: www.uni-leipzig.de/-antika

wanst

Spanien im „Kampf der Erinnerungen“

Berneckers und Brinkmanns „Kampf der Erinnerungen“ (Verlag Graswurzelrevolution) beschäftigt sich mit dem aktuellen Forschungsstand der Erinnerungskultur in Spanien.

Den Anfang macht ein 70seitiger Abriss über den Spanischen Bürgerkrieg: Kriegsverlauf, internationale (Nicht)Einmischung, die Konflikte im republikanischen und nationalistischen Lager, die Rolle der durch Stalin gesteuerten kommunistischen Partei, die Rolle der Kirche, Anarchismus in der Praxis: die soziale Revolution… Nach dem Niederwerfen des Militärputsches am 19.7. 1936 durch sich selbst bewaffnende Arbeiter und Bauern kam es zu spontanen und dezentralen Kollektivierungen in Landwirtschaft und Industrie. Die Kollektivist/innen waren zu einem großen Teil in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT, mit zwei bis drei Millionen Mitglieder, organisiert, gehörten aber auch zur Basis der, der sozialistischen Partei nahestehenden, UGT. Es fand eine soziale Revolution statt, um eine sozialistische, rätedemokratisch strukturierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu errichten, die sich gegen die Grundlagen der bestehenden bürgerlich-kapitalistischen Ordnung wandte.

Auch die unter Anderem durch den Kriegsdruck stattgefundenen Wandlungen in den anarchistischen Organisationen, werden beleuchtet … So stellen die Autoren angesichts der Übernahme von Ministerposten durch Anarchist/innen fest: „In dem Maße, in dem die Spontanität der Massen kanalisiert und kontrolliert wurde, nahm die Revolution von ihren ursprünglichen, herrschaftsfreien Zielen Abstand; sie engte ihren eigenen Aktionsraum zusehends ein und erweiterte damit das Wirkungsfeld des Staates, der als übermächtige Struktur schließlich in alle gesellschaftlichen Bereiche vordrang“.

Es folgt eine Darstellung der Repression des Franco-Regimes, wie der Siegerdiskurs installiert und die Diktatur ideologisch legitimiert wurde. Im Anschluß wird der Umgang mit der Repression in der postfaschistischen Gesellschaft beleuchtet. Auch regionale Erinnerungsdiskurse im Baskenland oder Katalonien werden angesprochen. Zu diesem ganzen Komplex haben wir dem Autor Walther Bernecker im Rahmen eines Interviews mit Radio Blau einige Fragen gestellt.

Beim „Syndikat A“ (www.syndikat-a.de) ist zum Thema Soziale Revolution in Spanien vor kurzem eine einführende Broschüre herausgekommen und auf www.fau.org und in der Libelle-Bibliothek gibts auch mehr an Texten und Büchern zu lesen.
Walther L. Bernecker/Sören Brinkmann:
Kampf der Erinnerungen – Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006
Verlag Graswurzelrevolution, 378 Seiten, 20,50 EUR, ISBN 3-939045-02-0
www.graswurzel.net

 

Interview

Herr Bernecker, können Sie kurz den Hintergrund ihres Buches anreißen?

 

Es geht um die Frage: Wie gehen post­diktatoriale Gesellschaften mit ihrer diktatorialen Vergangenheit um und konkret, wie geht die spanische Gesellschaft mit dem Bürgerkrieg um.

 

Sie hatten bereits einige Veröffentlichungen zu den Themen Bürgerkrieg und Revolution in Spanien. Wie kamen sie dazu? Was hat sie da fasziniert?

 

Also da gibt es zwei Antworten: Die eine Antwort ist rein biographisch, sozusagen lebensweltlich und hängt mit meiner Vergangenheit zusammen. Ich bin in Spanien aufgewachsen, dort auf die Schule gegangen und habe von daher schon immer eine enge Beziehung zu Spanien. Die zweite Antwort ist, dass ich zur Zeit meines Studiums voll in die 68er Bewegung reingekommen bin. Ich gehörte dieser Bewegung an und wir Studenten haben damals alle immer für Autonomie gekämpft, wir haben für Selbstverwaltung plädiert. Und immer wieder kam die Rede auf die Spanische Revolution, auf den Anarchismus in Spanien, auf die Selbstverwaltungskollektive im Spanischen Bürgerkrieg. Aber Tatsache ist, dass keiner von uns so recht darüber Bescheid wußte. Ich bin ja Historiker von Beruf, damals war ich Geschichtsstudent. Da ging ich auf die Suche nach Materialien und stellte fest, dass das ein Thema ist, das noch über­haupt nicht bearbeitet wurde. Ich spreche jetzt wohlgemerkt von der Zeit Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre. Und dann entschied ich, mich mit diesem Thema intensiver zu beschäftigen. Ich wurde ja damals immer wieder gefragt, wie es sich mit dem Anarchismus in Spanien verhielt. Auch ich wußte es damals nicht so genau. Und das ist gewissermaßen der Hintergrund meiner Beschäftigung mit diesem Thema, das mich dann viele Jahre, ja Jahrzehnte nicht mehr losgelassen hat. Ich habe darüber promoviert und auch eine Reihe von Veröffentlichungen vorgelegt und im Grunde beschäftige ich mich noch heute damit.

