… niemals aber die Ideen.
Aus aktuellem Anlaß schieben wir dieses Mal die nackte Theorie(-geschichte) beiseite, um eine Veranstaltung zu vertiefen, die am 20. Juni in der Libelle (siehe S. 1) stattfand. Im Schatten von AC/DC und den auch nicht mehr ganz frischen Stones hatte Leipzig noch viel älteren Besuch. Zu Gast für einen spannenden Abend, eine kurze Nacht und einen langen Morgen war Abel Paz (81), der auf seiner Reise durch Europa auch Leipzig auf seine Route setzte. Die Gesprächsrunde, zu der zwar 1000mal weniger Menschen als auf der Festwiese kamen, die aber die Libelle aus allen Nähten platzen ließ, war durch das taffe Auftreten des Achzigjährigen geprägt, in dessen wachen Augen sich der glühende Verfechter sozialer und anarchistischer Ideen widerspiegelte. Es war eine Begegnung der vielen Fragen und einiger Antworten, ein Gespräch zwischen Jugend und Alter, eine gegenseitige Erfahrung. Am nächsten Morgen gab uns Abel die Chance, ihm noch einige Fragen zu seinem Leben, dem Spanischen Bürgerkrieg, zu seinem politischen Handeln, zu seinen Haltungen, zu seinen Ansichten über soziale Bewegungen zu stellen. Eine gekürzte Fassung der Transkription einer Tonaufnahme drucken wir hier ab.
Momentan bist Du auf Tour.Was bewegt Dich dazu, mit fast 82 Jahren solch’ eine Sache zu machen?
Ich denke man geht nie in Ruhestand. Wenn jemand etwas zu sagen hat, ist das Alter egal … Er geht dorthin, wo ihn die Leute hören wollen. Und wenn du glaubst, dass deine Ideen dazu beitragen können, die Welt zu verändern, ist es um so besser, je mehr Leute hinter dir stehen.
Wie sind Deine Eindrücke von der Reise?
Nun gut, viele Leute, viele junge Leute, die sich für libertäre Ideen zu interessieren scheinen. Mehr weiß ich noch nicht, die Reise hat ja gerade erst angefangen.
Was möchtest Du mit diesen Reisen erreichen?
Nichts, ich habe mir nichts vorgenommen. Ich mache keine Propaganda für eine Partei, ich habe mir lediglich vorgenommen, die Dinge so zu verändern, dass sich die Leute über die Probleme der Gesellschaft und die Probleme, die sie umgeben, bewußt werden.
Wenn die Leute von dir hören, was denkst du, interessiert sie am meisten? Die Bedingungen während des spanischen Bürgerkrieges oder anarchistische Ideen? Wie schätzt du das ein?
Ich hab keine genaue Vorstellung davon, was die Leute denken, weil sie keine persönlichen Fragen stellen. Es kommen Fragen über das, was die Leute gelesen haben. Aber generell fragen die Leute nicht einfach so, sondern in Bezug auf das, was sie gelesen haben und die Zweifel, die sie daran haben.
Was hat dich dazu bewegt, mit 14 Jahren in die CNT einzutreten? Wie bist du mit anarchistischen Ideen in Kontakt gekommen?
Meine Eltern waren Anarchisten. Die historischen Umstände haben mich dazu gebracht – wie tausend andere auch. Es war nicht nur der Kampf für den Anarchismus, sondern ein sozialer Kampf. Es waren ganz andere historische Umstände als heute. Wir Kinder haben nicht gespielt, mit acht Jahren waren wir schon erwachsen. Das ist das Gleiche wie heute in Südamerika, wo achtjährige Kinder in den Minen arbeiten.
Als Redakteure interessiert uns natürlich auch, welche Rolle die anarchistischen Zeitungen in der Bewegung gespielt haben. Wie wichtig war dieses Medium für dich und andere? Gibt es Unterschiede zu den heutigen Medien?
Nun, damals war das eine Bewegung, die die ganze Gesellschaft umfasste, und die Zeitungen und Zeitschriften haben eine wichtige Rolle gespielt. Sogar Diaz de Almoral hat erzählt, wie in den Betrieben einer die Zeitung vorlas, während die anderen zuhörten. Es gab viele Analphabeten, aber die Leute waren neugierig. Ohne Kultur wirst du nie eine Revolution machen, noch wirst du irgendjemanden darauf vorbereiten.
Man muss die Ungerechtigkeit zerstören, und man muss die Ungerechtigkeit verstehen, sonst ist es nur eine Revolte von Verzweifelten, und wir waren verzweifelt. Wir wollten die Revolution, um die sozialen Ungerechtigkeiten abzuschaffen, daher diskutierten die Leute über das, womit sie nicht einverstanden waren, wie alles anders funktionieren könnte, und es gab immer ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten im und durch den sozialen Kampf.
Welche Medien nutzt du heute und was fehlt deiner Meinung nach?
Das, was es früher gab, fehlt heute: eine soziale Kultur. Nicht so eine Kultur “light” wie wir sie heute haben, sondern eine soziale Kultur, die sich vertiefend mit den Problemen beschäftigt. Die heutigen historischen Umstände sind nicht vergleichbar. Ich denke immer an die Vergangenheit, und die Vergangenheit ist ganz anders als das Jetzt
Es war zum Beispiel nicht komisch, dass man in das Haus eines Arbeiters kam, und dieser eine Bibliothek mit 100 oder 200 Bänden besaß. Er kaufte die Bücher für seine Enkel, für seine Kinder. Es gab ein Interesse, die Probleme zu verstehen, das heute nicht mehr da ist. Der Kapitalismus hat es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft, die Arbeiter- und Kulturbewegung zu zerstören. Daher ist die heutige Kultur ein „barniz”. Wisst ihr was ein „barniz” ist? Wie ein französischer Schriftsteller einmal gesagt hat: ‚Das ist wie ein „Barniz“ – ein Lack, den man auf einen dünnen Stock aufträgt, um ihn als Spazierstock durchgehen zu lassen.‘
Es gibt keine Kultur mehr. Was man heutzutage unter Kultur versteht, ist keine Kultur. Ich habe ein tieferes Verständnis von Kultur; heutzutage gibt es eine Menge Erkenntnisse, aber es handelt sich nicht um auf Vernunft gründendes Erkennen sondern … Wer von euch hungert? Niemand. Was für eine Revolution werdet ihr machen? Nicht dass man Revolutionen nur machen könnte, wenn man hungert, aber ich meine, wenn ungerechte soziale Bedingungen herrschen … aber heute leiden die Leute nicht unter sozialer Ungerechtigkeit und sind daher auch nicht unzufrieden mit der Gesellschaft, es handelt sich eher um einen “folkorischen” als um einen wirklichen Kampf.
Wenn wir heutzutage von Anarchie und Anarchismus reden, stoßen wir auf viele Vorurteile und Probleme. Das macht die politische Arbeit nicht leichter, nach innen und nach außen. Wie sah das Selbstbild der anarchistischen Bewegung aus, während der Kriegsjahre, einer Zeit, die hier oftmals als “kurzer Sommer der Anarchie” (Enzensberger) bezeichnet wird? Bzw. wie war das Verhältnis zur übrigen Bevölkerung? Wie gestalteten sich die Kontroversen innerhalb der Gruppen? Gab es große Differenzen bezüglich der Mittel und Perspektiven…? War nach außen viel Agitation und Propaganda nötig? Oder fanden die Menschen quasi von selbst zu anarchistischem Denken und Handeln?
Die Vergangenheit? Es ist absurd, über die Vergangenheit zu sprechen, weil die heutigen historischen Umstände nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Wenn ihr die deutsche anarchistische Bewegung ein bisschen kennen würdet, würdet ihr nicht solche Fragen stellen. Nun, Theater und Literatur spielten eine sehr wichtige Rolle. Alles drehte sich um die damaligen Bedürfnisse. Heute gibt es diese Bedürfnisse nicht mehr, gestern abend zum Beispiel waren diese Musiker da (die Rolling Stones). Hunderte von Leuten waren auf der Straße. Ich hab nichts gegen Musik oder gegen diese alten Herren, aber ich denke, dass viele dieser Leute nicht wegen der Musik da waren, sondern wegen der “ Folkore” (dem Event, A.d.Ü.) Sie haben achtzig Euro dafür bezahlt, einen netten Abend zu verbringen und das war es. Die Musik spielt heutzutage keine so wichtige Rolle wie damals.