 

Nun der „Kampf der Erinnerungen“: warum ausgerechnet zur jetzigen Zeit dieses Thema und welche Erinnerungen kämpfen überhaupt miteinander?

 

Also das Thema ist höchst aktuell. Ich muß ein klein wenig ausholen dabei: Natürlich erinnert sich eine Gesellschaft immer ihrer Vergangenheit. Aber im spanischen Fall ist es etwas anders gekommen. Am Ende des Bürgerkriegs bestand für die unterlegenen Republikaner und zwar für die Republikaner aller Schattierungen, damit meine ich Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten, Liberale, Demokraten, nicht die Möglichkeit, ihre Vergangenheit in dem Sinne aufzuarbeiten, daß man darüber publiziert, dass man darüber diskutiert. Die Unterlegenen hatten keine Chance der Aufarbeitung. Spanien ist also bis zum Tode Francos 1975 ein Land geblieben, wo über die Frage, was im Bürgerkrieg eigentlich geschehen ist, nicht frei diskutiert werden konnte. Die einzige Sichtwiese die es gab, war immer die offizielle Sichtweise der Sieger. Das hat sich nach 1975 geändert, aber nicht radikal. 1975 wurde zwar die Zensur abgeschafft, aber auch dann ist man in der spanischen Gesellschaft nicht frei mit dem Thema umgegangen, weil es so etwas wie einen unausgesprochenen Pakt gab. Man spricht von einem Pakt des Schweigens. Der Pakt des Schweigens bestand darin, in den Jahren nach Francos Tod im Übergang zur Demokratie diese Themen, also den Bürgerkrieg, die Repression, die Auseinandersetzungen, die Kämpfe, den Bruderkrieg, nicht zu thematisieren, nicht in der Gesellschaft Rechenschaft zu fordern, von den Leuten die noch lebten, damit die Gräben wie sie in den 30er Jahren bestanden in den 70er Jahren nicht wieder aufgerissen würden, damit der Übergang in die Demokratie einigermaßen glimpflich vor sich gehen konnte. Und an diese Maxime hat man sich in Spanien gehalten, mindestens bis weit weit in die 80er und eigentlich bis in die 90er Jahre. Und erst als sich die Demokratie definitiv stabilisiert hatte und auch eine neue Generation herangewachsen war, da hat man begonnen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Nämlich der Frage, wie sich die spanische Gesellschaft an ihre Vergangenheit erinnert.

Und auf die Frage, welcher Kampf ist das eigentlich, so möchte ich erst einmal einleitend sagen, dass es im Wesentlichen natürlich zwei Sichtweisen gibt: Es gibt die Sichtweise der Sieger, die gibt es bis heute. Und was heute immer stärker zum Tragen kommt, ist die Sichtweise der Besiegten, die endlich, 70 Jahre nachdem der Bürgerkrieg begonnen hat, wirklich die Chance haben in Form von Memoiren, in Form von Literatur, in Form von historischen Darstellungen, ihre Sichtweise durchzusetzen, ihre Sichtweise zum besten zu geben. Und in der Tat: Wenn man sich die Literatur anschaut, dann ist sie überwiegend von Testimonialliteratur geprägt, also von Leuten, die unmittelbar selber betroffen sind, oder von Historikern, die zumeist versuchen, die Perspektive der republikanischen Seite darzustellen. Das aber ist ein Phänomen der letzten ungefähr sieben bis neun Jahre, nicht länger, und wenn wir also bedenken, dass der Bürgerkrieg 36 bis 39 war, und wir sprechen jetzt von einem Phänomen Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts, dann sehen wir, welche enorme Zeitspanne verfließen mußte, bis in Spanien endlich definitiv und ernsthaft und ohne Voreingenommenheit über die Probleme diskutiert wird.

 

Welche neuen Erkenntnisse haben sie in ihrem Buch verarbeitet?

 

Wir haben in diesem Buch die historischen Erkenntnisse, der letzten fünf bis sieben Jahre verarbeitet, das sind Dinge, die man vor zehn Jahren noch gar nicht wußte, zum Beispiel die Anzahl der von Franco umgebrachten Personen. Hier konnte man in der Literatur die abenteuerlichsten Zahlen lesen. Das begann bei einer Million Toten über 500 000 oder 300 000 Toten. Heute weiß man ziemlich genau, dass es sich um eine Größenordnung von 140 000 handelt.

Ein weiteres Beispiel: Wie wurden die unterlegenen Republikaner behandelt? Also das ganze System der Konzentrationslager, der Arbeitsbataillone, der Verfolgung, der sozialen Erniedrigung…

 

Sind auch die militärischen Opfer dabei?