Das Theater spielt auch keine so wichtige Rolle mehr wie damals, weil es den Leuten damals eben ein Bedürfnis war. Heutzutage werden Bedürfnisse vorgegeben, davon lebt der Kapitalismus. Die jetzige Gesellschaft ist nach kapitalistischem Maß geschneidert, nicht nach den Maßstäben der Gesellschaft. Den Männern und Frauen werden Bedürfnisse induziert, die sie gar nicht haben. Diese Bedürfnisse werden ihnen “gemacht” und sie passen sich an diese Bedürfnisse an. Dies ist eine sehr fiktive Gesellschaft, eine Konsumgesellschaft, man muss konsumieren, konsumieren, konsumieren……
Du hast die Revolution persönlich miterlebt. Wie hast du die Kollektivierung und den Unterhalt der Betriebe erlebt? Warum ist die Selbstverwaltung der Fabriken gescheitert? Geschah dies aufgrund der Repression des Franco-Regimes oder gab es auch andere Motive?
Sie ist nicht gescheitert. Sie war die einzige Revolution, die es jemals gab, bei der die Arbeiter die Wirtschaft in ihre eigenen Hände genommen haben, sie haben sie (die Wirtschaft) weiterentwickelt, nicht zum Nutzen der Bourgeosie sondern zum Nutzen aller. Aber sie ist nicht gescheitert! Während der 32 Monate, die die Revolution dauerte, haben die Arbeiter die Wirtschaft übernommen. Und sogar heute entwickelt sie sich, so dass die Menschen in Argentinien, in Buenos Aires, Fabriken besetzen und selber verwalten.
Revolutionen enden nicht, Revolutionen haben ihren Wert in den Ideen, die sie entwickeln. Diese Ideen können durch die Repression niedergedrückt werden, aber sie bleiben weiter bestehen. Revolutionen tragen ein Erbe mit sich, welches man “ historisches Gedächtnis “ nennt. Zum Beispiel die Ereignisse im Mai ‘68 in Frankreich, die die Ideen widerspiegeln, die sich in Europa entwickelt haben. Die Russische Revolution hat keine Ideen hervorgebracht, sondern die Bürokratie, deswegen hatte sie kein historisches Gewicht. Sie hat keine eigenen Ideen entwickelt, die Ideen wurden unterdrückt. Die sowjetischen Arbeiter haben anfangs versucht, die Probleme zu lösen und die Selbstverwaltung einzuführen, aber die Partei hat das nicht interessiert. Es war eine Revolution gegen die Arbeiterklasse. Wir dagegen waren die Arbeiterklasse, die Revolution machte. Es gab keine Bürokratie, die die Arbeiter daran hinderte, das zu machen, was sie machen wollten, daher entwickelten sich ökonomische Prinzipien, die auf Egalität, Brüderlichkeit und Solidarität basierten, und diese sind nicht gescheitert, weil wenn sie scheitern, scheitert der Mensch, und der Mensch kann in seinen Ambitionen nicht scheitern.
Heutzutage bewertet man die Sachen. Viele Leute glauben, dass die Revolution wegen der Repression gescheitert ist. Nein, sie ist nicht gescheitert, sondern sie wurde, da sie keinen Widerhall fand, von den ihr überlegenen Kräften niedergeschlagen, nicht aber die Ideen. Die mexikanische Revolution zum Beispiel: Mit Zapata starb nicht die mexikanischen Revolution. Der Beweis dafür ist, dass diese Ereignisse 1918 stattfanden und die Idee des Kollektivismus, die Zapata entwickelt hat, immer noch besteht. Es gab kein Scheitern. Das ist eine sehr bürgerliche Vorstellung, ein Geschäft kann vielleicht scheitern… (ich weiß nicht, ob ich mich verständlich genug ausdrücke)
Es gibt einen sehr bedeutenden Film. “El pan nuestra de cada dia” („Unser täglich Brot“) Er ist sehr wichtig, weil es um das Prinzip des Kollektivismus geht, er spielt in den USA, während der Krise von ‘29. […] Ich kann den Film nur weiterempfehlen, es lohnt sich ihn anzuhalten, um die Sachen zu erklären, er enthält viele didaktische Elemente, man kann ihm nicht in einem Rutsch sehen, man muss ihn anhalten und kommentieren. Ich kann euch nur empfehlen das zu tun.
Ein anderer sehr bedeutender Film ist “Espartaco” („Spartakus“). Er behandelt die ganzen Probleme der Revolution. […]
Ich empfehle euch auch “Tiempos Modernos” („Moderne Zeiten“) anzusehen und zu kommentieren – anzuhalten. Videokassetten haben den Vorteil, dass man sie anhalten kann.
In “Espartaco” ist es außerdem die Liebe, die die treibende Kraft der Revolution ist. Wenn es bei einer Revolution keine Liebe gibt, ist es keine Revolution. Die emotionale Kraft, die Spartakus bewegt, ist die Liebe. Als sie ihn zum Schluss kreuzigen, fragt ihn der Dichter, ein Junge, der mit ihm unterwegs ist, “War es das wert? “ und Spartakus antwortet ihm: “Natürlich war es das wert. Wir haben gezeigt, was soziale Ungerechtigkeiten sind und “Nein” dazu gesagt.” Es ist es wert, auch wenn du scheiterst, scheiterst du nicht, sie mögen dich zwar niederschlagen, aber das hat überhaupt nichts mit Scheitern zu tun. Die Niederschlagung ist eine Geschichte für sich.
Die zwei Protagonisten der spartakistischen Bewegung in Deutschland sind Rosa Luxemburg und Gustav Landauer. Landauer in München, die Republik der Arbeiterräte, war bedeutender als Berlin, weil Berlin früher niedergeschlagen wurde.Wenn die Leute nur mehr über diese Bewegungen wüssten, über das, was in Deutschland nach Ende des Krieges passiert ist. Es ist wichtig, da es in Deutschland stattgefunden hat, und ich würde euch gerne fragen, was ihr über die spartakistische Bewegung wisst.
Ich denke, es gab sehr wichtige Ereignisse hier in Deutschland, und bevor ihr euch mit dem beschäftigt, was wo anders passiert, solltet ihr erst einmal die Konsequenzen aus dem ziehen, was in eurem eigenen Land passiert. Die spanische Revolution ist sehr wichtig, aber die historischen Umstände sind andere. Genauso wie die historischen Umstände hier zu Zeiten des Spartakismus (weiß nicht genau, ob es da so gibt, eher spartakistische Bewegung? A.d.Ü.) andere waren. Wenn es zwischen Russland und Deutschland keinen Frieden gegeben hätte, wäre die Bewegung größer geworden und hätte in einer Revolution geendet, die sich auf ganz Europa ausgebreitet hätte, was wir Spanier versucht haben. Die Revolution im Frieden auf ganz Europa auszuweiten, genau da ist der Leninismus gescheitert, an der Revolution, die nur in einem einzigen Land stattfindet. Ich vermische verschiedene Sachen, aber was ich sagen will ist, dass ihr durch dass Diskutieren des Problems des Spartakismus ganz genau überprüfen könnt, welches die Fehler der Kommunistischen Partei waren. Es ist sehr wichtig, die Fehler der Kommunistischen Partei in Deutschland zu kennen, das ist für euch wichtiger als die spanische Revolution.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele deutsche Anarchisten in die sozialistische Partei eingetreten, um ein Erstarken des Faschismus in Deutschland zu verhindern. Welche Ähnlichkeiten gibt es da zu Spanien?
Im Grunde gibt es schon Ähnlichkeiten, aber nicht in der Art und Weise. Das was ich versucht habe zu erklären, ist, dass die Spartakisten eine sehr bedeutende Sichtweise haben (…………) allerdings war Rosa Luxemburg keine Trotzkistin, und Gustav Landauer wurde vergessen. Beides sind Personen, die man aufgrund dessen, was sie gemacht haben, und was sie zur sozialen Geschichte Deutschlands beigetragen haben, nicht vergessen sollte. Die Leute in Spanien interessieren sich für das, was im Ausland passiert, weil sie Angst haben, darüber zu sprechen, was in Spanien selbst passiert. Hier gibt es die gleiche Tendenz, weil die Leute Angst haben. Es sind die Ängste, aus denen Diktaturen geboren werden und sie befinden sich immer noch in den Köpfen der Leute. Wir haben uns zum Beispiel mit Pinochet angelegt, Franco allerdings haben wir vergessen, und Franco hat 250.000 Leute erschossen und keiner spricht darüber in Spanien, aber über Pinochet reden wir, weil das weiter weg ist.
Nach dem Sieg Francos gingst du in den Untergrund und wurdest mehrere Male verhaftet. War der Widerstand erfolgreich? Hat die Repression des Regimes euch von der Bevölkerung entfernt? Wie habt ihr den Widerstand erlebt?
Nun, bei dieser Frage sollte man über die Haltung des internationalen Proletariats reden. Warum blieb die spanische Revolution so isoliert und warum gewann Franco den Krieg?