 

Nein, ich spreche nicht von den an der Front Gefallenen, ich spreche von denen, die liquidiert worden sind. Aber wir haben auch eine Zahl von denen, die auf republikanischer Seite umgebracht wurden, da bekanntlich auf republikanischer Seite nicht gerade nur gute Menschen waren. Da liegen die Zahlen inzwischen bei ungefähr 50.000*. Also man sieht an der Relation, ungefähr das dreifache an Toten durch die franquistische Seite.

 

Gibt es einen eigenen anarchosyndikalistischen Erinnerungsdiskurs?

 

Diese Erinnerungsdiskurse sind zum großen Teil nicht parteipolitisch, sie sind auch nicht ideologisch in dem Sinne, dass es einen gesonderten Diskurs gäbe, sagen wir der Anarchisten, der Sozialisten, der Kommunisten. Es hat in der Übergangszeit so etwas gegeben. Es hat auch Auseinandersetzungen auf der Seite der Linken gegeben, die unterschiedliche Vorstellungen hatten, was z.B. auf die Mahnmale geschrieben wird, wie man mit den früheren Verbrechern umgehen soll. Aber das waren eher die Ausnahmen. Wir gehen in unserem Buch auf einzelne Beispiele ein. Im Großen und Ganzen muß man aber sagen, geht der Diskurs auf Seiten der unterlegenen Republikaner, in einem weiten Sinne nicht parteipolitisch differenziert, gegen den Diskurs der Sieger vor. Und insofern lässt sich praktisch die Frage gar nicht beantworten, ob es einen eigenen anarchosyndikalistischen Aufarbeitungs- oder Erinnerungsdiskurs gibt. Im Großen und Ganzen, möchte ich meinen, gibt es den nicht. Es gibt auch keinen eigenen sozialistischen oder eigenen kommunistischen. Die Repression der Franquisten war gegenüber den Anarchosyndikalisten genauso wie gegen die Sozialisten oder Kommunisten oder Liberalen. Hier wurde kaum differenziert und deswegen würde es auch wenig Sinn machen, anhand der alten ideologischen Gräben unterschiedliche Diskurse zu führen.

 

Wenn Sie sich die aktuelle Debatte um den rechtsextremen Bestseller Pio Moas anschauen: Ist das ein Rückschlag im Kampf der Erinnerungen?

 

Das ist ein Phänomen. Die ernsthafte Historiographie in Spanien ist heute überwiegend linksliberal. Das Leute wie Pio Moa oder Fesal Vidal oder ähnliche Revisionisten derartigen Erfolg haben, ich meine quantitativen Erfolg, was die Verkaufszahlen dieser Bücher betrifft, das hängt sicherlich damit zusammen, dass es sich hierbei um eine Art Gegenbewegung gegen den Mainstream der Historiographie handelt. Und diese kommt sehr gut an bei einem Großteil der historisch-politisch interessierten Öffentlichkeit, die aber eben nicht die Bücher der etablierten Historiker, sondern gerade die vereinfachte Sicht der Dinge lesen möchte und zwar aus einer konservativen Perspektive. Die ist ja sehr stark in Spanien, wenn man bedenkt, dass die konservative Partei einen Großteil der Bevölkerung erreicht.

 

Ist der Spanische Bürgerkrieg inzwischen erschöpfend erforscht?

 

Der Bürgerkrieg ist sicherlich ein Thema, das außerordentlich gut erforscht ist. Wir haben aber schon wiederholt in der Vergangenheit gesagt, jetzt müsste doch alles erforscht sein, und das war eben nicht der Fall. Zum Beispiel die Frage einer genauen Quantifizierung und auch Systema–tisierung der Repression. Das ist bis heute noch nicht erschöpfend geschehen. Wir wissen heute nur ungefähr von 50 bis 60 % der Provinzen, wie die Repression erfolgte, also 40 % sind noch gar nicht erforscht. Die klassischen Themen sind weitgehend aufgearbeitet: Militärge–schichte, internationale Geschichte, innenpolitische Fragen, sozioökonomische Fragen der Sozialen Revolution. Mögli–cherweise wird es hier auf lokaler und regionaler Ebene immer noch was zu tun geben, aber die großen Fragen sind beantwortet. Wo auch noch viel zu tun sein wird, ist an dem was wir Kulturgeschichte nennen können, und zwar auf beiden Seiten, sowohl auf der republikanischen Seite, wie auf der nationalen Seite. Und ich denke, dass ich mich auch an dieser Diskussion beteiligen werde, wenigstens mit einem kleinen Körnchen Forschung. Also ich habe schon vor bei diesem Thema zu bleiben.

 

 

KFM

* in dieser Zahl sind auch die Opfer innerrepublikanischer Konflikte enthalten, wie z.B. die Repression der stalinistischen Geheimpolizei, wobei es dahingehend keine gesicherten Zahlen gibt.