Er hat die Revolution zerschlagen, Franco hat den Krieg nicht gewonnen, er hat die Revolution mit Hilfe des internationalen Kapitals zerschlagen. Er hat das Problem des internationalen Kapitalismus gelöst, deswegen ist er nach Ende des Zweiten Weltkrieges an der Macht geblieben. Andere Länder wurden befreit. In den anderen Ländern wurde die Demokratie eingeführt, Europa wurde geteilt. Aber in Spanien blieb Franco, da die Leute Angst vor dieser Revolution hatten, davor, dass sich die Geschehnisse wiederholen. Deswegen kann man in Spanien nicht von erfolgreich oder nicht erfolgreich sprechen, es gab immer noch Widerstand, nur blieb er isoliert. Die Leute versuchten irgendwie in den Bergen zu überleben, bis Franco mit Hilfe der Amerikaner, der Engländer, der Franzosen, der Deutschen, – mit allen – bis er es schaffte, der Situation Herr zu werden, indem er die Bewegung zerstörte. Spanien wurde zu einem riesigen Gefängnis, eine Million Arbeiter waren im Gefängnis, im Konzentrationslager. 250.000 Erschossene, eine halbe Million ging ins Exil, die Leute hatten Angst. Bedeutende Intellektuelle Spaniens mussten ins Exil gehen, andere wurden erschossen. All dies mündete in 40 Jahre Diktatur, wodurch sich die großen Ängste, die immer noch in Spanien existieren, erklären.
Die “Transicion” (“der Übergang zur Demokratie”, A.d.Ü.), wie man das in Spanien nennt, das waren alle politische Parteien zusammen mit dem Rest der Falange (faschistische Organisation), die dem Anarchismus gemeinsam die Stirn boten, damit er sich nicht wieder erheben konnte. Und sie schafften es, sie schafften es, die Angst zu säen, sie schafften es, die Polizei in libertäre Kreise einzuschleusen, sie schafften es zu provozieren. Zum Beispiel die 400.000 bei der Versammlung von Montjuic. Letzten Endes ist alles eine Reihe von Tatsachen. Sogar heute, wo die kommunistische Partei, Izquierda Unida („Vereinigte Linke“ – spanische Linksallianz, A.d.Ü.) und die sozialistische Partei zusammen arbeiten mit Aznar & Co. Der Kampf geht gegen die Anarchisten, die Ursache des Problems sind angeblich die Anarchisten. Es gab vor kurzem sogar den Fall, wo eine Bombe in Rom hochgegangen ist, und man dies den Anarchisten anhängen wollte. Es wird immer versucht, die Anarchisten in Verruf zu bringen, indem man ihnen gewaltvolle Aktionen, welche den Leuten Angst machen, zur Last legen will. Die Transicion in Spanien bedeute: “alle Zelte abzubrechen und neu anzufangen“ (auch eine Redensart, ging nicht besser zu übersetzen A.d.Ü.). Alle an einem Strang, damit der Anarchismus in Spanien nicht wieder erstarken konnte.
Nach der Transicion sind einige neue soziale Bewegungen entstanden, besonders die Antiglobalisierungsbewegung. Welche Verbindungen und Parallelen gibt es Deiner Meinung nach zu der anarchistischen Bewegung speziell in Spanien?
Wenige, in Spanien sind die Leute sehr enttäuscht von den politischen Parteien, besonders die Jugendlichen, und da die Jugendlichen nicht wirklich wissen, was sie wollen, springen sie auf alle Gegen-Bewegungen an, wie die Antiglobalisierungsbewegung. Aber sie haben auch keine genauen Vorstellungen über das alles. Leider ist der Anarchismus in Spanien, aus Gründen die ich eben genannt habe, nicht mehr so verbreitet, und wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie 1850 zum Beispiel. Die Leute reagieren allergisch auf politische Parteien, sie wählen nicht, oder sie wählen, ohne davon überzeugt zu sein. Aber die Jugendlichen gehen in Wirklichkeit nicht wählen, sie enthalten sich ihrer Stimme. Da muss der Anarchismus ansetzen, unter diesen schwierigen Voraussetzungen, weil die Jugendlichen kein Bewusstsein haben. Sie wissen, was sie nicht wollen, aber sie wissen nicht, was sie wollen. Was es für den Anarchismus sehr schwierig macht anzusetzen, dennoch denke ich, dass der Anarchismus in Spanien wie auch in der restlichen Welt am Leben ist, es handelt sich um einen tief verwurzelten Anarchismus, der sich sehr oft in direkten Aktionen zeigt, was nicht gerade die beste Methode ist, aber es ist die Methode der Verzweifelten. Ich denke, dass wir eine Stufe erreicht haben, wo die Leute so verzweifelt sind, weil es keinen Ausweg gibt, und da es keinen Ausweg gibt, greifen sie nach jedem Strohhalm, wie der Antiglobalisierungsbewegung. Attac ist eine liberale Bewegung, die sich für nichts anderes interessiert, als für das, was sie aus diesen Bewegungen herausziehen kann.
Attac ist eine von der liberalen Bourgeoisie geschaffene Bewegung derer, die diese Art von Protesten steuern, um etwas für sich zu erreichen. Aber eigentlich denke ich, dass Attac an Wichtigkeit verliert, […] weil die Jugend nach viel Reflexion und nach vielen Misserfolgen ihren Weg finden wird. Gehen wir zurück zur Situation 1850, in Spanien und dem Rest der Welt, in Europa, in den am meisten industrialisierten Ländern wie Frankreich, Deutschland, Italien – nun gut, Italien nicht, weil Italien befand sich gerade mal am Anfang – hat der Anarchismus viel nachhaltiger Fuß gefasst als die anderen Theorien. Der Marxismus ist tot, er ist eine Theorie des vergangenen Jahrhunderts. Der Kapitalismus hat sich in einer Art und Weise entwickelt, so dass er über den Marxismus hinausgegangen ist, weil das Ganze eine dogmatische Sache von Karl Marx blieb. Der Anarchismus ist anders. Er ist keine Theorie, er ist ein Projekt der Gesellschaft, welches der jetzigen Gesellschaft eine andere gegenüberstellt. Und diese Gesellschaft kann jeden Augenblick verwirklicht werden, mit besseren Bedingungen und auf den Prinzipien des Föderalismus basierend.
Der Kapitalismus und die Bourgeoisie sind daran interessiert, den aggressiven Charakter dieser Bewegungen, zum Beispiel der Antiglobalisierungsbewegung, hervorzuheben, und es scheint, als ob die Anarchisten in die Falle der Aggressivität tappen. Der Beweis dafür ist, dass die Antiglobalisierungsbewegung in Friedliche und Aggressive – wozu die Anarchisten zählen – unterteilt wird. Es ist eine Art die Leute zu erschrecken. Die Anarchisten dürfen nicht in diese Falle tappen. Vielmehr sollten sie sich von diesen Einflüssen lösen und sich nicht an gewaltvollen Aktionen beteiligen. Das ist nicht gut für den Anarchismus – es ist eher die Polizei, die wie eine Vogelscheuche diese Zwischenfälle provoziert. Autonomie, Solidarität, Menschen, Dezentralisierung sind für den Kapitalismus uninteressant. Dies sind Kräfte, die er einfach zerschlägt, er zerschlägt die Bewegungen. Heutzutage ist alles zentralisiert, jedoch ist der Zentralismus etwas, was sogar den Kapitalismus ermüdet. Den Beweis habt ihr in den USA. Warum senken sie die Zinsen? Um Waren zu exportieren. Es gibt einen Krieg zwischen dem Euro und dem Dollar, früher oder später werden wir von bewaffneten Zusammenstößen, von Krieg und Faustschlägen reden. Es ist eine sehr konfuse Situation, bis zu dem Punkt, an dem wir, die Anarchisten, die Einzigen sind, die diesen Kampf zu unserem eigenen machen können, wenn wir unsere Ideen gut zu erklären wissen, die ja nicht sehr kompliziert sind. Man sollte einfach nicht zu viel theoretisieren, man muss praktisch an die Sache herangehen. Föderalismus, Autonomie, Dezentralisierung, das sind die Pfeiler des Anarchismus, der Veränderung der Gesellschaft. Wir haben keine Theorie. Die Genossen, die alles theoretisieren, verlieren nur Zeit. Wir wollen eine Gesellschaft, die auf den Prinzipien der Solidarität, der Gleichheit, weniger sozialer Ungerechtigkeit und freier Liebe basiert, Prinzipien die es schon gibt und die sich die Leute wünschen.
!pasaremos! Und danke für das Gespräch, bis bald…
Besonderer Dank gilt Elena als Tapferste des tapferen fünfköpfigen Übersetzungsteams der Veranstaltung, Miguel und S. für Interviewübersetzung und Transkription und Dieter, Anthie und Werner, die mit Gelassenheit, Interesse und ihrem Französisch die Nacht zu einer des Erzählens, Diskutierens und Verstehens machten.
Theorie & Praxis